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Aus den Akten der Dresdner Goldschmiedeinnung

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Zur Beurteilung der Schlacht bei Dresden Aus den Akten der Dresdner Goldschmiedeinnung (1905) von Paul Moritz Rachel
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908)
Erinnerungen aus den Maitagen 1849
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[57]
Aus den Akten der Dresdner Goldschmiedeinnung.
Von Prof. Dr. Paul Moritz Rachel.
I.
Die Innungsartikel von 1542 bis 1645.

Im 16. Jahrhundert haben die Goldschmiedeinnungen der großen freien Reichsstädte Nürnberg, Augsburg und Straßburg ihre Glanzzeit gehabt. In das 17. Jahrhundert fällt wohl noch ein Nachschimmer; dann aber geht aus mancherlei Ursachen das Kunsthandwerk mit der Blüte und dem Ansehen der Städte zugleich zurück. Dagegen gewinnt gerade gegen das Ende des 17. Jahrhunderts die Gold- und Silberschmiedekunst in den Residenzen deutscher Landesfürsten durch diese selbst an Bedeutung. Dies gilt z. B. für Berlin wie für Dresden.

Die Geschichte der Berliner Goldschmiedezunft ist im Jahre 1895 für die Zeit von ihrem Entstehen bis 1800, von Friedrich Sarre verfaßt, erschienen; für das Bestehen und die Tätigkeit der Dresdner Goldschmiedeinnung gibt es verschiedene wertvolle Angaben in Schriften, Zeitschriftartikeln und Sammlungskatalogen; etwas Zusammenfassendes von einem Kunstverständigen liegt, so lohnend es wäre, nicht vor.

Ich möchte in Anknüpfung an die Akten des Rats- und Hauptstaatsarchivs und an Familienpapiere einiges über den Hofjuwelier Moritz Rachel in Dresden (1639–1697) und im Anschluß an ihn über seinen Schwiegersohn berichten, der kein Geringerer als Johann Melchior Dinglinger war. Ich flechte dabei mancherlei aus der Geschichte der Innung ein, was für die Geschichte und das Leben des alten Dresden nicht ohne Interesse ist.

Die erste Innungsordnung ist von den Dresdner Goldschmieden 1542 angestrebt und unter dem 26. April dieses Jahres vom Rate bestätigt worden. Die Grundlinien, die hierin gezogen werden, erhalten Erweiterungen und Änderungen in den 1556, 1598, 1607 auch vom Rate und in den 1645 vom Kurfürsten Johann Georg I. bestätigten neuen Artikeln[1]. Im Laufe der 100 Jahre wird vor allem bei Erlangung des Meisterrechtes eine Verlängerung der Arbeitsjahre der Gesellen, eine Vergünstigung für Meisterssöhne und in Innungsfamilien einheiratende Gesellen durchgesetzt. Fehlende Arbeitsjahre durften bis 1607 erkauft werden; die dadurch stärker werdende Meisterzahl riet, davon abzugehen. „Es werde den Hereinwollenden zu leicht gemacht; ihnen, die jetzt (1607) drin seien, werde es schon sehr schwer, ihr Stück Brot zu finden.“ Auch wird das Eintrittsgeld wesentlich erhöht, „damit wir künftig zu anderweit und desto mehrerer Erkaufung Getreidichts und Verschaffung anderer Notdurft etwas an Geld wieder in der Lade bekommen und haben möchten“. 1598 hatte es für Fremde 10 Taler, für Meisterssöhne 5 Taler betragen. Durch die Neuordnung von 1607 steigerte sich dies auf das Dreifache: 30 und 15 Taler. Während der Lehrjunge 1556 aufs wenigste 4 Jahre lernen sollte, dann aber als Ausgelernter unbeschränkt war, sollte [58] er nun erst noch ein Jahr bei seinem Meister arbeiten; tat er dies nicht und kehrte er später nach Dresden zurück, so hatte er, wollte er Meister werden, erst noch ein Jahr „nachzudienen“. Während 1542 und 1556 über die Zahl der Lehrlinge und der Gesellen eines Meisters nichts bestimmt wird, heißt es 1598 ausdrücklich: nur selbsechs dürfe der Meister arbeiten, mit 2 Lehrjungen und 3 Gesellen. Urban Schneeweiß, der zu den vom Kurfürsten bevorzugten Meistern gehörte, wurde jedoch zugestanden, selbacht zu arbeiten. Neu ist 1598 noch das Verbot, daß Handelsleute, außer bei Jahrmärkten und wenn fremde Herren die Herrschaft besuchen, nicht mit Silberwaren handeln dürfen. Die am 31. Januar 1607 vom Rate unterzeichnete Neuordnung, die 21 Meister unterschrieben haben, darunter drei aus der Familie Unter der Linden, ein Kellerthaler und Michael Ayrer, bringt als wichtigsten Zusatz eine soziale Verfügung: eine Begräbnisbestimmung.

Die Innungsartikel, die mit denen Nürnbergs und Augsburgs vielfache Verwandtschaft zeigen, waren sorglich und treffend ausgearbeitet, so daß sich 1635 die Goldschmiede von Schwabach, da sie von ihnen gehört hatten, eine Abschrift ausbaten.

Seit 1643 gingen die Dresdner Goldschmiede von neuem vor und erlangten zwei Jahre später etliche Änderungen. Das Wichtigste, was sie erstrebten, erhielten sie nicht bewilligt. Sie wollten schon damals 12lötiges Silber statt des bis dahin noch giltigen 13lötigen verarbeiten, da dies in anderen Ländern und Städten nachgesehen sei. Trotz der beigebrachten Zustimmungsschreiben der Goldschmiedeinnungen zu Freiberg, Leipzig und Torgau bewilligte es der Kurfürst nicht[2]. Erst viel später, im Jahre 1701, ist die Regierung nach umfassenden Anfragen und Erwägungen darauf eingegangen[3]. Es war um 1700 schon so zum Gebrauch geworden, höchstens 12lötiges Silber zu nehmen, ja vielfach noch darunter zu gehen, daß eine feste Ordnung dringend nötig war. Der Gegensatz der Anschauungen war groß. Während August der Starke am liebsten 13-, ja 14lötiges Silber angewendet gesehen hätte, bitten die Schneeberger Goldschmiede um Gestattung von 10lötigem. Das weitläufige Regierungsmandat vom 1. Februar 1701 hat dann vorläufig 12lötiges Silber bestimmt.

Die letzte Regelung und Bekräftigung erfuhren die Innungsartikel der Dresdner Gold- und Silberarbeiter durch Johann Georg I. am 23. Januar 1645[4]. Es sind ihrer 24, aus denen das Wichtigste herausgehoben sei: An der Spitze der Innung sollten stets vier Älteste (Art. 23) stehen, zwei, die das Amt schon einmal verwaltet hatten, einer von ihnen zum Oberältesten gewählt, und zwei, die für tüchtig und „genugsamb“ hierzu erkannt würden. Die Wahl fand auf der Hauptquartalversammlung, zu Trinitatis, statt; die anderen Versammlungen waren zu Crucis (14. September), zu Luciä (13. Dezember) und am Sonntag Reminiscere. Bei der Wahl sollte die Innung „von Punkten zu Punkten“ abgelesen werden. Zu den Versammlungen hatte jeder zur „beniembten“ Stunde zu kommen und mußte, wenn er unentschuldigt fehlte, 4 silberne Groschen Buße geben. In der Versammlung selbst sollte keiner den anderen Lügen strafen oder ihm mit „unzüchtigen“ Worten begegnen oder ihm sonst Schaden tun, bei Strafe. (Art. 21, 22.) Von den vier Ältesten sollten jährlich zwei als Zeichen- oder Schaumeister das Recht haben (Art. 11), das von den Goldschmieden verarbeitete Silber auf den Strich oder mit dem Stich zu bestechen, ob es 13lötig sei (Art. 8); wer sich der Probe weigerte, hatte 1 Gulden Buße zu zahlen; wessen Arbeit nicht probemäßig war, dem wurde sie zerschlagen; besserte er sie auch dann nicht, wurde sie „für ein falsch Silber genennet und dem Rate überantwortet“. Das Recht der Schaumeister erstreckte sich auch auf all das Silberwerk, das auf Jahrmärkten feil gehalten wurde. (Art. 17.) „Darnach die Arbeit ist und sich leiden will, sollen sie zeichnen mit dem Zeichen, so von dem Rat dazu verordnet ist“[5].

