Das Dresdner Vogelschießen im Jahre 1660
← Zur Geschichte des Maiaufstandes 1849 | Das Dresdner Vogelschießen im Jahre 1660 (1907) von Otto Richter Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908) |
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Ein Volksfest, das auf ein so hohes Alter zurückblickt wie das Dresdner Vogelschießen, ist ein wesentliches Stück des heimischen Volkslebens und daher der geschichtlichen Betrachtung wohl wert. Nur müssen die Nachrichten darüber eingehend genug sein, um daraus Züge, die für den Charakter und die Sitte des Volkes bezeichnend sind, entnehmen zu können. Solche genaue Nachrichten finden sich über unser Dresdner Volksfest namentlich aus dem Jahre 1660. Der Rat hat damals nachträglich eine Beschreibung des Festes[1] aufsetzen lassen, der auch eine bildliche Darstellung der Vogelwiese, ein Kupferstich von D. Conrat[2], beigefügt ist. Aus dieser Beschreibung und den schriftlichen Anweisungen, die den mit den Veranstaltungen betrauten Ratsherren und Beamten erteilt worden waren[3], sowie aus der Abrechnung über die verausgabten Gelder in der städtischen Kämmereirechnung läßt sich ein ziemlich anschauliches Bild des Festes gewinnen.
Ein jährliches Vogelschießen haben die Bürger, die sich zur Abhaltung regelmäßiger Schießübungen zusammengetan hatten, wahrscheinlich von Anfang ihrer Vereinigung an veranstaltet, wobei der Rat sie in ihren für die Verteidigung der Stadt so wichtigen Bestrebungen durch Spendung von Bier und Schießprämien ermunterte. In welchem Jahre diese Schützengesellschaft entstanden ist, läßt sich nicht bestimmen, es spricht aber vieles dafür, daß es zur Zeit der Hussitenkriege geschah, deren bittere Erfahrungen auch einen vollständigen Umbau der Stadtmauern und überhaupt die Verstärkung des städtischen Verteidigungswesens zur Folge hatten. Damit stimmt es zusammen, daß die erste uns bekannte urkundliche Erwähnung eines Vogelschießens aus dem Jahre 1440 stammt.
Ursprünglich fand das Fest im Stadtgraben am Pirnischen Tore, bei der jetzigen Schießgasse, statt, wo die Schützen auch ihre wöchentlichen Schießübungen abhielten, und zwar regelmäßig zu Pfingsten. Wohl wegen der Beschränktheit des Platzes wurde es von dort im Jahre 1577 nach der Wiese bei den Ziegelscheunen, zwischen Ziegelgasse und Elbe, verlegt, der nun sogenannten Vogelstangenwiese oder Pfingstwiese. Dort war für eine große Zuschauermenge Platz genug, sodaß das Schießen seitdem mehr und mehr zum Volksfeste werden konnte. Veranstaltet wurde es damals auf Stadtkosten vom Rate, der die Landesherrschaft nebst dem Stadtadel und den hohen Beamten dazu einlud. Wenn nicht ein besonderes Hindernis, wie etwa eine Pestepidemie, vorlag, fand das Fest alljährlich statt, bis ihm 1630 die über unsere Stadt hereinbrechenden Nöte des dreißigjährigen Krieges für lange Zeit ein Ende machten.
Im Jahre 1660 hielt Kurfürst Johann Georg II., bekanntlich ein großer Freund höfischen Prunkes und festlicher Vergnügungen, die Zeit für gekommen, um wieder fröhliche Schützenfeste zu feiern. „Um uns in etwas bei unserer mühsamen Regierung mit unsern nahen Verwandten zu ergötzen“, wie es in seinem Erlasse heißt, gedachte er zu Pfingsten auf seine Kosten ein allgemeines Frei- und Landschießen auf der Elbwiese beim Jägerhofe abzuhalten. Aber die von ihm [126] eingesetzte Kommission fand, wie es scheint, in der landesherrlichen Kasse nicht das nötige Geld, um die Kosten des Festes zu bestreiten, und so unterblieb es. Da wandte sich der Kurfürst an den Rat mit dem Ansinnen, die seit 30 Jahren unterbliebene löbliche Übung des Vogelschießens wieder in Schwang zu bringen, indem er dafür seine persönliche Teilnahme, sowie die freie Lieferung des zu einer neuen Vogelstange erforderlichen Holzes aus der Heide zusagte. Der Rat glaubte „Ihrer kurfürstlichen Durchlaucht hierunter tragender Begierde gehorsamst begegnen“ zu müssen und ging alsbald mit Eifer an die Vorbereitungen für das vom Landesherrn selbst auf den 24. Juni angesetzte Fest.
