Zum Inhalt springen

RE:Gaius 2

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Juristischer Schriftsteller 2. Jh. n. Chr. I Lebenszeit II Heimat. Wohnsitz.
Band VII,1 (1910) S. 489508
Gaius (Jurist) in der Wikipedia
GND: 118689215
Gaius in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register VII,1 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|VII,1|489|508|Gaius 2|[[REAutor]]|RE:Gaius 2}}        

2) Juristischer Schriftsteller des 2. Jhdts. n. Chr.

I. Lebenszeit. Seine Geburt fällt spätestens unter die Regierungszeit des Hadrian, aus der er ein Ereignis aus eigener Kenntnis berichtet Dig. XXXIV 5, 7 pr. nostra quidem aetate Serapias Alexandrina mulier ad divum Hadrianum perducta est cum quinque liberis, quos uno fetu enixa est. Vgl. über dasselbe Ereignis Iul. Dig. XLVI 3, 36. Paul. Dig. V 4, 3. Tert. de anima 6 p. 307 ed. Reifferscheid. Augustin. de fato = quaest. 115 (Migne XXXV 2356). Sein berühmtestes Werk, die Institutionen, sind teils vor, teils nach dem Tode des Antoninus Pius (6. März 161) verfaßt; denn Inst. 153. 74. 102. II 120. 126. 151a wird dieser Kaiser als imperator Antoninus, dagegen II 195 als divus Pius Antoninus bezeichnet. Daß an all jenen Stellen Antoninus und nicht etwa Marc Aurel gemeint ist, wird durch die Gegenüberstellung von Gai. II 151 a und Dig. XXVIII 4, 3 (secundum divi patris mei constitutionem) erwiesen. Vgl. Mommsen Ges. Schr. II 164, 37 mit dem Zusatz des Herausgebers. Die späteste Schrift des G. ist der Kommentar zum Senatusconsultum Orfitianum, das im J. 178 gefaßt wurde; sie ist vielleicht erst unter Commodus verfaßt.

II. Heimat. Wohnsitz. Namen. Lebensstellung. So gut wir über die Lebenszeit des G. unterrichtet sind, so übel steht es mit der Überlieferung über seine sonstigen Lebensverhältnisse. Von seinem Namen kennen wir nur das [490] Praenomen G. Gentilnamen und Cognomen werden nirgends angeführt. Ganz unerhört ist der Gebrauch, einen Schriftsteller nur beim Praenomen zu zitieren, in der juristischen und sonstigen Literatur nicht. G. selbst zitiert II 218 einen Sextus, entweder den Pomponius oder wahrscheinlicher den Caecilius Africanus (Mommsen Ges. Schr. II 25), auch Ulpian führt mehrfach einen Sextus an (Dig. XXIX 5, 1, 27. XXX 32 pr.). Iavolen und Iulian zitieren einen G. (Dig. XLVI 3, 78. XXIV 3, 59), vermutlich den C. Cassius Longinus. Über Dig. XLV 3, 39 s. u. Es ist daher kein Grund vorhanden, G. mit Padeletti (Archivio Giuridico XIII 1874, 324) für ein Gentilnomen oder mit Cattaneo (Rendiconti del R. Istituto Lombardo ser. II vol. 14 fasc. X. XI. 1881) für ein Cognomen zu halten. (Vgl. Voigt Röm. Rechtsgesch. II 254, 97).

Aber es steht doch ganz einzig da, daß von einem Schriftsteller, dessen Hauptwerk sich noch dazu im Original sowohl wie im Auszuge erhalten hat, sich in der gesamten Überlieferung keine Spur des Gentilnamens findet. Mag dies auch zum Teil daher kommen, daß G. weder von seinen Zeitgenossen noch von seinen nächsten Nachfolgern jemals erwähnt wird, so schien die auffällige Tatsache doch noch anderer Gründe zu ihrer Erklärung zu bedürfen. Th. Mommsen sprach daher in einem berühmten Aufsatze (Jahrb. d. gemeinen Rechts herausgegeben von Bekker und Muther Bd. III 1859, 1–15 = Ges. Schr. II 26–38) die Vermutung aus, daß G. aus dem griechischen Osten des Reiches stamme und dort gelebt und gelehrt habe, indem er darauf hinwies, daß gerade bei den Griechen der Brauch weit verbreitet war, die Römer mit den Vornamen zu bezeichnen, außerdem aber seine Vermutung auch noch durch eine Reihe weiterer Argumente stützte. G. allein von allen Juristen, deren Schriften wir kennen, hat einen Kommentar zum Edictum provinciale verfaßt. Darunter ist nach Mommsen das Edikt des Statthalters einer ganz bestimmten Provinz zu verstehen, und zwar einer solchen, die unter einem Proconsul stand, weil G. in diesem Werke den edizierenden Magistrat niemals als praeses oder legatus Caesaris, sondern stets nur als proconsul bezeichnet (über die beiden Ausnahmen Dig. XXVI 5, 5. XXVII 10, 5 s. Pernice Festgabe f. Beseler, 1885, 75,4). Auch in den Institutionen wird auf provinzielle Verhältnisse in hervorragender Weise Bezug genommen (I 6. 20. 98–102. 134. 183. 197. II 7. 21. 24. 27. 31. 46. 63. 278. III 121. 122). G. berücksichtigt mehr die ältere als die jüngere oder zeitgenössische Literatur; er ist der einzige nachaugusteische Jurist, der einen Kommentar zu den XII Tafeln geschrieben hat. Mit der griechischen Sprache ist er wohl vertraut; er zitiert den Homer (Inst. III 141. Dig. L 16, 236) und die Anabasis des Xenophon (Dig. L 16, 233, 2); er erklärt lateinische Ausdrucke durch griechische Wörter (novalis terra = νέασις Dig. L 16, 30, 2; vis maior = θεοῦ βία Dig. XIX 2, 25, 6; ἀκροδρυα Dig. L 16, 236, 1; τόξευμα. Dig. L 16, 233, 2). Auch an Graecismen fehlt es in seiner so eleganten Diktion nicht (s. u.). Mit dem Rechte der Peregrinen, speziell derer der östlichen Hälfte des Reiches, zeigt er sich wohl vertraut. Sätze [491] der XII Tafeln erklärt er mit Solonischen Gesetzen, die er mehreremale im Wortlaute anführt (Dig. X 1, 13. XLVII 22, 4). In den Institutionen finden wir nicht nur abweichendes Recht der Peregrinen im allgemeinen erwähnt (III 96. 134; an letzterer Stelle ist übrigens auch wieder griechisches gemeint), sondern im besonderen das der Galater (I 55) und Bithyner (I 193). Da nun die Provinz, deren Edikt G. kommentiert hat, eine proconsularische war, so liegt es am nächsten, an Asien zu denken, und wenn er im Kommentar zur Lex Iulia et Papia schreibt: iuris Italici sunt Τρωάς, Βήρυτος, Δυρράχιον (Dig. L 15, 7), so zog Mommsen daraus den weiteren Schluß, daß G. hier seine Heimatstadt vorangestellt habe, wie Ulpian in dem gleichartigen Verzeichnis seine Geburtsstadt Tyros (Dig. L 15, 1 pr.). Wenn G. aus der römischen Colonie Troas stammte und dort lebte und schrieb, so würde sich auch am leichtesten die Tatsache erklären, daß während seine Schriften im Westen des Reiches zunächst wenig beachtet wurden, die Institutionen und der Kommentar zum Provinzialedikt an der Rechtsschule zu Constantinopel die stehenden Lehrbücher waren (Const. Omnem Reipublicae § 1), und daß er schon im Zitiergesetz Valentinians III. vom J. 426 zu den privilegierten Juristen gezählt wird.