Doch nun zu einer Hauptfrage; wer durfte Meister werden? Es wurden außer der Lehrzeit 6 Jahre Gesellenarbeit bei einem oder zwei Meistern in Dresden und ein Mut- oder Warte- und Einwerbejahr, in dem das Meisterstück zu machen war, verlangt. Wer als Geselle Dresden verlassen und anderswo gearbeitet hatte, ohne sich bei einem ehrbaren Handwerk zuvor anzugeben, sollte nach seiner Rückkehr von neuem anheben zu dienen und zu arbeiten. Auch wer anderswo schon Meister gewesen war, sollte wie ein lediger Geselle gehalten werden. (Art. 1.) Hatte ein Meisterssohn nicht in Dresden gelernt, so sollte er, wenn er hier Meister werden wollte, 12 Lehr- und Gesellenjahre nachweisen, noch ein Jahr arbeiten und dann erst „muten“ dürfen. Diejenigen, die die Witwe oder die Tochter eines Mitgliedes heiraten wollten, sollten noch 3 Jahre dienen. (Art. 2.) Meisterswitwen durften [59] unter genauer Beobachtung aller Innungsgebote das Handwerk weiter treiben, die vorhandenen Lehrjungen, aber keine mehr, auslernen und zwei Gesellen halten. Freiten sie aus dem Handwerk, gingen sie aller Gerechtigkeit verlustig. (Art. 3.) Wer muten wollte, mußte 12 Jahre Lehr- und Wanderzeit bescheinigen, sowie Geburts- und Lehrbrief vorlegen, dabei auch zum ersten Quartal des Mutjahres 12 Groschen erlegen, dann dreimal 2 Groschen. Während der Mutzeit hatte er bei einem Goldschmied zu arbeiten. Da nur einer auf einmal zur Mutung zugelassen wurde, hatten Meisterssöhne und Einheirater den Vorrang.

Der längste Artikel ist nun dem Meisterstück, gleichsam dem Allerheiligsten, gewidmet. Hier ist die Übereinstimmung mit den Forderungen in anderen Städten sehr erklärlich. Eine Anlehnung der Dresdner Ordnung an die Nürnberger ist schon seit dem 16. Jahrhundert zu beobachten. Dresdner Gesellen wanderten dahin, Nürnberger kamen nach Dresden und ließen sich hier nieder. Allenthalben ist die Anfertigung von 3 Gegenständen gefordert worden: eine größere Silberschmiedearbeit, eine kleinere Gold- und Juwelierarbeit und das Stechen eines Siegels. Und so wird schon 1542 in Dresden „ein Trinkgeschirr, ein güldener Ring und ein Sigill mit Helm und Schild“ verlangt. 1556 heißt es nun vom Trinkgeschirr ausführlicher: „eine Eckeley-Blume[6], inwendig mit einer Spitzen laut einer Visierung (d. i. Zeichnung) aus freier Hand gemacht; ein güldenen Ring mit einem Stein, daran er einen Gulden verdienen kann, und darzu ein Siegel schneiden mit Schild und Helm“. 1645 noch deutlicher: „Soll er machen ein Trinkgeschirr wie eine Ackeley-Blume[6], inwendig mit einer Spitzen, die über das halbe Corpus (den eigentlichen Becher) reicht, das Corpus aus freier Hand geschlagen, und nichts daran gelötet und mit Deckel und Fuß sambt der Kleidung (d. i. das erhaben gearbeitete Außenkleid des Bechers) gleich des Handwerks Visierung machen und verfertigen“. Der Ring sollte mit einem Demant oder einem Rubin versetzt sein und „wohl 2 Taler“ zu verdienen geben.

Über den Umfang und die Schwere des Akeleibechers werden keine Vorschriften gemacht. Es sei daran erinnert, daß das Trinkgeschirr des Meisterstückes in Freiberg[7] „uf drei Mark am Gewichte und nicht mehr als drei Lot drüber oder drunter sei“. Die Berliner Innung verlangt 1597[8] einen Acaley-Becher mit 6 Possen (d. h. langen, spitzauslaufenden Zügen) und drei possichten Füßen von mindestens 36 Lot gut 13lötig Silber. 1635 erklären die Berliner Goldschmiede in einer Streitsache: für 32 Lot Silber und mit 24 Talern Unkosten sei dies Meisterstück herzustellen.

Wer sich einen Begriff von einem solchen Trinkbecher machen will, der lasse sich im Grünen Gewölbe den Innungspokal der Dresdner Goldschmiedeinnung (Silber- oder Buffetzimmer Nr. 156) und den vom Dresdner Meister Georg Mond um 1600 verfertigten hohen Pokal (ebenda Nr. 185[9]) eingehender zeigen. Die im Innern befindliche hohe sechskantige Spitze, die nach innen getrieben werden mußte, bot jedenfalls besondere technische Schwierigkeiten und wurde deshalb verlangt; ob dies auch später streng befolgt worden ist, steht dahin, denn es sind wohl nur diese zwei Dresdner Akeleibecher mit inwendigen Spitzen bekannt[10].

Diese drei Arbeiten – Becher, Ring, Siegel – hatte der Einwerber in eines Ältesten Laden in 13 Wochen ohne irgendwelche Hilfe anzufertigen, dem Meister „vor Kohlen und andere Sachen, so er darzu bedarf, die Zeit über, so lange er daran machet, wöchentlich einen halben Taler zu geben“. Die Innung hatte dann unter allerhand Sicherungen zu prüfen und ihre Entscheidung zu treffen. Wiederholung oder völliges Aufgeben der Sache war natürlich vorgesehen. (Art. 5.) Hatte der Einwerber bestanden und seine 30, bez. 15 Taler gezahlt, so wurde er als Meister aufgenommen. Die Festlichkeiten, die dabei stattfanden, gehen nicht aus den Artikeln, sondern aus den Jahresrechnungen der Innungsbücher[11] hervor.

Artikel 6 bestimmte die Annahme von nicht mehr als zwei Lehrjungen, die Gebühren, die Lehrzeit (wenigstens 5 Jahre) und eine etwa notwendig werdende Änderung der Lehre. Über die Pflichten des Meisters gegen den Jungen ist nichts zu lesen; dies war dem Lehrvertrag mit den Eltern überlassen. Die Artikel 7, 13 und 14 handeln vom Verhältnis zu den Gesellen. [60] Vor allem darf kein Meister dem anderen einen solchen „abspannen“. Aber er soll ihn auch nicht bevorzugen, daß er ihn etwa auf halbpart oder stückweise für sich arbeiten lasse oder ihm gestatte, zu Hause und auf eigene Rechnung Arbeit anzufertigen. Das Vergeben von Arbeit in fremde Städte war ebenso verboten. (Art. 15.) Dem Verbote gegen Handeln mit Silber- und Goldwaren durch Fremde wurde noch das Hausierverbot für die Innungsmitglieder selbst hinzugefügt. (Art. 16.)

Scharfe Bestimmungen (Art. 18, 19) sollen vor verborgenem Gold- und Silberverkauf, sowie Schmelzen, Treiben und Durchgießen gänzlich Unbefugter, wie auch gegen Störer und Pfuscher schützen. Man beruft sich auf einen kurfürstlichen Befehl an den Rat vom 10. April 1612, wonach solchen Leuten nicht nur die Arbeit, sondern auch das Werkzeug wegzunehmen sei. Sich selbst aber verpflichten sie durch etliche Bestimmungen (Art. 9, 10), Messing, das auf „göldische“ Weise verarbeitet sei (d. h. zu Geräten in Form von Goldgeräten) oder Silbermünzen nie zu vergolden und nie Glas oder mailändische Dubletten (d. h. nachgemachte Edelsteine) wie in Gold zu versetzen (d. h. zu fassen). Hierauf stand Verlust des Handwerks.

Artikel 20 behandelt eine wichtige polizeiliche Maßregel: kein Meister durfte verdächtige Wertgegenstände, die ihm zum Kauf angeboten wurden, kaufen, ohne vom Bringer einen „Wehrmann“ (d. i. Gewährsmann) zu verlangen. Konnte ein solcher nicht erbracht werden, so war der Verdächtige unter Beihilfe zweier anderer Meister samt seinem Wertgegenstande dem Rate zu überantworten. Da bei dem stetig anwachsenden Silbervorrate am Hofe fast bei allen größeren Festen Silbergerät gestohlen wurde, so entwickelte sich schon im 17. Jahrhundert ein ganz bestimmter Ansage- und Warnungsdienst, den die Ältesten zu vermitteln hatten. Den dadurch erwachsenden Botenkosten standen Belohnungen gegenüber, die für Ausfindigmachen des Diebes oder des gestohlenen Gutes vom Hofe geleistet wurden[12].

Die Begräbnisordnung (Art. 24) verlangte nur kurz das Erscheinen jedes Mitgliedes im Trauerhause und in der Kirche, aber nicht bloß beim Tode eines Meisters, „seiner Frau oder seines Kindes, sondern auch, wenn ein Geselle, Junge oder Magd oder was an desselben Brot ißt, versterben wird“. Wer sich dabei nicht „mit ehehafter (d. i. zwingender) Not entschuldigen kann und außen bleibt“, hatte Strafe zu zahlen. Dieser Teil der Innungsbestimmungen ist durch Beschlüsse auf den Quartalsversammlungen später noch ganz besonders ausgebildet worden. Eine Begräbniskasse entstand; man sorgte für würdige, zum Teil durch die angebrachten silbernen Sonnen und die reichen silbernen Fransen und Quasten sehr kostbare Leichentücher[13]. Auf dem Johannisfriedhof wurden an einer der Seitenmauern nach und nach etliche Schwibbögen gekauft zur Errichtung und Erweiterung einer Grabstätte von Innungsmitgliedern. Auf diesem Friedhofe wurden Moritz Rachel jun., Joh. Melchior Dinglinger u. a. begraben. 1824 wurde eine neue Grabstätte auf dem Eliasfriedhofe erstanden, die sich über 5 Schwibbögen erstreckt. Das Getrümmer der gänzlich verfallenen Anlage erblickt man noch heute von der Mitte der Ostwand nach Norden zu.


