Romanzen vom Rosenkranz/Einleitung
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Auf stillen Betten, die der Traum umspielet;
Der Amme Lied ertönte still, und nieder
Die Winternacht mit kalten Sternen zielet.
Die ihr mir in die junge Seele fielet!
Ich fühlte ruhig mich, in Frieden klar und reine;
Der Brüder Herzen hört ich um mich schlagen,
Ergötzt war meine Brust, ich wacht alleine,
Der eine sprach von Wagen und von Rossen.[1]
„Hinan, hinan!“ hört ich die Schwester sagen,
„Ein Auge schließ ich auf der Leiter Sprossen,
Daß mich der tiefe Abgrund nicht ergrause.“
Die andre sprach von ihrem Blumenstrauße,[3]
Wie er schon wieder frisch erblühen werde;
Und die ihr nah: „O tritt die Spitzenkrause[4]
Mir nicht so liederlich hin an die Erde!“
Sein Busen, und mit trotziger Gebärde
Spricht er: „Seht hin, Geliebte, seht, es schwebet
Der Luftball hoch, ich habe ihn erfunden!“
Dann wirft er sich im Bette, hoch erhebet
Des Fensters Schatten lag gleich einer Leiter
Auf eines Mägdleins Bette glatt gestrichen[6]
Die weißen Röcklein auf dem Stuhle glichen
Zwei Engeln, die ihr still zum Haupte wachten.
Still war sie, bis der Mond von ihr gewichen;
Er senkte sich zur Erde. Sprünge machen
Es spielte mit herumgestreuten Sachen,
Ein Strumpfband wars und eine Blumenkette;
Und als der Mond am Bett hinaufgeschwebet,
Sah ich’s, als ob es glühnde Augen hätte.
Das Mägdlein sich und sprach: „Wie schön gesungen
Hat heut die Amme, noch das Herz mir bebet:
Frau Nachtigall, mein Herz ist mir zersprungen.“
So sprach das Kind und legte still sich nieder.
Ein stilles Feuer zog durch meine Glieder.
Oft hieß es mich empor nach ihr zu sehen,
Und immer hob ihr lockigt Haupt sie wieder.
Dann sprach sie Worte, mir nicht zu verstehen,
Und bis ich sah den Mond mir untergehen,
Blieb mir ihr Haupt genüber aufgerichtet.
Dann hört ich draußen – harte Worte klangen,
Bis eine milde Stimm den Streit geschlichtet.
Von Bette schlichs zu Bette, gab uns Küsse
Und segnet uns auf Stirne und auf Wangen.
Ich war der letzte. Heiße Tränengüsse
Fühlt ich aus Mutteraugen auf mich fließen.
Ich traute nicht, den Arm um sie zu schließen.
Da fühlte ich zuerst den Schmerz hienieden!
So viele Tränen sie geweint!“ und schlief in Frieden.
Viel war ich krank, kam wenig an die Sonne,
Die bunte Decke war mein Frühlinggarten,
Der Mutter Pflege war mir Frühlingswonne.
Wenn sie die Wundermärchen uns gesungen,
Daß rings die Kinder in Erstaunen starrten.
Und keines ist mir so ins Herz gedrungen,
Als von des süßen Jesus schweren Leiden,
Maria durch Ägypten mußte reiten,
Und was sie da erfuhr in schweren Nöten,
Da focht ich in Gedanken gen die Heiden.
Und sah ihr Blut in allen Abendröten. –
Mit kräftgen Reden meine Zeit zu töten,
Die Tasche leer vom oft versprochnen Kuchen,
Ein Meister im Versprechen und Beteuern,
Was oft sich falsch bewärt; dazu ohn Fluchen
Vom Antichrist tät er mir prophezeien,
Und hat zum Held gen ihn in Abenteuern
Vor allem mich mit einem Schlag geweihet,
Den scherzhaft er mir auf das Haupt gegeben;
Nichts traf so ernsthaft mich in meinem Leben;
Der Antichrist erfüllet mich mit Schrecken,
Und täglich mußt ich vor dem Trüger beben.