Es ist kein Wunder, daß diese bestechenden Ausführungen zunächst fast ungeteilten Beifall fanden und daß sich der Widerspruch anfangs nur vereinzelt hervorwagte; später ist er allgemeiner geworden (s. meine Note zu Mommsens Ges. Schr. II 26). Zuerst und am energischsten widersprach Huschke (Ztschr. f. Rechtsgesch. VII 1868, 162 und Iurisprud. Anteiustiniana² p. 84, ⁶ p. 116). Das von G. kommentierte Provinzialedikt ist nach ihm nicht das Edikt einer bestimmten Provinz, sondern vielmehr ein Edikt, welches nach Ausscheidung der für die einzelnen Provinzen erlassenen Sonderbestimmungen die den 4 Edikten aller Provinzen gemeinsamen Rechtssätze in sich vereinigt (dagegen wieder Mommsen Ztschr. f. Rechtsgesch. IX 1870, 95 N. 40 = Ges. Schr. II 19 und St.-R. II³ 1, 221 N. 2. 3; weitere Literatur zu der Frage bei v. Velsen Ztschr. d. Savignystiftung Rom. Abt. XXI 1900, 74f.). Dieses Edikt hätte aber auch in Rom studiert und kommentiert werden können, da sich ja dort die jungen Staatsmänner für ihre administrative Tätigkeit in den Provinzen vorbereiteten (Lenel Das Edictum perpetuum, 2. Aufl. 1907, 5). Huschke weist ferner auf Gaianische Beispiele hin, die nicht wohl in der Provinz Asien geschrieben sein können, wie: si navis ex Asia venerit Dig. XXVIII 5, 33. XLVI 1, 72; si inter eos qui Romae sunt talis fiat stipulatio: ,Hodie Carthagine dare spondes?‘ Dig. XLV 1, 141, 4; fundus Tusculanus, vinum Campanum, triticum Africum, Tyria purpura Dig. XLV 1, 74. XXXV 1, 17 pr. Inst. IV 53 d; er macht darauf aufmerksam, daß Dig. XXXVI 3, 11 (13. Buch des Kommentars zum Provinzialedikt) das Interdikt vom Praetor, nicht vom Statthalter erbeten wird, daß G. Dig. L 16, 233, 1 auseinandersetzt, an welchem Tage in Rom die Vota für das Heil des Kaisers geleistet werden, daß er im Kommentar zum Provinzialedikt von römischen Verhältnissen ausgeht, Dig. III 4, 1 pr. XXVII [492] 10, 5 (vel a praetore vel in provinciis a praeside, nicht vel Romae a praetore, wie Krüger bemerkt). Diese Argumente Huschkes sind nicht ohne Wirkung geblieben, und heute neigt sich die allgemeine Meinung mehr der Ansicht zu, daß G. in Rom gelebt habe. Vgl. besonders Dernburg Die Institutionen des Gaius 80f. Wlassak Röm. Prozeßgesetze II 224, 10. Kipp Quellenkunde² 113, Seckel und Kübler in ihrer Ausgabe p. III. Lenel in Holtzendorff-Kohlers Rechtsencyclopädie I 137. Nur darin kommt man höchstens Mommsen entgegen, daß man Asien als Heimat des G. anerkennt (so Karlowa Röm. Rechtsgesch. I 722) oder doch nicht gerade für unmöglich hält (Huschke). An den ,Provinzialjuristen‘ im ganzen Umfange hat außer Girard Manuel⁴ 63, Textes³ 201 nur Voigt trotz seiner sonstigen Antipathie gegen alle Mommsenschen Lehren festgehalten (Röm. Rechtsgesch. II 254).

Eine Staatsstellung scheint G. nicht innegehabt zu haben. Er hat keine Responsa verfaßt, wird in der praktischen Literatur nicht zitiert und ist erst durch das Citiergesetz (s. d.) vom J. 426 in die Zahl der Juristen aufgenommen worden, deren Schriften bei der Rechtsprechung zu berücksichtigen waren. Aus alledem ist mit Recht gefolgert worden, daß er das ius respondendi nicht besessen hat (Puchta Instit. I10 § 99 S. 262. Mommsen Ges. Schr. II 28; anderer Meinung Huschke).

III. Schriften. G. hat in einer Reihe von Schriften das gesamte Privatrecht behandelt. 521 Stellen daraus sind in die Pandekten aufgenommen. Sie sind zusammengestellt in Lenels Palingenesie I 181f. Die Institutionen sind uns im Original und im westgotischen Auszuge erhalten; außerdem haben sie den Iustinianischen Institutionen als Grundlage gedient. Das Ius civile behandelte Gr. in den libri ex Q. Mucio, die aber in den Digesten nicht benutzt und uns nur durch ein Zitat des G. selbst (Inst. I 188) bekannt sind, und in dem Kommentar zu den XII Tafeln in sechs Büchern. Das Ius honorarium hat G. bearbeitet in den libri ad edictum praetoris urbani oder urbicum, von welchen die Kompilatoren noch zehn Bücher benutzen konnten (Ind. Flor. ad edictum urbicum τὰ μόνα εὑρεθένταβιβλία δέκα), und in den 30 Büchern ad edictum provinciale. In jenen war in Buch I und II vom Testamente, in Buch III–V von den Legaten und in Buch VII und VIII von der liberalis causa gehandelt, während im Kommentar zum Provinzialedikt diese drei Materien in je einem Buche abgemacht waren. Man hat daraus den Schluß gezogen, daß der Kommentar zum städtischen Edikt ausführlicher war, als der zum Provinzialedikt (Mommsen Jahrb. d. gemeinen Rechts III 4 = Ges. Schr. II 29). Einen Anhang zum Ediktskommentar bildeten die beiden Bücher ad edictum aedilium curulium, die im Florentiner Index Digestorum den 30 Büchern ad edictum provinciale hinzugezählt werden, bei den einzelnen Fragmenten aber unter dem Sondertitel libro primo, secundo ad edictum aedilium curulium zitiert werden. G. schrieb ferner Kommentare zur Lex Iulia et Papia in 15 Büchern, zur Lex Glitia in einem Buche und zum Senatusconsultum Tertullianum and Orfitianum in je einem Buche. Von [493] der letztgenannten Schrift ist in die Digesten nur ein Fragment aufgenommen (XXXVIII 17, 9), welches die Inskription trägt: Idem liber sing. ad senatus consultum Orfitianum. Das vorhergehende Fragment ist von G. libro singulari ad senatusconsultum Tertullianum. Da aber im Florentiner Index Kommentare zu diesen beiden Senatsbeschlüssen nur von Paulus angeführt werden, so hat Böcking (ad Ulp. 26, 8 und praef. ad ed. 4 Gai. p. VIII) scharfsinnig vermutet, daß die Inskription des frg. 8 cit. irrig sei, und daß dieses Fragment, sowie auch das folgende, vielmehr dem Paulus angehören, von dem das vorhergehende frg. 7 cit. herrührt. Dann würden die Kommentare zu den beiden Senatsbeschlüssen aus der Liste der Gaianischen Schriften zu streichen, sein. Allein im frg. 9 cit. wird Marc Aurel (oder Commodus) als sacratissimus princeps noster bezeichnet, und so kann sich der erheblich spätere Paulus nicht ausgedrückt haben. Außerdem wird die Autorschaft des G. durch die Basiliken bestätigt (Mommsen Jahrb. d. gem. Rechts III 15 = Ges. Schr. II 38 n. 34). Fernere Schriften des G. sind zwei Bücher de fideicommissis, ein liber singularis de tacitis fideicommissis, drei Bücher de manumissionibus, drei Bücher de verborum obligationibus, je ein Buch dotalicion (kein Fragment daraus in die Digesten aufgenommen), de formula hypothecaria und de casibus. Die zuletzt genannte Schrift war kein Responsenwerk, sondern enthielt eine Zusammenstellung von Rechtsregeln, die von den allgemeinen Rechtsfällen abweichen (Rudorff Röm. Rechtsgesch. I 176), bildete also eine Art Anhang zu den tres libri (im Digestenindex nicht erwähnt) oder dem unus liber regularum, die wohl gleich den Institutionen und den sieben Büchern rerum cotidianarum sive aureorum Einführungsschriften waren. Möglicherweise waren die sieben Bücher rerum cotidianarum auch für die Praxis mitbestimmt. Die Kompilatoren haben von ihnen nur die drei ersten Bücher benutzt; die Bruchstücke stimmen bisweilen fast wörtlich mit den Institutionen überein. Im Digestenindex wird das Werk als aurea bezeichnet, in der Constitutio Imperatoria (Praef. Inst.) § 6 als res cotidianae; in den Inskriptionen der einzelnen Fragmente stehen häufig beide Bezeichnungen nebeneinander (vgl. Mommsen zu Dig. I 479, 2). Nach der gewöhnlichen Annahme ist der Titel .aurea' erst später hinzu-1 gefügt worden (Göschen Ztschr. f. geschichtl. Rechtswissensch. I 68. Dirksen Hinterlassene Schriften II 397). Endlich erwähnt G. noch eine besondere Schrift (proprii commentarii) über Bonorum possessio (Inst. III 33) und eine über das patronatische Erbrecht (Inst. III 54). Die erstere hält Krüger Quellenkunde 184 für einen Teil des Ediktskommentars (ähnlich Rudorff Rechtsgesch. I 273), die letztere für das achte Buch ad legem Iuliam et Papiam. Nach Lenel war jedoch im 10. Buche ad legem Iuliam et Papiam vom Nachlaß der Freigelassenen gehandelt. Dagegen hält Dernburg (Gai. p. 78, 7) die beiden von G. angeführten Schriften für Bücher, die von den in der Digestenkompilation erwähnten verschieden sind.

Was die Abfassungszeit der genannten Bücher betrifft, so sind die Institutionen, wie bereits oben [494] bemerkt, mm 161 geschrieben. Vorher verfaßt sind die libri ex Qu. Mucio und der Ediktskommentar, die Inst. I 188 zitiert werden. Beim Ediktskommentar ist es zweifelhaft, ob der zum städtischen oder der zum Provinzialedikt gemeint ist oder alle beide. Die Erwähnung des imperator Antoninus (Dig. II 1, 11 pr.) und des princeps Antoninus (Dig. XXIV 1, 42) im Kommentar zum Provinzialedikt lassen eine sichere Entscheidung über die Abfassungszeit dieser Schrift nicht zu, da sie sich ebensogut auf Pius wie auf Marcus beziehen können. Vom Kommentar zur Lex Iulia et Papia ist das 14. Buch wohl erst unter Marc Aurel geschrieben, da in ihm (Dig. XXXI 56) eine constitutio divi Antonini erwähnt wird, ebenso die beiden Bücher de fideicommissis wegen Dig. XXXII 96 XXXV 1, 90. Ganz sicher ist dies nicht, weil divus an den genannten Stellen ebensogut interpoliert sein kann, wie Dig. I 6, 1, 2 ex constitutione divi Antonini, wo der überlieferte Institutionentext I 53 die Lesart sacratissimi imperatoris Antonini gibt. Wenn Dig. XLI 1, 7, 7 die media sententia der Spezifikationslehre nicht interpoliert ist (Lenel Palingen. Gaius nr. 491. Pernice Labeo II² 1, 322. Girard Manuel⁴ p. 317), so würden die res cotidianae später sein, als die Institutionen, in welchen die media sententia nicht erwähnt wird. Nicht vor 178 kann der liber singularis ad senatusconsultum Orfitianum verfaßt sein.