Ein Rückblick auf all diese Bestimmungen zeigt, daß die Zunftmitglieder in peinlicher und sorglicher Weise sich in ihrem Nahrungsstande zu schützen gesucht haben. Die eigentliche Pflege und Förderung des Handwerkes selbst zur Erreichung einer höheren Stufe der Entwickelung lag außer dem Gesichtskreis. Die Bevorzugung der Söhne und Einheirater würde als selbstsüchtige Maßregel nur unangenehm berühren, wenn man außer acht ließe, daß zum Teil gerade dadurch mittelbar auf die Pflege und die Verbesserung des Handwerkes hingearbeitet worden ist. Das junge Geschlecht sollte mit lebhafter Teilnahme im Handwerk gleichsam heranwachsen, frühzeitig sich der guten, alten Überlieferungen bemächtigen und dadurch vielleicht noch über die Errungenschaften der Vergangenheit hinauswachsen. Die technische Fertigkeit, die Größe der Leistung ist dadurch sicher gefördert worden.

Die im 16. Jahrhundert fester zusammengetretenen Dresdner Goldschmiede erlebten unter Kurfürst August, den beiden Christianen und zum Teil auch unter Johann Georg I. eine gute Zeit. Des sind Zeugen die Kunstwerke, die von einzelnen unter ihnen stammen und im Grünen Gewölbe aufbewahrt werden. Ich will hier nur an die Taufschüssel und das Rosenwasserbecken Daniel Kellerthalers erinnern; das letztere gehört mit zu dem Schönsten, was in der Zeit deutscher Renaissancekunst in Edelmetall geschaffen worden ist. (Silber- und Buffetzimmer Nr. 34 und 57.)

Das sich steigernde Ansehen der Goldschmiede in der Stadt zeigt sich in jener Zeit auch darin, daß zwischen 1609 und 1643 vier Meister in den Rat gewählt wurden: 1609 Gabriel Gipfel, ein geborener Nürnbürger; [61] 1626 Heinrich Peißker; 1633 Abraham Schwedler; 1643 Paul Zincke[14].

Als nach dem Ende des 30jährigen Krieges lange Jahre Friede im Lande herrschte und die Kurfürsten sich die Vermehrung ihrer Kunst- und ihrer Silberkammer angelegen sein ließen, folgte eine zweite Glanzzeit für die Dresdner Goldschmiede. Johann Georg II. sorgte dafür, daß stets ein bedeutender Vorrat von kostbaren Gold-, Silber- und Juwelierarbeiten vorhanden war, aus dem er den Mitgliedern des Kurfürstlichen Hauses, ausgezeichneten Dienern, vornehmen Gästen usw. reichlich schenkte[15]. Johann Georg III. führte den neuen, aus Frankreich stammenden Geschmack in Ziersachen ein; auf seinen ältesten Sohn Johann Georg IV., der in der kurzen Zeit seiner Regierung viel anschaffte, folgten August der Starke und August III. Damit kam für die Dresdner Goldschmiede die glanzvollste Zeit.

1573 hatte es 19 Meister gegeben, 1607 21; 1676 39; 1697 59; 1727 waren es 92; 1756 123; 1760 105; für die späteren Jahre fehlen die Angaben; aber aus einem gesonderten Rezeptionsbuche geht hervor, daß nach 1768 nur ganz wenig neue Meister eintraten[16].

Es geht hieraus deutlich hervor, daß der fürstliche Absolutismus die Wunden, die der 30jährige Krieg allenthalben geschlagen hatte, für dieses dem feineren Lebensgenusse dienende Handwerk bald wieder heilte, daß dagegen der siebenjährige Krieg und die ganz andere Art, in der die Fürsten des aufgeklärten Zeitalters die Regierung handhabten, dem Entwickeln des Luxusgewerbes schadeten. Für Dresden waren die Beschießungen 1758 und 1760 ganz besonders verhängnisvoll. Hatten doch 1760 von 105 Innungsmitgliedern 39 im Brande der Stadt ihr Hab und Gut verloren[17]. Das Vermögen der Innung war in der Zeit von 1614 bis 1737 von 192 Gulden auf 2048 Taler gestiegen; im zuletztgenannten Jahre hatte sie in der Lade bar 1003 Taler (in französischen Louisdors, in spanischen Pistoletten und in Dukaten). 1777 waren dagegen die Kassenverhältnisse so, daß oft Aushilfe nötig war[18]. Außerdem fehlten in der protestantischen Stadt Dresden die für andere Plätze, wie z. B. für Augsburg, auch noch im 18. Jahrhunderte sehr wichtigen Aufträge für Kirchensilber fast gänzlich.

II.
Aus der Blütezeit der Innung vor und nach 1700. Die Hofjuweliere Moritz Rachel und Johann Melchior Dinglinger.

Auf dem hier gegebenen Hintergrunde möchte ich von dem Leben und Wirken eines meiner Vorfahren, eines Dresdner Goldschmiedes aus dem 17. Jahrhundert, einiges berichten und das, was die Innungsbücher der Goldschmiede zum Leben Johann Melchior Dinglingers enthalten, hinzufügen. Wenn dazu noch etliche Angaben über das Leben in der Innung selbst hinzukommen, so erweckt dies bei manchem jetzt lebenden Dresdner gewiß Teilnahme.

Unter den Hofgoldschmieden des 17. Jahrhunderts hat einen angesehenen Stand Moritz Rachel eingenommen, über dessen Lebensgang und Wirksamkeit eine umfangreiche Leichenpredigt mit Lebenslauf[19] und Akten des Hauptstaatsarchivs berichten.

Moritz Rachel, geboren am 16. Juni 1639 zu Kiel, gehörte der damals in Schleswig-Holstein und Mecklenburg weit verbreiteten Familie Rachel an, aus der als bekannteste der Schulmann und Satirendichter Joachim Rachel (1618–1669) und der Prof. jur. Samuel Rachel (1628–1691) zu nennen wären. Der Vorname Moritz kommt nach Jöchers Gelehrtenlexikon in dieser Familie sehr häufig vor. Die Väter Joachims und Samuels hießen Moritz; 1677 starb ein Pastor und gekrönter kaiserlicher Poet Moritz Rachel; auch des zu Kiel gebornen Moritz Vater, ein Goldschmied, trug diesen Vornamen. Nachdem der Sohn bei seinem Vater die Goldschmiedekunst erlernt hatte, begab er sich zu Michaelis 1657 auf die Wanderschaft. Er arbeitete bis Ostern 1658 in Hamburg, dann ein Jahr bei Nikolaus Weißhun in Dresden[20]. „Weiln Er nun sich auch in frembden Landen umbzusehn Beliebung getragen“, hat er sich nach Prag, Nürnberg, Augsburg, München, Ulm und Straßburg begeben. Von da zog er den Rhein abwärts nach Mainz und Holland. Hier sah er sich drei Monate lang alle vornehmen Städte an, bestieg ein Schiff und fuhr nach Frankreich. In Paris, wo er zu Martini 1659 eintraf, blieb er anderthalb Jahre und „exerzierte sich“ in seiner Kunst. Im Sommer 1661 reiste er nach England. Während er da einige Wochen „stille lag“, traf ihn die Nachricht, daß sein Vater am 14. Juli gestorben war. Er kehrte auf den Wunsch seiner Mutter nach Kiel zurück, konnte sich aber, da die Stadt durch die dänisch-schwedischen Kriege sehr gelitten hatte, nicht entschließen, das väterliche [62] Geschäft fortzuführen. Er begab sich vielmehr nach Dresden, wo er zu Johannis 1664 eintraf. Er trat bei Herrn Matthäus Arnold, dem Hofjuwelier und Goldarbeiter der 1656 verwitweten Kurfürstin Magdalene Sibylle, in Arbeit. Diese hatte am 25. September 1656 den aus Pirna gebürtigen und „sonst im Polischen Lißen“ (Lissa?) wohnhaften Goldschmied zu ihrem Goldarbeiter angenommen. Er war dabei verpflichtet worden[21], „was wir ihme an Gold und Edelsteinen anvertrauen, bestelltermaßen zu verfertigen, ohne jeden Abgang, Auswechselung der Steine, der Wage nach, wie es ihm geliefert, wieder auszuantworten“.

