Romanzen vom Rosenkranz/Romanze XII: Jacopone und Rosarosa
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Jacopone und Rosarosa
Von Folianten rings umgeben[1]
Sitzt der stolze Jacopone;
Hochgeehrt von den Klienten
Ist der junge weise Doktor,
Denn mit vollen Händen kommen
Tausend, um in ihren Rechten
Weise Sprüche sich zu holen.
Täglich, nächtlich kommen, kehren
Fern und nah muß er die Texte
Streitigen Parteien ordnen.
Und vor seinem Hause stehen
Oft der Fürsten stolze Rosse,
Und man wünscht ihn allerorten.
Er verstand wohl die Gesetze
Gleich dem griechschen Hermodore.
Die zwölf Tafeln hergestellet
Und wie Flavius gelernet
Auswendig die Aktionen,
Kannte auch wohl alle Leges,
Alle Formeln Jacopone.
Und den Brutus wohl erwogen,
Den Manilius versteht er,
Ist Sulpicio gewogen.
Des Antistius Labeo Gegner
Schüler, des Sabini Regeln,
Sabinianischer Methode.
Er hielt streng bei den Gesetzen
und schrieb dissertationem,
De bonorum possessione.
Salvium Julianum kennt er,
Gaji Institutionen,
Papinian, Ulpiano strebt er
Ehre hätte dem Katheder
Zu Beryt, Konstantinopel
Und zu Rom er einst gegeben,
Wie jene Antecessores.
Die drei Codices zu ordnen
In den Justinianschen, neben
Tribonian würd er gelobet.
Und die Sechzehn, die mit jenem
Wären Siebzehn dann gewesen;
Also war sein Geist zu loben.
Zum Behufe der Pandekten,
Auf die fünfzig Dezisionen
Wär er mitbeehret worden.
Dem Theophilo wohl neben
Dorotheo zugeordnet
Wär er, Triboniano helfend
Er wär recht der Mann gewesen
Repetitae praelectionis
Codicem ins Licht zu stellen,
Und nearai diataxeis.
War er recht ein Schmuck geboren
Auf Bononischem Katheder
Magnae matris studiorum.
Wo Irnerius gelehret
Bulgar, Gosias gelebet,
Hugo und Glossatoren.
Weil er ganz besonders ehrte
Jakob vom Ravenner Tore,
Gar bescheiden Jacopone.
Und Accursius war sein Lehrer,
Otofredus diesem folgte;
So hat er das Recht erlernet
Und kaum dreißig Jahre zählt er;
Um die hohe Stirne Locken
Wallen braun aus dem Barette,
Und sein Bart ist schön geordnet.
Und kreieret die Doktoren,
Fließet ihm die stolze Rede
Gleich dem zweiten Cicerone.
Wüßten das, was er vergessen,
Wäre ziehenden Studenten
Öfters aus der Not geholfen.
Und so ganz in Ehren schwebend,
Lebte er in seinem Stolze;
Tausend Schüler nachgezogen.
Dunkler Herkunft zu entstreben,
Hat ihn so sein Fleiß erhoben,
Denn nicht seinen Vater kennt er,
Er begann sein Jugendleben
Mit zwei Brüdern in dem Kloster;
Pietro ward ein Blumengärtner,
Noch studieret Meliore.
Nahm zum Weib er Rosarosen,
Eine Jungfrau auserlesen,
Eines Arztes Pflegetochter.
Als er ging zur Doktorehre
War die Züchtge ihm begegnet,
Und er sprach zu ihr die Worte:
„Schöne Jungfrau! Ihr begegnet
Mir an sehr gefährlchem Orte,
De bonorum possessione.
Und die Schätze aller Welten
Habe ich bei Euch verloren,
Nichts besitz ich auf der Erde,
Was ich künftig nun erwerbe,
Habt Ihr schon von mir gewonnen.
Geht und betet, daß die Ehre
Mir nicht gehe heut verloren!“
An den glatten Marmorboden:
„Ich erfleh Euch, Herr, die Ehre“,[2]
Sprach sie, „und halt Euch beim Worte:
Daß Ihr mir sodann die Ehre
Und nie nehmet mir die Ehre,
Die um jene Gott ich opfre!“
Ach, zu spät verstand die Rede
Rosarosas Jacopone,
Was er damals ihr versprochen.
Und sie schieden; sie zum Tempel,
Er zu dem Juristenhofe;
Sie erfleht ihm Gottes Segen,
Als er austritt hochgeehret
Unter der Schalmeien Chore,
Wird bei Pauken und Trompeten
Ihm drei „Vivat hoch!“ erhoben.
Nach der Jungfrau dieses Morgens,
Ihm will auch der Wein nicht schmecken
Bei dem Doktorschmause oben.
Ach, wenn sie den Trank kredenzte,
Spiegelnd ihre Augen brennen;
Ach, wie er dann trinken wollte!
Ach, und wo ihr Mund den Becher
Selbst entsauget einen Tropfen,
Ausgebissen aus dem Golde.
Und in dem Tumult des Festes
Schleicht er aus dem lauten Chore,
Irret auf verschiednen Wegen,
Wo vor Stunden sie sich trennten,
Geht er, ihren Weg verfolgend,
In den Garten, nah gelegen,
Von Sankt Clarens stillem Kloster.
Wiegen sich die vollen Rosen,
Von den Tönen tief beweget
Einer süß gerührten Orgel.
Und im stillen Garten stehet
Lang hat ihn nicht angewehet
Der unschuldge Odem Gottes.
Lange hat er nicht gesehen
In das offne Herz der Rosen,
War entfremdet seinen Ohren.
