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Romanzen vom Rosenkranz/Romanze XIX: Moles in Biondettens Leiche

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[332]

Moles in Biondettens Leiche

Triumphiert, ihr guten Geister,
Es zerbrach der falsche Thron!
Apo, dem verfluchten Meister,
Sind die Diener all entflohn.

5
Heilger Sabbat, betend steige

Auf im Ost dein frühes Rot!
Über dieser Jungfrau Leiche
Schimmre lieblich hin der Tod!

In des Morgenlichtes Streifen

10
Sehe ich ein Flammenboot

Selig durch die Rosen schweifen,
Mit den Segeln purpurrot.

Rosarosa, still geneiget,
Führt das Steuer treu und fromm,

15
Rosadora zu ihr steiget,

Daß sie auch zum Heile komm.

Jene keusch den Mantel breitet
Um der Schwester Seele bloß;
Freudig nun der Kahn hingleitet

20
Durch den blutgen Tränenschoß.


Zu des Traumes Insel streichet[1]
Ihre Fahrt, zum stillen Mond,

[333]

Den in Sonn und Tränen bleichend
Die unschuldge Schuld bewohnt.

25
Wo die kleinen Kindlein weinen,

Die der Tod ums Licht betrog;
Auf dem Totenkränzlein scheinen
Morgens ihre Tränen noch.

Ungetaufet sie verweilen

30
Singend vor des Himmels Tor,

Und die Tränentauf erteilen
Tauend sie dem Blumenflor.

Rosarosa lehrt die Kleinen,
Die auf Erden sie verlor,

35
Rosadora wird erscheinen,

Führerin in diesem Chor.

Bis die Rosen sind befreiet
Aus ererbter Sünde Not,
Bis zum Kranze sie gereihet

40
Selig steigen aus dem Tod,


Singet Jungfraun, Kindlein weinet
An dem goldnen Himmelstor,
Bald Maria euch erscheinet
Mit der Engel selgem Chor.

45
Aber blickend nach der Reinen,

Taucht die Sonne jetzt empor,
Hüllet dann sich, um zu weinen,
In der grauen Wolken Flor.

Und ein dichter Nebelschleier

50
Über ihres Hauptes Gold

Zu des Tages Totenfeier
Traurend tief herniederrollt.

[334]

Wie ein Trauerhaus bekleidet,
Steht umwölkt das Himmelstor;

55
Sonnenlos, leidtragend schreitet

Bleich der junge Tag hervor.

Asche auf die Hügel streuend
Wandelt hin der Göttersohn,
Und Aurora weint bereuend,

60
Daß er ihrem Schoß entflohn.


Und sie spricht: „Aus schweren Träumen
Aufgeschrecket muß ich schon
Dir mit blutgem Purpur säumen
Deiner Trauer trüben Thron.

65
Wo die Nacht den Flügel breitet

Über Schlaf und über Tod,
War mein Lager heut bereitet
Unter böser Träume Not.

Boten auf und nieder steigen

70
Zwischen Erde, zwischen Mond,

Sah ich zu des Abgrunds Reichen,
Wo die Brut des Fluches wohnt.

Einen hört ich freuig schreien,
Der etwas verkünden wollt,

75
Und zur Erde niederstreuen

Blätter, deren Schrift von Gold.

Dann in wunderbaren Weisen
Sang er stammelnd Gottes Lob,
Der zu höhern Lichtes Kreisen,

80
Sein erbarmend, ihn erhob.


Er verschwand mit Benedeien,
Und zum Grund vom blauen Dom

[335]

Zog hinab mit Maledeien
Ein gespenstisches Phantom.

85
Mit der Taube und dem Weibe

Sah ich unter Fluch und Spott
Sein Kamel zum Abgrund treiben
Den verbuhlten Sarabot.

Und er riß vorüber schleichend

90
Mir vom Haupt des Schlafes Mohn,

Und ich harrte weinend, schweigend
Dein, mein lichter Freudensohn!“

Also sang Aurora leise,
Während still der Tag aufzog,

95
Und versank im ewgen Gleise,

Das ihr lichter Sohn durchflog.