Nachdem Rachel ein reichliches Jahr bei Matthäus Arnold gearbeitet hatte, starb dieser. (30. Nov. 1665.) Der Witwe war gestattet, das Handwerk weiter zu treiben; Rachel stand ihrem Laden („sonder Ruhm zu gedenken“) treulich vor. Er wurde unter dem 6. Oktober 1666 vom Kurfürsten Johann Georg II. „bei unseres freundlichen geliebten Herrn Sohns, des Churprinzens, Hofstatt als dero Hof-Goldschmied in unsere Dienste angenommen und bestallet“[22].

Eine solche Ernennung hob den betreffenden Handwerker aus der Reihe der Berufsgenossen heraus, brachte ihm manche Erleichterung, gliederte ihn aber in die Reihe der Hofbediensteten ein. Seine Verpflichtung war eine ganz besonders umständliche: „Daß Uns er getreu, hold und dienstgewärtig sein, Unsere Ehre, Nutz und Wohlfahrt fördern, Schimpf, Schaden und Nachteil aber warnen, wenden und vorkommen, insonderheit aber schuldig sein soll, alle und jede Hof-Gold-Arbeit umb ein billig Lohn, wessen man sich mit ihme vergleichen wird, tüchtig und beständig zu verfertigen und mit allem, was ihm unter Hand gegeben wird, allerdings getreulich und ohne einige Vervorteilung umbgehen, auch sonsten alles andere tun, was einem getreuen Diener gegen seinen Herrn und Landesfürsten eignet und gebühret; welches er also versprochen und zugesagt, darüber einen leiblichen Eid geschworen und deßwegen einen schriftlichen Revers von sich gestellet hat. Hingegen und anstatt der Besoldung soll er befugt sein, gleich anderen Stadt-Goldschmieden (jedoch ohne Fertigung des Meisterstückes) jedermänniglichen zu arbeiten, Gesellen zu fördern und Jungen zu lernen und do ihme von Jemanden hierinnen Einhalt und Hinderung geschehen sollte, wollen wir ihn auf sein unterthänigstes Anmelden in Schutz nehmen“.

Wahrscheinlich ist er sehr bald in die Innung eingetreten. Mit Einwilligung beider Frauen Mütter vermählte er sich am 26. November 1667 mit der Witwe des Matthäus Arnold, Frau Marie Elisabeth, geb. von der Perre[23]. In 30jähriger Ehe lebte er glücklich mit ihr, die ihm 9 Kinder, 4 Söhne und 5 Töchter, schenkte. Bei seinem Tode waren sein ältester Sohn Moritz, wie auch sein Schwiegersohn Johann Melchior Dinglinger Goldarbeiter „bei Ihrer Königl. Majestät in Polen“, ein zweiter Sohn Christian lebte als Goldarbeiter in Holland, ein dritter, Heinrich, als Handelsbedienter in Augsburg[24]; nur der vierte, Johann Friedrich, auch ein Goldarbeiter, konnte ihm das Geleite geben. Zwei Töchter, Maria Elisabeth und Anna Dorothea, waren mit Goldschmieden verheiratet; jene mit Gottfried Döring, den Erbstein (Grünes Gewölbe S. 34) einen hervorragenden Meister und daher Mitarbeiter Dinglingers nennt; diese mit Dinglinger selbst. Zwei andere Töchter, Marie Magdalene und Johanna Sophie hatten „fürnehme“ Handelsleute, Samuel Rudolph Kranichfeld und Carl Andreas Heyße, zu Männern[25]; die fünfte Tochter Catharina Hedwig war noch ledig. Das ihr zugehörige Heft mit dem Bilde des Vaters, mit der Leichenpredigt usw., worein sie ihren Namen geschrieben, ist als einzigstes übrig geblieben. Da nun auch Moritz Rachels Mutter und Bruder, sowie eine Schwester mit nach Sachsen gezogen waren, erscheint er als Haupt und als Mittelpunkt einer großen Familie, in der mit ihm noch 4 Männer das Goldschmiedehandwerk betrieben.

Sein Ansehen in Dresden ist seinerzeit mehr und mehr gewachsen. Dafür spricht auch, daß im Jahre 1679 M. Salomon Liscov, kaiserl. Poet und Pfarrer zu Wurzen, ein Buß-, Beicht- und Kommunion-Büchlein, „Bittere Thränen und Süße Trost-Quelle“ betitelt, ihm und seiner Gattin gewidmet hat[26]. Liscov, der als junger Mensch die Kreuzschule besucht und vielleicht in Rachels Hause verkehrt hatte, mag in dieser Widmung seinen Dank für ihm erwiesene Güte ausgesprochen haben. Er ist nachmals als Dichter des Kirchenliedes „Schatz über alle Schätze“ nicht unbekannt geblieben.

Der Wohlstand Moritz Rachels muß auch mehr und mehr gewachsen sein, denn 1676 kaufte er von der Witwe Friedrich Severin Berlichs auf der damaligen Schloßgasse das jetzt der Familie Guthmann [63] gehörige Haus Nr. 18[27]. Die beim Umbaue des Hauses 1899 unter den fortgeschlagenen Putzdecken vorgefundenen Malereien, von denen C. Gurlitt (die Kunstdenkmäler Dresdens S. 659) eine Probe gibt, sprechen ebenso für eine behagliche Lebensführung wie für den Kunstgeschmack des Besitzers. Auch scheint er das Haus, das Dinglinger auf der Frauengasse später bewohnte und in eigenartiger Weise ausbaute und ausstattete, nach Angaben der Hausbesitzerliste auf dem Ratsarchiv 1696 vorübergehend besessen zu haben. Ein hohes Alter war Rachel nicht beschieden.

Er starb am 1. September 1697 und wurde am 12. September auf dem alten Frauenkirchhofe zur Erde bestattet[28]. „Bluts- und Mutsfreunde“ zu Leipzig dichteten 4 Leichencarmina, in denen der gute Mensch, der treue Freund gepriesen wird. M. Seebisch aber hielt ihm in der alten Frauenkirche eine sehr gelehrte Leichenpredigt, die er auf Begehren drucken ließ.

Wenn man die Spuren seiner Arbeit als Goldschmied verfolgt, so findet man ihn unter den bedeutendsten Handwerkern, die für die Kunstkammer Stücke geschaffen haben, nicht genannt. Wohl aber geht aus Akten des Hauptstaatsarchives[29] hervor, daß er, namentlich in den Jahren 1679–1681, an den Hof viel geliefert hat. Mehrmals waren es „Contrefayt Büchßen mit einer Chur-Mütze mit schönen rautichten Diamanten besetzt“ zu 640, 300, 220, 160 Talern, also Dosen mit dem Bildnisse Johann Georgs II., das mit 5 Talern 15 Gr. besonders verrechnet wurde. Ferner: Diamantringe zu 530 oder 480 Talern, die der Kurprinz und dessen Gemahlin zu Weihnachten 1619[WS 1] erhielten; ein Bruststück mit einer Krone von Diamantrosen zu 100 Talern. 1681 lieferte er im Auftrage Johann Georgs III. für dessen Mutter „zum heiligen Christ“ 2 silberne getriebene Wandleuchter für 700 Taler. Der Kreis der zu Beschenkenden erweiterte sich damals von Jahr zu Jahr; außer der Familie, den Verwandten, den Hofbeamten und Gesandten wurden Prediger, Leibmedici, Universitätsprofessoren, Rektoren bedacht. Dutzende von „Knopfbechern“ wurden ihnen und bei Hochzeiten der Honoratiorentöchter gespendet. So erhielt der Durchl. Churfürstin Kammer-Möhrin Anna Isabella einen silbernen Tischbecher, Leibmedicus Schilling 1680 eine „ziergoldte Suppenschaale“ für sein „Tractätlein von der Pest“. Johann Georg III. ließ bei seinem Regierungsantritt 1680 zu „Hochzeit-, Gevatter- und andere Präsente“ 30 000 Taler auswerfen.

Als er 1685 mit dem Großen Kurfürsten über eine Reichshilfe gegen Frankreich eifrig Verhandlung pflog, hatte er am brandenburgischen Hofe Geschenke auszuteilen. Mit der Beschaffung der Ringe beauftragte er diesmal kurfürstlich brandenburgische Hofjuwelenhändler in Potsdam, die Hofjuden Jeremias Herz und Jos. Liebmann.

An den ganz bedeutenden Silberankäufen, die Johann Georg III. und IV. teils in Dresden, teils in Leipzig und Augsburg vornehmen ließen, war Rachel jedenfalls auch beteiligt, denn 1699 wird, als bei zu erwartender Ankunft Augusts des Starken aus Polen Erneuerungen nötig sind, auch Rachel’sches Silber zum Neuvergolden bestimmt, und zwar ein Teller, ein Löffel, ein Salzfaß[30].