Um nichts zu versäumen, was in früheren Zeiten bei dem Schießen und besonders bei der Bewirtung des Hofes Herkommen gewesen, ließ der Rat die alten Schützenakten durchstudieren und die bei der Veranstaltung in Betracht zu ziehenden hunderterlei Kleinigkeiten in ausführlichen „Gedenkzetteln“ zusammenstellen. Die Mitglieder des kurfürstlichen Hauses wurden vom regierenden Bürgermeister Christian Brehme, die hohen Beamten und Offiziere, 46 an der Zahl, von den mit der Festaufsicht beauftragten beiden „Marschällen“, den Ratsherren Johann Hillemayer und George Wiegner, persönlich eingeladen. Die vom Bürgermeister entworfene Schießordnung ward vom Kurfürsten selbst geprüft und festgestellt. Darnach sollte jeder, der „gutes Namens und untadelhaften Gerüchtes“ sei, auch wenn er der Schützengesellschaft nicht angehöre, zur Teilnahme am Schießen zugelassen werden. Für die Armbrüste oder „Rüstungen“ war eine bestimmte Beschaffenheit nicht vorgeschrieben, nur durften die Bolzen nicht mehr als höchstens 14 Lot wiegen. Mehrere Schützen konnten eine Armbrust gemeinschaftlich benutzen, aber jeder mußte seinen eignen, mit dem Namen bezeichneten Bolzen haben. Geschossen wurde in der durch das Los bestimmten Reihenfolge. Wer den Vogel traf, ohne etwas herabzuschießen, erhielt beim ersten Treffschusse einen Nelkenkranz, bei jedem weiteren eine Zitrone oder Pommeranze gereicht. Dem, der „die Spille räumen“ und den Vogel abschießen würde, bewilligte der Kurfürst Steuerfreiheit auf ein Gebräude Bier, der Rat stiftete ihm einen vergoldeten silbernen Becher; die Gewinne für die vier Kleinode, ebenfalls in Silbergeschirr bestehend, wurden aus der Einlage der Schützen, die für jeden 2 Taler betrug, bestritten. Schützen wie Zuschauer wurden in der gedruckt veröffentlichten Schießordnung zum Wohlverhalten ermahnt, „damit die gnädigste Herrschaft in ihrer vorhabenden Ergötzlichkeit nicht verunruhiget, sondern alles mit guter Vergnügung zu Ende gebracht werden möchte“.
Es ist ergötzlich zu sehen, mit welcher Umständlichkeit und Wichtigkeit die Vorbereitungen zu dem harmlosen Feste betrieben wurden. Am 22. Juni nahm man auf dem Rathause an, daß die Vogelstange fertig sei und der Vogel aufgezogen werden könne. Es langten daher gegen Abend zwei „Karreten“ auf der Vogelwiese an: in der ersten die beiden zu Schießmarschällen ernannten Ratsherren und die vier Ältesten der Schützengesellschaft, vorn auf dem Kutscherbocke der Zieler in langem schwarz und gelben Rocke, den Hut mit schwarz und gelber Feder in der Hand und den Vogel vor sich haltend, damit er von Jedermann gesehen werden konnte; in der anderen Karrete der regierende Bürgermeister mit vier Ratsherren. Da sich nun aber fand, daß der schwierige Bau der Vogelstange noch nicht vollendet war, setzte man den Vogel einstweilen behutsam in das kurfürstliche Zelt. Das hölzerne Heiligtum war vom Büchsenmeister und Bildhauer Abraham Frost gefertigt und wog 20 Pfund; das „Korpus“ war grün, Kopf und Hals blau, der rechte Flügel rot, der linke pfirsichblütfarben und der Schwanz gelb angestrichen; auf dem Kopfe hatte er eine vergoldete Krone, in der Mitte einen Busch von Hahnefedern, um den Hals ein Band von Goldlahn (d. h. Goldfäden). Auch der Stadt- und Festungskommandant Oberst von Liebenau (aus dem Jahre 1639 rühmlich bekannt als tapferer Verteidiger des Sonnensteins gegen die Schweden) war inzwischen herausgekommen, um wegen der Aufstellung der Zelte einiges anzuordnen. Es wurde ein Trunk und dazu Kuchen herumgereicht und darauf die Rückfahrt nach der Stadt angetreten.