Aber auf dem Turm alleine
Harret Apo zornestoll;
Daß ihm Moles nicht erscheine,

100
Füllet ihn mit bitterm Groll.


Es erkaltet schon die Leiche,
Deren Herz noch blutend quoll,
Und die Wangen schon erbleichen
Und die Lippe rosenvoll.

105
Und er legt metallne Scheiben

Ihr auf Augen, Brust und Schoß,
Um ihr Blut zurückzutreiben
Durch geheimer Kräfte Stoß.

Nieder reißt er ihre Kleider;

110
Ach, sie hüllt kein schamhaft Rot!

Doch ihr Leichnam nackt und heiter
Ist geheiligt in dem Tod.

[336]

Rosarosens Gurt von Eisen
Schützet Lende ihr und Schoß;

115
Apo will ihn niederreißen,

Doch er zwinget ihn nicht los.

Und mit allen seinen Feilen
Kann mit Mühe er und Not
Den Bußgürtel nicht zerteilen,

120
Der geheiligt Trotz ihm bot.


Nun zum Keller niedersteiget
Apo, wo am feuchten Ort
Springwurz, die jed Schloß erweichet,
Ruhet, daß sie nicht verdorrt.

125
Als er wiederkehrt zur Leiche,

Sieht er selbst sich oben schon,
Und er spricht: „Laß deine Streiche,
Moles, was soll dieser Hohn?

Hund, du sollst als Hund erscheinen;

130
Sieh, du treibst es mir zu toll!

Willst du, daß zu deinen Peinen
Ich die Glocke schlagen soll?

Wo bist du so lang verweilet?“ –
„Herr, ich tat, was ich gesollt,

135
Und bin dann zurück geeilet.

Drum nicht also schmähen wollt!

Einem Kranken Hilfe reichend,
Dessen Heil uns schwer bedroht,
Gab ich Gift, das zäh und schleichend

140
Ihn verzweifeln läßt im Tod.


Böse Frucht sah ich uns reifen;
Wo ich war, da war man fromm,

[337]

Und da muß man seltsam greifen,
Daß man zu dem Pulse komm.

145
Zürne nicht, mein teurer Meister,

Kam ich doch ums Gastgebot
Meiner anverwandten Geister;
Mir tut auch Zerstreuung not.

Wunderbare Neuigkeiten

150
Sind auch zu bedenken noch;

Wenn wir nicht zum Flicken schreiten,
Kriegt der Sack ein böses Loch.“

Doch Apone spricht: „Jetzt schweige!
Eins nur mildert meinen Groll:

155
Rate mir, wie ich die Leiche

Auf die Beine bringen soll?“

Moles spricht: „Des Gürtels Eisen
Hindert deine Wünsche bloß,
Kannst du ihn herniederreißen,

160
Zeige ich dir Wunder groß!


Ich schmeck was von Heiligkeiten,
Drum laß ich die Hand davon.
Du mußt selbst das Schloß bestreiten,
Daß der Schatz dir wird zum Lohn!“

165
Und die Springwurz hält der Meister

An des Gürtels heilig Schloß;
Nimmer doch den Gurt zerreißt er,
Und er flucht, und sein Genoß.

Moles spricht: „Hier hilft nur Schneiden!

170
Zeige dich, mein Anatom,

Und wir schicken Heimlichkeiten
Als Reliquien nach Rom.“

[338]

Apo spricht: „Hinüberschleiche,
Wo die Jungfrau hat gewohnt,

175
Und mir schnell den Schlüssel reiche,

Daß ihr Leib mir bleibt verschont!“

„Ei, dies mag dir leicht wohl scheinen!“
Sagt der Hund, „bedenke doch,
Was die Frau dazu wird meinen,

180
Die da steht am Brunnen noch.


Gehe selbst, mein kluger Meister,
Du vielleicht trägst ihn davon,
Doch wir andern jüdschen Geister
Feiern jetzt den Sabbat schon.“

185
Apo geht. – Zum toten Leibe

Spricht der Hund: „Verdammter Spott,
Nicht zum Manne, nicht zum Weibe,
Hast du mich erschaffen, Gott!