Als 1693 in Freiberg die Durchreise Herzog Friedrich Augusts mit seiner jungvermählten Frau von Baireuth her bevorstand, sendete Rachel dem Rate ein Schmuckkästchen und zwei Paar silberne Wandleuchter als Geschenke zur Auswahl. Der Rat wählte die Wandleuchter im Werte von 600 Talern[31]. Die Notiz, daß diese Leuchter, 42 Mark 15 Lot haltend, Augsburger Arbeit gewesen, zeigt, daß Rachel bei den größeren Lieferungen mehr als Händler, denn als Kunsthandwerker auftritt. Damit hängt gewiß auch sein sich schnell hebender Wohlstand zusammen. Zu der Lieferung nach Freiberg eignete er sich besonders gut, denn er war – worüber genauere Aufzeichnungen fehlen – der Lieferant Friedrich Augusts, des nachmaligen Polenkönigs, für dessen neu gebildeten Hofstaat und vor allem für das Beilager geworden. Ehe ihm die dabei auflaufenden Kaufgelder gegeben werden konnten, ist er gestorben. Der Herzog und spätere Kurfürst-König schuldete ihm und seinen Erben 1697 noch 4600 Taler „vor Jubelen und Silber, so bei denen damaligen herzoglichen Zeiten und zum Beilager geliefert wurden“[32].

In der Innung der Goldschmiede hat Rachel das Amt eines Oberältesten 1685–1688 und noch einmal [64] 1696–1697 bekleidet. 1688 wurde, vielleicht auf seine Anregung hin, das „alte Innungsbuch“ gebunden, eine sehr nötige Sache, „da ein Blatt da, ein ander dort gelegen“. Er schlug 1688 vor, den Überschuß der Accisgelder, die unter den Meistern zur Bestreitung der Fixaccise der Innung (ein Pauschale) aufgebracht wurden, bis zu einem Kapital von 300 Talern aufzuspeichern; doch waren bis 1717 nur 32 Taler zusammen gekommen, die man dazu gebrauchte, Schulden der Innung an die Generalaccise abzustoßen. 1691 hat Rachel in den damals üblichen Streitigkeiten der Innung gegen Störer, besonders die Juden, mitgewirkt.

Von seiner äußeren Erscheinung geben zwei Bilder einen Begriff; ein Miniaturbild in Deckfarben, nach der Inschrift aus dem Jahre 1694, und ein Schabkunstblatt, nach seinem Tode gefertigt[33]. Letzteres ist von dem zu Augsburg geborenen Hofkupferstecher Moritz Bodenehr, der hauptsächlich in Dresden lebend († 1749) wohl an 100 Bildnisse gestochen hat.

Von seinen 3 Söhnen, die Goldschmiede wurden, hat er einen nachweislich selbst in der Lehre gehabt. Der älteste, Moritz Rachel, arbeitete zunächst bei der Witwe, wurde 1699 Meister, starb aber schon 1717. Einer seiner Gesellen, Gottfried Döring, der 1686 Meister geworden war und eine Tochter Rachels heiratete, ist 1705 Oberältester der Innung gewesen und hat sich, wie oben schon erwähnt wurde, einen ehrenvollen Platz unter den Innungsgenossen als Künstler errungen. Bedeutender aber wurde sein zweiter Schwiegersohn Johann Melchior Dinglinger aus Biberach.

C. Clauß hat in seinem Artikel über diesen Mann (Allgem. Deutsche Biographie Bd. 5) angegeben, er sei 1693 in die Innung der Dresdner Goldschmiede aufgenommen worden; unentschieden sei es aber, ob er von August dem Starken, der ihn auf seinen Reisen kennen gelernt habe, veranlaßt worden sei, sich in Dresden niederzulassen, oder ob er, wie andere sagen, durch die Liebe zu der schönen Tochter eines Innungsgenossen an die Elbstadt gefesselt worden sei. J. L. Sponsel bezeichnet in seinem 1905 erschienenen Buche: Johann Melchior Dinglinger und seine Werke (S. 7, S. 65 Anm. 3) die Angabe, daß dieser 1693 Dresdner Meister geworden sei, als wahrscheinlich, aber nicht als quellenmäßig erwiesen; die zweite Frage, wodurch Dinglinger gerade an Dresden gefesselt worden sei, läßt er unentschieden.

Daß Dinglinger 1693 Meisterrecht erworben hat, läßt sich durch die Innungsbücher[34] der Goldschmiede nachweisen. Daß er in derselben Zeit eine Meisterstochter und zwar eine Tochter Moritz Rachels geheiratet hat, besagen auch das Innungsbuch und unsere Familienpapiere. Daß er aus Liebe zu dem Mädchen hier geblieben ist, wird dadurch noch nicht erwiesen; er hatte, als er in die Innung eintrat, schon einige Zeit in Dresden gelebt und gearbeitet und durch seine Tätigkeit außerhalb der Innung deren Unwillen erregt. Daß er durch Herzog Friedrich August vor 1693 veranlaßt worden sei, sich in Dresden niederzulassen, ist wohl nicht mehr haltbar. Denn hätte der junge Fürst dies getan, so würde er „in herzoglichen Zeiten“ und bei seinem Beilager Dinglinger und nicht bloß Rachel mit Lieferungen beauftragt haben.

Wie schon Marc Rosenberg[35] kurz angedeutet hat, ist der Verkehr zwischen der Dresdner Innung und dem berühmtesten ihrer Mitglieder zunächst kein angenehmer gewesen. Nach den Akten hat sich dies so verhalten[36]: Am 21. Januar 1693 bat die Innung beim Rate dringend um „hülfliche Hand gegen die unterschiedliche Goldschmiede alhier, die sich außer unsrer Innung aufhalten, so sich teils auf kurf. Freiheiten berufen, teils aber als Gesellen, deren etliche kaum aus den Lehrjahren sein, vor sich leben und ohne Scheu arbeiten“. Dazu gab sie eine „Spezifikation“ solcher Leute: 20 werden genannt, dazu noch einige, die, obwohl sie Schlosser, Perückenmacher, Posaunenmacher, Riemer, Soldaten sind, mit Gold und Silberwaren handeln; Juden sind dabei nicht vergessen. Von den 20 leben 12 vor den Toren, einer in Alt-Dresden (Neustadt), 1 in der jetzigen Altstadt. Einer, Johann Jacob Ehrhardt auf der Schloßgasse, wird als im Besitze kurf. Freiheiten genannt. Ihm zunächst, aber ohne diesen Vermerk, erscheint „Herr Melchior Dielinger sambt zweien Brüdern, in der Frau D. Lehmannin Hause“[37]. Hier arbeitete er, zunächst noch ohne kurfürstliche Vergünstigung, mit den nachmals auch berühmt gewordenen Brüdern, dem Emailleur Georg Friedrich und dem Juwelier Georg Christoph Dinglinger[38].

Der Rat forderte alle Bezichtigten durch einen Umlaufzettel zu einem am 10. Februar abzuhaltenden Termine auf. Bei Dinglingers Namen steht der Vermerk: „M. Dielinger nebst seinen bei sich habenden zweien Brüdern hat dieses Patent nicht unterschreiben wollen, in Termino aber will er sich schon angeben“. Er ist aber weder am 10. Februar, noch an einem [65] zweiten Termin (21. März) erschienen; die dazu kamen, brachten allerhand Ausreden. Unter dem 3. Mai 1693 wiederholte die Innung ihr dringliches Ansuchen beim Rat: „sie selbst müßten mit den armen Ihrigen schon ziemlich crepieren“. Der Rat erließ am 27. Mai ein neues Patent; bei M. „Dielingers“ und seiner Brüder Namen ist diesmal hinzugefügt: „Diesen haben die Goldschmiede dieses Patent nicht wollen insinuieren lassen“. Dinglinger hatte also mittlerweile die Absicht ausgesprochen, in die Innung zu treten und eines Meisters Tochter zu heiraten. Seine Brüder sind nicht beigetreten, aber auch nicht weiter behelligt worden. Sie galten als bei ihm arbeitend, wie es ja auch der Fall war. Vor Trinitatis (17. Mai) 1693 hat Dinglinger 12 Taler für die Mutzeit gezahlt, vor dem Quartal Crucis (14. September) – also schneller als üblich – desselben Jahres 12 Taler für Besichtigung des Meisterstückes. Daraufhin wurde er gegen Zahlung von 15 Talern (statt 30) „weil er eine Goldschmieds-Tochter heiratet“, von 20 Talern für das Meisteressen, von 2 Talern Beitrag zum Korn[39] und Leichentuch Meister und bald darauf Bürger der Stadt. In der Zeit von 1693–1697 wird sein Name im Innungsbuch andauernd verschieden, aber immer falsch geschrieben: Dielinger, Dillinger, Tillinger, Dimling, Dinlinger. Erst seit 1697 begegnet man regelmäßig der üblich gewordenen Schreibweise: Dinglinger[40]. Sein Eintritt erfolgte zu einer Zeit, da es dem Kunsthandwerker trotz seiner Klagen recht gut ging. 1692 wird im Innungsinventar zum ersten Mal ein silbernes Innungssiegel aufgeführt. 1695 wurde das Meisterstück des auf Dinglinger folgenden neuen Meisters Michael Ayrer für mehr als 100 Taler angekauft: Es war „1 güldenes Uhr-Gehäuse, wiegt 10 Kronen, zu welchen 1½ Karat Diamanten sein“. 1713 schloß man einen neuen Kauf ab: „Und dieweil schon vor geraumer Zeit von unsrer Innung beschlossen worden, vor dieselbe ein sauberes silbernes Kruzifix anzuschaffen, sich auch endlich eins gefunden, als hat man solches in Gottes Namen behandelt und bezahlet mit 100 Talern 20 Groschen“. Es war von 13lötigem Silber gefertigt und wog 6 Mark 9 Lot.

