RE:Frumentum
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Getreidewirtschaft, -steuer und -verwaltung im römischen Reich | |||
Band VII,1 (1910) S. 126–187 | |||
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Frumentum (frumentatio). Der vorliegende Artikel handelt vom Begriffe Getreide (frumenta im Gegensatze zu legumina) insoweit er für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie für die Fragen der Organisation des römischen Reichs in Bezug auf Steuersystem und Steuerverwaltung in Betracht kommt. Auch in diesem Rahmen kann die Behandlung keinen Anspruch erheben, als erschöpfend zu gelten: es fehlt für vieles an Vorarbeiten und öfters leider auch an Material. Die [127] naturwissenschaftlichen sowie die landwirtschaftlichen Fragen, welche sich mit dem Begriff f. verbinden, werden unter Art. Getreide behandelt.
Wenn ich im Laufe meiner Darlegung f. (σῖτος) sage, so verstehe ich darunter in erster Linie den Weizen (triticum, πυρός); zuweilen aber ist eine Beschränkung darauf nicht möglich und der Begriff umfaßt mehrere verschiedene Getreidearten, in erster Linie außer dem Weizen die Gerste. Zeitlich beschränke ich mich auf die Zeit der römischen Herrschaft im Mittelmeergebiete; über griechische vorrömische Verhältnisse s. Σίτος.
I. Produktionsländer.
Italien.
Von altersher galt Italien als eines der reichsten Kornländer der alten Welt (Nissen Ital. Landesk. I 447, 3), woher manche griechische Großstadt einen nicht unwesentlichen Teil ihres Bedarfs an Cerealien bezog (Wiskemann Die ant. Landwirtschaft 22f.). Die Hauptrolle spielte dabei natürlich der Süden; die Pogegend und der Norden treten weniger hervor; es zeugt aber von regelmäßigen Handelsverbindungen, wenn im J. 325/4 v. Chr., in der Zeit der großen athenischen Hungersnot, die Athener daran denken, eine Kolonie in Hadria zu Zwecken der σιτοπομπία zu gründen (Dittenberger Syll.2 153. IG II 809 p. 237). Als besonders reich an Cerealien treten in unserer Überlieferung in der späteren Zeit besonders Campanien, Etrurien und die Pogegend hervor. Für die Pogegend sind die Zeugnisse des Polybios (II 15. III 44, 8. 87, 1) besonders wichtig. Campanien und Etrurien spielen eine hervorragende Rolle in der Geschichte der Kornversorgung Roms seit den ältesten Zeiten (Liv. II 9. Dion. V 26 – Cumae und der ager Pomptinus; Liv. II 34. Dion. VII 1 – dieselben Gegenden und dazu Etrurien; Liv. IV 13. Dion. XII 1 – Etrurien und Cumae, vgl. Liv. IV 25, 4. 52, 5). Wenn auch die zuletzt angeführten Zeugnisse nicht als historisch gelten dürfen, obwohl ich es für die beiden spätesten nicht entschieden in Abrede stellen würde, so bezeugen sie doch, daß in der annalistischen Tradition diese Gegenden als kornreiche Länder κατ' ἐξοχὴν galten, was auch durch spätere Zeugnisse vollauf bestätigt wird (s. besonders für Etrurien Liv. XXVIII 45, 14ff. und dazu Müller-Deecke Die Etrusker I 216ff. und für Campanien außer den vielen Zeugnissen Ciceros besonders in Bezug auf die Geschichte des bellum Italicum [de l. agr. II 80. 83 u. ö.] die bekannten Angaben des Strabon V 242 und Plinius XVIII 100. 111. 191 u. ö.; vgl. Liv. XXVII 3. 5, auch Campania und Campanus ager). Auch Picenum verdient besondere Erwähnung (Mart. XIII 47. Plin. XVIII 106. Macrob. Sat. III 16. 12).
Es ist hier nicht der Ort, die allmähliche Umwandlung Italiens unter dem Drucke der politisch-wirtschaftlichen und speziell agrarischen Verhältnisse aus einem Kornlande in ein hauptsächlich Garten- und Weinland zu schildern. Die meisterhafte Darlegung Mommsens (Röm. G. I 839ff.) ist dafür geradezu kanonisch geworden, und ich möchte sie hier nicht wiederholen (vgl. auch Wiskemann Die ant. Landwirtsch. 50ff. Nissen It. Landesk. I 444ff. 450ff. II 91f.). Es wird genügen, hervorzuheben, daß etwa seit dem 2. Jhdt. v. Chr. Italien als Produktionsland und viel früher noch als Exportland fast gar nicht [128] mehr in Betracht kommt: es liefert noch feine Weizen- und Mehlsorten, aber vom römischen Markte – dem größten Kornmarkte der Welt – ist das italische Korn, von diesen feinen Sorten abgesehen, durch die provinzialen Lieferungen fast gänzlich verdrängt (s. aber die metrische Inschrift eines Kornhändlers CIL XIV 2852[1] = Dessau 3696. Buecheler Carm. ep. 249; derselbe treibt Geschäfte besonders in Umbrien und Etrurien). Ob Italien den inneren Bedarf an Getreide in den italischen Städten vollständig deckte, ist leider nicht überliefert, aber doch mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen: vom starken Import des überseeischen Kornes in die italischen Städte hören wir gar nichts (vgl. den Abschn. IX über die Kornversorgung der Municipien). Noch im 4. Jhdt. hebt der anonyme Verfasser der expositio totius mundi den Kornreichtum Italiens gar nicht hervor; nur Calabria ist ihm frumentifera (414 ed. Lumbroso), und Campania heißt wohl nach alten Reminiszenzen cellarium regnant(is) Rom(ae) (422). Gehoben hat sich der Getreidebau erst, nachdem infolge der schweren politischen Verhältnisse Roms Kornverpflegung fast ausschließlich auf Italien angewiesen war, worüber uns Procopius und besonders Cassiodorius berichten (die Stellen bei Krakauer Das Verpflegungswesen der Stadt Rom 57f.). Es treten dabei besonders Campanien (Cass. var. IV 5), Apulien (ebd. I 16), Lucanien (ebd. II 15), Bruttium (ebd. VIII 11), Istrien (XII 4) und Tuscien (IV 5) hervor.
Provinzen.
Unsere Überlieferung über die Kornproduktion der Provinzen des römischen Reiches ist ziemlich spärlich. Angaben und Daten haben wir fast ausschließlich über diejenigen Länder, welche für die Kornversorgung Roms wichtig waren, die sog. provinciae frumentariae (bezw. frumentaria subsidia s. Cic. ad Att. IX 9, 2; de imp. Cn. Pomp. 34; de domo 11. 25. Liv. XXVII 5).
In dieser Hinsicht treten in unserer Überlieferung zuerst Sizilien und Sardinien hervor. Schon in den oben angeführten Erzählungen über die Kornankäufe der Stadt Rom im 5. Jhdt. v. Chr. (Liv. IV 25. 52) erscheint Sizilien neben Etrurien und Campanien als das typische Kornland; es wird wohl nicht zu leugnen sein, daß diese Angaben der realen Wirklichkeit, vielleicht einer etwas späteren Zeit, entsprochen haben. Unter Hiero wenigstens sind Kornsendungen nach Rom nichts Ungewöhnliches (Liv. XXII 37, vgl. XXVI 40, 15 sed urbis Romae atque Italiae, id quod multis saepe tempestatibus fecerat, annonam levaret. Val. Max. VII 5, 1), wie etwas später ähnliche Sendungen aus dem abhängigen Karthago (Liv. XXXVI 3, 191 v. Chr., vgl. 4. XLIII 6, 170 v. Chr.). Seit dem Ende des zweiten Punischen Krieges wird Sizilien samt Sardinien definitiv zur Kornkammer Roms (so schon im J. 210, Liv. XXVI 40, vgl. XXXIII 42, 196 v. Chr., ein großes Getreidegeschenk und XXXVI 2. XXXVII 2. 50. XLII 31, Angaben über die alterae decumae von Sizilien und Sardinien aus den J. 191, 190 und 171; vgl. XXXVII 5, wo Sizilien fidissimum annonae subsidium heißt). Besondere Wichtigkeit gewinnt das Land in den großen Krisen des politischen Lebens Italiens (im bellum Italicum s. Cic. Verr. II 2, 5. 3, 127 u. ö., vgl. die Norbanusmünze, Babelon II 258, 1). Schon im [129] 3. Jhdt. treten neben Sizilien und Sardinien Spanien und Afrika als Kornversorger der römischen Republik. Über Kornsendungen aus Spanien berichtet Livius unter dem J. 203 (Liv. XXX 26), in den J. 201 und 200 erwähnt er große Sendungen aus Afrika (Liv. XXXI 4. 50) und etwas später aus Karthago und Numidien (Liv. XXXVI 3. 4. XLIII 6). Im 1. Jhdt. v. Chr. erscheint Afrika neben Sizilien und Sardinien, und zwar an zweiter Stelle (die Wichtigkeit der beiden Inseln unter Caesar betont Lucan Phars. III 52ff., vgl. die große Rolle, welche das sizilische Korn in dem Vertrage Octavians und des S. Pompeius spielt, Appian. bell. civ. V 72. Cass. Dio XLVIII 31. 36), als frumentarium subsidium der Stadt Rom (Cic. de imp. 34. Plut. Pomp. 26. Varro de r. r. II 1 Afrika und Sardinien); bald aber überflügelt es die beiden Inseln, um mit Ägypten zusammen seit dem 1. Jhdt n. Chr. fast allein die Last der Kornverpflegung Roms auf seinen Schultern zu tragen (Joseph. bell. Iud. II 383. 386 und weiter unten). Daneben aber treten als subsidiäre Versorgungsorte mehrere Provinzen in unserer Überlieferung auf: Spanien und Gallien neben Sizilien, Afrika und Ägypten (Plin. n. h. XVIII 66 und weiter unten), dazu der thrakische Chersonnesus (Plin. a. a. O.), vielleicht sogar Asien und das Neuland Pannonien (Hyg. grom. p. 204) senden ihr Korn nach Rom. So dauert es wahrscheinlich das ganze 2. und 3. Jhdt. n. Chr. hindurch (s. die Darstellungen der Kornprovinzen auf den Münzen des Hadrian und des Antoninus; Kornattribute führen Sizilien, Afrika und Ägypten, daneben Spanien mit dem Ölzweige; dieselben Typen erscheinen auch später, vgl. weiter unten) bis zu der Zeit, wo nach der Trennung des Reiches die beiden Kapitalen, Rom und Konstantinopel, noch größere Anforderungen an die subsidiären Provinzen stellen, als es früher die Regel war: Gallien, Spanien, sogar Germanien steuern nach Rom (Claudian in Eutrop. I 401ff.; de laud. Stil. I 282ff.; b. Gild. 52ff.), besonders wenn Afrika versagte; daneben behält Sardinien seine frühere Bedeutung (die Stellen bei Marquardt Staatsv. I 250, 3–5, vgl. Symm. ep. IX 42); Ägypten (Exp. tot. m. et g. ed. Lumbr. 267ff. Phot. lex. ed. Bekker p. 479 b. Claud. b. Gild. 52ff. Ed. Iust. de urb. Alex. VIII u. ö. Gothofredus Cod. Theod. XIII 5, 7. XIV 15. 16. 26, 1), Asien, Syrien, Phoenikien (Eunap. vit. soph. p. 22 Boiss.), Thrakien, Chersonnesus und Bosporus (Themist. XXVII 336 d) nach Konstantinopel. So bleibt es mit einigen Schwankungen (s. z. B. Symm. Rel. 9. 35. 37. 48, vgl. Cod. Theod. XIII 9, 2) bis in die spätesten Zeiten. Diese allgemeinen Angaben über die Versorgung Roms, welche natürlich die Hebung der Kornproduktion in den romanisierten Neuländern mit veranschaulichen, lassen sich aber in Betreff einiger Provinzen vervollständigen und erweitern. Nehmen wir die einzelnen Provinzen in der oben angegebenen Reihenfolge durch.
Sizilien.
Es ist schon hervorgehoben worden, daß Sizilien im 2. und 1. Jhdt. v. Chr. die Hauptkornkammer Roms war. Für das 2. Jhdt. ist in dieser Hinsicht die Notiz von Polybius aus dem J. 169 v. Chr. besonders charakteristisch (Polyb. XXVIII 2); sie läßt uns vermuten, daß [130] die Ausfuhr des Getreides aus Sizilien für Rom reserviert war (Rhodos bekommt vom Senat die Erlaubnis, 100 000 Medimnen aus Sizilien auszuführen). Aus dem 1. Jhdt. besitzen wir bekanntlich viele, teilweise schon angeführte Zeugnisse Ciceros; aus diesen vielen Angaben hebe ich folgende allgemeine Charakteristik hervor, Cic. Verr. II 3, 11: neminem vestrum praeterit, iudices, omnem utilitatem opportunitatemque provinciae Siciliae, quae ad commoda populi Romani adiuncta sit, consistere in re frumentaria maxime; nam ceteris rebus adiuvamur ex illa provincia, hac vero alimur et sustinemur; vgl. II 2, 5 und Liv. XXVI 22. Nach diesen Zeugnissen ist es klar, daß Rom alles mögliche tun mußte, um die Kornproduktion der Provinz nach den verwüstenden punischen und Sklavenkriegen zu heben. Man darf deshalb in Sizilien eine intensive Kornwirtschaft vermuten (s. darüber und über den Vergleich mit den modernen Zuständen in Sizilien Carcopino Vierteljahrschrift f. Soz. u. Wirtschaftsg. IV [1905] 128ff.). Was war aber das Resultat dieser intensiven Bebauung? Einige Angaben Ciceros geben uns darüber wenigstens approximative Zahlen, Zahlen, welche öfters debattiert und leider nicht einstimmig beurteilt worden sind. Zuerst der Tatbestand. Cicero (Verr. II 3, 163) sagt uns, daß unter Verres die zweite decuma der sizilischen Städte (s. weiter unten) mit beinahe 9 Millionen Sesterzien vom Staate bezahlt wurde. Da der Preis des Modius dieses Kornes auf 3 Sesterzien vom Staate fixiert war (s. weiter unten über die Kornpreise), so ergibt diese Summe eine Höhe der decuma von beinahe 3 Millionen Modien, die Gesamtproduktion, das ,beinahe‘ abgerechnet und die Erhebungskosten und den Publikanengewinn zugerechnet, über 30 Millionen Modien oder 5 Millionen Medimnen (etwa 21/2 Millionen Hektoliter). Dasselbe oder fast dasselbe Resultat ergeben andere Berechnungen (s. Beloch Arch. di stor. sic. N. S. XIV 28 Anm. und Franchina Le condizioni economiche della Sicilia ai tempi di Verre, Pal. 1897, 11ff. Carcopino a. a. O. 147ff.). Nun aber beginnen die Schwierigkeiten. Die Angaben des Cicero beziehen sich auf die civitates decumanae. Es existieren aber in Sizilien außer denselben noch civitates censoriae, daneben liberae und foederatae, endlich die früheren königlichen Domänen. Was die letzteren betrifft, so scheinen sie, nach dem Beispiele von Leontini zu urteilen, auch die decuma bezahlt zu haben (Cic. Verr. II 3, 110) und sind wohl in der Berechnung der decuma mit einbegriffen (so zuletzt Carcopino in den Mél. de l'éc. de Rome 1905, 51, welcher die ganze frühere Literatur sorgfältig zusammengestellt hat), wenigstens soweit sie in den Territorien der Städte lagen. Daß es aber auch exterritoriale Domänen gab, ist an sich wahrscheinlich, läßt sich aber leider mit Sicherheit nicht nachweisen. Es folgen die civitates censoriae. Sie ohne weiteres mit den decumanae zu identifizieren, wie es Beloch und Franchina tun, geht nicht an. Denn Cicero sagt ausdrücklich, daß ihr Gebiet, nachdem es den Städten zurückgegeben worden war, von den Censoren, also in Rom, verpachtet wurde (Verr. II 3, 13), was doch trotz Carcopino (a. a. O. 83ff.) nur heißen kann, [131] daß die vectigalia dieses Ackers in Rom verdingt wurden (deshalb werden sie von Cicero gar nicht erwähnt; auch bedeuteten sie wohl nur wenig in der ganzen Wirtschaft der Insel). Ebenso unmöglich ist es aber, mit Marquardt (Staatsverw. I 93), Pais (Arch. di stor. sic. N. S. XIII 27), Holm (Storia d. Sic. III 150ff.) und Anderen die Zahl der perpaucae civitates von Cicero (Verr. II 3, 13) auf 25 oder 26 zu fixieren; es sind sicher nur ganz wenige gewesen. Wie viel sie bezahlt haben, ob eine decuma oder einen festen Betrag, wissen wir nicht; noch schlimmer ist es, daß sogar ihre Zahl nicht festzustellen ist. So bekommen wir zu den 5 Millionen Medimnen noch einen wohl nicht sehr bedeutenden (die besten Äcker lagen in den Gebieten der von Cicero aufgezählten civitates decumanae, Cic. Verr. II 3, 104) Zuschlag, welcher gar nicht zu berechnen ist. Fast ebenso schlimm steht es mit den civitates liberae und foederatae. Eines wissen wir sicher: es gab deren acht. Daß aber, wie Marquardt (Staatsv. II 183) schwankend vermutet hat, Beloch (Die Bevölkerung d. alt. Welt 271, 1) und Franchina (a. a. O. 54ff.) ohne weiteres behaupten, diese Städte allein das f. imperatum und zwar in der Höhe einer decima ihrer Produktion bezahlt hätten, ist unmöglich. Cicero sagt doch ausdrücklich: alterum imperatum quod praeterea omnibus civitatibus esset distributum (Verr. II 3, 163, vgl. Holm Storia d. Sic. III 158 Anm.). Die Berechnung der Produktion dieser Städte wird noch schwieriger, weil wir wissen, daß ein Teil der Territorien der civitates liberae, welcher nicht von den Einwohnern bebaut wurde, die gewöhnliche decuma bezahlte (Carcopino a. a. O. 10). Damit bekommen wir noch ein nicht zu berechnendes Plus. Halten wir, sehr zweifelnd, die Mittelproduktion der civitates liberae derjenigen der civitates decumanae gleich und ziehen wir in Betracht, daß die decumae von gerade acht civitates decumanae, welche uns Cicero mitgeteilt hat, eine Mittelzahl von 7820 Medimnen (Franchina a. a. O. 12. Carcopino Vierteljahrschr. f. Soz. u. Wirtschaftsg. IV 152) ergeben, so bekommen wir für die civitates foederatae und liberae eine Gesamtproduktion von etwa 700 000 (genau 625 600) Medimnen, was wohl zu niedrig gegriffen ist. Damit beläuft sich das Gesamtquantum der Produktion Siziliens, als Minimum, die civitates censoriae und eventuelle exterritoriale Domänen nicht mit einbegriffen, auf 6 700 000 Medimnen (über 40 Millionen Modien).
Man behauptet gewöhnlich, daß Sizilien in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr. stark und rasch zum Verfalle fortschritt (Beloch a. a. O. 33. Pais Arch. di stor. sic. N. S. XIII 129 Anm. 198), was sich unter anderem darin äußerte, daß es seit Caesar aufhörte, Rom mit Korn zu versorgen (Mommsen R. G. III9 507 auf Grund von Varros Angabe de r. r. II I). Dabei sollen Sizilien entweder die Konkurrenz mit Afrika (Beloch) oder die Latifundien (Pais) zu Grunde gerichtet haben. Ob aber diese Deduktionen richtig sind und Sizilien wirklich in einem so starken Verfalle begriffen war, ist mir sehr zweifelhaft. Wenn es richtig wäre, daß Caesar die alte Provinz nicht mehr ausschließlich Korn, sondern [132] hauptsächlich Geld bezahlen ließ (s. weiter unten), so würde diese Tatsache gar nichts beweisen, auch nicht, daß die Kornproduktion geringer wurde. Die Tatsache selbst aber ist nicht bewiesen. Dagegen spricht Appian (bell. civ. V 72), welcher im J. 39 v. Chr. von S. Pompeius sagt, er solle über Sizilien, Sardinien und Corsica herrschen πέμποντα Ῥωμαίοις τὸν ἐκ πολλοῦ τεταγμένον αὐταῖς φέρειν σῖτον, was nur die decumae bezeichnen kann; die decumani der zwei stadtrömischen Inschriften (CIL VI 8585.[2] 8586. Rostowzew Staatspacht 379. Hirschfeld Verwaltungsb.2 269) könnten auch außerhalb Siziliens, sogar in Italien, tätig gewesen sein (über eine andere Bedeutung dieses Terminus s. Carcopino Mél. de l’éc. fr. de Rome 1905, 428ff.). Was aber den Bericht Strabons über die Verwüstung Siziliens (Strab. VI 265–277) betrifft, so spricht alles dafür, daß derselbe aus Posidonios geschöpft ist und sich auf die Zeit dieses Letzteren bezieht (Pais a. a. O. 198 und Riv. di fil. cl. XV 1886, 97ff. Holm St. d. Sic. III 427ff.). Auch Strabon aber betont den Kornreichtum Siziliens (VI 273) und seine Bedeutung für die Kornversorgung Roms, was er sicher nicht getan hätte, wenn dies vollständig nur der Vergangenheit angehört hätte. Wir haben andererseits trotz der Dürftigkeit unserer Nachrichten nicht wenige Zeugnisse, welche den Kornreichtum Siziliens auch für die spätere Zeit beweisen. Zuerst die bekannten Inschriften des Vibius Salutaris (CIL III 14195,[3] 4–13), auf welche ich noch zurückkomme, dann viele Münzen, auf welchen Sizilien als Kornprovinz durch das Erscheinen von Kornähren als Attribute bezeichnet wird (Münzen von Clodius Macer, Müller Num. de l’Afr. II 170. 381. Cohen I 318 nr. 10; von Hadrian Cohen II 112 nr. 75. 214 nr. 1292 und Antoninus Pius Cohen II 347 nr. 786. Holm Stor. d. Sic. III 440, vgl. die Münzen von Leontini Hill Coins of ancient Sicily 207 und von Panormus ebd. 209) und zwei bekannte Sarkophagreliefs, auf welchen Sicilia und Africa als die beiden Kornprovinzen κατ' ἐξοχὴν erscheinen (CIL VI 29809.[4] Matz-Duhn Ant. Bildw. II nr. 3095. Brunn Ann. d. Inst. 1849, 135–139 = Kleine Schriften I 50ff.). Aus den späteren Zeiten haben wir nur ganz vereinzelte Zeugnisse. Im 4. Jhdt. noch wird in der Expositio totius mundi (584 ed. Lumbroso) der Kornreichtum Siziliens hervorgehoben, aber doch an zweiter Stelle; an die erste tritt die Weidewirtschaft. Wie in Italien gewinnt auch in Sizilien der Getreidebau erst im Laufe des 5. und 6. Jhdts. wieder an Bedeutung (Procop. bell. Goth. III 16. Krakauer Das Verpflegungswesen 58. Holm Stor. d. Sic. III 512).
Afrika.
Über die Bedeutung Afrikas als Kornversorgerin Roms ist schon oben gesprochen worden. Diese Bedeutung wuchs mit dem Wachstum der Provinz und der sich immer steigernden Sicherheit des Lebens in derselben. Die Einziehung Numidiens unter Caesars Dictatur vermehrte das Quantum des nach Rom bezahlten Kornes auf 1 200 000 Modien jährlich (Plut. Caes. 55), ähnliche Resultate brachten wohl auch sowohl die Einziehung Mauretaniens, wie das Vorwärtsschreiten der Besiedelung Afrikas, hauptsächlich [133] gegen Süden. Die Hauptproduktion Afrikas war Getreide (Mommsen R. G. V 651), was sich unter anderem auch in den Emblemen der Provinz auf den Münzdarstellungen äußert (so auf den Münzen des Metellus Scipio und seiner Legaten im J. 48–46, Babelon I 277ff. nr. 48–52; vgl. 476 und II 135 nr. 577; auf afrikanischen Münzen, hauptsächlich aus der Zeit des Tiberius, Müller Num. de l'Afr. II 150 nr. 329; 154 nr. 329; 155 nr. 331. 338. 339; 170 nr. 380ff.; 16 nr. 35; auf vielen Münzen Hadrians, Cohen II 114 nr. 10; 116 nr. 142, 148f. 209 nr. 1221–1229, vgl. die Darstellung Mauretaniens ebd. 115 nr. 70. und Antonins, Cohen II 272 nr. 21ff., und auch späterer Kaiser, vgl. Audollent Carthage romaine, 358ff.). So bleibt es noch im 4. Jhdt. (Exp. t. mundi 505 über Mauretanien, dagegen wird in Afrika 509ff. das Öl hervorgehoben, vgl. 507 Numidien; öfters bei Symmachus z. B. IV 74. VII 68; relat. 18 und 35 und Claudian besonders bell. Gild. 52ff.; vgl. G. Boissier Afr. rom. 147ff. A. Schulten Das röm. Afr. 41ff.) und wohl auch später. Leider läßt sich die Gesamtproduktion Afrikas nicht berechnen. Es gibt zwar eine statistische Angabe, dieselbe ist aber vieldeutig und unklar. Josephus (bell. Iud. II 383) berichtet, die afrikanischen Länder im weitesten Sinne des Wortes (die Cyrenaica wohl mit einbegriffen) lieferten als Abgabe so viel Früchte οἳ μησὶν ὀκτὼ τὸ κατὰ τὴν Ῥώμην πλῆθος τρέφουσι. Zuerst fragt es sich, ob in dies weite Afrika auch Ägypten einbegriffen ist. Mommsen (a. a. O.) bejaht es, die meisten anderen Forscher lassen aber diese Deutung mit Recht nicht zu, wohl aus dem Grunde, weil etwas weiter Ägypten separat behandelt wird (Marquardt Staatsv. II 127; zuletzt Cardinali Frumentatio [aus Ruggiero Dizion. epigr. III] 81ff.). Danach lieferte Afrika Getreide für den Bedarf des römischen πλῆθος für acht Monate. Wie soll man es aber genauer verstehen? Ist es der Bedarf der Frumentationen, so beläuft sich das Quantum auf 8 Millionen Modien; ist es aber etwas anderes, entweder der Gesamtkonsum oder die gesamten Staatsvorräte sowohl für Verteilungen wie für Verkäufe, so steigert sich die Summe ganz bedeutend. Die meisten Forscher nehmen an, das Quantum wäre dasselbe, welches Aurelius Victor (Ep. 1) als den Import aus Ägypten bezeichnet: 20 Millionen Modien, was sie für die jährliche Abgabe Ägyptens halten. Danach, da Ägypten Korn für vier Monate nach Rom lieferte (Joseph. a. a. O. 386), wäre die Abgabe Afrikas 40 Millionen Modien. Der Unterschied ist natürlich kolossal (die erstere Meinung vetreten die meisten Forscher, so z. B. Marquardt a. a. O. Mommsen a. a. O., dagegen Cardinali a. a. O.). Ich lasse die Frage vorläufig ohne Entscheidung, da wir sofort unter Ägypten auf dieselbe zurückkommen. In welcher Richtung man aber die Frage auch entscheiden mag, die Gesamtproduktion des Landes läßt sich daraus nicht deduzieren: wir wissen nicht, welchen Teil der Ernte das Quantum der Kornabgabe darstellen soll; ebensowenig wissen wir, ob das Domänenkorn mit einbegriffen ist und wie viele Städte schon in der Flavischen Zeit ihre Leistungen in Geld bezahlten. [134]
Ägypten.
