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Romanzen vom Rosenkranz/Einleitung

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« Einführung Clemens Brentano
Romanzen vom Rosenkranz
Romanze I: Rosablankens Traum »
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[1]
 Einleitung


[3]
In weiter Kammer schlief ich und die Brüder

     Auf stillen Betten, die der Traum umspielet;
     Der Amme Lied ertönte still, und nieder
Die Winternacht mit kalten Sternen zielet.

5
     Gesegnet seid, ihr ernsten nächt’gen Scheine,

     Die ihr mir in die junge Seele fielet!
Ich fühlte ruhig mich, in Frieden klar und reine;
     Der Brüder Herzen hört ich um mich schlagen,
     Ergötzt war meine Brust, ich wacht alleine,

10
Hört sie im Traum die kindschen Wünsche klagen.

     Der eine sprach von Wagen und von Rossen.[1]
     „Hinan, hinan!“ hört ich die Schwester sagen,
„Ein Auge schließ ich auf der Leiter Sprossen,
     Daß mich der tiefe Abgrund nicht ergrause.“

15
     Sie wußte nicht, daß beide sie geschlossen.[2]

Die andre sprach von ihrem Blumenstrauße,[3]
     Wie er schon wieder frisch erblühen werde;
     Und die ihr nah: „O tritt die Spitzenkrause[4]
Mir nicht so liederlich hin an die Erde!“

20
     Doch ferner schlummert einer; heftig bebet[5]

     Sein Busen, und mit trotziger Gebärde
Spricht er: „Seht hin, Geliebte, seht, es schwebet
     Der Luftball hoch, ich habe ihn erfunden!“
     Dann wirft er sich im Bette, hoch erhebet

25
Die Füße er, das Haupt hängt er nach unten.

     Des Fensters Schatten lag gleich einer Leiter

     Auf seiner Decke; künstlich eingewunden
[4]
Erseufzt er tief und schlummert lächelnd weiter.

     Auf eines Mägdleins Bette glatt gestrichen[6]

30
     Erglänzt zur andern Seite Mondschein heiter;

Die weißen Röcklein auf dem Stuhle glichen
     Zwei Engeln, die ihr still zum Haupte wachten.
     Still war sie, bis der Mond von ihr gewichen;
Er senkte sich zur Erde. Sprünge machen

35
     Sah ich ein Kätzlein schwarz beim letzten Bette;

     Es spielte mit herumgestreuten Sachen,
Ein Strumpfband wars und eine Blumenkette;
     Und als der Mond am Bett hinaufgeschwebet,
     Sah ich’s, als ob es glühnde Augen hätte.

40
Bang hob ich mich, und mir entgegen hebet

     Das Mägdlein sich und sprach: „Wie schön gesungen
     Hat heut die Amme, noch das Herz mir bebet:
Frau Nachtigall, mein Herz ist mir zersprungen.“
     So sprach das Kind und legte still sich nieder.

45
     Ich fühlte mich mit Weh und Lust durchdrungen,

Ein stilles Feuer zog durch meine Glieder.
     Oft hieß es mich empor nach ihr zu sehen,
     Und immer hob ihr lockigt Haupt sie wieder.
Dann sprach sie Worte, mir nicht zu verstehen,

50
     Gebetet war es, und es war gedichtet,

     Und bis ich sah den Mond mir untergehen,
Blieb mir ihr Haupt genüber aufgerichtet.
     Dann hört ich draußen – harte Worte klangen,
     Bis eine milde Stimm den Streit geschlichtet.

55
In unsre Kammer leise kams gegangen,

     Von Bette schlichs zu Bette, gab uns Küsse
     Und segnet uns auf Stirne und auf Wangen.
Ich war der letzte. Heiße Tränengüsse
     Fühlt ich aus Mutteraugen auf mich fließen.

60
     Ich wußte nicht, warum sie weinen müsse,

Ich traute nicht, den Arm um sie zu schließen.

     Und als sie aus der Kammer war geschieden,
[5]
     Da mußten meine Augen Tränen gießen,

Da fühlte ich zuerst den Schmerz hienieden!

65
     Ich betete: „Maria, sei gegrüßet,

     So viele Tränen sie geweint!“ und schlief in Frieden.

* * *

Viel war ich krank, kam wenig an die Sonne,
     Die bunte Decke war mein Frühlinggarten,
     Der Mutter Pflege war mir Frühlingswonne.