Am andern Morgen nahmen die Zimmerleute die Arbeit schon um 4 Uhr auf und brachten die Vogelstange wirklich bis gegen Abend zustande, sodaß der Vogel noch aufgezogen werden konnte, „und also Gott Lob dieser in 83 Ellen hoch in die Höhe geführete Bau ohne Schaden einiges Menschen vollführet worden“. Auch die Zelte waren nun aufgestellt, und zwar das des Kurfürsten gleich gegenüber dem Schießstande, rechts davon je eins für die fürstlichen und für die adeligen Frauenzimmer, links je eins für die Kavaliere, für den Rat und die Judizierer(Schiedsrichter) und eins für die Schützen, dahinter eine Brettbude als Kellerei und Speisekammer. Als alles vollendet war, kam der Oberhofmarschall Freiherr von Rechenberg mit dem Oberlandbaumeister Klengel hinausgefahren, ließ sich von dem Zimmermeister über den Bau der Vogelstange berichten und sagte befriedigt: „Nun an diesem Orte hat wohl noch nicht eine so feine Stange gestanden, sie ist wohl gebauet.“ Hierauf betrat er mit den Marschällen die Zelte und ließ ihnen „sein hieran habendes Vergnügen spüren“. Auch der Hausmarschall von Metzradt und der Oberschenk von Güntherodt besichtigten die getroffenen Anstalten, und viel neugieriges Volk fand sich auf dem Platze ein.
[127] Der festliche Tag, Sonntag der 24. Juni, war gekommen. Nach dem Gottesdienste (während dessen ausnahmsweise das Pirnische Tor zum Aus- und Einfahren offen blieb) versammelte sich der Rat auf dem Rathause und 100 Bürger aus allen Stadtvierteln traten mit Ober- und Untergewehr in ihren neuen schwarz und gelb verbrämten Uniformen auf dem Markte an. Ein „Vornehmer des Rats“, der Notarius Michael Müller, hielt an die in der Kommissionsstube versammelten Schützen eine Vermahnung, wie sie sich vor, in und bei dem Vogelschießen zu verhalten hätten. Um 12 Uhr wurde der Ausmarsch die Schloßgasse hinunter durchs Sporergäßchen über den Jüdenhof, wo die kurfürstlichen Herrschaften vom Stallgebäude herunter zuschauten, und die Pirnische Gasse, die jetzige Landhausstraße, hinaus angetreten. Den ersten der sechs Züge bildeten die 100 bewaffneten Bürger, befehligt von Viertelsmeistern, mit klingendem Spiel und Pfeifern. Den zweiten Zug führten die beiden Pritschmeister Georg Ferber und Wenzel Braun an, ihnen folgten zwei Trommelschläger und ein Pfeifer und dann drei Schützenälteste, von denen einer das große silberne Vogelschützenkleinod, die „Vogelkette“ genannt, umgehängt hatte, da der alte Schützenkönig vom Jahre 1630, dem dies der Sitte nach zugekommen wäre, nicht mehr lebte; die andern trugen die beiden silbervergoldeten Brustschilde, die vom Landesherrn in den Jahren 1614 und 1618 aus Anlaß seiner Schützenkönigswürde gestiftet waren und noch jetzt im Stadtmuseum aufbewahrt werden. Hierauf kamen, geleitet von je zwei Knaben mit Fahnen und Kränzen, der Zieler der Büchsenschützen mit der Vogelschützenlade auf der Schulter, der der Armbrustschützen mit einem Vogel und der Zeichen-Ausschreier mit dem Losbeutel, dann zwei „starke Knaben“ mit Körben voll Zitronen und Pommeranzen, endlich der Kommissionsdiener mit dem Königsbecher, begleitet vom Stadtwachtmeister und dem Marktmeister mit den großen Fahnen. Im dritten Zuge, den drei Viertelsmeister mit Rohrstäben und Degen und die Stadtmusikanten eröffneten, schritten drei und drei die Ratsherren mit dem Bürgermeister an der Spitze, dann die übrigen Viertelsmeister, die Schützen und deren Jungen mit den Rüstungen; die Ratsmitglieder stiegen am Pirnischen Tore in bereitstehende Wagen, einige aber begaben sich „wegen Jahrmarkts und anderer Verrichtung und Ehehaften“ wieder herein. Den vierten und fünften Zug bildeten die zur Belustigung der hohen Herrschaften und des verehrlichen Publikums befohlenen Bauern aus den Ratsdörfern, die in Angermanns Wirtschaft auf der Seegasse gespeist worden und wohl schon in angeregter Stimmung waren: voran der Bauernkommandant, auch „der Schwäbische Bauer“ genannt, dann zwei Schalmeier und ein Dudelsackpfeifer und zwölf Bauern mit ihren Rennstangen, an denen die Gewinste hingen, alle zu Pferde; hierauf zu Fuß zwei Pickelhäringe, d. h. Spaßmacher, vier Bauernspielleute und zehn Paar Mägde und Bauerknechte. Der letzte Zug endlich war sehr kurz: zwei Geiger und ein Sackpfeifer, drei Schenken mit Körben und Gläsern, in jeder Hand ein großes Glas haltend, drei Bierschröter mit einem schwarzgelb bemalten Fasse, endlich der Böttcher und acht Lehrjungen mit Reifen.