Ägypten war und blieb bis zu den spätesten Zeiten der römischen Herrschaft, ich möchte sagen bis in unsere Zeit, das gesegnetste unter den Kornländern. Seit Augustus ist die Korngewinnung die Hauptaufgabe des ganzen Landes, von den βασιλικοὶ γεωργοί angefangen bis zu dem Nachfolger der Könige, dem Praefectus Aegypti. Noch in höherem Grade als für die Ptolemaeer, für welche das ägyptische Korn der mächtigste Hebel ihrer Politik war, ist Ägypten für die Kaiser das Land, welches durch sein Korn ihnen die Möglichkeit gibt, die Stadt Rom und auch die Provinzen in ihren Händen zu halten. Kein Wunder, daß in der ganzen Überlieferung wie in der Politik des Kaiserreichs diese Rolle Ägyptens mächtig betont wird. Claustra terrae et maris ist diese Provinz für Augustus (Tac. ann. II 59), claustra annonae (Tac. hist. III 8. Cass. Dio LXV 9) oder subsidium annonae (Tac. hist. III 48) für Vespasian, wie früher Sizilien. Ohne das ägyptische Korn kann Rom nicht ernährt werden (Plin. paneg. 31), was noch für Claudian (b. Gild. 52ff.) feste Tatsache ist. Diese Tatsache betonen ganz ausdrücklich auch manche epichorische Monumente offiziellen Ursprungs, besonders die alexandrinischen Münzen. Man achte nur auf die Rolle der Εὐθηνία auf alexandrinischen Münzen (Cat. of gr. Coins Brit. Mus., Alexandria Introd. 77–82; seit der Zeit der Livia nr. 28 pl. XXII bis auf Marc Aurel nr. 1302; überall Kornähren als Attribut; s. besonders die Vermählung von Nilus und Euthenia nr. 477. 1160 pl. XXI, auch nr. 1158); höchst charakteristisch ist auch die Darstellung der Stadt Alexandria (Introd. p. 83, besonders die Szene, wo Alexandria dem Kaiser eine Kornähre reicht nr. 669 pl. XXVII, vgl. 870. 1436, auch die stadtrömischen Münzen mit der Darstellung von Ägypten und Alexandria, z. B. Cohen II 114 nr. 110; 117 nr. 157. 161; 273 nr. 28, und die Münze mit der Aufschrift Τίβερις ὁμονοία, auf welcher der römische Fluß vom Nilus eine Kornähre empfängt nr. 1167 pl. XXI [Antoninus Pius]. Introd. 82), sowie die Häufigkeit der Darstellung von Demeter (Introd. 41. 43, vgl. 95); sogar Göttinnen wie Eirene (Introd. 51) und selbst Athena unter Domitian (nr. 288. 289 pl. IV) und Hadrian (nr. 691–694 pl. IV) bekommen Kornattribute. Domitian selbst, wie früher Ptolemaios V., erscheint in einem Kranz aus Kornähren (Introd. 39). Natürlich blühte der Kornbau in Ägypten, durch die sprichwörtliche Fruchtbarkeit des Landes (Plin. n. h. XVIII 91. Exp. tot. m. 215. 267. Ammian. Marc. XXII 15, 3) befördert und durch regulierende Maßregeln der Kaiser in der möglichst großen Expansion gehalten (Plin. n. h. XIX 79, vgl. den Domitianischen Versuch, dieselbe Politik auf das ganze Reich anzuwenden. Suet. Dom. 7). Diese Maßregeln führten wohl dazu, daß in Ägypten der größte Teil des Landes mit Weizen besät wurde. Wir besitzen darüber statistische Angaben sowohl für die römische Zeit, wie besonders für die Zeit der Ptolemaeer. Aus dieser letzteren haben wir drei Daten: Flinders Petrie Pap.2 nr. 75 p. 205 gibt uns einen offiziellen Bericht über das im J. 235/4 besäte Land im Arsinoitischen Nomos (vgl. Wilcken Ostraka I 200). Danach belief sich das ganze Areal auf etwa 184 000 Aruren; von diesen sind 134 3151/2, also beinahe 3/4, mit [135] Weizen besät. Ein ähnliches Dokument ist Ashm. Pap. R. 5–15 (3. Jhdt. v. Chr.). Nach der wohl richtigen Deutung der Herausgeber der Tebtunis Pap. (p. 52 zu 5, 202) verzeichnet das Dokument 81727/32 Aruren, welche wohl nach dem Vergleiche des Berichts über die Aussaat mit dem Kataster sich als im ersteren mankierend erwiesen. Unter diesen 817 Aruren sollten 407 mit Weizen besät worden sein (vgl. Wilcken Arch. f. Pap. I 166ff. Mahaffy Trans. R. Ir. Acad. XXXI I97ff. H. Maspero Les finances de l’Egypte, Paris 1905, 55. Bouché-Leclercq Histoire des Lagides III 183). Ob es sich in beiden Fällen nur um königliches Land handelt, bleibt ungewiß. Das Land ἐν ἀφέσει scheint größere (ob aber ausschließliche?) Freiheit genossen haben (Tebt. Pap. a. a. O.). Ähnliches gibt uns das dritte Dokument an (Brugsch Thesaurus III 604ff. W. Otto Priester und Tempel im hell. Aeg. I 268); nach diesem Verzeichnisse der Besitztümer des Horustempels in Edfu enthalten dieselben unter den Söhnen des Euergetes II. 12 700 Arure, darunter 10 900, also etwa 6/7, mit Weizen bebaut. Fast dasselbe Resultat ergeben die Thesaurosbücher und die sog. ἀπαιτήσιμα-Forderungslisten. Wir wissen leider nicht, was die Endsummen des Flinders Petrie Pap.2 p. 208 col. IV (J. 23 Euergetes I.) bedeuten: bezeichnend bleibt es doch, daß auf etwa 366 000 Artaben von Lieferungen in Weizen nur 3670 Artaben Linsen, 17 300 Artaben Gerste und 1600 Artaben Olyra verzeichnet sind. Wenn auch dieses Dominieren des Weizens teilweise zufälliger Art sein kann, so bleibt das Verhältnis doch charakteristisch (daß in der folgenden Angabe über die im kommenden Monate Choiak als vorhanden angesehenen Vorräte die Gerste, nicht der Weizen dominiert, erklärt sich daraus, daß der Weizen natürlich zuerst weiterspediert werden sollte). Für die römische Zeit haben wir ein nicht weniger bezeichnendes Zeugnis. In der Forderungsliste des Komogrammateus des Dorfes Pelusium von J. 242/3 n. Chr. (BGU 84) werden alle Arten der erwarteten Eingänge verzeichnet, und zwar die φόροι διοικήσεως und οὐσιακοί: die Summe der Aruren mit Ausschluß der γῆ ἄβροχος (des nicht bewässerten Landes) ist 4436 Aruren; man erwartet als Abgabe 24 565 Artaben Weizen (die γὴ ἄβροχος zugerechnet 29 299), 296 Artaben Gerste und etwa 1000 Artaben Bohnen. Wiederum herrscht der Weizen fast ausschließlich (vgl. die von Wessely Karanis und Soknopaiu Nesos. Denkschr. Akad. Wien XLVII 13ff. zusammengestellten Angaben). Sehr charakteristisch ist auch das Verhältnis des mit Weizen besäten oder besser in Weizen steuernden Landes zu dem in Gerste steuernden und dem mit Bäumen bepflanzten in dem Katasterbuch von Dimeh: in der siebenten σφραγίς z. B. steuern von 635 Aruren 599 in Getreide (Pap. Brux. 1. Mus. Belge VIII 1904, 101ff.). Auch die sog. Rechnung über Naturalien Pap. Lips. 97 (J. 338 n. Chr. aus Hermonthis) eines großen Gutes verrechnet hauptsächlich die Eingänge und Ausgaben in Weizen (I 5: λόγος σἰτου τε καὶ ἄλλων γενημάτων). Leider aber haben wir keine Möglichkeit, weder die Summe der ganzen Landesproduktion noch die Summe der Kornrevenuen des Staates zu bestimmen. Einige Daten besitzen wir; leider aber sind dieselben nicht [136] ganz klar. Hieronymus (in Dan. XI 5 p. 1122) gibt uns die Summe der jährlichen Kornrevenuen des Philadelphus an: es sind 11/2 Millionen Artaben (etwa 5 oder 63/4 Millionen Modien, Wilcken Ostraka I 412). Für die Zeit des Augustus besitzen wir eine Angabe des Aurelius Victor (Epit. 1): huius (Augusti) tempore ex Aegypto urbi ducenties centena milia frumenti inferebantur, also 20 Millionen Modien, für die Zeit der Flavier das Zeugnis von Josephus (bell. Iud. II 386), daß Ägypten ein Drittel des das πλῆθος von Rom ernährenden Getreides lieferte. Wie sind nun diese Zeugnisse zu verstehen? Wir stehen vor zwei möglichen Lösungen: entweder ist die Zahl des Victor die der gesamten Korneinfuhr, ebenso wie die Zahlen des Josephus; dann lassen sich diese Angaben mit denen des Hieronymus gut vereinigen: das Staatskorn wäre dann etwa ein Drittel der gesamten Kornausfuhr. Wir bekämen damit auch eine plausible Übereinstimmung mit den Angaben der Hist. Aug. (Sept. Sev. 8. 23, vgl. Elag. 27), daß der Staat für den Bedarf der Stadt Rom jährlich 28 Millionen Modien lieferte: diese Summe hätte sich dann aus etwa 7 000 000 Modien Ägyptens, der doppelten Lieferung Afrikas (etwa 14 000 000 Modien) und den Lieferungen der andern Provinzen (etwa 7 000 000, die Staatsankäufe mit eingerechnet) zusammengesetzt. Dieser Rechnung scheint aber die Angabe des Ed. Iust. de pr. Aeg. VIII zu widersprechen (Corp. Iur. III p. 780ff.). Danach wäre die nach Konstantinopel zu liefernde ἐμβολή 8 000 000 eines ungenannten Maßes. Da das ganze Edikt nach Artaben rechnet, so sind auch hier Artaben zu verstehen, d. h. etwa 262/3 Millionen Modien (Artabe von 32 Choin.) oder 20 Millionen (Artabe von 24 Choin.). Die Steigerung ist im Vergleich mit der Ptolemaeischen und der ersten Kaiserzeit enorm. Nun aber läßt sich diese Steigerung in doppelter Weise erklären: entweder hat der Staat jetzt die ganze Ausfuhr monopolisiert, was aber nicht ganz richtig ist, weil etwas vorher (c. V) das Edikt auch eine obwohl beschränkte Privatausfuhr voraussetzt (s. u.), oder sind unter den 8 Millionen nicht Artaben, sondern Modii zu verstehen, was den andern Angaben des Edikts nicht widerspricht, da überall an den übrigen Stellen von den Verhältnissen innerhalb Ägyptens die Rede ist, hier aber von der Ausfuhr nach Konstantinopel gesprochen wird. Gegen die letztere Lösung spricht aber der hohe Preis für den Transport nach Konstantinopel (1 Sol. für 100), was sich mit Cod. Theod. XIII 5, 7 nicht vereinigen läßt; besser stimmt die Rechnung, wenn wir Artaben annehmen. Die andere Möglichkeit, in der Angabe des Josephus nur das Frumentationskorn zu sehen, ist mir weniger wahrscheinlich, ebenso wie die Annahme, daß die Zahl des Aurelius Victor sich auf die Staatsrevenuen bezieht. Bei beiden Annahmen geraten wir in nicht zu lösende Widersprüche, worüber ich leider in einem Enzyklopädieartikel nicht ausführlicher reden darf (s. darüber Contareni Thesaur. Graev. VIII 971ff. Nasse Meletemata 37. Hirschfeld Phil. XXIX 24. Marquardt St.-V. II2 127. Mommsen R. G. V 560. Wilcken Ostraka I 421. Cardinali a. a. O. 80ff. Friedländer Sitteng. I 64. 70. Hirschfeld Verwaltungsb.2 234, 1). Wie man aber auch die angeführten [137] Zeugnisse deuten mag, eine Berechnung der Produktion des Landes bleibt danach unmöglich: wir wissen leider nicht, den wievielten Teil der Landesproduktion die Summe der Abgabe darstellt (s. u.), ebensowenig, wieviel von dieser Abgabe im Lande selbst für Staatszwecke verbraucht wurde. Hoffentlich liefern uns bald die Papyri genauere Berechnungsmittel.
Die Fürsorge des Staates für das ägyptische Korn beschränkte sich keineswegs auf die Regulierung der Aussaat. Das produzierte Korn durfte, wie früher das sizilische, nur insofern dem freien Handel offen bleiben, als Roms und des Staates Bedarf gedeckt waren. Damit erklären sich die Prohibitivmaßregeln des Staates gegen den freien Kornhandel. Ob wir damit schon in die Ptolemaeische Zeit hinaufgehen müssen, mag unentschieden bleiben (s. z. B. FHG III 487), in der römischen sind sie die Regel (Hirschfeld Philolog. XXIX 24 Anm.). Unter Augustus wenden sich viele, darunter Herodes, an den Praefect Petronius mit der Bitte um Ausfuhrerlaubnis (Joseph. ant. Iud. XV 307); den Städten Asiens gab Hadrian während seiner Anwesenheit daselbst solche Permesse (Dittenberger Syll.2 389. CIG II 2927. 2930; vgl. Athen. Mitt. VIII 328 nr. 10, 5–6 und die in Asien von Hadrian geschlagenen Münzen mit der Darstellung einer Ährengarbe, Cohen II 143 nr. 439–441). Noch unter Iustinian besteht die Prohibition: in dem öfters angeführten Ed. Iust. de urbe Alex. et de pr. Aeg. V soll der Augustalis dafür sorgen: τoῦ μηδὲν ἐκφόριον γίνεσθαι ἐκ τῶν ὑποτεταγμένων ἀὐτῷ πόλεών τε καὶ ἐπαρχιῶν καὶ τόπων καὶ ὅρμων καὶ στομίων πρὶν τὴν αἰσίαν ἐμβολὴν ἀποπλεῦσαι τῆς Ἀλεξανδρέων πόλεως μηδὲ μετὰ ταύτα πλὴν εἰ μὴ κατὰ τὸ παρ' ἡμῶν ἐπιτετραμμένον ἢ ἐπιτραπησόμενον ἐκ θείων μὲν ἡμῶν τόπων προστάξεων δὲ τῶν χρόνων τῶν σῶν. Derselbe Zustand also wie im 1. und 2. Jhdt. n. Chr. Die Angaben des Per. m. Erythr. über die Kornausfuhr nach dem Osten (Mommsen R. G. V 575 Anm.) bilden keine Ausnahme: diese Ausfuhr scheint ständig gewesen zu sein und ist einerseits für die Truppen (vgl. Exp. t. m. et g. 267 ed. Lumbr.: Constantinopolis ab ea quamplurime pascitur similiter et orientales partes), andererseits für die Unterhaltung der kaiserlichen Handelspolitik bestimmt (Peripl. m. Er. c. 17: εἰς δέ τινας τόπους οἶνος τε καὶ σῖτος οὐκ ὀλίγος οὐ πρὸς ἐργασίαν ἀλλὰ δαπάνης χάριν εἰς φιλανθρωπίαν τῶν βαρβάρων).
Die Provinzen des Ostens.
Über die Kornproduktion der Provinzen des Ostens wissen wir leider fast gar nichts. Die reiche Provinz Asien (Cic. de imp. Cn. Pomp. 14) scheint vorteilhaftere Kulturen getrieben zu haben, besonders den Weinbau (für die Zeit des Valens besitzen wir darüber ziemlich genaue Angaben in einer Inschrift aus Ephesos, Schulten Österr. Jahresh. IX 40ff.; dasselbe bestätigt die Exp. t. m. et g. 347 ed. Lumbr.; vgl. Chapot La prov. rom. d’Asie 268). Ebensowenig hören wir von einem starken Export; die Angaben darüber (z. B. Appian. bell. civ. V 67) sind zu allgemein, um darauf Schlüsse zu bauen (über den Getreideankauf in Asien, welcher Brutus und Cassius aufgetragen wurde, s. Drumann-Groebe I2 429). Noch weniger wissen wir über die andern asiatischen Provinzen: [138] nur zufällig hören wir von der Produktion Pisidiens (Lex de Thermoss., Bruns Fontes6 p. 97 Z. 37), und aus späterer Zeit von einer Kornsendung aus Pisidien nach Ägypten (Österr. Jahresh. 1901 Beibl. 37ff.). Viel Korn haben wohl auch die großen Domänen in Phrygien und Galatien (s. Hist. Aug. Tyr. tr. 18, 8: Galatia frumentis abundat) produziert. Wir erfahren aber darüber nichts Näheres. Die Expos. t. m. et g. nennt unter den asiatischen Ländern als sibi sufficientes Galatia, Pamphylia, Lycia, Lemnos (306. 337. 340. 573); Bithynien (Dio Chrys. or. XLVI 8. 10. 14) und Hellespontos werden besonders hervorgehoben (357. 350). Der von altersher berühmte thrakische Chersonnes wird zur kaiserlichen Domäne und hat wohl hauptsächlich Korn produziert (Wiskemann Die ant. Landw. 14f. Hirschfeld Klio II 303. Hist. Aug. Tyr. tr. 18, 8 referta est Thracia [frumentis]; dasselbe wird auch vom Illyricum gesagt). Auch Thessalien (Exp. t. m. et g. 385 multo abundans tritico) und Makedonien (Symm. ep. III 55, vgl. 82) werden erwähnt. Syrien und Phoinikien beginnen erst sehr spät als Kornprovinzen eine Rolle zu spielen (s. o.; vgl. die Darstellung zweier Provinzen [Syrien und Mesopotamien?] auf den Triumphreliefs des Kaisers Marc Aurel aus Ephesos; zwischen beiden steht ein mit Ähren gefüllter Korb; sie haben also das römische Heer verproviantiert, s. Ausstellung von Fundstücken aus Ephesos, Wien 1905, 8 nr. 7). Die Kornkammer Athens und Griechenlands, der Bosporos und die Nordküste des Pontus Euxinus, verlieren seit der hellenistischen Zeit an Bedeutung: die Eröffnung Ägyptens und die starke Kolonisation Asiens einerseits, die verwüstenden Barbarenzüge andererseits haben die Kornproduktion und den Kornhandel ruiniert; die politischen Städte selbst leiden an beständigem Kornmangel, wie die bekannte Protogenesinschrift zur Genüge zeigt (Dittenberger Syll.2 226). Die 2 100 000 Medimnen (12 600 000 Modii) der ehemaligen (unter Leukon) Ausfuhr allein nach Athen sind zu der Zeit Strabons ein längst vergangener Traum. Zu der Zeit des Mithradates bezahlen die Gegenden um Theodosia und die Sindike nur 180 000 Medimnen als Naturalabgabe (Strab. VII 311, vgl. 307), und in den späteren Zeiten hören wir von einer regen Kornausfuhr gar nichts. Die Angabe der Inschrift des Plautius Silvanus (CIL XIV 3608[5] = Dessau 986), daß er im J. 57 n. Chr. primus ex ea provincia (Moesia) magno tritici modo annonam p. R. adlevavit (vgl. Cass. Dio LXXIII 2, 2 Kornabgaben der Markomannen unter Commodus), bezieht sich wohl auf die Donau- und Pontusgegend überhaupt und läßt keine weiteren Schlüsse zu. Die Ausfuhr nach Rom ist auch danach eine seltene Ausnahme. Im 2. Jhdt. n. Chr. hat sich die Lage der Pontuskolonien wohl gebessert, aber die Ausfuhr ging wohl nicht über Griechenland hinaus. Nachdem Konstantinopel zur Hauptstadt geworden ist, geht die Ausfuhr der Pontuskolonien hauptsächlich dahin (s. o.; vgl. die Inschrift von Abydos Dittenberger Or. gr. 521, 29–31 und Schestakow im Journal des Minist. der Volksaufkl. [russ.] 1906, 145ff.).
Die Provinzen des Westens.
Als die reichste Provinz des Westens galt neben Afrika [139] und Sizilien Spanien. Der Kornreichtum Spaniens, hauptsächlich der Baetica, ist uns von Strabon bezeugt (Strab. III 144, vgl. Cic. p. Balbo 40) und durch spätere Zeugnisse bestätigt (CIL II 1168.[6] 1169 und bes. 1197, s. u.; vgl. Cass. Dio LX 24, 5. Claud. in Eutrop. I 405ff. Symm. rel. 37). Ein Teil wenigstens der Amphoren, deren Scherben den Monte Testaccio von Rom bilden, kam sicherlich nach Rom mit Korn gefüllt (Rostowzew Staatspacht 429). Besonders stark war aber die Ölproduktion Spaniens, was auch auf den Münzen hervortritt (Strab. a. a. O. Exp. t. m. et g. 490ff. ed. Lumbr. CIL II 1180.[7] Cohen II 110 nr. 37ff. 175 nr. 821ff. 211 nr. 1258ff.). Noch weniger ist es uns bekannt, wie weit der Kornbau in Gallien verbreitet war. Einige epigraphische Zeugnisse gestatten es, einen ziemlich regen Export von Cerealien nach Rom vorauszusetzen (CIL XII 672,[8] vgl. Dessau 6987. Barot Rev. arch. 1905, 262ff. CIL XIII 1972).[9]
II. Kornhandel.
Für eine Geschichte des Kornhandels in der römischen Welt fehlt es fast vollständig an exakten Daten. Was wir wissen, sind teils Allgemeinheiten, teils abgerissene Zeugnisse aus verschiedenen Zeiten und Gegenden. An statistischem Material fehlt es vollständig. Wie bekannt, konvergiert der Weltkornhandel im 5. und 4. Jhdt. v. Chr. (s. Σῖτος) nach dem Bassin des Aegeischen Meeres, hauptsächlich nach den großen Industrie- und Handelsstädten, unter welchen Athen eine hervorragende Rolle spielte. Die Pontusgegenden und Sizilien, später auch Ägypten, waren die Hauptausfuhrstätten (Perrot Le commerce des céréales en Attique, Rev. hist. IV 1ff. H. Francotte Le pain à bon marché et le pain gratuit dans les cités grecques, Mélanges Nicole 135ff.). In der hellenistischen Zeit unterliegt der Pontushandel den Barbareneinfällen einerseits, dem Druck der asiatischen, thrakischen (s. die Münzen des thrakischen Chersonnesus, besonders die von Lysimacheia, Αἰγὸς Ποταμοὶ, Kardia, Krithote u. a., welche seit dem 4. Jhdt. als gewöhnlichen Typus der Rs. die Darstellung einer Ähre oder der Demeter mit der Ähre aufweisen, Head-Svoronos Hist. num. I 326ff. Babelon Corolla numismatica zu Ehren von Barclay S. Head [Oxf. 1906], 7) und ägyptischen Konkurrenz andererseits; auch Sizilien wird durch Rom und Italien dem griechischen Kornmarkte entzogen. Ägypten tritt entschieden an die Spitze der Kornländer, und vieles in der Geschichte des Hellenismus erklärt sich aus der Wichtigkeit des Landes der Ptolemaeer für den Weltkornmarkt; je nach den politischen Kombinationen öffneten oder schlossen sich ja die reichen Ptolemaeischen Kornspeicher (z. B. unter Ptolemaeus I. die Beziehungen zu Rhodos Diod. XX 81, vgl. die Rolle des Kornes in den Geschenken nach dem Erdbeben im J. 216. Polyb. V 88, oder zu Athen, z. B. die Geschenke in den Jahren der großen Hungersnot, Dittenberger Syll.2 193. 213; unter Ptolemaeus II. die Bitte Roms um eine Kornsendung, Polyb. IX 11 a [44]; das Geschenk an Heraklea, Memnon, 25. Dion. Byz. frg. 41. Bouché-Leclercq Histoire des Lagides I 198, 3; vgl. die Bitten Athens aus dem J. 169 v. Chr. Polyb. XXVIII 19 [16]; aus demselben J. 169 v. Chr. stammt das Korngeschenk [140] des Ptolemaeus Philometor an das in Chalkis stationierte römische Geschwader, Dittenberger Or. gr. 760, Foucart Mém. de l'Inst. de France XXXVII 2, 344ff.). Die ewige Sorge jeder griechischen Stadt war, gerade in dieser Zeit, eine womöglich feste Sicherung der städtischen Kornversorgung. Die große samische Urkunde aus dem 1. Jhdt. v. Chr. ist für diese Verhältnisse gerade charakteristisch (S.-Ber. Akad. Berl. 1904, 917ff.). Man hätte an das in der Inschrift fixierte komplizierte System der Kornversorgung gar nicht gedacht, wenn der freie Handel eine regelmäßige Zufuhr irgendwie mit Sicherheit einzurichten imstande gewesen wäre. Die Bedingungen des Handels waren aber nicht gerade derart, daß sie in irgend welcher Weise den Abnehmern ein sicheres Vertrauen hätten einflößen können. Die Öffnung oder Schließung der großen Kornmärkte wie Ägypten oder Asien je nach den Bedürfnissen oder politischen Kombinationen der hellenistischen Herrscher, die Unsicherheit der weiten Zufuhr aus dem Pontus, die Belastung des Handels mit Zöllen, wie die des Bosporos und der Dardanellen (nach dem Vorgang Athens, Dittenberger Syll.2 221), die großen Preisschwankungen, die mit Gewalt durchgesetzten Maßregeln einiger stärkerer Städte, um die Zufuhr nach ihren Häfen zu lenken – die Nachklänge der athenischen Politik des 5.–4. Jhdts. v. Chr. –, die inneren Maßregeln der hellenistischen Herrscher und Städte (Dittenberger Syll.2 177 § 10 Z. 72–102, vgl. Köhler S.-Ber. Akad. Berl. 1898, 841ff.), welche den freien Export lahmlegten (vgl. Dittenberger Syll.2 461, der Eid der Chersonesiten), die öfters unzureichenden Quantitäten des im Gebiet des Hellenismus produzierten Getreides (als Beispiel mögen die Hungersnöte in Ägypten gelten, z. B. die im kanopischen Dekret erwähnte, Dittenberger Or. gr. 56, vgl. Athen. V 209 b, oder die vom J. 43/42 v. Chr., Dittenberger Or. gr. 194, 2) machten den Kornhandel unregelmäßig und unsicher. Dieselbe Unsicherheit herrschte auch im westlichen Gebiet der Mittelmeerländer, obwohl hier hinsichtlich der Regelung der Kornversorgung Italiens dank der noch immer reichen Produktion Italiens selbst und der Monopolisierung Siziliens und Sardiniens seit dem 2. Jhdt. v. Chr. die Verhältnisse günstiger lagen. Die geschilderte Unsicherheit des Handels zwang die Städte im Mittelmeergebiet, sobald die Mittel des Stadtterritoriums mit dem Wachstum der Stadt nicht mehr ausreichten, zu allerlei Hilfsmitteln zu greifen, um ihre Bürger nicht verhungern zu lassen. Daher einerseits allerlei Privilegien, welche den Kornhändlern oktroyiert wurden (z. B. IG VII 4262 [Oropos]. Dittenberger Syll.2 547. 548, vgl. Francotte Mélanges Nicole 138, 3), daher andererseits Zwangsmaßregeln, um dieselben mit Gewalt an eine bestimmte Stadt zu binden, daher auch eine Staatskonkurrenz, welche in staatlichen Einkäufen und Verkäufen, in Thesaurierung des Abgabengetreides sich äußerte (s. u.). Diese Verhältnisse sind für die meisten freien Großstädte der hellenistischen Welt typisch. Alle litten unter denselben Übeln und griffen zu denselben Mitteln, um den wunden Punkt der städtischen Wirtschaft zu heilen. Diese Mittel aber waren nur zu oft gegen den freien [141] Kornhandel und die freie Konkurrenz gerichtet und demgemäß nicht gerade fördernd für sein Gedeihen und seine weitere Entwicklung.
Rom bildete in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Je größer die Stadt wurde, desto schwerer lastete die Kornfrage auf der Regierung. Akut wurde sie, seitdem der Staat unter dem Drucke der demokratischen Ideen sich gezwungen sah, Kornverteilungen an die Bevölkerung der Stadt einzurichten. Natürlich reichten die Kornrevenuen und die Kornvorräte des Staates nur für die näheren Zwecke des Staates aus, an einen Verkauf oder gar an ein Kornmonopol des Staates war selbstverständlich gar nicht zu denken. In der Regel versorgte der freie Kornhandel die Stadt Rom mit Getreide. Diesen Kornhandel hatten wohl die römischen Ritter in ihren Händen (die Senatoren waren bekanntlich von jedem Handel en gros ausgeschlossen). Als Pächter der stipendia und der Naturalabgaben, als Pächter größerer Komplexe des Ager publicus, vereinigten sie in ihren Händen große Mengen von Naturalprodukten, darunter natürlich auch von Getreide. Als Beispiele mögen folgende uns näher bekannte Fälle dienen. Falcidius nahm für eine gewisse Summe die fructus Trallianorum in Pacht (Cic. p. Fl. 91ff.); daß fructus konkret als Naturalabgabe zu verstehen sind, bezeugt die Lex de Term. II Z. 37, wo vom Transport solcher, den Publicanen gehörenden fructus die Rede ist (vgl. Cic. de imp. Cn. Pomp. 16; de prov. cons. 10; Brut. 85). In den Verrinen wird mehrmals von dem Gewinne der decumani geredet; dieser Gewinn bestand natürlich in größeren Kornmengen (Cic. Verr. II 3, 99. 100. 111. Carcopino Mélanges de l’éc. de Rome 1905, 412). Alle diese Kornmengen speisten den Kornhandel und zogen Kornspekulanten en gros auf. Solche Spekulanten waren wohl, wenigstens teilweise, die in Vaga – dem Zentrum der Kornproduktion Afrikas – ermordeten römischen Bürger (Sall. Iug. 47); als solche müssen auch die Kaufleute aus Thysdrus, welche ihre Kornvorräte Caesar zur Disposition stellten (Caes. bell. Afr. 36), und der C. Fufius Cita, welchen Caesar an die Spitze der Kornversorgung seines Heeres in Gallien stellte (Caes. bell. Gall. VII 3), angesehen werden (Cagnat bei Daremberg-Saglio Dict. IV 1, 46). Als Kornspekulant erscheint auch Cn. Pandosinus (oder aus Pandosia) in dem S. C. de Thisbens. aus dem J. 171 (IG VII 2225 B VII. Foucart Mém. de l’Inst. de France XXXVII 2. 342). Diese großen Kornhändler versorgen Rom mit dem nötigen Getreide, und wenn Krieg oder Piraterie ihre Tätigkeit lahmlegen (ausdrücklich werden die Kornhändler bei solcher Gelegenheit von Appian. bell. civ. V 67 erwähnt) oder sie selbst von vorteilhafteren Konjunkturen verlockt ihre Vorräte anderswohin als nach Rom dirigieren (Cic. de domo 11), so entsteht in Rom die Gefahr eines Kornmangels oder sogar einer Hungersnot. Die Bedingungen, unter welchen der Kornhandel seine Tätigkeit entfalten mußte, können wahrlich nicht besonders günstig genannt werden. Der Seetransport war gefahrvoll, die Preise schwankend; man konnte nie sicher sein, zu welchen Preisen man das Korn in Rom werde abgeben müssen (s. z. B. Liv. XXX 38). Auch war man keineswegs vor [142] der Einmischung des Staates sicher. Den Druck dieser Verhältnisse konnten auch die römischen Kornspekulanten, welche wohl öfters oder meistens das Produkt selbst zu billigsten Preisen erstanden, nicht immer aushalten, und es ist nur natürlich, wenn sie größere und kleinere Kartelle bildeten, um die Preise bei günstiger Gelegenheit in die Höhe zu treiben (dies heißt technisch dardanariatus, s. d.), was aber natürlich gesetzlich verboten und verpönt war (Liv. XXXVIII 35, 5).