IV. Die Institutionen. Durch ein gütiges Geschick sind uns die Institutionen des G. im Codex rescriptus Veronensis 13 erhalten. Ein nicht reskribiertes Blatt derselben Hs. (enthaltend Gai. IV 134–144) hatte bereits Scipio Maffei um das J. 1713 gefunden und wiederholt darüber berichtet, nämlich 1721 in der Vorrede zu Cassiodorii complexiones in epist. et acta apost. usw., sodann 1732 in Verona illustrata P. 3 p. 451–466, endlich 1742 in opusc. ecclesiast. (Anhang zu Istoria teologica delle dottrine – e delle opinioni corse nel cinque primi secoli della Chiesa – in proposito della divina grazia usw.) p. 56-94. Allein seine Bemerkungen blieben unbeachtet, vielleicht weil er den Inhalt des Blattes für einen Kommentar zu Iustinians Institutionen oder einen Auszug daraus hielt, bis im J. 1816 Haubold in einem Leipziger Programm die Aufmerksamkeit darauf lenkte (Notitia Fragmenti Veronensis de Interdictis = Opuscula academica vol. II, Lips. 1829 p. 327f.). Aber in demselben Jahre hatte bereits Niebuhr dasselbe Blatt sowie den ganzen Codex, zu dem es gehörte, in Verona entdeckt und erkannt, daß hier die Institutionen des G. erhalten seien. Er berichtete über seine Entdeckung an Savigny, der sie in der Ztschr. f. geschichtl. Rechtswissensch. III 129-172 (wiederabgedruckt Verm. Schr. III 155–204) veröffentlichte und erläuterte. Die Hs. ist in Uncialen des 5. Jhdts. mit zahlreichen Abkürzungen geschrieben. Wir haben jetzt zwei Apographa derselben, das erste von Böcking, Leipz. 1866, und das zweite, bei weitem bessere, ein wahres Meisterstück, von Studemund 1874. Die erste Lesung besorgten im Auftrage der Berliner Akademie Goeschen und J. Bekker, denen sich Bethmann-Hollweg freiwillig angeschlossen hatte, im J. 1817, die zweite Bluhme 1821 und 1822, [495] die dritte Studemund 1866–1868 und fernere Revisionen derselbe 1878 und 1883. Die erste Ausgabe, von Goeschen besorgt, erschien 1820. Sie war eine ausgezeichnete Leistung. Seitdem sind die Institutionen unendlich oft herausgegeben worden. Die vollständigste Liste der Ausgaben bei Dubois Institutes de Gaius, Paris 1881 p. VI und XXIX–XXXI (die älteren Ausgaben zählt Böcking in der Praefatio der 4. Ausgabe auf). Hier seien erwähnt die drei Ausgaben von Göschen 1820, 1824, 1842 die letzte von Lachmann besorgt, die fünf Ausgaben von Böcking Bonn 1837, 1841, 1850. Leipzig 1855, 1866, die fünf Ausgaben von Huschke in seiner Iurisprudentia Anteiustiniana 1861, 1867, 1877, 1879, 1885, denen sich als sechste und siebente die von Seckel und Kübler zum erstenmal im J. 1903 besorgte und im J. 1908 wiederholte anschließt, die fünf Ausgaben von P. Krueger und Studemund 1876, 1884, 1891, 1899, 1905, von denen die beiden letzten Krüger nach Studemunds Tode allein besorgt hat, die kritisch wichtige Ausgabe von Polenaar, Leiden 1876, ferner die Ausgaben von Gneist, Leipzig 1880, von Muirhead, Edinburgh 1895, von Girard in seinen Textes de droit Romain, Paris 1889, 1895, 1903, von Mispoulet in seinem Manuel des Textes de droit Rom., Paris 1889.

Die Institutionen (Institutiones ist die besser bezeugte Form des Titels; Instituta wird die Schrift genannt im Florentiner Index und bei Priscian; vgl. Huschke Jurispr. Anteiust.⁶ 128) enthalten eine knappe, zur ersten Einführung geeignete Übersicht über das Privatrecht. Nach einer kurzen Darstellung der Rechtsquellen (I 1–7) wird das Recht im subjektiven Sinne dargestellt, eingeteilt in personae (I), res (IL III) und actiones (IV), modern ausgedrückt Rechtssubjekte, Rechtsobjekte und Rechtsschutzmittel. Im ersten Buche wird über die Personen in bezug auf ihre Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit gehandelt. Die Gliederung desselben ist dreifach: 1. Freie, Sklaven, Freigelassene (§ 9–47), 2. Gewaltfreie und Gewaltunterworfene, d. h. personae in potestate, manu, mancipio (§ 48-141), 3. Personen, die in tutela oder cura stehen (§ 142-200). Bei allen Rechtsverhältnissen der Personen wird sowohl dargestellt, wie sie begründet als auch wie sie beendigt werden. Im zweiten und dritten Buche werden die res dargestellt. Nachdem zunächst diejenigen Sachen, die nicht Gegenstände von Rechten sein können, nämlich die res sacrae, religiosae, sanctae, publicae ausgeschieden sind (II 1–11) und darauf eine doppelte Einteilung der des Privateigentums fähigen Sachen a) in res corporales und incorporales, b) in res mancipi und nec mancipi gegeben ist (§ 12–18), wird zuerst vom Erwerb der Sachen, sodann von den Obligationen gehandelt. Der Erwerb wieder wird zuerst mit Rücksicht auf einzelne Sachen und Rechte betrachtet, darnach mit Rücksicht auf ganze Vermögen (universitates). Bei den Eigentumserwerbsarten werden die zivilen vorangestellt (II 19-61), es folgen die naturalen (II 65–79). Jedem dieser beiden Abschnitte ist ein Anhang hinzugefügt, dem ersten über Veräußerungsbeschränkungen des Eigentümers und Veräußerungsrecht des Nichteigentümers (§ 62–64), dem zweiten über Erwerb [496] oder Veräußerung durch bevormundete Personen und Erwerb durch gewaltunterworfene Personen für den Gewalthaber (§ 80–96). Der Erwerb von ganzen Vermögen bildet im allgemeinen das Erbrecht, dem aus praktischen Gründen auch der Erwerb der Vermächtnisse eingefügt ist, obwohl er eigentlich in den Abschnitt vom Erwerb einzelner Sachen gehört (II 97). Den Übergang bildet ein kurzer Abschnitt (II 97–99). Sodann wird bis zum Schluß des zweiten Buches das testamentarische Erbrecht einschließlich der Legate und Fideikommisse dargestellt (II 100-289). Das dritte Buch beginnt mit dem Intestaterbrecht (III 1–76). Es folgen die übrigen Fälle der Universalsuccession, durch Konkurs (venditio bonorum § 77–81), Adoption oder in manum conventio (§ 82–84), Erbschaftsabtretung (hereditatis in iure cessio § 85–87). Den Beschluß des dritten Buches machen die Obligationen, zunächst die Kontraktsobligationen (III 89–181), dann die Deliktsobligationen (III 182–225). Die ersteren werden eingeteilt in die contractus re, verbis, litteris, consensu, und im einzelnen kurz dargestellt (vgl. Pernice Ztschr. d. Savignystift. IX 220). Hierbei wird von den Realkontrakten nur das Mutuum erwähnt und daran die Zahlung einer Nichtschuld als die gleiche Obligation begründend angeknüpft, aber ausdrücklich die Vorstellung, als sei der Grund einer solchen Verpflichtung ein Kontrakt, abgelehnt. Von Quasikontrakten redet G. in den Institutionen ebensowenig, wie von den Quasidelikten (wohl aber nach der Iustinianischen Kompilation in den libri rerum cotidianarum). Die vier Konsensualkontrakte werden vollständig aufgezählt und jeder kurz behandelt. Bei den Verbalobligationen, wo leider der Abschnitt über die einseitigen Verträge sehr verstümmelt ist, wird auch in einem besonders wertvollen Teile (115–127) die Bürgschaft behandelt. Nach Darstellung der einzelnen Kontrakte wird im allgemeinen über Tilgung der Kontraktsobligationen durch Erfüllung, Erlaß, Novation und Litiskontestation gehandelt (III 168–181). Von den Delikten werden Furtum, Raub, Sachbeschädigung und Beleidigung besprochen (182–225).

