Romanzen vom Rosenkranz/Romanze XIII: Tod der Rosarosa
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Tod der Rosarosa
Wie in dunklen Meereswogen
Ein verbranntes Schiff entmastet
Unterm weiten Himmelsbogen
Traurig steht auf ödem Sande,
Von den Fluten rings belagert,
Bis die traurig tote Kohle
Leicht umschaukelt in dem Wasser,
Fern schon ziehn die dunkeln Wolken,
Und die Sterne vor dem Monde
Ziehn heran, unschuldig fragend:
Wo ist hin das segelvolle
Freudge Schiff, so hoch bemastet,
Buhlend mit dem Wind, durchtanzte?
Wo sind hin die Schifferchöre,
Die in feuchten Tauen tanzten?
Ist von all dem stolzen Volke
Und das Meer spielt mit den Toten,
Mit den Segeln, mit den Masten;
Sterbend zischen noch die Kohlen,
Und dann schweigt und ruhet alles.
Brechen aus in bittre Klagen:
Ach! wo ist die schöne Tochter,
Die uns grüßte mit Gesange?
Die gelöst die goldnen Locken,
Unsern Spiegel in den Wogen
Betend grüßt mit Harfenklange?
Muß sie auch im Wasserschlosse,
Von Untieren rings bewachet,
Fern von uns nun sein gefangen?
Also klagen sie dem Monde,
Der zu ihrer Klage lachet
Und das blaue Feld der Wogen
Und was schimmert dort so golden,
Rauschend durch die Wasserbahnen,
Zieht gleich einem Arione
Ruhig durch die Meere, harfend?
Sie steht auf dem Wundermantel
Sicher, wie auf starkem Boote,
Und ihr Schleier ist die Flagge.
Und die Sterne freudig horchen,
Äolus mit süßem Tone,
Daß die Ufer rings entschlafen:
Also unterm Himmelsbogen
Stand zerstöret das Theater,
Schauerten der Wachen Fackeln.
Also in dem Glanz des Mondes
Trat Biondette mit der Harfe
Aus den hohen, dunkeln Pforten,
Unterm hohen Sternendome
Steht sie auf dem öden Platze,
Unter ihren leichten Sohlen
Knirscht die Kohle auf den Platten.
Noch der Rauch des toten Brandes,
Dumpf schallt fernes Wagenrollen
Und es rinnet rings das Wasser.
Und des blauen Reno Wogen
Lauter rauschen auch die Bronnen
Siegreich ob dem Feuerkampfe.
Und Biondetta wiederholet:
„Lebet wohl, ihr falschen Farben,
Sterne hell von falschem Glanze,
Ihr dient einem Flittermonde!“
Sprachs, da klang es in der Harfe,
Und zwei hohe, weiße Nonnen
Von dem Schleier ganz verborgen
Schienen sie zwei selge Schatten,
Winkend, ihnen nachzufolgen,
Sie Biondetten still ermahnten.
Um sie, Freudenzeichen machend,
Und die andre sah zu Boden,
Traurig ihr Hände faltend.
„Sprechet, was ihr von mir wollet,
Frug die Jungfrau. Nachzufolgen
Winkend jene sie ermahnten.
Und Biondetta folgt den Nonnen,
Die wie Geister vor ihr wallen,
Zu der Rosarosa Lager.
„Sei willkommen mir im Tode!“
Sprach die Kranke, und vom Lager
Hat sie leis ihr Haupt erhoben,
„Daß dem Feuer du entkommen,
O, Biondetta, Gott ich danke;
Wolle nun zu meinem Troste
Mir ein Lied zur Harfe schlagen!“
Sah sie an den blonden Knaben:
„Sah ich heut dich nicht am Bronnen
Mit dem Vogel, mit dem Lamme,
Bei der Jungfrau mit den Rosen,
Die heut früh den Kranz geflochten
Für Marien am Altare?“
Und der Knabe hat gesprochen:
„Reicher als heut am Altare
Und du wirst die Dornen tragen.
Als der Gärtner säte Rosen
In der Buße bittren Garten,
Fiel dein Körnlein in die Dornen,
Denn du heißest Rosadore,
Jene heißet Rosablanke,
Rosarosa, rote Rose,
Ihr seid aus demselben Stamme!