Er war in der Bücher Menge
Ganz verriegelt und verschlossen,[3]
Und hier, wo die Blumen scherzten,
Brach ihm auf in Liebesschmerzen,
Recht wie eine Blumenknospe
Ihr Geschmeide keusch ausleget
In dem Kuß der jungen Sonne.
Traurig in dem Dunkel wohnen,
Jauchzend dann zutage brechen
Zu den Sternen, zu der Sonne,
Und mit bunten Steinen scherzend
Wo die Blumen spiegelnd stehen,
Von Libellen leicht umflogen.
Wie, dem Kinde gleich, die Welle
Gern um Tand die Körner Goldes
Sie mit Angst vom Geiz erworben,
Und den süßen Blütenregen
Freudig zu dem Fluß hinwoget,
Freudiger dann Fischersegel
Hohe Masten dann bewegend
In den breiten starken Flossen,
Und dann kühne, volle Segel
Führet, recht in hohem Stolze,
Sich hingebend, abwärts tosend
In die hohen, vollen Meere,
Stirbt in Wiedersehens Wonne:
So fand er sich tief beweget
Neue Liebe in dem Herzen,
Zwischen Blumen in der Sonne.
Doch da eine Stimme schwellend
Sich ergießt zum Orgelstrome,
Die in Büschen steht verborgen.
Und er wurzelt auf der Schwelle;
Rosarosa schlägt die Orgel
Singend, ohne ihn zu sehen,
Auf dem kleinen Orgelwerke
Steht das Bild der Mutter Gottes;
Frische Rosen reicht ein Engel
Unserm Herrn in ihrem Schoße.
Hebt empor in goldnem Korbe,
Singend auf und niederschwebend,
Einen süßen, bunten Vogel.
Und die leichten Bälge tretend,
Schönen Knaben freudig schweben.
Ach! er glich dem Liebesgotte,
Wäre nicht so fromm sein Wesen;
Doch ihm fehlen Pfeil und Bogen,
Aus zwei jungen Weidensprossen.
Einen Rosenstrauß am Herzen,
Schlummert still sein Lamm am Boden;
Niedersinket auch zur Stelle
Ihr Gesang sich so erhebet:
„Heilge Jungfrau! Mutter Gottes,[4]
Denke, wie du fandst im Tempel
Jesum, den du glaubst verloren,
Mit den Ärzten, Philosophen,
Wie er als ein Kindlein redet
Wunderbare, hohe Worte.
Als er fragt: ‚Ihr Männer, wessen
Alle kecklich zu ihm sprachen:
‚Davids Sohn wird er geboren!’ –
‚Warum dann,’ dein Kind versetzte,
‚Nennt ihn David seinen Obern?
Du sollst mir zur Rechten thronen,
Daß ich dir zu Füßen werfe
Deine Feinde an den Boden!’ –
‚Hast die Bücher du gelesen?’
Und dein Kind sprach: ‚Ja, gelesen
Und auch das, was drin verborgen.’
Dann erklärt er der Propheten
Satzungen und dunkle Worte.
Ärzte und die Philosophen,
Pharisäer, Schriftgelehrte
Mußten Kinderweisheit loben.
Hohe Mutter, o gedenke,
Da du dort in solchen Ehren
Wiederfandest den Verlornen.
Zu ihm sprachst du: ‚Warum setztest
Mich und Joseph du in Sorgen,
Glaubten, du seist uns verloren?’
Und dein Kind sprach, zu dir redend:
‚Warum sucht ihr nach dem Sohne,
Dem ihr selbst als Zucht gelehret,
O Maria! denk der Ehren,
Die die Meister dir da boten,
Preisend deines Leibes Segen,
Der so weis ein Kind geboren!
Jenem Jüngling, der heut morgen
Mir so huldvoll ist begegnet
An des Rechtshofs hoher Pforte!
Für ihn bring ich meine Ehre
Lasse ihn das Recht vermehren
Zur Vermehrung des Lob Gottes!
Laß geehrt nach Haus ihn kehren,
Recht zu seiner Mutter Wonne;
Die du sahst an deinem Sohne!“
Als sie so das Lied geendet,
Gab der Knabe gute Worte:
„Ich will singen, ich will beten;
Und die Jungfrau ohn Bedenken
Seiner frommen Bitte folget,
Und er singt, die Bälge tretend,
Wie ein Engel klar aus Wolken:
Deiner hohen, weisen Worte,
Als Zachäus dich belehren
In dem Aleph Beta wollte!
‚Sage Aleph!’ sprach der Lehrer;
Nun sprich Beth!’ der Mann begehrte;
Da sprachst du zu ihm die Worte:
‚Nein, ich spreche Beth nicht eher,
Bis mir Aleph deutlich worden;
Warum Aleph so geformet.’
Und da sahst du deinen Lehrer
In Unwissenheit betroffen;
Sprachst: ‚Ich will dich nun belehren,
Aus drei Strichen es bestehet,
Weil auch steht die Einheit Gottes,
Dieses Aleph alles Lebens,
In drei göttlichen Personen!’ –
Dich, o Jesu, schlagen wollte,
Mußte er zur Stunde sterben,
Der gen Gott die Hand erhoben!
O du Anfang, o du Ende
Allbarmherziger, o spende
Weisheit zu der Frommen Troste!“
„Amen!“ sang die Jungfrau bebend,
„Amen!“ sang da Jacopone,
Blühen ihrer Wangen Rosen.
Und sie geht aus der Kapelle;
Auch der Knabe hin ihr folget,
Wo in einem Rosenzelte
Und zu Rosarosen redet
Zärtlich dankend Jacopone:
„Gott erhörte gern dein Beten,
Durch dich bin geehrt ich worden.
Ist mit Ruhm an mir erfolget,
Um dich ward mein Haupt bedecket
Mit dem Doktorhut der Rechte.