Als der Zug bei der Vogelstange anlangte, mußte ihm in dem Gedränge der vielen Tausende von Zuschauern, von denen es auch auf den Hausdächern der Ziegelgasse, auf Gartenmauern und aufgestellten Bretterbühnen wimmelte, erst durch die zur Absperrung aufgebotene Bürgermannschaft und die Pritschmeister, die mit ihren Pritschen wohl weidlich einhieben, Platz gemacht werden. Inzwischen kamen auch der Kurfürst und sein Bruder Herzog Moritz, beide mit Gemahlinnen, sowie mit dem Kurprinzen Johann Georg, der Prinzessin Erdmuthe Sophie und einer zu Besuch anwesenden Prinzessin von Holstein nebst ihrem Gefolge draußen an, wurde vor den Schranken von den an schwarzgelben Schärpen und Stäben kenntlichen Marschällen des Rates empfangen und zu dem von Schweizertrabanten und Bürgern bewachten Zelte geführt, wo der Rat sich aufgestellt hatte. Der Kurfürst bot jedem gnädigst die Hand und ließ sich herein geleiten, worauf sich die Ratsherren in das kurfürstliche Frauenzimmerzelt begaben und bei den fürstlichen Damen den Handkuß abstatteten.
Nachdem der Pritschmeister unter Trommelschlag den Anfang des Schießens verkündet, wurden die Geldeinlagen einkassiert und die Bolzen beschrieben, wobei sich 61 Teilnehmer meldeten, größtenteils Adelige, Beamte und Offiziere und nur einige wenige Bürger darunter. Das Ausrufen der Lose war einem Knaben mit guter Stimme übertragen. Nach jedem Rennen wurden auf Trommelsignal die Bolzen wieder eingesammelt. Der Kurfürst und sein Sohn gaben bisweilen auch außerhalb der durch das Los bestimmten Reihenfolge Schüsse ab; für den damals 13jährigen Kurprinzen, den späteren tapfern Türkenbesieger Johann Georg III., war als „Vortel“ ein besonderes Gestell zum Auflegen der Armbrust hergerichtet, während die übrigen Schützen ohne Auflegen schossen. Die fürstlichen Herren waren ganz bei der Sache „und haben sonderlich kurfürstliche Durchlaucht gewiß mit sonderbarem Anmut meist stehend auf eines jeden Schützen Aktion genaue Achtung gehabt“.
In den Zelten wurden die Gäste an Tafeln, die mit Rosenstöcken besetzt und mit Nelken bestreut waren, bewirtet. Für die Herrschaften wurde Rheinwein, für die hohen Offiziere Neckarwein und für „das Frauenzimmer“ Kirsch-, Erdbeer- und Himbeerwein, sowie [128] frische Milch verabreicht. Viertelsmeister in Mantel und Degen trugen Kuchen und Schalen mit frischem Obst auf; auch westfälischer Schinken, Knackwürste, holländischer Käse mit Brot und Semmel waren zu haben. Für die Kavaliere, die es schon damals nicht gern ohne ein Spielchen taten, lagen Würfel und Karten auf, und zwar hatte man angeschafft 16 Stück französische Karten, 10 Stück Annaberger Pikettkarten und auch 4 Stück von der aus Italien stammenden ältesten Karte, der Trappolierkarte (von trappolare=fangen, haschen), die also damals auch noch gespielt wurde.