Das vierte Buch enthält die actiones. Sie werden eingeteilt: 1. in actiones in rem und in personam (IV 1–5), 2. in poenale, reipersekutorische und gemischte (IV 6–9), 3. in actiones, die einer legis actio nachgebildet sind, und solche, quae sua vi ac potestate constant (IV 10); hieran wird ein Exkurs über die legis actiones geknüpft, der leider durch eine sehr empfindliche Lücke verstümmelt ist (IV 11–29). Es folgt die Darstellung der Teile der Formel und ihrer Bildung (IV 32–60), woran sich die Beschränkung des Klaganspruchs im Falle der Peculienklage, des Beneficium competentiae (nicht erhalten) und der Kompensation schließt (IV 30–68). Die Frage, gegen wen sich der Prozeßanspruch richtet, führt zur Behandlung der adjektizischen Klagen (IV 70 –74) und der Noxalklagen (IV 75-81), die Frage nach der Person des zur Klage Berechtigten zur Behandlung der Vertretung im Prozeß (IV 83 –87). Ein Abschnitt über Prozeßkautionen (IV 88–102) leitet über zur Darstellung des Unterganges der Klagen (IV 108–114). Es folgen [497] in besonderen Abschnitten die Einreden (IV 115–137), Interdikte (IV 138–170), Prozeßstrafen (IV 171-182) und zum Schluß die Ladung (in ius vocatio und vadimonium, 182–187). Vgl. den Conspectus im Anhange der Ausgaben von Böcking und Seckel-Kübler.

Diese Einteilung des Stoffes ist diejenige, welche wir als Institutionensystem bezeichnen. Sie ist wiederholt in den Institutionen des Iustinian und liegt allen modernen Lehrbüchern der Institutionen zu Grunde. Sie ist so zweckmäßig, daß man sich wohl die Frage vorlegen kann, ob sie nicht vor dem modernen Pandektensystem, das auch dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch zu Grunde gelegt ist, den Vorzug verdient. Sie ist befähigt, alle Teile des Privatrechts in sich aufzunehmen und zwar nach einer organischen Gliederung und Verknüpfung. Denn auch diejenigen Abschnitte, die G. aus pädagogischen Rücksichten fortgelassen hat, Eherecht, Ehegüterrecht, Praescriptio longi temporis, Pfandrecht, Innominatkontrakte, S. C. Macedonianum, Vellaeanum, Quasikontrakte, Quasidelikte, Pakte, lassen sich ohne Schwierigkeit dem System einfügen. Wir kennen keine vor G. abgefaßte Schrift, welche nach dem gleichen System abgefaßt wäre. Dennoch darf dem G. die Ehre, dieses System erfunden zu haben (Leist Geschichte der Rechtssysteme 1850, 70–74) schwerlich zugeschrieben werden (Pernice Ztschr. d. Savignystift. IX 220). Denn er war durchaus kein bahnbrechender Geist, kein Pfadfinder; sondern seine Vorzüge liegen in der schlichten Anmut und Klarheit seiner Darstellung. Treffend wird er einmal von Mommsen der Mackeldey (jetzt würde man sagen: Quaritsch oder Heilfron) der Römer genannt (Neue krit. Jahrb. f. Rechtswissensch. IV 1845, 878 = Ges. Schr. III 528). Dieses System verdankt wohl seine Entstehung einem älteren Juristen der Sabinianischen Schule, als deren Jünger sich G. häufig bekennt. Die Einteilung, auf der es beruht, hat er, wie seine Übergänge, namentlich im dritten Abschnitte, zeigen, teilweise gar nicht begriffen (IV 69. 82. 88. 103). Wenn einzelnes ausgelassen ist, wie bei den Realkontrakten Depositum, Commodatum und Pignus, so möchte das eher darauf zurückzuführen sein, daß G. sich, um nicht die Anfänger, zu deren Einführung das Buch bestimmt war, mit Stoff zu überladen und durch die Massenhaftigkeit zu bedrücken oder zu verwirren, auf die Hauptpunkte beschränkt hat, als auf das hohe Alter des Systems (wie es Krüger Quellen 189, 45 tut. dagegen Pernice Ztschr. d. Savignystift. IX 221); denn man müßte sonst allzu hoch hinaufgehen (Affolter Das röm. Institutionensystem 1897 führt es auf Q. Mucius zurück). Nichts hätte doch den G. gehindert, das Fehlende zu ergänzen, wie er ja erweislich oft genug Zusätze gemacht hat. Erst kürzlich ist der ganze Abschnitt über die naturalen Eigentumserwerbsarten (II 65–79) für ein Gaianisches Einschiebsel in die ursprüngliche Vorlage erklärt worden (vgl. darüber Paul Krüger Ztschr. d. Savignystift. XXII 1901, 49f. Hugo Krüger ebd. XXIII 1902, 485), ob freilich mit Recht, ist eine andere Frage. Vgl. noch Schulin Gesch. d. röm. Rechts 111. Kniep Praescriptio und Pactum 1891,17-23; Der Besitz des Bürgerlichen Gesetzbuchs gegenübergestellt [498] dem römischen und gemeinen Recht 1900, 26f. Wenn nun aber auch vielleicht zugegeben werden kann, daß die Institutionen keine originale Schöpfung des G. sind, sondern daß das Beste darin der Vorlage, auf Grund deren sie gearbeitet sind, verdankt wird, so darf man doch nicht so weit gehen, die Existenz des G. überhaupt zu leugnen. Tatsächlich hat Longinescu Caius der Rechtsgelehrte, Berlin 1896, einer Vermutung R. Leonhards (Institutionen² 1894, 112, 2) folgend, den Satz aufgestellt, daß alles, was den Namen Gaius trage, in Wahrheit von C. Cassius Longinus, dem berühmten Sabinianer der Neronianischen Epoche, stamme, und im 2. Jhdt. überarbeitet worden sei. Diese Ansicht, die bei Kalb Jahresber. LXXXIX 232. CIX 40 Beifall gefunden hat, ist von Herzen Ztschr. d. Savignystift. XX 1891, 211f. widerlegt worden.