Diese Puppe zu zerreißen,

190
Scheut sich der gelehrte Tor,

Und sieht das geweihte Eisen
Wie die Kuh das neue Tor.

Mensch, um zweie nur beneidet
Dich der Teufel: um den Tod

195
Und die Lust, die dir bereitet,

Als sie dir den Apfel bot.

Als du ihn mit ihr geteilet,
Warfst du ab des Lebens Joch;
Mir, der ewig sich langweilet,

200
Ließ der Zimmermann kein Loch.


Allen Quark muß ich beneiden
Und bin allen Quarkes Gott;

[339]

Spott ich Gottes Herrlichkeiten,
Tödlich wird mir nie der Spott.

205
Stift ich tausend Bubereien,

Gehn sie alle auf ein Lot;
Das unendliche Verzeihen
Hilft dem Herrn aus aller Not.

Als ich in der Wüst allein

210
Ihm die Erdenschätze bot,

Macht er aus dem dummen Steine
Mir zulieb nicht einmal Brot.

Ohne Freude muß ich teuflen,
Und mein Werk wird all zu Kot,

215
An dem ewgen Leben zweiflen,

Und erzweifle nie den Tod!

Was ich mühsam hab geleimet,
Ist und bleibt ein schlechter Klotz,
Und in jedem Kraute keimet

220
Gegen meine Werke Trotz!


Nichts kann ich zu Ende treiben,
Ach, ein Ende wär ein Lohn!
Das Unendliche vertreiben
Kann nicht all mein Spott und Hohn.

225
Ewig elendes Arbeiten,

Null ist mir wie Million,
Wer den Knoten könnt zerschneiden:
Sohn ist Vater, Vater Sohn!

Arm, blutarm bin ich ein Teufel,

230
Mutterlos und vaterlos,

Bös erzeuget von dem Zweifel
In der Lüge dunklem Schoß.

[340]

Treibe ewge Affereien,
Ohne Freude, ohne Zorn,

235
Keine Rose kann mich freuen,

Und mich schmerzen kann kein Dorn.

Elende Quacksalbereien,
Wort zum Fleisch und Fleisch zum Wort,
Hänseleien, sieben Weihen,

240
Jagen mich bald hier, bald dort.


Hab ich mich wo eingefleischet,
Brauchts vom Kreuz ein Stückchen Holz,
Und der Teufel flieht und kreischet
Wie ein Hund vor Pfeil und Bolz.

245
Doch den alten Bärenhäuter

Hör ich auf der Treppe schon;
Munter, Moles, treib es weiter,
Bett dich, wie des Menschen Sohn!

Sieh einmal zum Zeitvertreibe,

250
Wie sichs in der Jungfrau wohnt,

Und dem mürrschen Apo bleibe
Doch der Pudel, der ihm front!“

Und der Geist, der stets entzweite,
Treibet einen Höllensproß,

255
Und von seinem Stamm befreite

Sich der Zweig und reißt sich los.

Und sie machen Höflichkeiten,
Wer das Weib besitzen soll,
Ja, beginnen schier zu streiten,

260
Also ist der Teufel toll.


„Vater bin ich,“ schreit der eine,
„Mir gebührt des Lebens Thron!“

[341]

„Nein, das Fleisch, es ist das meine,“
Spricht der andre, „ich bin Sohn!

265
Weh, es fehlt uns nur am Geiste,

Wäre der uns nicht entflohn,
Daß er uns Entscheidung leiste,
Dann wär uns geholfen schon.

