RE:Aurelius 46
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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(Severus) Antoninus Caracalla, M., römischer Kaiser 211-217 n. Chr. | |||
Band II,2 (1896) S. 2434–2453 | |||
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46) M. Aurelius Antoninus (Caracalla) = M. Aurelius Severus Antoninus, römischer Kaiser vom 4. Februar 211 – 8. April 217 n. Chr.
I. Quellen.
a) Hauptquelle ist die Ῥωμαϊκὴ ἱστορία des Zeitgenossen Cassius Dio Cocceianus, die uns für die Zeit Caracallas teils in der Epitome des Xiphilinos, teils in zahlreichen Fragmenten (namentlich von LXXVIII 2, 2 an) erhalten ist; in Betracht kommt besonders Buch LXXV 14, 5 – LXXVIII 24, 3; vgl. auch Bd. V p. 212–215 Dindorf und Zonaras XII 10–13; über die Abfassungszeit vgl. Wirth Quaestiones Severianae 54. 59. Nur wenig später schrieb Herodian, ein etwas jüngerer Zeitgenosse (τῆς μετὰ Μάρκου βασιλείας ἱστοριῶν III 10 – IV 14; vgl. Drexler Caracallas Zug nach dem Orient 2–4 und die dort 2, 5 angegebene Litteratur). Dritte Quelle ist die Vita Caracalli in den Scriptores Historiae Augustae, angeblich verfasst von Aelius Spartianus (oder nach Rübel De fontibus quattuor priorum hist. Aug. scriptorum, Bonn 1872, 60 von Iulius Capitolinus). Sie beruht grösstenteils auf dem Werk des Marius Maximus (vgl. J. J. Müller in Büdingers Untersuchungen zur römischen Kaisergeschichte III 1870, 94–98. Dreinhöfer De fontibus et auctoribus vitarum quae feruntur Spartiani, Capitolini, Gallicani, Lampridii, Halle 1875, 29f. Drexler a. a. O. 1f.) und gehört zu den besseren Lebensbeschreibungen der Sammlung (vgl. H. Dessau Herm. XXVII 1892, 572). Ausser der Vita Caracalli selbst vgl. auch die Viten des Septimius Severus, Geta u. a. (im folgenden citiert als Car., Sev., Get. u. s. f.). Neben diesen drei Hauptquellen sind zu nennen Eutropius Historia Romana VIII 19–22. Victor de Caesaribus 20–23 und Epitome 20–23. Zosimus I 9–10. Chronica minora ed. Mommsen I 147. II 145. [2435]
b) Die Inschriften aus der Zeit Caracallas sind sehr zahlreich, vgl. besonders die Indices des Corpus Inscriptionum Latinarum (namentlich Band VIII); sie sind chronologisch geordnet bei Ruggiero Dizion. epigr. II 106–111. Eine kleine Auswahl bei H. Dessau Inscriptiones Latinae selectae I 419–466. 1141–1168. 2007. 2156f. 2335. 2382.
c) Die Münzen Caracallas bei Eckhel VII 199ff. Cohen IV² 99–103. 137–139. 141–239 nr. 1–930 (diese im folgenden ohne Seitenzahl citiert). 242–246. 288f.; die wenigen alexandrinischen Münzen bei Mionnet VI 351–357; Suppl. IX 108, vgl. v. Sallet Daten der alexandr. Kaisermünzen 1870, 46–50. Ausserdem vgl. Rapp Über eine seltene Medaille Caracallas, Rhein. Jahrb. XXXV 1–12.
d) Die zahlreichen Gesetze und Verordnungen aus der Zeit Caracallas sind zusammengestellt von Hänel Corpus legum, Lps. 1857, 152–156. Merkwürdigerweise erscheint Caracalla in den Gesetzesunterschriften schon vom J. 193 an (Cod. Iust. III 28, 1) zugleich mit seinem Vater als Augustus, während er erst 198 n. Chr. zum Augustus erhoben wurde. Die letzte Unterschrift ist vom 22. Februar 217 n. Chr. (Cod. Iust. II 18, 9. VIII 37, 3; vgl. den Index des Cod. Iust.).
e) Neue Litteratur: P. Nisle De bellis ab Antonino Caracallo in Germania et Sarmatia gestis a. 212–214, Breslau Diss. 1866. B. Bockhoff De expeditionibus M. Aurelii Antonini Caracalli Romanorum imperatoris, Münster Diss. 1868. A. Holländer Die Kriege der Alamannen mit den Römern im 3. Jhdt. n. Chr., Karlsruhe 1874. E. v. Wietersheim Geschichte der Völkerwanderung I² Leipzig 1880, 155–160. F. W. Drexler Caracallas Zug nach dem Orient und der letzte Partherkrieg (214–217), Halle Diss. 1880. H. Schiller Geschichte der römischen Kaiserzeit I 2, Gotha 1883, 738–755. E. Herzog Geschichte und System der römischen Staatsverfassung II 1, Leipzig 1887, 471–478. A. Wirth Quaestiones Severianae, Bonn. Diss., Lpz. 1888. E. de Ruggiero Dizionario epigrafico di Antichità Romane II, Roma 1894, 104–111.
II. Name und Titel.
a) Eigennamen: 1) Der erstgeborene Sohn des Septimius Severus hiess ursprünglich Bassianus (Dio LXXVIII 9, 3); er wurde so genannt nach seinem mütterlichen Grossvater (Iulius) Bassianus (Vict. epit. 21, 2), einem Priester des Sonnengottes Elagabal zu Emesa in Syrien (Vict. epit. 23, 2). Der Name Bassianus findet sich am häufigsten in der Historia Augusta (Sev. 10, 3. 14, 3. 16, 3. 18, 9. 19, 2. 21, 6. 32, 7; Nig. 8, 5; Alb. 7, 4; Car. 1, 1. 9, 1; Get. 1, 4. 8. 3, 3. 4, 2. 4. 5, 3. 6, 2. 4. 6f. 7, 5; Diad. 6, 8–10), aber auch bei Herodian (III 10, 5), Eutropius (VIII 20) und Victor (Caes. 20, 25. 23, 21). Ausnahmsweise wird er einmal auch noch nach seiner Erhebung zum Caesar auf einer Provincialmünze αὐτ. και. Μ. Αὐ. Ἀν. Βασσιανός genannt (Löbbecke Berliner Ztschr. f. Numismatik XVII 1890, 20). Als ursprünglichen Geschlechtsnamen müssen wir den seines Vaters Septimius voraussetzen; genannt wird er nirgends.
2) Bei seiner Erhebung zum Caesar im J. 196 [2436] n. Chr. erhielt Bassianus die neuen Namen M. Aurelius Antoninus nach dem berühmten Philosophen auf dem Throne, als dessen Enkel er gelten sollte (Sev. 10, 3–6; Get. 1, 4. 2, 2. CIL X 1651. 3341 = Dessau 445. CIG 3837f. = Le Bas III 874). So wurden denn auch als seine angeblichen Ahnen die Kaiser bis zu Nerva hinauf aufgezählt (vgl. z. B. CIL VIII Suppl. 18 256. 17 870 = Dessau 446). Statt Aurelius findet sich auch häufig die Schreibweise Aurellius, und zwar hauptsächlich auf stadtrömischen Inschriften (so in den Arvalacten und Diplomen, vgl. Dessau 451. 2007; ferner Dessau 452. 1160), aber auch anderswo (CIL II 2661 = Dessau 1157. VIII 10 061. 10 093. 10 115. 10 393. 10 398. IX 4960. 5994). Zuerst nachweisbar ist diese Schreibweise im J. 208 n. Chr. (CIL III p. 890 = V 4055); sonst findet sie sich regelmässig nur in der Zeit seiner Alleinherrschaft (212–217 n. Chr., vgl. die angeführten Beispiele). Derselben Zeit (212–217) gehört auch die Namensform M. Aurelius Severus Antoninus an, die sich hauptsächlich auf provincialen (besonders africanischen) Inschriften findet (aber auch in einer römischen CIL VI 1063 = Dessau 2178 vom J. 212). Alle mir bekannten Beispiele für diese Namensform gehören entweder sicher oder wahrscheinlich in die angegebene Zeit (212–217); nur wenige sind chronologisch unsicher (CIL VIII Suppl. 15 523 = 1481. VIII 6340. II 1037. CIG I 1619 = Le Bas II 515 = IGS I 2500), und nur eine scheint aus dem J. 208 zu stammen (CIL VIII 8392). Abgekürzt lautet der Name des Kaisers regelmässig Antoninus (so bei Philostratus, Dio, Herodian und in der Hist. Aug.; Antoninus Aug. z. B. CIL X 7336. VIII 7044. 7095 = Dessau 455. 1163. 2933; Antoninus Pius Aug. z. B. CIL VI 210. 218 = Dessau 2103. 2107. VI 180 und meist auf Münzen), nur ausnahmsweise Severus Antoninus (CIL IX 3608) und ganz vereinzelt Severus (bei einer Consulatsangabe des J. 213. Le Bas III 2512). Vereinzelt ist auch die Einfügung des Vatersnamens in der Form L. fil. auf dem Triumphbogen des Severus im J. 203 (CIL VI 1033 = Dessau 425).
3) Am bekanntesten ist Antoninus unter dem Spitznamen Caracalla oder richtiger Caracallus, obwohl sich dieser Name weder auf Münzen noch auf Inschriften findet (Caracallus bei Dio LXXVIII 3, 3. 9, 3 u. s. f. Sev. 21, 11; Car. 9, 7; Diad. 2, 8; Caracalla bei Eutrop. VIII 20. Vict. Caes. 21, 1; epit. 21, 1–2. 23, 1). Das Wort ist wahrscheinlich keltischen Ursprungs (vgl. Drexler a. a. O. 7, 2) und bedeutet entweder ein gallisches oder ein germanisches Gewand (vgl. Nisle a. a. O. 16. 36–38. Bockhoff a. a. O. 27), das bis auf die Knöchel herabging und vom Kaiser in eigentümlicher Weise zusammengesetzt und nach Art eines Mantels mit Vorliebe getragen wurde, seitdem er es (wahrscheinlich Ende 213 n. Chr.) aus Gallien oder vielmehr aus Germanien mit nach Rom gebracht hatte (Dio LXXVIII 3, 3. Vict. epit. 21, 2; Caes. 21, 1. Sev. 21, 11; Car. 9, 7; Diad. 2, 8. Hieron. chron. a. Abr. 2229).