Als sie vor zwölfhundert Jahren
Auf der sündgen Erde wohnte;
Jetzt erst seid ihr aufgegangen.
Doch noch seid ihr kaum entsprossen!
Hüte deine heilgen Rosen
Und zertritt die falsche Schlange!“ –
„O, Benone, mir zum Troste
Eile!“ nun die Kranke klaget,
Über mich schon lange Schatten!“
Und der Knabe spricht: „Zum Kloster
Gehe ich, ihn zu ermahnen;
Doch zuvor, o fromme Tochter,
Denn ich kann nicht wiederkommmen,
Eh erfüllet sind die Tage,
Daß wir alle durch die Pforte
Der Barmherzigkeit einwandern.
Daß in Unschuld du gewandelt,
Und, zu hören Gottesworte,
Kinder gern um dich versammelt!
Viele dich am Himmelsthrone
Und sie singen dort im Chore,
Die du sie gelehrt, die Psalmen.
Heil sei dir und ewge Wonne,
Daß in Unschuld du gewandelt,
Und die Treue ihm gehalten!
Also ist auch Jacopone
In die Blutschuld nicht gefallen,
Und so bricht der Tod dich Rose
Heil sei dir und ewge Wonne,
Daß in Unschuld du gewandelt,
Und das Kleid der gütgen Toten
Unbeflecket hast erhalten!
Trugst du still und ohne Klagen,
Und so halfst du, fromme Tochter,
Deiner Mutter Sünde tragen.
Heil sei dir und ewge Wonne,
Was dir unterm Herzen wohnet,
Hast du nimmer mich gefraget!
Aber nun vor diesen Nonnen
Öffne ruhig die Gewande,
Dieses Siegel deines Stammes!
Und es soll auch Rosadore,
Die man sonst Biondetten nannte,
An des eignen Busens Rose
Heil sei dir und ewge Wonne,
Daß in Unschuld du gewandelt,
Wisse, daß dir stets zu folgen,
Mich mein eigen Heil ermahnte.
Länger als zwölfhundert Jahre.
Eine bist du, bald gebrochen,
Bald auch breche ich die andre!
Als der Heiland ward geboren,
Und ich gab ihm meine Rosen,
Da er spielte mit dem Lamme.
Und er gab mir eine Knospe
Aus den Gräsern seines Lagers,
‚Agnus castus sei dein Name!’
Und wo ich bis jetzt gewohnet,
Sät ich dieser Pflanze Samen,
Ehrt sie höher als Kleinode,
Agnus castus aller Orten
Heißt, wie ich, nun diese Pflanze.
Weißt du noch, wie ich dir Moose
Sammeln sollte mit den Knaben,
Deiner Hochzeit keusches Lager,
Wie ich dir zu deinem Schoße
Nichts als Agnus castus brachte?
Und du hast sie angenommen,
So schliefst du und Jacopone
Wie der Herr auf dieser Pflanze.
So hat eurem frommen Wollen
Gern der Heiland beigestanden,
Blieb durch ihn der Keuschheit Lager.
Bald steht deines Herzens Rose
Nun im selgen Himmelsgarten
Und schmückt ihm die Dornenkrone,
Als der Knabe so gesprochen,
Ging er betend aus der Kammer:
„Jesus Christus sei gelobet!“
Und die Sterbende sprach: „Amen!“
Die verschleiert fern gestanden,
Leis hinschwebend an dem Boden,
Rosarosens Sterbelager.
Und es knieet Rosadore
Stille war es, nur der Odem
Wehte und das Licht der Lampe.
Und die eine sprach: „O Tochter,
Ich bin deiner Mutter Schatten.
Rosatristis ist mein Name.
Und auch du, o Rosadore,
Hast durch mich das Licht empfangen;
Fürchte nichts, erheb vom Boden
Ach, so kann ich nach dem Tode
Mutterfreuden erst erlangen!
Wie unendlich ist die Wonne
Unergründlichen Erbarmens!“
Freudig um das Bett der Kranken,
Und umschwebet Rosadoren,
Streifend kühl durch ihre Haare.
Rosarosens Lebenswoge
Stumme Freudentränen flossen
Nieder von der bleichen Wange.
Denn sie hört im Ton der Worte
Jene Stimme widerschallen,
Ihrer Blöße sich erbarmend.