Selbst diese abgerissenen und zufälligen Notizen geben uns eine ziemlich begründete Vorstellung von der regen Tätigkeit, welche in dem Kornhandel der republikanischen Zeit, besonders im 1. Jhdt. v. Chr., herrschte. Nicht viel anders war es in der ersten Kaiserzeit. Sowohl der Import nach Rom wie der Handel in den Provinzen muß lebhaft betrieben worden sein. Obwohl seit Augustus Ägypten sein Abgabenkorn zum sizilischen, sardinischen, spanischen und afrikanischen gesellte, genügte diese Einfuhr für die Bedürfnisse des Staates wohl nur ganz knapp. Denn außer der plebs frumentaria mußte man die ganze Hofverwaltung einerseits, die Praetorianer andererseits mit Korn versorgen und zu jeder Zeit bereit sein, große Massen von Getreide zur Regelung der Preise auf den Markt zu werfen. So hat sich der Staat bei normalen Verhältnissen wohl nur wenig durch Kornverkäufe in den Getreidehandel eingemischt; das, was in dieser Hinsicht über Augustus und die späteren Kaiser berichtet wird, sind Ausnahmefälle, welche öfters oder seltener vorkamen (Hirschfeld Philol. XXIX 22. Cardinali Frumentatio [aus dem Diz. ep.] 41). Auch das Verbot der Ausfuhr aus Ägypten (s. o.) ist nicht als Monopolisierung des Getreidehandels durch den Staat aufzufassen; es ist nur ein Vorrecht, das man für Rom reservierte; der auswärtige Handel wird damit nicht ausgeschlossen, nur mußte jeder Händler seine Vorräte hauptsächlich nach Rom senden und durfte dieselben nur mit besonderer Erlaubnis in andere Konsumorte dirigieren. Bei dieser Erklärung ist die Ausfuhr des Getreides in die Häfen des Roten Meeres (Peripl. mar. Erythr. 7. 17. 24. 28. 56. Mommsen R. G. V 579. Lumbroso L’Egitto2 125f. Chwostow Die Entwickl. d. äußeren Handels Ägyptens [russ.] 162f., wo alle Stellen verzeichnet und besprochen sind) sowie die oben verzeichneten Erlaubnisse des Korneinkaufs in Ägypten verständlich. Der Innenhandel in Ägypten wie auch in den anderen Provinzen ward natürlich zu jeder Zeit aufs lebhafteste betrieben (s. u. über die Preise und C. Pap. Herm. 8II; die Ausfuhr nach den Oasen ist wohl auch als Innenhandel aufzufassen, s. die Zoll- und Gebührquittungen zuletzt bei Wessely Kar. und Sokn. N. 36ff.).
Der Handel war und blieb das Hauptmittel, die Stadt Rom mit Getreide zu versorgen, was durch mehrere wichtige Zeugnisse außer Zweifel gestellt wird. So spricht z. B. Seneca von der Abhängigkeit der Bevölkerung Roms von den privaten Kornhändlern, welche das Getreide importieren (Sen. de benef. VI 14, 3–4). Dasselbe bezeugen uns mehrere Inschriften (Waltzing Corp. prof. II 103ff., vgl. III 329. 330. 596. IV 32 nr. 83. Cardinali Frumentatio 80). Unter [143] diesen Inschriften hebe ich CIL XIV 2852[1] = Buecheler Carm. ep. 249 (vom J. 136 n. Chr.) hervor. Der hier gerühmte Kornhändler hat einen lebhaften Kornhandel getrieben: er importiert Getreide sowohl aus den Provinzen auf dem Seeweg, wie aus den benachbarten Gegenden von Umbrien und Etrurien; er stellt die Preise des Produktes je nach den Sorten fest. Nicht weniger interessant ist die Inschrift von Ostia CIL XIV 4234[10] = Dessau 3417. Der hier erwähnte Kornhändler trägt ein kleinasiatisches Cognomen (vgl. die Inschrift aus Magnesia Bull. hell. 1894, 10); vielleicht hat er auf dem Wege des Kornhandels sein Bürgerrecht erworben. Diese Kornhändler bilden starke und für die annona wichtige Collegien, welche mit der Annonaverwaltung in ziemlich engen Beziehungen stehen (Waltzing a. a. O. II 107. 401f.; vgl. Art. Collegium).
Das Verhalten der Kaiser zu diesem Handel ist höchst charakteristisch (Hirschfeld Philol. XXIX 23. Waltzing a. a. O. II 401f.). Es war eine schwierige Aufgabe, einerseits die Kornpreise in Rom auf mäßiger Höhe zu erhalten, andererseits die Interessen der Kornhändler nicht zu schädigen. In welcher Weise Augustus das Problem gelöst hat, wissen wir nicht genauer, Sueton (Aug. 42) berichtet nur ganz allgemein, er hätte es verstanden, die Interessen des Volkes einerseits und die der Kornhändler und Kornbauer andererseits zu versöhnen. Tiber zahlte den Kornhändlern nötigenfalls einen ziemlich hohen Zuschlag zu dem von ihm festgesetzten Preise aus (Tac. ann. II 87). Zu anderen Mitteln rekurrierten Claudius und Nero. Claudius (Suet. Claud. 18) ersetzte den Kornhändlern die Kosten ihrer bei dem Getreideimport erlittenen Havarien und verlieh den römischen und latinischen Bürgern, welche für Zwecke des Kornhandels Schiffe bauten, wichtige Privilegien (vgl. Gai. Inst. I 32 c). Nero, welcher bei der Regelung der Kornpreise ziemlich rücksichtslos verfuhr (Tac. ann. XV 39, vgl. die analoge Maßregel des Honorius Zos. VI 11), gab den Schiffen der provinzialen Kornhändler eine Immunität von der direkten Steuer (Tac. ann. XIII 51). Spätere Kaiser erweiterten und bestätigten diese Vorrechte: Traian wird als Förderer des freien Kornhandels gerühmt (Plin. pan. 29), ebenso verfuhr Severus Alexander (Hist. Aug. Alex. Sev. 22. 32, vgl. Dig. L 6, 6, 3. 7–8). Auch in den Zeiten des sinkenden Reiches änderte sich in dieser Hinsicht nur weniges: sichere Zeugnisse reden uns von der Existenz eines freien Kornhandels sowohl in den Hauptstädten, wie in den Provinzen (Cod. Theod. XIII 5, 16, 2. XIV 22. Cod. Iust. IV 61, 6. Waltzing a. a. O. II 57, 7. 106, 7; vgl. die schon oben angeführte Angabe aus dem Ed. Iust. de u. Al. V und über den Innenhandel Cod. Iust. X 27, 11 [J. 491 n. Chr.], Iul. Misop. 369 C–D. Cassiod. var. I 34 u. ö.).
III. Kornpreise.
Eine Berechnung der Kornpreise im römischen Reiche entsprechend den Forderungen der modernen Wissenschaft ist eine unlösbare Aufgabe. Statistisches Material, sowie Angaben über Transportkosten, Handelsbedingungen und Ähnliches fehlen uns fast vollständig. Nur selten bekommen wir eine Preisangabe, welche zur Berechnung des Durchschnittspreises verwendet werden kann, [144] meistens beziehen sich die Angaben entweder auf Hungersnotpreise oder auf Preise, welche aus irgend einem Grunde hervorragend niedrig waren. Zu bemerken ist noch, daß auch die angeblichen Durchschnittspreise selten einwandfrei sind: bei den starken Preisveränderungen nicht nur im Laufe zweier aufeinanderfolgenden Jahre, sondern auch im Laufe eines und desselben Jahres, je nach der Entfernung von der Erntezeit, weiß man nur selten, was für einen Preis man vor Augen hat (vgl. Rodbertus in Hildebrands Jahrb. XIV 356f. und bes. 402ff.). Die komplizierten Fragen über den Wert der Münze in verschiedenen Zeiten und die Berechnung der Maße, sowie die Unmöglichkeit, in den meisten Fällen die Kornpreise mit den gleichzeitigen Preisen anderer Produkte und den Lohntaxen in derselben Gegend zu vergleichen, machen die Aufgabe noch schwieriger. Wahrscheinlich kommt bald eine bessere Zeit für solche Untersuchungen: die ägyptischen Papyri haben uns schon jetzt einiges wichtige Material geliefert und die Auffindung des Kornpreises in dem Diocletianischen Edikte läßt uns auf einen Fortschritt auch in diesem Studiengebiet hoffen. Ich kann im Rahmen dieses Artikels keineswegs versuchen, die angegebene schwierige Aufgabe zu lösen, dazu bedarf es weitläufiger Untersuchungen. Ich begnüge mich damit, die überlieferten Angaben kritisch je nach der Zeit und dem Orte zusammenzustellen. Dabei scheide ich scharf zwischen den Produktionsländcrn und denjenigen, welche vom importierten Korn lebten, hauptsächlich Rom. Ich beginne mit den ersteren.
Ägypten.
Über die Kornpreise in Ägypten in der Ptolemaeischen Zeit besitzen wir ziemlich reichhaltige Nachrichten. Darauf kann ich aber leider nicht eingehen und verweise auf die vorhandenen Zusammenstellungen dieser Angaben (Lumbroso Recherches sur l'écon. pol. etc. 1ff. Robiou Mémoire sur l’écon. pol. etc. 91ff. Corsetti in den Studi di st. ant. II 1893, 79ff. Salluzzi Riv. di st. ant. VI 1901, 32ff. Wilcken Ostraka I 667f. H. Maspero Les finances de l'Egypte [Paris 1905] 31ff. Pap. Th. Reinach 37f. W. Otto Priester und Tempel im hell. Aeg. 378, 2, im allgemeinen s. Beloch Gr. Gesch. III 319ff.) und den Art. Σῖτος. Ein fester Durchschnittspreis läßt sich leider nicht festsetzen: man kann nie sicher sein, in welchem Verhältnisse im gegebenen Jahre das Silber zum Erz stand, und ist in den meisten Fällen im Zweifel darüber, welche Artabe in dem Dokumente gemeint ist. Weniger Daten haben wir aus der römischen Zeit. Die Schwierigkeiten der Forschung bleiben in Betreff der Bemessung der verschiedenen Artaben dieselben, etwas leichter wird es für die ersten zwei Jahrhunderte n. Chr. mit dem Gelde, obwohl auch hier eine noch nicht endgültig gelöste Kontroverse über das Verhältnis des römischen Denars zur ägyptischen Tetradrachme schwebt (s. Mommsen Arch. f. Pap. II 273ff. Hultsch Art. Drachme o. Bd. V S. 1631). Gute Angaben liefert uns zuerst das berühmte Wirtschaftsbuch von Hermupolis aus dem J. 78/79 (Pap. Lond. I 131 p. 175ff.). Hier finden wir für den Monat Φαῶφι (Oktober) einen Preis von 10 Drachmen Silber (p. 175 Z. 177. 178. 181). Im Januar (p. 180 Z. 360. 361) ist der Preis 11 Drachmen und auf derselben [145] Höhe verbleibt er im Februar (p. 188 Z. 454. 455). Bei der Beurteilung des Preises muß man diese Monatsangaben im Auge behalten: die Verkäufe fallen auf weit von der vorigen Ernte entfernte Monate. Demnach wird der erste Preis dem normalen näher stehen als der zweite. Nehmen wir nun die Artabe 31/3 röm. Medien gleich, was keineswegs sicher ist, und rechnen wir mit Mommsen die Silberdrachme zu 1/4 röm. Denar, so bekommen wir für den Modins (8,75 l) einen Preis von 3 Sesterzien (etwas über 0,62 Mark nach der Berechnung Hultschs o. Bd. V S. 1631). Im August des J. 125 n. Chr. kostet eine Artabe (μέτρῳ δημοσίω, über die Höhe desselben s. Mitteis Pap. Lips. p. 255) Weizen nach offizieller Berechnung 7 Drachmen 1 Obole, also ein Modius etwa 21/3 Sesterzien (BGU 834). Im J. 162 kostet eine Artabe nach der Berechnung der Herausgeber der Fayûmpapyri etwa 81/3 Drachmen (Fay. Pap. p. 299ff.) Im 3. Jhdt. steigert sich mit der Verschlechterung der Münze der Preis beträchtlich: im J. 255 n. Chr. (BGU 14 II 14) kostet im Monat Mesore (Juli/August) eine Artabe Weizen 16 Drachmen (die Rechnung geht nach Talenten von 6000 Dr.). Noch höher wird sie in einem Dokument, wohl aus dem 3. Jhdt. (Gr. Pap. I 51, 10) bewertet, nämlich zu 19 Drachmen 3 Obolen. Der Verfall des Geldwesens im 4. Jhdt. bringt die Artabe auf den enormen Preis von 50 Talenten (Pap. Lond. II 427 p. 312). Zum Vergleich mögen folgende nur exemplifikatorisch gewählte Angaben über die Lohnpreise dienen. In demselben Papyrus aus Hermupolis wird der Arbeiterlohn der Feldarbeiter auf 3–4 Obolen pro Tag angesetzt, etwa im J. 105 n. Chr. (Fay. Pap. 102) auf 6 Obolen, im J. 125/126 n. Chr. auf 9 Obolen (Fay. Pap. 331), im 2. Jhdt. n. Chr. 11/2 Drachmen für Feldarbeiten (Pap. Lips. 91), also keineswegs stabile Verhältnisse; die Ursachen dieser Schwankungen können wir leider nicht erraten. Ebenso schwankend sind die Lohntaxen in der erwähnten Rechnung vom J. 255 n. Chr. (BGU 14): 4, 6 und 9 Drachmen pro Tag sind überliefert, allerdings für verschiedene Leistungen. Auf andere erläuternde Preisangaben muß ich leider verzichten (vgl. Wessely Karanis und Soknopaiu Nesos 17ff.). Zu verzeichnen ist noch der im Ed. Iust. de u. Alex. c. VI. XXIV überlieferte Weizenpreis von 1 Solidus für 10 Modien (1/3 Solidus für 1 Artabe). Es handelt sich aber um einen Strafpreis, wie in manchen Ptolemaeischen Dokumenten (Pap. Th. Reinach p. 37), welcher natürlich viel höher ist, als der geläufige Marktpreis.
Sizilien.
Für Sizilien besitzen wir für eine allerdings kurze Zeitfrist genaue und zuverlässige Angaben (zuletzt zusammengestellt und erläutert von Corsetti St. di st. ant. II 89ff. Carcopino in Vierteljahrschr. für Soz. u. Wirtschaftsg. IV 1905, 192ff.; vgl. Rodbertus in Hildebrands Jahrb. XV 215ff.). Es ist die Zeit der Praetur von Verres. Die Preise waren in dieser Zeit nicht hoch: ihre Niedrigkeit rühmt Verres, und Cicero gibt es ihm zu (Cic. Verr. II 3, 174), auch waren sie ziemlich stabil, obwohl nicht überall gleich. Im ager Liparensis beliefen sie sich auf 21/2 Sesterzien der Modius (Cic. Verr. II 3, 84), im Gebiet von Petra auf ebenfalls 21/2 Sesterzien (ebd. 90), dasselbe in Halaesa (ebd. 173, vgl. 174. 191). In Agyrium dagegen steht das Korn über 3 Sesterzien [146] (ebd. 72, vgl. Carcopino a. a. O. 143), und der Preis der alterae decumae wird auf eben diese Summe vom Staat fixiert (ebd. 163), der Preis des imperatum sogar auf 31/2 Sesterzien (ebd.) und des aestimatum auf 4 Sesterzien (ebd. 188, vgl. 5, 82; der Unterschied erklärt sich wohl dadurch, daß die beiden letzteren Arten später und in geringeren Quantitäten erhoben wurden). Auch 2 Sesterzien ist ein unter Verres nicht unerhörter Preis (ebd. 174). Der Preis schwankt also zwischen 2 und 3 Sesterzien, wie Cicero selbst angibt (ebd. 194). Als Mittel kann also 21/2 Sesterzien angesehen werden, beinahe 69 Pfennig. Nach den Berechnungen von Willers (Rh. Mus. LX 1905, 360) kostet ein Modius Weizen jetzt in Deutschland 1301/5 Pfg., für 1 Denar konnte man also in Sizilien beinahe 14 Liter Weizen haben, welche Quantität in Deutschland 2 Mark 81/2 Pfennig kostet. Nun aber kann der oben angegebene Mittelpreis keinesfalls als Durchschnittspreis gelten (Rodbertus a. a. O.), denn die Schwankungen der Preise waren in Sizilien, wie in der ganzen alten Welt, außerordentlich groß. Einmal je nach der Saison (s. Cic. Verr. II 3, 215 und den lehrreichen Fall vom J. 74, wo der Modius vor der Ernte 5 Denare kostete, nach derselben summa vilitas herrschte, Cic. a. a. O. 214–215), dann je nach dem Ausfall der Ernte, wobei eine gute Ernte stark auf die Preise drückte, eine schlechte sie ungemein in die Höhe trieb (Cic. Verr. II 3, 227). Lehrreich ist in dieser Hinsicht die zweijährige Praetur des Sex. Peducaeus: im ersten Jahr waren die Preise ungemein niedrig, im anderen ebenso hoch (Cic. a. a. O. 216: vgl. mehrere andere Fälle, darunter den von Ammian. Marc. XXVIII 1, 18 [J. 368] aus Afrika berichteten, wo die Preise von 1/10 Solidus auf 1/40 oder 1/50 fallen).
Spanien.
Fast gar keine Daten haben wir über Spanien. In Polybios Zeiten herrscht da (nämlich in Lusitanien) nach seiner Angabe eine ganz außerordentliche Billigkeit: ein Medimnus Weizen kostet 9 alexandrinische Obolen, d. h. 11/2 Denare (Corsetti a. a. O. 89), 1 Modius also 1 Sesterz. Die Ursache dieser Billigkeit wird dieselbe sein, wie in Norditalien zu derselben Zeit (Polyb. II 15): die wenig günstigen Exportverhältnisse und der schwache Verkehr mit dem Weltmarkte. Ebendeshalb ist auch zu Martials Zeiten der Weizen in Bilbilis (Celtiberien) so billig (4 Asse der Modius, was aber sicher ein Ausnahmepreis ist. Mart. XII 76. Friedländer z. d. St. und Ind. lect. Acad. Albert. 1866 De pretiis frumenti apud Romanos). Die Angaben in der Alimentationsinschrift CIL II 1174[11] (aus Hispalis J. 101 n. Chr.) liefern kein brauchbares Material (vgl. Barbagallo Riv. di stor. ant. X 1905. 62); 21/2 Sesterzien können doch nicht den für einen Knaben nötigen Bedarf an Getreide decken.
Afrika.
Einiges aus Afrika ist uns aus dem 4. und 5. Jhdt. n. Chr. überliefert. Ammianus Marcellinus (XXVIII 1, 18) erzählt uns den Fall des Hymettius, welcher im J. 368 Proconsul in Afrika war. Dieser verkaufte zur Zeit einer Hungersnot den Modius Getreide an die Bevölkerung Karthagos für den Preis von 1/10 Solidus, füllte dann die Staatsspeicher im folgenden Jahr mit Korn, welches er zu dem Preis von 1/30 Solidus [147] pro Modius einkaufte, und übergab den Gewinn der Staatskasse. Der Vergleich mit dem Marktpreise (nundinatio) ergab aber für den Kaiser Valentinianus, daß der Preis von 1/30 zu hoch war. 81 Jahre später, im J. 443 (Nov. Valent. III 18, 1, 4), treffen wir ebenfalls in Afrika beinahe denselben Preis als offiziellen Preis für die adaeratio und als Taxe für die Soldateneinkäufe in der Provinz, kaum ein Spottpreis, wie Mommsen meint (Ber. d. sächs. Ges. III 1851, 78). Nach diesen Zeugnissen können wir den Preis von 1/40 Solidus als einen in Afrika häufig vorkommenden, aber billigen Preis ansehen (also beinahe 32 Pfennig). Die Alimentationsinschrift aus Sicca Veneria (CIL VIII 1641)[12] liefert wie die oben erwähnte aus Spanien kein brauchbares Material (Barbagallo a. a. O. 62).
Östliche Provinzen.
Ebenso dürftig sind die Zeugnisse für die östlichen Provinzen, welche, wie wir gesehen haben, meistens keine Exportländer waren. Auch hier sind wir nur für die späteren Zeiten unterrichtet, denn die Angabe des Eusebius (Chron. II 152 ed. Schöne) vom J. 49 über einen Hungersnotpreis liefert trotz der Bemühungen Barbagallos kein brauchbares Material (Barbagallo a. a. O. 33ff.; seine Tabelle auf S. 37 ist erstens unvollständig, zweitens berechtigt sie keineswegs zu der Annahme, daß in Hungerzeiten die Preise etwa auf das Sechsfache steigen: ich glaube nicht, daß man hier irgend ein Gesetz herausschälen kann oder eine Media feststellen darf), ebensowenig sind Schlüsse aus Cic. ep. XII 13 (J. 43 v. Chr.) zu ziehen: wir wissen sogar nicht, ob bei dem Preise von 12 Drachmen der Modius oder der Medimnus gemeint ist (das letztere meint Dureau de la Malle Écon. polit. I 106). Für die Zeit Diocletians haben wir die Angabe im Diocletianischen Tarif: in dem neuen frg. Aegiraticum prius steht σείτου k(astrensis) mo(dius) A–*P (100) (damit fällt die Berechnung von Seeck Gesch. des Unt. d. ant. Welt I2 567 Anm. zu 380, 28). Dieser Preis ist derselben Art, wie der oben angeführte vom J. 443. Ob er eine sorgfältig ausgerechnete Media vorstellt, ist eine kaum zu bejahende Frage. Diocletian hatte eher die im Osten zu seiner Zeit herrschenden Preise im Auge. Der angeführte Getreidepreis bestätigt die von Mommsen gegebene Berechnung des Denarwertes auf 1,827 Pfennig (auf Grund des Fragmentes von Elatea, Mommsen und Blümner Der Maximaltarif 59, vgl. Th. Reinach Rev. num. 1900, 429ff.); danach kostete also der einfache Modius nach unserer Rechnung 91 Pfennig. Bei diesem Preis muß man bedenken, daß der Tarif hauptsächlich Länder mit verhältnismäßig armer Kornproduktion berücksichtigt, eher Import- als Exportländer. Eine andere Angabe besitzen wir in Iul. Misop. 369 B f.: bei einer bevorstehenden Hungersnot, wo der Modius Weizen in Antiochia auf 1/10 Solidus gestiegen war, verkaufte Iulian das aus seinen Domänen (hauptsächlich aus Ägypten) importierte Korn für 1/15 Solidus, d. h. beinahe 85 Pfennig, ein Preis, welcher dem des Tarifs sehr nahe kommt.
Italien.
Nun wenden wir uns nach Italien. Die fabelhaft niedrigen Preise in Norditalien (4 Asse der Medimnus = 6 Modien Weizen) zur Zeit des Polybios (II 15) können nur als Lokalpreise bei trefflicher Ernte und sehr ungünstigen Exportverhältnissen [148] in einem sehr fruchtbaren und nicht stark bevölkerten Lande angesehen werden (Babelon C. R. de l’acad. d. inscr. 1906, 465f. erklärt die 4 Asse als Libralasse, also 43/4 Denare). Die spätere Zeit liefert uns Zeugnisse für Nord- und Mittelitalien. Ich meine die bekannten Alimentarinschriften von Veleia (CIL XI 1146)[13] und Terracina (CIL X 6328).[14] Es ist höchst wahrscheinlich, daß die Summen, welche den zu unterhaltenden Kindern assigniert wurden, nach demselben Maßstab wie die Versorgung der römischen Bürger mit Korn berechnet wurden, und daß demnach die pro Monat auszuzahlenden Summen etwa monatlichen 5 Modien Weizen entsprochen haben (Friedländer De pretiis frumenti [Ind. lect. Acad. Alb. 1866] nimmt 4 Modien an, vgl. denselben in Hildebrands Jahrb. XII 308. Barbagallo Riv. di stor. ant. X 1905, 55ff. gegen Rodbertus in Hildebrands Jahrb. XIV 405ff. und die oben unter Alimentarii pueri verzeichnete Literatur, dazu die bei Hirschfeld Verwaltungsb.2 213 Anm. angeführten Schriften); dieselben sind aber in Terracina (aus nicht näher zu bestimmender Zeit nach 97 n. Chr., wohl noch traianisch) 5 Denare für Knaben, 4 Denare für Mädchen, in Veleia (98–117 n. Chr.) 16 Sesterzien für legitime Knaben, 12 für Mädchen (bezw. 12–10 für illegitime), was auf einen Preis nicht über einen Denar (4 Sest.) für Terracina, nicht über 3 Sesterzien für Veleia, wahrscheinlich aber einen noch niedrigeren schließen läßt. Als ein ziemlich hoher Preis ist auch der von 1 Denar pro Modius, zu welchem im Forum Sempronii (in Umbrien) das Korn von einem Wohltäter während einer Kornnot verteilt wurde (CIL XI 6117,[15] wohl 2. Jhdt. n. Chr.), anzusehen. Danach ergibt sich für Mittel- und Norditalien ein Preis von nicht über 1 Denar der Modius in gewöhnlichen Zeiten.
Rom.
Auch für Rom haben wir leider nur ganz wenige Daten. Aus der republikanischen Zeit besitzen wir nur Angaben über die Preise, zu welchen der Staat sein Korn an die Bürger verkaufte. Abgesehen von den Preisen von 1 und 2 Assen für den Modius (J. 250, Plin. XVIII 17, und die Zeit Ciceros Cic. de off. II 58. Plin. XV 1 – 1 As; J. 200 Liv. XXXI 50, 1 und J. 196 Liv. XXXIII 42, 8 – 2 Asse) bleiben die Preise von 4 Assen, welche als Preise des von den Aedilen verteilten Weizens unter den J. 203 (Liv. XXX 26, 6) und 201 (XXXI 4, 6) überliefert sind. Man könnte geneigt sein, in dieser Angabe den niedrigsten Marktpreis der betreffenden Zeit zu sehen (vgl. Cardinali Frumentatio 4f.). Der Gracchische und nachgracchische Preis des Frumentationskornes von 62/3 Asse (die Zeugnisse s. u.) ist vielleicht auch ein niedriger Marktpreis der Gracchischen Zeit, welcher später als etwas Gegebenes beibehalten wurde. Für die Zeit des Augustus haben wir nur eine unbrauchbare Angabe über einen Hungersnotpreis (Euseb. chron. II 146 ed. Schöne; vgl. Barbagallo a. a. O. 39f.) und ein indirektes Zeugnis im Mon. Ancyr. c. 15, wo von zwei Geldgeschenken zu je 60 Denaren und von 12 Frumentationen zu 60 Modii aus den Privatmitteln des Kaisers gesprochen wird; nach O. Hirschfelds sehr ansprechender Vermutung (Klio II 90) sind die 60 Denare ein Äquivalent für 60 Modii, [149] was einen Durchschnittspreis von 1 Denar für den Modius ergibt; dieser Preis ist vom Kaiser natürlich eher hoch als niedrig berechnet, so daß er als ein Maximum angesehen werden darf. Die Angabe des Tacitus über Tiberius (ann. II 87), wonach er zur Regulierung der Preise den Händlern zwei Sesterzien für jeden Modius gezahlt hat, bleibt trotz der Bemühungen Barbagallos (a. a. O. 42) für unsere Zwecke unbrauchbar: aus der angeführten Angabe werden wir nie erraten, was für einen Preis der Zuschlag zu regulieren bedacht war (vgl. die ganz analogen Maßregeln der griechischen Städte, welche technisch παραπράσεις heißen, bes. die Inschrift von Lagina, Benndorf Reisen in Lykien 155f. Wilhelm Arch.-epigr. Mitt. XX 55. Francotte Mélanges Nicole 43f.). Brauchbarer ist die Angabe desselben Tacitus über die Zeit Neros (ann. XV 39), Nero hätte den Kornpreis auf 3 Sesterzien herabgedrückt. Mit den meisten Forschern (Dureau de la Malle Écon. pol. I 109f. Marquardt St.-V. II 111, 8. Friedländer a. a. O.) und gegen Rodbertus (Hildebrands Jahrb. XIV 402) sehe ich darin einen normalen Kornpreis, nicht einen Notpreis. Die bekannten Ausführungen des Plinius (n. h. XVIII 86ff. 89ff.) über die Mehlpreise liefern leider nur ungefähre Daten; das jetzige Verhältnis der Korn- und Mehlpreise 1:1,5 muß gesteigert werden, denn wir bekommen mehr feines Mehl aus dem Korn, als es im Altertum der Fall war; damit bekämen wir ungefähr 1:2, so daß die 10 Sesterzien (40 Asse), welche nach Plinius ein Modius einfachen Mehls kostete, einen Kornpreis von 5 Sesterzien ergeben hätten. Davon müssen aber noch die Produktionskosten abgezogen werden, und diese zu berechnen, haben wir keine Möglichkeit: der Unterschied zwischen den jetzigen und den alten Produktionsbedingungen ist zu groß, um einen Schluß vom Modernen zum Alten zu gestatten (Rodbertus Hildebrands Jahrb. XIV 417ff. Barbagallo a. a. O. 45ff.). Der uns sonst bekannte Preis von 3–4 Sesterzien läßt sich mit den Angaben des Plinius gut vereinigen. Damit haben wir die vorhandenen Nachrichten erschöpft. Ein gutes Material haben wir nur für die erste Kaiserzeit und etwa für das letzte Jhdt. v. Chr. Es hat sich erwiesen, daß sowohl in den Produktionsländern wie Sizilien und Ägypten, wie in Rom die Preise sich in normalen Zeiten auf der Höhe von ungefähr 3 Sesterzien gehalten haben; etwas höher in Rom, etwas niedriger in den Produktionsländern. Größere Unterschiede ergeben sich nur in den Ländern, wo die Exportverhältnisse ungünstig waren und fast ausschließlich der innere Austausch herrschte. Wo, wie in Ägypten oder Sizilien, die Exportverhältnisse so günstig waren und dazu noch ein Zwangsexport existierte, konnte von sehr niedrigen Preisen keine Rede sein, und die Preise mußten sich nach den römischen normieren (vgl. Rodbertus a. a. O. 400). Trotzdem aber kann man von festen Durchschnittspreisen kaum reden: denn die normalen Verhältnisse wurden zu oft von allerlei Ursachen gestört, welche den Markt revolutionierten. Darunter spielten die Mißernten eine hervorragende Rolle, an zweiter Stelle erscheinen die unvollkommenen Verkehrsmittel und die drückende Macht des Staates. Es ist nicht Zufall, daß wir die [150] meisten Daten über feste Preise aus der ersten Kaiserzeit haben: die allgemeine Ruhe einerseits, der organisierte Weltverkehr andererseits und die Schonung der privaten Interessen durch die Kaiser gaben dem römischen Weltkornmarkte eine sonst nicht zu erweisende Stabilität.