Einig sind Dreieinigkeiten,

270
Vater wird durch Geist zum Sohn,

Zweie sind Zweideutigkeiten,
Zote nur gebiert der Hohn.“

„Wechseln wollen wir zuzeiten,“
Spricht der Hohn nun zu dem Spott,

275
„Denn das Leiden wie das Streiten

Treiben beide wir gen Gott.“

Und der Spott dringt in die Leiche,
Und es hilft ihm frech der Hohn,
Daß er in die Wunde schleiche,

280
Der Biondettens Geist entflohn.


Apo kehrt und spricht: „Es scheinen
Menschen in dem Hause noch,
Eine Stimme hört ich weinen
Und sah Licht durchs Schlüsselloch.“

285
Doch nun richtet sich die Leiche

Auf und nicket mit dem Kopf;
Als sie ihm die Hand will reichen,
Bebet Apo wie ein Tropf.

Moles spricht: „Empfang, Hochzeiter,

290
Meine Gratulation,

Sieh, dein Glückstern scheinet heiter,
Führe deine Braut davon!

[342]

Eine Unschuld sondergleichen,
Ohne Hemdlein, nackt und bloß,

295
Eben muß ich sie vergleichen,

Wie sie stieg aus Adams Schoß.

Fräulein, ich seh von dem Pfeile
Amors euer Herz durchbohrt!
Daß er euch die Wunde heile,

300
Ihr den rechten Arzt erkort.


Alles ist nicht Gold, was gleißet;
Wenn der Herzensrose Gold
Eure Wunde gleich zerreißet,
Seid ihr drum nicht minder hold.“

305
Apo spricht: „Laß deine Streiche!

Sage, wie du sie erhobst,
Welchen Geist der schönen Leiche
Du belebend unterschobst?“

Und der frechste aller Geister

310
Spricht: „Ein Wort sagt ich ins Ohr;

Fiat heißts beim großen Meister,
Pfui heißts in unserm Chor.

Willig hat sie sich bezeiget,
Etwas blöde freilich noch;

315
Was die Lippe jetzt verschweiget,

Pocht im Herzen laut und hoch.

Brechet erst dies züchtge Schweigen;
Durch des Treurings rotes Gold
Läßt sie sich vielleicht erweichen,

320
Gibt den Schlüssel, den ihr wollt.


Die Kleinode laß erscheinen,
Gut erworben hier und dort;

[343]

Durch Kleinode kommt der Kleinen
Bald das lustge Fleisch zu Wort!“

325
Einen Schrein voll Edelsteinen

Und von goldnen Ringen voll
Bringt der Meister, daraus einen
Sich die Braut erwählen soll.

Gierig nun den Schatz durchschweifet

330
Wild ihr Aug, das dunkel rollt,

Heftig zuckt die Hand und greifet
Einen Siegelring von Gold.

Und als wollt sie ihn zerbeißen,
Zuckt sie ihn zum Mund empor,

335
Apo wollt ihn ihr entreißen,

Doch verschlang sie ihn zuvor.

Und nun spricht sie: „Herr, die, Deine
Bin ich nun, wie du gewollt:
Vor dem Volke und alleine

340
Dien ich dir um dieses Gold.


Dieses Ringlein auf der Reise
König Pharao verlor,
In dem Roten Meer zur Speise
Sichs ein geizger Hecht erkor.

345
König Pharao, dem Weisen,

Setzt der Koch den Fisch einst vor;
Als er wollt den Hecht verspeisen,
Kam das Ringlein blank hervor.

In dem Bette seiner Weiber

350
Kam es wieder ihm davon,

Ein ägyptscher Eselstreiber
Trug es dann als süßen Lohn.

[344]

Dems der freche Papageie
Der Herodias entzog,

355
Und mit einem Freudenschreie

Fand sie es in seinem Trog.

Bei der blutgen Weihnachtsfeier,
Bei der Kindlein lustgem Mord,
Daß er tanz nach ihrer Leier,

360
Schenkt sie es dem Vater dort.


Und das Ringlein war ihm teuer,
Es besiegelte sein Wort;
Doch es lief ein ungetreuer
Diener mit dem Ring ihm fort.

365
Und der Ring kam immer weiter,

Keinem hat er noch gefrommt,
Außer dir, mein Herr Hochzeiter,
Dessen Braut er wohl bekommt.