Und nun möchte ich die Ehre
Ach, wie auf so selge Wege
Hast du, Jungfrau, mich gelocket!
Aus dem dunklen Bücherkerker
In den Blumensaal der Sonne,
In den selgen Klang der Orgel!
Sieh, es tanzet meine Seele
Auf dem frohen Strahl des Bronnens,
Und sie faltet ihre Hände,
Rosarosa ihm entgegnet:
„Freund, ich bin dir wohlgewogen,
Doch ich kenne keine Eltern;
Kannst du lieben eine solche?
Hat des Arztes Weib Dolores;
Sie erbaute die Kapelle,
Stiftete die kleine Orgel.
Dort fand sie des Grabes Stelle,
Die sie täglich ausgesetzet,
Daß ich sing und spiel die Orgel.
Mir zum Vormund ist gesetzet
Fromm ein Priester, der Benone,
Oder trete in ein Kloster.
Sonst kann ich auch schreiben, lesen,
Schnüre wirken und auch Borten,
Spinnen und Tapeten weben,
Und daß ich nicht müßig gehe,
Habe ich im Klosterhofe
Eine Schule angeleget
In des Kreuzgangs hohen Bogen.
Zu mir meine Kinder kommen,
Mannigfaltge Schulgesellen
Sich aus allen Winkeln holend.
Hier der Knabe war der erste,
Und mit seines Lammes Schelle
Andre Kinder angelocket.
Wie sich meine Schüler nennen,
Weiß ich nur durch ihre Worte,
Meine Schul ist frei und offen.
Und die Mütter stehn oft ferne,
Lauschend an der Gartenpforte;
Täglich mehret sich die Herde,
Und die gute Hirtin nennen[6]
Mich die Kinder, und ich wollte,
Hätt ich nimmer dich gesehen,
Keinen andern Namen borgen.“ –
Jacopone wiederholet;
„Hätt ich nimmer dich gesehen!
O, wie sind dies goldne Worte!
Wären nimmer sie geredet
Möchte ich in diesem Leben
Nimmer sehen diese Sonne!
Unser Los ist gleich gestellet,
Unser Würfel gleich geworfen;
Ward im Kloster auferzogen.
Willst du deine Hand mir schenken,
So will ich dir angeloben:
Du magst deine Kinder lehren,
Wenn mein Reichtum sich vermehret
Durch den Ruhm, den ich erworben,
Will ich in das Haus noch nehmen
Meinen Bruder Meliore.
Pietro, dem Zuletztgebornen
Meiner Mutter, der jetzt lernet
Blumen pflegen in dem Kloster.“
Und dann hat er ihr gegeben
Und mit scheuen Fingern trennen,
Teilen sie die Zwillingsrose.
Tief sich in die Augen sehend
Waren sie vor Gott verlobet,
Waren still und voller Wonne.
Aber Rosarosa redet,
Da sie hört des Lammes Glocke:
„Lebe wohl, auf Wiedersehen!
Jacopone spricht: „Ich gehe
Hin zum alten Mönch Benone,
Unsern Bund ihm vorzulegen.“
Und dann eilt er von dem Bronnen.
Blicket in den Strahl des Bronnens;
Wie er sinket, wie er schwebet,
Fühlt sie in dem Herzen pochen.
In den Händen die getrennte,
Und es fließen ihre Tränen
Auf die stille Rosenknospe.
Eilet dann zu der Kapelle,
Findt an der belaubten Pforte
Feierlich im Kreis geordnet.
Und der Knabe trägt in Händen
Einen Kranz von weißen Rosen,
Einen Schäferstab, weiß blendend,
„Du hast dich in der Kapelle,
Hirtin, heut dem Herrn verlobet,
Der ein treuer Hirt, die Herde
Weidet an dem Himmelsbogen.
Mit dem Brautkranz weißer Rosen
Und den Schäferstab dir geben,
Daß du denkest deiner Worte!“
Rosarosa kniet zur Erde,
Mit den weißen Rosen blendend,
Gibt den weißen Stab der Holden.
Und die Kinder sie umgeben,
Freuen sich der Rosenkrone;
Denket weinend Rosarose. –
Wenig Sonnen untergehen,
Und herauf ziehn wenig Monde,
Wenig volle Rosen sterben
Da geschmückt am Altar stehen,
Vor dem alten Mönch Benone,
Rosarosa, weiß bekränzet,
Rotbekränzet Jacopone.
Fällt das Ringlein Jacopones
Springend nieder an die Erde,
In dem Kreise weit hinrollend.
Und dem Knaben, der zugegen,
Der es in dem Lilienkelche,
Den er trug, der Braut geboten.
„Nimm den Ring im Lilienkelche“,
Sprach das Kind, „und denk des Opfers,
Deinem Herrn dich hast verlobet!“
Und er schied. Sie nahm erbebend
Nun den Ring, und Jacopone
Wußte nicht, was sie beschwerte,
Und der Priester sprach den Segen;
Traurig weinte Rosarose,
Als sie still von dannen gehen;
Freudig weinet Jacopone.
Sprach die Jungfrau: „Jacopone,
Laß mich gehn zu der Kapelle,
Einsam meinen Herrn zu loben.
Daß ich fromm am Abend kehre,
Einen Trunk aus unsrer Quelle
Bring ich dir und viele Rosen.“
Einsam geht nun der Geselle,
Seine Kammer schön zu ordnen.
Er, und auch den Meliore.
Und es steigt im Abendmeere
Feurig nieder schon die Sonne,
Und es zieht die Sternenherde
Rosarosa noch nicht kehret;
Pietro spannt die Blumenbogen,
Und es zündet hundert Kerzen
In der Kammer Meliore.
Blank ein Tischlein, wohlgeordnet,
Zierlich ist da aufgedecket
Für vier fröhliche Personen.