Von dem Meisterstück Dinglingers ist nichts bekannt. Nach dem 5. Innungsartikel hätte das Hauptstück ein Akeleibecher sein müssen. Es ist aber wohl anzunehmen, daß infolge veränderten Geschmackes ein anderes Gerät von ihm aufgewiesen worden ist. Hat doch auch der nächste Meister, wie oben erwähnt, ein Uhrgehäuse mit Diamanten besetzt angefertigt. Nach einer Notiz in den Gold- und Silberkäufen des Hofes 1679 kam ein solches Gehäuse auf 130 Taler zu stehen. Es wird lange als im Besitz der Innung in den Inventarien geführt; 1787 erscheint es nicht mehr, ist also wahrscheinlich in bedrängter Zeit verkauft worden.

In den Innungsbestimmungen war, wie 1749[41] ausdrücklich angegeben wird, Verschiedenes anders eingerichtet worden. In Berlin hatte 1735 das General-Privilegium Friedrich Wilhelms I. ausdrücklich kostbare Meisterstücke verboten, dafür solche, „so Kaufmannsgut seien und wozu sich Abnehmer fänden“ z. B. Teekessel mit einer Lampe, Terrinen, Kaffee- oder Teekannen[42] anempfohlen. In Nürnberg hat zum ersten Male 1758 einer ein „selbstbeliebiges“ Meisterstück gemacht[43]. In Dresden läßt sich die völlige Freiheit in der Wahl des Hauptgegenstandes nach den Akten erst im 19. Jahrhundert verfolgen[44]. Hier werden Armbänder, Broschen, Pokale, Kannen, Stirnbänder genannt. Allerdings gab es in dieser Zeit eine theoretische Prüfung im Zeichnen, in Edelsteinkunde, in Chemie und in Berechnung von Legierungen[45].

Hatte man „bei Herrn Tillingers aufzuweisenden Meisterstück“ für 7 Taler 18 Groschen Wein getrunken, so ist, als er Meister geworden war, gewiß fröhlich gespeist worden. Das silberne Geräte, das die Innung in jener Zeit hatte, war weder an Zahl noch an Gewicht reich. Erst 1722 hat man es auf Anraten der Innungsverwandten ändern und „ummachen“ lassen. Es waren dies 4 Potagelöffel, 4 Messer- und 4 Gabelhefte (oder Hauben) gewogen 4 Mark 15 Lot, die Mark zu 10 Talern 16 Groschen (= 53 Taler alles). Auch der Schatz an Zinn war nicht reich und ums Jahr 1722 so veraltet, daß man ihn, „von den Herrn Assessoribus (d. i. den Ratsdeputierten) vorlängst schon [66] oft dahin beraten“, umgießen und ergänzen ließ. Er bestand nun aus 72 Tellern, 12 Leuchtern (zu 12 Groschen), 8 Salzfäßchen, 12 neuen, mit Zinn beschlagenen Krügen (zu 18 Groschen). Alles wurde mit gewisser Schrift und Nummern gezeichnet und gestochen, weil sehr oft ein oder das andere Stück auf dem Quartalsessen im Breihanhause auf der Breiten Gasse „verloren“ ging. Auch auf diesen festlichen Zusammenkünften ist seit dem Anfange des 18. Jahrhunderts, als Einkünfte und Vermögen der Innung stiegen, mehr aufgegangen. Während bis 1704 nur kalt gespeist worden war, schmauste man von da an mehrere warme „Trachten“, als: gedämpftes Rindfleisch, Hechte mit einer Sardellenbrühe oder in Essig gesottene Aale, Forellen, Kälber- oder Schöps- oder Lämmerbraten, Hirsch, Wildpret mit „Pfeffergürkgen“. Allerhand Gebackenes, als „Zucker-Sträubel und Schüssel-Tortgen“, machte den Schluß. Über 100 Kannen Weines und 50 Kannen Bieres sollten den Durst der etwa 100 Gäste löschen. Es wurde darauf gesehen, daß jeder „ein recht Stück bekompt, wie sie es verlangen“. Dabei mußten etliche Trachten in die Häuser geschickt werden, als dem Herrn Beisitzer seiner Liebsten, dem Bauschreiber, der Frau Oberältesten (Trinitatis 1739). Nach 1705 kommt es häufiger vor, daß der Herr Ratsdeputierte in einer der seit jener Zeit in städtischer Verwaltung stehenden Portechaisen von Hause geholt und nach Hause gebracht wird. 1719 werden zum ersten Male 4 Groschen „vor Rosen und andere Blumen“ beim Innungsessen verrechnet. In Berlin machte Friedrich Wilhelm I. 1736 allen größeren Schmausereien der Goldschmiede durch Verbot ein Ende. In Dresden hörten sie nach dem siebenjährigen Kriege infolge der „nahrlosen“ Zeiten von selbst auf. Heißt es doch 1765 in einem Schreiben der Innung an den Rat, daß mehr als die Hälfte nichts zu tun hätte, und es wäre nicht zu wundern, „wenn ihnen und denen armen Ihrigen vor heißen Hunger der Rauch zum Halse herausginge!“[46].

Das Anwachsen der einzelnen Besitztümer der Innung läßt sich nach den Inventarien der Innungsbücher gut verfolgen. Bis über die Mitte des 17. Jahrhunderts hinaus überwiegen praktische Geräte; neben dem Zinn und einer kupfernen Kanne (1646) Kornsäcke, lederne Wassereimer (Feuerlöscheimer), zwei Scheibenröhren (Schießgewehre), ein eiserner Mörser mit Keule, eine Krätzmühle, auf der die Krätze, d. i. der Abgang vom bearbeiteten Silber, wieder „zu gute“ gemacht werden konnte, ein Weinfäßlein und dgl. Im 18. Jahrhundert kommen zum Silber und dem besseren Zinn gute Teppiche, 6 messingene Spritzen, 24 hölzerne Spritzen und 15 neue lederne Eimer hinzu. Auch das Schießzeug, mit dem sich jedes Jahr zwei Meister vertraut machen mußten, war besser geworden und in einem besonderen Schrank im Schießhause untergebracht worden.

Zum Schlusse sei des Wenigen gedacht, was aus den Innungsbüchern über Dinglingers Beziehungen zu seiner Zunft hervorgeht.

In einem oder in zwei, auch drei Quartalen hatten die Mitglieder je 2 Groschen Beitrag zu zahlen; es richtete sich die Häufigkeit dieser sehr bescheidenen Einlage, die in dieser Höhe bereits 1573 gebucht wird, wohl nach den geschehenen oder zu erwartenden Ausgaben. Da ist es nun merkwürdig, daß Dinglinger oft mehrere Jahre hintereinander nichts zahlt, dann aber 8 oder 10, auch 22 Groschen auf einmal gibt; und doch wird er in der Zwischenzeit niemals unter den sorgfältig gebuchten und oft recht zahlreichen Restanten erwähnt. Es scheint, als wenn man dem vielbeschäftigten und hochangesehenen Manne, der die Versammlungen sehr selten besuchte, eine Sonderstellung eingeräumt hätte. Einmal und zwar von Trinitatis 1717 bis Trinitatis 1718 hat man ihn zum Oberältesten erwählt; die in der Buchung hinzugefügten Worte: per Administr. deuten wohl an, daß man ihm eigentliche Arbeiten nicht aufbürdete, sondern ihn wie eine Art Ehrenältesten ansah. Das solche Innungsgeschäfte zeitraubend waren, daher nicht bloß ehrenamtlich zu versehen seien, hatte er selbst auf dem Trinitatiskonvent 1716 hervorgehoben. Mit seinem Schwager Gottfried Döring hatte er schon immer geraten, dem Oberältesten für seine Mühe im Schreiben etwas zu bewilligen, wie bei den Kauf- und Handelsleuten. Und so wurde denn beschlossen: „Der Oberälteste soll von nun an vor seine Mühe zur Ergetzlichkeit das Jahr, wenn er solch Amt administriret und die Rechnung führet, 6 Taler haben, und solch Geld von denen Zinsen, welche bei uns einlaufen, ihm gereichet werden soll“.