Durch die Seele Rosadorens
Bebt ein tiefes, süßes Bangen;
Furchtlos hat emporgehoben
Denn sie sieht in dieser Nonne
Jenes Bildlein ihrer Kammer,
Das mit ihr gefunden worden,
Das sie stets so wert gehalten.
Löst der Kranken Brustgewande,
Daß des Busens heilge Wogen
Schimmernd zu dem Lichte drangen.
Eine rote blutge Rose
Was ihr unterm Herzen wohnet,
Hat sie so im Tod erfahren.
Während leis zu Rosadoren
Sich die andre Nonne nahte,
Rosalätens heilgen Schatten.
Rührend sprach sie: „Rosadore,
Die ich sonst Biondette nannte,
Teure Jungfrau, zeig die Rose,
Lasse, die dich hat geboren,
Meiner armen Schwester Schatten,
Lasse ihres Heiles Rose
Vor ihr blühn im keuschen Garten!“
Ihres Mieders goldne Spangen,
Und des Herzens banges Pochen
Hört man durch die Stille schlagen.
Eine kleine goldne Rose,
Zeigt im Spiegel ihr die Nonne
Als das Zeichen ihres Stammes.
Rosatristis spricht voll Wonne:
„O, gesegnet ist der Garten,
Und der Herr wird sich erbarmen!
Aber eine weiße Rose
Muß ich traurend noch erwarten,
Sehen darf ich nicht die Tochter,
Und nun hat sie aufgeschlossen
Den Bußgürtel, der die Kranke
Noch umgürtete – da flossen
Ströme Blutes von der Armen.
Aus dem Fenster bei dem Brande,
Hatte von des Gürtels Dornen
Tiefe Wunden sie empfangen!
Rosatristis spricht zum Troste:
Den der Herr bei seinem Tode
Für die Märtyrer gepflanzet.
Deines Blutes jeder Tropfen
Fällt auf meine Seele labend;
Das in Sünden du empfangen.“
Und sie gürtet Rosadoren
Mit des Gürtels scharfen Stacheln:
„Wolle ihn um mich, du Tochter,
Gebe ihn bei deinem Tode“,
Spricht die Nonne, „Rosablanken!“
Peinumgürtet steht die Fromme,
Klaglos für die Marter dankend.
Froh in Rosarosens Arme:
„Laß, o Schwester, deinen Odem
Mich von deinen Lippen fangen!“ –
„Sei willkommen, Todessonne!“
„Mir ins Herz mit Siegeswonne
Fallen deiner Augen Strahlen!
Aber, was du mir versprochen,
Singe mir ein Lied zur Harfe,
Auf dem Klang vorüber wandle!“
Da ergreifet Rosadore
Geistberauschet ihre Harfe,
Also süße Töne lockend,
Doch es tritt nun Jacopone
Heftig ein mit einem Arzte:
Der unheilige Apone
Folgt ihm stolz und dreist zur Kammer.
Starb das Licht der kleinen Lampe.
„Licht her, Licht!“ schreit wild Apone,
„Was tun hier die alten Ammen?“
Denn er sieht die beiden Nonnen
Und es eilet Jacopone,
Anzustecken schnell die Lampe.
Und es folgen ihm die Nonnen,
Geistig rauschend durch die Harfe,
Fluch der Schlang und ihrem Samen!“
Und nun griff der Arzt im Zorn,
Und erfasset bei der Harfe
Die versteckte Rosadore,
„Ha!“ spricht Apo, „sei willkommen,
Schöne Nachbarin! Zu fangen
Solch ein Vöglein ich nicht hoffte
Bei dem Bette einer Kranken!
Dich zu seinem Trost belanget?
Die Juristen bei den Toten
Gerne sich ans Leben halten!“
Und nun will er Rosadoren
Doch sie war erstarkt im Zorne,
Reißt ihn schmerzlich an dem Barte.
„Also halt ich dich, du Toller,“
Spricht die Jungfrau, „bis die Lampe
Daß er sehe deine Schande!“
Frech erwidert ihr Apone:
„Wenn du mich nicht fester fassest,
Sind mir eine rechte Wonne
Und nun kehret Jacopone
Mit der Lampe in die Kammer,
Und es läßt den Bart Apones
Rosadore schamhaft fahren.