Meines Leibes bist du Meister

370
Bis zum Gürtel und dem Schoß;

Leider zwingen alle Geister
Diese Last mir nimmer los!

Könnt ich dir den Schlüssel reichen,
Wär ich deiner Lust Genoß;

375
Aber er ist mir nicht eigen,

Mir gehöret nur das Schloß.

Alles geb ich, nur verweigern
Muß ich dir den Schlüssel bloß,
Deine Kunst, kannst du sie steigern,

380
Ringt vielleicht dem Feind ihn los.


Ich will offen dich begleiten,
Nach Belieben, wann und wo;

[345]

Alle sollen dich beneiden;
Werde dieses Neides froh!

385
Mich als Nonne einzukleiden

Sag ich auf dem Markt mich los;
Lügen müssen wir verbreiten,
Wie ich ward dein Hausgenoß.

Wie ich in Melancholeien

390
Hilf von deiner Kunst gehofft,

Wie, die Kranken zu zerstreuen,
Mein Gesang dir diene oft.

Wie die Kunst der Arzeneien
Ich von dir erlernen soll,

395
Wie nichts könne uns entzweien,

Weil wir eines Gottes voll.

Dieses, jenes, und so weiter
Lüge nur, man glaubt es schon,
Denn du bist ein Teil gescheiter,

400
Herr und Meister und Patron!


Deine Magd kann ich erscheinen,
Wie es deinen Lüsten frommt;
Nur nicht lachen und nicht weinen,
Weil dies von der Seele kommt.

405
Soll dein Lager ich beschreiten,

Oder auf der Erde bloß
Ruhn an deines Bettes Seiten,
Oder sitzen dir im Schoß?

Ob ich auf dem Draht, dem Seile,

410
Dir soll gaukeln liebestoll,

Ob ich dir zur kurzen Weile
Buhlerliedlein singen soll?

[346]

Deinen Blicken, Fingerzeigen
Folget deine Dienrin schon,

415
Darf ich deinen Bart dir streichen,

Ist es mir ein süßer Lohn.

Vor der Welt nach alter Weise
Nenne mich Biondette noch;
Älia Lälia Crispis heiße[2]

420
Mich in Traulichkeiten doch.


Denn in mir von diesen Dreien
Brennet der gedrillte Docht,
Um die einst in Buhlereien
Mancher römsche Bürger focht.

425
Ja, ich bin von diesen Dreien

Das gezwirnte Kunstphantom,
Und wie sie will ich nicht schreien,
Küssest du gleich wie ganz Rom.

Will dir mein Besitz verleiden,

430
Werd ich zu der Lust zu stolz,

Kann dich wieder von mir scheiden
Klein ein Splitter Kreuzesholz.

Aber an dem Jungfernleibe,
Den ich dir zur Lust bewohn,

435
Daß er unverdorben bleibe,

Zeig jetzt deine Kunst, Patron!“

Und mit Blut zwei Sprüche schreibet
Apo ihr nun hinters Ohr,
Unter ihre Achseln reibet

440
Salbe er, die er beschwor.


Lüstern die besessne Leiche
Küsset nun der alte Tor,

[347]

Moles spielet auf der Geige
Ein vermaledeites Chor.

445
Und in buhlerischem Eifer

Tanzet, wie der trunkne Lot,
Mit der Braut er einen Schleifer
In fatalem Teufelstrott.

Älia Lälia Crispis schreiet

450
Mit verruchtem, giftgem Ton,

Und Biondettens Kehl entweihet
Eines frechen Liedes Hohn.

Dies gefällt nicht ganz dem Meister,
Und er spricht: „Verschon mein Ohr!“

455
Mit Biondettens Stimme heißt er

Singen sie den Hochzeitschor.