IV. Kornabgaben.
(vgl. Art. Decuma, Stipendium, Tributum, Vectigalia; für die nachdiocletianische Zeit verweise ich auf Adaeratio, Canon, Canonicarius, Collatio glebalis, Delegatio, Indictio).
Den größten Teil des dem Staate nötigen Getreides ergaben, wie schon mehrmals hervorgehoben ist, die Natural-, hauptsächlich Kornabgaben (Cic. ad Att. IX 9, 4: de re frumentaria recte intellegis quae nullo modo administrari sine vectigalibus potest). Ich halte es für notwendig, hier unsere Nachrichten darüber kurz zusammenzustellen, ohne auf die Details, welche unter den oben angegebenen Stichwörtern entweder behandelt worden sind oder behandelt werden, einzugehen. Auch hier scheide ich Italien von den Provinzen und die Provinzen untereinander.
Italien.
Die Hauptangabe über die Naturalabgaben in Italien, Appian. bell. civ. I 7, ist schon o. Bd. IV S. 2307 besprochen worden. Der Zehnte vom okkupierten Land ist wohl von Pächtern erhoben worden (vielleicht sind solche Pächter CIL VI 8585.[2] 8583 gemeint). Wie lange er in Italien existiert hat, läßt sich nicht feststellen. Ob die vectigalia des in Erbpacht vergebenen italischen Ager publicus, worüber Hygin ausführlich berichtet (de cond. agr. 116; über diese Stelle zuletzt Rostowzew Staatspacht 423f. Mitteis Zur Geschichte der Erbpacht 12ff. Schulten Herm. XLI 1906, 17, 1), in natura oder in Geld entrichtet wurden, läßt sich nicht entscheiden. Der ager Campanus wird im J. 210 v. Chr. von Flaccus für ein Kornquantum vergeben (Liv. XXVII 3), und dies scheint sich besonders in Zeiten einer Kriegsnot bis auf das Verschwinden des ager Campanus öfters wiederholt zu haben (Cic. de leg. agr. II 80. 83). Der ager publicus, welcher in Norditalien bis in die späteren Zeiten in größeren Massen existierte und separat verwaltet wurde (CIL III 249),[16] entrichtete, nach dem Ausdruck der Inschrift zu urteilen, wohl Naturalabgaben. Auf Naturalzahlungen von kaiserlichen Domänen lassen auch die Amphorenstempel aus Norditalien schließen (CIL V 8112.[17] 1–4: amphorae nominibus Domitiani[?] Nervae Traiani Hadriani signatae; besonders wichtig ist der Stempel 5: impe vect., vgl. 6 und 7 aus Vercellae). Innerhalb der Wirtschaft einzelner Gemeinden (s. Vectigalia) werden die Naturalabgaben sowohl bei der Pachtung von Landkomplexen auf kürzere oder längere Frist oder aber in perpetuum, wie auch bei Verhältnissen, wie sie in Genua im J. 117 v. Chr. lagen (CIL I p. 72[18] nr. 194. V p. 886 nr. 7749. Mommsen Jur. Schr. I 382ff.), wo die Genuates von den Langenses eine vicensuma frumenti erheben, öfters vorgekommen sein. In privater Wirtschaft sind in Italien Zahlungen in natura eine gewöhnliche Erscheinung, wie das klassische Beispiel des Plinius bezeugt (ep. IX 37, 3; vgl. CIL V 8112,[17] 55). Man sieht, das Naturalabgabensystem ist in Italien nie eingeschlafen; die spätere Regelung der annona war [151] nur eine Verallgemeinerung und Steigerung der von der ackerbauenden Bevölkerung schon früher bezahlten Abgaben mit einer Belastung hauptsächlich der Großgrundbesitzer (s. Annona).
Provinzen.
In den meisten Provinzen haben die Römer ein schon existierendes und gut organisiertes Naturalsteuersystem angetroffen. Die üblichste Norm war die Entrichtung einer pars quota, gewöhnlich einer decuma (Rostowzew Staatspacht 350f. 356. 362); nur Ägypten (s. u.) bildete, soweit bekannt ist, eine Ausnahme. Dies verallgemeinert Appian in der bekannten Brutusrede (Appian. bell. civ. II 141): ὧν (d. h. Grund und Boden, Häuser, Gräber, Tempel) οὐδὲ τοὺς ἀλλοφύλους πολεμίους ἀφῃρούμεθα, ἀλλὰ δεκάτην αὐτοῖς μόνην ἐπετάσσομεν. Viel genauer redet davon Cicero in der bekannten Ausführung von den Unterschieden in dem Steuersystem zwischen Sizilien und den übrigen Provinzen (Cic. Verr. II 3, 12f.): inter Siciliam cetcrasque provincias, iudices, in agrorum vectigalium ratione hoc interest, quod ceteris aut impositum est vectigal certum quod stipendiarium dicitur ut Hispanis et plerisque Poenorum quasi victoriae praemium et poena belli aut censoria locatio constituta est ut Asiae lege Sempronia, Siciliae civitates sic in amicitiam fidemque accepimus, ut eodem iure essent quo fuissent, eadem condicione populo Romano parerent qua suis ante paruissent. Damit bekommen wir drei Kategorien: zuerst Provinzen, welche zur Zahlung eines festen Steuerquantums verpflichtet waren, welches auf die verschiedenen Steuereinheiten repartiert wurde, dann ein nicht näher bekanntes Steuersystem, wohl in den Grundzügen das alte vorrömische, nur mit der Erhebung vermittels römischer Pächter, endlich das alte System im vollen Umfang. Bei allen diesen Systemen besteht der Unterschied nicht in der Grundlage des Steuersystems, sondern nur in dem Modus der Überführung dieser Steuer nach Rom. Dabei kann Appian mit seiner Verallgemeinerung doch recht behalten, denn innerhalb eines jeden Steuerbezirks konnte die decuma als Grundlage ungestört fortexistieren. Daß aber diese decuma nicht genau verstanden werden muß und von Appian bloß als allgemeiner Terminus gebraucht worden ist, daß andererseits diese pars quota im Laufe der Zeiten öfters zu einer Geldleistung wurde, bezeugt die bekannte Stelle Hygins (de cond. agr. 204), welcher die Zustände der Kaiserzeit in den Provinzen schildert: agri (autem) vectigales multas habent constitutiones. In quibusdam provinciis fructus partem praestant certam alii quintas alii septimas, alii pecuniam et hoc per soli aestimationem ... Aus diesen allgemeinen Angaben, wo aller Wahrscheinlichkeit nach Steuer und Pachtzins vom ager publicus als ein Ganzes verstanden werden (vgl. Tac. ann. IV 6: at frumenta et pecuniae vectigales usw.), was dem allgemeinen Begriff des solum provinciale entspricht, ersieht man schon, daß von einer Einförmigkeit in der Festsetzung und Regulierung der Kornabgaben keine Rede sein kann, daß abgesehen von dem Erhebungssystem ein nach den Provinzen verschiedenes einheimisches Steuersystem existierte, ein Steuersystem, welches die Römer nur ganz allmählich und keineswegs vollständig uniformiert haben, daß [152] wir endlich vor einer Entwicklung stehen, welche keineswegs überall denselben Verlauf hatte. Dies alles zwingt uns, auch hier unter den einzelnen Provinzen scharf zu scheiden und jede, soweit Daten vorhanden sind, separat zu behandeln. Dabei lasse ich vorläufig alle außerordentlichen Kornauflagen beiseite, um dieselben weiter unten alle zusammen zu behandeln.
Sizilien.
Über die sizilischen decumae und die alterae decumae ist o. Bd. IV S. 2307 das Nötige gesagt worden (vgl. Rostowzew Staatspacht 350ff. Carcopino in den Mel. de l'éc. de Rome 1905, 1ff. 401ff.). Ich begnüge mich mit der Erörterung der nachciceronischen Schicksale dieser Kornabgabe. Schon in der Zeit Ciceros sehen wir die Tendenz, Sizilien in Betreff der Modalitäten der Erhebung den andern Provinzen gleichzustellen. Die Überführung des Verdingens der decumae vini olei et frugum minutarum nach Rom, welche im J. 75 v. Chr. versucht, aber wohl nur teilweise gelungen ist (Cic. Verr. II 3, 18), ist sicher als ein Versuch anzusehen, auch die sizilischen decumae in den Bereich der Tätigkeit der römischen Publicanengesellschaften, welche früher von der Pachtung der sizilischen decumae ausgeschlossen waren, hineinzuziehen (Zielinski Philol. N. F. VI 27ff. Carcopino a. a. O. 423ff., welcher aber seinen Vorgänger, der das Richtige schon erraten hat, nicht zitiert). Weitere Folgen hatte aber dieser Versuch nicht. Die Hauptabgabe, die decumae frumenti und hordei, verblieb den sizilischen Decumanen. Solange Rom auf das sizilische Korn hauptsächlich angewiesen war, war es auch nicht anders möglich: die Wirtschaft der Pächtergesellschaften gab zu wenig Garantien, daß Sizilien auf längere Zeit leistungsfähig bleiben werde, die Erfahrungen mit den Publicanen im Osten waren zu trostlos, um die Kornversorgung Roms ihretwegen aufs Spiel zu stellen. Anders wurde es mit der Erschließung Ägyptens; seit dieser Zeit, aber erst seit dieser, konnte man Sizilien entbehren und dasselbe den übrigen stipendiären Provinzen gleichstellen. Man behauptet gewöhnlich, daß diese Änderung schon unter Caesar vollzogen wurde (Mommsen R. G. III 507. Marquardt St.-V. I2 246. Pais Arch. di st. sic. XIII 214f.), was meiner Ansicht nach sicher falsch ist. Denn einerseits habe ich oben bewiesen, daß Sizilien auch nach Caesar als kornstellende Provinz und zwar unter denselben Bedingungen wie früher erscheint (Appian. bell. civ. V 72 Vertrag mit S. Pompeius, vgl. Cass. Dio XLVIII 31. 36: καὶ σῖτον τοῖς ἐν τῇ πόλει τακτὸν πέμποντα und Lucan. III 52ff., wo Caesar die römische annona durch Besetzung der Insel sichert, bes. 65ff., wo Sizilien und Sardinien als Afrika ebenbürtige Kornprovinzen erscheinen), man bedenke andererseits, daß die Annahme der Latinität für ganz Sizilien nur auf der allgemein gehaltenen Äußerung Ciceros (ad Att. XIV 12, 1) beruht und der bekannten Aufzählung des Plinius (Plin. III 91) in betreff des Stipendiums widerspricht (der Vergleich mit Asien sagt nichts: Asien mußte von den Publicanen befreit werden; der Ausweg, welchen Pais Arch. di st. sic. XIII 208ff. versucht, befriedigt mich nicht; es ist kaum möglich, daß ganz Sizilien ein minderwertiges ius Latii bekommen hat salvis tributis). Eine gründliche Umgestaltung [153] der sizilischen Verhältnisse, von den ephemeren Maßregeln des Antonius abgesehen (die Stellen bei Marquardt a. a. O. 246, 5), hat wohl erst Augustus, dessen Fürsorge für Sizilien bekannt ist, vorgenommen; dies geschah vielleicht bei seinem Besuche Siziliens im J. 22/21 v. Chr. Nicht umsonst hat sich sein Procurator Theodorus solche Übergriffe gestattet, daß er durch Areus ersetzt werden mußte: es hat sich sicherlich nicht nur um Koloniengründungen gehandelt (Cass. Dio LIV 6, vgl. 7, wo ausdrücklich gesagt wird: ὁ δὲ Αὔγουστος τὰ τε ἄλλα τὰ ἐν τῇ Σικελίᾳ διοικήσας καὶ τὰς Συρακούσας ἑτέρας τέ τινας πόλεις ἀποίκους Ῥωμαίων ἀποδείξας und Plut. apophth. Aug. 5, dazu Gardthausen Augustus und seine Zeit II 1, 809f. II 2, 464. 646. Holm St. di Sic. III 436). Auch nach Augustus aber wird ein Teil der Abgaben Siziliens in Korn entrichtet. Mehrere bilingue Inschriften des Vibius Salutaris aus Ephesos (CIL III 14195,[3] 4-13, J. 10 n. Chr.) berichten uns von der Existenz eines f. mancipale (σῖτος δήμου Ῥωμαίων) in der Domitianischen Zeit, dessen Verwaltung ein besonderer promagister (ἀρχώνης) leitet. Was ist aber nun dies f. mancipale? Die Übersetzung bezeugt das Eigentum des römischen Volkes. Da wir in einer Senatsprovinz sind, so kann es sich ebensogut um staatliche Kornabgabe, wie um Abgaben vom ager publicus handeln. Der Terminus manceps (s. d.) erscheint einmal bei Cicero in engster Verbindung mit der res frumentaria: es heißt bei ihm (de domo 25) scilicet tu ... Sex. Clodio ... omne frumentum privatum et publicum, omnis provincias frumentarias, omnis mancipes, omnis horreorum clavis lege tua tradidisti. Diese Stelle bezeugt aber nur die enge Verbindung der mancipes mit den Kornabgaben, ohne es anzugeben, ob mancipes in der Art der mancup(es) stipendiorum aus Afrika (CIL VI 31713[19], vgl. Rostowzew Staatspacht 376) oder der in der zitierten Stelle Hygins (de cond. agr. 116. Rostowzew a. a. O. 423) erwähnten Domänenpächter gemeint sind. Zweideutig sind die Stellen der Verrinen (Cic. Verr. II 3, 172. 175; div. in Caec. 33; vgl. Varro de r. r. II 1. Colum. I 1), wo meiner Ansicht nach mancipes mit decumani gleichbedeutend sind (Kuhn Ztschr. f. Altert. 1845, 998, dagegen Holm St. d. Sic. III 158). An sich wäre es denkbar, daß die sizilischen mancipes, wie die afrikanischen, die in natura entrichteten stipendia pachteten; an ihrer Spitze hätte in diesem Fall als kaiserlicher Agent der promagister gestanden; viel wahrscheinlicher ist es aber anzunehmen, daß die civitates stipendiariae ihre Abgaben ohne jede Vermittlung von Pächtern in Geld entrichteten, das f. mancipale aber das von den Großpächtern der Staatsdomänen (größere Komplexe des ager publicus in Sizilien erwähnt öfters Cicero, bes. de leg. agr. I 4: persequitur in tabulis censoriis totam Siciliam; nullum aedificium, nullos agros relinquit; vgl. II 48; Verr. II 5, 53; Philipp. II 43. Carcopino a. a. O. 39ff.) entrichtete, von den Kleinpächtern durch ihre Vermittlung erhobene Korn war. Die Analogie der Provinz Hispania scheint diese letztere Annahme zu bestätigen (Rostowzew a. a. O. 425f. Hirschfeld Verwaltungsb.2 140),
Hispania.
Nach den Angaben Ciceros war [154] Hispania eine provincia stipendiaria, entrichtete also ein festes stipendium, welches nach Städtebezirken repartiert wurde (Cic. Verr. II 3, 12; pro Balbo 41). Unter dem J. 171 v. Chr. berichtet Livius XLIII 2, 12, die Spanier hätten es durchgesetzt, daß erstens das f. aestimatum oder in cellam (s. u.) in der Zukunft nicht von den Statthaltern taxiert werde, zweitens daß die Spanier ihre vicesimae ohne jede Einmischung derselben verpachten dürften, drittens daß keine praefecti zur Einsammlung des Geldes delegiert werden sollten. Daraus schließen wir, daß das spanische stipendium in Geld entrichtet werden sollte, das Geld aber aus der Verpachtung einer Naturalabgabe (des Zwanzigsten) durch die Spanier selbst gezogen wurde. Das Korn, welches nach Rom aus Spanien kam (s. o.), war also entweder f. emptum, oder wurde von den Domänen des Staates bezogen. Ein Teil des ager publicus wurde zwar den Civitäten assigniert (Front. de agr. qual. 1, 3–5, 5. Hyg. de agr. cond. 116, 7; dazu Mommsen Herm. XXVII 89. Mitteis Zur Geschichte der Erbpacht 19f. 27), es blieben aber größere Komplexe (Cic. de leg. agr. I 5. II 50f.), welche vielleicht eine decuma entrichteten (CIL II 1438[20] = Dessau 5971: unter Claudius’ Ceusur werden in Baetica termin[i] agror(um) decumanor(um) restituiert und erneuert, was nur bei ager publicus verständlich ist). Diese decuma ergab wahrscheinlich das f. mancipale, welches einmal in einer Inschrift aus Hispalis (CIL II 1197.[21] Rostowzew a. a. O. 429) erwähnt wird. Die Naturalabgaben des ager publicus gingen unter dem soeben erwähnten Namen nach Rom, worüber uns die Aufschriften auf den Amphorenscherben des Monte Testaccio Zeugnis ablegen (über die Deutung derselben Dressel CIL XV 2[22] p. 491f. 560ff. Rostowzew a. a. O. 426ff. Hirschfeld Verwaltungsb.2 140ff.; hier kann ich darauf nicht eingehen; ich will nicht leugnen, daß das f. nur einen Teil der Abgabe bildete; oben habe ich schon erwähnt, daß Spanien hauptsächlich Öl produziert hat). Diese Staatsäcker werden seit dem 3. Jhdt. mit den kaiserlichen Domänen gemeinsam verwaltet und ihre Einkünfte gehören demnach in die ratio patrimonii (vgl. CIL II 1198.[23] Hirschfeld a. a. O. 142).
Sardinia.
Sardinia (vgl. d. Art. Decuma) ist kaum nach der Lex Hieronica verwaltet worden (Mommsen R. G. II 110); von einer locatio censoria hören wir nichts. Es ist wohl irgend eine Kombination der decuma mit dem stipendium (Marquardt St.-V. II2 196f.) anzunehmen, in der Art der spanischen Verhältnisse.
Asia.
Eine Naturalsteuer wurde auch in Asien erhoben. Wir wissen, daß unter den Attaliden die königlichen Domänen mit einer δεκάτη belastet waren (Rostowzew a. a. O. 356), die Städte aber einen φόρος bezahlten (Foucart Mém. de l'Acad. d. inscr. XXXVII 1, 306f. Chapot Hist. de la prov. rom. d'Asie 325ff. Cardinali Il regno di Pergamo, Studi di stor. ant. V 175ff.; anderer Meinung ist Ghione I comuni del regno di Pergamo, Mem. d. R. Ac. di Torino ser. II Bd. LV 102 [36]ff.; er meint, daß die nicht freien Städte wie die Domänen eine decuma bezahlt haben). Diese Zustände haben wohl die Römer bei der Organisation der Provinz beibehalten, mit der [155] Änderung, daß der φόρος den Städten erlassen wurde (Appian. bell. civ. V 4). Worauf dabei die innere Wirtschaft jeder Stadt basiert war, wissen wir nicht: am natürlichsten wäre es, an eine Naturalsteuer, welche hauptsächlich von den eingeborenen Bauern erhoben wurde, zu denken. Ob es auch etwa eine decuma war, wissen wir nicht. Nach der lex Sempronia des C. Gracchus (J. 123 v. Chr.) trat eine wichtige Änderung in dem Steuersystem ein. Nach Appian (a. a. O.; vgl. Cic. ad Att. V 13, 1; pro imp. Cn. Pomp. 15; pro Flacco 19) wurde die Zahlung einer pars quota, nämlich der decuma, eingeführt, welche an Publicanen verpachtet wurde. Meiner Ansicht nach haben wir eine Nivellierung vor uns: ganz Asien, sowohl Domänen wie Städteland mit wenigen Ausnahmen (s. die Inschrift von Pergamon bei Foucart a. a. O. 338; vgl. Strab. XIV 642. Dittenberger Or. gr. 440; Syll.2 334. Wilhelm bei Brückner Troia und Ilion 453), ist jetzt der decuma unterworfen und wird entweder im ganzen oder nach Bezirken verpachtet (Cic. pro Flacco 91). Daß die Domänen auch im Bereich der Tätigkeit der Publicanen waren, bezeugt Cicero (de imp. Cn. Pomp. 16). Mit einer kurzen Unterbrechung unter Sulla (Cic. ad Q. fr. I 33) existierte dies System bis auf die Zeiten Caesars, welcher im J. 48 v. Chr. zu dem Attalidischen φόρος zurückkehrte (Appian. bell. civ. V 4. Plut. Caes. 48. Dio XLII 6, 3): seitdem sammelten die städtischen Behörden selbst die Steuer παρὰ τῶν γεωργούντων, wie Appian sich ausdrückt, was auf eine Naturalabgabe schließen läßt (vgl. Seeck Ztschr. f. Soz. und Wirtschaftsg. IV 338). So herrschte in Asien für die Kontribuenten das Naturalsteuersystem, der Staat aber bezog aus Asien nicht Naturalien, sondern Geld. Dies erhellt sowohl aus der Angabe Ciceros über Falcidius (pro Flacco 91), wie aus den üblichen pactiones (Rostowzew a. a. O. 357), wie auch aus Cicero ad Att. I 17, 9. Möglich, aber nicht gerade wahrscheinlich ist es, daß da, wo man mit Domänenland zu tun hatte, die Steuer in natura abgeliefert wurde (dies können die fructus sein, welche in der Lex de Term. II 31. 37 erwähnt werden). Nach der Einführung des Stipendiums sind die Leistungen jeder Stadt ebenfalls in Geld berechnet worden (Chapot La province rom. d'Asie 329), und so blieb es wohl bis in die Zeiten des Diocletian. Was für Zahlungen die Staats- und kaiserlichen Domänen (zuletzt aufgezählt bei Chapot a. a. O. 373ff.) entrichtet haben, entzieht sich leider unserer Kenntnis. Nach dem Gesagten scheint es fast sicher zu sein, daß Asien für Rom eher als Geldquelle, als in Bezug auf Naturallieferungen in Betracht kam.
Afrika.
Afrika war für Rom das Kornland κατ' ἐξοχήν. Es ist klar, daß ein Hauptteil der römischen Kornrevenuen in Afrika gesammelt wurde. In welcher Weise es aber geschah, und wie und von wem diese Kornmengen bezahlt wurden, ist eine ziemlich komplizierte Frage. Das Agrargesetz vom J. 111 v. Chr. (CIL I 200 p. 75–106. Mommsen Jur. Schr. I 65ff.) unterscheidet zwischen dem ager privatus iure Quiritium und iure peregrino, welche für uns nicht in Betracht kommen, und dem ager publicus. Dieser letztere allein bezahlt entweder vectigalia oder stipendia. Aus der Masse des ager publicus scheidet sich zuerst der ager [156] privatus vectigalisque aus. Ob wir nun das von dieser Landart bezahlte vectigal mit Rudorff und Mommsen (Jur. Schr. I 127ff.) für eine nur nominelle Zahlung oder mit Weber (Agrarg. 154ff.) für eine mäßige Abgabe, welche später mit dem tributum zusammenfließt, halten, eines ist klar: die Einkünfte von diesem ager waren nicht besonders ergiebig. Die Hauptquelle der Einkünfte der römischen Kasse waren der ager stipendiarius und der ager publicus, dessen decumae und scriptura in Rom verpachtet wurden. Den Bewohnern der besiegten Städte wurde das Land abgenommen (Appian. Pun. 135), dann aber teilweise restituiert unter der Bedingung der Bezahlung eines Stipendiums (Cic. Verr. II 3, 12; pro Balbo 24. 41. Appian. a. a. O.). Die Erhebung dieses Stipendiums geschah durch Pächter, mancup(es) stipend(iorum) ex Africa (CIL VI 31713.[19] Kniep Soc. publ. 6); ob die locatio der stipendia in Rom durch den Censor geschah, ist nicht zu entscheiden; allerdings stehen die Pächter in näherer Beziehung zu dem wohl provinzialen Quaestor. Dies stipendium wird wohl in Getreide entrichtet worden sein, was aber nicht direkt überliefert ist (als ein indirektes Zeugnis kann die Nachricht gelten, welche uns Plutarch überliefert hat [Caes. 55]; danach hat Caesar durch den Erwerb Numidiens für Rom jährlich 200 000 attische Medimnen Korn zuerworben; vgl. M. Weber Agrarg. 185ff. Mommsen a. a. O. 129). Über das vectigal decumae handelt das Gesetz in Z. 78ff.; die Stelle ist leider sehr mangelhaft erhalten. Es scheint aber, daß diese decuma von den schon an Ort und Stelle ansässigen Possessoren an die Pächter bezahlt wurde, und wir treffen nirgends eine Bestimmung, wonach die publicani das Land an Afterpächter vergeben dürften. Diese decumae konnten demnach, wenn sie für eine Naturalleistung gepachtet wurden, was aber nicht überliefert ist, eine zweite ergiebige Kornquelle bilden.
Die Bestimmungen der lex agraria waren wohl Keime, aus welchen sich die weitere Geschichte der agrarischen Verhältnisse entwickelt hat. Wir wissen aber darüber fast gar nichts. Ergiebig werden unsere Quellen erst in der Kaiserzeit, wo Afrika als Domänenland in der hauptsächlich epigraphischen Überlieferung erscheint (s. Saltus). Die Domänen haben sich wohl aus dem ager privatus vectigalisque einerseits, aus dem ager publicus durch Kauf und Pacht andrerseits entwickelt.
Der ager stipendiarius hat sich im Lauf der Zeit wahrscheinlich hauptsächlich an die an Zahl und Bedeutung immer wachsenden Städte angeschlossen und die Erhebung des Stipendiums (jetzt wohl zum größten Teil in Geld berechnet, Apul. de mag. 101) geschah nunmehr durch die Städte selbst. Als Kornquellen dienten wohl hauptsächlich die Domänen. Die enge Verbindung der Korn- mit der Staatsdomänenverwaltung erscheint in der Inschrift des 3. Jhdts. n. Chr. (CIL VIII 18909[24]; vgl. Hirschfeld Verwaltungsb.2 142), wo wir einen procurator Augg. nn. ad fu[nct(ionem) fru]menti et res populi per tr[actum] utriusque Numidiae treffen. Danach ist es klar, daß der ager publicus in Afrika hauptsächlich Kornabgaben bezahlte. Dasselbe setze ich auch [157] für die kaiserlichen Domänen voraus, obwohl es nicht direkt überliefert ist. Die partes agrariae der Colonen gingen bei direkter Wirtschaft natürlich als solche in die kaiserlichen Speicher, ich glaube aber, daß auch die Tätigkeit der conductores hauptsächlich und meistens in der Sammlung dieser partes agrariae für Rechnung der kaiserlichen Verwaltung bestanden hat: ihre halbbeamtliche Tätigkeit und die strenge administrative Kontrolle derselben lassen das mit Wahrscheinlichkeit vermuten (Rostowzew Diz. ep. III 589; Staatspacht 442f.). Diese partes agrariae selbst sind aber nichts anderes, als die früheren decumae, welche natürlich im Laufe der Zeit sich vergrößert haben und in verschiedenen, auch von Hygin erwähnten Höhen einer tertia, quinta (CIL VIII 17841.[25] Rostowzew Staatspacht 441 Anm. 223), septima oder ähnlich erscheinen. Diese vectigalia, wie diese partes agrariae selbst in privaten Domänen heißen (darüber Schulten Lex Manciana 44f.), bilden meiner Ansicht nach die Hauptquelle, aus der das Korn für Staatszwecke geschöpft wurde (Stat. silv. III 3, 90f. quod messibus Afris verritur –, daneben wird das f. Aegypti erwähnt – spricht eher dafür als dagegen). In den späteren Zeiten liefern die Nachfolger der mancipes und conductores ihren canon teils in Geld, teils in Naturalien (Schulten Grundherrschaften 92).
Aegyptus.
Das vectigal frumentarium Aegypti (Hist. Aug. Prob. 9, 3) – die Korneinkünfte Ägyptens, welche zum größten Teil nach Rom kamen – erschien den Römern als ein großes Ganzes; aus wie vielen und wie verschiedenen Teilen es sich zusammensetzte, darüber hatten in Rom nur wenige eine Ahnung. In dem Rahmen eines Enzyklopädieartikels können wir nicht die ganze sehr komplizierte Frage über die Natur und Geschichte der Kornsteuer in Ägypten in Angriff nehmen: viele noch schwebende Fragen über Administrations-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte stehen damit im engsten Zusammenhang. Einiges läßt sich aber schon jetzt, wenn auch nicht endgültig lösen, so doch mit einiger Wahrscheinlichkeit andeuten.