Ich sah ihn stets gen mich die Hand ausstrecken:
Und da dem Alten ich die Angst so klage,
Sprach er: „Wenn du drei Tage ohne Weinen
Geduldig bleibst, ich dich zur Kirche trage,
Man wird dich singend bei dem Eintritt grüßen.“
Ich glaubte ihm. Bei aller Krankheit Peinen
Ließ keine Trän ich von den Augen fließen.
Und als die Stunde endlich war erschienen,
Ich ließ mich stolz, gleich einem Herrn, bedienen;
Der Alte selbst trug mich auf seinen Armen
Und machte übertrieben ernste Mienen.
Ich fühlte mich von Sonnenschein erwarmen,
Gab an der Pforte ich den frommen Armen,
Die barhaupt bittend uns entgegentraten,
Was ich besaß: sechs neue blanke Heller.
Mein Träger ging auf wohlbekannten Pfaden;
Sprach er, „da hast du deine vollen Fässer
Mit allen Sorten bestem Muskateller!“
Ich glaubte ihm, und mit dem blanken Messer
Uns da ein schwarz und weißer Mönch begegnet.
Und als: „Wer war es?“ ich ihm scheu entgegnet –
„Dies war dein heilger Pater Küchenmeister,
Was er am Spieße brät, das ist gesegnet.
Er ist aus Schwaben und Marcellus heißt er;
Er ist ein Zauberer, beschwöret Geister.“
Nun hörte ich durch blühnde Gartenhecken
Die Orgel aus der Kirche rührend klingen;
Mich faßte da ein nie gefühlt Erschrecken.
An hohen Säulen goldne Engel hingen,
Der vielen Bilder seltsame Gestalten,
So stille und so kühl die hohen Bogen,
Die Orgeltöne jubilierend zogen,
Und wie die Mönche zu den Stühlen schlichen –
So wunderbar hat nie mein Herz geflogen.
Der Alte machte mir des Kreuzes Zeichen,
Befahl mir dann, zu horchen und zu schweigen.
Die Seele sich in meine Ohren drängte.
Als laut im Chor sie meinen Namen sangen,
Entzücken sich mit tiefer Angst vermengte.
„O clemens, o pia, o dulcis virgo Maria!“
Ein ewiges Gefühl hab ich empfangen.
Ruft man mich Clemens, sprech ich still: „o pia!
In meiner letzten Stund dich mein erbarme;
Empfange meine Seel in deine Arme!“
Schon siebenmal war Weihnacht mir erschienen
Mit ihres Kinderschatzes frommen Glanz;
Ich konnte lesen und die Messe dienen.
Des lustgen Pfingstfests Feier zu begehen
Schmückt man die Kinder mit dem Blumenkranz.
Zur Kirche sah man tausend Kinder gehen;
Es teilt die Firmung dort der Bischof aus,
In Feierkleidern trat ich aus dem Haus
Und zog mit vielen Kindern zu der Weihe,
Auf meine Sirne, Gott mir Kraft verleihe!
Den Backenstreich empfingen meine Wangen,
Daß ich gedenke an den ernsten Tag,
An dem zur Kirch ich neu bin eingegangen.
Er sah in mir wohl jenes irdsche Wanken,
Das zu bestimmen noch ich kaum vermag.
Ich trat erschüttert aus den heilgen Schranken,
Und meine Stirn umschlang ein blaues Band.
Denn mir zur Seite an dem Altar stand
Ein kleines Mägdlein, das mich tief gerühret;
Ich faßte heftig ihre kleine Hand
Und habe sie zwei Schritte wohl geführet.
Dergleichen Spiel allhier sich nicht gebühret.“
Sie schied von mir, ich mußte weitergehn;
Verschlungen ward dies Kind mir von der Menge,
Und nimmer hab ich wieder es gesehn.
Ich suche jetzt wohl noch nach jenem Kinde,
Und immer mehr tritt mirs aus dem Gedränge.
Traf mich des Priesters Hand dort nicht gelinde,
So traf mich schärfer noch mit seinem Pfeil
Des Priesters Schlag rührt mich nur kurze Weil,
Und nie genas ich von der Liebe Wunden;
Der Tod empfängt den Kranken noch nicht heil.
Du zartes Mägdlein, die mir dort verschwunden,
Hast du gelebt und hast du Leid empfunden,
Begegnet dir dies dunkele Gedicht:
So falle dir aus meinem ernsten Kranz
Ein Opfer auf das Grab: die weiße Rose!
