„Die Dichtung ist des Menschen
treugebliebene Freundin, so alt als die
Sprache und die Urgestalt von jeder
ursprünglichen lebendigen. Sie vermag
uns aus der gemeinen Umgebung in
eine schöne Welt zu entrücken, erregt
den heißen Wunsch, das Gute zur Herr-
schaft zu bringen, das Schöne überall
hin zu verpflanzen, das Wahre lebendig
darzustellen. Stärkung im Lebenskampf,
Labung im Leiden, Mitfreude im Mit-
fühlen der Anderen sind die schönsten
Geschenke.“
Friedrich Ludwig Jahn
im „Deutschen Volkstum“.1810.
[V] Die eigenartigen Umstände, unter welchen dies Büchlein entstanden ist, bedingen ein kurzes Vorwort.
Die hier zusammengestellten, sämtlich dem Leipziger Turnverein von seinem langjährigen Mitglied, Richard Cramer, gewidmeten Gelegenheitsdichtungen drohten durch die Länge der Zeit (sie sind gesungen vom Jahre 1868 – 1900) mehr und mehr zu fliegenden Blättern zu werden. Mir erschienen dieselben wegen ihrer Gedankentiefe und kraftvollen Eigenart, ihrer vollendeten Form und ihres Bilderreichtums, abgesehen von dem Wechselspiel heiligen Ernstes und schalkhaften Humors, für unsere Turnlitteratur zu wertvoll, um sie dem Verfall anheim zu geben. Aus diesem Grunde habe ich die arg Zerstreuten unter liebevoller Mithilfe einiger älterer Turngenossen, die, aus Vereinsinteresse und als Freunde der Dichtung, der eine dies, der andere das sorgsam aufbewahrt, fast alle wieder zusammengetragen.
Der Leipziger Turnverein wird auf diesen seinen Liederschatz, der ein wertvolles Gedenkblatt seiner Geschichte bildet und ihm ein rühmliches Zeugnis seiner Gesinnungstüchtigkeit ausstellt, stolz sein dürfen.
Es giebt nicht viele Pflanzen dieser Art im deutschen Dichterwalde; einen gleichduftenden Blumenstrauß auf dem Gebiete der Turnerpoesie aber, der einem Verein von einem Mann geschenkt worden ist, wüßte ich nicht. Daß ich mich nicht [VI] völlig in der Wertbemessung täusche, dafür bürgt schon der gute Klang des Namens des Verfassers, den derselbe durch sein sonstiges Schaffen auf dem Gebiete unserer Litteratur sich erworben hat. Hier in diesen Liedern hat sich Cramer als ein echter, deutscher Turner gezeigt, der, ein geistiger Fahnenträger, allzeit seinen Genossen voran, in Freud und Leid, in Sonnenschein wie Wetterschlag, den rechten Weg zu gehen wußte und die Saiten seiner Leier so zu schlagen verstand, daß die Treue zur deutschen Turnerei bei jeder festlichen Gelegenheit neu gekräftigt wurde und das Echo glühender Begeisterung tief in den Herzen aller seiner Turnbrüder nachhaltig erklang. So haben meine Vereinsbrüder, so habe ich gefühlt. Sollten die Herzen deutscher Turner außerhalb unseres Vereins, wo und wann auch immer diese Lieder von ihnen gelesen oder gesungen werden, einen anderen Schlag haben, sollte die Wirkung dieser Lieder eine andere sein können? Ich glaube es nicht!
So lasse ich denn diese Sammlung, die in erster Linie nur als eine nicht unwillkommene Gabe für die Mitglieder des Leipziger Turnvereins gedacht war, auch getrost weiter hinausziehen des Glaubens, daß ein Dichter, der mit solcher Kraft und mit solcher Schönheit vom Wert der deutschen Turnerei zu singen wußte, überall willkommen sein wird.
Gut Heil, ihr Lieder, auf eurem Weg!
Ostern 1901
Wilh. Achilles,