Die ganze Anlage des Institutionenwerks, vor allem die Ungleichartigkeit in der Auswahl und Behandlung des Stoffes haben Dernburg zu der Hypothese gebracht, daß die Institutionen das Kollegheft des G. seien, d. h. die Niederschrift des Konzepts, die vom Autor vor jeder Vorlesung entworfen war, vielleicht teilweise ergänzt durch eine vor der Veröffentlichung benützte korrekte und wörtliche Nachschrift eines Zuhörers (Dernburg Die Institutionen des Gaius, ein Collegienheft aus dem J. 161 n. Chr., Halle 1869). Hierfür führt Dernburg noch eine Anzahl anderer Beweisgründe an: den Umstand, daß eine ganze Reihe von Stellen fast wörtlich zweimal wiederkehren (I 22 = III 56. I 156 = III 10. II 34-37 = III 85–87. II 86–88. 90. 91 = III 163-166. III 180. 181 = IV 106–108), einzelne Wendungen, die die Kathedersprache zu verraten scheinen, ,so daß wir bei der Lektüre ordentlich heute noch den Fall der Rede hören und uns die Worte des treuen Lehrers nachklingen, wie er eifrig bemüht ist, die Zuhörer in gefälligem Vortrage zum Verständnis juristischer Denkweise zu bringen und klare Begriffe, scharfe Vorstellungen bei innen hervorzurufen‘ (videamus, intellegemus, nunc transeamus, prius discipiamus (I 12, 51. 125. 143. II 86. 89. 100. III 55. IV 115. 138. 161), velut, ut ecce, quae vero diximus de filio anniculo, eadem et de filia annicula dicta intellegemus I 32a; vgl. II 124. III 45. 206; quid diximus, sic intellegi oportet III 179, vgl. I 24. II 33. 206; admonendi sumus II 27. 80. 206. III 56. 163. IV 82. 110. 136. 169; hoc tantisper sufficit admonuise I 188. III 33a; cum illic admonuerimus . . . supervacuum est hoc quoque loco de eadem re curiosius tractare III 17; sequitur ut admoneamus II 40 usw.), häufige Wiederholung desselben Gedankens mit anderen Ausdrücken, um dem Hörer Zeit zum Nachschreiben zu lassen, häufige Antithesen, den Titel commentarii, endlich die schon oben berücksichtigte Tatsache, daß Antoninus Pius sechsmal als imperator Antoninus oder optimus imperator Antoninus (I 53. 74. 102. II 120. 126. 151a), dann aber plötzlich als divus Pius Antoninus (II 195) bezeichnet wird. Allein wenn aus dem letzten Argument, um mit ihm zu beginnen, geschlossen wird, daß der Kaiser Antoninus noch lebte, als G. seine Vorlesungen begann, dagegen einige Wochen später, als G. zum § 195 des zweiten [499] Buches gelangt war, seine Erdenlaufbahn beschlossen hatte, so ist dieses keineswegs zwingend. Wenn G., wie Dernburg annimmt, seine Vorlesungen nach Beendigung des Cursus auf einmal herausgegeben hätte, so hätte er doch wohl mit leichter Mühe an jenen sechs Stellen das imperator in divus ändern können. Viel einfacher erklärt sich die Tatsache durch die Annahme, daß der Kaiser starb, während die Exemplare der Schrift zur Veröffentlichung hergestellt wurden. Dies geschah bekanntlich in der Weise, daß eine Anzahl von Sklaven, die als librarii ausgebildet waren, nach Diktat gleichzeitig das Werk niederschrieben. Wenn man nun gleich nach dem 6. März 161 zum § 195 des zweiten Buches gelangt war, so war jetzt der eben verstorbene Kaiser als divus zu bezeichnen; an den früheren Stellen ließen sich aber die Reinschriften nicht gut mehr korrigieren. Man vergleiche nur, wie sich heutzutage die Sache beim Druck gestalten würde; auch da wäre eine Korrektur auf den bereits abgezogenen Druckbogen nicht mehr möglich. Was sodann die an den Lehrvortrag erinnernden Wendungen betrifft, so ist zuzugeben, daß die Schrift den Charakter behaglicher Breite trägt, was namentlich dann besonders deutlich hervortritt, wenn man sie mit der straffen Diktion von Ulpians Regeln vergleicht. Aber solche Wendungen, wie die oben aufgeführten, finden sich nicht nur in den übrigen Schriften des G., sondern auch der übrigen Juristen, wie man sich mit Hilfe des Vocabularium Iurispudentiae Romanae leicht überzeugen kann (s. z. B. Tom. I p. 237 s. admoneo; II p. 224–227 s. dico). Noch viel weniger beweist der Titel commentarius, wie Dernburg selbst zugeben muß (a. a. O. p. 59. 60). Er ist sehr gebräuchlich für Schriften aller Art, und für juristische ganz besonders (vgl. über die Bedeutung des Wortes Frese Beiträge zur Beurteilung der Sprache Caesars, München 1900, 11f.). Die häufigen Verweisungen des G. auf die früheren commentarii (Voc. Iurisp. Rom. I p. 815) zeugen auch nicht gerade für den Kathedervortrag. Die vielen Wiederholungen und Antithesen könnten allerdings Spuren eines geschickten Lehrvortrags sein. Eck z. B. soll, wie seine Schüler übereinstimmend rühmen, in der Anwendung solcher Mittel, die den Hörern das Nachschreiben erleichtern, eine wahre Meisterschaft besessen haben, und manche Rechtslehrer, die zu seinen Füßen gesessen haben, bemühen sich, ihn in dieser Beziehung nachzuahmen. Man weiß ja, welchen Wert der Student auf ein gutes Heft legt. Wird aber ein geistvoller oder geschickter Dozent solche Wiederholungen in sein Vorbereitungsheft wörtlich eintragen? Soll man solche Pedanterie dem G. zutrauen? Da läge doch die Annahme noch viel näher, daß unsere Institutionen das wortgetreue Stenogramm eines tachygraphisch geschulten Zuhörers seien. Jene Wendungen erklären sich aber ganz einfach dadurch, daß sich G. eine gewisse Umständlichkeit und Weitschweifigkeit des Stiles angewöhnt hatte, eben infolge seiner Lehrtätigkeit. Sodann die Ungleichartigkeit der Behandlung des Stoffes, die Auslassung wichtiger Partien ist bei der Annahme, daß wir es mit einem Kollegheft zu tun haben, nicht verständlicher, als bei einem Lehrbuch. Auch von [500] Vorlesungen verlangt man Vollständigkeit; man verzichtet darauf aber bei einem Buche, das für die erste Einführung bestimmt ist (vgl. Sohms Institutionen). Endlich die wiederholte Darstellung ganzer Partien in wenig veränderter Fassung an verschiedenen Stellen des Werkes spricht vielleicht am meisten für Dernburgs Hypothese, ist aber auch nicht voll beweisend; der Autor mochte damit der Bequemlichkeit des Lesers entgegenkommen, den er durch einfache Verweisung auf die frühere Behandlung des Gegenstandes genötigt haben würde, die Lektüre zu unterbrechen und die angeführte Stelle in einer früheren Rolle zu suchen. Man darf doch nicht vergessen, daß hei der antiken Buchform das Auffinden von zitierten Stellen viel mühsamer und zeitraubender war, als bei unseren Büchern. Gegen Dernburgs Annahme spricht der bereits von Karlowa (Rechtsgesch. I 724) hervorgehobene Umstand, daß ein Lehrer seine Vorlesungen und, wie wir hinzufügen, auch seine materiellen Interessen schädigen würde, wenn er sein Vorbereitungsheft selber publizierte. Dagegen ist es sehr möglich, daß die Institutionen aus Vorlesungen hervorgegangen sind (so auch Karlowa a. a. O.).

Sprache und Stil des G. sind ausgezeichnet durch Reinheit und Klarheit. Diese Vorzüge mögen zum Teil mehr das Verdienst der Vorlage, als des G. sein. Auch die klassische Sprache der Iuris epitomae des Hermogenian erklärt sich wohl am einfachsten dadurch, daß diese Auszüge aus älteren Schriften vielfach wörtliche Ausschreibungen sind. Aber bei G. liegt die Sache doch anders. Daß ihm die Gabe eleganter, wenn auch etwas breiter Darstellung verliehen war, beweisen die Fragmente seiner übrigen Schriften, soweit sie nicht durch Interpolationen verhunzt sind, zur Genüge. Er reiht sich den besten Stilisten der lateinischen Sprache, einem Caesar, Quintilian, würdig an. Er verschmäht alle rhetorischen Künsteleien, Archaismen usw., und sein ganzes Streben ist nur auf Klarheit und Deutlichkeit gerichtet. Doch ist er nichts weniger als Purist; die bereits in der Prosa des 2., ja des 1. Jhdts. n. Chr. auftauchenden Barbarismen und Graecismen, wie quod statt des Akkusativs mit dem Infinitiv (I 188. II 78), Verwechslung der Casus obliqui von is, ea, id mit den entsprechenden Formen von sui, sibi, se, suus (I 3. II 96. 252. III 119. 179. 198. IV 21) und anderes finden wir auch bei ihm. Manche Wendungen, wie z. B. statim ab initio (Vocab. Iurispr. Rom. I p. 56) sind ihm eigentümlich (vgl. Kalb Arch. f. lat. Lexikogr. I 82–92; Roms Juristen nach ihrer Sprache dargestellt, Leipzig 1890, 73-88. Ausgabe von Seckel-Kübler Praef. p. IV. V = Iurisprud. Anteiust.⁶ 108. 109. Mommsen Ges. Schr. II 33 n. 18 mit dem Zusatz des Herausgebers). So hoch aber auch die Verdienste des G. als Lehrer und Stilist anzuschlagen sind (vgl. z.B. Dernburg a. a. O. 52f. Huschke Iurisprud. Anteiust.⁵ 160f., 6. Aufl. 130f.), so kann ihm doch der Vorwurf einer gewissen Oberflächlichkeit nicht erspart werden. Wenn auch die schon öfter erwähnten Lücken mit dem Streben nach Beschränkung und Vereinfachung des Stoffs erklärt und entschuldigt werden mögen, so berührt es doch eigentumlich, daß G. wichtige [501] Senatsbeschlüsse und Konstitutionen nur vom Hörensagen kennt (I 32b: postea dicitur factum esse senatusconsultum. II 221 quae sententia dicitur divi Hadriani constitutione confirmata esse). An historischem Sinn fehlt es ihm. Die Haussuchung lance et licio findet er lächerlich (quae lex tota ridicula est III 193). Ebenso unverständlich ist ihm die Frauentutel, die er mit dem weiblichen Leichtsinn (animi levitas) erklärt (I 144), was er dann später freilich wieder zurücknimmt (I 190). Er hält das zweite Kapitel der Lex Aquilia für überflüssig, weil sich der geschädigte Hauptgläubiger gegen den treulosen Adstipulator hätte mit der Actio mandati helfen können (III 216). Weshalb eine Stipulation unter unmöglicher Bedingung ungültig, ein Legat im gleichen Falle gültig sein soll, dafür weiß er ebensowenig einen Grund anzugeben, wie dafür, daß das Gemälde im Verhältnis zur Maltafel Hauptsache, die Schrift dagegen im Verhältnis zum Pergament Nebensache ist (III 98. II 78; beidemal fast dieselbe Wendung: diversitatis vix idonea ratio redditur). Man sieht, tiefes Nachdenken ist nicht seine Sache. Seine Liste der Bonae fidei iudicia (IV 62), die man nicht aus Iustinian ergänzen darf, ist höchst mangelhaft (Kniep Praescriptio und Pactum 22); daß mindestens die Actio commodati hineingehörte, hätte er sich bei einigem Nachdenken sagen können. Denn als er sein neuntes Buch zum Provinzialedikt schrieb, wußte er, daß bei ihr Kompensation zulässig sei (Dig. XIII 6, 18, 4), und in den Institutionen selbst hat er kurz vorher (IV 47) berichtet, daß es eine actio commodati in ius concepta gab, die doch wohl die Worte ,ex fide bona‘ enthalten haben muß (vgl. Gino Segré Sill’’ età dei Giudizii di buona fede di commodato e di pegno, Estratto degli Studi in onore di Carlo Fadda, Napoli 1906, 1f.). Obwohl er selbst das Zwölftafelgesetz kommentiert hat, so führt er doch wiederholt als Bestimmung des Gesetzes an, was erst die Interpretatio daraus abgeleitet hat, so die zweijährige Ersitzungsfrist an Gebäuden (II 42), die Ausschließung der agnatischen Frauen, die über den Grad der Consanguinae hinausgehen, vom Intestaterbrecht (III 23). Verfehlt ist seine Auffassung der Lex Voconia (II 224f.; vgl. Bachofen Die Lex Voconia 1843, 44. 45. Mommsen Ges. Schr. III 516). Eigentümlich berühren bisweilen seine naiven Fragen, so nach dem Grund der Einführung der Legis actio per condictionem (IV 20). Die Rechtslage der Frauen erklärt er für besser als die der Männer, weil jene bereits mit dem vollendeten zwölften Lebensjahre die Testierfähigkeit erlangen, diese erst mit dem vierzehnten (II 113), während dies doch nur eine Folge der früheren Geschlechtsreife jener ist. Während er die Gesetzeskraft der Senatsbeschlüsse für zweifelhaft hält (I 4), die sich doch aus der Verlegung der Comitien in den Senat mit logischer Konsequenz ergibt, behauptet er zuversichtlich, daß an der Gesetzeskraft kaiserlicher Konstitutionen nie gezweifelt worden sei (I 5) mit der fast kindlichen Motivierung, daß ja der Kaiser selbst sein Imperium durch Gesetz erhalte (Mommsen St.-R II³ 909f.). Sonst tritt er nicht so zuversichtlich auf; vielmehr läßt er Selbständigkeit des Urteils häufig genug vermissen. Meist [502] begnügt er sich damit, die abweichenden Meinungen der beiden Schulen der Sabinianer und Proculianer oder sonstwie verschiedener Richtungen anzuführen, ohne selbst dazu Stellung zu nehmen (I 184. II 262. III 28. 47. IV 59. 153), oder er führt eine Frage überhaupt nur als streitig an, ohne jeden Versuch einer Entscheidung (I 129. II 90. 94. 121. III 119. 122. 168. 172. IV 125; vgl. Dig. XL 12, 9, 2). Bisweilen ist er allerdings auch unverdient getadelt worden. Wenn er II 64 die Veräußerungsbefugnis des Pfandgläubigers aus dem Pfandvertrage und der Einwilligung des Schuldners herleitet (ex pactione; voluntate debitoris intellegitur pignus alienari), so ist das kein Fehlgriff, wie Krüger Quellen 185, 19 behauptet, vielmehr eine historisch wohl begründete Auffassung. Man muß nur im Auge behalten, daß im ältesten Pfandrecht der Gläubiger zum Pfandverkauf nicht ipso iure ermächtigt i oder verpflichtet war, sondern daß ihm die Befugnis dazu durch spezielles pactum de distrahendo erst erteilt werden mußte. In ähnlicher Weise dürfte sich auch II 195 rechtfertigen lassen. Bei II 96 sehe ich überhaupt keinen Grund des Anstoßes; über anderes mag man zweifeln. Die Erörterung dieser Fragen würde hier zu weit führen. Die von G. zitierten Juristen sind recht zahlreich; in den Institutionen begegnen Caelius Sabinus, C. Cassius Longinus, Fufidius, Iavolenus, Iulianus, Labeo, Masurius-Sabinus, Q. Mucius Scaevola, Nerva, Ofilius, Pegasus, Proculus, Serv. Sulpicius, Sextus (Africanus?), in seinen übrigen Schriften noch Aelius Gallus, Trebatius, Fulcinius, Neratius (Krüger Gesch. d. Quellen 185. Dernburg Gaius 102, 6). Dies erweckt den Schein ausgedehnter Belesenheit in der juristischen Literatur. Doch überwiegen die Zitate der älteren Juristen so sehr die der jüngeren (Iulianus begegnet nur zweimal in den Institutionen, Sextus, Iavolenus, Caelius Sabinus, Pegasus nur je einmal), daß der Verdacht nahe liegt, G. habe die älteren Zitate zumeist aus zweiter Hand und führe die jüngeren Quellen, aus denen er schöpft, nur spärlich oder gar nicht an. Er ist eben mehr Kompilator, als selbstforschender Denker; daraus erklärt sich auch seine Unsicherheit im Urteilen.