Über die Verteilung des Grundbesitzes in Ägypten haben wir zwar reichhaltige, aber keineswegs erschöpfende Nachrichten. Klar ist nur, daß in der Ptolemaeischen Zeit der weitaus größte Teil des Grundes und Bodens als königlicher Besitz angesehen wurde; der Tempelbesitz – die γῆ ἱερά – wird insoweit dem königlichen Besitz gleichgesetzt, als er mit diesem zusammen vom Staat verwaltet wird und die Tempel nur über die Einkünfte desselben in beschränkter Freiheit disponieren (darüber Näheres bei W. Otto Priester und Tempel im hell. Ägypten 262ff. Bouché Leclercq Hist. des Lagides III 191ff.). Von einem richtigen Privatbesitz haben wir fast keine Nachrichten, obwohl eine Existenz desselben nicht kurzweg zu leugnen ist (S. Waszynski Die Bodenpacht 55): das Erscheinen eines besonderen Privatbesitzes der Könige (ἴδιος λόγος P. Meyer Hirschfeld-Festschr. 131ff.) neben dem königlichen Besitz ist ein für diese Frage nicht zu verachtendes Zeugnis. Ob aber der Grundbesitz als unbeschränkt oder in der Form einer Erbpacht nach Analogie des Beamten- und Soldatenlandes zu Tage tritt, [158] ist eine jetzt noch nicht zu beantwortende Frage (vgl. Bouché Leclercq Hist. des Lagides III 191, 2. 231, 1. 362, 1. Pap. Hibeh 90, 7. 105, 5 und dazu die Herausgeber). In der römischen Zeit treffen wir neben Staats- und Tempelland größere Komplexe von Privatland, γῆ ἰδιόκτητος, sowohl als Besitz des Kaisers und seiner Verwandten (οὐσίαι), wie als Großgrundbesitz von römischen Bürgern (auch οὐσίαι genannt) oder Groß- und Kleinbesitz Einheimischer (γῆ ἰδιόκτητος, die Besitzer γεοῦχοι; einige Zeugnisse, welche sich leicht vermehren lassen, bei Waszynski a. a. O. 57, 2). An ein dominium im römischen Sinne ist, die Kaiser wohl ausgenommen, in Ägypten, also in solo provinciali, kaum zu denken; wir wissen aber nicht, ob wir das Recht haben, römische Normen bei der Beurteilung agrarischer Verhältnisse in Ägypten ohne weiteres anzuwenden. Hervorzuheben ist, daß in Ägypten ein dem römischen ius in agro vectigali analoges Besitzrecht (Mitteis Ztschr. der Savigny-Stiftung XXII 1901, 157. P. Meyer Hirschfeld-Festschr. 142), welches sich auf dem Staats- bezw. Königslande bildet und dem Privatbesitz im Ed. Ti. Iul. Al. Z. 30f. gleichgestellt wird, stark entwickelt ist. Aus älterer Zeit stammen die Besitztümer der κάτοικοι, welche fast dieselben Vorrechte besitzen, wie die privaten Ländereien (P. Meyer Phil. LVI 1897, 195ff. Rostowzew Phil. LVII 1898, 572, 13), und mit denselben besonders in Betreff der Abgaben öfters gleichgestellt werden, Pap. Brux. 1 (Mus. belge VIII) III 11ff. u. ö. Pap. Lond. 192 IV 1f. (II p. 222). Das Staatsland im ganzen heißt γῆ δημοσία (ein Teil desselben heißt γῆ βασιλική) und wird durch Kleinpächter, δημόσιοι γεωργοί, bebaut (dieselben treten öfters in Gesellschaften auf, s. z. B. Pap. Gen. 63. Pap. Brux. 1 IV 10 u. ö. Rostowzew Staatspacht 489); mit ihm zusammen wird auch das Tempelland bewirtschaftet (Pap. Lond. 256[e] 1–2. II 96, vgl. 164. Oxy. Pap. II 279. 368. BGU 656. 661; vgl. Oxy. Pap. III 500. Grenfell-Hunt ebd. 200. P. Meyer Hirschfeld-Festschr. 140 gegen Viereck Herm. XXX 119. Grenfell-Hunt Fay. Pap. 88). Öfters werden größere Strecken von Staatsland an Komen oder Städte assigniert, wobei die Kome als Ganzes das Land bewirtschaftet (s. bes. Pap. Lond. II 314 p. 189 [J. 149 n. Chr.], wo eine Kome als solche Landparzellen in Pacht gibt. CPR 41. BGU 339. Pap. Gen. 16 [J. 207 n. Chr.] αἰγιαλὸς ... αναγραφόμενος εἰς τὴν ἡμετέραν κώμην, späteren Datums sind die von den Städten besessenen Ländereien [Fay. Pap. 87. 88. CPR 39, vgl. Preisigke Städtisches Beamtenwesen 17, 3]). Wenn freiwillige Pächter nicht zu finden sind, so treten die anliegenden Privatbesitzer zwangsweise in die Lücke (BGU 648. Amh. Pap. 94 und besonders die öfters bei Verkäufen erscheinende Klausel καθαρὰς ἀπὸ βασιλικῆς καὶ παντὸς εἴδους z. B. Amh. Pap. 95. 96). Der sog. αἰγιαλός – das Land am Moerissee – ist auch Staatsland und wird vom Staat unter sehr günstigen Bedingungen verpachtet (CPR 32. 239. BGU 640. 831. Pap. Lond. II 350 p. 192. Pap. Gen. 16, vgl. Bull. d'arch. or. III 187ff. u. ö. Wessely Denkschr. Akad. Wien XLVII 5: Karanis und Soknopaiu Nesos; das Land ist unsicher und deshalb nur mit einem ἐκφόριον belastet, CPR [159] 32). Eine Klasse für sich bildet auch das konfiszierte Land, die γῆ γενηματογραφουμένη, und das in Erbpacht gegebene, die γῆ προσόδου, welche mit einer mäßigen Abgabe belastet werden (darüber Wilcken Arch. f. Pap. I 148f. L. Mitteis Ztschr. d. Savigny-Stiftg. XXII 151ff. P. Meyer Hirschfeld-Festschr. 142ff.). Etwas anders werden die οὐσίαι bewirtschaftet; diese Domänenländereien, welche größtenteils dem Kaiser gehören, werden meistenteils an Großpächter verdungen, was aber die Kleinpacht der οὐσιακοὶ γεωργοί gar nicht ausschließt. Die Großpacht blühte hauptsächlich im 1.–3. Jhdt. und verdankt ihre Entwicklung wohl den Bequemlichkeitsrücksichten der kaiserlichen Administration; Regel ist sie nicht, und die Administration verkehrt öfters mit den οὐσιακοὶ γεωργοί direkt (Rostowzew Staatspacht 490ff.).
Die Hauptabgabe aller dieser Ländereien bildet der Pachtschilling, das ἐκφόριον, welches unter dem allgemeinen Ausdruck σιτικά mitsubsummiert wird (BGU 269 χωρὶς τῶν ἐν σιτικο(ῖς) ἀναλαμβ(ανομένων) ἐκφορί(ων)).
Der allgemeine Ausdruck σιτικά (d. h. τελέσματα. Ed. Ti. Iul. Al. 46f. Bull. d’arch. or. III 187ff. Z. 11ff. BGU 822, auch die vielen ἀπαιτήσιμα σιτικῶν BGU 84. 175. 659. CPR 33. Pap. Lond. II 192. 504 p. 222. Pap. Oxy. II 291; in dem Kataster Pap. Brux. 1 [Mus. belge VIII 101ff.] ist zu ἐν σιτικοῖς wohl φόροις hinzuzudenken; es werden die in Getreide steuernden Ländereien gemeint) oder σιτικοὶ φόροι (BGU 84. Pap. Oxy. III 514) oder aber δημόσια σιτικά (Pap. Oxy. I 101, vgl. BGU 339 u. ö.) bezeichnet die Kornabgabe als Ganzes, die ganze Naturalleistung, sowohl der Staats- wie der Privatländereien. Der Unterschied zwischen den σιτικά der ersteren und der letzteren besteht darin, daß die Landbesitzer, zu denen auch die κάτοικοι gehören, nur die Landtaxe mit verschiedenen Zusätzen und keine ἐκφόρια (Ed. Ti. Iul. Al. 32: ἄδικον γάρ ἐστιν τοὺς ὠνησαμένους κτήματα καὶ τιμὰς αὐτῶν ἀποδόντας, ὡς δημοσίους γεωργοὺς ἐκφόρια ἀπαιτεῖσθαι τῶν ἰδίων ἐδαφῶν, vgl. Ps.-Arist. Oec. II 1, 4), die Pächter nur das ἐκφόριον, in welchem auch die σιτικά mit einbegriffen sind, wohl auch mit allerlei Zusätzen, bezahlen (BGU 269. CPR 32: οὐδὲν δὲ ἕτερον πρακθησόμεθα χωρὶς τῶν προκειμένων ἔκφορίων. BGU 831. Pap. Lond. II 350 p. 192).
Die Grundsteuer von den privaten Ländereien wird öfters mit dem allgemeinen Ausdrucke τὰ καθήκοντα bezeichnet (Ed. Ti. Iul. Al. 30ff.: die vom Fiskus verkauften Ländereien sollen demnach keine ἐκφόρια, sondern τὰ καθήκοντα zahlen, da die gekauften Güter ihre ἴδια ἐδάφη geworden sind; vgl. Pap. Lond. II 256 a p. 96, wo ἐκφόρια und τὰ καθήκοντα als zwei verschiedene Taxen erscheinen, und Pap. Lond. II 192 IV 1, vgl. 504 p. 222 καθηκόν[τ]ω(ν) ἰδιωτικῶ(ν) ἐδαφῶ(ν). BGU 457 σιτικὰ καθήκοντα: im Pap. Oxy. 71 [J. 303 n. Chr.] wird für die Kornabgabe im ganzen der Ausdruck κανονικοὶ φόροι gebraucht). Den Hauptteil dieser καθήκοντα bildete eine Naturalsteuer, deren Name uns nicht bekannt ist. Unter den vielen Namen, welche für verschiedene Teile der Grundsteuer (Pap. Tebt. I 38f.) überliefert sind, treten besonders eine Steuer unter dem Namen ἐπιγραφή oder ἐπιγραφαί (in der [160] römischen Zeit CPR 1. 188; Pap. Fay. 81 [J. 115 n. Chr.], vgl. Wilcken Ostraka I 195ff.), und eine unter dem Namen ἀρταβιεία (Waszynski a. a. O. 121) hervor. Beide sind uns hauptsächlich aus der Ptolemaeischen Zeit bekannt (Pap. Tebt. a. a. O.), für keine aber, am wenigsten für die ἐπιγραφή, ist ihre Geltung als Landtaxe κατ' ἐξοχήν zu beweisen (zuletzt Bouché-Leclercq Hist. des Lagides III 235).
Das Prinzip der Veranlagung sowohl der Grundsteuer wie des ἐκφόριον ist von Wilcken (Ostraka I 205ff.) zuerst klargelegt worden. Es ist vollständig sicher, daß die Abgabe als ein bestimmtes Quantum für eine Flächeneinheit, die Arure, berechnet und erhoben wurde. Auf die Modalitäten der Berechnung kommen wir noch zurück, jetzt müssen wir die Angaben über die Höhe der Steuer zusammenstellen. Über die Höhe der Grundsteuer haben wir leider nur ganz wenige Daten. Unsere Hauptquelle ist der mehrmals zitierte Pap. Brux. 1, ein für die σιτικά aufgestellter Steuerkataster (Mayence und Ricci Mus. belge VIII 101ff. R. Ruggiero Bull. d. Inst. di dir. Rom. 1904, 193ff.). In diesem Dokument wird für jede σφραγίς das in Korn steuernde Areal genau berechnet, nach Landarten verteilt (die beiden Arten sind einerseits die βασιλικὴ γῆ, andererseits die ἰδιωτική mit Einschluß der γῆ κατοίκων) und die Höhe der Steuer jedesmal angegeben. Es läßt sich nach diesen Angaben berechnen, daß für die γῆ σπορίμη die Höhe der Taxe für die γῆ ἰδιωτική bezw. κατοίκων zwischen 11/4 Artaben und 11/2 für jede Arure schwankt (dabei wird aber angegeben, daß die Taxe eigentlich nur 1 Artabe pro Arure beträgt, das übrige bilden wohl die προσμετρούμενα oder προσδιαγραφόμενα (Pap. Lond. II 193 [1. Jhdt.]. 194 [1. Jhdt.] p. 124ff. Wilcken Ostraka I 287ff.) für die γῆ ἄβροχος zwischen 11/4 und 12/3 (in beiden Fällen ist die gangbare Höhe 11/4). Im vollen Einklang damit steht die leider vereinzelte Abgabe einer Apographe aus dem J. 201/2 n. Chr., wo über 2 Aruren γῆς ἰδιοκτήτου ἠβροχηκυίας angegeben wird τελούσας ἀνὰ πυροῦ μίαν ἥμισυ, auch Pap. Lond. II 175 a p. 119 und ebd. 193 (vgl. Wilcken Arch. f. Pap. I 150) – eine Liste von Landbesitzern mit der Angabe ihrer Zahlungen (etwas über 1 Artabe pro Arure) – handelt wohl von der γῆ ἰδιόκτητος oder κατοίκων (vgl. die Zahlungen für die γῆ κατοίκων CPR 1 [83/84 n. Chr.], BGU 883 [2. Jhdt.] und 336. Pap. Fay. 81 [115 n. Chr.], 85 [247 n. Chr], BGU 792 [196/197 n. Chr.], vgl. Wilcken Ostraka I 207f.; Schulten Herm. XLI 1906, 32 wirft das ἐκφόριον mit der Landtaxe zusammen und kommt deshalb zu verfehlten Resultaten). Reichere Daten besitzen wir für das ἐκφόριον. Derselbe Brüsseler Kataster liefert uns unschätzbare Zahlen. Col. II 7ff. steht der Satz: für 311/2 1/82 Aruren der γῆ σπόριμη βασιλική 1391/48 Artaben, also etwa 41/2 Artaben pro Arure; für die γῆ ἄβροχος haben wir zahlreiche Daten: eine Berechnung nach den Gesamtsummen ergibt eine Schwankung zwischen 43/4 und 41/5 mit einer fast konstanten Media von 41/2, die Sätze selbst, welche auch angegeben werden, lauten auf geringere Summen, meistenteils auf beinahe 4 Artaben; der geringste Ansatz ist 217/24 (der Satz in der 10. σφραγίς besteht aus 11/24 Weizen und [161] 22/3 Gerste Col. IX 8f.). Der Unterschied zwischen diesen Summen und der Media erklärt sich wie im Falle der Privatländereien. Ähnliche Sätze gibt Pap. Lond. II 267 p. 129ff. an; es handelt sich wohl um Domanialland; die Höhe des ἐκφόριον steigt von 22/31/120 durch eine Media von 42/31/120 (achtmal angegeben) bis auf 7 Artaben pro Arure. Andere Urkunden ergeben höchst variierende Resultate: im J. 44–45 n. Chr. verspricht ein Pächter 5 Artaben pro Arure (Pap. Oxy. II 279, mehr als die früheren Pächter), im J. 140–141 treffen wir denselben Satz (allerdings eine ὑπομίσθωσις BGU 661). Im J. 149 begegnen wir einem viel niedrigeren Satze – 2 Aruren mit ausdrücklicher Betonung, daß die ἐκφόρια des Staates auf dem Verpächter liegen (Pap. Lond. II p. 189); dieselbe Summe mit einem ἐπίθεμα von im ganzen 5 Artaben (für 20 Aruren) bestimmt Pap. Oxy. IV 500 (J. 130 n. Chr.), 1 Arure wird auf 3 Artaben taxiert. Sehr bezeichnend ist BGU 84 aus den J. 242–243 – ein offizielles ἀπαιτήσιμον: der Satz kommt auf 51/2 Artaben, dazu noch Gerste und Linsen, zu stehen (nicht ganz klar ist BGU 175 – 31/2 Artaben). Man sieht, der Preis wechselt je nach der Güte des Bodens und anderen uns unbekannten Bedingungen. Ziemlich konstant ist er bei den Pachtungen des αἰγιαλός; zu beachten ist aber, daß unsere Angaben alle aus beinahe derselben Zeit und aus derselben Gegend (Soknopaiu Nesos) stammen; der Satz ist 2–21/2 Artaben (Pap. Lond. II 350 p. 192 J. 212 n. Chr. CPR 239 J. 212. 33 J. 215. 32 J. 218). In BGU 659 (J. 228 n. Chr.) wird die Forderung für 468 Aruren γῆ δημοσία und αἰγιαλός auf 1428 Artaben, also auf etwa 31/2 Artaben pro Arure berechnet. Daß in den oben erwähnten Dokumenten in der Landtaxe auch andere supplementäre Zahlungen miteinbegriffen sind, ist wenig wahrscheinlich; dagegen sprechen viele Urkunden der Ptolemaeischen Zeit aus Tebtunis (s. Arch. f. Pap. III 202; vgl. auch Pap. Lond. II 193). Die Taxen selbst findet man bei Waszynski a. a. O. 118ff. aufgezählt, und über jede einzelne Wilcken Ostraka I unter den bezw. Stichwörtern; vgl. den wichtigen Passus aus der Dublette des Pap. Gen. 16 publiziert von Barry Bull. d’arch. or. III 187ff. Z. 11: οὔτε γὰρ συνείσφοροι γ[ε]ίνονται τῶν κατὰ μῆνα γε[νο]μένων ἐν τῇ κώμῃ ἐπιμερισμῶν τε καὶ ἐπιβολῶν σι[τ]ικῶν τε καὶ ἀργυρικῶν τελ[εσμ]άτων) auf einige kommen wir noch zu sprechen.
Die Erhebung der Naturalsteuer (es wird bei der Erhebung zwischen Landtaxe und ἐκφόριον kein Unterschied gemacht, die Erhebung der ersteren wie des letzteren liegt in den Händen der Finanzadministration und der Dorfbehörden, wobei nur bei jeder Zahlung die Qualität des Bodens genau notiert und über das private Domänenland der Kaiser spezielle Abrechnung geführt wird), geschah auf Grund einer weitverzweigten, hauptsächlich bureaukratischen Papierarbeit, auf Grund einer ganzen Masse von verschiedensten Dokumenten, welche uns nur zum kleinsten Teil erhalten sind. Ich begnüge mich hier nur mit der Angabe der allgemeinsten Züge der Operation (Näheres in meinem Aufsatze Arch. f. Pap. III 201ff.). Die Grundlage der Steuererhebung und -berechnung bildet der Kataster (Pap. Lond. II 267 p. 129ff. Wilcken [162] Arch. f. Pap. I 151f.). Aus demselben werden die verschiedensten Auszüge für die Zwecke der Steueradministration verfertigt: solch einen Auszug bildet wohl das mehrmals zitierte Brüsseler Fragment (Mayence et Ricci Mus. Belge VIII 101ff. R. Ruggiero Bull. d. Inst. di dir. Rom. 1904, 193ff.), ähnlich ist auch Pap. Fay. 339 (leider nur in Auszügen mitgeteilt). Sorgfältig wird besonders die Aussaat bewacht, kontrolliert und in verschiedene Berichte eingetragen. Es fungieren spezielle Beamte für diese Zwecke, welche über die Bewässerung, den Zustand der Bewässerungsarbeiten und den Gang der Aussaat Wache halten; sie heißen λιμνασταί und κατασπορεῖς (bezw. χωματεπιμεληταί), an ihrer Spitze stehen besondere ἐπιμεληταὶ λιμνασμοῦ (Vitelli Atene e Roma VII 121f.) und ἐπιτηρηταὶ (bezw. ἐπιμεληταὶ) κατασπορᾶς (BGU 12 [181 n. Chr.]. Wilcken Ostraka I 175. 541. Pap. Grenf. II 53 d, dazu Wilcken Arch. f. Pap. III 123, vgl. I 479; auch BGU 91. Pap. Grenf. II 66. Wilcken Ostraka I 508, 2). Diese Verwaltung ist mit der Verwaltung der Kornvorschüsse für die Aussaat eng verbunden. Nur auf Grund eines Eides, daß die Arbeiten der λιμναστεία und κατασπορά von den Pächtern des Domänenlandes vollzogen sind, dürfen die Sitologen mit Erlaubnis der Nomen- und Lokaladministration die Vorschüsse aushändigen (Pap. Lond. II 256 a [J. 11–15 n. Chr.] p. 97. Wilcken Arch. f. Pap. III 236). Nicht zu verwundern ist es deshalb, daß im J. 239 n. Chr., nach der Abwälzung der meisten Chargen auf die Städte, die Stadt besondere Beamten wählt: ἐπὶ τε λιμνασμὸν καὶ [ἐπὶ τῆς] κατασπορᾶς καὶ τῆς τῶν σπερμάτων δι[οικήσεως] (Pap. Flor. 21). Die κατασπορά ist der wichtigste Akt des ägyptischen wirtschaftlichen Lebens; für die Staatspächter ist sie eine Pflicht (Pap. Flor. 83; vgl. Wilcken Arch. f. Pap. III 307). Auf Grund des Katasters und der Feststellung des wirklich besäten Areals mit Abzug des des Anbaues unfähigen Landes werden mit Heranziehung der Forderungslisten des verflossenen Jahres die Forderungslisten für das laufende Jahr durch die κωμογραμματεῖς (Hohlwein Mus. Belge X 51) festgestellt. Es sind die ἀπαιτήσιμα σιτικῶν, welche uns in mehreren Exemplaren erhalten sind (BGU 659, die übrigen sind aufgezählt Arch. f. Pap. III 213). Die Forderungsliste lautet für das Territorium jedes Dorfes: sie zählt die Namen der Kontribuenten auf (in alphabetischer Reihenfolge) mit Angabe der Landesart, Arurenzahl und der zu zahlenden Getreidesummen in Artaben. Diese ἀπαιτήσιμα bilden die Grundlage für die Berechnung einer Generalforderungsliste mit verschiedenen Zwischengliedern (Pap. Fay. 208 und p. 157. BGU 84). Auf Grund dieser Forderungsliste wird nach der Ernte die Erhebung vollzogen. Leider ist BGU 486 (2. Jhdt.) stark fragmentiert; wir wissen nicht, wer der Befehlende ist und an wen der Befehl gerichtet ist, es wird hier ausdrücklich gesagt, daß die ἔκπραξις nach der Einbringung der Ernte (εἰσκομισθέντων τῶν καρπῶν) zu vollziehen ist. Es ist höchst wahrscheinlich, daß dieselbe durch die πράκτορες σιτικῶν (BGU 457. Pap. Oxy. III 530, bes. BGU 1046 [2. Jhdt. n. Chr.]; vgl. Wilcken Arch. f. Pap. III 505, eine Liste der durch den Epistrategen angestellten πράκτορες σιτικῶν Col. I [163] Z. 9 διὰ κατοίκων. Col. II 3 δημοσίων γεωργῶν, einer ist gewesener Sitologe, vgl. Wilcken Ostraka I 601ff.; Arch. f. Pap. I 143) und die ἀπαιτηταὶ σιτικῶν φόρων (Pap. Oxy. III 514 J. 190 n. Chr.) an Ort und Stelle geleitet worden ist (Arch. f. Pap. III 214). Das erhobene Getreide wird nach dem nächsten Dorfthesaurus, dem staatlichen Kornmagazine (Wilcken Ostraka I 655ff.), expediert, die Transportkosten liegen den Kontribuenten ob (Arch. f. Pap. III 215). Hier wird es von den daselbst fungierenden Sitologen in Empfang genommen und vermessen. Dieselben, wie auch alle anderen Beamten, sind verpflichtet, für jede Lieferung Quittungen, welche uns in großer Masse sowohl auf Scherben wie auf Papyrus erhalten sind (Wilcken Ostraka I 659), auszustellen und abzugeben (Pap. Fay. 21, J. 134 n. Chr.). Daneben haben sie die Pflicht einer höchst komplizierten und genauen Buchführung (Näheres darüber Arch. f. Pap. III 216ff.), durch welche die tägliche Zufuhr unter einzelnen Namen und nach den Landesarten eingezeichnet und auf Grund derselben verschiedene zehntägige und monatliche Berichte an die Behörden geliefert wurden. Der Schlußbericht umfaßte das ganze Jahr (Pap. Oxy. 515, 1). Die Bücher der Sitologen gingen direkt nach Alexandrien zu dem Eklogisten (Pap. Amh. II 69, 154 n. Chr.). Für die richtige Verrechnung der Forderungslisten waren die betreffenden Beamten vom Komogrammateus an (Hohlwein a. a. O.), für die Erhebung die Serie der erhebenden Beamten mit dem Strategen an der Spitze verantwortlich (BGU 908. Pap. Oxy. IV 708 u. a.). Trotz der strengen Bewachung verstanden es aber manche Sitologen doch, sich selbst bei der Eintreibung nicht schlecht zu versorgen (Pap. Amh. 79). Die Eintreibung bildete die große Sorge der Regierung, besonders die Eintreibung der Rückstände (s. die lehrreiche Serie der Urkunden von Mendes BGU 902–904. 976 [905–980]. Wilcken Hirschfeld-Festschrift 123ff., vgl. BGU 747. Pap. Oxy. II 291. Pap. Fay. 320. BGU 486). Im Dorfmagazine wurden die Vorräte nur kurze Zeit aufbewahrt; sobald wie möglich mußten sie, soweit sie nicht an Ort und Stelle verbraucht wurden, weiter zu den Nilhäfen und dann nach Alexandrien spediert werden. Der Termin der Ankunft in Alexandrien ist zur Zeit Iustinians Ende August (bezw. Ende September), für entferntere Gegenden einen Monat später (Ed. Iust. de urbe Al. et Aeg. prov. c. 6. 24); die stete Fürsorge der Regierung für die glatte Zufuhr und Spedition (BGU 15 II. Pap. Flor. 2 col. VIII) zeigt uns, daß dieser Termin wohl viel älteren Datums ist. Die Spedition geschah durch Eselkarawanen (Arch. f. Pap. III 219ff.; Klio VI 253) bis zum Flusse, dann auf dem Flusse durch die sog. Naukleren (s. d.), die späteren navicularii Niliaci (Hist. Aug. Aurel. 47, 3. Ed. Iust. de urb. Al. c.24). An den Landungsplätzen sind große Magazine vorauszusetzen; die dort residierenden Beamten führen über die Eingänge und die Ladungen (ἐκβολή) sehr detaillierte Bücher (BGU 802, vgl. Pap. Lond. II 295 p. 100. BGU 607. Pap. Grenf. II 44. Arch. f. Pap. III 218). Auf den beladenen Schiffen fungieren außer der Schiffsmannschaft besondere liturgische Begleiter, vielleicht Vertreter der interessierten Personen, ἐπίπλοοι genannt [164] (Arch. f. Pap. III 116. 221); sie können auch Soldaten sein (vgl. die Rolle der Soldaten bei der Kornerhebung in der Iustinianischen Zeit, Ed. Iust. de urbe Al. c. 4. 5, und ihre Tätigkeit in viel früherer Zeit bei den Getreidespeichern in Alexandria, Pap. Nicole-Morel R. II. v. Premerstein Klio III 15; ähnliche Funktionen haben die prosecutores auf den Schiffen der navicularii Dessau 6987; über die prosecutio annonae s. u.). Unter ihrer Aufsicht werden die Schiffe beladen, und sie verlassen die Ladung erst nach der Kontrollwägung (ζυγοστασία) in Alexandrien. Das nach Alexandrien angekommene Korn wird in den Speichern von Neapolis ausgeladen (Wessely Führer 77 nr. 246. BGU 8 II 29. Pap. Flor. 75 [380 p. Chr.]. 18: καὶ παραδώσω ἐν τοῖς ὁρ[ρ]ίοις τῆς Νέας πόλεως. v. Premerstein a. a. O.), hier von uns nicht näher bekannten Beamten (vielleicht Procuratoren; im 4. Jhdt. n. Chr. ist es der ἀννωνέπαρχος, welcher auch den ναύκληροι die Quittungen ausstellt, Pap. Flor. 75 J. 380 n. Chr.) in Empfang genommen, gewogen und geprüft, wobei für jede Unreinheit der Ladung die Lokalbehörden verantwortlich sind (Pap. Oxy. IV 708). Das ganze hier geschilderte System der Erhebung ändert sich seit dem 3. Jhdt. n. Chr. nur insofern, als nach Verleihung der Autonomie an die Städte dieselben nunmehr für die richtige Eintreibung der Staatssteuern verantwortlich werden. Sie bestellen nunmehr (durch Wahl) die staatlichen liturgischen Beamten, unter denen neben den früheren Erhebern die δεκάπρωτοι immer mehr an Bedeutung gewinnen, und die ganze βουλή haftet für ihre Geschäftsführung (Preisigke Städtisch. Beamtenwesen 20ff.). Für das nach Alexandrien bestimmte Korn sorgen im 4. Jhdt. besondere ἐπιμεληταὶ σίτου Ἀλεξανδρείας (Pap. Flor. 75 J. 380 n. Chr.). Über Einzelheiten sind wir leider schlecht unterrichtet (vgl. Hartel Wien. Stud. 1883, 1–41); auch wissen wir nicht, ob und inwieweit die Grundlage des Naturalsteuersystems geändert wurde; prinzipiell Neues scheint nicht eingeführt worden zu sein. Erst für die Iustinianische Zeit gibt uns das mehrmals zitierte Edikt de urbe Alexandrina et Aegyptiacis provinciis ein konkretes Bild der Fürsorge, welche die Regierung der ägyptischen ἐμβολή, jetzt αἰσία ἐμβολή genannt, zuteil werden ließ.