70
Ich konnte oft den Abend nicht erwarten,

     Wenn sie die Wundermärchen uns gesungen,
     Daß rings die Kinder in Erstaunen starrten.
Und keines ist mir so ins Herz gedrungen,
     Als von des süßen Jesus schweren Leiden,

75
     Wie des Herodes Kindermord mißlungen,

Maria durch Ägypten mußte reiten,
     Und was sie da erfuhr in schweren Nöten,
     Da focht ich in Gedanken gen die Heiden.
Und sah ihr Blut in allen Abendröten. –

80
     Oft kam ein alter Diener mich besuchen,[7]

     Mit kräftgen Reden meine Zeit zu töten,
Die Tasche leer vom oft versprochnen Kuchen,
     Ein Meister im Versprechen und Beteuern,
     Was oft sich falsch bewärt; dazu ohn Fluchen

85
Konnt er mit seinen Augen Glaub erneuern.

     Vom Antichrist tät er mir prophezeien,
     Und hat zum Held gen ihn in Abenteuern
Vor allem mich mit einem Schlag geweihet,
     Den scherzhaft er mir auf das Haupt gegeben;

90
     Doch meine Seele ihn des Ernstes zeihet;

Nichts traf so ernsthaft mich in meinem Leben;
     Der Antichrist erfüllet mich mit Schrecken,
     Und täglich mußt ich vor dem Trüger beben.
Ich sah ihn stets gen mich die Hand ausstrecken:

95
     Allmächtiger, erleuchte meine Tage
[5]
     Und wolle mich vor meinem Feind verstecken!

Und da dem Alten ich die Angst so klage,
     Sprach er: „Wenn du drei Tage ohne Weinen
     Geduldig bleibst, ich dich zur Kirche trage,

100
Da sollst du dir ein großer Held erscheinen,

     Man wird dich singend bei dem Eintritt grüßen.“
     Ich glaubte ihm. Bei aller Krankheit Peinen
Ließ keine Trän ich von den Augen fließen.
     Und als die Stunde endlich war erschienen,

105
     Ward ich geschmückt vom Kopf bis zu den Füßen.

Ich ließ mich stolz, gleich einem Herrn, bedienen;
     Der Alte selbst trug mich auf seinen Armen
     Und machte übertrieben ernste Mienen.
Ich fühlte mich von Sonnenschein erwarmen,

110
     Und als wir uns dem alten Kloster nahten,

     Gab an der Pforte ich den frommen Armen,
Die barhaupt bittend uns entgegentraten,
     Was ich besaß: sechs neue blanke Heller.
     Mein Träger ging auf wohlbekannten Pfaden;

115
Er zeigte links hinab: „Dies ist dein Keller“,

     Sprach er, „da hast du deine vollen Fässer
     Mit allen Sorten bestem Muskateller!“
Ich glaubte ihm, und mit dem blanken Messer
     Uns da ein schwarz und weißer Mönch begegnet.

120
     Der Alte sprach: „Nun sieh, stets kommt es besser!“

Und als: „Wer war es?“ ich ihm scheu entgegnet –
     „Dies war dein heilger Pater Küchenmeister,
     Was er am Spieße brät, das ist gesegnet.
Er ist aus Schwaben und Marcellus heißt er;

125
     Er soll den Antichrist zum Spieße stecken,

     Er ist ein Zauberer, beschwöret Geister.“
Nun hörte ich durch blühnde Gartenhecken
     Die Orgel aus der Kirche rührend klingen;
     Mich faßte da ein nie gefühlt Erschrecken.

130
Als endlich zu der Kirche wir eingingen,
[6]
     Des Weihrauchs süße Wolken mich umwallten,

     An hohen Säulen goldne Engel hingen,
Der vielen Bilder seltsame Gestalten,
     So stille und so kühl die hohen Bogen,

135
     Wie unsre Schritte in den Hallen schallten,

Die Orgeltöne jubilierend zogen,
     Und wie die Mönche zu den Stühlen schlichen –
     So wunderbar hat nie mein Herz geflogen.
Der Alte machte mir des Kreuzes Zeichen,

140
     Mit Weihewasser er mich tüchtig sprengte,

     Befahl mir dann, zu horchen und zu schweigen.
Die Seele sich in meine Ohren drängte.
     Als laut im Chor sie meinen Namen sangen,
     Entzücken sich mit tiefer Angst vermengte.