Deines Weibes du den alten,
Ehrvergessnen Buben holen?
Weh mir, daß ich hier gestanden!“
Aber nun zu Jacopone
„Um den tröstenden Benone
Bat ich meinen Herrn und Gatten!“
Und er spricht: „Auch er wird kommen,
Jetzt vertrau dem großen Arzte;
Wird dich, Theure, mir erhalten.
Conciliator, dich, Apone,
Man ob hoher Weisheit nennet,
Dich versühnend wolle folgen
Aber nun zu Jacopone
Spricht mit schwachem Ton die Kranke:
„Um den tröstenden Benone
Bat ich meinen Herrn und Gatten!“
Jetzt vertrau dem großen Arzte.
Wolle, daß die Kunst Apones,
Teure, dich mir noch erhalte!“
Und zum Arzt spricht er die Worte:
Der uns trennte oft im Zorne,
Nimm die Hand zum Friedenspfande!
Dienen will ich deinem Lobe;
Kannst du mir mein Weib erhalten,
Geb ich mehr noch, geb ich alles!“
Und zum Lager tritt Apone,
Reißt die Decke von der Kranken,
Doch es stürzt sich Rosadore
Und der Arzt spricht wild im Zorne:
„Was soll hier ich besser machen,
Wo man meiner nur will spotten?
Nackt muß ich die Kranke haben!
Einen Flecken von dem Brande
Sah ich schwarz. Sie ist des Todes,
Wenn ich sie nicht heilend salbe!“
„Nimmer,“ spricht nun Rosadore,
Ihres Herzens heilge Rose
Nimmer sehen, böse Schlange!“
Und erbittert flucht Apone:
„Nun, so will ich sein verdammet!
Sollst du mir zur Seite wandeln!
Du sollst deine Jungfraukrone
Selber mir ins Haus eintragen,
In den Spuren meiner Sohlen
Abends an mein Lager kommen,
Deinen Leib mir anzutragen,
Und mit Füßen weggestoßen
Sollst du in der Brunst verschmachten!
Auf dem offnen vollen Markte
Sollst du mir verbuhlet folgen,
Wie dem Leibe folgt der Schatten!“
Ihm erwidert Rosadore:
Vor dem Fluch, den du geschworen,
Wird er seine Magd bewahren!
Eher sollen alle Rosen
Mit den Wurzeln aufwärts wachsen
In der Erde Nacht begraben,
Eher all die bleichen Toten
Aus der Tiefe blühend wandeln
Und was lebet an der Sonne
Eh der Mond vom Sternendome
Buhlend in ein Nest voll Drachen
Steigen und im keuschen Schoße
Ungeheure Brut empfangen,
Weichen aus des Himmels Bahnen,
Durch der Hölle Tor zu wandeln,
Eh ich tret in deine Pforte.
Ja, eh wird dem Feinde Gottes,
Auch ein Gottsohn ausgeboren,
Keusch von einer Magd empfangen,
Und zu lösen uns vom Tode,
An das heilge Kreuz geschlagen!
Antwort ungeheurer Fragen!
Nein! nein! nein! Du hast gelogen!
O erscheine, Herr des Gartens,
Tritt den Lügner an den Boden,
„Kind,“ spricht Apo, „heiße Kohlen
Möchtest auf mein Haupt du sammeln,
Aber mir auch blühen Rosen;
Gut lacht, wer am letzten lachet!“
Flehend die geliebte Kranke,
Wie sie so viel Blut vergossen?
Und sie hat es ihm gestanden.
Und nun bietet er Apone,
Abermals zweitausend Kronen,
Nimmt das Gold gleich aus dem Schranke.
Jener aber spricht: „Die Dornen,
Die ihr schwer den Leib durchstachen,
Oder in ein fließend Wasser;
Dann, so wie der Gürtel rostet,
Schließen sich die Wundenmale;
Doch vor allem einen Tropfen
Und nun reichet ihr Apone
Eine Flasche; doch die Kranke
Winkt verneinend mit dem Kopfe,
Und Apone weicht vom Lager;
Fackelschein erhellt die Gasse,
Weil begleitet von dem Volke
Sich der Leib des Herren nahet.