Draußen auf dem Platze waren allerlei Krambuden, sowie Zinnbuden der Kannegießer, in denen um Zinnzeug gewürfelt wurde, und Raßlerbuden mit Glücksspielen aufgestellt. Die Pickelheringe in Narrenkleidern und falschen Bärten trieben allerhand Kurzweil, die Böttcherjungen sprangen vor dem Kurfürstlichen Frauenzimmerzelte unter unaufhörlichem Schalmeien- und Saitenspiel durch die Reifen. Auch vier Jenaer Studenten hatten sich eingefunden und machten Musik; sie wollten sich andern Tags vom Bürgermeister eine Belohnung erbitten, wurden aber als „Vaganten“ nicht in die Stadt eingelassen und schickten deshalb ein schriftliches Gesuch herein, worauf ihnen 1 Taler bewilligt ward.
Bei weitem das Hauptvergnügen waren die Wettspiele, zu denen zehn Spielleute, die man von Dörfern aus der Großenhainer und Königsbrücker Gegend hatte kommen lassen, auf Schalmeien, Sackpfeifen und Geigen musizierten. Nicht weit von der Vogelstange hatte man eine 36 Ellen hohe Kletterstange errichtet und sie mit Seife und Öl bestrichen; in der Mitte war als Kletterpreis ein halber Taler, weiter hinauf ein ganzer und oben anderthalber angehängt und an der Spitze in einem Maibäumchen ein lebender Haushahn, sowie eine Trommel, eine Schalmei, eine Bierkanne und ein Knaul Bindfaden befestigt. Als besonders geschickt zu diesem „Hahnesteigen“ galten von alters her die Loschwitzer. Es fand sich aber an diesem Tage keiner, der den Hahnebaum zu ersteigen vermochte: „sind sie doch allewege herunter gerutschet und mit Verlachung der Menge abgezogen“.
Noch lustiger für die Zuschauer war das „Wasserstechen“ und das „Gänserennen“. Dazu waren aus den unter der Gerichtsbarkeit des Rats stehenden Dörfern Plauen, Leubnitz, Strehlen, Striesen, Blasewitz, Reick, Tolkewitz, Loschwitz u. a. zwölf Bauern befohlen, die mit guten Pferden, gestiefelt, in saubern Bauerkleidern mit breiten Krausen und Hahnefederbüschen zu erscheinen hatten. Es waren Pfähle errichtet, zwischen denen an einem Seile eine mit Wasser gefüllte, am Boden mit einem Ringe versehene Wanne hing. Wer beim Durch reiten unter der Wanne mit der Rennstange durch den Ring traf, erhielt einen Preis, während der Fehlstoß, der die Wanne traf, seinen Urheber mit einem nassen Bade belohnte. Beim Gänserennen kam es darauf an, einer an dem gespannten Seile mit den Beinen angebundenen lebenden Gans beim Durchreiten den Kopf, der durch Einseifen schlüpfrig gemacht war, abzureißen. Der Reiter, dem dies mißglückte, gelangte leicht aus dem Sattel und auf den Erdboden. Die Aufsicht bei diesen derben Spielen führten einige Dorfrichter, die auch die Treffer festzustellen, die Wasserfässer zu füllen und die Gänse aufzuhängen hatten. Daneben veranstalteten zehn Bauerknechte und ebenso zehn Mägde Wettlaufen und führten zusammen Tänze auf. – Bei den früheren Vogelschießen bis zum Jahre 1630 waren noch andere Spiele üblich gewesen, die man als eine ins Bäuerliche und Scherzhafte übersetzte Nachahmung der ritterlichen Turniere betrachten kann: das Strohharnisch-Stechen, bei dem zwei Bauern in Strohharnischen, die mit schwarzgelber Leinwand überzogen waren, einander vom Pferde zu stechen suchten, und ein Zweikampf, bei dem die Kämpfer auf Wassertonnen, deren oberer Boden durchlöchert war und aus denen eine Stange herausragte, mit einander fochten, bis der eine mit seiner Tonne umfiel und an der Stange hängend, vom Wasser übergossen wurde.