Häufig läßt er Lehrjungen einschreiben und nach 5 oder 6 Jahren Lehrzeit ausschreiben. Ob sie bei ihm dann noch als Gesellen geblieben und daher als Mitarbeiter an seinen berühmten Werken anzusehen sind, wird nicht ersichtlich, da die An- und Abmeldung von Gesellen nicht pflichtmäßig bei der Innung geschah oder zu bezahlen war. Bei einigen Lehrlingen läßt es sich aber annehmen, daß sie bei ihm blieben, denn es waren Verwandte von ihm. So war sein Sohn Moritz Conrad 1708–1714, sein Sohn Johann Friedrich 1718–1723 sein Lehrling. 1724 wird Siegmund Gotthelf Döring, sein „Vetter“ (vielmehr sein Neffe), Sohn des Gottfried Döring, bei ihm eingeschrieben[47]. [67] Bei diesen Geschäften mußte er die Zeiten genau so inne halten, wie andere Meister. Sonst ging man gerne auf seine Fürsprache ein: 1729 und 1730 unterstützte man auf seinen Vorschlag arme Studiosi mit je einem Viaticum (von 6 und 8 Groschen) aus der Innungskasse. Und als der Sohn des Meisters Hase, Johann Christian Hase, der bei Moritz Rachel jun. gelernt hatte, 1722 ausgeschrieben werden sollte, die Herren Meister aber eins und das andere bei seiner Lehre zu erinnern hatten, wurde er doch auf „H. Dinglingers erteiltes Attest“ ausgeschrieben. Über den Verkehr mit den Innungsgenossen erfährt man nur ganz wenig. Da er zu Trinitatis fast nie mit „eingelegt“ hat, wird er selten bei den großen Essen gewesen sein. Nur am 29. Juni 1716 heißt es, daß er mit den Herren Müller und Döring, als Moritz Döring das Meisterstück aufnahm, bei einer Ältestenmahlzeit war.

Wichtig mußte den Meistern Johann Melchior als Innungsmitglied wegen seiner besonderen Beziehungen zum Landesfürsten sein. Kommen doch von Zeit zu Zeit kurfürstliche Befehle, obrigkeitliche Anordnungen, die nicht immer gefielen, oder es standen solche in Aussicht. Unter dem 12. September 1722 wird eine Ausgabe von 3 Groschen verrechnet „vor die Abschrift unsres an K. M. eingegebenen Memorials vor H. Dinglinger“. Als sie trotz des Memorials zu einem „Termin citieret wurden, deprecierten sie“ am 20. September dieses Jahres; worum es sich hierbei handelte, wird nicht ersichtlich.

Von den damals erlassenen königlichen Befehlen interessieren vielleicht folgende: 1721 wurde den Juwelieren befohlen, daß sie – wohl bei Festlichkeiten – im Zwinger feil haben sollten; am 3. Februar 1723 wurde dasselbe für den Alten Markt verlangt. 1719 wurden die Meister gemahnt, „die Jungen inne zu halten, daß sie des Nachts nicht solchen Unfug treiben“. Bei dem 1712 bevorstehenden Besuche Peters des Großen, der ja besonders eingehend mit Dinglinger verhandeln wollte, wurde den Innungsverwandten auf Befehl des Oberhofmarschalls angedeutet, daß „sie bei der Ankunft Ihro Czarischen Maj. ihrem Gesinde sagen sollten, daß sie sich gegen dieselbe bescheiden erzeigen sollten“. Vielleicht wäre es auch angebracht gewesen, wenn der Czar ebenso sein Gesinde zu gutem Verhalten angemahnt hätte. Dinglinger hatte zwar auf irgend welche Entschädigung für die Beherbergung der russischen Gäste in seinem berühmten Hause auf der Frauenstraße verzichtet; nur für das Einheizen bat er um einen Schragen Holz und das zu Schaden gebrachte wieder reparieren zu lassen[48].

Daß der Verkehr der Goldschmiede mit dem Hofe, so lohnend er in guten Zeiten sein konnte, bei plötzlicher Änderung der allgemeinen Lage oder bei ganz besonders dringlichen Wünschen Schwierigkeiten bot, beweisen zwei Einträge in die Innungsbücher. Im Jahre 1705 hatte sich Andreas Frieß zum Meisterstück gemeldet. Er wurde nun zur Rede gesetzt, warum er das vergangene Quartal sein Meisterstück nicht verfertigt, ja noch gar nicht angefangen habe? Die Antwort war: königliche nötige Arbeit hätte solches verhindert, weil man mit Carcer und anderen Strafen bedrohet, woferne die bestellete Arbeit nicht aufs schleunigste verfertigt würde. Er hat aber aufs neue angelobet, das künftige Quartal das Stück unfehlbar zu machen und keine andere Arbeit vorzunehmen. 1706 hat Andreas Frieß denn auch sein Meisterstück aufgewiesen.

Als Meister J. M. Dinglinger 1731 gestorben war, meldete sich von seinen 10 hinterlassenen Kindern[49] Johann Friedrich, der 1723 ausgelernt hatte, also nun wohl gegen 30 Jahr alt war, bei der Innung. Er bittet, man möchte ihn zum Meisterstück gelangen lassen, wollte aber dabei mit anfragen, ob es nicht möglich wäre, daß ihn die Innung mit einen Stück Geld annehmen könnte, weil er jetzo noch mit den Kabinettstücken so viel zu tun hätte, die ihm sein seliger Vater noch unausgearbeitet zurückgelassen und die der König gerne wollte fertig haben. Nach vielem Überlegen wurde bei der Innung der Beschluß gefaßt, Dinglinger sollte 125 Taler geben, so wollten sie ihn als einen Innungsverwandten annehmen.

Dinglinger zahlte die 125 Taler und versprach, ohne an eine bestimmte Zeit gebunden zu sein, ein Meisterstück aufzuweisen, damit sich kein anderer darauf berufen könnte, daß er ohne Meisterstück angenommen worden sei. Ob er es noch geliefert hat, wird nicht ersichtlich. Der Umstand, daß Dinglinger sich Erleichterungen bei der Innung erkaufen konnte, spricht nicht für geordneten Geschäftsgang. Es waren solche Sonderzahlungen um so weniger achtungswert, als jedes Mitglied davon einen Taler bekam! Es werden auch Klagen über dieses Gebaren laut.

Dinglinger jun. wollte übrigens auch noch die Accise für seinen Vater so lange bezahlen, als die Kabinettstücke noch nicht fertig seien. Über diese berühmten Werke, ihre Schicksale und die Schwierigkeiten, die durch sie dem Sohne Johann Friedrich und den andern Erben erstanden sind, hat Sponsel sehr eingehend gehandelt[50]. Für die wahrscheinlich nicht sonderlich [68] guten Verhältnisse, in denen sich Dinglingers Familie nach seinem Tode befand, scheint die kurze Notiz im Innungsbuche unter dem 21. Juni 1737 zu sprechen: 2 Taler wegen H. Dinglingers verstorbenen Tochter. Aus den Hausbesitzerlisten des Ratsarchives geht weiterhin hervor, daß 1748 eine Schwester Joh. Friedrichs, eine Arzteswitwe Sartorius, diesem das Haus auf der Frauengasse abkaufte, gewiß, weil er in bedrängten Verhältnissen war. Ebenso wurde dem Sohne Georg Christoph Dinglingers, Friedrich D., 1768 das einst ererbte Haus auf der Sporergasse versubhastiert.

Die anspruchslosen Mitteilungen über die Goldschmiedsfamilien Rachel und Dinglinger im Zusammenhange mit der Innung, der sie angehörten, bestätigen die oft gemachte Beobachtung von neuem, daß vor 2–300 Jahren die Mitglieder einer Familie gern bei einem bestimmten Handwerke geblieben sind. So sah Moritz Rachel sen., selbst der Sohn eines Goldschmiedes, drei Söhne und zwei Schwiegersöhne in seiner Kunst wirken; auch seines Sohnes Moritz ältester Sohn, Joh. Christian Friedrich Rachel, lernte dies Handwerk 1722–1727 (bei Herrn Baltheser Keyl), ging später auf Reisen und hat 1732–1735 in London gelebt. 1736 wurde er in Dresden Meister, verheiratete sich 1738 und wurde Kurfürstlicher Münzscheider. Er, der Vater meines Urgroßvaters, starb 1783 zu Dresden.

Dieser Christian Friedrich Rachel ist nachweislich der letzte aus der Familie gewesen, der diesem Handwerke sich gewidmet hat. Noch im 18. Jahrhundert wendeten sich männliche Verwandte von ihm dem Apothekerberuf in Dresden, Pirna und Frauenstein zu; deren Nachkommen gingen wieder anderen Berufen nach.

Von den Dinglingers waren mit dem berühmten Joh. Melchior zwei Brüder, sowie seine Söhne Moritz Konrad, Johann Friedrich und Johann Rudolf (eingeschrieben als Lehrling zu Luciä 1733) sowie noch sein Neffe Friedrich Dinglinger im Juweliergewerbe tätig. Fügen wir den oben erwähnten Moritz Döring, Moritz Rachels Enkel, hinzu, so sind in der Zeit von 1635 bis 1735 in den Familien Rachel und Dinglinger und unter den Anverwandten nachweislich 15 als Goldschmiede oder Juweliere tätig gewesen. Sie glaubten an die Wahrheit des alten Wortes: Handwerk hat einen goldenen Boden.