Mit dem Sakrament gezogen
Und die Kranke hebt frohlockend
Und getröstet sich vom Lager.
„Bleibe liegen!“ sprach Apone.
„Willst du dir dein Weib erhalten,“
„Hüt sie vor dem Abendmahle!
Sie stirbt eines schnellen Todes
Bei der letzten Ölung Salbe.
Da ich sie hab übernommen,
„Jacopone, Jacopone,“
Seufzt nun angstbewegt die Kranke,
„Willst du mich zur Hölle stoßen?
Hüte mich vor diesem Drachen!“
„Sie ist nicht mehr bei Verstande,
Denn sie spricht verwirrte Worte,
Taugt jetzt nicht zu heilgen Sachen!“
Doch nun tritt herein Benone,
Und sie spricht: „O Herr, willkommen!
Wolle meine Beicht empfangen!“
Und der Priester will, es sollen
Alle nun allein ihn lassen.
Mögen bleiben,“ spricht die Kranke.
„Und ich geh nicht,“ spricht Apone,
„Bis der Gürtel liegt im Wasser,
Bis getrunken sie die Tropfen.
Und zu weichen hat Benone
Nochmals friedlich ihn ermahnet;
Aber höhnisch ihm der Stolze
In das würdge Antlitz lachet.
Welcher Geist in diesem Arzte,
Und er spricht in schnellem Zorne:
„Weich aus meinem Haus, du Laster!“ –
„Hast du mich mit Schmeichelworten
„Bringst du mich mit bösem Trotze
Wahrlich nimmermehr von hinnen!“ –
„Weh uns!“ jammert Jacopone,
„Wer mag diesen Teufel bannen!“
Spricht: „Ich wags in Gottes Namen!“
Und sie zieht gleich einem Dolche
Jene Nadel Rosablankens
Aus dem Haar, das Gold der Locken
Und im heilgen Zorne Gottes
Springt die Kranke von dem Lager,
Und ein Kreuz von rotem Golde
Dienet ihr zur frommen Waffe.
Von dem Busen die Gewande.
Da er sieht die heilgen Rosen,
Fühlt er seine Sinne wanken.
Und er fluchet: „Moles, Moles!
Daß er ewiglich verdorre,
Mußt du dich zur Arbeit halten!“
Doch am Fenster ruft Benone
Dem Geleite, und mit Fackeln
Tritt einher vor allen andern.
Doch er stehet schwer erschrocken,
Da er Apo sieht, und fraget:
„Meister, lebet ihr hier doppelt?
Pietro kam als schneller Bote
Zu dem Vater Rosablankens,
Der erkrankte, euch zu holen,
Und Ihr seid mit ihm gegangen.
Spracht, daß ihr des alten Hasses
Gänzlich nun vergessen wolltet,
Weil ich brav gelöscht beim Brande.
Dann hast du mich angesprochen
Sprachst: ‚Aus blondem Haar gesponnen
Wird zur Wundennaht der Faden.’
Und ich gab dir eine Locke –
Sieh, hier fehlt sie mir im Nacken –
Bis in meines Bruders Garten,
Wo du eintratst, weiße Rosen
Und Arzneikraut einem Kranken
Zur Erquickung gleich zu holen;
Denn es war dort bei den Rosen
Solch ein heftger Duft entstanden,
Daß mir schier gebrach der Odem;
Wankend ging ich aus dem Garten.
Doch ihn bei dem Arme fassend
Spricht Apone: „Freund Meliore.
Jetzt geleite mich von dannen!
Denn die Gattin Jacopones
Gönnen wir ihr Raum zum Troste!“
Und nun gehen sie zusammen.
Ihnen folgen, die vom Volke
Mit den Fackeln aufwärts drangen.
Ruht ohnmächtig noch die Kranke.
Da sie wieder sich erholet,
Segnend ihr der Priester nahet,
Und sie spricht mit leisen Worten,
„Der du an der Stätte Gottes,
Höre, wie ich mich anklage,
Was ich sündlich hab verbrochen,
Seit auf Erden ich gewandelt,
Und zuerst nun mit Gedanken:
Ich gedachte, meinem Gotte
Könnt ich Sünderin gefallen.
Und ich sündigte mit Worten,
Als das Ja ich Jacopone
Treulos gab an dem Altare.