4) Ein zweiter Spitzname des Caracalla, den er erst nach seinem Tode erhielt, war Tarautas (Dio LXXVIII 9, 3. 10, 3 u. s. f. Zonar. XII 13). Er wurde so genannt nach einem kleinen, hässlichen, [2437] frechen und blutdürstigen Gladiator dieses Namens (Dio LXXVIII 9, 3).
5) Der officielle Name nach seinem Tode war dagegen divus Magnus Antoninus, wie ihn sein angeblicher Sohn Elagabal nennen liess (vgl. die Münzen und Inschriften, z. B. Dessau 469. 470. 472. 1168), oder divus Magnus Antoninus Pius (z. B. Dessau 471), wie er regelmässig unter Severus Alexander genannt wurde, der gleichfalls für seinen Sohn gelten wollte (z. B. Dessau 479. 480).
b) Beinamen: 1) Die Beinamen Pius Felix erscheinen zum erstenmal am 1. April 200 n. Chr. (CIL VI 225 = Dessau 2186, vgl. VI 1054. VIII 6305. Dessau 424–427. 448. 450 u. s. f.), und zwar werden sie meist zwischen Antoninus und Augustus gestellt. Doch fehlt Felix noch öfter bis zum J. 211 (z. B. CIL VI 1031. Dessau 459f.), selten auch noch später (so am 11. April 212, CIL VI 1063 = Dessau 2178). Auf Münzen erscheint Pius seit 201, Felix erst seit 213 n. Chr. (Eckhel VII 202. 209. 221f.). Verhältnismässig selten erscheint Invictus, und zwar hinter Felix gestellt (z. B. CIL VI 1065) oder auch an seiner Stelle (z. B. CIL III 3472. 5997 = Dessau 2320. 438).
2) Den Beinamen Magnus führt Caracalla zuweilen auf Inschriften um 213–214 (CIL V 28. X 5826. 5802. VI 1067. III Suppl. 8705), nämlich nach Alexander d. Gr., dessen Ebenbild er sein wollte (Vict. epit. 21, 4; vgl. Oppian. cyneget. I 4. Lucian. macrob. 7. O. Hirschfeld Herm. XXIV 158). Sonst heisst er aber erst nach seinem Tode divus Magnus Antoninus (s. o.).
3) Die sicheren Siegerbeinamen sind Parthicus maximus, Britannicus maximus, Germanicus maximus; und zwar heisst er Parthicus maximus (oder auch nur Parthicus) seit dem J. 199 (CIL VIII 884), auf Münzen seit 200 n. Chr. (Eckhel VII 201. Cohen 181. 182; vgl. auch Car. 6, 5. 10, 6; Get. 6, 6); Britannicus Maximus (oder nur Britannicus) zugleich mit seinem Vater seit 210 n. Chr. (CIL IX 6010. Eckhel VII 188. 210. Cohen 185; schwerlich schon im J. 209, Dessau 431; vgl. dagegen CIL VI 1057); Germanicus Maximus seit October 213 n. Chr. (CIL VI 2086 = Dessau 451. VIII 1615 = Suppl. 15 721. VIII 4202. Cohen 213. 222. Eckhel VII 211; falsch ist die Notiz Car. 6, 5).
4) Unsichere Siegernamen: Arabicus Adiabenicus findet sich weder auf Münzen, noch auf stadtrömischen Inschriften, sondern nur vereinzelt auf provincialen Inschriften, die meist den J. 213–214 angehören. Es sind folgende: CIL II 1037 (210–211?). VII 1004 (Adiab.). 1164 (Arab.). 1186 (J. 213). VIII 1855. 1857 (214). X 5802 (um 213, vgl. X 5826). XII 4347 (213–217). CIG I 1619 = IGS I 2500 (unsicher). CIG II 2457 (213–217). III 4371 (unsicher). IV 6829 (199–209?). Ἐφ. ἀρχ. 1887, 53 (210–213). Arch.-ep. Mitt. XVI 1893, 139 (J. 213). Antoninus hat also diese Beinamen officiell überhaupt nicht oder aber nur auf kurze Zeit (nach Getas Tode) geführt; vgl. Wirth Quaestiones Severianae 26. Ruggiero Diz. ep. II 106. Den Beinamen Alamannicus (Car. 10, 6) hat er ebenso wenig [2438] geführt wie den Beinamen Sarmaticus maximus (Get. 6, 6). Statt des überlieferten Marcomannicus ist CIL V 7780 Britannicus zu verbessern und statt Armen(iacus) CIL VIII 10 236 Germ(anicus).
5) Schmeichlerische Zusätze sind optimus, maximus, fortissimus, felicissimus invictissimus, indulgentissimus, sanctissimus princeps in verschiedenen Zusammenstellungen (vgl. z. B. CIL VIII 1798 = Dessau 437. VIII Suppl. 19 493 = Dessau 439. VIII 7000. 6969. 10305. V 7780. VI 1066); ferner pacator orbis (CIL II 1671) und numen praesens (CIL XIV 2596 = Dessau 453). Dagegen ist pater militum (CIL II 4676 = Dessau 45) eine irrige Ergänzung von p(ont.) m(ax.).
c) Titel: 1) P(ontifex) m(aximus) heisst Caracalla richtig erst seit dem Tode des Vaters (vgl. Eckhel VII 201. 207); aber irrtümlich oder aus Schmeichelei wird er auch schon früher so genannt (z. B. im J. 200 CIL VIII 6037; im J. 205 CIL VIII 9035 = Dessau 459; im J. 207 CIL VIII 8469; im J. 208 CIL IX 4117); eigentlich war er vor dem J. 211 nur Pont(ifex) (z. B. CIL X 5909. VI 1074 = Dessau 456. Cohen 53f. 175ff. Eckhel VII 199).
2) Die trib(unicia) pot(estas) erhielt Caracalla im J. 198 n. Chr., so dass die erste vom Herbst bis zum 9. December 198, die zweite vom 10. December 198 – 9. December 199, die zwanzigste vom 10. Dezember 216 – 8. April 217 läuft, vgl. Mommsen St.-R. II³ 801, 3. Nur selten scheint die Tribunicia potestas schon vom J. 197 (CIL III 4452. VIII 6306; Suppl. 14395), einmal auch vom J. 199 an gezählt zu sein (CIL X 7228).
3) Imperator II heisst Caracalla seit 207 (CIL X 5909 add.) oder wohl richtiger seit 208 (so die Münzen; imperator II fehlt noch im J. 208 CIL VIII 2711. 8392. CIG II 3770; steht aber schon CIL VIII 1628 = Dessau 429. CIL III p. 890 = V 4055); imperator III seit October 213 n. Chr. (CIL VI 2086 = Dessau 451); imperator IIII heisst er nur aus Irrtum im J. 214 (CIL II 4689f.), 215 (CIL III 5997 = Dessau 438), 216 (CIL VIII 10305), 217 (CIL VIII 10456), während er richtig noch im J. 217 imperator III genannt wird (CIL II 4676 = Dessau 454; vgl. auch das Diplom vom 7. Januar 216 CIL III p. 891 = Dessau 2007).
4) Consul I war Caracalla im J. 202, cos. II 205, cos. III 208, cos. IV 213 (s. zu diesen Jahren).
5) P(ater) p(atriae) ist nachweisbar seit dem J. 205 n. Chr. (CIL VIII 9035 = Dessau 459. VI 1055; einmal auch schon im J. 200, CIL VIII 6037).
6) Proconsul heisst Caracalla als Augustus (also seit 198 n. Chr., z. B. CIL IX 2122), sofern er ausserhalb Italiens verweilt, was allerdings meist der Fall war, vgl. Mommsen St.-R. II³ 778, 1.
7) Frater Arvalis heisst er nur vereinzelt (CIL VI 1053 vom J. 199), vgl. Mommsen St.-R. II³ 781, 2.
8) Princeps iuventutis heisst er meist bei Lebzeiten des Vaters (z. B. CIL VI 354 = Dessau 2218. VIII 884. 4216), nur selten auch noch später (z. B. im J. 216, CIL XIV 2596 = Dessau 453).
[2439]
III. Leben vor der Thronbesteigung, 186–211 n. Chr.
a) Bis zu seiner Erhebung zum Caesar, 186–196 n. Chr. Caracalla war ein Sohn des L. Septimius Severus und der Iulia Domna (Inschriften und Münzen; über Iulia Domna als leibliche Mutter vgl. besonders CIL VI 2086 = Dessau 451: ex te Aug(usta) Aug(ustum) videmus. Philostr. vit. soph. II 20. Oppian cyneget. I 4. Dio LXXVIII 23, 1. 24, 1. Sev. 3, 9). Nur nach einer schlechten Überlieferung soll Iulia Domna seine Stiefmutter gewesen und er selbst 43 Jahre alt geworden, also um das J. 174 n. Chr. von der ersten Gemahlin des Severus (Paccia Marciana, CIL VIII Suppl. 19 494 = Dessau 440) geboren sein (Sev. 20, 2; Car. 9, 1. 10, 1; Get. 7, 3. Vict. Caes. 21, 3; epit. 21, 5. Eutrop. VIII 20). Vielmehr wurde er nach Dio LXXVIII 6, 5 nur 29 Jahre alt, wonach er im J. 188 geboren wäre. Aber auch dies scheint nicht ganz zutreffend zu sein, da der Biograph zweimal das J. 186 als sein Geburtsjahr voraussetzt (Sev. 4, 6. 16, 3 = Diad. 6, 8) und ein Vergleich der Ämter der beiden Söhne des Severus nicht einen Unterschied von einem Jahre, wie es nach Dio der Fall sein würde, sondern von drei Jahren wahrscheinlich macht, vgl. Rübel De fontibus quatuor priorum h. A. scriptorum 58 und besonders Wirth Quaest. Sever. 19f. Daher ist wahrscheinlich Caracalla im J. 186, sein Bruder Geta im J. 189 geboren (vgl. auch die Anekdote Get. 3, 3). Als Geburtstag Caracallas wird von Dio LXXVIII 6, 5 der 4. April, von Car. 6, 6 der 6. April genannt. Sein Geburtsort war Lyon (Vict. epit. 21, 1), wo sein Vater damals (wahrscheinlich 185–187 n. Chr., vgl. Wirth Quaest. Sever. 7. 20) als Statthalter von Gallia Lugdunensis verweilte (Sev. 3, 8; Nig. 3, 3. 5. Dio LXXIV 3, 2). Über seinen ursprünglichen Namen (Septimius) Bassianus s. o. II a 1.