V. Fortleben im Altertum. Von seinen Zeitgenossen wird G. niemals erwähnt; das Zitat bei Pomponius Dig. XLV.3, 39 sed qua actione id reciperare possumus, quaeremus; et non sine ratione est, quod Gaius noster dixit, condici id in utroque casu posse domino ist wahrscheinlich interpoliert. Iustinian nennt den G. mit Vorliebe Gaius noster Inst. prooem. § 6. IV 18, 5. Const. omnem § 1. Auch von den Späteren wird G. nicht zitiert, wohl aber zeigen die Regulae des Ulpian eine so enge, zum Teil wörtliche Verwandtschaft mit den Institutionen des G. (s. die Übersicht im Anhang von Boeckings Ausgabe des Ulpian), daß man häufig die Vermutung ausgesprochen hat, Ulpian habe den G. ausgeschrieben (Mommsen Ges. Schr. II 36, 26. 48. Mitteis Reichsrecht und Volksrecht 147 Anm. 4 und bes. Grupe Ztschr. d. Savignystiftung XX 1899, 90£); andere aber meinen, die Übereinstimmung zwischen G. und Ulpian stamme daher, daß beide dieselbe Quelle benutzt hätten (Kalb Roms Juristen 77. Jahresber. [503] f. Altertumswissensch. CIX 1901 II 38f.). Wirklich entscheidende Beweise sind bisher weder von der einen noch von der andern Seite erbracht worden. Aber im 3. oder spätestens im 4. Jhdt. haben die Schriften des G. an den Rechtsschulen und in der Praxis Eingang und Verbreitung gefunden. Diese Tatsache gelangt im Zitiergesetz des Valentinian III. vom J. 426 (Cod. Theod. I 4, 3) zum offiziellen Ausdruck: Papiniani, Pauli, Gai, Ulpiani atque Modestini scripta universa firmamus ita, ut Gaium quae Paulum Ulpianum et ceteros comitetur auctoritas lectionesque ex omni eius corpore recitentur. Hier finden wir also den G. inmitten des Dreigestirns der Koryphäen Papinianus, Ulpianus, Paulus. Während aber die Autorität der übrigen als selbstverständlich erscheint, bedarf die des G. noch der besonderen Bestätigung durch das Machtwort des Kaisers; es scheint, als sei sie erst jüngeren Datums und noch nicht so fest eingebürgert, wie die der berühmten kaiserlichen Praefecten. Dem entspricht es auch, daß wir seine Institutionen zwar in der Collatio legum Romanarum et Mosaicarum bereits benutzt finden, daß sie aber in die etwas älteren Fragmenta Vaticana noch nicht aufgenommen zu sein scheinen. Im 4. Jhdt. finden wir auch den G. zum erstenmal in der nichtjuristischen Literatur zitiert, nämlich bei Servius Georg. III 306, und dieses Zitat weist bereits nach Westrom, was gegen Mommsen Ges. Schr. II 27, 3 b zu betonen ist (das vermeintliche Zitat bei Diomedes p. 379, 24 ed. Keil ist auszuscheiden). Spätere Zitate oder Benutzung des G. finden sich bei Boethius im Kommentar zur Topik, bei Ps.-Asconius p. 164 und bei Priscian l. VI p. 282 Hertz. Über die Zitate bei Lydus s. Mommsen Ges. Schr. II 27, 3b und Wünsch Praef. zu Lydus de magistratibus p. XLI. Aus dem 5. Jhdt. stammt wahrscheinlich auch die Paraphrase der Institutionen, welche im J. 1898 in dem reskribierten Codex aus Autun nr. 15, jetzt Paris nouv. acqu. 1629 f. 17-20 von Chatelain entdeckt wurde (Delisle Les vols de Libri au séminaire d’Autun, Paris 1898; Extrait de la Bibliothèque de l’École des chartes LIX p. 379f. Mommsen Ztschr. d. Savignystiftg. XIX 365. XX 235. 236 = Ges. Schr. II 429. 430; vgl. noch Dareste Journal des Savants 1899, 728–733. Scialoia Bullet. dell’ Ist. di dir. Rom. XI 1899, 97–112. Ferrini Rendiconti dell’ Istituto Lombardo ser. 2 vol. 32). So sehr die durch diesen Fund erregten Erwartungen in Bezug auf den Inhalt der Handschrift auch enttäuscht worden sind, so zeigt uns doch die neue Entdeckung, daß im 5. Jhdt. an den Rechtsschulen in Gallien über die Institutionen des G. und zwar die vollständigen in vier Büchern Vorlesungen gehalten wurden, die allerdings bereits einen bedenklichen Tiefstand der juristischen Wissenschaft zeigen. Diese Erläuterungen des G. sind nichts als eine breite Bettelsuppe, die sich über den hie und da eingestreuten Text ergießt. Ausgaben: Krueger in der 4. und 5. Ausgabe des G., 1899 u. 1905; Ztschr. d. Savignystiftg. XXIV 1903, 375–408. Ferrini und Scialoia Bullett. dell’ Inst. di dir. Rom. XIII 1901, 1–31. Girard Textes de droit Romain³ 1903, 333–349. Welches Ansehens sich im 5. Jhdt. die Institutionen des G. im [504] Westen des Reiches erfreuten, davon gibt ein ferneres Zeugnis ihre Berücksichtigung in den Leges Romanae der Westgoten und Burgunder. In das westgotische Gesetzbuch sind sie in Gestalt einer Epitome aufgenommen, in welcher das vierte Buch fortgelassen, das zweite und dritte in ein Buch verschmolzen sind. Von den so entstandenen beiden Büchern umfaßt das erste 8, das zweite 10 (11) Titel. Während man früher annahm (Savigny Röm. Recht i. Mittelalter II² 54. Danz Rechtsgesch. I² 128. Hänel Lex Rom. Visigoth. p. IX), daß diese Umarbeitung des ursprünglichen Werkes von den Redaktoren des westgotischen Gesetzbuches vorgenommen sei, sprach zuerst Rudorff (Röm. Rechtsgesch. 1857 I 289) die Ansicht aus, daß schon im späteren römischen Rechtsunterricht der Text der Institutionen auf zwei Bücher reduziert worden sei. Ihm traten, zum Teil mit ausführlicher Begründung, bei Dernburg Gaius 121f., Fitting Ztschr. f. Rechtsgesch. XI 325f., Karlowa Rechtsgesch. I 980f., Brunner Deutsche Rechtsgesch. I¹ 359, Krüger Gesch. u. Quellen 313., Voigt Röm. Rechtsgesch. III 156, Kipp Gesch. d. Quellen² 135 u. a. m. Die Zeit der Anfertigung dieser Epitome setzt Hitzig zwischen 384 und 389, Fitting und Voigt vorsichtiger zwischen 384 und 428, den Ort jener nach Gallien, Fitting und Voigt nach Rom, Dernburg nach Italien. Das Hauptargument für die römische (nicht westgotische) Bearbeitung ist Epit. I 1, 1: cives Romani sunt, qui his tribus modis id est in testamento aut in ecclesia aut apud consulem fuerint manumissi. Die altrömische Einteilung der Freilassungsarten vindicta, censu, testamento ist hier ersetzt durch testamento, in ecclesia, apud consulem. An Stelle der Freilassung vindicta ist diejenige apud consulem getreten; vgl. noch I 1, 4. 2, 1. Es ist undenkbar, daß die Westgoten in ihr Gesetzbuch den Consul eingeführt haben sollen; er kann seine Erwähnung nur einem römischen Bearbeiter verdanken; s. über die consularische Freilassung Art. Consul Bd. III S. 1131, 32f. 1134, 57f. 1137, 32f. Die Zeitbestimmung ergibt sich aus Epit. I 4, 6, wonach die Ehen zwischen Geschwisterkindern verboten sind. Dieses Verbot erging zuerst von Theodosius I. im J. 384 (Liban. de Angariis III 476 Foerster = II 558 Reiske. Ambros. ep. LX 8. Aurel. Vict. epit. 48, 10. Paul. Hist. Rom. XII 5 im Eutrop. ed. Droysen p. 191. Cod. Theod. III 10, 1. 12, 3; vgl. Gothofredus zu Cod. Theod, III 10, 1. Voigt Röm. Rechtsgesch. III 224, 9). Es wurde zwar von Arcadius im J. 400 aufgehoben (Cod. Iust. V 4, 19), aber nur vorübergehend (Cod. Theod. III 10, 1 vom J. 409 wird es als bestehend vorausgesetzt). Die untere Grenze bildet nach Fitting das J. 428, in welchem von Theodosios II. die in der Epitome II 9, 3 ausdrücklich behandelte dotis dictio beseitigt wurde (Cod. Theod. III 13, 4). Zustimmend Hitzig a. a. O. 217, dagegen Krüger Quellen 314, 35 und Karlowa Rechtsgesch. I 982. Eine noch engere Grenze wollte Hitzig a. a. O. 217 ziehen, indem er behauptete, daß die Epit. II 8 die Konstitution vom J. 389 Cod. Theod. V 1, 4 betreffend das Noterbrecht der Tochterenkel an den Bona materna (die übrigens in das Breviar aufgenommen ist) ignoriere. [505] Dann wäre der Auszug zwischen 384 und 389 verfaßt. Allein die Epitome II 8 behandelt nur das Intestaterbrecht der sui heredes und der agnati, zu denen die nepotes ex filia nicht gehören (Conrat Die Entstehung des westgothischen Gaius 82, 220. Voigt Röm. Rechtsgesch. III 157, 90). Den Entstehungsort verlegt Hitzig nach Gallien, weil die Epitome, wenn sie in Rom verfaßt wäre, bei der Freilassung neben dem Consul den Praetor nicht übergangen hätte, weil sie ferner den tutor dativus nicht hätte ex iudicis inquisitione, sondern mit Gai. I 185 durch den Praetor (tutelaris) und den Praefectus urbi geben lassen, ferner wegen der Emancipatio