Unter solchen Belustigungen war der Abend heran gekommen, man mußte daher das Schießen mit dem sechsten Rennen abbrechen und ließ nur noch die Gewinste, die an den die Wiese umgebenden Bretterplanken ausgehängt waren, unter die Bauern austeilen. Beim Wasserstechen und Gänserennen erhielt Martin Danun von Plauen den ersten Preis, bestehend aus drei gegerbten Kalbfellen im Werte von je 10 Groschen und zwei von den geköpften Gänsen; andere Gewinste waren ein Paar Schuhe für 21 Groschen, ein Hut mit gleißender Hutschnur und Hahnenfeder für 181/2 Groschen, ein Paar rote Strümpfe für 16 Groschen, ein Dreschflegel, eine Schmermäste und anderes bis herab auf ein ABC-Buch für 11/2 Groschen. Der beste Wettläufer war Thomas Leschke von Strehlen, der ein Paar Handschuhe für 6 Groschen erhielt, die beste Läuferin die Barbara Leschkin von Strehlen, wohl seine Schwester, die einen schönen Kittelrock von blauem Barchent und schwarztuchenem Schweif und ein grünes perpetuanes Mieder mit Schnüren im Werte von 2 Gulden 11½ Groschen davontrug, während die Anderen Hemden, Schuhe, Strümpfe, Schnupftücher und dergleichen er hielten. Auch die „kurzweilige Rätin“ d. h. Hofnärrin der Kurfürstin hatte mitgelaufen und wollte den Kittel haben; sie richtete nachher ein Schreiben an den Rat und bat um eine Jahrmarkts-Diskretion zu einem Ehrenkleide, worauf ihr mit Rücksicht auf die gnädigste Herrschaft acht Ellen schöner Doppeltaffet zu einem Rocke verehrt wurden.
[129] Sobald das Schießen beendet war, setzten sich die Herren des Rats auf die „Karreten“ und eilten herein nach der Wohnung des regierenden Bürgermeisters Christian Brehme, wo ein großes Festmahl stattfinden sollte. Brehme, der bekannte Schriftsteller und frühere Bibliothekar des Kurfürsten, besaß ein Haus in der Pirnischen Gasse (Landhausstraße), neben der jetzigen Nr. 15, das zuletzt vom Amtsgericht benutzt und beim Baue des Polizeigebäudes mit abgebrochen worden ist. Vom Pirnischen Tore an bildeten 60 Mann bewaffnete Bürger mit klingendem Spiele bis an das Haus Spalier, und an der mit Maien besetzten Haustür hatte sich der Rat aufgestellt und begrüßte die nach 8 Uhr zu Wagen ankommenden kurfürstlichen Herrschaften. Die Tafel war im Vorsaal des zweiten Stockwerks hintenheraus hergerichtet; für die Gäste vom Adel, die nicht mit an dieser Tafel Platz fanden, und für die Ratsherren, die in der Aufwartung bei den Herrschaften einander ablösten, war im dritten Stock gedeckt. Vor den Fenstern des Speisesaals hatte man draußen auf den um den Hof herumlaufenden Gängen aus Linden, Erlen und Birken mit viel Goldfäden dazwischen und feinen Tapeten „ein schön Theatrum einer Waldperspektiv“ aufgebaut, das von zwölf über den Fenstern angebrachten Lichtern und den Wachskerzen, die auf einer mit Blumen geschmückten ovalen Tafel standen, und vermittelst hier und da aufgehängter Spiegel herrlich erleuchtet war. Als die Herrschaften Platz genommen hatten und die Vorhänge vor den Fenstern weggezogen wurden, stimmte eine Gesellschaft von neun Studenten und der Musik Beflissenen unter Leitung ihres Direktors Esaias Hickmann und unter Mitwirkung des Kreuzorganisten Hering „eine liebliche Musik mit Positiv, Violen und Dulcianen“ d. h. mit Hausorgel, Bratschen und Fagotten an und dazu sang ein weißgekleideter Jüngling ein vom Magister Elias Conrad gedichtetes Lied von den vier Jahreszeiten, das an den Johannistag, den Namenstag des Kurfürsten, anknüpfte und diesen in kräftiger, wenn auch nicht sehr geschmackvoller Weise verherrlichte. Es bestand aus 15 Strophen, deren letzte also lautete:
Ei so wachs je mehr und mehr,
Gleich dem Ersten Deines Namens,
Wachs an Macht, an Ruhm und Jahren her
Und an Früchten Deines tapfern Samens!
Feire vielmal diese Stunden
In der gleichen Friedensruh,
Als sie sich jetzt eingefunden,
Lebe wohl, Du Großer Du!
Über dem Jüngling hing ein von zwei fliegenden Engeln gehaltener Kranz, worin der Kurhut und der kurfürstliche Namenszug und darüber in goldenen Buchstaben das Wort Vivat, darunter die Jahreszahl 1660 angebracht war. Alles das konnten die Herrschaften durch die herausgenommenen, mit Lindenzweigen umwundenen Bogenfenster gut sehen und hören. Nach dieser Festaufführung spielte der Stadtpfeifer Lauberding mit seinen Gesellen zur Tafel auf. Auch „Bergsänger“ ließen sich hören: das waren Bergleute aus der Freiberger Gegend, die heimatliche Gesänge, sogenannte Bergreihen, mit Instrumentalbegleitung vortrugen.
