Romanzen vom Rosenkranz
Clemens Brentano
Romanzen vom Rosenkranz
Unter erstmaliger Benutzung des gesamten handschriftlichen Materials herausgegeben und eingeleitet von
Alphons M. von Steinle
Mit vier Beilagen im Kunstdruck
Petrus-Verlag G. m. b. H.
Trier 1912
Der Großnichte des Dichters und Enkelin des als Jacopone verherrlichten Großmeisters der Jurisprudenz
Freifrau Josefa von Schönberg-Thammenhain
geb. von Savigny
in Verehrung gewidmet
Clemens Brentano hat die unvollendete Dichtung „Romanzen vom Rosenkranz“ nie selbst drucken lassen, auch in späteren Jahren selbst recht hartklingende Urteile über sie gefällt, so daß die Annahme gerechtfertigt erscheinen könnte, er selbst habe diese Dichtung verworfen. Indes jene beiden Momente sind für diese Annahme nicht beweisend. Brentano hat, seitdem er nach dem Erscheinen seiner in Druck gegebenen Dichtungen von hämischen Kritikern persönlich verdächtigt und verleumdet worden war, eine unüberwindliche Scheu gegen das Gedrucktwerden gefaßt, er kam sich vor, wenn er etwas von sich gedruckt sah, „wie an den Pranger gestellt.“ Die harten Urteile aber, welche er über seine Romanzen abgab, beziehen sich weniger auf diese selbst, als auf seine ganze vor seine Bekehrung zum praktischen Katholizismus fallende dichterische Tätigkeit überhaupt, die er für eitel und verlorenen Zeitaufwand hielt.
Das Urteil, welches P. W. Kreiten in seinem Lebensbild (Bd. I S. 327) über die Romanzen vom moralischen Standpunkt aus fällt, könnte es zweifelhaft erscheinen lassen, ob ein Neudruck der vollständigen Dichtung im Sinne des verewigten Dichters geschehen möchte, wenn dieses Urteil berechtigt wäre. Unserer Ansicht nach beruht es auf bedauerlichen Mißverständnissen der von P. Kreiten gemeinten Stellen der Dichtung und auf einer allzu ängstlichen, nicht zu rechtfertigenden Auffassung über das dem Dichter Zuzugestehende in Schilderung von Personen, ihrer Charakterentwicklung, ihrer Versuchungen, ja ihrer Sünden. Wir [VIII] wollen indes unser eigenes Urteil unterdrücken und zur Rechtfertigung dieses Neuabdruckes einem Manne das Wort geben, der neben einem ausgezeichneten Kenner des Dichters und Menschen Brentano, einer der hervorragendsten Theologen des vorigen Jahrhunderts war, unter dessen Soutane ein so priesterliches Herz schlug, wie es selten in der Brust eines Gelehrten sich findet.
Der verewigte Domdekan Prof. Dr. J. B. Heinrich schreibt in seiner im Jahre 1878 in den Vereinsschriften der Görres-Gesellschaft erschienenen Studie „Clemens Brentano“ S. 50 ff.:
„Nie gestattete Clemens, daß irgend etwas aus den Romanzen gedruckt wurde. Nach seinem Tode erst hat sein Bruder Christian sie herausgegeben, und mit Recht: denn auch als Fragment in ihrer teilweise unfertigen Form und in ihrem ungleichen Werte, gehören die Romanzen vom Rosenkranze zu den seltensten Blüten wahrer Poesie.“
„Wenn auch die geläutertere und tiefere christliche Erkenntnis und die zarte Gewissenhaftigkeit, die Clemens in den späteren Jahren seines Lebens auszeichnete, manchen schiefen und nichtverständlichen Gedanken und manche Schilderungen verwerflich fand, so ist doch die Idee des Ganzen tief christlich, und der Geist, der es durchweht, ein sittlicher und religiöser. Sünde erzeugt Schuld und Unheil. Der Sünde Wurzel ist aber einesteils die die heiligsten Gesetze durchbrechende Leidenschaft irdischer Liebe, andernteils der Geistesstolz, der durch falsche Wissenschaft zu frevelhaftem Unglauben und endlich zu dämonischer Bosheit und Fleischlichkeit führt. Aber das Gute ist stärker als das Böse. Mit Gottes Gnade und durch Mariä Fürbitte triumphiert die Unschuld und der Seelenadel über die Versuchung und erwirbt das Opfer der Unschuldigen den Schuldigen Versöhnung und Heil, nicht aber ohne Mitwirkung. Denn so wie Sünde und Schuld nicht fatalistisch, sondern durch freie Hingabe an das Böse sich fortpflanzen, so wird auch die Gnade nur durch