ante curiam und endlich wegen gewisser Gallizismen (pro = propter, ob, die ganz fehlen, pro eo quod, quamlibet = quamvis, nisi = sed, ipse = idem, medietas = dimidium, fabricare = aedificare, calumnia = reprehensio). Von diesen Belegen beweisen jedoch einige gar nichts, so medietas, wie aus dem von Hitzig selbst angeführten Artikel Wölfflins Arch. f. Lexikogr. III 4-58 hervorgeht, so ipse, das Sittl Lokale Verschiedenheiten 115, auf den Hitzig sich beruft, gerade für afrikanisch hält. Am meisten scheint noch pro = propter ins Gewicht zu fallen, vgl. Kalb Roms Juristen 140. Allein wir haben gelernt, in bezug auf die Provinzialismen der lateinischen Sprache sehr vorsichtig zu sein, und es bedürfen alle derartigen Aufstellungen noch durchaus der Nachprüfung darauf hin, ob es sich hier nicht um ganz gewöhnliche Vulgarismen des sinkenden Lateins handelt, die nicht nur in den Provinzen, sondern auch in Italien begegnen. Auch die sachlichen Indizien, die Hitzig anführt, sind nicht derartig, daß sie die italische oder römische Herkunft der Epitome ausschließen. Beachtung dagegen verdient die Annahme Voigts (Röm. Rechtsgesch. III 157), daß die in Rom verfaßte Epitome von den Redaktoren des westgotischen Gesetzbuches gekürzt und im Ausdruck mehrfach geändert worden sei. Neuerdings hat Conrat in einer sehr sorgfältigen und gründlichen Schrift (Die Entstehung des westgothischen Gaius, Verhandelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, Afdeeling Letterkunde, Nieuwe Reeks, Deel VI nr. 4, 1905) die Richtigkeit der älteren Ansicht, wonach die Epitome erst von der westgotischen Kommission hergestellt sei, zu verteidigen gesucht. Allein trotz des Scharfsinnes, den der gelehrte Verfasser aufgewandt hat, scheint doch seine Beweisführung nicht voll überzeugend. Über den Consul bei der Freilassung kommt er nicht hinweg. Er sucht ihn mit der Annahme zu beseitigen, daß ,der Redaktor des Textes statt eines Ante consulem ein Ante consilium (nach Gai. I 20) gesetzt hat und das Ante consulem gegen seinen Sinn in die Kodifikation eingedrungen ist, sei es nun, daß bereits der Archetyp, infolge eines Schreibversehens, statt Ante consilium ein Ante considem gelesen hat, sei es, daß dem Archetyp noch die richtige Lesart eigen war, die indessen in den Handschriften verloren gegangen ist‘ (S. 82). Dieser verzweifelte Lösungsversuch scheitert an der Tatsache, daß sich die angebliche Verderbnis nicht weniger als dreimal in der Epitome findet. Auch das positive [506] Argument, das Conrat für seine Ansicht anführt (S. 87–90), schlägt nicht durch. Epit. I 1, 6 heißt es, daß die in fraudem patroni vollzogene Freilassung ungültig ist, falls der Freigelassene, der sie vornimmt, römischer Bürger sei und keine Kinder habe. Von diesen beiden Bedingungen sagt allerdings Gai. I 37 nichts. Conrat meint nun, daß sie der Epitomator erst nach der Novelle 25 (24) Valentinians III. vom J. 447 geschrieben haben könne, in welcher das patronatische Erbrecht auf den Nachlaß kinderloser Freigelassener beschränkt wird. Damit würde dann ein viel späterer Terminus post quem gewonnen, der übrigens die römische Heimat der Epitome immer noch nicht ausschließen würde. Aber der in Frage stehende Passus der Epitome konnte auch vor der Novelle Valentinians 25 (24) geschrieben werden. Denn es ist von Conrat nicht erwiesen worden, daß die Bestimmung bezüglich der Kinderlosigkeit des Freigelassenen nicht bereits hätte in der Lex Aelia Sentia stehen oder aus den Worten in fraudem patroni erschlossen werden können. Schon das praetorische Edikt schloß, im Gegensatz zum ius civile, den Patronus vom Erbrecht am Nachlaß des Freigelassenen, der naturales liberi hatte, aus (Gai. III 41). Ich nehme mit Conrat an, daß dieses Edikt älter war, als die Lex Aelia Sentia. (Ebenso wohl auch Leist D. röm. Patronatsrecht II 321). Diese letztere nun, die ja den Zweck hatte, das Erbrecht des Patrons zu schützen (vgl. Conrat), kann sehr wohl in Übereinstimmung mit dem geltenden Ediktsrecht, das zu beseitigen nicht in ihrer Absicht lag, ihren Schutz auf den Fall beschränkt haben, in welchem der Patron erbberechtigt war, d. h. auf den Fall, daß der Freigelassene keine natürlichen Kinder hatte. Ob das Gesetz von liberi naturales sprach, mag dahingestellt bleiben; der Gesetzgeber mochte das der Auslegung überlassen haben; jedenfalls ist es wohl begreiflich, daß der Praetor durch Adoptivkinder, oder eine gewaltunterworfene Ehefrau die Rechte des Patrons nicht schmälern ließ. Die Lex Papia gab dann dem Patron den Kindern des Freigelassenen, der nicht mehr als drei Kinder hatte, gegenüber einen Kopfteil. Inwiefern dies auf die Lex Aelia Sentia zurückwirkte, ist eine Frage, über die sich den Kopf zu zerbrechen völlig nutzlos ist, weil es uns an jeglichem Quellenmaterial fehlt. Aber zu bedenken ist hierbei wieder, daß sich die Lex Papia nur auf den Nachlaß der Liberti locupletiores (Centenarii) bezog (Gai. III 42), bei denen Freilassungen zum Nachteil des Patronus wohl weniger zu befürchten waren (man vergleiche die breiten Ausführungen beim Theophil. I 6); hätte doch der Freigelassene, der Kinder hatte, durch fraudulose Manumissionen seine eigenen Kinder mitgeschädigt. Wenn ferner in der Epitome die Civität des Freigelassenen verlangt wird, so kann auch diese Bestimmung aus dem Gesetz stammen oder doch in einer römischen Bearbeitung des G. bereits vor der Novelle Valentians hinzugefügt sein. Die Einschränkung des Gesetzschutzes auf den Nachlaß des Libertus civis Romanus dürfte sich erklären mit Rücksicht auf die Liberti Latini, denen gegenüber der Patron eines besonderen Schutzes wahrscheinlich nicht bedurfte, nicht auf die Liberti peregrini. Allerdings meint Conrat, daß [507] die Lex Aelia Sentia auch auf Liberti peregrini Anwendung gefunden habe, und beruft sich dafür auf Gai. I 47 der Ausgabe von Seckel-Kübler, wo die Herausgeber die Huschkesche Ergänzung aut patroni aut im Text haben stehen lassen. Hätten sie jedoch geahnt, daß sich an ihre lediglich durch Rücksichten der Pietät begründete Texteskonstitution des § 47 so verhängnisvolle Konsequenzen anschließen würden, so hätten sie auch hier ihrem sonst gewahrten Prinzip getreu gehandelt und die obendrein weder diplomatisch noch sachlich gerechtfertigte Ergänzung in die Note verwiesen. In der neuen Auflage (1908) ist das auch geschehen. Bleibt man beim überlieferten Wortlaute des Gr., so ergibt sich der Schutz des peregrinen Gläubigers als eine Sonderbestimmung der Lex Aelia Sentia, welche die Ausdehnung des Gesetzes auf peregrine Patrone als unwahrscheinlich erscheinen läßt. Peregrinische Freigelassene konnten nur peregrinische Patrone haben, um deren Schutz sich die Lex Aelia Sentia schwerlich gekümmert hat. Gerade im Munde des westgotischen Redaktors aber wäre eine solche Ausschließung völlig überflüssig; denn für ihn bezog sich die Lex Romana ohnehin nur auf Römer und Latiner. Dagegen erwähnt die Novelle Valentinians notwendigerweise die Civität des Libertus, weil sie die erbrechtlichen Bestimmungen der Lex Iulia et Papia zu Gunsten des Patrons aufhebt, die sich nur auf die Liberti cives Romani, nicht auf die Latini bezogen. Es erscheint schwer glaublich, daß durch die rein erbrechtlichen Bestimmungen der Novelle der Passus der Epitome über die Freilassungen in fraudem patroni beeinflußt sein soll. Auf die sonstigen Argumente, die für und wider die römische Herstellung der Epitome sprechen, kann hier nicht eingegangen werden. Gegen Conrat hat sich auch Brunner in der zweiten Auflage der deutschen Rechtsgeschichte (1906) S. 514, 14 ausgesprochen. Eine Ergänzung der Conratschen Beweisführung zu Gunsten des westgotischen Ursprungs der Epitome bietet desselben Verfassers soeben erschienene Schrift Der Westgotische Paulus, eine rechtshistorische Untersuchung, Amsterdam 1907. Ausgaben der Epitome: Böcking im Bonner Corpus Iuris Romani Anteiustiniani I pars altera 1831. Hänel Lex Romana Visigothorum, Leipz. 1849 p. 314–337.