In zartem Alter siedelte der Knabe mit seinen Eltern aus Lyon nach Sicilien (Sev. 4, 2), von dort nach Rom über, wo ihm am 27. Mai 189 ein Bruder (Geta) geboren wurde (Sev. 4, 2. 20, 2; Get. 3, 1. 3. Dio LXXVII 2, 5). Bei Rom spielt die Anekdote, die von dem fünfjährigen Knaben (190–191) erzählt wird (Sev. 4, 6–7). Von dem siebenjährigen Knaben (192–193) wird uns eine andere kleine Geschichte berichtet, wonach er einen jüdischen (oder christlichen? vgl. Wirth Quaest. Sev. 31, 1) Spielgefährten hatte (Car. 1, 6). Damit lässt sich eine Notiz bei Tertullian (ad Scapulam 4) vergleichen, dass er lacte Christiano educatus gewesen sei. Wenn aber an derselben Stelle ein Christ Proculus als Arzt des Severus genannt wird, so darf dieser doch nicht als Erzieher des Bassianus angesehen werden. Dagegen erfahren wir durch Philostratus (vit. soph. II 24, 2 p. 109 Kayser), dass Severus den Sophisten Antipater aus Hierapolis in Syrien zum Erzieher und Lehrer seiner beiden Söhne berief. Ausserdem werden noch der freigelassene Euodus (Dio LXXVI 3, 2. LXXVII 1, 1) und der Consular L. Fabius Cilo (vgl. CIL VI 1408f. = Dessau 1141f.) Erzieher (τροφεῖς) des Bassianus genannt (Dio LXXVII 4, 2. 4). Severus, der inzwischen im J. 193 n. Chr. Kaiser geworden war, leitete die Erziehung seiner Söhne mit grösster Sorgfalt und verkehrte persönlich mit ihren Lehrern (Dio [2440] LXXVII 11, 2–3). So wird denn die Jugendzeit des Bassianus sehr gerühmt, besonders auch seine Milde und sein weiches Herz hervorgehoben (Car. 1, 3–8). Die empfangene geistige Bildung vergass er aber später so sehr, als ob er nicht einmal ihren Namen gehört hätte (Dio LXXVII 11, 3–4).
Bassianus scheint seinen Vater auf dem Feldzuge gegen Pescennius Niger (194) und nach Mesopotamien (195) vielleicht bis Antiochia begleitet zu haben, wenn auch seine Fürsprache für Antiochia und Byzanz (Car. 1, 7) in eine spätere Zeit fallen mag. Jedenfalls befand er sich bei der Rückkehr des Severus aus dem Osten in seiner Umgebung, als er in Viminacium an der Donau zum Caesar erhoben wurde (Sev. 10, 3. 16, 3).
b) Caracalla als Caesar und Imperator destinatus, 196–198 n. Chr. Die Erhebung zum Caesar geschah im J. 196 (CIL X 1651. 3341 = Dessau 445. CIG 3837f. = Le Bas III 874, wo statt δημ. ἐξ. τὸ γ’ wegen αὐτ. τὸ η’ zu lesen ist δημ. ἐξ. τὸ δ’), und zwar wahrscheinlich im Herbst, da Severus erst um diese Zeit aus dem Orient nach Viminacium gelangt sein kann (vgl. Wirth Quaest. Sever. 10). Der Anlass dazu war der Bruch des Kaisers mit seinem bisherigen Caesar D. Clodius Septimius Albinus (vgl. CIL XIV 6 = Dessau 414), der in dieselbe Zeit fällt (Sev. 10, 3). Bei dieser Gelegenheit erhielt Bassianus die neuen Namen M. Aurelius Antoninus (s. o. II a 2), wie denn Severus selbst schon seit Ende 195 sich Sohn des Marcus und Bruder des Commodus nennen liess (vgl. CIG 2878. CIL VI 954 = Dessau 418. Eckhel VII 173f. CIL X 6079. VI 1259 = Dessau 420. 424 u. s. f. Sev. 10, 6; Geta 2, 2).
Während dann im J. 196 Severus zur Bekämpfung des Clodius Albinus nach Gallien weiter zog, blieb Antoninus in Pannonien zurück (CIL VIII 7062 = Dessau 1143). Nach der Besiegung des Albinus kehrte er mit seinem Vater nach Rom zurück, wo ihm nicht nur seine Caesarwürde vom Senate bestätigt, sondern auch noch andere Ehren übertragen wurden (Sev. 14, 3. Herod. III 9, 1). Er wurde zum Princeps iuventutis ernannt (CIL VIII 10 569 = Suppl. 14 394), zum Pontifex erhoben (Cohen 53. 54. Eckhel VII 199, vgl. CIL VI 1074 = Dessau 456), in das Collegium der Sodales Augustales (CIL VI 1984, 2, 10) und in ein unbekanntes Priestercollegium (CIL VI 2009, 1 = Dessau 466, 1), vielleicht auch schon unter die Fratres Arvales (CIL VI 1053) aufgenommen. Vor allem aber wurde er zum Imperator destinatus erklärt, indem ihm der Senat die insignia imperatoria zuerkannte (Sev. 14, 3). Vielleicht war er schon bald nach dem Siege über Albinus (19. Februar 197, vgl. Dessau 419), als er noch in Pannonien war (CIL VIII 7062 = Dessau 1143), zum Imperator destinatus ernannt worden; vielleicht aber geschah es erst nach dem 9. Juni 197 (vgl. CIL VI 224 = Dessau 2185). Jedenfalls heisst er so regelmässig im J. 197 (CIL VIII 5699f. 6048. 6994. IX 4880 = Dessau 442. VIII Suppl. 17 870 = Dessau 446. VIII Suppl. 18 256. XI 2913 = Dessau 447. X 5174. Le Bas III 1785. CIRh 1663. CIL II 4101. Cohen 53. 54. Eckhel VII 200; ausnahmsweise findet sich auch imp. designatus CIL VIII 10 569 = [2441] Suppl. 14 394, vgl. Mommsen St.-R. I³ 578, 2). Wo er Caesar destinatus heisst (CIL VI 1984. VII 210), muss imperator eingeschoben werden (vgl. Dessau 446, 1). Falsch ist es, wenn er schon im J. 197 Augustus genannt wird (CIL V 5259).
Im Herbst 197 begleitete Antoninus seinen Vater wieder nach dem Osten, blieb während des Partherkrieges in Antiochia zurück und schlug einen Aufstand der Juden und Samaritaner nieder; wenigstens wurde ihm vom Senat ein triumphus Iudaicus zuerkannt (Sev. 16, 7).
c) Antoninus als Augustus mit seinem Vater (Geta als Caesar), 198–209 n. Chr. Im J. 198 scheint Antoninus mit seinem Vater in den Partherkrieg gezogen zu sein (vgl. auch CIL VI 225 = Dessau 2186); denn im Laufe dieses Feldzuges wurde er von den Soldaten zum Augustus ausgerufen und von Severus mit der tribunicischen Gewalt ausgerüstet (Sev. 16, 3–4; Get. 5, 3; Diad. 6, 8. Eckhel VII 200). Dies geschah anscheinend schon vor dem 3. Mai 198 (CIL VIII 2465 = Dessau 2485; doch vgl. Dessau 446), vielleicht aber erst am 2. Juni (dem dies imperii des Severus, vgl. Borghesi Oeuvres III 265ff.), nach Wirth Quaest. Sever. 31f. im August oder September, jedenfalls vor dem 19. October 198 (CIL VI 1052; vgl. auch CIL III 218 = Le Bas III 2806 = Dessau 422). Antoninus stand damals im 13. Lebensjahr (Sev. 16, 3; Diad. 6, 8). Der Anlass zu dieser frühzeitigen Erhebung scheint der Sieg über die Parther gewesen zu sein, infolge dessen Severus den Namen Parthicus Maximus annahm und zum elftenmal den Imperatortitel erneuerte (Sev. 16, 2. CIL VIII 2550 u. s. f.). Bei dieser Gelegenheit wurde auch L. Septimius Geta zum nobilissimus Caesar ernannt (Sev. 16, 4. Le Bas III 2806 = CIL III 218 = Dessau 422 u. s. w.).
Im J. 199 erhielt auch Antoninus den Siegernamen Parthicus maximus (CIL VIII 884), doch führte er ihn bis zum J. 211 so unregelmässig, dass er wenig Wert darauf gelegt zu haben scheint. Am 1. April 200 n. Chr. erscheint zum erstenmale hinter seinem Namen Pius Felix (vgl. o. II b 1).
Im J. 201 erhielt Antoninus in Antiochia von seinem Vater die Toga virilis und wurde zum Consul designiert (Sev. 16, 8. CIL VI 1030. IX 5980); ungenau wird er in diesem Jahre auch schon Consul genannt (Cohen 176. 177. 183. CIL VIII 9828) statt cos. des.
