Mein Lebensgang (Louise Otto)
Editionsrichtlinien:
|
[Titel]
1893.
Gedichte aus 5 Jahrzehnten – Gedichte, auf meinem langen Lebensgang gesungen, kann ich der Mitwelt nicht ohne ein erläuterndes Vorwort übergeben, das sich auf ihr Erscheinen selbst wie auf ihren Inhalt bezieht.
Wie ich in diesem Buche gewissermaßen eine Schilderung dieses ganzen Lebensganges gebe, und damit zugleich Rechenschaft ablege über all mein Denken und Empfinden, so will ich auch die Gründe angeben, die mich zu dieser Sammlung bewogen.
Meine erste Gedichtsammlung erschien Ende 1847 unter dem Titel: „Lieder eines deutschen Mädchens“ (Leipzig, A. Wienbrack). Gedichtet hatte ich von Kindheit auf und die ganze Jugendzeit hindurch, wie denn auch vor Anfang der 1840er Jahre manche in die Zeit passende Gedichte von mir hier und da in einer Zeitschrift, einem Album u.s.w. gedruckt waren, z. B. 1843 im Musenalmanach von Fr. Steinmann, die bescheidenen „Schwalben“, wie das [II] halb kindliche „Kätchen von Heilbronn“. Aber schon waren 5 meiner Romane im Buchhandel, ehe es zu der obengenannten Sammlung kam. Natürlich hatte ich sie ziemlich sorgfältig ausgewählt und war mit ihr eingetreten in die Kampfesreihen der politischen Dichter, die noch in den Zeiten der Censur unter dieser zu leiden hatten. Bei den Gesinnungsgenossen fanden sie begeisterte Aufnahme, in andern Kreisen erregten sie Kopfschütteln und im Jahre 1848 feierte man mich als Prophetin.
Diese Lieder waren fast vergriffen, aber die Zeitverhältnisse machten es unmöglich an eine neue Auflage zu denken.
Aber ohne zu dichten, konnte ich nicht leben, Zeitschriften und Antologien brachten manche Gedichte von mir, indes ich viele im Pulte ruhen ließ. 1867 aber gab ich eine neue Sammlung heraus: „Gedichte von Louise Otto“, Leipzig, Rötschke.
Auch diese ist jetzt längst vergriffen. Da ich höre, wieviel man seit dem vergeblich nach ihnen fragt und besonders in Frauenkreisen darüber klagt, daß meine Gedichtsammlungen nicht mehr erhältlich, wie, daß ich ihnen keine neueren hinzufüge, so ward es mir zu einer lieben Pflicht und zugleich zu einem Herzensbedürfnis, jetzt, am Abend meines Lebens, eine neue Ausgabe zu veranstalten.
[III] Aus den beiden erwähnten Sammlungen habe ich ungefähr je ein Drittel in diesem vorliegenden Buch aufgenommen, die Verse möglichst gefeilt, sonst nichts daran geändert. Diese bilden die Abteilungen I–III. (Aus den Jahren von 1849–1870) Unter I befinden sich einige Jugendgedichte, die bisher gar nicht oder doch nicht in den Sammlungen gedruckt waren, die ich aber mit aufnahm, weil es sich eben zugleich mit um eine Darstellung meines Lebensganges handelt und sie mit zu dessen Verständnis dienen. Denn es ist eben mein Zweck, ehe ich dazu komme, meine Biographie zu vollenden, in diesem Buche ihr einen poetischen Vorläufer zu geben. Darum habe ich die Gedichte nach den Jahrzehnten geordnet, in denen sie entstanden sind; ohne weiteren Kommentar erhalten dann die Leser ein treues Bild meines ganzen Lebens und Strebens.
Die Gedichte der Abteilungen IV und V aus den Jahren von 1870–1893 waren bisher nur verstreut gedruckt. Von den vielen in dieser Zeit entstandenen habe ich auch nur die zu der Absicht des Buches passenden und bis jetzt am wenigsten bekannten mitgeteilt.
Aus allen Jahrzehnten wählte ich die dafür bezeichnendsten Gedichte. Aber weggelassen habe ich viele Zeitgedichte, z. B. von 1848 und 49 die für [IV] die jetzige Generation unverständlich wären, wie diejenigen, welche besonders in den Jahren 1860–70 in politischen Zeitschriften gleichsam Leitartikel abgaben. Ferner die meisten auf die Frauenfrage bezüglichen. Man findet sie in den auf der Rückseite dieses Buches angezeigten Schriften desselben Verlags, wie auch in dem Buch-Trio: Der Genius des Hauses – der Menschheit – der Natur (A. Hartleben, Wien und Leipzig 1869–72, jeder Band einzeln ein geschlossenes Ganze für sich) und sind diese Werke ja alle noch in den Buchhandlungen zu haben.
Und so möge man diesen Ueberblick über mein Leben und Dichten im deutschen Volke freundlich aufnehmen.
Ich grüße darin meine Strebens- und Kampf-Genossen und Genossinnen aus alter wie aus neuer Zeit.
Alles Weitere mögen die folgenden Blätter sagen.