Pietro Rosarosens Teller
Und zwei künstliche Sonette
Legt dazu ihr Meliore.
Aber von dem Hochzeitsbette
Springet traurig Jacopone:
Gehe ich, sie mir zu holen!
Was des Kaisers ist soll geben
Man dem Kaiser, Gott was Gottes,
Und der Mann, er soll sich nehmen,
Seinen Mantel umgeleget
Hat er dann im Liebeszorne,
Und mit raschen Schritten geht er,
Doch der Garten ist verschlossen.
Doch das Sprudeln jenes Bronnens
Und der Büsche flüsternd Wehen
Überrauschet ihm die Worte.
Eifersucht sein Herz durchbrennet,
Aber nur der Büsche Wehen
Hört er, und des Herzens Pochen.
Und er findet eine Stelle
An der Mauer ausgebrochen,
Kommt er an des Gartens Boden.
Durch die Gänge schleicht er, geht er;
Der wollüstge Duft der Rosen
Schnüret ihm die Brust noch enger,
Ach, es spiegeln sich die Sterne
In dem blanken, bösen Dolche.
Ach, wie schrecklich sind die Sterne,
Denkt im Herzen Jacopone.
Spielen sie mit meinem Dolche;
Nein, sie sollen ihn nicht sehen!
Und er haucht ihn an mit Odem.
Aber seine Tränen nehmen
Und die Sterne ruhig sehen
In den Stahl den Himmelsbogen.
Und nun hört er wieder reden,
Und er hört die leisen Worte:
Als bei deinem frühen Tode!
Was du unterm Herzen trägest,
Ist ein Pfand von dem Verlobten;
Wolle nie des Leibes Tempel
Rosarosa dann entgegnet
Sammelnd liebestrunkne Worte:
„Ja, ich bin die Magd des Herren,
Dem ich liebend bleib verlobet!
Bleibt dir treulich aufgehoben,
Durch dich mag es heimlich leben,
Durch mich werde es geboren.
Nimmer habe ichs gesehen,
Unbekannt wie meine Seele,
Die durch Gott den Leib bewohnet.
Stünd geschrieben mir am Herzen
Gar die Stunde meines Todes,
Und ich stürbe unverhoffet.
Keusch bleibt meines Leibes Tempel
Dem Geliebten nur geopfert,
Meine Blicke haben selber
Wenn der Himmel ist bedecket,
Ohne Sterne, Mond und Sonne,
Hab ich hier in dieser Quelle
Einsam kühl das Bad genommen.
Mir das Herz mit Liebeswonnen,
Unter Beten, unter Flehen
Bin ich ihm so lieb geworden.
Und sah ich am Tag die Quelle,
Schamrot konnte ich wohl wetten
In der Röte mit den Rosen.
Leb dann wohl, auf Wiedersehen,
Du geliebter Blondgelockter!
Rosarosen einst zum Troste!“ –
Und nun höret jemand gehen
Durch den Garten Jacopone,
Und er sucht ihm zu begegnen,
Ach, in seinem Herzen wehen
Höllenflammen tiefen Zornes,
Den Geliebten Rosarosens
Will er mit dem Dolch durchstoßen!
Und es rauschet Laub am Boden;
Mit gezücktem Dolch verstecket
Er sich im Gebüsch der Rosen.
Schon sieht er den Schatten schweben
Und er hat in bösem Streben
Seinen Dolch schon hoch erhoben,
Als der Knabe vor ihm stehet
Und ihm ruhig sagt die Worte:
Wirst du mich bei deinem Tode!“
Und er fühlte sich gefesselt
Und stieß nieder mit dem Dolche
In die kalte, harte Erde;
Als er wieder sich erhebet,
War sein Sinn ganz wild verworren,
Auch der Himmel war bedecket
Mit dem Mantel schwarzer Wolken.
War der Knabe nur ein Bote?
Sie muß selbst den Herrn mir nennen
Oder sterben von dem Dolche!
Und nun tappt er nach der Quelle
Und er höret Rosarosen
Badend plätschern in dem Bronnen.
Und in seinem Herzen reget
Sich ein Strahl geheimer Wonne.
Daß ihr jetzt euch habt verborgen!
Meine Augen, Feuerspeere,
Möchten gern die Nacht durchbohren,
Daß der helle Tag anbreche
Daß ich meine Braut könnt sehen
In dem Schoß kristallner Wogen,
Süß errötend in dem Tempel,
Tausend voller Liebesrosen!
Und mit lustberauschten Worten
Meines Gartens Rosen brechen
Beim Geläut der Blumenglocken!“
Also denkt er, und es hebet
Der die Bäume leis beweget
Und im Laube laut ertoset.
Und es wirft zur Badequelle
Viele Rosen Jacopone,
Daß der Sturm sie abgebrochen.
„O Geliebter“, spricht sie betend,
„Nicht mit Rosen, nur mit Dornen
Deine arme Dienrin treffe,
Doch nun schleicht zu der Kapelle,
Zündet an der Ampel Dochte
Jacopone eine Kerze,
Trägt sie unterm Hut verborgen.
Da er nah des Bades Bronnen,
Füllt er plötzlich mit der Kerze
Schein die dunkle Blumengrotte.
Rosarose taucht erschrecket
Alle Sinne ihr vergehen,
Als wär sie vom Blitz getroffen.
Und es löschte aus die Kerze
Vom Gespritze. Jacopone,
Nimmer wird der Anblick frommen!
Und sie weinet, und sie flehet,
Daß er fliehe von dem Orte;
Aber er war tief verblendet,
„Für mich bist du nicht zu sehen,
Aber für den Blondgelockten;
Das, was du trägst unterm Herzen
Soll mir ewig sein verborgen!