Und mit Werken,“ sprach die Fromme,
„Da ich sprang von dem Theater;
Würd ich an die Erde fallen;
Glaubt in meinem bösen Stolze
Ohne Sakrament empfangen
Käm ich doch zu meinem Gotte,
Doch mich nicht verderben wollend,
Hat er mich zur Buß erhalten,
Die von ihm durch dich, Benone,
Ich zerknirschet nun erwarte!“ –
„Keiner noch trat ohne Makel
Vor den Thron des ewgen Gottes;
Er wird dein sich auch erbarmen!
In des Vaters, in des Sohnes,
Sei dir, meine fromme Tochter,
Deine Schuld erlassen! Amen.
Fühlst du jetzt dein Haus geordnet,
Deinen Herren zu empfangen,
Dich zu diesem letzten Pfade.“ –
„Bis zum neuen Morgenrote
Harret noch“, spricht leis die Kranke,
„Einen Bissen weißen Brotes
Der durch dich, mein Jacopone,
Ward ihr kleines Feld erhalten
Gen den Anspruch eines Großen;
Sie bracht mir das Brot zum Danke,
Jetzt aus Liebe zu dem Manne,
Der gerettet mir den Boden,
Dem dies Brot für mich entwachsen!’
Aber hört, die elfte Glocke
Reicht indes zum letzten Troste
Mir des heilgen Öles Salbe!“
Doch nun klaget Jacopone,
Der bis jetzt in stummem Jammer
„Weh, o weh, ich muß dich lassen!
O dich, aller Jungfraun Krone,
Keusch und duldend gleich dem Lamme,
Das die Schuld hat hingenommen,
Rosarose, heilge Sonne
Meiner irdisch trüben Tage,
Firmament voll Lichtessonne,
Ewig gleiche Friedenswage!
Daß ich in der Nacht soll wandeln,
Daß aus meines Himmels Dome
Nun erlischt die heilge Lampe?
Weh, o weh, du süße Rose,
Die du fromm vor mir verborgen;
Schuldig muß ich mich anklagen!
Weh, ich bins, der dich gemordet,
Blind an jenem Hochzeitsabend,
Hast den Dornengurt empfangen!
Und ich habe zu der Oper
Dich geführet heute Abend:
Weh, durch mich wardst du durchbohret
Deine letzte Zeit verdorben
Hab ich dir aus falschem Wahne
Durch den Bösewicht Apone,
Hoffend, dich mir zu erhalten!
Die ich nie besessen habe,
Die mir ewig war verloren,
Wollt ich mir durch Kunst erhalten!
Weh, mein Weib, du Jugendrose,
Spiegelt deiner Schönheit Sonne
Ihres Abendrotes Flamme!“
Also jammert Jacopone.
Ihm erwidert dann die Kranke:
Gegen Gottes Willen klagen.
Lasse uns den Herren loben,
Daß er uns zurückgehalten
Von dem Abgrund ewgen Todes,
Wenn der Schleier wird gehoben
Über unserm dunklen Stamme,
Singst du bis zu deinem Tode
Gott und seiner Mutter Psalmen.
Apfel teilte mit dem Manne,
Bringt das Weib das Kind des Todes
Zu der Welt mit Not und Jammer.
Und wir durch die Güte Gottes
Und er wird uns nicht verstoßen
Aus des Paradieses Garten.
Auch ich muß von diesem Orte
In den Willen des Erbarmers;
Muß ich einsam nun verlassen.
Und du sollst, wie Christen sollen,
Deinem irdschen Gut entsagen,
O, mein Bruder, wolle folgen
Geh in einen frommen Orden;
An die Stelle des Theaters
Laß erbaun ein heilges Kloster;
Dort auch ruhe meine Asche!
Stille mich zu Grabe tragen,
Bis erbauet ist das Kloster
Zur Kapelle bei Sankt Claren.
Und den Schwestern dieses Ordens
Weil sie jetzt nur ärmlich wohnen
Und das Haus sie kaum mehr fasset.
Meinen Sarg, geschmückt mit Rosen,
Laß von armen Jungfraun tragen;
Die ich stets geliebet habe.