Aus der Reihe der übrigen Provinzen hebe ich nur Iudaea wegen ihrer zur Zeit Caesars erhobenen Naturalabgabe – τὸ τέταρτον τῶν σπειρομένων (Joseph. ant. XIV 203. Rostowzew Staatspacht 476ff.) und die agri decumates in den Rheinlanden hervor (s. o. Decuma und Herzog Bonn. Jahrb. CII 95. 101. Schulten ebd. CIII 36).
V. Außerordentliche Kornabgaben.
Das als ordentliche Naturalabgabe erhobene Korn genügte für die Zwecke der Regierung keineswegs. Die Verpflegung der Stadt, die Verpflegung der in den Provinzen weilenden Soldaten und Beamten, die Verproviantierung der kriegführenden Armeen erforderten sowohl ständige wie extraordinäre Auflagen, welche die Provinzialen zu tragen hatten. Diese Auflagen wurden entweder bezahlt oder zwangsweise im Wege der Requisition erhoben oder aber als feste Abgabe ausgeschrieben. Über das in der Kriegszeit requirierte Korn, welches auch zuweilen nach Rom importiert [165] (z. B. Liv. XXIII 41. XXVII 8, vgl. die Münzen des Valerius Flaccus Babelon II 511, 11) oder aus einer Provinz in die andere verschickt wurde (Marquardt Staatsv. II 189. 196, 10), brauche ich hier nicht zu handeln, irgend eine Regelung dieser Kontributionen ist durch die Natur derselben ausgeschlossen. Anders die beiden anderen Kategorien.
Das von Staats wegen und für Staatszwecke angekaufte Korn bildete von altersher eine der Hauptressourcen Roms, besonders in Notzeiten (o. Abschn. I). In Sizilien sind solche Kornankäufe zu ganz regulären Erscheinungen geworden.
Das f. emptum oder die alterae decumae (s. Decuma) wurden ebenso wie das f. imperatum jährlich (Cic. Verr. II 3, 163 ita in frumentum imperatum HS duodetriciens in annos singulos Verri decernebantur) – wenigstens zur Zeit des Verres – ausgeschrieben. Der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Kategorie ist nicht ganz klar. Daß das f. imperatum nur von den civitates foederatae bezahlt wurde, wie Beloch und nach ihm andere wollen (o. Abschn. I), ist nicht möglich; Cicero – unsere einzige Quelle – sagt doch ausdrücklich (Verr. II 3, 163): emundi duo genera fuerunt, unum decumanum, alterum quod praeterea civitatibus aequaliter esset distributum, der Unterschied muß also ein anderer gewesen sein. Mir scheint es, daß die Regelmäßigkeit dieser Abgabe nicht von vornherein bestand, und daß das f. imperatum ursprünglich nur in dem Falle ausgeschrieben wurde, wenn das emptum nicht ausreichte; da dies immer als Zwangsabgabe, welche den schon erschöpften Kornbauern zugemutet wurde, empfunden wurde, hat man das f. imperatum höher als die alterae decumae taxiert (31/2 Sesterzien Cic. a. a. O. und ebd. 174). Die dritte Art, das f. aestimatum oder in cellam alias annona (Cic. Verr. II 3, 81–96. 188–222, bes. 188. 189. 192. Ps.-Ascon. in div. p. 113 Or., vgl. Cic. in Pis. 86: qui modus tibi fuit frumenti aestimandi? qui honorarii? siquidem potest vi et metu extortum honorarium nominari), ist das für den Statthalter bestimmte Korn, welches auch, und zwar 4 Sesterzien für den Modius, bezahlt wurde: die relative Höhe dieses Preises erklärt sich daraus, daß der Statthalter das Recht hatte, dieses Korn dahin, wo er weilte oder wohin er wollte, zu beordern: die Transportkosten lagen den Kontribuenten ob. Neben diesen ordentlichen Ankäufen haben wir mehrere Beispiele von außerordentlichen, besonders im 1. Jhdt. v. Chr., wo der Hauptzweck derselben die Versorgung der Plebs war. So erscheinen gegen das J. 100 v. Chr. auf Silberdenaren zwei Quaestoren ad fru(mentum) emu(ndum) ex s. c. (Mommsen-Blacas Münzw. II 385. 1. Babelon I 287.5); in ähnlicher Weise sind vielleicht auch die Münzen der beiden Aedilen Fannius und Critonius (Mommsen-Blacas II 447, 235. Babelon I 442f., nicht nach 82 v. Chr.), des Lollius Palicanus (Babelon II 148) und des Livineius Regulus (Babelon II 145) zu erklären. Diese Aufgabe haben auch Brutus und Cassius nach der Ermordung Caesars bekommen, ein munus sordidum, wie sie darüber klagen (Cic. ad Att. XV 10, vgl. 9. XIV 3, 11; Phil. II 31, vgl. Drumann-Groebe I 429; o. Art. Cassius Nr. 59; [166] die Ankäufe sollten in Sizilien und Asien gemacht werden). In viel größerem Maßstabe wurde dasselbe im J. 56 v. Chr. von Pompeius ausgeführt: alle Mittel des Staates sollten ihm zur Lösung dieser Aufgabe zur Verfügung gestellt werden (Plut. Pomp. 49. 50. Cass. Dio XXXIX 9, vgl. 24. 63. Cic. ad Att. IV 1, 6ff.; ad Q. fr. II 5 Assignation des Geldes). In der Kaiserzeit hören die Ankäufe keineswegs auf. Ich lasse die privaten Einkäufe der Kaiser beiseite (z. B. Mon. Anc. c. 15 frumento privatim coempto. Hist. Aug. Sev. Alex. 21, 9) und erinnere nur an die bekannte Äußerung des Plinius (paneg. 29), wo er von Ankäufen bei Provinzialen redet: emit fiscus quidquid videtur emere. Inde copiae, inde annona, de qua inter licentem vendentemque conveniat, inde haec satietas nec fames usquam; copiae und annona fasse ich hier in technischem Sinn, sowohl als Verproviantierung des Heeres und der Beamten, wie der Stadt Rom. Die Flavischen indictiones (s. d.) waren danach nur Scheinankäufe (vgl. Seeck Ztschr. f. Soz. u. Wirtschg. IV 329ff.), Remunerierung für das auf außerordentlichem Wege erhobene Korn war aber vor und nach den Flaviern die Regel (Tac. Agr. 19. 31 spricht scheinbar dagegen; nichts spricht aber dafür, daß die britannischen Frumenta nicht, wenn auch nur scheinbar, remuneriert wurden). Einige ägyptische Dokumente bestätigen die ausgesprochene Ansicht. Wir besitzen in der Masse der Ptolemaeischen und römischen Urkunden einige, welche sich auf die Militärverwaltung beziehen und vom ἀγοραστὸς bzw. συναγοραστὸς πυρός (bzw. κριθή) reden. Das älteste Zeugnis ist ein Papyrus aus dem 3. Jhdt. v. Chr. (Pap. Amh. II 29, vgl. Wilcken Arch. f. Pap. II 118): hier wird von einem συναγοράζειν im technischen Sinn gesprochen; es handelt sich, wie Wilcken gesehen hat, um Soldatenverproviantierung, und der Sinn des Einkaufverbotes wird der sein, daß die Militärverwaltung nicht berechtigt war, auf eigene Faust Requisitionen bezw. Zwangseinkäufe zu bewerkstelligen. Das Erscheinen vom ἀγοραστὸς πυρὸς in Steuerabrechnungen bestätigt die Auffassung, daß wir es mit einer repartierten Auflage oder einem Zwangskaufe zu tun haben (Pap. Petrie2 p. 291 nr. 113, 5, vgl. ebd. p. 241 nr. 100. 116, 7, 16. 131, 6, 12, 19: was der ἀγοραστός σῖτος in Pap. Petrie2 36 b II 5. 7–8 neben dem Abgabenkorn, φορικὸς σῖτος, bedeutet, ist nicht ganz klar, vgl. Bouché-Leclercq Hist. des Lagides III 375, 3). Reichere Nachrichten haben wir aus der römischen Zeit. Eine Serie von Urkunden aus den J. 185–187 (Ashmunen BGU 807. 842. Pap. Amh. 107. 108, vgl. 109. 173–178) und zwei andere aus dem Fayum (BGU 381 [2. Jhdt.] und Pap. Grenf. I 48. J. 191 n. Chr.) bezeugen uns (vgl. Grenfell zu Pap. Amh. 107), daß für jede Militärabteilung (in unserem Fall Kavallerie) eine bestimmte Quantität Gerste (bezw. Weizen Pap. Lond. II 301 p. 256, J. 138–161 n. Chr.) assigniert wurde. Diese Quantität wird von der lokalen Administration unter die verschiedenen Komen eines νομός repartiert (BGU 708. Pap. Amh. 107: τὰς ἐπιβληθείσας τῇ κώμῃ ... ἀκολούθως τῷ γενομένῳ ἐπιμερισμῷ, vgl. Pap. Grenf. I 48); jedes Quantum wird von den Lokalältesten (πρεσβύτεροι in der Serie von Ashmunen und [167] Pap. Grenf. I 48) oder besonderen liturgischen Beamten (εὐσχήμονες καὶ παραλῆμπται συναγοραστικῆς κριθῆς BGU 381) erhoben und besonderen, dazu abkommandierten Militärs eingehändigt, wofür diese Beauftragten entweder direkt (Pap. Grenf. I 48. BGU 381) oder durch besondere dazu eingesetzte liturgische Beamten von der Militärverwaltung entschädigt werden (Pap. Amh. II 109. BGU 842). Diese Entschädigung stammt aus dem Soldatensolde, wie uns der Pap. Nicole-Morel gezeigt hat (Mommsen Herm. XXXV 450f. Premerstein Klio II 10 gegen Domaszewski N. Heid. Jahrb. X 219, 3). Diese Zwangsankäufe sind wohl unter anderen Supplementärabgaben gemeint, wenn wir unter den Korntaxen den Taxen ἐπιβολή und ἐπιμερισμός begegnen (s. bes. Bull. d'arch. or. III 187ff. Z. 11ff.; das hier erscheinende κατὰ μῆνα vgl. mit Pap. Grenf. I 48 τιμὴν ... μηνῶν δύω, was auf eine Repartierung auf einige Monate schließen läßt, vgl. BGU 880. CPR I 16. Waszynski Bodenpacht 119). Ob auch im Pap. Oxy. II 391. III 798 unter πυρὸς ἀγοραστός etwas dem συναγοραστικός ähnliches gemeint ist, mag dahingestellt bleiben. Nach dem Gesagten ist es sicher, daß wir im 1.–2. Jhdt. n. Chr. ein f. emptum und zwar hauptsächlich für Militärzwecke auch in Ägypten treffen. Wie in Sizilien der Senat durch den Statthalter und in späterer Zeit der Kaiser (s. darüber o. Bd. I S. 2320f.; besonders charakteristisch ist der Spezialagent missus ad com]parationem frumenti Eph. epigr. V 1210 und die ganze Verwaltung auf den Militärzügen, vgl. CIL V 5036[26] und Cagnat IGR III 1412 ἀννωναρχήσα(ς) λεγιῶσι α' καὶ β' διόδοις [ἐπὶ] Πέρσας aus dem J. 215 [Bithynien Bull. hell. 1901, 59. 205), so bestimmt und repartiert diese Zwangsankäufe der Praefect Ägyptens, wohl nach dem Vorgang der Ptolemaeer; er war es auch, welcher wohl auch den Preis bestimmte.
Anders ward es im 3.–4. Jhdt. n. Chr. Schon am Ende des 2. Jhdts. haben wir eine Quittung aus Elephantine (Wilcken Ostraka II 273, J. 185 n. Chr.), wo ὑπ(ὲρ) ἀννώ(νης) μερισμοῦ στατίωνος Geld bezahlt wird. Es handelt sich wohl um die Unterhaltung einer militärischen statio und dieselbe wird unter den Bewohnern repartiert; hier scheint es sich um unentgeltliche Leistung (adaeratio) zu handeln (ähnlich lautet nr. 674 aus Theben). Diesen Ostraka schließen sich noch andere aus Theben (Wilcken Ostraka I 155) an, wo einfach Geld (für Gerste, Heu, Wein) oder Weizen für die annona geliefert werden. Es scheint danach, daß unter annona unentgeltliche Lieferungen für die Unterhaltung des Heeres verstanden werden (wohl eine Domäne liefert 50 Artaben Korn für Soldaten Pap. Oxy. IV 735, J. 205 n. Chr., wahrscheinlich auch unentgeltlich). Diese Bedeutung wird durch mehrere spätere Urkunden bestätigt: so redet in Pap. Oxy. 71 (J. 303 n. Chr.) eine Frau zum Praefectus: οὐκ ὀλίγον τελούσης μου κανονικούς δὴ λέγω φόρους καὶ στρατιωτικὰς εὐθενίας, in derselben Zeit aber steht in BGU 519 τῶν δημοσίων καὶ ἀννονόν (sic) καὶ παντοίων ἐπιβολῶν (vgl. BGU 94, 17. Pap. Lips. 6 [306 n. Chr.]: δημοσίων καὶ ἐπιμερισμῶν καὶ ἀννωνικῶν ἐπιβολῶν παντοίων κανονικῶν καὶ ἄλλων; ebd. 19 J. 319 n. Chr. Pap. Reinach 56); im J. 346 n. Chr. in der Korrespondenz des Abinnaeus (Pap. Lond. II [168] 237 p. 293) wird von den für das Lager bestimmten Annonen geredet und im J. 380 (BGU 974) vom Wein, welcher εἰς εὐθένειαν der Soldaten ἀπὸ δηληγατίονος κανόνος der 9 Ind. (s. Delegatio) geliefert wird; vgl. Pap. Lips. 97 III 15. XII 18 mit den Anmerkungen von Mitteis; hier gehört die annona militaris auch zum canon und wird für die Gutssklaven gezahlt. Denselben militärischen Sinn hat annona in BGU 1027 (4.–5. Jhdt.). Es ist klar, daß auch da, wo annona als nicht näher bezeichnete Abgabe erhoben wird, die annona militaris zu verstehen ist (BGU 519 [4. Jhdt.]. 529 [216/217 n. Chr.]. 534 [215/216 n. Chr.]. 336 [216 n. Chr.]. Pap. Grenf. II 95, vgl. Pap. Oxy. I 71 col. I, J. 303. Pap. Amh. II 139, J. 350 n. Chr. 1025, 2, 20. 10252, 1, 15). Dies bestätigt die Ansicht Wilckens (Ostraka I 156), daß für die ἐμβολή, den canon oder die annona urbis (hierauf bezieht sich der alexandrinische ἀννωνέπαρχος aus dem J. 380 n. Chr., Pap. Flor. 75) das Steuerkorn bestimmt wurde, die ägyptische annona für die innere Verwaltung, besonders für das Heer, erhoben wurde. Wie ist aber der Wandel aus dem f. emptum in die annona zu erklären? Es scheint mir, daß es Brauch war oder im 2. Jhdt. n. Chr. wurde, daß den Gegenden Ägyptens, in denen eine Abteilung des Heeres stand, eine Auflage zur Unterhaltung derselben als unentgeltliche Leistung aufgebürdet wurde; da dieselbe zur Unterhaltung der Abteilung nicht ausreichte, so mußte daneben auch eingekauft werden, was auf weiterliegende Bezirke repartiert wurde (vgl. die Requirierung der Zugtiere Comparetti Mél. Nicole 57ff.). Allmählich fand man es bequemer, auch das früher Gekaufte in unentgeltliche Abgabe zu verwandeln und das ganze Quantum der für das Heer nötigen Naturalien auf die Kontribuenten zu repartieren: aus den bezahlten unregelmäßigen ἐπιβολαί entwickelte sich die regelmäßige unbezahlte Abgabe, annona, welche zu einem Teile des canon wird, aus den indictiones (s. d.) das nachdiocletianische Naturalsteuersystem (Seeck Ztschr. f. Soz. u. Wirtschg. IV 329ff., bes. 332; Gesch. des Unterg. der ant. Welt II 250ff.).
Auch nach der Diocletianischen Reform kam aber die Sitte, Korn in außerordentlicher Weise anzukaufen, nicht außer Gebrauch. Die Termini technici sind dabei den ägyptischen auffallend ähnlich: so redet Cod. Theod. XI 15, 1, J. 361 n. Chr., von einer comparatio diversarum specierum quod synoneton appellatur (vgl. BGU 807. Pap. Amh. II 107f.), vgl. ebd. 2 (J. 384) und die Ankäufe des afrikanischen Proconsuls aus dem J. 368 Ammian. Marc. XXVIII 1, 18; im J. 407 (Cod. Theod. VI 26, 14) heißen die Lieferungen venalicium – ἀγοραστός. Die Ankäufe sind für verschiedene urgente Bedürfnisse bestimmt; so Cod. Theod. XI 17, 4, J. 408, ad necessitates Illyricianas (vgl. XV 1, 49. Cod. Iust. X 49, 1); Cod. Theod. XIV 16, 1. 3 (409 und 434 n. Chr.) zur Verproviantierung Konstantinopels; Cod. Iust. X 27, vgl. Procop. hist. arc. 22 und ebd. 13–15 für dieselben Zwecke (s. auch Cassiod. var. X 27). Als eine Art von Naturalauflage darf auch die Verordnung des Timesitheus gelten: danach sollte jede Grenzstadt allerlei Naturalien in Bereitschaft (condita) halten, die größeren zur Deckung des [169] Bedarfs eines ganzen Jahres, die kleineren weniger (bis zu zwei Wochen, Hist. Aug. Gord. 28, vgl. die Sorge Hadrians dafür Hist. Aug. Hadr. 11, 1). Vielleicht kann man diese condita in dem bekannten Dekret von Pizos wiederfinden (Dittenberger Syll.2 932, 50ff. Seure Bull. hell. XXII 480ff.); als große Privilegien werden den neuen Einwohnern des Emporiums πολειτικοῦ σεί[τ]ου [ἀν]εισφορίαν καὶ ἐπ[ιμελ]είας βουργαρίων καὶ φρουρῶν καὶ ἀνγαρειῶν ἄνεσιν verliehen. Da hier ausschließlich von Leistungen einer Grenzstadt, welche mit dem Militärleben im Konnex steht, die Rede ist, so ist es erlaubt, auch den πολιτικὸς σῖτος nicht als die Grundsteuer, sondern als diese halb militärische Abgabe zu verstehen.
VI. Korntransport.
Oben ist schon ausgeführt worden, in welcher Weise der Korntransport in Ägypten organisiert war. Auf den Bauern lag nur die Pflicht, das Korn von der area (ἄλως) zu dem nächsten horreum θησαυρός) zu transportieren. Nachher kam das Korn in den Bereich der Tätigkeit der Administration. Aus den Dorfthesauren transportierten das Korn zu den ὅρμοί (Flußhäfen) organisierte Gilden von Esel-, Kamel- und Ochsenwagentreibern, welche dafür remuneriert wurden, deren Arbeit aber als Zwangsarbeit angesehen und als solche auf die Dörfer repartiert wurde (Rostowzew Klio VI 253f.). Es ist möglich, daß die Bezahlung, welche diesen Gilden zu statten kam, auf die ganze Bevölkerung Ägyptens als Abgabe gelegt wurde (s. Φόρετρον). In den ὅρμοι warteten die Schiffe, welche wiederum als halbfreiwillige Leistung (BGU 1022) von den ναύκληροι (s. d.) gestellt wurden; möglich ist es, daß die Bezahlung dieser Schiffe wiederum auf die Bevölkerung als besondere Steuer abgewälzt wurde (Pap. Lips. 55 J. 375–379 n. Chr.). Die ναύκληροι waren öfters zugleich selbst Kapitäne ihrer Schiffe (Wessely Stud. zur Papyrusk. II 34, J. 328. Pap. Flor. 75 J. 380). Sie stehen im Dienst des Staates und leisten deshalb einen Eid (Arch. f. Pap. III 221; vgl. Wilcken ebd. 305. Pap. Goodspeed 14; Pap. Flor. 75). Im 4. Jhdt. beziehen sie das nötige Korn von besonderen städtischen Beamten, ἐπιμεληταὶ σίτου Ἀλεξανδρείας (den curatores frumenti der anderen Reichsstädte analog), welche aus dem Municipalrat bestellt werden und mit ihrem Vermögen haften (Pap. Flor. 75. Wilcken Arch. f. Pap. III 305). Aus solchem Material werden die Sendungen, ἀπόστολοι genannt, gebildet, welche das Korn in Alexandrien in der Neapolis abliefern. Dieses Korn wird im 4. Jhdt. von dem ἀννωνέπαρχος in Empfang genommen, dann auf Schiffe der Meernaucleri (Pap. Oxy. I 87) geladen und nach Ostia und Puteoli transportiert (der στόλος Ἀλεξανδρεινός, s. Classis und Navicularii, vgl. Ricci Arch. f. Pap. II 447 nr. 77). Für die Bezahlung dieser Transporte wird noch eine Steuer von der Bevölkerung erhoben (wenigstens im 4. Jhdt. n. Chr., Pap. Lips. 68 J. 368 n. Chr., vgl. Ed. Iust. de prov. Aeg. c. VII. XIII).
Beinahe dieselben Verhältnisse wiederholen sich in andern Provinzen, soweit wir nach den erhaltenen dürftigen Nachrichten zu schließen im stande sind. Typisch dafür ist Sizilien. Auch hier geschah die Abrechnung der Naturalabgaben [170] auf der Tenne (Cic. Verr. II 3, 96, dasselbe vielleicht auch in Africa, was ich aus der Weihung an den genius areae frumentariae CIL VIII 6339[27] = Dessau 3669 schließen möchte). Wem der Transport zum nächsten horreum oblag, ist ungewiß; allerdings waren die Bauern nicht verpflichtet, das Korn der decumae zum Meer zu transportieren. Das erhellt aus den Bestimmungen über das f. in cellam; aus der Verpflichtung der Kontribuenten, dies Korn dahin zu liefern, wohin es dem Statthalter beliebte (Cic. Verr. II 3, 192), entstanden die größten Vexationen; wäre dasselbe auch für das decumanum der Fall, so hätte Verres diesen Umstand zu seinem Vorteil ausgenützt. Daß aber diese Pflicht auf den Pächtern lag, ergibt vielleicht die mehrfach angeführte Stelle aus dem S. C. de Termessibus (II 31. 37: vgl. auch Liv. XXXVI 2 eidem praetori mandatum ut duas decumas exigeret [in Sizilien]; id ad mare comportandum devehendumque in Graeciam curaret). Der weitere Transport nach Rom lag auch den Pächtern ob (Cic. Verr. II 3, 172. 175. Kuhn Ztschr. für Altertumsw. 1845, 998, vgl. Varro de r. r. II 1. Columella I 1; dagegen Holm St. d. Sic. III 158, welcher die hier erwähnten mancipes für Pächter des Transports hält), wohl durch Vermittlung der naucleri. In der Kaiserzeit scheint es dabei geblieben zu sein. Da, wo es schiffbare Flüsse gab (Gallien, Spanien), galt als Ziel des von den Pächtern bezw. Kontribuenten zu bewirkenden Transports ein Flußhafen, wo das Korn unter der Aufsicht kaiserlicher Beamten den nach ägyptischem Vorbild organisierten navicularii übergeben wurde (dies schließe ich aus der bekannten Inschrift CIL II 1180[7] aus Hispalis: der Geehrte ist ein adiutor ... praef. annon(ae) ad oleum Afrum et Hispanum recensendum item solamina [s. d.] transferenda item vecturas naviculariis exsolvendas; Näheres s. u. Ναύκληροι und Navicularii). In der späteren Kaiserzeit hören wir viele Klagen über die drückende Last des Transports. Dies erklärt sich wohl aus der Vorschrift über das f. in cellam, die jetzige annona. Da sie jetzt fast zur alleinigen Steuer wurde, so hat man die Gelegenheit benützt, um diesen Umstand recht ordentlich auszunützen. Daher die vielen Erlasse, die die Transportlast zu regeln und die Mißbräuche abzuschaffen bemüht sind (Marquardt Staatsv. II 102. Seeck Gesch. d. Unterg. d. ant. Welt II 285ff.). Es scheint, daß auch jetzt rechtlich der Transport bis zum nächsten horreum, (s. d.), deren Existenz in jedem Distrikt vorauszusetzen ist, allein den Possessoren oblag, dagegen die weitere Beförderung den Städten als solchen aufgebürdet wurde. Daher entwickelte sich das munus der prosecutio annonae, welches öfters erwähnt wird, besonders in Fällen, wo größere Massen zu transportieren waren, wie in Zeiten des Kriegs (s. z. B. Cagnat IGR III 1412. 1421 παραπέμψαντα τὰ ἱερὰ στρατεύματα πολλάκις) oder einer größeren Zufuhr in andere Gegenden (IGR III 407. 409 πέμψαντα ἀννώναν εἰς τὸ Ἀλεξανδρέων ἔθνος; vgl. Basil. LVI 10). Oben habe ich ausgeführt, daß diese prosecutio sich aus dem Institut der ägyptischen ἐπίπλοοι entwickelt hat. Dig. L 4, 18, 3 bestätigt diese Annahme, da hier die prosecutio als ein rein persönliches munus erscheint; noch charakteristischer [171] ist Cod. Theod. XIII 9, 4, woraus man ersieht, daß der richtige Platz der Prosecutoren auf den Schiffen ist (vgl. die schon oben angeführte Inschrift Dessau 6987). Die prosecutores hatten als Agenten der Stadt die schnelle und richtige Expedition der Vorräte zum Bestimmungsort, gewöhnlich einem Hafen, zu überwachen.
VII. Kornverwaltung.
S. Annona, dazu jetzt noch Cardinali Diz. epigr. III 214ff. Hirschfeld Verwaltungsb.2 230ff. Zu dem oben von J. Oehler Ausgeführten habe ich nur folgende kurze Bemerkungen hinzuzufügen. Die Verwaltung der Kornrevenuen in den Provinzen stand in der republikanischen Zeit den Provinzialmagistraten zu; dieselben beaufsichtigten, wie bekannt, die Tätigkeit der Steuer- und Domänenpächter, der großen societates vectigalium publicorum. In der Kaiserzeit blieb es zuerst ebenso; auch in Ägypten liegt die Verwaltung gänzlich in den Händen des Praefecten (s. Art. Fiscus). Die Tätigkeit des praefectus annonae beschränkt sich auf die Zentralisierung und Ordnung der Zufuhr, die Organisation der Verwaltung in den großen Hafenstädten Italiens und der Provinzen, weshalb sich die kaiserlichen Annonabeamten in den Senatsprovinzen finden, soweit die Nachrichten darüber sich auf die erste Kaiserzeit beziehen können (Hirschfeld Philol. XXIX 81). Allmählich aber vollzieht sich in den Provinzen außerhalb Ägyptens und vielleicht Afrikas der Übergang von dem Prinzip der Naturalsteuer zu dem Prinzip des Geldstipendiums. Es verbleiben dem Staat als Kornquellen nur Ägypten und die vielen und großen Domänen in den andern Provinzen, sowohl senatorischen wie kaiserlichen. Die Teilung der Verwaltung der Kornrevenuen stellte sich je weiter desto mehr als vollständig unpraktisch heraus. Daher die Tendenz, da die Hauptlast der Kornversorgung doch hauptsächlich auf Ägypten und den kaiserlichen Domänen lag, die Administration der ganzen Domänenwelt in die Hände einer Verwaltung zu lenken; diese Tendenz erklärt die Entstehung der kaiserlichen Verwaltung des f. mancipale und die ersten Spuren der kaiserlichen Einmischung in die Verwaltung des Ager publicus überhaupt. Diese unifikatorische Tendenz äußert sich am klarsten in der Nachricht des Tacitus über die Reformversuche Neros in der Vectigalienverwaltung. Bekanntlich sagt er unter dem J. 62 n. Chr., nach der Erzählung über die Versenkung des verdorbenen f. plebis durch Nero Folgendes (ann. XV 18): tris deinde consulares ... vectigalibus publicis praeposuit cum insectatione priorum principum qui gravitate sumptuum iustos reditus anteissent: se annuum sexcenties sestertium rei publicae largiri. Diese drei Consulare sind derselbe Weg, welchen Augustus in der Schaffung der praefecti frumenti dandi (s. u.) und seiner verschiedenen curatores (s. d.) eingeschlagen hat: es ist ein Versuch, einen Verwaltungszweig mit Ausschluß des Senats und seiner Beamten zu uniformieren. Daß unter vectigalia nach dem ganzen Tenor der Stelle die Naturalabgaben zu verstehen sind, ist von vornherein klar; daß die Naturalabgaben der Senatsprovinzen jetzt hauptsächlich in den Domänenrevenuen bestanden, zeigt Abschn. V. Die Consulare Neros haben aber in der sonstigen Überlieferung keine Spuren [172] hinterlassen; sie waren demnach eine ephemere Einrichtung. Daß aber die unifikatorische Tendenz, welche sie geschaffen hat, auch weiter existiert hat, kann keinem Zweifel unterliegen: die Funktionen derselben gingen wohl auf die Provincialprocuratoren und in Afrika auf die Domänenverwaltung über; in steter Zusammenwirkung mit denselben arbeiten wohl die Agenten des praefectus annonae in den Provinzen (s. bes. CIL II 1180[7] und XII 672. Bull. du comité 1893, 214; vgl. Hirschfeld Verwaltungsb.2 242, 5. 244, 1. Cardinali a. a. O. 246ff. und 301ff.). Seit Severus scheint dieser Teil der Kompetenz des praefectus annonae auf den praefectus praetorio (s. d.) übergegangen zu sein (Hirschfeld a. a. O. 244f).