Aber mir ist sie gebrochen;
Aber jetzt sollst du ihn nennen,
Und dann will ich dich durchbohren!
In des frechen Blutes Quelle
Sich und dich der Lüge schelten,
Denn hier hast du mich belogen!“
Stammelnd ihm entgegnet:
„Herr und Gatte, hör mein Flehen!
Laß mich an die Kleider legen,
Daß mich nicht errötend sehe
So entblößt der junge Morgen;
Herr, nur aus der Laube trete,
Denn ich kann dir nimmer nennen,
Was mir unterm Herzen wohnet,
Da ichs nimmer hab gesehen,
Da es immer bleibt verborgen.
Laß mich beten vor dem Tode,
Laß mich nicht so elend sterben
Ohne Sakramentes Troste!“
„Das will ich dir zugestehen!“
„Doch die Kleider dir verstecke
Ich, daß du nicht kommst vom Orte.
Ich will bald zurücke kehren
Mit dem alten Mönch Benone;
Seh zerhauen auch den Knoten!“
Und mit ihrem Mantel gehet
Schnell von dannen Jacopone.
Hartes Weh ist ihr geschehen,
Doch den Herrn um Hilf anflehend,
Ist ihr Herz erstärket worden,
Mutig stieg sie aus der Quelle,
Und die Nacht ist dunkler worden.
Bleibe vor dem Licht verborgen,
Breitet sie der Haare Flechten
Um sich her bis auf den Boden.
Und auf ihre Augen senket
Den als Braut sie aus dem Tempel
Traurig trug in ihren Locken.
Da sie tritt zu der Kapelle,
Ist die Lampe schnell erloschen,
Und sie suchet an der Orgel,
Wo der goldne Schlüssel hänget
Zu dem Grabe der Dolores;
In verzweifeltem Gebete
Und die Stufen abwärts tretend
Sprach sie: „Heil euch, heilge Toten!
Wollet meine Blöße decken,
Einer armen züchtgen Tochter!“
Der verstorbenen Dolores:
„Liebe Tochter, wir dir geben
Hilfe, kniee an den Boden!“
Und sie fühlt sich um die Lenden
Und von einer schnellen Schere
Ihre Locken abgeschoren,
Dann mit seidenen Gewändern
Ihren züchtgen Leib verborgen,
Die unendlich süßen Worte:
„Den Bußgürtel um die Lenden
Trage, bis bei deinem Tode
Deine arme Schwester erbet;
Trage züchtig, die dich decken,
Diese farbgen Seidenstoffe,
Und die Schuld, die sie beflecket,
Helf mir büßen, liebe Tochter!
Zu unendlich süßem Troste
Wirst du deine Mutter sehen;
Jetzo gehe, süße Tochter!“
Und es scheidet Rosarose
Hängt den Schlüssel an die Stelle,
Da sie hat die Gruft verschlossen.
Und die Lampe brennet helle;
Sie setzt freudig sich zur Orgel,
Recht in freudig vollem Tone.
Als in des Benone Zelle
Eingetreten Jacopone,
Lag der Alte im Gebete
„Herr, dein Aug nicht von mir wende,
Wenn ich steh in bösem Zorne!
Herr, o leite meine Seele
Durch des Sündenmeeres Toben!
Ohne heilge Sakramente,
Laß den Sünder nicht verderben,
Ohne Buß vor seinem Ende!“
An der Zelle Türe stehet
Und von Schrecken ganz erbebet
Pochet er und ruft: „Benone!“
Und, die Tür geöffnet, redet
Ernst der Mönch: „O Jacopone,
Daß du bist an diesem Orte!
Doch du hast ein wildes Wesen,
Was willst du mit diesem Dolche?
Deine Haare um dich wehen,
Oder hast du Rosarosen,
Deine fromme Braut, erstochen?
Fremde Lieb bei ihr erkennend,
Was der Herr verhüten wolle?
Diesen bösen Stahl erhoben,
Willst in blinder Wut du sterben?
O, du armer Jacopone!
Weh, ich seh Rosarosens
Rede, rede, du Entstellter,
Gibt dem stummen Schrecken Worte!“
„Vater, zu dem Garten gehe,“
Spricht nun bebend Jacopone,
Täglich singet zu der Orgel.
Trete zu ihr an die Quelle,
Wo sie badet in dem Bronnen,
Laß sie beichten, laß sie beten,
Daß sie nackt die Flucht nicht nehme,
Hab ich ihr Gewand genommen;
Du magst rücklings hin es werfen,
Wenn du zu dem Bronnen kommest.“
Folgt zum Garten Jacopone.
Da sie an der Brücke stehen,
An des Reno blauen Wogen,
Spricht der Mönch zu dem Gesellen:
Mich dann in den Reno werfen?
Sieh, ich trau nicht deinem Dolche;
Gib ihn mir doch aufzuheben!“
Und es gibt ihn Jacopone,
Wirft der Mönch ihn in die Wogen.
Vor dem Garten nun begehret
Seinen Dolch der Jacopone:
„Er ruht in des Reno Wellen!“
Und die Arme um ihn legend
Küßt die Stirn er Jacopone,
Spricht: „Zu deiner Kammer kehre,
Deine Seele steht im Zorne!
Will ich bald mit Rosarosen.
Gott verleih dir seinen Segen!“
Und es gehet Jacopone.
Und auf seinem Weg begegnet
Fragt ihn bang nach Rosarosen,
Doch es schweiget Jacopone.
Da sie in die Stube treten,
Schlummert Pietro an dem Boden,
Traurig stehn die Blumenbogen.
Jacopone spricht: „O wehe!“
Und bricht aus im Tränenstrome,
„Weh, ihr dunkeln Hochzeitskerzen,
Nieder brennt ihr in dem Herzen
Und erlöscht im Tränenstrome,
Nieder welkt ihr in den Schmerzen
Unter meiner Klage Odem!