Allen spende aus zum Lohne
Meine vollen Kleiderladen,
Aus dem Tuch, das ich gesponnen,
Mein Geschmeide, silbern, golden,
Alle Perlen und Demanten,
Die mir deine Huld erworben,
Schenke ich zu dem Altare.
Recht vor allen herrlich malen
Und ihr von dem hohen Chore
Himmlische Musik erschallen.
Mit des Weihrauchs süßen Wolken,
Soll ein Wald unzählger Rosen
Um der Kirche Säulen ranken.
Kelche, Lampe, Weihebronnen,
Leuchter, Rauchfaß und Monstranzen:
Durch der Künstler Fleiß gestaltet.
Und die groß und kleine Glocke
Und der Taufstein und die Kanzel
Seien Rosen gleich geformet.
Als ich bin getragen worden
Sinnlos weg von dem Theater,
Hat sich ein Gesicht ergossen,
Hab ich diesen Wunsch empfangen.
Sah ich Weihrauchwolken wallen
Und Gesang und Klang der Orgel
Durch die Säulenwälder wachsen.
Und ich sah den Greis Benone
Aber alles war voll Wonne,
Alles war voll selgen Glanzes!
Und ich sah viel fromme Nonnen
Einsam betend in der Kammer,
Himmlische Gebete lallend.
Und vor allen glanzumflossen
Sah ich eine mit der Nadel
Weiße, rote, schwarze Rosen
Und das Bild der Mutter Gottes,
Gnädig blickend vom Altare,
Glich dir, meine Rosadore,
Aber heilger, höher strahlend.
Kühl in einem Marmorsarge;
Auf der schweren Decke oben
Schlief der Knabe mit dem Lamme.
Rings um mich geliebte Tote
Doch kein Sinn war mir verschlossen,
Und ich sah und hörte alles.
Ach, wie mag die Visionen
Alle ich in Worte fassen!
Himmelschöre niederdrangen!“
Und nun sagte Rosadore:
„Ja, des Himmels Tore standen
Über diesem Tempel offen,
Und es stand die Mutter Gottes
Und der Heiland mit dem Lamme
Ganz bekränzt mit süßen Rosen
In des Lichtes ewgem Glanze.
Sangen: Gnade! Gnade! Gnade!
Tausend Kränze heilger Rosen
Sah ich zum Altare fallen.
Und den Schleier einer Nonne
Eine Goldflut ihrer Locken
Vor der Schere niedersanken.
Singend stand ich auf der Orgel,
Vor mir stand die goldne Harfe;
Lag mein Herz in kalten Banden,
Wie in bösem Traum der Boden
Fliehenden die Füße bannet,
Hilferufenden der Odem
Lebend und doch eine Tote,
Sehend und doch dicht umnachtet,
Stumm, doch singend vollen Tones,
War ich wie von Stein umfangen.
Weh, o weh, was er gesaget,
Was er sprach vorhin im Zorne,
Füllet mich mit tiefem Bangen!
Doch am Altar aufgezogen
Und das Bild der Mutter Gottes
Grüßte laut des Volkes Ave.
Und ich hört in meinen Ohren:
Ave, Salve, Mater! schallen,
Wieder Tränen auf die Wangen.
In der Kirche hohem Dome
Schmetterten die Nachtigallen,
Ganz durchzucket von dem Tone
Und ich bin emporgeflogen,
Eine Stimme, singend Ave,
Bin des Engels Gruß geworden,
Ave, Salve, Dei Mater!
Da ich sinnlos in der Harfe
Ruhete, von Meliore
Fromm gerettet bei dem Brande.“ –
„Was du sahest, Rosadore,
„Herr! du hast in Visionen
Wunderbar dich uns erbarmet!“
Und in stiller Wonne schlossen
Beide sich in ihre Arme.
„Herr, tu mir nach Wohlgefallen!“
Aber nun tritt durch die Pforte
Agnus castus mit dem Lamme,
Knieet betend an dem Boden
Nach der Sanduhr sieht Benone,
Eine Schelle rührt der Knabe,
Niederknieet Rosadore,
Jacopone bei der Kranken.
In dem Scheine heller Fackeln,
Hat sie leis das Haupt erhoben
Und des Herren Leib empfangen.
Und dann sprach sie noch die Worte:
Herr, dein Wille sei gelobet,
Meine Seele nun empfange!“
Mit dem heilgen Öl Benone
Haupt und Hand und Fuß ihr salbet.
