Sonette II (Louise Otto)
I.
Du weißt, wie ich in meiner Kindheit Tagen,
Die wie ein Märchen traumdurchwebt verronnen,
Ein hohes Bild den Dichtern abgewonnen,
Die mich erquickt mit ihren Heldensagen.
Und bald das Schwert geführt, kühn und besonnen,
Mit goldnem Haar und blauer Augen Bronnen –
Es war Dein Bild, das ich in mir getragen!
Wie ich Dich sah – da stand es vor mir wieder,
Die ich als Spiel der Phantasie verklagt.
Fast sank die stolze Jungfrau vor Dir nieder,
Und daß Du selbst ihr Deine Lieb’ gesagt,
Das hatte sie zu denken nie gewagt!
Weil ich umsonst gestrebt Dich zu erretten,
Indes sie Dich auf hartem Pfühle betten.
Trank ich den Kelch der Leiden still, den bittern.
Doch hört ich auf zu bangen und zu zittern,
Und Liebes-Rosen wandt ich in die Ketten,
Und Sonnenaufgang folgte den Gewittern.
Ein neuer Himmelsruf war mir ergangen:
Den Heldenkämpfer, der so lang gefangen.
Ich durft ihn aus dem Kerker nicht befreien,
Ich durfte mehr: den Kerker selber weihen,
Dem Dichtergeiste neue Schwingen geben.
III.
Mir ist so froh, mir ist so leicht zu Sinnen,
Und zeigt mir ganz, wie das Geschick so bitter,
Das mich nach kurzem Gruße treibt von hinnen.
Das ist die Macht im selig süßem Minnen,
Wie es mit Dir mich eint, mein holder Ritter!
Von dem die Fluren Segen nur gewinnen!
Die Sonne bleibt in ihrem Glanze thronen,
Und Märzenluft, die kündet Frühlingszeit!
Der Liebe schönste Paradieseszonen
Erwarten uns noch so viel Qual und Leid!
IV.
O sage nicht, daß draußen Lenz und Leben
Und Glück[1] und Freiheit ihr Panier entfalten,
Seit diese Kerkermauern Dich umgeben!
Laß mich auf Flügeln an Dein Gitter schweben –
Die Menschheit ist was wir von ihr gehalten;
Hoch ob uns allen herrscht des Schöpfers Walten,
Doch über allen Hader unermessen,
Der noch die Welt zerwühlt mit spitzen Waffen
Vom Sonnenaufgang bis zum Niedergange:
Ward doch das ew’ge Werde nicht vergessen,
„Ich liebe Dich!“ spricht es im Jubelklange.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Gück