Am 1. Januar 202 trat Antoninus in Antiochia sein erstes Consulat an, zugleich mit seinem Vater Septimius Severus, der das Amt zum drittenmal bekleidete, Sev. 16, 8. CIL VI 862. 226. 218 (= Dessau 2107). 1982. 1984. VII 1003. IX 1573. VIII 4508. CIRh 1883 (= Dessau 2444) u. s. f. Im Frühjahr 202 reiste er dann mit Vater und Bruder aus dem Osten zur See nach Rom zurück, wo Anfang Juni die Spiele zur Feier der Rückkehr, der parthischen Siege und des zehnten Regierungsjahres stattfanden (Herod. III 10, 1. Dio LXXVI 1, 3; Münzen mit adventus Augg. Cohen 2. Eckhel VII 180ff. 202f.). Mommsen will mit Unrecht die Rückkehr in das J. 203 setzen, weil Severus auf der Inschrift seines Triumphbogens noch in diesem Jahr Proconsul [2442] heisst (CIL VI 1033 = Dessau 425. Mommsen St.-R. II³ 778, 1); aber diese Inschrift enthält auch sonst viel Auffälliges (vgl. Dessau 425 not.), und die Münzen verlangen das J. 202 (Eckhel VII 180ff.).
Bald nach der Rückkehr verlobte Severus seinen älteren Sohn mit Fulvia Plautilla (vgl. z. B. CIL X 7336 = Dessau 455. CIL III Suppl. 10 850 = 3968), der Tochter des Gardepräfecten Fulvius Plautianus (Dio LXXV 15, 2, vgl. CIL IX 4958), und die Hochzeit wurde noch im J. 202 mit grosser Pracht gefeiert (Cohen p. 103, vgl. Dio LXXVI 1, 2. Sev. 14, 8. Herod. III 10, 5. 7. Eckhel VII 203. Cohen 22. 23. 25. 26. CIL VI 1074 = Dessau 456).
Im J. 205 bekleidete Antoninus zum zweitenmal das ordentliche Consulat, diesmal zugleich mit seinem jüngeren Bruder L. oder P. Septimius Geta, Sev. 14, 10. CIL III 1051. 3649. VI 228 (= Dessau 2187). 716. 1056 (= Dessau 2156). VII 200. IX 1609. XI 1926. CIRh 1024. 1843. CIG III 5884 add. p. 1262 u. s. w. Schon im J. 204 heisst er fälschlich zuweilen cos. II statt cos. des. II (CIL VIII 9228. 10 894). Mit seinem jüngeren Bruder vertrug sich Antoninus von Anfang an sehr schlecht (fratri semper invisus Get. 5, 1); denn er war ebenso grausam wie Geta milde, und ebenso stolz wie Geta herablassend (Get. 4, 2–5; Car. 2, 3). Die anfänglichen guten Eigenschaften des Antoninus waren nämlich schon beim Eintritt in das Jünglingsalter verloren gegangen, so dass man den Knaben kaum wiedererkannte (Car. 1, 3 – 2, 1). Der Streit der beiden feindlichen Brüder wurde anfänglich bei Wachtel- und Hahnenkämpfen, dann bei Schauspielen und Wagenrennen genährt und von Dienern und Schmeichlern immer weiter entfacht (Herod. III 10, 3–4. 13, 6). Vergeblich versuchte Severus das rohe Gemüt des älteren Sohnes durch die Heirat mit Plautilla etwas zu veredeln (Herod. III 10, 5). Antoninus verabscheute seine junge Gemahlin und teilte mit ihr weder Tisch noch Bett (Herod. III 10, 8. Dio LXXVI 3, 1). Deswegen hasste ihn sein Schwiegervater Plautianus (Dio LXXVI 2, 5), und Antoninus vergalt diesen Hass in solchem Masse, dass er nicht eher ruhte, als bis er den allmächtigen Präfecten durch Mord aus dem Wege geräumt hatte (Dio LXXVI 3, 1 – 4, 5. Herod. III 11, 4 – 12, 12. Amm. Marc. XXVI 6, 8. XXIX 1, 17). Dies geschah zwischen dem 22. August 203 (CIL VIII 2557) und dem 28. Mai 205 (CIL VI 228), wahrscheinlich am 22. Januar 205 (das Datum im Chron. pasch. p. 496 Dind., wo aber das J. 203 falsch ist, vgl. Bormann Bull. d. Inst. 1867, 218). Plautians Tochter Plautilla, obwohl Antoninus Gemahlin, wurde nach Lipara verbannt (Dio LXXVI 6, 3. Herod. III 13, 3. IV 6, 3, wo Sicilien genannt wird). Nun fühlten sich die beiden Prinzen wie von einem Zuchtmeister befreit und thaten ihren Leidenschaften keinen Zwang mehr an. Weiber und Knaben schändeten sie, und mit vollem Eifer gaben sie sich den hauptstädtischen Vergnügungen hin; dabei war stets dem einen verhasst, was dem anderen lieb war (Dio LXXVI 7, 1–2. Herod. III 10, 3–4. 13, 1–2. 6). Einmal trafen sie beim Wagenrennen so scharf zusammen, dass Antoninus aus dem Wagen fiel und ein Bein brach (Dio LXXVI 7, [2443] 2). Vergeblich suchte Severus die leidenschaftlichen Söhne mit einander zu versöhnen (Herod. III 10, 4. 13, 3–5. Sev. 21, 10). Doch bestrafte er wenigstens die Zwischenträger (Herod. III 13, 6) und entzog die Söhne möglichst den hauptstädtischen Vergnügungen, indem er häufig in Campanien mit ihnen verweilte (Herod. III 13, 1).
Dass Antoninus im J. 207 (vor dem 9. Juni) einen Sieg über die Germanen in Raetien gewonnen hätte (so Wirth Quaest. Sever. 12), ergiebt sich keineswegs aus der Inschrift CIL III 4364 = Suppl. 11 082; denn Antoniniana ist dort erst nach dem Tode des Severus zur Legion hinzugefügt. Auch die Angabe der Vita (Car. 6, 5), dass er schon zu Lebzeiten des Vaters Germanicus genannt wäre, wird durch keine Inschriften und Münzen bestätigt. Endlich hat er schwerlich schon im J. 207, wie nur eine Inschrift angiebt (CIL X 5909 add.), sondern wohl erst im J. 208 zu Beginn des britannischen Feldzuges zugleich mit seinem Vater den Imperatortitel erneuert (vgl. o. II c 3); der Anlass dazu wäre dann ein Sieg über die Caledonier gewesen (Dio LXXVI 13, 1).
Im J. 208 erhielt Antoninus zum drittenmal das ordentliche Consulat, zusammen mit seinem Bruder Geta, der es zum zweitenmal bekleidete, CIL VI 210 (= Dessau 2103). IX 1573. V 4036. IX 4117. X 5064 (= Dessau 2667). CIRh 1854. 1977 und sonst. In diesem Jahre (vgl. Eckhel VII 206: prof. Augg. im J. 208 und 299; traiectus im J. 209) brach Severus mit seinen Söhnen zu dem Feldzuge nach Britannien auf, von dem er nicht wieder zurückkehren sollte (Dio LXXVI 11, 1. Herod. III 14, 2. Sev. 18, 2). Als ein Grund dafür wird ausdrücklich angeführt, dass Severus die Prinzen dem hauptstädtischen Leben habe entziehen wollen (Dio und Herod. a. a. O.).
d) Antoninus als Augustus mit Vater und Bruder, 209–211 n. Chr. In Britannien angekommen, erhob Severus auch seinen jüngeren Sohn Geta zum Augustus (vielleicht schon am 10. December 208? vgl. Wirth Quaest. Sever. 13; unten unter Septimius Geta), liess diesen dann in dem römischen Gebiet zurück und führte in Gemeinschaft mit dem älteren Sohne den Krieg (Herod. III 14, 9. Dio LXXVI 13). Im J. 210 fand ein Sieg über die Britannier statt (CIL VIII Suppl. 11 018, vgl. Eckhel VII 188), infolge dessen Antoninus so wie sein Vater den Beinamen Britannicus oder Britannicus Maximus annahm (s. o. II b 3). Eine Zeit lang überliess auch Severus wegen Krankheit seinem Sohne das Commando, eine Gelegenheit, die Antoninus dazu benutzte, das Heer für sich zu gewinnen (Herod. III 15, 1). Dio berichtet sogar bestimmt von Mordanschlägen des Thronfolgers auf seinen Vater, die dieser in verblendeter Kindesliebe unbestraft liess (Dio LXXVI 14, 1–7). Schliesslich suchte er auch die Ärzte zu bereden, des kranken Kaisers Tod zu beschleunigen (Herod. III 15, 2. Dio LXXVI 15, 2). So starb Septimius Severus am 4. Februar 211 zu Eboracum (York) in England, und Antoninus trat die ersehnte Herrschaft an (Dio LXXVI 15, 2. 17, 4. Herod. III 15, 2–4. Sev. 19, 1. Eutrop. VIII 19. Vict. Caes. 20, 27).
IV. Regierungszeit: 211–217 n. Chr.
a) Samtherrschaft des Antoninus und Geta, 4. Februar 211 – 26. Februar 212.
[2444]
211: Parth. max. Brit. max., p. m. trib. pot. XIV (10. December 210 – 9. December 211). imp. II cos. III. p. p. (procos.).