Sterne, Mond und hohe Sonne!
Ewig an des Himmels Schwelle
Steh blutweinende Aurore!
Also ewig stille stehen
Ewig meine Hochzeitskerze
Niederbrennen unverloschen!
Ewig meine Kränze welken,
Von den Tränen nur begossen,
Nur die bittren Tränen rollend!
Blumenkränze, Hochzeitskerzen,
Sterne, Mond und hohe Sonne,
Ewgen Schmerzes Tränenquellen
Welket, brennet, steht in Schmerzen!
Nimmer lachet Jacopone;
Die die Liebste mir gewesen,
Sie ist schlecht mir vorgekommen!“
Nun der alte Mönch Benone,
Ihm zur Seite traurig stehet
Rosarose ohne Locken.
Pietro, vom Geräusch erwecket,
Reichet er der neuen Schwester,
Lieb und Treue ihr gelobend.
Dann putzt schnell er rings die Kerzen,
Daß es helle ward. Meliore
Und blickt schüchtern an den Boden.
Aber auf dem Hochzeitsbette
Lieget jammernd Jacopone:
„Die die Liebste mir gewesen,
„Nun genug der frevlen Reden!“
Spricht zu ihm der Mönch Benone,
Daß, der du ihr lieb gewesen,
Ihr nicht schlechter vor mögst kommen!
Und bei Gott im Himmel droben
Bist gleich ihr du reines Herzens,
Will ich dich vor Engeln loben.
Ich hab all ihr Tun gesehen,
Konnt des Herren Leib ihr geben
Ohne Absolutionen.
Sie hat dir auch schon vergeben,
Daß du sie ermorden wolltest.
Ward gekleidet von den Toten.“
Aber Rosarosa redet:
„Denke meiner ersten Worte:
‚Ich erflehe eure Ehre,
So bin eine Braut des Herren
Ich, und dennoch Euch verlobet,
Teile mit euch eure Ehre,
Meine bleibe unverloren!
Jener Knabe, dunkle Worte
Sind es mir wie dir; erhellen
Müssen sie zukünftge Sonnen!“
Und sie knieet vor dem Bette,
Auf ihr nacktes Haupt sie legend
In den vollen Kranz der Rosen.
Und der Jüngling, tief beweget,
Spricht: „O Weib, wo sind die Locken,
Was soll mir der Kranz voll Dornen?“
Liebvoll Rosarosa redet:
„Ich ließ sie den gütgen Toten,
Die dein nacktes Weib bedecket,
Auch den Hochzeitsmantel schwebend,
Den zurück mir gab Benone,
Hab ich ihnen hingegeben,
Ihre Güte zu belohnen.
Sieh, es kehret schon Aurore,
Wolle mich zu dir aufnehmen,
Züchtig will ich bei dir wohnen!
Eine Magd mich dir bequemen,
Für dich beten, für dich sterben;
Herr, entsage deinem Zorne!“
Jetzt erhebt er sich, doch sehen
Kann er nicht, ein Regenbogen
In dem Schein des Morgenrotes.
Und sie trocknet seine Tränen,
Still mit ihres Kranzes Rosen,
Und Benone gibt den Segen,
„Trink des Brautweins einen Becher,
Heilger!“ flehte Jacopone.
„Gib ihn mir, ich will zur Messe
Ihn verwandeln!“ spricht Benone.
Und als Christi Blut ihn opfern!“
Und nun kehrt zu seiner Zelle
Still der alte Mönch Benone.
Rosarosa spricht nun: „Denke,
Hier ist Wasser aus der Quelle,
Hier sind unsres Gartens Rosen.
Lasse unsre Augen netzen,
Die getrübt vom Weinen worden.“
Sie das Glas bekränzt mit Rosen.
Und sie kühlen mit der Quelle,
Den die Tränen all entquollen,
Ihrer Augen heiße Quellen;
„Sie will sein bei unserm Feste!“
Spricht der stille Meliore;
Aber Pietro laut erhebet
Seine Stimme ihr zum Lobe:
Grüß dich, Gottes Morgensonne,
Grüß dich, Heiland aller Wesen,
Grüß dich, Heiland voller Rosen!
Grüß dich, Trost der dunklen Felder,
Grüß dich auf dem Himmelswege,
Grüß dich, goldne Morgensonne!
Singt mir, was sie spricht, ihr Lerchen,
Singt die sieben letzten Worte,
Der die schwere Nacht gebrochen!“
Also sang er, während betend
Die drei andren zu ihm horchen,
Und die volle Sonne sehen
Und sie trinken einen Becher
Brautwein, haben angestoßen
Einer zu des andern Segen,
Und dann aßen sie des Brotes.
An dem wohlbekannten Kloster,
Und sie gehen zu der Messe
Ihres alten Freunds Benone. –
Also liebte er ihr Wesen,
Feiert so die Hochzeitsfeste,
Der gelehrte Jacopone.
Und sie war ihm tief ergeben,
Eine Magd ihm unterworfen,
Und Gesetze seine Worte.
Auf sein Haus strömt voller Segen,
Und man pries ihn allerorten;
Die er führte, die Prozesse,
Und sie füllte spinnend, webend,
Seine Schränke an bis oben,
Nähte ihm wohl hundert Hemden,
Die sie alle selbst gewoben.
Wußte sie gar wohl zu ordnen,
Schrieb ihm ab viel dicke Hefte
Und gar manchen schweren Codex.
Als sie einst ihm die Pandekten
Auf schneeweißem Pergamente
Und ihm gab am Christtagsmorgen,
War er gar in Lieb beweget,
Schenkte ihr, die sie gesponnen
Und dazu viel Münzen Goldes.