145
Die Worte mir wie Feu’r zur Seele klangen:

     „O clemens, o pia, o dulcis virgo Maria!
     Ein ewiges Gefühl hab ich empfangen.
Ruft man mich Clemens, sprech ich still: „o pia!
     In meiner letzten Stund dich mein erbarme;

150
     O clemens, o pia, o dulcis virgo Maria,

Empfange meine Seel in deine Arme!“

* * *

Schon siebenmal war Weihnacht mir erschienen
     Mit ihres Kinderschatzes frommen Glanz;
     Ich konnte lesen und die Messe dienen.

155
Die Erde stand in Frühlingsfreude ganz;

     Des lustgen Pfingstfests Feier zu begehen
     Schmückt man die Kinder mit dem Blumenkranz.
Zur Kirche sah man tausend Kinder gehen;
     Es teilt die Firmung dort der Bischof aus,

160
     Daß sie bestätigt in dem Glauben stehen.

In Feierkleidern trat ich aus dem Haus
     Und zog mit vielen Kindern zu der Weihe,

     Wie sie geschmückt mit einem Blumenstrauß.
[7]
Am Chore kniend in der langen Reihe
165
     Hab ich vom Bischof da das Öl empfangen

     Auf meine Sirne, Gott mir Kraft verleihe!
Den Backenstreich empfingen meine Wangen,
     Daß ich gedenke an den ernsten Tag,
     An dem zur Kirch ich neu bin eingegangen.

170
Derb und empfindlich schien bei mir der Schlag;

     Er sah in mir wohl jenes irdsche Wanken,
     Das zu bestimmen noch ich kaum vermag.
Ich trat erschüttert aus den heilgen Schranken,
     Und meine Stirn umschlang ein blaues Band.

175
     Jedoch in mir, da schwankten die Gedanken,

Denn mir zur Seite an dem Altar stand
     Ein kleines Mägdlein, das mich tief gerühret;
     Ich faßte heftig ihre kleine Hand
Und habe sie zwei Schritte wohl geführet.

180
     Da sprach mein Führer: „Laß das Mägdlein stehn!

     Dergleichen Spiel allhier sich nicht gebühret.“
Sie schied von mir, ich mußte weitergehn;
     Verschlungen ward dies Kind mir von der Menge,
     Und nimmer hab ich wieder es gesehn.

185
Von Sehnsucht wird noch jetzt die Brust mir enge;

     Ich suche jetzt wohl noch nach jenem Kinde,
     Und immer mehr tritt mirs aus dem Gedränge.
Traf mich des Priesters Hand dort nicht gelinde,
     So traf mich schärfer noch mit seinem Pfeil

190
     Der kleine Cupido mit seiner Binde.

Des Priesters Schlag rührt mich nur kurze Weil,
     Und nie genas ich von der Liebe Wunden;
     Der Tod empfängt den Kranken noch nicht heil.
Du zartes Mägdlein, die mir dort verschwunden,

195
     Siehst du auf Erden noch das süße Licht,

     Hast du gelebt und hast du Leid empfunden,
Begegnet dir dies dunkele Gedicht:

     Nimm hin den Gruß und Dank, du Namenlose,
[8]
     Im irdschen Traum du himmlisches Gesicht!
200
Und schläfst du schon in unsrer Mutter Schoße,

     So falle dir aus meinem ernsten Kranz
     Ein Opfer auf das Grab: die weiße Rose!

* * *

Getrennet lebte fern ich von den Meinen[8]
     In strenger und unmütterlicher Zucht.

205
     Denk ich der Zeit, seh ich sich mir versteinen

Die Tage in des Lebens Blumenflucht,
     Wie kleine Gärten zwischen steilen Mauern,
     Die nie ein Sonnenstrahl hat heimgesucht,
Wo kalte Marmorkinder einsam trauern,

210
     Die wilder Buchs und Salbei trüb umkreist.

     Ihr kennet wohl des Knaben einsam Trauern!
Ich fühlte elend mich und tief verwaist.
     Du, Schwester, die die trüben Tage teilte,
     Du fühltest auch, was fremde Pflege heißt.