„Denn du sollst Biondette scheinen,
Die zum Freunde ich erkor,
Und die Stadt soll sie beweinen,

460
Daß sie sich an mich verlor.


Alle sollen mich verschreien,
Und um Silber und um Gold
Will ich ihren Festen leihen
Meine Freundin süß und hold!“

465
Und die Jungfrau spricht: „So sei es!

Lieb ich gleich nicht jenen Ton,
Freut sich gleich des frechen Schreies
Mehr ein freier Musensohn,

Lieb ich lügend doch zu gleißen;

470
Und zweideutig will ich Gott

Dir in schiefen Weisen preisen,
Mir zum Lobe, ihm zum Spott!

[348]

Mit gedrehten Schlangenhäuten
Lasse mir von Apfelholz

475
Eine Harfe bald besaiten,

Ich bin auf dergleichen stolz.

Ich will die Akkorde greifen,
Daß du mich gewißlich lobst,
Daß der Weiber Augen greifen

480
Rings nach dem verbotnen Obst.


Und die Männer werden eilen,
Den verrufnen Apfel rot
Mit den Even schnell zu teilen,
Und sie essen sich den Tod!“

485
Moles spricht nun zu dem Meister:

„Eine Harfe ist besorgt,
Der galanteste der Geister
Hat die seine mir geborgt.

Ist sie gleich ein bißchen heischer,

490
Ist sie doch vom besten Ton,

Wird die Sängerin erst keuscher,
Wird sie besser stimmen schon.

Aber jetzt, ihr Hochzeitsleute,
Machet mich nicht länger rot!

495
Apo, es tut uns für heute

Zu studieren noch sehr not!

Denk, wie du vor kurzen Zeiten
Sahst in meinem Horoskop,
Wie die Rose gen uns beide

500
Drohnd ein dreifach Haupt erhob.


Uns entzogen hat die eine
Rosarosens selger Tod,

[349]

Diese hier ist jetzt die Deine,
Und sie bringt uns keine Not.

505
Wenn die dritte nun erscheinet,

Ist das böse Kleeblatt voll,
Dem ich einst mit dir vereinet
Tragisch unterliegen soll.

Schnell mein Meister, ohn Verweilen!

510
Über Rose, über Dorn

Muß das Buch uns Rat erteilen,
Suche hinten, ich such vorn!“

Im Register steht verzeichnet:
Rose golden, weiß und rot,

515
Die Marien zugeeignet,

Bringen böse Kunst in Not.

Auf der angeführten Seite
Stehet: Suche Jericho!
Jericho nun suchen beide,

520
Doch es fehlet J bis O.


Und Apone denkt, wie heute
Er das Buch durchs Fenster schob,
Wie der Wind da, Seit auf Seite
Wälzend, in dem Buch getobt.

525
„Weh, mir Toren!“ flucht der Meister.

„Als mir Samael entfloh,
Dacht ich: Ach, mein Buch zerreißt er!
Denn es tönte wahrlich so.“

Moles spricht: „Am Wald hinreisend

530
Sah ich unterm blanken Mond

Samael in Freuden kreisend,
Weil der Herr ihn hat belohnt.

[350]

Und ich sah ihn Blätter streuen
Unter hellem Gottes Lob,

535
Und ich konnt ihn nicht erschreien,

Weil er sich zum Licht erhob.

Das sind böse Neuigkeiten,
Dumm hast dus gemacht, Patron,
Du mußt jetzt im Dunkel schreiten,

540
Weil die Blätter dir entflohn.“


Und sie fangen an zu streiten,
Wechseln harter Worte Zorn,
Älia Lälia Crispis beiden
Schärfet noch des Grimmes Dorn.

545
Aber ihren Zank durchschneidet

Der geweihten Glocke Ton;
Jacopone zubereitet
Seine Leichenfeier schon.

Älia spricht jetzt: „Schnell mich kleide

550
In den buntsten Freudenrock,

Hülle mich in Samt und Seide,
Meine Haare üppig lock!

Schütte alle dein Geschmeide
Über meinen Busen bloß,

555
Daß ich durch das Volk hinschreite

Dir zur Seite leicht und los!