VIII. Kornverteilungen (frumentationes, leges frumentariae).
1. Bis auf Augustus.
Die oben entwickelten Bedingungen des antiken Kornhandels und die Lage der antiken Großstädte in Bezug auf die Kornversorgung variieren in den verschiedenen Stätten des antiken Städtewesens nur wenig. Wie in Athen und Rhodos, so sind sie mit wenigen Änderungen in Karthago und in Rom dieselben. Seitdem Rom Großstadt geworden war, stand es vor der Frage der Kornversorgung seiner Bevölkerung. Es ist kein Wunder, daß unter denselben Bedingungen auch dieselben Mittel angewendet worden sind. Besondere Magistrate sorgten für die Verproviantierung der Stadt (s. Aediles), im Notfalle griffen sie mit Zustimmung des Senates zu Kornankäufen (σιτωνία) und zu Verteilungen des Kornes zu normalen oder noch billigeren Preisen (Liv. XXX 26, 6. XXXI 4, 6. 50, 1. XXXIII 42, 8). Private Liberalität ist weniger häufig, und es sind ausschließlich Aedilen (abgesehen von den nicht historischen Nachrichten über Sp. Maelius), welche vor Gracchus als Spender auftreten (vielleicht Plin. XVIII 15–16, vgl. die nachgracchanischen Plin. a. a. O. und Cic. de off. II 58; Verr. II 3, 215). Zur Anlage von besonderen Kapitalien, auf welche die Kornversorgung oder Kornverteilung fundiert werden konnte, brauchte Rom nicht zu rekurrieren; zuerst die Domänen in Italien, dann die Provinzen mit ihren Kornabgaben und außerordentlichen Kornauflagen, auch Kornankäufen mit Bezahlung aus den Provinzialeinkünften, welche in Geld einliefen, entbanden die römischen Magistrate von der Notwendigkeit zur Anlage besonderer Kapitalien durch Schenkungen oder Zwangsbeiträge der Reicheren (s. Abschn. IX) zu greifen. Die Entwickelung der demokratischen Idee und der Fortschritt der Demokratisierung der römischen Institutionen brachten als notwendige Folgerung die Forderung der souveränen Bevölkerung Roms mit sich, sie wolle nicht hungern, sondern von der Regierung mit billigem und reichlichem Korne versorgt werden. Der Staat, welcher in den Provinzen reiche Korndomänen besaß, konnte sich nicht weigern, diesen Forderungen Folge zu leisten; die cura annonae der Aedilen mit ihren sporadischen Verkäufen mußte sich zu einer ständigen Institution entwickeln, und C. Gracchus zog nur die notwendigen Konsequenzen eines reifen Prozesses, als er nicht nur die Pflicht des Staates, für Kornverpflegung der Stadt zu sorgen, [173] sondern auch das Recht jedes Bürgers, die Lieferung des jedem einzelnen notwendigen Getreideminimums für einen mäßigen Preis vom Staate zu fordern, ausdrücklich anerkannte (Rodbertus Hildebrands Jahrb. XIV 375ff. v. Wilamowitz S.-Bar. Akad. Berl 1904, 917ff. Hirschfeld Verwaltungsb.2 230f.). Über die lex Sempronia frumentaria des J. 123 v. Chr. (Appian. bell. civ. I 21 und Liv. epit. 60) sind wir leider nur schlecht unterrichtet. Folgende Punkte scheinen festzustehen. Erstens ist es vollständig sicher, daß die Empfänger das Korn nicht unentgeltlich, sondern für einen mäßigen Preis bekamen. Der Preis selbst scheint auf 61/3 Asse fixiert worden zu sein (Schol. Bob. p. 300 und 308 Orelli. Mommsen Tribus 179, 4, vgl. 182, 18. Cic. p. Sest. 55. Liv. ep. 60). In welchem Verhältnisse dieser Preis zu den damals in Rom herrschenden Kornpreisen gestanden hat, ist eine nicht zu beantwortende Frage, da wir kein gleichzeitiges Vergleichsmaterial besitzen (o. Abschn. III; vgl. Marquardt St.-V. II 114). Zweitens scheint schon in der Gracchenzeit die Kornverteilung als drückende Last auf dem Aerarium gelastet zu haben, was darauf schließen läßt, daß schon damals das Korn gekauft werden mußte (Cic. de off. II 72; pro Sest. 103; Tusc. III 48. Flor. epit. III 13. Kuhn Ztschr. f. Altertumsw. 1845, 1002ff., vgl. Appian. bell. civ. I 27, wonach das vectigal vom ager publicus nach der lex Thoria zu Getreidespenden zu verwenden war). Drittens sind zu den Verteilungen alle erwachsenen männlichen Bürger zugelassen worden (Cic. Tusc. III 48, vgl. Appian. bell. civ. I 21: ἑκάατῳ τῶν δημοτῶν) und zwar auf Grund persönlicher Meldung (Cic. Tusc. III 48) monatlich (Appian. bell. civ. I 21 ἔμμηνον σιτηρέσιον). Wie viel Getreide jeder Bürger monatlich kaufen durfte, ist nicht überliefert (Mommsen a. a. O. und R. G. II9 105 nimmt 5 Modien an), allerdings steht der Satz von 5 Modien monatlich schon für die Zeit vor 78 v. Chr. fest (Sall. hist. I 55, 11 Maur.). Die späteren Schicksale der Getreideverteilungen sind uns leider schlecht bekannt. Die Reaktion gegen die Gracchischen Gesetze hat sich auch in Bezug auf die lex frumentaria geäußert. Leider ist uns die Zeit der lex Octavia, welche Cicero dem Gracchischen Gesetze als eine mäßige und für den Staat erträgliche Maßregel gegenüberstellt (Cic. de off. II 72; Brut. 222, vgl. Sall. hist. I 62 Maur.), unbekannt. Wahrscheinlich ist sie früher als die beiden ephemeren erweiternden Gesetze des Apuleius vom J. 100 v. Chr. und Livius Drusus vom J. 91 anzusetzen. Denn diese haben wohl den Zweck gehabt, jede Beschränkung in Bezug auf die Frumentationen aufzuheben und dieselben den griechischen Prinzipien gemäß beinahe unentgeltlich zu machen (über die lex Apuleia Auct. ad Her. I 21, vgl. über ihre Aufhebung Cic. de leg. II 15; über die Livia Liv. epit. 71. Auct. de vir. ill. 66. Val. Max. IX 5, 2). Sullas Regiment scheint die Getreidespenden ganz aufgehoben zu haben (Sall. hist. I 55, 11); hergestellt hat dieselben Lepidas sofort nach Sullas Tode. In welchem Maßstabe und nach welchen Prinzipien diese Herstellung ausgeführt worden ist, ist eine schwierige Frage. Granius Licinianus, unsere einzige Quelle, sagt darüber [174] folgendes (Gran. Lic. 34, 4f. ed. Flemisch, vgl. Sall. hist. I 55, 11): et le]gem frumentari[am] nullo resistente [tuta]tus est, ut annon[ae] quinque modii popu[lo da]rentur. Danach steht nur die Höhe der monatlichen Ration fest. Weitere Schlüsse erlaubt uns die Überlieferung über das im J. 73 durchgebrachte Gesetz, die Lex Terentia Cassia. Dieses von Cicero in den Verrinen häufig erwähnte Gesetz (Cic. Verr. II 3, 163. 5, 52) versorgte nicht die ganze Bevölkerung, sondern nur einen kleinen Teil derselben mit dem Staatskorn. Nach Verr. II 3, 72 (33 000 Medimnen wären prope menstrua cibaria der römischen Plebs) war die Zahl der Getreideempfänger kaum größer als 40 000 Personen. Diese geringe Zahl erklärt sich wohl dadurch, daß die Getreidespenden dieses Gesetzes unentgeltlich waren. Dies schließe ich aus der bekannten Sallustischen Rede des Licinius Macer; er sagt (Sall. hist. III 48, 19 Maur.): nisi forte repentina ista frumentaria lege munia vestra pensantur: qua tamen quinis modiis libertatem omnium aestumavere qui profecto non amplius possunt alimentis carceris ... quae tamen quamvis ampla quoniam serviti pretium ostentaretur, cuius torpedinis erat decipi et vestrarum rerum ultro iniuriae gratiam debere? Die Ausdrücke wie aestumavere und pretium erlauben kaum eine Bezahlung der Spenden, und dazu noch nach der nicht niedrigen Gracchischen Taxe, anzunehmen. Daß schon die Spenden des Lepidus unentgeltlich waren, bezeugt außer dem Ausdrucke des Granius daretur noch Sall. hist I 77, 6: largitionibus rem publicam lacerari. Von einem Verkaufe wird man kaum largitio und von den Folgen derselben kaum lacerari sagen. Wenn diese Deduktionen richtig sind, so wird die Reform des Lepidus darin bestanden haben, daß das von Gracchus anerkannte Recht der Bürger auf billigen Getreidekauf sich in ein Almosen, was auch Sallust direkt hervorhebt, verwandelt hat. Die späteren Nachrichten über die Getreideverteilungen widersprechen der obigen Annahme nicht. Es ist allerdings bezeugt, daß unmittelbar vor der Zeit des Clodius das Getreide vom Volke mit 61/3 Assen bezahlt wurde (Cic. pro Sest. 55. Ascon. in Pison. p. 7 Kiessl.); aber in die Zwischenzeit zwischen dem Clodischen Gesetze und den beiden oben erwähnten Gesetzen fällt das von Cato beantragte Senatus consultum vom J. 63 (Mommsen R. G. III 196. 505), über dessen Inhalt Plutarch (Cat. min. 26) berichtet: ὁ Κάτων φοβηθεὶς ἔπειοε τὴν βουλὴν ἀναλαβεῖν τὸν ἄπορον καὶ ἀνέμητον ὄχλον εἰς τὸ σιτηρέσιον ἀναλώματος μὲν ὄντος ἐνιαυτοῦ χιλίων καὶ διακοσίων καὶ πεντήκοντα ταλάντων. Es war also die Herstellung des Gracchischen Gesetzes, eine Herstellung, welche wohl auch den von Lepidus abolierten Preis wiedereingesetzt hat. Durch diese Wiedereinsetzung des Preises wird der Erfolg der Clodischen Agitation erklärlich. Nach dem Vorgange Caesars (Cic. ad Att. II 19; de domo 25) hat Clodius im J. 58 sein Korngesetz vorgeschlagen und durchgeführt. Darüber berichtet Cassius Dio in der viel gequälten Stelle (XXXVIII 13) folgendes: ὁ οὖν Κλώδιος ἐλπίσας αὐτὸν διὰ ταῦτα ἃν τήν τε βουλήν καὶ τοὺς ἱππέας τόν τε ὅμιλον προπαρασκευάσηται ταχὺ κατεργάσεαθαι τὸν τε σῖτον προῖκα αὖθις διένειμε [175] (τὸ γὰρ μετρεῖσθαι τοῖς ἀπόροις τοῦ τε Γαβινίου ἢδη καὶ τοῦ Πίσωνος ὑπατευόντων ἐσηγήσατο). Der Nachdruck liegt in dieser Stelle auf προῖκα und τοῖς ἀπόροις; ich glaube, die Stelle wird so zu erklären sein: Clodius hat im J. 58 das Korn wieder unentgeltlich verteilt und zwar nach dem Gesetze, welches solche Austeilung an die Armen verordnete, also eine Erneuerung in größerem Maßstabe der lex Aemilia war. Clodius hat danach wieder das Prinzip der Almosen eingeführt, brachte aber die Zahl der dazu Berechtigten von den 40 000 der lex Terentia Cassia auf die ganze proletarische Bevölkerung Roms (Cic. pro Sest. 55). Daß aber dabei die Berechtigten irgendwie verzeichnet wurden, bezeugen die Nachrichten über des Pompeius Kornpolitik. Pompeius beabsichtigte nach Dio (XXXIX 24, 1, J. 57 v. Chr.) einen recensus (ἀπογραφή) seiner Freigelassenen zu machen, ὅπως ἔν τε κόσμῳ καὶ ἐν τάξει τινι σιτοδοτηθῶσι. Diese Verzeichnung sollte demnach seinen Freigelassenen eine ordnungsmäßige Möglichkeit geben, ihr Korn regulär zu beziehen, was auf die Existenz einer Liste der Berechtigten schließen läßt. Dieselbe Stelle scheint aber zu bezeugen, daß trotz der Existenz eines Verzeichnisses in den Kornverteilungen keine Ordnung herrschte und das Korn auch an die Nichtverzeichneten verteilt wurde. Diese Unordnung ergab zur Zeit der Alleinherrschaft Caesars die enorme Summe von 320 000 wohl nur zum Teile in die Listen eingetragenen Kornempfängern; ihre Reduktion durch Caesar mittels eines recensus auf 150 000 (Suet. Caes. 41) ist nach dem Gesagten keine Neuerung, sie ist nur eine Beseitigung der Mißbräuche, welche sich gegen das Gesetz eingeschlichen hatten. Dies bestätigt die Angabe Dios über die Reform (XLIII 21, 8): καὶ τοῦ πλήθους τοῦ τὸν σῖτον φέροντος ἐπὶ μακρότατον οὐ κατὰ δίκην ἀλλ' ὥς που ἐν ταῖς στάσεσιν εἴωθε γίγνεσθαι ἐπαυξηθέντος ἐξέτασιν ἐποιήσατο καὶ τοὺς γε ἡμίσεις ὁμοῦ τι αὐτῶν προαπήλειψε (vgl. Appian. bell. civ. II 102. Plut. Caes. 55). Nach der Angabe Suetons und dieser Stelle scheint der Vorgang folgender gewesen zu sein: Caesar hat keine prinzipielle Neuerung eingeführt; auf Grund der Clodischen Prinzipien (Cardinali a. a. O. 11) hat er einen recensus der nicht vermögenden Bürger (das τοῖς ἀπόροις des Dio) veranstaltet. Dieser recensus ergab die Zahl der zur Teilnahme an der Kornverteilung Berechtigten; dieselben mußten alle römische, in Rom ansässige, erwachsene Bürger sein (Hirschfeld Philol. XXIX 6ff. und seine klaren Ausführungen über den Anfang der sog. lex Iulia municipalis ebd. 90ff.). Aus der Zahl der Berechtigten loste man die festgesetzte Zahl der aktiven Teilnehmer aus. Nach dem Tode eines aus der Zahl der Ausgelosten trat eine subsortitio aus der Zahl der Exspektanten, welche vom Praetor vollzogen wurde, ein. Die weitere Eintragung in die Exspektantenlisten geschah wohl nach Meldung der Berechtigten. Die Clodische Unentgeltlichkeit der Verteilungen und die traditionelle Höhe der monatlichen Ration wurden beibehalten. Die Verteilung geschah an einem Tage, an einem Orte, von besonders dazu bevollmächtigten Magistraten; Tag, Ort und Magistrat standen nicht von vornherein fest (Lex Iulia munic. Z. 15f.: et quom frumentum [176] populo dabitur ibei ubi frumentum populo dabitur ... vgl. Z. 17 queiquomque frumentum populo dabunt [l. dabit] dandumve curabit). Über die die Kornverteilungen leitenden Magistrate s. Kornemann o. Bd. IV S. 1768, vgl. Cardinali a. a. O. 13.
2. Die Zeit des Augustus.
In den wirren Zeiten nach Caesars Tode blieb die Frage nach der Kornversorgung Roms eine der Hauptfragen, welche die jeweilige Regierung beschäftigte. Eine Ordnung der schwierigen Verhältnisse konnte man nur nach der definitiven Beilegung der politischen Wirren durch Augustus in allem Ernste in Angriff nehmen. Im J. 22 v. Chr. sah sich Augustus gezwungen, die praefectura annonae zu übernehmen (Mon. Anc. c. 5. Cass. Dio LIV 1, 3), und die erste Maßregel, welche er nach der Versorgung der Stadt mit Getreide einführte, war die Schaffung einer ständigen Magistratur zur Regelung der Kornverteilungen; in diesem Jahre wurden zwei praefecti frumenti dandi aus den gewesenen Praetoren ausgelost und ihre Zahl wurde im J. 18 v. Chr. verdoppelt (Mon. Anc. c. 5. Cass. Dio LIV 1. 17. Suet. Aug. 37. Front. de aq. 100). Diese Schaffung einer neuen Behörde beweist, daß seitdem die ganze Kornverteilung faktisch vom Princeps geleitet wurde; dem Senate verblieben nur die Kosten und die theoretische Oberleitung, welche sich in dem Zusatze ex s. c. in dem Titel der neuen Magistrate und in dem Erscheinen des s. c. auf den Marken der Verteilungen (s. u.) äußert. Die dominierende Stellung verdankte Augustus den Zuschüssen, welche er aus seinen Mitteln leistete und ohne welche die regulären Kornverteilungen unmöglich waren (Mon. Anc. c. 18; die richtige Lesung der Stelle s. bei Hirschfeld Verwaltungsb.2 232, 2; vgl. Suet. Aug. 41; solche Zuschüsse sind auch für die J. 28 v. Chr. [Cass. Dio LIII 2, 1] und 23 v. Chr. [Mon. Anc. c. 15] überliefert; als Beispiel seiner Kornzuschüsse nach dem J. 18 v. Chr. mag der Fall aus dem J. 5 n. Chr. dienen [Cass. Dio LV 26, 3]). Als solcher Oberleiter der Kornverteilungen vollzog Augustus im J. 2 v. Chr. auch einen neuen, durch gewaltige Mißbräuche verursachten recensus der zum Kornempfange Berechtigten. Die Zählung geschah nach den von Caesar eingeführten Normen (Suet. Aug. 40); die definitiv festgestellte Zahl der aktiven Kornempfänger war etwa 200 000 (Cass. Dio LV 10. Mon. Anc. c. 15). Diese Zahl blieb auch für die späteren Zeiten mit wenigen Modifikationen als Norm bestehen (Cardinali a. a. O. 12 und 14). Eine Erweiterung der ständigen Tätigkeit des Kaisers im Bereiche der Kornverwaltung brachten die Hungersnöte der J. 6 und 7 n. Chr. Zuerst begegnen wir zwei außerordentlichen curatores (s. d.) für die J. 6 und 7 (Cass. Dio LV 26. 31), welche kaum mit den praefecti frumenti dandi etwas zu tun haben (dies behauptet Cardinali a. a. O. 17, dagegen Kornemann o. Bd. IV S. 1780 und Hirschfeld a. a. O. 234), später einem ständigen praefectus annonae, welcher aber mit den Kornverteilungen nichts zu tun hatte und nur über die Kornversorgung Roms wachte (o. Abschn. VII und Annona). In Bezug auf die Modalitäten der Verteilung scheint Augustus beim alten geblieben [177] zu sein: wie früher wurde das Korn gratis und monatlich an römische Bürger verteilt (für die Zeit des Gaius bezeugt es Philo leg. ad C. 23). Nur in einem Punkte scheint eine Neuerung eingeführt worden zu sein: seit Augustus wurden den Kornempfängern monatlich besondere Marken, tesserae frumentariae (die Marken, welche auf Geld Anrecht gaben, hießen tesserae nummariae, später vermengte man beide und nannte die ganze Gattung nummariae) genannt, ausgegeben; diese Marken dienten für die Kontrolle und traten nach griechischem, speziell athenischem Vorbilde zuerst bei den außerordentlichen Verteilungen ins Leben (Mon. Anc. c. 18. Suet. Aug. 41, vgl. 40. Rostowzew Römische Bleitesserae 12ff. Hirschfeld Verwaltungsb.2 233 Anm.) Sie waren, wie aus den erhaltenen Exemplaren zu ersehen ist, aus Bronze, trugen das Bild des Kaisers und die Formel s. c. (auch andere Beizeichen). Blei wurde nur für die Regulierung der Spenden der Mitglieder der kaiserlichen Familie verwendet (Rostowzew a. a. O. 22ff.).
3. Die Zeit von Augustus bis auf die Einführung der Brotverteilungen.
In der Periode, welche sich von Augustus’ Tode bis zur Regierung Aurelians hinzieht, haben wir in Bezug auf die Kornverteilungen keine prinzipiellen Änderungen zu notieren. Für die Verwaltung sind die Regierungen des Claudius und des Traian von Wichtigkeit; Claudius schuf die ganze Organisation der in der porticus Minucia konzentrierten Verteilungen, so daß seine Regierung als weiterer Markstein für die Geschichte der Verteilungen dienen kann. Wir beginnen deshalb mit der Charakteristik seiner Tätigkeit, um nachher einige systematische Bemerkungen zuzufügen.
Schon oben habe ich hervorgehoben, daß seit den Regierungen des Claudius und des Nero die ganze Last der annona auf der kaiserlichen Verwaltung lag. Als direkter Gehilfe der Kaiser (über die persönliche Fürsorge derselben haben wir mehrere Nachrichten, z. B. Cass. Dio LX 10, 5. LXI 31, 4 [Claudius]. LXXIV 8, 2 [Pertinax] u. ö.) funktionierte in diesem Verwaltungszweige sein persönlicher Agent, der ritterliche praefectus annonae. Es ist kein Zufall, daß gerade in dieser Zeit die Erwähnungen der halbsenatorischen praefecit frumenti dandi in unserer Überlieferung verschwinden (s. die Liste o. Bd. IV S. 1780, vgl. Cardinali a. a. O. 25ff.). Ihre Tätigkeit geht wohl auf die kaiserlichen Praefecten der Annona und ihre Gehilfen über, was mit der ganzen Reform der Verwaltung, wie sie Claudius ins Werk setzte, im besten Einklange steht (vgl. Hirschfeld Verwaltungsb.2 471ff.). Die soeben erwähnten Gehilfen des praefectus annonae funktionieren jetzt in der porticus Minucia, wo augenscheinlich die Operationen der Verteilung jetzt konzentriert werden. Ein solcher ist uns in der Person eines curator de Minucia, eines Freigelassenen des Kaisers Claudius, bekannt (CIL VI 10223);[28] er fungiert die XIV ostio XLII. Auch die Empfänger notieren in ihren Inschriften den Tag und das ostium (CIL VI 10224.[29] 10225 = 33991; vgl. die Inschrift der vigiles bei Thédenat Centenaire des Ant. de France 434ff.). Diese Tatsachen beweisen wohl, daß jetzt die Operation der Verteilung nicht mehr an einem [178] Tage stattfindet, sondern daß jeder Empfänger an einem bestimmten Tage das Korn zu empfangen hat, und zwar nicht mehr in einem nicht näher bestimmten Orte, sondern in einem bestimmten Ostium der Porticus Minucia. Die Kornempfänger sind also in mehrere Gruppen geteilt, und die Operation der Verteilung dauert den ganzen Monat. Zur Kontrolle dienten wie früher außer den Listen der Empfänger, welche auf Bronze eingetragen wurden (daher aere incisi), besondere Kontrollmarken, welche seit Nero aus Blei gegossen wurden und zu Tausenden sich bis auf unsere Zeit erhalten haben (Rostowzew Römische Bleitesserae 36ff.). Außerdem aber wird eine ständige Legitimationsmarke, welche jetzt tessera frumentaria technisch heißt und von den nummariae zu unterscheiden ist, eingeführt. Diese Art der tesserae erwähnt zuerst Persius (sat. V 73ff.), später sprechen davon ausführlich die Juristen (Ulp. Dig. V 1, 52, 1. Paul. Dig. XXXI 1, 87 pr. XLIX 1, vgl. Dig. XXXII 1, 35 pr.). Die Fortexistenz der Kontrollmarken auch nach der Einführung dieses ständigen Dokumentes bezeugt Iuvenal (sat. VII 174). Einige Änderungen, abgesehen von den früher erwähnten, hat Nero eingeführt. Zeitweise hat er, wie Cass. Dio LXII 18, 5 berichtet, aus Geldverlegenheit an den Kornverteilungen gekürzt, vielleicht im Zusammenhange mit der von ihm eingeführten Einschließung der Praetorianer in die Listen der Kornempfänger (s. weiter unten).
Die Konzentration des ganzen Frumentationswesens in den Händen des Kaisers bezw. des praefectus annonae beweist auch die Schaffung einer besonderen Kornkasse, des fiscus frumentarius, welche spätestens der Flavischen Zeit angehört. Dieser fiscus, welcher auch fiscus stationis annonae (CIL VI 9626)[30] heißt, stand wohl unter der Leitung des praefectus annonae und beschränkte sich kaum auf die Verwaltung der Frumentationsgelder (Rostowzew bei Ruggiero Dizion. epigr. III 132f. Hirschfeld Verwaltungsb.2 244 und 489). Mehrere tabularii (CIL VI 8476[31] a. 8477 vgl. 8476 tabularius rationis fisci frument(arii)) und a libellis (CIL VI 8474.[32] 8475) nebst Dispensatoren (CIL VI 544,[33] vgl. 634) bezeugen die Existenz einer großen Kanzlei. Auch eine zu dieser Verwaltung gehörende Bank in Ostia ist bezeugt (CIL XIV 2645).[34] Überhaupt haben die Flavier Verdienste in Bezug auf die Frumentationen (CIL VI 943[35] zu Ehren des Titus); es kann sein, daß es sich um die Herstellung der von Nero gekürzten Rechte handelte, wie später das Verdienst von Nerva sich aus der Abschaffung der Maßregel Domitians erklären könnte (Cohen II 11 nr. 127).
Wieder geteilt wurden die Kompetenzen des praefectus annonae unter Traian, welcher die praefecti frumenti dandi wieder einsetzte.
Eine weitere Änderung in der Verwaltung scheint unter Severus eingetreten zu sein. Es ist wahrscheinlich, daß seit seiner Regierung die Verteilungen nicht mehr in der Minucia, sondern in den verschiedenen horrea vollzogen wurden (s. Rostowzew Rev. numism. 1898, 262; Röm. Bleitesserae 18f. CIL VI 10211).[36]
Unter Aurelian sehen wir die Kornverteilungen durch Brotverteilungen ersetzt, nachdem schon [179] seit Severus Ölverteilungen sich zu den Kornverteilungen gesellt hatten. Darüber s. Panis gradilis und Oleum.
4. Die an den Kornverteilungen Beteiligten und die Bedingungen der Admission zu denselben.
Es ist kaum anzunehmen, daß sich die durch Lepidus und seine Nachfolger bis auf Caesar festgesetzte Natur der Frumentationen, welche aus einem Rechte der Bevölkerung auf Teilnahme an den Einkünften des Staates sich in eine Unterhaltung des städtischen Proletariats durch die jederzeitige Regierung verwandelten, in der Kaiserzeit geändert hat. Es blieben demgemäß auch die Bedingungen der Zulassung zu denselben dieselben. Jedes männliche Mitglied des städtischen Proletariats, welches in den Bürgerlisten verzeichnet war, hatte das passive Recht, an den Frumentationen teilzunehmen. Aktive Kornempfänger waren diejenigen, welche incisi frumento publico waren, d. h. in die Listen der aktiven Kornempfänger eingetragen wurden. Diese Listen wurden von Augustus vermittels seines recensus (s. o.) festgesetzt, und im Laufe der Zeit wurden dieselben, zuerst wohl auf Grund der Caesarischen Normen, geändert. Wie früher scheint auch, und zwar beständig, die Forderung der Anwesenheit in Rom gültig gewesen sein (dies beweist schon der Ausdruck plebs frumentaria und die Augusteische Operation des recensus per dominos insularum). Schwieriger ist die Frage über die Forderung der männlichen Reife. Eine Frage für sich bleibt dabei die über die seit Traian in den Listen der incisi figurierenden pueri et pullae alimentarii, welche ich hier nicht berühre (s. Alimenta und dazu Esser De pauperum cura apud Romanos, Campen 1905, 199ff. A. Müller Jugendfürsorge in der römischen Kaiserzeit, Hannover 1903. Hirschfeld Verwaltungsb.2 212ff., bes. 223, 4. Cardinali a. a. O. 30ff. Merlin Rev. num. 1906 [hält Nerva’s Münze mit der Aufschrift tutela Italiae für unecht]). Die erstere Frage steht im engsten Zusammenhange mit der Frage über die Vererblichkeit und Alienabilität der seit Claudius eingeführten ständigen Legitimationsdokumente, der sog. tesserae frumentariae. Es ist kein Zweifel, wie Pernice Parerga II 99 und nach ihm Cardinali a. a. O. 33ff. hervorgehoben haben, daß von einer unbedingten Alienabilität dieses ständigen Dokumentes keine Rede sein kann. Die Juristenstellen (s. o.), welche darüber reden, sprechen nur von der Möglichkeit, eine tessera, welche als Äquivalent einer zeitlich begrenzten Rente aufzufassen ist, zu kaufen. Von einem Kaufe, welcher ein vererbliches dominium begründet, ist nirgends die Rede. Damit wird auch eine unbedingte Vererblichkeit ausgeschlossen. Es scheint aber vollkommen verständlich zu sein, daß ein Kauf auf Lebenszeit in dem Rahmen der Frumentationstechnik nicht nur denkbar, sondern auch durch keine Mittel zu vermeiden war. Seitdem jeder eine ständige tessera besaß und auf Grund derselben, auf welcher sicherlich der Name angegeben war, und nur derselben die Bleimarke, welche ihm Anrecht auf die monatliche Ration gab, bekam, war es natürlich, daß jeder seine Tessere sowohl auf eine bestimmte Zeit wie für das ganze Leben veräußern konnte, wie er auch [180] seine Bleimarke jederzeit zu verkaufen volle Möglichkeit hatte. Es war Sache privater Abmachung, und solange der Cedierende lebte, war für den Staat kein Grund vorhanden, seine persönliche Anwesenheit bei jeder Frumentation zu fordern. Dadurch entstand die Möglichkeit, jederzeit für einen guten Preis eine Tessere zu kaufen. Die Bedingungen des Kaufes waren wohl denen, welche jetzt bei der Lebensversicherung herrschen, analog. Ob auch der Staat mit Tesseren handelte, ist eine weitere Frage, welche wohl zu verneinen ist. Denn wie weit man auch von der Gracchischen Idee war, so ist es doch mit der Natur der Frumentationen nicht vereinbar, einen Tesserenhandel von seiten des Staates vorauszusetzen; Aspiranten, welche ein Geschrei erheben konnten, waren genug da, und mit der Popularität in den Volksmassen der Stadt rechneten alle Herrscher, die späteren nicht weniger als die Iulier und Claudier. In welcher Weise die Besetzung der leeren Stellen geschah, zeigt das seit den Flaviern bezeugte Amt des a libellis fisci frumentarii (s. o.). Es ist denkbar, daß die libelli auf die Eintragung in die Liste der Aspiranten lauteten; aus denselben wurde dann einer nach dem Tode eines Kornempfängers erlöst. Es kann aber auch sein, daß diese libelli von den nächsten Angehörigen des Verstorbenen, welche ein Anrecht auf die Tessere hatten, stammten. Diese letztere Annahme scheint die Stelle Hist. aug. Aurel. 35, 1 besonders nahe zu legen: coronas ... fecisse de panibus qui nunc siliginei vocantur et singulis quibusque donasse ita, ut siligineum suum cotidie toto aevo suo et unusquisque acciperet et posteris suis dimitteret. Daß dies Erbrecht wohl nur der nächsten Verwandten (posteris wohl nur vom Vater zum Sohne) nicht erst von Aurelian geschaffen wurde, ist klar; die Änderung Aurelians bestand nur in der Einführung des siligineum; das übrige war auch früher da. Bei der letzteren Annahme ist es klar, wie die Veräußerlichkeit der Tesseren möglich war. Der Staat brauchte gar nicht über die einzelnen incisi zu wachen; es fanden sich sicherlich Aspiranten, welche nach dem Tode eines Berechtigten ihre Ansprüche auf die vakante Stelle erhoben; hatte er keinen Sohn, so besorgten es seine dabei interessierten Tribulen. Ein weiterer Beweis wären die zahlreichen Inschriften der Kinder, welche als incisi frumento publico in ihren Grabinschriften qualifiziert werden (CIL VI 10220.[37] 10221. 10224. 10225 [= 33991]–10228, vgl. 10222 und Mém. de la Soc. d. Ant. d. Fr. X 1899, 365), aber keine der angeführten Inschriften scheint in die vortraianische Zeit zu gehören, und alte beziehen sich wohl auf die seit Traian in die Listen der Kornempfänger eingetragenen Kinder (Plin. paneg. 28). Am ehesten könnte noch die gallische Inschrift (Mallia Aemiliana domo Roma fr[u]mento [p]ublico cum fili[o] suo) für das Vererben geltend gemacht werden; aber es ist klar, daß die Frau das Kornrecht nur, insoweit es ihrem Sohne gehört (vgl. CIL VI 10227.[38] 10224f.), für sich in Anspruch nehmen durfte.