215
Den Genius, der früh bei mir verweilte,

     Den sah ich dort zuerst, als unerkannt
     Er mir das junge Herz begeisternd heilte.
Da schmückt ich mich mit einem blauen Band,
     Und fesselt mich mit goldpapiernen Ketten,

220
     Trug einen Schäferstab in kindscher Hand

Und auf der Brust geweihte Amuletten.
     Ein alter Scherbenhügel war mein Thron;
     Ich sprach: „Wer will den armen Sklaven retten?“
Fürst, Schäfer war ich, und verlorner Sohn,

225
     Und sehnt mich zu den zarten Wolkenschafen,

     Die durch den Himmel überm Haupt mir flohn.
So war ich einst begeistert dort entschlafen.
     Schon stiegen die Gestirne aus dem Blau,
     Die gütig mich mit ihrem Segen trafen;

230
Es spiegelte der Traum sich in dem Tau,
     Der meine Stirne kühlend schon benetzte;
[9]
     Er führte mich auf eine stille Au,

Wo eine Kinderschar sich laut ergötzte.
     Fremd schienen sie; ich stand an einem Baum,

235
     Zu dem ich scheu mich endlich niedersetzte.

O seliger, o himmelvoller Traum!
     Ich sah hinauf. Aus deinem Himmel, Linde,
     Zog nieder eines weißen Kleides Saum,
Und nieder stieg ein Kind aus dem Gewinde

240
     Der Zweige, die es neidisch mir versteckt,

     Ein Ebenbild von jenem Firmungskinde.
Sehnsüchtig hatte ich die Arme ausgestreckt,
     Da kamen sie, dich boshaft mir zu rauben,
     Die Unverständ’gen haben mich geweckt.

245
Nie blüht ihr wieder mir, ihr Jugendlauben,

     Im Fackelschimmer nie betrogner Lust!
     Die Liebe starb, die Hoffnung und der Glauben.
Was füllet jetzt die narbenvolle Brust?
     Verbrannt das Herz! wie knirscht die tote Kohle!

250
     Das habt ihr stillen Tränen wohl gewußt.

Zur Stube mußt ich, harte Worte holen,
     Zur Strafe büßt ich ein mein Abendbrot,
     Als hätte ich, was Gott mir gab, gestohlen:
Des selgen Traumes tiefes Abendrot.

255
     Da war mein Herz im Innersten ergrimmet,

     Ich fühlte recht, was mir zum Dasein not:
Ein Himmel blau, in dem die Hoffnung schwimmet,
     Ein Schmerz in meiner freien starken Hand,
     Die ihn nach ihren Melodien stimmet.

260
Und alles dies, was da zuerst ich fand,

     Ward mit Moralien und trocknen Blicken
     Zertrümmert mir, was niemals ich verstand.
Entschuldigend erzählt ich mein Entzücken;
     Da lachte man den armen Träumer aus,

265
     Den Scherbenkönig, drehte mir den Rücken;
Und als ich weinte, bracht man mich hinaus
[10]
     Zum dunklen Gartensaal voll Malereien,

     Der immer mich erfüllet hat mit Graus.
Es schienen da in traurig langen Reihen

270
     Die Bilder von den Schatten überbebt,

     Die mondumspielte Rebenlauben streuen.
Den Richter sah ich, der das Schwert erhebt,
     Vor Salomon das Kindlein zu zerspalten;
     Es schwankt das Laub, er zuckt, er scheint belebt.

275
Ich schauderte und konnte mich nicht halten

     Und kniete nieder vor Mariens Bild.
     Die Hände hab ich innig da gefalten
Und flehte kindisch zu der Mutter mild:
     „O, Mutter Gottes, hilf dem armen Kinde!“

280
     Da deckte sie mich mit allgütgem Schild;

Mein Schmerz zerfloß im Beten hin gelinde,
     Es senkte nieder sich der ernste Traum,

     Ich schlummert ein im Schatten jener Linde.

Anmerkungen des Herausgebers

  1. [399] Der Bruder Georg
  2. [399] Die Schwester Sophie, die auf einem Auge blind war
  3. [399] Die Schwester Kunigunde
  4. [399] Die Schwester Ludovica
  5. [399] Der Bruder Christian
  6. [399] Die Schwester Bettina
  7. [399] Das alte Hausfaktotum, Buchhalter Bernhard Schwab.
  8. [399] Clemens weilte als Kind mehrere Jahre (drei oder fünf) mit seiner Schwester Spohie in Ehrenbreitstein im Hause seiner Tante Möhn. Die trübe, freudlose Zeit hat er in Prosa in Godwi (S. 287, S. W.) und hier in Versen geschildert.
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