An der kurfürstlichen Tafel saßen 22 Personen, obenan der Kurfürst mit seiner Gemahlin, auf der rechten Seite Herzog Moritz und der Kurprinz, auf der linken die Herzogin, die Prinzessin Erdmuthe Sophie und die Prinzessin von Holstein, die Damen also alle nebeneinander; dann folgten der Graf von Lynar, der Oberhofmarschall Freiherr von Rechenberg, die Geheimen Räte Heinrich und Karl von Friesen, der Landvogt von Callenberg, der Oberst von Liebenau und andere Hofbeamte und Offiziere. Von den Herren des Rates wurde keinem, auch dem Gastgeber Bürgermeister Brehme nicht, diese Auszeichnung zu teil, sondern sie hatten nur die ehrenvolle Aufgabe, mit ihren Söhnen und Dienern, sowie den Ratsbeamten und Viertelsmeistern bei der Tafel aufzuwarten, während die Frauen der beiden Bürgermeister Brehme und Schumann und dreier Ratsherren mit Hilfe des Kochs und des „kalten Küchenmeisters“ vom Hofe die Küche besorgten. Die Zahl der Gäste mag mit Einschluß der an der Beitafel im dritten Stock bewirteten nicht mehr als etwa 60 betragen haben. Was diese verzehrten, war nicht gerade unbedeutend. Es wurden verbraucht 4 Schöpse (das Stück zu 3 Taler), 4 Kälber (zu je 2 Taler 12 Groschen), 5 Lämmer (zu je 1 Taler 8 Groschen), 1 Viertel Rindfleisch von 88 Pfund (zu je 1 Groschen), 4 Rindszungen (für 17 Groschen), 2 Hasen (für 21 Groschen), ferner Dutzende von türkischen Hähnen, Kapaunen, alten und jungen Hühnern, sowie Krebse, Aale, Lachs, Karpfen, Hechte, Schmerlen und 2 Schock Forellen, die man sich durch den Pfarrer zu Lengefeld im Erzgebirge, das Schock für 5 Taler, also das Stück für 2 Groschen, besorgen ließ. Auffällig ist es, daß man sich zum Zugemüse Krauthäupte, Artischocken, Petersilienwurzel und Hasenöhrchen (eine Pilzsorte) erst von Leipzig kommen lassen mußte. An Kuchen wurden 4 Fladen für je 2 Taler, 1 großer Fladen für 3 Taler und 1 Aufsatzkuchen (Baumkuchen ?) für 1 Taler vom Bäcker bezogen, während die Frau Bürgermeisterin selbst 2 Scheffel Weizenmehl zu 32 kleinen Kuchen verbuk. Recht ansehnlich war der Konsum an Getränken. Es wurden, einschließlich des Verbrauchs in den Zelten während des Schießens, getrunken 21/2 Eimer Rheinwein für 54 Taler, von der Witwe Hammer in Leipzig bezogen, ein großes und ein kleines Stückfaß Neckarwein für 67 Taler vom Hofvisierer Oßwaldt, 11/2 Faß sechsjähriger [130] Landwein für 75 Taler, 2 Faß Zerbster Bier aus dem Neumarktkeller (zu je 13 Taler), 1 Faß Wurzener Bier (für 9 Taler) und 51/2 Faß hiesiges Bier (zu je 7 Taler).