Wenn auch sehr ungern, musste Antoninus nach des Vaters Tode seinen Bruder P. Septimius Geta als Augustus neben sich anerkennen; factisch aber war er von vornherein der alleinige Herr (Dio LXXVII 1, 1. Sev. 23, 5–7). Ähnlich wie Commodus schloss auch er sofort mit den Feinden Frieden und zog die Besatzungen aus ihrem Gebiet heraus (Dio LXXVII 1,1; vgl. Herod. III 15, 6). Ratgeber des Vaters, wie den Gardepraefecten Papinianus, dem Severus seine Söhne vor allem empfohlen hatte (Car. 8, 3. Zos. I 9), entfernte er aus seiner Umgebung (Dio LXXVII 1, 1); andere Nahestehende tötete er, so seinen Erzieher Euodus (Dio LXXVII 1, 1. LXXVI 6, 1; vgl. Herod. III 15, 4), Castor, den Vertrauten seines Vaters (Dio LXXVII 1, 1, vgl. LXXVI 14, 5), ferner seine frühere Gemahlin (Fulvia) Plautilla, die im J. 205 nach Lipara verbannt worden war (Dio LXXVI 6, 3. LXXVII 1, 1. Herod. III 13, 3. IV 6, 3; ihr Name auf Inschriften getilgt, vgl. CIL VI 220. 180. 1035. 1074 u. s. w.), ebenso ihren Bruder (Fulvius) Plautius (Dio LXXVI 6, 3. LXXVII 1, 1. Herod. III 13, 3). In Rom wurde der Wagenlenker Euprepes lediglich deshalb getötet, weil er auf der Gegenpartei des Kaisers beim Rennen stand (Dio LXXVII 1, 2). Auch seinen Bruder Geta hätte er am liebsten gleich nach seinem Regierungsantritt getötet, wie er es schon zu Lebzeiten des Vaters beabsichtigt hatte. Aber er wagte es nicht, weil das Heer den Geta liebte (Dio LXXVII 1, 3. Herod. III 15, 5). Zunächst musste er sich so stellen, als ob er, den Bitten der Mutter und der Freunde nachgebend, sich mit dem Bruder versöhne (Herod. III 15, 6–7. Dio LXXVII 1, 4; vgl. CIL VIII 2618). Gemeinsam hielten sie die Leichenfeier des Vaters und brachten dann die Asche aus Britannien gemeinsam nach Rom (Herod. III 15, 7–8. Vict. Caes. 20, 30). Schon unterwegs freilich kam ihr Hass und ihr gegenseitiges Misstrauen wieder zum Ausbruch (Herod. IV 1, 1–2). In Rom selbst, wo sie nach eiliger Reise (vgl. Herod. IV 1, 2) etwa im Mai 211 angekommen sein mögen (Münzen mit adv. Aug. und Fort. Red. vom J. 211, Cohen 7. 8. 84–87. 89. Eckhel VII 208. 231), hielten sie gemeinsam einen feierlichen Einzug und legten die Asche im Grabmal der Antonine nieder, im Palast aber trennten sie sich sofort; jeder bezog einen besonderen Teil des Gebäudes und umgab sich sorgfältig mit Wachen (Herod. IV 1, 3–5). Nachdem bald darauf die Apotheose des Vaters vollzogen war (Herod. IV 2, 1 – 3, 1), trachtete jeder der beiden Kaiser, die Herrschaft für sich allein zu gewinnen und den anderen zu beseitigen, und ganz Rom spaltete sich in zwei Parteien (Herod. IV 3, 1–4). Ja, einstmals sollen beide den Plan erwogen haben, das ganze Reich in eine West- und Osthälfte zu teilen, wobei Antoninus in Byzanz, Geta in Chalkedon seinen Herrschersitz aufschlagen sollte; aber ihre Mutter Iulia Domna soll den Plan vereitelt haben durch den Hinweis darauf, dass sie selbst nicht zwischen ihnen geteilt werden könne (Herod. IV 3, 5–9). So nahm die Zwietracht ihren Fortgang zum Schaden der Verwaltung, [2445] besonders der Rechtsprechung (Herod. IV 4, 1–2). Am Saturnalienfest im December 211 machte Antoninus wieder einen vergeblichen Mordversuch, und beide schützten sich vor einander auf das sorgsamste (Dio LXXVII 2, 1).
212: Parth. Max. Brit. max., p. m. trib. pot. XV (10. December 211 – 9. December 212). imp. II. cos. III. (desig. IV.) p. p. (procos.).
Ende Februar 212 kam es endlich zu der lange erwarteten Katastrophe. Antoninus überredete seine Mutter, ihn und seinen Bruder zum Zweck der Versöhnung in ihre Wohnung kommen zu lassen, und Geta liess sich bethören. Sobald beide zur Mutter hineingegangen waren, erschienen einige Centurionen, die Antoninus vorher bestellt hatte. Bei deren Anblick flüchtete Geta zur Mutter, hing sich an ihren Hals und schrie: ,Mutter, Mutter, hilf!‘ Vergebens! In den Armen der Mutter wurde er getötet, so dass diese mit Blut bespritzt und an der Hand selbst verwundet wurde (Dio LXXVII 2, 2–6. Herod. IV 4, 3. Car. 2, 4; Sev. 21, 6–7. 23, 7. Eutrop. VIII 19 = Oros. VII 17. Vict. Caes. 20, 32; epit. 21, 3. Zosim. I 9). Dies geschah im J. 212 (vgl. die Inschriften und Münzen), etwa am 26. Februar; denn Geta war geboren am 27. Mai 189 (Get. 3, 1) und lebte 22 Jahre 9 Monate (Dio LXXVII 2, 5). Sein Körper wurde sofort verbrannt (Car. 2, 4) und die Asche in das Septizonium gebracht (Get. 7, 1–2).
b) Alleinherrschaft des Antoninus, 26. Februar 212 – 8. April 217. Nach der Ermordung seines Bruders und Mitherrschers eilte Antoninus, obwohl es schon Abend war, aus dem Palast durch die Stadt zum Praetorianerlager, indem er beständig rief, er sei mit Mühe einer grossen Gefahr entronnen (Dio LXXVII 3, 1. Herod. IV 4, 3–5). Im Lager beschuldigte er seinen Bruder des Mordanschlags und stopfte den Soldaten durch grosse Versprechungen von vornherein den Mund (Dio LXXVII 3, 1–2. Herod. IV 4, 5–8. Car. 2, 5). Nur die bei Alba stationierten Soldaten (der 2. parthischen Legion) zürnten über den Kaisermord: zwei Söhnen des Severus habe man Treue geschworen und beiden müsse man sie halten. Man verschloss dem Imperator anfangs die Thore und liess sich nur mit Mühe besänftigen (Car. 2, 7–8 = Get. 6, 1–2). Dies geschah wohl am anderen Morgen (vgl. Herod. IV 5, 1). Jedenfalls kam er am Morgen nach dem Morde (Dio LXXVII 3, 3. Bd. V p. 212 Dind.) mit ungewöhnlich starker Bedeckung in den Senat und beschuldigte hier seinen Bruder aufs schwerste (Car. 2, 8–11; Get. 6, 5. Herod. IV 5, 1–7. Dio LXXVII 3, 3. Bd. V p. 212 Dind.). Beim Hinausgehen aus der Curie fügte er hinzu, dass er allen Verbannten die Rückkehr in die Heimat gestatte (Dio LXXVII 3, 3. LXXVI 5, 5. Bd. V p. 212 Dind. Car. 3, 1. Digest. I 2, 3, 1). Dann kehrte er in den Palast zurück (Herod. IV 5, 7; abweichend Car. 3, 1), und es begann nun ein furchtbares Morden. Alle Anhänger und Freunde des Geta, von den höchststehenden Senatoren bis zum untersten Sclaven ohne Unterschied des Alters und Geschlechts wurden getötet, im ganzen gegen 20000 Personen (Dio LXXVII 4, 1. Herod. IV 6, 1–2. Car. 3, 2. 4, 3–4.). Von hervorragenden Persönlichkeiten, die damals hingerichtet wurden, seien folgende genannt: ein Vetter des Kaisers, Septimius Severus [2446] (Car. 3, 6–7. Herod. IV 6, 3); Claudius Pompeianus, ein Enkel des Kaisers Marcus (Car. 3, 8. Herod. IV 6, 3); der berühmte Rechtsgelehrte Aemilius Papinianus (Dio LXXVII 4, 1–2. Bd. V 212 Dind. Car. 3, 2. 4, 1. 8, 1–8; Get. 6, 3; Sev. 21, 8. Vict. Caes. 20, 33–34. Zosim. I 9; vgl. Schiller I 741, 3) nebst seinem Sohne (Car. 4, 2); der Gardepraefect Valerius Patruinus (Car. 4, 2. Digest. XLIX 14, 50. O. Hirschfeld Herm. XXIV 1889, 159, 2); der Schriftsteller Sammonicus Serenus (Car. 4, 4); der Sohn des Kaisers Pertinax (Car. 4, 8. 10, 6; Get. 6, 6–8. Herod. IV 6, 3); endlich die Schwester des Commodus, Cornificia (Herod. IV 6, 3. Dio Bd. V p. 214 Dind.). Wer nur den Namen Geta aussprach oder schrieb, verlor sein Leben (Dio LXXVII 12, 5). Getas Bildsäulen wurden umgestürzt, seine Münzen eingeschmolzen (Dio LXXVII 12, 6; vgl. Schiller I 741, 6), sein Name auf den öffentlichen Denkmälern mit peinlicher Sorgfalt getilgt (vgl. die Inschriften, z. B. Dessau 458–460. CIL VI 180. 1033. 3768. CIA III 10 u. s. w.).
In diesem J. 212 wurde auch die berühmte constitutio Antoniniana erlassen, wodurch allen Unterthanen das römische Bürgerrecht verliehen wurde (Dio LXXVII 9, 5. Sev. 1, 2. Digest. I 5, 17. Nov. Iust. 97, 5 = 78, 5 ed. Zach. v. Lingenthal. Augustin. de civ. dei V 17. Schiller I 2, 750f. Mommsen Herm. XVI 474f.; St.-R. II³ 1014, 3. III 699f.).
213: Parth. max. Brit. max. (Germ. max.), p. m. trib. pot. XVI (10. December 212 – 9. December 213). imp. II und III. cos. IV. p. p. procos.
Am 1. Januar 213 übernahm Antoninus zum vierten und letztenmal das ordentliche Consulat, und zwar zugleich mit dem späteren Kaiser D. Caelius Calvinus, der das Amt zum zweitenmal bekleidete, CIL VI 269. 2001. 1987. VII 351. IX 1609. 3608. CIRh 1492. Le Bas III 2512. Eph. ep. II 597 u. s. w.