Wirft unendlich weiten Schatten!
O der Wonne, o des Trostes,
O des wundersüßen Garten!
Singe, meine Rosadore,
In dem Schatten meines Todes
Lasse Gottes Lob erschallen!“
Und es sang nun Rosadore
Zu dem Klang der goldnen Harfe.
Hat nur da die Luft getragen,
Als der Heiland ward geboren
Und die Engel Gloria sangen.
Also sang des Lichtes Bogen,
Gott durch seinen Raum hinrollte
In dem Glanz des ersten Tages;
Also tönt des Wassers Woge,
Mit dem Rund des Erdenballes
Jauchzend an dem ersten Tage.
In so süßen Tones Strome
War die Luft aus Gottes Atem
Um die junge Welt ergossen,
Und die neue Erde rollte
Unter also freudgem Klange
In den Kreis von Mond und Sonne,
Jubelnd an dem ersten Tage.
Durch des neuen Menschen Adern,
Also sang der Mensch voll Wonne,
Da er zu der Welt erwachte.
Doch annoch viel höhern Tones
Wenn sie aus dem Haus des Todes
Zu dem Antlitz Gottes wandeln.
Aber nun zieht mit dem Volke,
Betend bei dem Schein der Fackeln,
Einsam steht der Toten Lager.
Und es küßt ihr Rosadore
Tränenlos die bleiche Wange,
Grüßet scheidend Jacopone
Einsam sitzet Jacopone
Auf dem stummen Sterbelager,
In der Toten Demantkrone
Mit des Schmerzes Blick hinstarrend.
Seine tiefe Trauer raget
Wie die Wüste öd und trocken
Auf, am Horizont verschmachtend,
Ohne Schatten, und die Sonne
Der sich wie ein weiter Bogen
Über seinen Scheitel lagert.
Die Gedanken an dem Boden
Schleichend, in dem gleichen Sande,
Heißen Sturmes stets verwaschen.
An dem Himmel keine Wolke,
An der Erde keine Pflanze,
Auch kein einzger kühler Tropfen
Also sitzet Jacopone
In der Wüste seines Jammers,
In die helle Demantkrone
Der geliebten Leiche starrend.
Agnus castus ihm, der Knabe,
Reicht ihm einen Korb voll Rosen:
„Jacopone, jetzt erwache!
Kränz des Todes Braut mit Rosen;
Wo die Rosen ihr gebrochen
An dem ersten Hochzeitsabend.
Nimm ihr ab die Demantkrone,
Die du ihr hast heute abend
Deiner letzten Pflicht gewarte!
Einst werd ich am rechten Orte
Wunderbare Dinge sagen;
Du wirst, die dir war verborgen,
Sprachs. – Da jener nahm die Rosen,
Schied er betend aus der Kammer:
„Jesus Christus sei gelobet!“
Jacopone saget: „Amen!“
Aus dem Strom des Silberhaares,
Ist des Schmerzes Kern gebrochen,
Und des Jammers Quellen sprangen.
Da er ihr den Kranz der Rosen
Sind die Augen in dem Strome
Heißer Tränen ihm vergangen.
Da der arme Jacopone
Ihr die kalten Hände faltet,
In die Hand ihm schwer gefallen.
Da er ihr das Aug geschlossen,
Brach er aus in lauten Jammer,
Ganz in einem Tränenstrome
Als die Nacht war hingezogen,
Stand des Morgensternes Fackel
An dem stillen Horizonte,
Wie ein Irrlicht auf dem Grabe.
Auges leere Höhle, zagend
Sah des neuen Tages Sonne
In das Herz des armen Mannes.
Und wie an dem Hochzeitsmorgen
Grüßt sie an dem Todesmorgen;
Jacopone, laut aufjammernd:
„Grüß dich, blutge Todessonne,
Grüß dich, Held des Unterganges,
Grüß dich, Sichel meines Gartens!
Grüß dich, lichter Trauerbote,
Grüß dich, Tauestränensammler,
Grüß dich, Wecker aller Toten,
Singt die sieben letzten Worte,
Singt sie mir, ihr grauen Schwalben!
Singt ihn mir, den Schild des Todes,
Singt den Held des Unterganges!“
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