Außer den von Traian in die Frumentationenlisten eingetragenen Kindern nahm an denselben auch die ganze Garnison Roms teil. Dies wissen [181] wir mit Sicherheit von den Praetorianern (Tac. ann. XV 72. Suet. Nero 10: constituit item, praetorianis cohortibus frumentum menstruum gratuitum, vgl. CIL IX 1602),[39] welche von Nero in die Listen eingetragen wurden, und den vigiles, von welchen es aus Inschriften bekannt ist, daß sie nach Erlangung des Bürgerrechts (Ulp. frg. 3, 5. Gai. I 32 b) an den Frumentationen teilnahmen (CIL VI 220[40] und Thédenat Mémoires du Centenaire des Ant. de France, Paris 1904, 434 [die richtige Lesung und Erklärung s. bei Hirschfeld Verwaltungsb.2 248, 4]; vgl. vielleicht auch CIL VI 3001.[41] 3011). Es ist kein Grund vorhanden, die cohortes urbanae aus dieser Reihe auszuschließen, besonders da einige Tesseren der Militärverteilungen auf dieselben bezogen werden können (Syll. tesser. nr. 252 und 278, vgl. die vielleicht auch auf die urbani zu beziehende Inschrift CIL VI 10707.[42] Cardinali a. a. O. 37). Die Modalitäten der Verteilungen blieben bei den Militärs dieselben wie in den anderen Kategorien der Beteiligten; wie alle anderen wurden sie frumento incisi, in Listen eingetragen (CIL VI 220;[40] die Nummer der Tafel ist 144) und unter verschiedenen Ostia und Tagen verteilt (Thédenat a. a. O., wo es von drei vigiles heißt f(rumentum) p(ublicum) a(ccepit) oder inc(isus) f(rumento) p(ublico) d(ie) VIII [bezw. IIII] o(stio) X, vgl. CIL VI 220).[40] Dies bestätigt meine früher ausgesprochene (Röm. Bleitesserae 35f.) Vermutung, daß bei der Austeilung des Kornes an städtische Militärs tesserae, und zwar mit Militärtypen versehene, verwandt wurden. Ebendaselbst habe ich geglaubt, auch die bei der Verteilung der Tesseren tätigen Unteroffiziere nachweisen zu können; es waren, wie die Tesseren (Sylloge 254–257) lehren, die evocati Augusti.
Vielleicht auf Grund ihres Zusammenhanges mit der städtischen Miliz figurieren auch einige Collegien unter den an den Frumentationen beteiligten Bürgerkategorien: so die aeneatores (CIL VI 10220ff.;[37] die darüber entstandene Kontroverse rekapituliert Cardinali a. a. O. 32) und tibicines (CIL VI 2584).[43]
In keinem Verhältnisse zu den Frumentationcn stehen die mehrfach erwähnten a frumento verschiedener Kategorien von Hofdienern (s. Cubicularii und Ministratores, vgl. Cardinali a. a. O. 39 und Paribeni Röm. Mitt. 1905, 318. 320). Die Ansicht Paribenis, daß seit etwa Hadrian die Kornverpflegung des Hofes in den Händen der milites frumentarii konzentriert wurde, wird durch die von ihm selbst auf S. 320 angeführten Inschriften widerlegt. Meiner Ansicht nach sind, wie Paribeni gut hervorgehoben hat, die frumentarii doch mit der Getreideverwaltung der Stadt Rom eng verbunden. Als unter dem praefectus annonae stehende Polizisten sind sie in Ostia, Puteoli, Rom und auf der Straße von Puteoli nach Rom tätig und bewachen als bewaffnete Macht die Aus- und Einladung, sowie den Transport des Getreides, wie auch die andern komplizierten Getreideoperationen. Sie bilden also zuerst eine Getreide- d. h. Hafen- und Straßenpolizei, was natürlich später zu allgemeinpolizeilichen Funktionen erweitert wurde (vgl. Frumentarii).
Über die Technik der unentgeltlichen Verteilungen [182] (über die längst entschiedene Kontroverse darüber, ob das verteilte Korn bezahlt wurde, berichtet Cardinali a. a. O. 39; vgl. Hirschfeld Verwaltungsb.2 236, 2) ist oben das Nötige gesagt worden.
Nur über eines ist es notwendig, noch einige Worte hinzuzufügen. Es ist die Frage nach den Teilungen der plebs frumentaria, welche durch die Verteilung derselben auf verschiedene Tage und ostia der Porticus Minucia vorausgesetzt werden; ihre Existenz wird auch durch die ganze Technik der Frumentationen mit den ständigen und Einzelmarken unbedingt gefordert. Wie verteilte man die Einzelmarken des Augustus ? Wie verteilte man dieselben nach der Einführung der ständigen tesserae? Wer stand an der Spitze der Operation? Zwei Möglichkeiten sind vorhanden. Die Rolle, welche bei den Rezensionen des Caesar und des Augustus die vici (s. d.) spielten und die korporative Einheit derselben unter dem Vorstande der vicomagistri (s. d.), könnte darauf schließen lassen, daß die gesuchten Einheiten gerade die vici waren (vgl. die Verteilungen vicatim, Rostowzew Röm. Bleitesserae 41 und die Inschriften des Tarracius Bassus, CIL VI 31893–31901).[44] Doch haben wir andererseits nicht zu verachtende Indizien, welche auf die korporativ organisierten tribus (s. d.) als solche Einheiten verweisen (Mommsen Tribus 199; St.-R. III 444, vgl. 195. Cardinali a. a. O. 45f., dagegen Hirschfeld Phil. XXIX 13). Die Frage läßt sich mit Sicherheit nicht entscheiden; vorläufig spricht die größere Wahrscheinlichkeit für die Tribus, obwohl auch ein Wechsel in dieser Beziehung je nach der Zeit nicht von vornherein abzuweisen ist.
Literatur: Ich verweise für alle Einzelheiten auf die folgenden wichtigsten Arbeiten über die Frumentationen: Contareni De frumentaria Romanorum largitione (Graevii Thesaurus VIII 923ff.). Kuhn Ztschr. f. Alt.-Wiss. 1845, 993ff. Nasse Meletemata de publica cura annonae apud Romanos, Bonn 1851. Rodbertus Hildebrands Jahrbücher XIV (1870) 375ff. Hirschfeld Philologus XXIX 1869, 1ff. De Rossi Ann. d. Inst. 1885, 223ff. Humbert frumentariae leges bei Daremberg-Saglio Dict. II 1346ff. Esser De pauperum cura apud Romanos, Campis 1902. Cardinali Diz. epigr. III 224ff. (auch separat Roma 1904, wonach ich meistens zitiere). Rostowzew Römische Bleitesserae (Klio Beih. III), Leipz. 1905 (russisch Petersburg 1903). Hirschfeld Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian2, Berlin 1905, 230ff. Kornemann o. Art. Collegium und Curatores; vgl. auch Rostowzew o. Art. Congiarium. Über die nachaurelianische Zeit s. Panis gradilis.
IX. Die Kornfrage in den Munizipien des römischen Reichs (vgl. Art. Annona und Σῖτος).
Oben ist schon mehrfach auf die außerordentlich wichtige Rolle, welche die Kornfrage im Leben jedes antiken Stadtstaates spielte, hingewiesen worden. Die Bedingungen der Kornproduktion einerseits, die Bedingungen des Transports und des Handels andererseits, die starke staatliche Differenzierung und die angestrebte wirtschaftliche Autarkie machten die Frage brennend. [183] Und wir treffen, hauptsächlich in dem Bereich der früh- und späthellenistischen Zeit, der Zeit der höchsten wirtschaftlichen Blüte des Hellenentums und zugleich der äußersten Steigerung der politischen und wirtschaftlichen Gegensätze, eine große Reihe von Maßregeln, welche die stete Gefahr einer Hungersnot oder Steigerung der Kornpreise fernhalten sollten. Die getroffenen Maßregeln sind auch für die römische Zeit charakteristisch. Sie sind mit Einsicht und System zuletzt von Francotte gesammelt und erläutert worden (Mél. Nicole 135ff.; vgl. Haederli Jahrb. f. Philol. Suppl. XV 49f. Schulthess Wochenschr. kl. Ph. 1888, 33ff. 120ff.). Das einfachste Mittel war an die Freigebigkeit der einheimischen oder fremden Gönner zu rekurrieren; besonders nahe lag es für die über den Markt wachenden Magistrate (s. Ἀγορανόμοι), aus ihren Privatmitteln dem Staate (Francotte a. a. O. 143) entweder durch unentgeltliche Verteilungen oder durch billige Verkäufe oder aber durch Zuzahlungen, welche die Differenz zwischen dem laufenden und dem normalen Preise deckten (παραπωλεῖν, παράπρασις), zu Hilfe zu kommen (Wilhelm Arch.-egigr. Mitt. XX 55ff. Francotte a. a. O. 144). Öfters kommt die private Liberalität von außen, von den auswärtigen Königen, Magnaten oder reichen Händlern (die zahlreichen Zeugnisse Boeckh Staatshaush. I 110. Francotte a. a. O. 145, 1; sie lassen sich leicht vermehren). Die private Liberalität half aber auf die Dauer nur wenig. Der Staat als solcher mußte eintreten und irgendwie für ständige Einrichtungen sorgen. Öfters tritt er deshalb als Getreidekäufer auf (s. Σιτωνία); dafür schafft er besondere, nicht ständige Beamte, welche das Geschäft zu besorgen haben (s. Σῖτος, Σιτῶναι). Aber nicht oft fiel die Zeit einer Hungersnot mit der Zeit einer relativen Fülle der städtischen Kasse zusammen. Man mußte auch bei einer Ebbe in den städtischen Finanzen bereit sein und die Kornversorgung nicht auf Zufall fundieren. Daher wetteifern die hellenistischen Städte in dem Ausfindigmachen von Finanzkombinationen, welche alle auf Schaffung einer sicheren Rente, welche stets in den Zeiten der Not bereit stände, gerichtet sind. Besonders charakteristisch sind in dieser Hinsicht die höchst interessanten, schon oben angeführten Urkunden: Le Bas-Foucart 303 a (Francotte a. a. O. 146 Thuria); die Urkunde des Synoikismos von Teos und Lebedos (Dittenberger Syll.2 177); die große Inschrift von Samos (S.-Ber. Akad. Berl. 1904, 917ff.); Ähnliches in Paros IG XII 5, 135 und in Rhodos Strab. XIV 652 (Hirschfeld Verwaltungsb.2 230, 1). Das angestrebte Ziel war, womöglich eine unentgeltliche Versorgung der Bürger mit Korn sicherzustellen, wozu natürlich trotz der großen Erfindungsgabe der griechischen Finanzmeister die Mittel in der Regel nicht ausreichten: mit Recht verhält sich Antigonos zu den Erfindungen der Teier mißtrauisch und erwartet davon nichts als weitere Verschuldung der Gemeinde. Sicherer ging man da, wo man, wie in Tauromenion, besondere Stiftungskapitalien mit einer ständigen Staatssitonie und Kornlieferungen von Staatsdomänen vereinigte (s. die neuen Fragmente der großen Inschrift bei Willers Rh. Mus. LX 1905, [184] 320ff., wo die übrige Literatur); man muß aber bedenken, daß wir hier im kornreichen Sizilien sind und wohl ein großes Stadtterritorium vorauszusetzen haben.
Unter der römischen Herrschaft hat sich die Lage in den meisten Städten nur wenig geändert. Jede Stadt blieb in dieser Frage auf sich angewiesen, und da die Bedingungen der Produktion und des Handels dieselben blieben, so änderte die pax Romana an der Unsicherheit der Kornversorgung der Städte nur wenig. Besonders brennend war die Frage im industriellen Osten, welcher trotz seiner größeren Ausdehnung und stärkeren Bevölkerung im Vergleich mit der Zeit der Blüte Athens auf ärmere Importquellen als Griechenland zu dieser Zeit, nämlich nur auf seine eigene Produktion und die Zufuhr aus den Pontusgegenden angewiesen wurde (Ägypten blieb ihm rechtlich, s. o. Abschn. I, Sizilien wenigstens tatsächlich verschlossen; zu der hellenistischen Zeit war es anders, s. o. Abschn. II). Besser stand es in der westlichen Hälfte. Die reichen Kornländer Afrika, Spanien, Gallien besorgten mit ziemlich seltenen Ausnahmen das für ihre Städte nötige Korn.
Im Gebiet der privaten Liberalität rückt an die erste Stelle die Liberalität der römischen Großen in der republikanischen Zeit und später die der Kaiser. Atticus, Antonius und Augustus beschenkten Athen mit reichen Korngaben und verwendeten, wenigstens die beiden letzteren, zu der Regelung dieser Verteilungen die von alters her in Athen üblichen Bleimarken, die ἐκκλησιαστικά (näml. σύμβολα, Rostowzew Hirschfeld-Festschrift 303ff.; Röm. Bleitesserae [russ. Ausg.] 269ff. und deutsche Ausg. 28, 2). Ähnliches wird uns auch von anderen Kaisern berichtet, besonders von Hadrian in Bezug auf Athen (Dio LXIX 16, 2) und auf andere Städte des Westens und Ostens (Dio LXIX 5, 3, vgl. CIL XIV 2799.[45] 4235). Von häufigen Geschenken reden uns auch manche Münzen der kleinasiatischen Städte: so die Schenkung des Severus und Caracalla an Laodicea, ein aeternum beneficium (Catal. of Brit. Mus. Galatia etc. 260. Malal. XII 293: σιτωνικὰ χρήματα πολλὰ ἐτήσια), die Schenkungen von Caracalla und Severus Alexander an Tarsos (Cat. of Brit. Mus. Cilicia S. XCV und CXV nr. 198–201; vgl. 202 und 213. Rostowzew Num. Chr. 1900, 100ff.); nach der von Babelon (Ann. de num. 1883, 20) publizierten Münze kam das von den letzteren geschenkte Korn aus Ägypten. Im J. 381 bekommt so ein Geschenk Gortyn (Mus. it. di ant. III 709). Eine andere Art der kaiserlichen Liberalität, welche den Städten des Ostens zukam, war die Erlaubnis, Korn aus Ägypten auszuführen (die Fälle o. Abschn. I), was zuweilen (der Fall von Tarsos) mit einem wirklichen Geschenk zusammenfiel. Auch für den Westen haben wir charakteristische Beispiele kaiserlicher Liberalität: Marc Aurel kommt den bedrängten italischen Städten mit dem in Rom aufgespeicherten Korn zu Hilfe (Hist. aug. M. Ant. Ph. 11, 3); in Karthago greift bei einer Hungerung der Proconsul ein, indem er relativ billiges Korn verkauft (Ammian. Marc. XXVIII 1; vgl. Symm. rel. 55 und CIL V 1874[46] aus Concordia); in die J. 384–385 fällt die Streitsache über ein für die Stadt Puteoli [185] bestimmtes Geschenk des Kaisers Konstantin von 150 000 Modien Korn auf ewige Zeiten, also wieder ein aeternum beneficium (Symm. rel. 40. Seeck Gesch. des Unterg. II 261). Die angeführten zufälligen Nachrichten, welche sich sicherlich stark vermehren lassen, bezeugen die Tatsache, daß die Kaiser und die Regierung überhaupt fast nur im Wege der Liberalität, nicht in dem der Fürsorge in die schwierige Frage der Kornversorgung der Städte eingriffen (charakteristisch ist der Fall bei Philostr. v. Apoll. I 15: nur private Liberalität des praeses ist CIL V 7881[47] aus Cemenelum). Von einem System ist keine Rede, die Städte waren der Selbsthilfe überlassen. Dieselben griffen zu den altbekannten erprobten Mitteln, welche die griechische und hellenistische Entwicklung vorbereitet hatte. Unsere Nachrichten darüber sind besonders für den Osten und speziell für Kleinasien ziemlich reichhaltig. Ich verzichte darauf, das ganze Material hier vorzuführen, und begnüge mich mit der Hervorhebung der am meisten charakteristischen Erscheinungen, wobei ich zuerst den Osten, dann den Westen separat behandeln werde. Über die Tätigkeit der ständigen Magistrate s. Ἀγορανόμος (vgl. Aedilis). Sie wachen wie früher über den Markt und greifen öfters, wofür sie öfters gelobt werden, mit ihren privaten Mitteln ein (einige Beispiele Levy Rev. de ét. gr. 1901, 365. Liebenam Städteverw. 362ff.), indem ihnen der Kauf und Verkauf des Getreides aufgebürdet werden. Die Getreideankäufe bilden, wie früher, das Hauptmittel, zu welchem die Stadt, um ihre Bürger mit Getreide zu versorgen, greift. Sie werden gewöhnlich nicht von den Agoranomen, sondern von besonderen, vielleicht sogar ständigen, Magistraten, den Sitonen, vollzogen (über die Sitonie in Kleinasien Levy Rev. d. ét. gr. 1901, 365f. Chapot La prov. rom. d’Asie 274f.; viele Zeugnisse auch aus anderen Gegenden bei Liebenam Städteverw. 369, 4). Dabei werden starke Ansprüche an die private Liberalität dieser Beauftragten gemacht, und sie rühmen sich öfters ihrer Zuschüsse, welche einen billigen Verkauf des Getreides ermöglichten (παράπρασις, ἐπευωνισμός, Wilhelm Arch.-epigr. Mitt. XX 75. Levy a. a. O. 365, 4. Rostowzew Nachr. d. russ. arch. Inst. in Const. IV 3, 21; sehr charakteristisch ist z. B. Kern Inschr. von Magnesia 179). In besonders schwierigen Zeiten erscheinen speziell erwählte Beamte unter verschiedenen Titeln wie εὐθηνιάρχης (Liebenam a. a. O. 369, 5; vgl. Ramsay Phrygia I 2, 443) oder ἐπιμελητής (Cagnat IGR III 1423; vgl. die bekannte Schilderung des Dio Chrys. or. XLVI 8, bes. 14). Auch die Beamten des κοινόν treten dabei tätig auf (Rostowzew a. a. O. 21. Heberdey Opramoas II E 7. Malal. XII p. 289 Bonn.: Geschenk seitens eines Syriarches der Einkünfte eines Gutes zur Fundierung einer ewigen Brotverteilung an die Besitzer der am Feste ausgestreuten Legitimationsmarken). Die private Liberalität beschränkt sich natürlich nicht auf diese Formen; äußerst zahlreich sind die Nachrichten, welche von Geschenken in Geld und Naturalien reden (Liebenam a. a. O. 112, 2). An der Spitze des ganzen Geschäftes steht der Rat (s. z. B. Dig. III 5, 29). Öfters, wo es nur möglich ist – hauptsächlich dank privater [186] Liberalität –, stiftet er eine besondere Kornkasse und verwaltet sie durch besondere Kassierer (die Zeugnisse bei Liebenam a. a. O. 362, 4, vgl. dazu Cagnat IGR III 1421. 1422 und besonders Herod. VII 3, 5. Hirschfeld Verwaltungsb.2 237, 2). An ihn halten sich auch die Kaiser, wenn sie sich in Ausnahmefällen mit der städtischen Kornversorgung befassen (Ammian. Marc. XIV 7, 1–2. XXII 14, 1–2).
Im Westen griff man natürlich zu ganz ähnlichen Mitteln. Man muß aber bedenken, was schon oben hervorgehoben ist, daß die Frage im Westen entfernt nicht dieselbe Wichtigkeit hatte wie im Osten. Wenn wir die hauptsächlich epigraphischen Zeugnisse aus dem Westen ihrer Zahl nach mit denen aus dem Osten vergleichen, so fällt sofort in die Augen, daß unsere Nachrichten nur für Italien ziemlich reichhaltig sind (die Zeugnisse s. o. u. Annona und Curator; vgl. Dizion. epigr. I 485ff. Cardinali a. a. O. 88. 90f.); nur vereinzelt treten Zeugnisse aus Afrika (private Liberalität CIL VIII 15456.[48] 15497, J. 225. 9250. 1468. Cagnat Ann. ép. 1892 nr. 145. 1891, 119, vgl. CIL VIII 8480[49] Zeit des Theodosius und Arcadius), wo wir überhaupt keine besonderen annonarischen Beamten in der Art der östlichen σιτῶναι treffen (von dem curator rei publicae CIL VIII 11332[50] wird noch weiter die Rede sein), auf; dasselbe trifft auch für Spanien zu (CIL II 53.[51] 1573. 2044. 4468); in Gallien treffen wir unter den spärlichen Nachrichten einen praefectus annonae, wohl als ständigen Magistrat (CIL XIII 2949[52] Agedincum, vgl. CIL XI 4652ff.[53] und CIL XII 4363).[54] In Italien dagegen und zwar meistens in Mittel- und Süditalien, haben wir mehrfache Analogien zu den östlichen Zuständen, was auf ähnliche Bedingungen der Kornversorgung schließen läßt; wie der Osten scheinen diese Teile Italiens in dieser Zeit fast nur auf das Importkorn angewiesen zu sein. Mit den östlichen Sitonen ist der curator frumenti comparandi von Neapel (CIL X 1491,[55] vgl. Dig. L 1, 21. 4, 3, 12. 18, 5), mit der annonaria (CIL X 453.[56] 1217. 5928) oder frumentaria pecunia (CIL IX 2354.[57] XI 4579)[58] sind die oben erwähnten σιτωνικὰ χρήματα zu vergleichen. Die mehrfach erwähnten curatores annonae (o. Bd. IV S. 1800) sind wohl wie die Sitonen nur selten ständige Beamte und treten als Ersatz für die unzureichenden ständigen Magistraturen auf.
Wir sehen also überall eine weitgehende Selbsthilfe, fast keine Einmischung des Staates als solchen. Erst spät sehen wir aber auch den Staat in die Verhältnisse eingreifen, aber nur regulierend, nicht schaffend: es werden Regeln für die Verwendung der Kornsummen aufgcstellt (Dig. L 8. 2, 2–6. Cod. Iust. XII 63, 2, 6. X 27, 3, 1), worüber die curatores rei publicae Wache halten sollen (Liebenam Phil. LVI 301, vgl. CIL VIII 11332);[50] es wird der Usus oder das Recht der Städte, ein gewisses Quantum Korn von den Possessoren ihrer Gebiete zu ermäßigten Preisen zu kaufen, bestätigt (Dig. VII 1, 27, 3, L 4, 25). Aber dies ist auch, soweit wir darüber Kenntnis haben, alles. Die Frage war und blieb brennend, und im Vergleich mit der hellenistischen Zeit sehen wir, wenigstens im Osten, eher einen Rückschritt als Fortschritt: von ständigen Kornverteilungen [187] ist nirgends die Rede, die weisen Einrichtungen von Tauromenion kehren nicht wieder; nur der Verfall der Städte löst die Frage.
Separat steht auch in dieser Hinsicht Ägypten und speziell Alexandrien. Nach der festen Organisation des städtischen Beamtenwesens, welche wir in der römischen Zeit in Alexandrien und in den übrigen ägyptischen Städten treffen (Preisigke Städtisches Beamtenwesen 5), gehört in die Reihe dieser Beamten ein εὐθηνιάρχης oder ὁ ἐπὶ τῆς εὐθηνίας. In Alexandrien scheint ihre Tätigkeit größere Ausdehnung zu haben (BGU 578 J. 189 n. Chr.): die Sorge für die Verpflegung der Stadt und die Beschaffung der nötigen Lebensmittel scheint nach den Stadtquartieren repartiert gewesen zu sein (Arch. f. Pap. II 443 nr. 61 [J. 158 n. Chr.) ὁ ἐπὶ τῆς εὐθηνίας τοῦ β' γράμματος). Der Eutheniarch selbst wirkt vielleicht unter der Leitung des ἐξηγητής (Wilcken Ostraka I 657f. W. Otto Priester u. Tempel des hell. Aeg. 155, 3). Außer Alexandrien sind die Eutheniarchen vor und nach dem 3. Jhdt. für Hermupolis (C. Pap. Herm. 7. Pap. Amh. II 124. Pap. Lips. 4, 9; vgl. Wilcken Arch. f. Pap. II 134. Preisigke a. a. O. 30, 3) und Arsinoe (BGU 579) bezeugt. Näheres über ihre Amtstätigkeit ist nicht bekannt; sie scheint sich nicht auf das Korn beschränkt zu haben (BGU 649. 730. Pap. Oxy. I 83. Pap. Fay. 108).
Von ständigen Kornverteilungen hören wir in Alexandrien vor Diocletian nichts Sicheres. Mommsen (R. G. V 571, 2) bezieht darauf die bekannte Stelle aus Euseb. hist. eccl. VII 21, 9; im syrischen Text (Preuschen Eusebius' Kirchengesch. B. VI und VII p. 83 in Harnacks Texte und Unters. XXI) steht nach der Übersetzung Preuschens wohl nur eine Angabe über die gewöhnliche ägyptische Laographie für Steuerzwecke: ,wenn sie aufgeschrieben und gezählt wurden für das Maß des Getreides, das an den (königlichen) Fiskus gegeben wird‘, griechisch προσεγγραφέντων καὶ συγκαταλεγέντων εἰς τὸ δημόσιον σιτηρέσιον. Außer dieser jedenfalls zweifelhaften Nachricht haben wir leider keine Angaben. Denn Dio Chrys. I p. 275 ed. Arnim (or. XXXII 31) τὸ δὲ Ἀλεξανδρέων πλῆθος τί ἄν εἴποι τις οἷς μόνον δεῖ παραβάλλειν τὸν πολὺν ἄρτον kann ich nicht mit Lumbroso (Hirschfeld-Festschrift 109) auf den viel späteren πολιτικὸς ἄρτος beziehen. Es handelt sich vielmehr um das von dem Eutheniarches oder Agoranomen zu besorgende billige Brot. Die Angaben des Jos. c. Ap. II 60ff. beziehen sich auf Liberalitäten der Kleopatra und des Germanicus (Tac. ann. II 59. Suet. Tib. 52), welche auch für spätere Zeiten zu belegen sind (Cat. of Brit. Mus. Alexandria Intr. p. 89 nr. 1007 Antoninus Pius). Erst seit dem J. 302 haben wir sichere Nachrichten über ein aus den ägyptischen Einkünften an Alexandrien zu Zwecken der nach hauptstädtischem Muster organisierten Verteilungen assigniertes Kornquantum (Chron. Pasch. ed. Dindorf p. 514. Proc. hist. arc. 26, 77. Cod. Theod. XIV 26, 2. Ed. Iust. de urbe Alex. et Aeg. pr. c. IV. VI u. ö.). Eine ähnliche Einrichtung scheint auch in Antiochia im 4. Jhdt. existiert zu haben (Lib. or. XX 7 p. 656 R.).
Anmerkungen (Wikisource)
[Bearbeiten]- ↑ a b Corpus Inscriptionum Latinarum XIV, 2852.
- ↑ a b Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 8585.
- ↑ a b Corpus Inscriptionum Latinarum III, 14195.
- ↑ Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 29809.
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