Und dein Kummer wird zur Freude,
Es versinkt dein grimmer Zorn
In dem allgemeinen Neide,

560
Wie im Meer ein kleiner Born!“


Lächelnd kräuselt ihr der Meister
Nun das Haar in frei Gelock,

[351]

Und der hündischste der Geister
Schürzet ihr den Purpurrock.

565
Und es schmücken sie die beiden,

Gleich der Hure Babylon,
Und sie singet Schändlichkeiten
Ihnen vor im frechen Ton.

Sodomitsche Blumenzweige

570
Steckt sie ihrem Busen vor,

Und nun führt die falsche Leiche
Apo aus des Turmes Tor.

Wer sie sieht, steht wie versteinert,
Oder mehret ihr Gefolg;

575
Aber allen unter keiner

Kennt in ihr den Höllenmolch.

Und mit bangem Finger zeiget
Jeder Vater sie dem Sohn,
Und von Mund zu Munde streichet:

580
„Sahst du heut Biondetten schon?“


Alle, die sie einst beneidet,
Weil sie kunstreich, schön und fromm,
Glauben, wo sie hin nur schreitet,
Daß die irdsche Venus komm.

585
Also frech ist ihr Bezeigen,

Jedem Buben scheint sie eigen,
Ich erschrecke und muß schweigen.

Anmerkungen des Herausgebers

  1. [404] Rosarosas und Biondettens Seelen sollen erst in den Himmel eingehen, wenn die Sühne vollendet ist; solange verweilen sie auf der Insel der unschuldig Schuldigen, wo die Seelen der Kinder wohnen, die ohne Taufe sterben.
  2. [404] In Bologna befand sich – nach Malvasia Marmora Felsina, Bologna 1690 – am Hause des Senators Volta folgende Inschrift:

    Aelia Laelia Crispis
    Nec vir, nec mulier, nec androgyna
    Nec puella, nec juvenis, nec anus
    Nec casta, nec meretrix, nec pudica
    sed omnia
    Sublata
    Neque fame, neque ferro, neque veneno
    sed omnibus
    Nec coelo, nec aquis, nec terris
    sed ubique jacet
    Lucius Agatho Priscus
    Nec maritus, nec amator, nec necessarius
    Neque moerens, neque gaudens, neque flens
    Hanc
    Nec molem, nec pyramidem, nec sepulcrum
    sed omnia
    Scit et nescit cui posuerit.

    Moles in der belebten Leiche Biondettens, die nur zu sein scheint, was sie nicht ist, will sich in trauten Stunden von Apo Aelia Laelia Crispis nennen lassen, wodurch [405] der höhnische Teufel ihm zu verstehen gibt, daß er mit einem Phantom gefoppt sei. In Bologna ging außerdem die Sage, ein Zauberer habe eine Zitherspielerin nach ihrem Tode künstlich belebt und auftreten lassen. Diesen Mißbrauch rät Moles Apo an, mit Biondettens Leiche zu treiben, wobei diese das Rätsel Aelia Laelia Crispis aufgeben sollte. Über dieses Rätsel enthält der Notizenfaszikel des Dichters in der Berliner Bibliothek ein gedrucktes Blatt, anscheinend aus einem Buche gerissen, aus dem 17. Jahrhundert stammend: „Von der geheimnisvollen Grabschrift Aelia Laelia Crispis“, das die Quelle Brentanos war. Der unbekannte Autor sagt unter wörtlicher Anführung der Inschrift, daß sich schon mancher den Kopf darüber zerbrochen habe und schließt: „In der That finde ich gar nicht schwer zu seyn, etwan dergleichen zu verfassen, dann weder der Verstand noch die gesunde Vernunft weder ein prächtiger Gedanken darinnen begriffen ist, deswegen kann man auch urtheilen, daß der Author dieser Grabschrift ein sonderlicher wie oder wann muß gewesen sein, indem er sich auch über das Zukünftige auf die Unkosten anderer Leute fröhlich gemacht.“ Diese Auffassung war offenbar auch die Brentanos, dem sie ganz in den Charakter seines Moles paßte, der Apo zwar zu viel Unheil verführte, ihn aber eigentlich zum Narren hielt.

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