freie Tat in Kampf und Tugendübung gewonnen und [IX] ist die Versöhnung und Begnadigung durch Buße bedingt. Worauf wir aber den höchsten Wert legen, ist, daß in der ganzen Dichtung Gutes und Böses nirgends mit einem falschen Maße gemessen und die christliche Moral gefälscht wird. Nirgends ist die Sünde beschönigt. In Moles erscheint der Teufel nicht, wie teilweise in Mephistopheles, als gutmütiger Humorist, sondern ganz als Teufel, in seiner ganzen Bosheit und Lügenhaftigkeit; der Unglaube und die Sünde stellen sich in dem dem Teufel verfallenen Apo nicht, wie in Faust, in tragischem Glanze, sondern in verabscheuungswürdiger Verwerflichkeit dar. Die jungfräuliche Reinheit und unschuldige Frömmigkeit fällt nicht, wie in Gretchen, als Opfer der Verführung, sondern triumphiert in Biondetta und Rosablanka über menschliche Versuchung und dämonische Nachstellung. Nicht der Sieg irdischer Liebe, sondern ihre Überwindung durch die himmlische Liebe bildet den Culminationspunkt des poetischen Interesses. Nicht wird, wie in Faust, das titanische Streben falscher Wissenschaft mit einem Glorienschein umgeben, sondern die innere Nichtigkeit und Verderblichkeit pantheistischer Philosophie und magischer Gnosis in schärfster Weise gegeißelt, dagegen Glauben und Liebe verherrlicht, und die Geheimnisse, Gnaden und heiligen Übungen des Christentums in schönstem und reinstem Lichte dargestellt.“
Mit diesem Geleitbrief mögen die Romanzen in unverkürzter Form nun auch ihren Weg in weiteste Kreise auch des katholischen Volksteils finden, nachdem die von Christian Brentano veranstaltete Ausgabe längst vergriffen, und es mir durch Benützung sämtlicher Manuskripte des Dichters und der vorhandenen Abschriften gelungen sein dürfte, die Dichtung von manchen Vorwürfen, die ihr durch Mißverständnisse gemacht wurden, zu entlasten.
Frankfurt a. Main, Oktober 1911.
I. Urschriften: | |
a) | Die ersten reinen Kladden von der Hand des Dichters. |
b) | Abschrift der ersten fünf Romanzen für Runge von der Hand des Dichters. |
c) | Ein Convolut, enthaltend Entwürfe, Notizen usw. von der Hand der Dichters. |
a bis c im Besitze des „Freien deutschen Hochstifts“ in Frankfurt a. M. | |
d) | Die „Notizen“ des Dichters im Besitze der Königl. Bibliothek in Berlin. |
e) | Ein Heft Regesten zu Brentanos Arbeiten von der Hand Dr. J. Fr. Böhmers im Besitze des Freien deutschen Hochstifts in Frankfurt a. M.; dazu zwei Briefe Arnims. |
II. Abschriften: | |
a) | Von Frau Sophie Steingaß geschrieben aus 1846–47, im Besitze des Herausgebers. |
b) | Von derselben aus gleicher Zeit im Besitze des Herrn Dr. Max Morris in Berlin; diese beiden sind Abschriften von der zur Zeit unauffindbaren von Böhmer selbst nach den Brentanoschen Manuskripten geschriebenen Abschrift. |
c) | Von Frau Sophie Steingaß geschrieben, im Besitze von Frl. Sophie Görres in Wien, anscheinend Abschrift von b. |
d) | Durch briefliche Collation, die im Besitze der Frau L. Renouf in London befindliche 1826 angefertigte Abschrift von der ersten Böhmerschen Abschrift. |
III. Drucke der Romanzen: | |
a) | Gesammelte Schriften, herausgegeben von Christian Brentano, Frankfurt a. M., D. Sauerländer. Bd. 3. |
b) | Max Morris, Clemens Brentano. Romanzen vom Rosenkranz. Berlin, Skopnik 1903. |
c) | V. Michels, Clemens Brentanos Romanzen vom Rosenkranz. Bd. IV der Sämtlichen Werke. München, G. Müller, 1911. |
d) | Max Morris, Textausgabe in Hesses Klassikerausgaben. |
e) | Auszug in: Diel-Kreiten, Auswahl aus Cl. Brentanos Schriften. Freiburg, Herder. |
Die Citate:
Janssen bedeutet: Janssen, Böhmers Leben, Briefe usw. Freiburg, Herder.
Steig bedeutet: Steig, Achim von Arnim und Clemens Brentano.
Diel-Kreiten bedeutet: Leben Brentanos. Freiburg, Herder.
Frühlingskranz bedeutet: Ausgabe des Inselverlags.
S. W. bedeutet: Sämtliche Werke. München, G. Müller.
Ges. Schr. bedeutet: Gesammelte Schriften. Frankfurt, Sauerländer.