Und sie ließ auf allen Wegen
Zu sich bald die Armen kommen,
Ihre Linnen sie ausspendet,
Und so lebten sie in Segen,
Wohl vier Jahre ohne Sorgen,
Und es wußte kaum zu bergen
Seinen Reichtum Jacopone.
In Parteien. Die des Volkes
Sich die Gieremei nennen,
Stritten für das Recht des Volkes.
Lambertazzi, ihre Gegner,
Von zwei feindlichen Geschlechtern
War der Namen angenommen.
Und da diesen eignen Händeln
Sich noch fremde eingeflochten,
Ward die Sache mehr verworren.
Und so ward gar viel gerechtet,
Manches Blut im Streit vergossen,
Daß die Frauen bittre Tränen
Oft erteilte den Geschlechtern
Seinen Rat auch Jacopone,
Und in ihrer Mitte stehend
Mußte Freund und Feind ihn loben.
War sein irdscher Mut erhoben,
Sah er oft sein Weib beschämet
Neben sich so still verborgen.
Die den Schleier nie ableget
Die mit Edelstein und Perlen
Nimmer vor ihm prangen wollte.
Und sie wollte niemals gehen
Zu dem Tanze, zu der Oper,
Und zu der Kapelle Orgel.
Endlich hat er sie erbeten,
Ihm zu folgen in die Oper,
Da die Sängrin Biondette
Und er hat ihr angeleget
Schwere Spangen roten Goldes,
Edelsteine, reiche Perlen
Und Rubinen, blutge Rosen.
Stand sie wie ein Lamm des Opfers,
Und er sprach: „Den Schleier lege
Ab, laß flechten mich die Locken!“
Doch sie wollt ihn nicht ablegen,
Ach, was muß erschreckt er sehen:
Schneeweiß sind des Hauptes Locken!
Ruhig sie da zu ihm redet:
„Darum hielt ich sie verborgen.
Fielen, sind sie bleich geworden!“
Ach, wie recht im tiefsten Herzen
Traf die Rede Jacopone,
Da er sah die Jungfrau stehen
„Könnte ich mit meinen Tränen
Dir das Silberhaar vergolden!
Ach, ich habe dich dem Schrecken
Jener Schere unterworfen!“
Mit Rubinen ihr durchzogen,
Wie ein Busch im Blütenschnee,
Vom Johanniswurm umflogen.
Wunderbar war sie zu sehen,
Und es freut an Rosarosen
Wie ein Kind sich Jacopone.
Wie die Flitterkränze schweben,
Und die flimmernden Goldrosen
Schien sie in der Glorien Krone
Eine selge Braut der Engel,
Eine Königin der Toten,
Eine hochzeitliche Seele,
Schier geneigt, sie anzubeten,
Ging bei ihr der Jacopone.
Da sie ins Theater treten,
Ging ein Flüstern durch die Logen.
Die Gemahlin Jacopones,
Und nun wie ein höhres Wesen
Stand sie blendend vor dem Volke.
Und in der erstaunten Menge
Bis beschämt im tiefsten Herzen,
Sie den Schleier umgenommen.
Als die liebliche Biondette
Sang ihr Leben vor dem Volke,
Tief im Herzen scharf getroffen.
„Daß du mich mit dir zu gehen
Hast bewogen, Jacopone,“
Sprach sie, „dank ich dir ohn Ende.
Diese Jungfrau anzusehen
Ist mir nie genossne Wonne,
Und ich könnte ruhig sterben,
Spräch sie zu mir süße Worte!
Meine Seele tief verwoben,
O, ich werde nie genesen,
Steht sie mir nicht bei im Tode!“
Und sie war so tief beweget,
Wiederholt als Judith, Jephthe,
Daß sie nachsprach alle Worte.
Aber als sich um Biondetten
Hat die wilde Glut erhoben,
Nur, das Hilfsgeschrei erhoben.
Und es brachte sie zu retten
Mit Gewalt nun Jacopone
Hin zu einem hohen Fenster,
Keine Leiter ruht am Fenster,
Rings schon alles um sie lodert,
Und sie sprang, sich Gott befehlend,
Nieder in den Arm Meliores.
Folgt ihr springend Jacopone,
Doch er findet sie mit Schrecken
Blaß und schon ihr Aug geschlossen.
Und rings unter ihrem Herzen
Doch sie sprach: „Mein Herr, ich lebe
Annoch durch die Hilfe Gottes!“
Und vier rheinische Studenten
Sie auf ihren Mantel hoben,
Weinend folget Jacopone.
Und sie ward auf ihren Wegen
Angestaunet von dem Volke,
Wie ein Kunstwerk von Juwelen
Nimmer ward von solchem Werte
Ein geheimer Schatz gehoben,
Und die tragenden Studenten
Nimmer von ihr blicken konnten,
Oder in dem Glanz des Mondes
Auf dem weißen Mantel blendet,
Wie auf Schätzen Flammen lodern.
Hätte sie nicht von Biondetten
Für die Leiche eines Engels
Hätte man sie halten sollen.
Über ihres Hauses Schwelle,
Bis zu ihrer Kammer oben,
Ließ sie tragen Jacopone.
Dann entließ er die Studenten,
Ihre Treue zärtlich lobend,
Und zu ihm sprach Rosarose:
Da ich aus dem Leben gehe,
Soll dir bleiben unverborgen,
Was ich mußte dir verhehlen,
Das Geheimnis jenes Bronnens,
Als den Knaben du behorchet.
Wisse, daß ich deine Schwester,
Deinem Vater bin entsprossen!
Und ich danke, daß du ehrend
Daß von Blutschuld unbeflecket,
Keusch wir bei einander wohnten.
Aus versündeten Geschlechtern
Sind wir sündenvoll geboren,
Wenn ein schweres Jahr verflossen.