  1. Die Signaturen der betreffenden Aktenstücke im Ratsarchiv s. bei Max Flemming, die Dresdner Innungen von ihrer Entstehung bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts, 1896, S. 59 Anmerkungen.
  2. R. A. Goldschmiede 145a.
  3. H. St. A. Loc. 30465. Mandat wegen Ausarbeitung des Silbers usw. 1698.
  4. R. A. Originalurkunde 318a auf schönem Pergament.
  5. Rosenberg, der Goldschmiede Merkzeichen (1890), bringt S. 149 alle ihm bekannten Beschauzeichen und Meisterzeichen von Dresden; aus dem 16. Jahrhundert nennt er von diesen nur 2, aus dem 17. und 18. je 6. Auch in Gurlitt, Kunstdenkmäler Dresdens, sind manche Beschau- und Meisterzeichen von Dresdnern aufgeführt.
  6. a b Gemeint ist, wie es in Nürnberg 1531, auch in Berlin, verlangt war, die Form der violetblauen Agleiblume (aquilegia), deren innerer Teil der Glockenblume ähnelt, daher die Becher auch Glockenblumenbecher genannt wurden; nach unten hat der Aglei, wie der Rittersporn, hakenförmige Sporen.
  7. Konrad Knebel, die Freiberger Goldschmiede-Innung, ihre Meister und deren Werke. 1895. S. 4.
  8. Friedrich Sarre, a. a. Ort S. 19.
  9. J. und A. Erbstein, das Königliche Grüne Gewölbe. 1884. S. 89, 90.
  10. Schriftliche Mitteilung des Herrn Prof. Marc Rosenberg in Karlsruhe.
  11. Von den Innungsbüchern, die das Verzeichnis der Meister, den Zugang von neuen Meistern, die Ein- u. Ausschreibung von Lehrlingen, jährliche Inventuren, die Einnahmen und Ausgaben enthalten, sind auf dem Ratsarchiv, unter Goldschmiede 147a, erhalten die Bände für 1573–1593; 1612–1648; 1676–1711; 1711–1740; 1743–1757; 1768–1814; 1816–1847. Für die Lücken sind Protokollbände wichtig. Die einzelnen Bände werden von mir nicht zitiert. Die Belegstellen für meine Angaben finden sich unter den einzelnen Jahren. – Das Rechnungsjahr lief von Trinitatis zu Trinitatis.
  12. R. A. G. Nr. 44. S. 18. Der Rat entschied am 7. Juli 1757, daß der, der das Verlorene ausfindig gemacht habe, von dem Donceur 1/3 dem Oberältesten, 1/6 dem Innungsboten geben, das Übrige 1/2 für sich behalten solle. – Silberdiebe wurden in jenen Zeiten, wie die Münzfälscher, aufs grausamste hingerichtet.
  13. R. A. a. a. O. 1816–1847. – 1838 hat man für ein neues 2196 Taler ausgegeben; um die Kosten zum Teil hereinzubringen, wurde es für Nichtinnungsmitglieder ausgeliehen.
  14. O. Richter, Verfassungsgeschichte Bd. I, 428 flg.
  15. F. A. ô Byrn, die Hofsilberkammer usw. Dresden. 1880.
  16. Zum Vergleich diene noch Berlin (Fr. Sarre a. a. O. S. 46, 52.): 1729 gab es 54, 1755 126, 1770 nur 48 Meister.
  17. H. St. A. Loc. 5363. Acta . . . die hiesige Gold- und Silberinnung betreffend. 1764. S. 5, 216.
  18. R. A. Goldschmiede Nr. 85.
  19. M. Johann Seebisch (berufener Stadtprediger und des Ministerii Senior): Der Wohlversorgte Rachel. Dresden bei Johann Riedel. In Familienbesitz.
  20. 1643 erscheint Nickel Weißhun zuerst als Meister.
  21. H. St. A. Bestallungen 1663–1667 zu Bl. 110.
  22. H. St. A. a. a. O. Bl. 110.
  23. Die Form van Peer, Bärin erscheint auch.
  24. Vor und nach 1700 hat eine Firma Rachel u. Hentschel aus Augsburg viel Silberzeug an den sächsischen Hof geliefert. ô Byrn a. a. O.
  25. Beide im Innungsbuche der Dresdner Kaufmannschaft (Archiv der Handelsinnung) unter dem 5. Dez. 1690 und dem 14. März 1695 als Mitglieder eingetragen.
  26. In Familienbesitz.
  27. Nach O. Richters Atlas zur Geschichte Dresdens, Blatt 11 waren damals 7 Häuser der Schloßstraße im Besitze von Goldschmiedemeistern. Auch in den Nebengassen, wie in der Sporer- und Frauengasse saßen deren mehrere. Wenn es also in Dresden nicht, wie in Straßburg, eine Goldschmiedegasse gab, so wohnten die Meister doch einander nahe genug: Der Hofhalt und die Stadtwohnungen des Adels mögen das veranlaßt haben. – Die Erben seines Sohnes Moritz Rachel jun. verkauften das Haus 1728 für 5900 Taler an den kurf. sächs. Spiegelfaktor Noor.
  28. Seine und seiner Frau Grabschrift stehen in J. G. Michaelis „Dreßdnische Inscriptiones vnd Epitaphien in und außer der Kirche zu unsrer Lieben Frauen. 1714“. S. 538, 539.
  29. H. St. A. Loc. 8686 Ober-Kämmereisachen. Rechnungen über Einnahmen und Ausgaben Edler Gesteine, Kleinodien usw. 1668 u. flg., von Fol. 118 an vielfach.
  30. H. St. A. Loc. 12030 Hofversorgung usw. 1699. Inventar Nr. 2.
  31. Knebel, die Freiberger Goldschmiede-Innung usw. 1895. S. 105.
  32. H. St. A. Loc. 2240 Geldsachen und Geldwesen 1697. Die Kammer an den Kurfürsten 1. Okt. 1697.
  33. Beide im Familienbesitz; das letztere auch im Königl. Kupferstichkabinett.
  34. R. A. Goldschmiede 147a, Jahr 1693.
  35. Kunstgewerbeblatt I, 1885. S. 184, 186.
  36. R. A. Goldschmiede Nr. 8. Die Innung der Gold- und Silberarbeiter contra die Störer und unzunfftmäßigen solcher Innnng 1693.
  37. Das Eckhaus Moritzstraße-Neumarkt, später Hotel de Saxe. Abgebildet in O. Richter, Dresdner Straßenansichten vom Jahre 1678, Tafel B, Nr. 16.
  38. Sponsel a. a. O. S. 67, 68. Anmerkungen 18, 19.
  39. Der ständige Vorrat der Mitglieder an Getreide für den Fall einer Teuerung oder einer Belagerung.
  40. Als die Goldschmiedeinnung am 14. Nov. 1856 ihr 300jähriges Bestehen feierte – die erste Innungsordnung von 1542 war ihr anscheinend unbekannt geblieben – pries nach den Dresdner Nachrichten 1856 Nr. 51 der Obermeister Juwelier Schönherr die einst berühmten Innungsgenossen Gebrüder „Dillinger“. In einem Tafelliede verherrlichte der damals beliebte „Festdichter“ Eduard Gottwald die unter den Augusten glänzenden Goldschmiede „Döllinger“. – H. Meyer, die Straßburger Goldschmiedezunft bis 1681, Leipzig 1882, spricht S. 185 von der Glanzzeit deutscher Städte im sechzehnten Jahrhundert, da in Dresden ein Dingler blühte!
  41. R. A. Goldschmiede 36. Innungsartikel, Änderungen betreffend. – Genauere Angaben fehlen.
  42. Sarre a. a. O. S. 19, 178, 196. – Das 17. Jahrhundert war die Zeit der Becher und Humpen gewesen, aus denen Massen Weins genossen wurden; das 18. Jahrhundert zeigt die Neigung zu feinerer Geselligkeit: Kanne und Tasse, Kaffee und Tee treten in den Vordergrund.
  43. Stockbauer. Beilage zur bayerischen Gewerbezeitung 1893. S. 16.
  44. Innungsprotokolle 1832–1862. Meisterprüfungen. – Im Besitze des Herrn Goldschmied Gustav Hartmann hier.
  45. R. A. Goldschmiede 145b, unter dem 4. August.
  46. R. A. Goldschmiede 145b, unter dem 4. August.
  47. Der 1730 beim Goldschmied Ernst angenommene Lehrling Friedrich Dinglinger war ein Sohn Georg Christoph Dinglingers, eines der Brüder des Meisters.
  48. v. Weber, die Besuche Peters des Großen in Dresden. Archiv für die Sächs. Geschichte Bd. 11 (1873). S. 350.
  49. 5 Frauen und 16 Kinder hatte er begraben müssen!
  50. a. a. O. S. 52 G. S. 68, Anmerkung 21. – J. G. Keyßler, (Neueste Reisen, Hannover 1751, S. 1323) hat die noch in Arbeit stehenden Kabinettstücke 1731 kurz vor Dinglingers Tode in dessen Hause gesehen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vermutlich 1679