Etwa im Frühjahr 213 brach Antoninus von Rom nach Deutschland auf (Herod. IV 7, 1–2. Car. 5, 1; Münzen mit Profectio Aug. aus dem J. 213 Cohen 293f. Eckhel VII 209; eine Inschrift mit Fortunae reduci CIL VIII 6303). Mit Unrecht folgern Nisle 24f. und Bockhoff 7 aus der Inschrift CIRh 1492, dass schon im Januar 213 Antoninus sich in Nassau befunden habe, also schon im Sommer 212 von Rom aufgebrochen sei. Auch die provincialen Inschriften aus dem J. 212, die procos. zum Kaisertitel hinzufügen, sind nicht beweisend (z. B. CIRh 1424. CIL VIII 4197. 4196); vgl. über das Jahr des Aufbruchs besonders Holländer 8 und Drexler 8. Zunächst wandte sich Antoninus, wie es scheint (doch vgl. Schiller I 743, 5), nach Gallien, wo er sofort nach seiner Ankunft den Proconsul von Gallia Narbonensis töten liess (Car. 5, 1). In welcher Weise er hier Gericht abhielt, zeigt die Erzählung bei Philostratus vit. sophist. II 32 (vgl. auch Herod. IV 7, 2). Dann marschierte er nach Raetien, um gegen die Alamannen zu Felde zu ziehen (Dio LXXVII 13, 4. Vict. Caes. 21, 2). Er liess Castelle in ihrem Lande bauen, rief die waffenfähige Jugend zu sich, als ob er sie in sein Heer einreihen wolle, und liess sie dann verräterisch niedermachen (Dio LXXVII [2447] 13, 4–5. Car. 5, 3. 4). Hierauf bezieht sich vielleicht der Zuruf der Arvalbrüder Germanice maxime am 20. Mai 213 (CIL VI 2086 = Dessau 451). Nun erst scheint der eigentliche Krieg begonnen zu haben. Um den 11. August 213 drang der Kaiser über den raetischen Limes in das Barbarenland ein, um die Feinde zu vernichten (CIL VI 2086 = Dessau 451), und besiegte sie dann thatsächlich in einer Schlacht am Main (Vict. Caes. 21, 2; vgl. Car. 10, 6). Dieser ,germanische Sieg‘ (CIL VIII 4202. Cohen 352f. Eckhel VII 211. CIRh 1573) war schon am 6. October 213 in Rom bekannt (CIL VI 2086 = Dessau 451). Antoninus rühmte in seinem Siegesbericht an den Senat besonders einen Wagenlenker Pandion als seinen Lebensretter (Dio LXXVII 13, 6). Er nannte sich infolge dieses Sieges Germanicus maximus (vgl. auch Car. 5, 6 und oben II b 3) und Imperator III (CIL VI 2086 = Dessau 451). Dann bekriegte Antoninus die Cennen (Dio epit. LXXVII 14, 1), womit wahrscheinlich die Chatten gemeint sind (vgl. Dio LXXVII 14, 2. 3. Dahn bei v. Wietersheim I² 156; doch dagegen Nisle 12. 30–33. Bockhoff 19f. 21, 2). Er wurde anscheinend von ihnen besiegt und musste den Rückzug für Geld erkaufen (Dio LXXVII 14, 2, vgl. 13, 3. Bd. V p. 213 Dind.). Die gefangenen Weiber der Chatten und Alamannen töteten sich selbst (Dio LXXVII 14, 1–2. Bd. V p. 213 Dind.). Die Freundschaft der an der Nordsee wohnenden Barbaren erkaufte sich Antoninus durch grosse Geldsummen (Dio LXXVII 14, 3); vgl. noch über die expeditio Germanica Herod. IV 7, 2–3. CIL X 5398 = Dessau 1159. CIRh 1800 = Dessau 2310. CIRh 1492. 1304. 1575f. 1959. 1962. Schon in diesem Jahre scheint Antoninus ernstlich erkrankt zu sein (Car. 5, 3), wobei er den an Rhein und Donau besonders verehrten (vgl. CIL III 5588. 5861. 5870ff.) Heilgott Apollo Grannus anrief (Dio LXXVII 15, 6) und vielleicht auch die Quellen von Baden-Baden benutzte (Aurelia Aquensis, vgl. Nisle 14). Gegen Ende des J. 213 kehrte er vielleicht nach Rom zurück (vgl. Cohen 65. 84. 85. 413. Eckhel VII 210f.) und brachte den Mantel dorthin mit, nach dem er den Spitznamen Caracallus erhielt (vgl. Nisle 35f. Schiller I 745, 6; oben II a 3).
214: Parth. max. Brit. max. Germ. max., p. m. trib. pot. XVII (10. December 213 – 9. December 214). imp. III. cos. IV. p. p. procos.
Im Frühjahr 214, wie es scheint, brach Antoninus zu dem Zuge nach dem Osten auf, von dem er nicht wieder nach Rom zurückkehrte. Dass er jetzt zunächst nach Norden marschiert sei, wird wohl mit Unrecht aus Herod. IV 7, 2 gefolgert; denn diese Stelle wird wohl passender auf das J. 213 bezogen. Auch die Nachricht Dios (LXXVII 20, 3), dass Antoninus die Marcomanen und Vandalen gegen einander zum Kriege gereizt und den Quadenkönig Gaiobomarus (oder Gaviomarus, vgl. Müllenhoff Herm. II 318) hingerichtet habe, braucht sich nicht notwendig auf das J. 214 zu beziehen. Vielmehr wird Antoninus bei seinem Marsch nach dem Orient (Car. 5, 4) den nächsten Weg nach dem Osten, also etwa von Aquileia aus nach Sirmium, eingeschlagen haben. Der angebliche Kampf mit Sarmaten, den man aus dem angeblichen [2448] Beinamen Sarmaticus Maximus (Get. 6, 6) folgerte, ist mit diesem Namen selbst zu streichen. Nicht besser steht es mit der Angabe, dass er die Gothen dum ad orientem transit, tumultuariis proeliis besiegt habe (Car. 10, 6; denn Pertinax, auf den sich diese Anekdote bezieht, war schon 212 getötet worden, Car. 4, 8. Herod. IV 6, 3). Wir wissen nur, dass Antoninus von seinem Wege nach dem Orient nach Dacien abzubiegen veranlasst wurde und sich eine Zeit lang in dieser Provinz aufhielt (Car. 5, 4). Bei dieser Gelegenheit wird es geschehen sein, dass A. von den nicht unterworfenen Daciern unter dem Vorwande der Bundesgenossenschaft Geiseln erhielt (Dio LXXVIII 27, 5). ,Ohne sich dann weiter um Dacien zu kümmern‘, setzte er dann seinen Zug nach Thracien fort (Dio LXXVII 16, 6. Herod. IV 8, 1. Car. 5, 8). Hier angelangt, ,war er sofort Alexander‘ (Herod. IV 8, 1). Er erneuerte Alexanders Andenken auf jede Weise, liess ihm überall, auch in Rom, Bildsäulen aufstellen, trug selbst die makedonische Tracht, gebrauchte Waffen und Trinkgefässe, die Alexander gehört haben sollten, und suchte mit schiefgehaltenem Kopfe und gefurchter Stirn Alexander selbst möglichst ähnlich zu werden (Dio LXXVII 7, 1. Herod. IV 8, 1–2. Vict. epit. 21, 4; vgl. Drexler 11–14). Besonders bildete er eine eigene Phalanx aus 16000 Makedoniern, die er nach Alexander benannte und mit den unter diesem üblichen Waffen ausrüstete (Dio LXXVII 7, 1–2. Herod. IV 8, 2; vgl. Schiller I 746, 4). In Philippopolis und anderswo wurden Alexander-Spiele gefeiert (Mionnet I 417, 349–353. Eckhel II 43. 110f. Drexler 24). Vielleicht in Nachahmung Alexanders, vielleicht auch, weil er seines leidenden Zustandes wegen möglichst bald nach Pergamon kommen wollte, setzte Antoninus, obwohl er nach Nicomedia wollte, nicht über den Bosporus, sondern über den Hellespont nach Asien über (Dio LXXVII 16, 6). Bei der Überfahrt litt er Schiffbruch, musste einen Kahn besteigen und wurde von dem Flottencommandanten in dessen Trireme aufgenommen (Car. 5, 8. Dio LXXVII 16, 6. Acta Arv. CIL VI 2103 a).
In Asien begab er sich nach Herod. IV 8, 3 zuerst nach Pergamon und dann nach Ilion, vielleicht seiner Gesundheit wegen; denn die natürliche Reihenfolge nach der Lage der Städte wäre Ilion–Pergamon gewesen (vgl. auch Bockhoff 33, 6). In Pergamon besuchte er namentlich den berühmten Tempel des Asklepios, wo er auch durch Träume die Heilung erfahren zu können glaubte (Herod. IV 8, 3. Dio LXXVII 15, 6; vgl. Drexler 26f.). Die Stadt erhielt von ihm mehrere Vorrechte, die ihr später von Macrinus wieder genommen wurden (Dio LXXVIII 20, 4). In Ilion feierte er das Andenken des Achilleus durch feierliche Leichenspiele (Dio LXXVII 16, 6. Herod. IV 8, 3–5) und liess seinen Freigelassenen Festus wie Patroklos begraben (Herod. IV 8, 4, vgl. auch CIL XIV 3638). Von Ilion zog der Kaiser nach Bithynien, wo er in der Stadt Nicomedia sein Winterquartier aufschlug (Dio LXXVII 18, 1. LXXVIII 8, 4. CIL VI 2103 b). Während dieses Aufenthaltes vergnügte er sich besonders an Wagenrennen und Tierkämpfen, wobei er auch selbst als Kämpfer auftrat (Dio LXXVII 17. 4. [2449] Car. 5, 9. Herod. IV 7, 2. 11, 9). Am Saturnalienfeste gab er den Senatoren ein Festmahl, an dem auch Dio teilnahm (Dio LXXVIII 8, 4; über die Thermen in Nicomedia vgl. CIL III 324 = Dessau 613).