Von der eitlen Welt dich wende,
Geh in einen frommen Orden,
Wo das Schauspielhaus verbrennte,
Aber jetzo, eh ich sterbe,
Hole mir den Greis Benone,
Daß ich nehm die Sakramente,
Zu der Seele letztem Troste!“
Ohne Regung, ohne Worte,
Nur sein Haar hebt sich zu Berge;
Doch er eilet zu Benone.
Aber auf der Treppe schellet
Und zu Rosarose gehet
Ein der Knabe blondgelocket.
„Grüß dich Gott zum Wiedersehen!
Ei, wie bist du schön geworden,
Hat das Kind zu ihr gesprochen.
Und sie sprach: „Mein guter Engel,
Du kamst, wie du mir versprochen,
Doch du bleibest stets derselbe,
„Mir ist“, hier das Kind versetzte,
„Dieses Maß gegeben worden.
Ach, es war nicht zu ermessen,
Als dies Maß war voller Wonne!“
Klagend sprach sie: „O, Benone,
Komme bald zum Trost der Seele
Und geselle mich den Toten!“
Und der Knabe sorglich legte
Und von ihrem Duft erwecket,
Hat die Jungfrau sich erholet.
„Du hast dich zum Hochzeitsfeste“,
Spricht er, „schön geschmückt mit Golde,
Strahlst du in der Jungfraunkrone!
Wird dein Bräutgam dich auch kennen,
Der dich sonst nur sah mit Rosen?“
„Ja,“ sprach sie, „er wird mich kennen
Anmerkungen des Herausgebers
- ↑ [401] Zu Romanze 12 bemerken die Herausgeber Morris und Michels, daß der Dichter die ihm von seinem Schwager Savigny, den er unter der Figur des Jacopone schildert, gewordenen juristischen Kenntnisse etwas reichlich zum besten gibt; zugestanden; aber er tut es ganz im Geiste der Zeit, die er schildert, in welcher auch die Rechtswissenschaft mehr ein Vielwissen als ein systematisches Durchdringen war. Wenn er Jacopone sich nach Jacobus a Porta Ravegnana nennen läßt, liegt darin kein Widerspruch, daß er ihn auch mit Jacopone da Todi identifiziert. Nach Brentanos Phantasie hat sich der Gelehrte eben seinem Lehrer Jacobus a Porta Ravegnana zu Ehren Jacopone genannt und gab sich, wie es im Kapuzinerorden in Italien noch heute Sitte ist, bei seinem Eintritt in denselben einen Beinamen. Die Namen der Juristen und Gesetzbücher in den Strophen 5 u. ff. sind jedem Juristen geläufig; ein Nichtjurist, der sich für sie interessiert, findet Näheres in jedem Konversationslexikon. [WS: Anmerkung wurde hier nachgetragen]
- ↑ [401] Hier spricht Rosarosa bereits aus, daß sie ihre Jungfräulichkeit opfern, d. h. reine Jungfrau bleiben wolle, um mit diesem Gelöbnis zu erkaufen, daß Jacopone bei seiner Dissertation Erfolg habe. Jacopone verstand Rosarosens Vorbehalt, „mit ihm die Ehre zu teilen“, aber die ihre zu wahren, nicht – [402]
Und es hat ihn sehr beschweret,
Was er damals ihr versprochen.Michels meint, der in der 12. Romanze wehende aszetische Zug sei erst später in die ganze Dichtung gekommen und daher diese Romanze erst nachträglich entstanden. Er steht eben unter dem alten Irrtum, daß zwischen den drei Rosen einerseits und den drei Jünglingen Jacopone, Meliore und Pietro anderseits ein neuer Inzest verhütet werden solle, während nach dem Plan des Dichters die Erlösung des versündeten Geschlechts durch die freiwillige Keuschheit der drei Rosen geschehen soll. So hat in Romanze 6 (Pietro) Rosablanka Pietros Werbung ausgeschlagen, weil sie sich „dem Himmel verlobet“ (Str. 63), Biondetta entsagt der Welt und dem Theater, um den Schleier zu nehmen. Der „aszetische Zug“ ist also nicht eine Eigentümlichkelt der 12. Romanze, sondern der Grundgedanke der ganzen Dichtung.
- ↑ [402] Es scheint naheliegend, daß Brentano in Strophe 45 bis 53 das Glücksgefühl seines „ernsten Schwagers Savigny“ schildert, der, als Brentano zu ihm nach Marburg zog, mit des Dichters Schwester Kunigunde verlobt war und sie im Herbste 1804 heiratete.
- ↑ [402] Morris teilt als Quelle, aus welcher Brentano die in Strophe 61 bis 70 erzählte „Legende“ geschöpft, die betreffende Stelle aus dem sog. „Evangelium infantiae“ mit. Brentano hat dieses sicher gekannt und auch, wie aus der folgenden Anmerkung hervorgeht, benutzt; aber was das „Evangelium infantiae“ hier bringt, ist nicht Legende, sondern nur der etwas legendär erweiterte Bericht des Evangelisten Lukas 2, 42–50.
- ↑ [402] Diese Legende entstammt dem „Evangelium infantiae“. Bei Morris S. 390 abgedruckt.
- ↑ [402] Aus der Bezeichnung „gute Hirtin“, mit welcher die Kinder Rosarosa nennen, macht Michels den Namen Pastorella und setzt ihn in den Text der Romanze als ihm „vollkommen [403] gesichert“ erscheinend ein. Was „gesichert“ heißen soll, bleibt den Handschriften und der „ersten Kladde“ gegenüber rätselhaft. (S. im übrigen Einführung.)
- ↑ [403] Cilicium, ein Bußgürtel aus Stahlgliedern mit Stacheln.
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