Auch in der Lex Romana Burgundionum sind die Institutionen des G. benützt. Regula Gai wird zitiert V 1. X 1; species Gai XII 2. Gemeint sind Gai. III 225. III 2. III 192. Doch sind dies nicht die einzigen Stellen, an welchen G. verwertet ist; vgl. Hitzig a. a. O. 223. Daß aber der burgundische Redaktor außer den Institutionen selbst auch noch die Epitome benutzt habe, wie Hitzig annimmt, dünkt uns nicht wahrscheinlich; vgl. Conrat a. a. O. 18. Die Ansicht Bluhmes (Mon. Germ. LL. III; Ztschr. f. Rechtsgesch. III 1864, 452–454), daß er die Regulae des G. zitiere, darf wohl durch Huschkes Widerlegung (Ztschr. f. Rechtsgesch. VII 1868, 162f.) als abgetan gelten; vgl. Karlowa Röm. Rechtsgesch. 1984. Krüger Quellen 318. v. Salis in der Ausgabe der Lex Burgund. praef. p. 12 und za den oben zitierten Stellen. Unentschieden Girard Manuel⁴ 76.

Die Epitome der Institutionen in zwei Büchern [508] scheint nach wahrscheinlicher Annahme (Dernburg a. a. O. 128f. Rudorff Rechtsgesch. I 11. Karlowa Rechtsgesch. I 980) dem Rechtsunterrichte an den Schulen der östlichen Hälfte des Reiches zugrunde gelegen zu haben. Iustinian sagt in der Const. Omnem § 1, daß bisher im ersten Studienjahre, wie man doch wohl ergänzen muß (anderer Meinung Krüger Quellen 349, 21) nihil aliud, nisi sex tantummodo libros et ipsos confusos et iura utilia in se perraro habentes a voce magistra studiosi accipiebant . . . in his autem sex libris Gai nostri institutiones et libri singulares quattuor connumerabantur. Danach wurden also von den Institutionen nur zwei Bücher interpretiert. Mommsen nimmt an, es seien die beiden ersten Bücher der Institutionen gewesen (Jahrb. d. gem. Rechts III 12 = Ges. Schr. II 35 n. 25); näher liegt aber die Vermutung, daß es der Auszug in zwei Büchern war (so auch Dernburg Gaius 129. Karlowa Rechtsgesch. I 1024. Pernice in Holtzendorff-Kohlers Rechtsenzyklopädie⁶ I 139. Voigt Rechtsgesch. III 139). Bei der Abfassung seiner Institutionen aber ging Iustinian auf das ursprüngliche, unverkürzte Werk seines geliebten G. zurück. Es bildete den Grundstock dieser neuen Einführungsschrift, die nunmehr dem juristischen Anfangsunterricht zu Grunde gelegt wurde, Const. Omnem vom 16. Dez. 533 § 2. Außerdem wurden 14 Fragmente aus den echten Institutionen in die Digesten aufgenommen (aufgezählt bei Lenel Palingenesie I p. 212). In unserer Zeit, wo die Iustinianische Kompilation durch das Bürgerliche Gesetzbuch aus ihrer dominierenden Stellung verdrängt ist, hat auch der G. wieder die Aufgabe übernommen, die Themisjünger in die Mysterien ihrer Wissenschaft einzuführen, wie es Huschke so schön ausdrückt, und wird sie noch lange behalten. Die romanistische Forschung aber ist durch die Wiederentdeckung der Institutionen in ungeahnter Weise belebt und befruchtet worden. Gewaltig an Zahl und Bedeutung waren die Aufschlüsse, die sich aus ihnen für das römische Privatrecht sowohl als besonders für den Zivilprozeß ergaben, und noch dürfte der köstliche Fund nicht völlig ausgebeutet sein.

Literatur. Außer den zahlreichen Darstellungen der römischen Rechtsgeschichte, von denen viele bereits in unserem Artikel erwähnt sind, sind besonders zu nennen: Krüger Geschichte der Quellen u. Literatur des römischen Rechts 1888, 183–191. 243–246. 313-315. Kipp Geschichte der Quellen des römischen Rechts², Leipz. 1903, 112–115. Elvers Promptuarium Gaianum (Wörterbuch), Göttingen 1824. Huschke Gaius, Beiträge zur Kritik und zum Verständnis seiner Institutionen, Leipz. 1855. Dernburg Die Institutionen des Gaius ein Collegienheft aus dem J. 161 n. Chr. Geb., Halle 1869. Kuntze Der Provinzialjurist Gaius wissenschaftlich abgeschätzt, Leipzig 1883. Glasson Étude sur Gaius, Paris 1888.