215: Parth. max. Brit. max. Germ. max., p. m. trib. pot. XVIII (10. December 214 – 9. December 215). imp. III. cos. IV. p. p. procos.
Erst hier in Nicomedia ist von einem bevorstehenden armenischen und parthischen Kriege die Rede, zu dem Antoninus Vorbereitungen traf (Dio LXXVII 18, 1. Car. 6, 1). Er übte hier in den Winterquartieren seine makedonische Phalanx dafür ein und liess zwei grosse Kriegsmaschinen anfertigen, die zu Schiff nach Syrien gebracht werden sollten (Dio LXXVII 18, 1). Im Laufe des April 215 brach er von Nicomedia auf, nachdem er dort noch vorher am 4. April seinen Geburtstag mit Gladiatorenspielen gefeiert hatte (Dio LXXVII 19, 3). Von Stadt zu Stadt durch Kleinasien ziehend (vgl. Drexler 30–32), gelangte er nach Antiochia, wo er glänzend empfangen wurde und sich einige Zeit aufhielt (Herod. IV 8, 6. Dio LXXVII 20, 1). Zunächst wurde ihm der Vorwand zu dem geplanten Partherkriege genommen, indem Volagases die verlangte Auslieferung zweier Überläufer bewilligte (Dio LXXVII 19, 1. 21, 1. 12, 3; vgl. v. Gutschmid Gesch. Irans 152. 154. Mommsen R. G. V 418). Dagegen scheint damals der armenische Feldzug stattgefunden zu haben, bei dem sein Günstling Theocritus eine Niederlage erlitt (Dio LXXVII 21, 1. 18, 1. Car. 6, 1). Von Antiochia begab sich Antoninus nach Alexandria in Ägypten (Herod. IV 8, 6. Car. 6, 2. Dio LXXVII 22, 1), wo er ein furchtbares Blutbad unter den Einwohnern anrichtete, weil diese ihn vielfach verspottet oder vielleicht auch sich gegen ihn empört hatten (Dio LXXVII 22, 1 – 23, 4. Herod. IV 8, 6 – 9, 8. Car. 6, 2–3. Eckhel VII 215; bemerkenswert ist auch die Seltenheit der alexandrinischen Münzen des Antoninus). Dann kehrte der Kaiser nach Antiochia zurück (Herod. IV 9, 8), wo er den Winter 215–216 zugebracht haben wird.
216: Parth. max. Brit. max. Germ. max., p. m. trib. pot. XIX (10. December 215 – 9. December 216). imp. III. cos. IV. p. p. procos.
Bevor Antoninus den für dieses Jahr geplanten Partherkrieg begann, nahm er in der gewohnten treulosen Weise von Edessa Besitz, indem er den König von Osrhoene, Abgar (X.) freundschaftlich zu sich einlud, dann aber gefangen nahm (Dio LXXVII 12, 1; vgl. CIG 6196 = IGI 1315; v. Gutschmid Mém. de l’acad. de St. Pétersbourg XXXV 1, 1887, 40f.). Ebenso treulos verfuhr er um dieselbe Zeit, etwa im Mai 216 (vgl. Dio LXXVIII 12, 4: ἔνδεκα μησίν) gegen den König von Armenien, den er nebst Gemahlin und Kindern zu sich berief, um sie angeblich zu versöhnen, dann aber gefangen behielt (Dio LXXVII 12, 1–2. LXXVIII 27, 4). Den Vorwand zu dem Partherkriege bot ihm diesmal der Umstand, dass seine Bewerbung um die Hand der Tochter des Artabanos, der um diese Zeit über seinen Bruder Volagases die Oberhand gewonnen zu haben scheint (vgl. v. Gutschmid Gesch. Irans 154), zurückgewiesen [2450] worden war (Dio LXXVIII 1, 1; abweichend Herod. IV 10, 1 – 11, 1; vgl. Mommsen R. G. V 418). Antoninus rückte nun etwa im Sommer 216 von Antiochia über Edessa, Antoninopolis (das von ihm wahrscheinlich den Namen erhielt, vgl. o. Bd. I S. 2571) und Dara nach Medien zu vor, nahm Arbela in Besitz, wo er die Königsgräber der Parther (oder der adiabenischen Könige, vgl. v. Gutschmid Gesch. Irans 155f.) schändete, kam aber nicht zum Schlagen, da die Feinde sich vor ihm flüchteten (Dio LXXVIII 1, 1–5; unglaubwürdig Herod. IV 11, 1–9; unsicher Car. 6, 4: Per Cadusios et Babylonios ingressus tumultuarie cum Parthorum satrapis manum contulit; vgl. besonders Drexler 51–55. Mommsen R. G. V 418f. v. Gutschmid Gesch. Irans 154–156). Nach diesem leichten Erfolge (Vict. Parth. auf Münzen, Eckhel VII 218. Cohen 354–357) bezog Antoninus die Winterquartiere zu Edessa (Car. 6, 6; vgl. Dio LXXVIII 5,4).
217: Parth. max. Brit. max. Germ. max., p. m. trib. pot. XX (10. December 216 – 8. April 217). imp. III. cos. IV. p. p. procos.
Antoninus musste sich in diesem Jahre auf einen ernsteren Zusammenstoss mit den Parthern und Medern gefasst machen, die über seinen Raubzug heftig zürnten, und traf in der That die nötigen Rüstungen (Dio LXXVIII 3, 1. 4, 1; vgl. Car. 6, 6). Aber als er Anfang April von Edessa nach Carrhae zog, um hier in einem Tempel zu opfern, wurde er unterwegs, am 8. April 217 (nach Dio LXXVIII 5, 4; am 6. April nach Car. 6, 6) durch den Verrat seines Gardepraefecten Opellius Macrinus von einem gewissen Iulius Martialis getötet (Dio LXXVIII 4–5. Herod. IV 13. Car. 6, 6 – 7, 2. Eutrop. VIII 20. Vict. epit. 21, 6. Mommsen Chron. min. I 147). Er hatte 31 Jahre und 4 Tage gelebt und 6 Jahre, 4 Monate, 4 Tage regiert (ungenau: Dio LXXVIII 6, 5. Chron. min. I 147; vgl. auch Vict. epit. 21, 7). Sein Körper wurde verbrannt (vgl. Herod. IV 13, 8) und die Asche in dem Grabmal Hadrians und der Antonine zu Rom beigesetzt (Dio LXXVIII 9, 1. Car. 9, 1. 12; Macr. 5, 2–3. Eutrop. VIII 20. Vict. Caes. 21, 6; epit. 21, 7). Später (aber noch unter Macrinus) wurde er auch consecriert (Dio LXXVIII 9, 2. LXXIX 2, 6. Car. 11, 5–6; Macrin. 5, 9. 6, 8; vgl. die Inschriften und Münzen; doch sind die Consecrationsmünzen mit divo Antonino Magno vielleicht erst unter Elagabal geprägt, vgl. Eckhel VII 219). Doch nannte man den Toten aus Hass nicht mehr Antoninus, sondern teils mit seinem alten Namen Bassianus, teils mit dem Spitznamen Caracallus, teils endlich Tarautas (Dio LXXVIII 9, 3, vgl. o. II a 3–4). Officiell heisst er dagegen unter Elagabal und Alexander, die beide für seinen Sohn gelten wollten, divus Magnus Antoninus (vgl. o. II a 5).
V. Verwaltungsmassregeln (Übersicht).
a) Provinzen. Man glaubt, dass Antoninus die von seinem Vater im J. 197 vollzogene Teilung der Provinz Britannien um das J. 211 wieder rückgängig gemacht habe (vgl. Wirth Quaest. Sev. 13). Doch folgt dies nicht aus dem Rescript ad Virium Lupum Britanniae praesidem (Digest. XXVIII 6, 2, 4), zumal dieser schon im J. 197 Statthalter in Britannien war (CIL VII 210). [2451] Vielmehr scheint die nur von Herodian (III 8, 2) bezeugte Teilung sich nur auf untergeordnete Bezirke bezogen zu haben (wie in Dacien, Spanien und Africa), der Statthalter dagegen stets für beide Bezirke gemeinsam geblieben zu sein. Unsicher ist es auch, ob die Abtrennung der bisherigen Dioecese Asturia et Callaecia unter dem Namen pr(ovincia) H(ispania) n(ova) c(iterior) Antoniniana Bestand gehabt hat (CIL II 2661 = Dessau 1157; vgl. Marquardt St.-V. I2 255).
Die wichtigste Massregel in Bezug auf die Provinzen und vielleicht die wichtigste Regierungsmassregel überhaupt war die Verleihung des römischen Bürgerrechts an alle Provinzen (vgl. oben zum J. 212; Hirschfeld Verwaltungsgesch. I 19. 295). Wahrscheinlich stand damit auch die Ausdehnung des ius gladii auf sämtliche Statthalter in Zusammenhang (vgl. Mommsen St.-R. II³ 270f.); ebenso auch die Abschaffung des Peregrinenpraetors (vgl. Mommsen St.-R. II³ 226, 4). Als erster Ägypter trat im J. 212 ein gewisser Koiranos in den Senat ein (Dio LXXVI 5, 5. LI 17, 3; vgl. CIL XIV 3586 = Dessau 1158). Ob der ausserordentliche Commissar ad corrigendum statum Italiae (CIL X 5398 = Dessau 1159) von Antoninus (so Mommsen Eph. ep. I p. 140; St.-R. II³ 1086, 4) oder von Macrinus (so Hirschfeld Verwaltungsgesch. I 119, 3) eingesetzt wurde, ist zweifelhaft.