Getrennet lebte fern ich von den Meinen[8]
In strenger und unmütterlicher Zucht.
Die Tage in des Lebens Blumenflucht,
Wie kleine Gärten zwischen steilen Mauern,
Die nie ein Sonnenstrahl hat heimgesucht,
Wo kalte Marmorkinder einsam trauern,
Ihr kennet wohl des Knaben einsam Trauern!
Ich fühlte elend mich und tief verwaist.
Du, Schwester, die die trüben Tage teilte,
Du fühltest auch, was fremde Pflege heißt.
Den sah ich dort zuerst, als unerkannt
Er mir das junge Herz begeisternd heilte.
Da schmückt ich mich mit einem blauen Band,
Und fesselt mich mit goldpapiernen Ketten,
Und auf der Brust geweihte Amuletten.
Ein alter Scherbenhügel war mein Thron;
Ich sprach: „Wer will den armen Sklaven retten?“
Fürst, Schäfer war ich, und verlorner Sohn,
Die durch den Himmel überm Haupt mir flohn.
So war ich einst begeistert dort entschlafen.
Schon stiegen die Gestirne aus dem Blau,
Die gütig mich mit ihrem Segen trafen;
Der meine Stirne kühlend schon benetzte;
Wo eine Kinderschar sich laut ergötzte.
Fremd schienen sie; ich stand an einem Baum,
O seliger, o himmelvoller Traum!
Ich sah hinauf. Aus deinem Himmel, Linde,
Zog nieder eines weißen Kleides Saum,
Und nieder stieg ein Kind aus dem Gewinde
Ein Ebenbild von jenem Firmungskinde.
Sehnsüchtig hatte ich die Arme ausgestreckt,
Da kamen sie, dich boshaft mir zu rauben,
Die Unverständ’gen haben mich geweckt.
Im Fackelschimmer nie betrogner Lust!
Die Liebe starb, die Hoffnung und der Glauben.
Was füllet jetzt die narbenvolle Brust?
Verbrannt das Herz! wie knirscht die tote Kohle!
Zur Stube mußt ich, harte Worte holen,
Zur Strafe büßt ich ein mein Abendbrot,
Als hätte ich, was Gott mir gab, gestohlen:
Des selgen Traumes tiefes Abendrot.
Ich fühlte recht, was mir zum Dasein not:
Ein Himmel blau, in dem die Hoffnung schwimmet,
Ein Schmerz in meiner freien starken Hand,
Die ihn nach ihren Melodien stimmet.
Ward mit Moralien und trocknen Blicken
Zertrümmert mir, was niemals ich verstand.
Entschuldigend erzählt ich mein Entzücken;
Da lachte man den armen Träumer aus,
Und als ich weinte, bracht man mich hinaus
Der immer mich erfüllet hat mit Graus.
Es schienen da in traurig langen Reihen
Die mondumspielte Rebenlauben streuen.
Den Richter sah ich, der das Schwert erhebt,
Vor Salomon das Kindlein zu zerspalten;
Es schwankt das Laub, er zuckt, er scheint belebt.
Und kniete nieder vor Mariens Bild.
Die Hände hab ich innig da gefalten
Und flehte kindisch zu der Mutter mild:
„O, Mutter Gottes, hilf dem armen Kinde!“
Mein Schmerz zerfloß im Beten hin gelinde,
Es senkte nieder sich der ernste Traum,
Anmerkungen des Herausgebers
- ↑ [399] Der Bruder Georg
- ↑ [399] Die Schwester Sophie, die auf einem Auge blind war
- ↑ [399] Die Schwester Kunigunde
- ↑ [399] Die Schwester Ludovica
- ↑ [399] Der Bruder Christian
- ↑ [399] Die Schwester Bettina
- ↑ [399] Das alte Hausfaktotum, Buchhalter Bernhard Schwab.
- ↑ [399] Clemens weilte als Kind mehrere Jahre (drei oder fünf) mit seiner Schwester Spohie in Ehrenbreitstein im Hause seiner Tante Möhn. Die trübe, freudlose Zeit hat er in Prosa in Godwi (S. 287, S. W.) und hier in Versen geschildert.
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