b) Rechtswesen: Unter Antoninus wurde die lebhafte Thätigkeit auf dem Gebiete der Rechtspflege, die unter Severus begonnen hatte, in gleicher Weise fortgesetzt, vgl. die Zusammenstellung bei Hänel Corpus legum 152–156; vgl. auch Schiller Gesch. d. röm. Kaiserzeit I 754, 3–7. Der Kaiser selbst sass nur ungern zu Gericht, obwohl es ihm nicht an Verstand fehlte (Philostr. vit. sophist. II 30. 32. Dio LXXVII 17, 1. 4. Herod. IV 7, 2). Er führte eine strenge Sittenpolizei (Dio LXXVII 16, 2–5. Herod. IV 6, 4. Car. 5, 7), bediente sich auch einer Geheimpolizei (Dio LXXVIII 2, 2–3) und hörte auf Delatoren (Dio LXXVII 12, 4. LXXVIII 18, 2).
c) Kriegswesen: Antoninus sah, wie sein Vater, in den Soldaten seine einzige Stütze und suchte daher auf jede Weise ihre Gunst und Zuneigung zu gewinnen. Er erhöhte ihren Sold (vgl. Dio LXXVIII 36, 3), gab ihnen ungeheuere Geschenke (vgl. z. B. Dio LXXVII 9–11. Car. 2, 5) und spielte sich vor allem als ihr Kamerad auf, indem er sich nicht nur συστρατιώτης nennen liess (Herod. IV 7, 6), sondern auch die Strapazen des Marsches wie der gemeine Soldat freiwillig auf sich nahm (Dio LXXVII 13, 1–2. Herod. IV 7, 4–7; doch vgl. Car. 9, 3). Seine Leibwache nannte er Löwen (Dio LXXVIII 6, 1). Die einzelnen Truppenteile nannten sich fortan, wie zum Teil schon unter Commodus, regelmässig nach des Kaisers Namen, unter ihm also Antoninianae (vgl. z. B. CIL III Suppl. 11 482. 11 934), wodurch die Ausschliesslichkeit des kaiserlichen Truppenbefehls ausgedrückt werden sollte (vgl. Mommsen St.-R. II³ 848).
d) Finanzwesen: Die Freilassungs- und die Erbschaftssteuer wurden unter Antoninus auf das doppelte (von 5 auf 10 Procent) erhöht (Dio LXXVII 9, 4), jedoch schon von Macrinus wieder auf den [2452] alten Satz reduciert (Dio LXXVIII 12, 2; vgl. Hirschfeld Verwaltungsgesch. I 62. 68. 71). Die Münzen wurden sehr verschlechtert (vgl. Dio LXXVII 14, 4) und als neue Münzen die nach ihm so genannten Antoniniani geprägt (vgl. o. Bd. I S. 2568ff.). Den Unterthanen gegenüber zuweilen sparsam (vgl. Philostr. vit. soph. II 30. Dio LXXVII 9, 1), war er im allgemeinen überaus freigebig (vgl. Liberalitas VI–VIIII auf den Münzen, Eckhel VII 208–211; Gesamtsumme seiner Spenden: 400 Denare pro Kopf, Mommsen Chron. min. I 147, vgl. Marquardt St.-V. II² 138), besonders gegen seine Günstlinge und Soldaten (vgl. Dio LXXVII 3, 1–2. 9, 1. 10, 1 – 11, 1. 24, 1. Herod. IV 4, 7–8), aber auch gegen die Barbaren (vgl. Dio LXXVII 14, 3. LXXVIII 17, 3), und verfuhr im übrigen nach dem ausgesprochenen Grundsatze: ,Kein Mensch ausser mir darf Geld haben, damit ich es den Soldaten schenke‘ (Dio LXXVII 10, 4). Vergeblich ermahnte ihn seine kluge Mutter Iulia Domna zur Sparsamkeit (Dio LXXVII 10, 4). Aber trotz seiner Verschwendungssucht (vgl. auch Dio LXXVII 9, 1: φιλαναλωτής) sorgte ihre treffliche Verwaltung dafür, dass der Schatz nicht leer wurde: nach seinem Tode fanden sich noch grosse Summen vor (Dio LXXIX 12, 2).
e) Bauten: Als einzig erwähnenswertes Werk des Antoninus bezeichnet Eutrop (VIII 20) die grossartigen Thermae Antoninianae in Rom (vgl. auch Sev. 21, 11; Car. 9, 4–5; Elag. 17, 8–9; Alex. 25, 6. Vict. Caes. 21, 4. Mommsen Chron. min. I 147; das Genauere s. o. Bd. I S. 2567f.), zu denen eine prächtige neue Strasse geführt wurde (via nova, Car. 9, 9. Vict. Caes. 21, 4). Sonst wird in Rom noch der Bau der Porticus Severi erwähnt (Car. 9, 6; Sev. 21, 12). Das Lager der Vigiles in Ostia liess er schon zu Lebzeiten seines Vaters wiederherstellen (Not. degli scavi 1889, 41) und in Nicomedia liess er vielleicht Thermen bauen (vgl. CIL III 324 = Dessau 613). Über die zahlreichen Strassenbauten unter ihm vgl. die Zusammenstellung bei Schiller Gesch. d. röm. Kaiserzeit I 749, 4. Über die Stadt Antoninopolis o. Bd. I S. 2571.
VI. Charakter.
a) Äusseres: Antoninus war klein und hässlich von Gestalt (Dio LXXVIII 9, 3). Sein Bart soll ihm in Antiochia im J. 215 ausgegangen sein (Dio LXXVII 20, 1). Um seinem Ideal Alexander d. Gr. auch äusserlich zu ähneln, zog er die Stirn in Falten (vgl. Car. 2, 1: vultu truculentior) und neigte den Kopf etwas zur linken Seite, wie es Alexander gethan haben sollte (Vict. epit. 21, 4). Frühzeitige Ausschweifungen (vgl. Dio LXXVI 7, 1) schwächten seine Manneskraft (Dio LXXVII 16, 1), und er wurde krank τὰ μὲν ἐμφανέσι τὰ δὲ καὶ ἀρρήτοις ἀρρωστήμασιν (Dio LXXVII 15, 3. 5), so dass er bei den verschiedenen Heilgöttern vergeblich Heilung suchte (Dio LXXVII 15, 6–7; vgl. Car. 5, 3 und oben zum J. 213 und 214). Andererseits war er von Kind auf an körperliche Übungen gewöhnt, so dass er 750 Stadien hinter einander reiten und im Wellengange schwimmen konnte (Dio LXXVII 11, 2–3). Auf den Feldzügen ertrug er alle Strapazen freiwillig (Dio LXXVII 13, 1. Herod. IV 7, 4–7); doch scheint ihm die zähe Ausdauer gefehlt zu [2453] haben (vgl. Dio LXXVIII 3, 1–4). Seine Tapferkeit wird gerühmt (Alex. 9, 1. Dio LXXVII 13, 2). Seine Lieblingsbeschäftigung bestand wie bei Commodus im Wagenrennen, Fechten und Tiere töten (Dio LXXVII 10, 1–2. 17, 4. Herod. IV 7, 2. 11, 9. Car. 5, 9 u. s. f.). Durch diese systematisch betriebene körperliche Übung erzielte er seine Heilung wenigstes bis zu einem gewissen Grade (Dio LXXVII 11, 3, vgl. Herod. IV 7, 2).
b) Geistige Begabung: Antoninus wird meist als halb verrückt dargestellt, ja Dio (LXXVII 15, 2–3) behauptet sogar, dass die Alamannen ihn behext hätten. Aber derselbe Dio sagt an einer anderen Stelle (LXXVII 11, 4) ausdrücklich, dass er einen ausserordentlich scharfen Verstand gehabt habe (οὐ μέντοι καὶ κακορρήμων ἢ κακογνώμων ἦν, ἀλλὰ καὶ συνίει τὰ πολλὰ ὀξύτατα καὶ ἔφραζεν ἑτοιμότατα). Auch verstand er es, schnell und treffend zu antworten (Philostr. vit. soph. II 30. Dio LXXVII 10, 4. 11, 4. Herod. IV 7, 2), und er gebrauchte keinen Ratgeber (Dio LXXVII 11, 5). Selbst ungebildet war er nicht (Dio LXXVII 11, 2), wie er denn den Euripides aus dem Stegreif citiert (Dio LXXVΙΙΙ 8, 4), nur dass er die Bildung und die Gebildeten grundsätzlich verachtete (Dio LXXVII 11, 1–3). Trotzdem widmete ihm Oppian sein griechisch geschriebenes Lehrgedicht über die Jägerei (cyneget. I 2) und vielleicht auch Sammonicus Serenus ein gelehrtes Werk (Get. 5, 6).
c) Allgemeines: Religiöse und philosophische Interessen wie seine feingebildete Mutter hatte Antoninus nicht, wenn er auch den Isiskultus begünstigte (Car. 9, 10–11). Auch an den Regierungsgeschäften fand er so wenig Gefallen, dass er sie gerne seiner ehrgeizigen Mutter überliess (Dio LXXVII 18, 2. LXXVIII 4, 2–3. 23, 1; vgl. besonders über das Verhältnis zu seiner Mutter J. Réville Die Religion unter den Severern, übersetzt von Krüger, Lpz. 1888, 192–197). Vielmehr ging er fast ganz im Soldatenleben auf. Die Helden und Feldherren der Vorzeit verehrte er am meisten, besonders den Herakles, auch hierin dem Commodus ähnlich (Car. 5, 9; er führte selbst zahme Löwen mit sich, Dio LXXVIII 7, 2–3), ferner den Achilleus (Dio LXXVII 16, 6. Herod. IV 9, 3), den Sulla und Hannibal (Dio LXXVII 13, 7. Herod. IV 8, 5. Car. 2, 2. 4, 10. 5, 4). Namentlich aber war Alexander d. Gr. sein Ideal, so dass ihn Dio mit Recht φιλαλεξανδρότατος nennt (Dio LXXVII 9, 1, vgl. 7ff. Herod. IV 8. Car. 2, 1. 2. Drexler 12f.). Im allgemeinen sagt Eutrop (VIII 20) von ihm: Morum fere paternorum fuit, paulo asperior et minax, während Mommsen (R. G. V 418) über ihn urteilt: ,Kein Krieger und Staatsmann wie sein Vater, aber von beidem eine wüste Caricatur‘. – Die Litteratur s. o. I e.