Aus solchen Ziffern läßt sich erkennen, daß man beim Mahle wie während des Schießens dem Becher wacker zugesprochen hat. Zwischen den einzelnen Gängen des Mahles wurden Gesundheiten ausgebracht, und zwar „im Andenken des in Europa erneuerten Friedens“, auf den Kaiser, auf den Kurfürsten und andere mehr. Man erfährt nicht, wer die Tischredner waren, doch können es wohl nur die Fürsten und ihre Räte gewesen sein, da die Vertreter der Bürgerschaft gar nicht mit am Tische saßen. Die Rede auf den Frieden bezog sich auf die kurz vorher, am 3. Mai und 6. Juni, zu Oliva und zu Kopenhagen abgeschlossenen Friedensverträge zwischen Schweden und dem Kaiser, den Polen, Brandenburg und Dänemark. Es ist bemerkenswert, wie hier erfreuliche Ereignisse des europäischen Staatenlebens auch in das bescheidene Dresdner Schützenfest herein einen Lichtschein werfen. Als etwas Besonderes hebt der Berichterstatter hervor, daß der Kurfürst und sein Bruder den alten Bürgermeister Valentin Scheffer durch gnädiges Zutrinken und vertrauliche Unterredung auszeichneten. Der Kurprinz wurde schon vor Beendigung des Mahles nach Hause geschickt, die übrigen Herrschaften erhoben sich aber erst nach 2 Uhr nachts, verließen das Haus „Gott Lob mit Gnaden und Vergnügen gegen Einen Ehrbaren Rat ohne einiges Unglück oder Irrsal“ und fuhren in Begleitung der vornehmsten Kavaliere unter Vorantragung von Windlichtern nach dem Schlosse.
Am andern Morgen schickte der Kurfürst einen Lakaien zum Bürgermeister Brehme und ließ fragen, ob die Schützen bald wieder hinauskommen würden, er werde dann auch sogleich erscheinen. Kurz vor 12 Uhr langte er mit seinem Bruder Moritz und dem Kurprinzen nebst Gefolge auf der Vogelwiese an, worauf das Schießen wieder begann. Wie am Tage vorher wurde vom Rate kalte Küche und ein Trunk in die Zelte gereicht. Inzwischen hatte ein „böhmischer Kerl“ namens Hans Mache aus Praskowitz die Kletterstange bis zum ersten Gewinste erstiegen und den halben Taler heruntergeholt. Nach zwei Stunden fand sich ein Schiffmann aus Loschwitz namens Martin Sang, der den in halber Höhe angebundenen Taler gewann; dadurch ermutigt, wagte er es nochmals, nachdem er etwas geruht und im Judizierzelte „eine gute Lase Bier verschluckt“ hatte, und nahm glücklich den ganz oben hängenden 11/2 Taler ab, ließ aber den im Laube sitzenden, vor Hunger und Durst verschmachteten Hahn und die Trommel stehen. „Seine Hosen und Hemde aber, ja der ganze Leib waren einer Schweinbrühe würdig, weil selbige mit der an den Baum gestrichenen Seife und Öle im Auf- und Niederfahren sehr wohl balsamiret gewesen.“
Die Schützen setzten das Schießen fleißig fort und im siebenten Rennen abends 1/2 6 Uhr räumte der Landvogt der Oberlausitz Kurt Reinicke Freiherr von Callenberg die Spille und erhielt das Königsrecht. Bürgermeister Brehme beglückwünschte ihn im Namen des Rates und traf Anstalt zur Verteilung der Gewinste. Unter Trommel- und Pfeifenklang und Vortragung der Schützenfahnen wurden die Gewinste von den Schützen vor das kurfürstliche Zelt getragen und durch die Pritschmeister mit einer Reimrede den Gewinnern überreicht. Der Schützenkönig erhielt einen vergoldeten hohen Tischbecher im Werte von 28 Talern. Dabei erinnerte ihn der Pritschmeister an die übliche Stiftung eines Schildchens für die Schützenkette; das daraufhin von ihm gestiftete schöne Schild, ein von Greifen gehaltenes Callenbergsches Wappen in vergoldetem Silber getrieben, ziert noch jetzt die Königskette der Bogenschützengesellschaft. Ferner erhielten der Jägermeister von Bomsdorf für den geschossenen Kopf, der Kanzleisekretär Schindler für das Hauptstück des rechten Flügels, der Kammerdiener Krause für das linke Flügelstück und der Kurfürst selbst für das Schwanzstück silberne Geschirre im Werte von 18 bis herab zu 10 Talern. 41 Geldgewinste für geschossene Späne in Höhe von 3 Groschen bis 1 Taler 9 Groschen wurden in lauter neugeprägten Geldstücken, in türkisches Papier eingewickelt, an die Schützen ausgeteilt. Für den Fall, daß eine fürstliche Person den Vogel abschießen würde, hatte der Rat einen wohlriechenden Würznelkenkranz, in den für 10 Taler Perlen eingeflochten waren, anfertigen lassen; dieser wurde nun für ein andermal aufgehoben.
Nach der Verteilung der Gewinste ergötzten sich die fürstlichen Herrschaften im Zelte noch mit einem Reihetrunk, wobei sie den Bürgermeister Brehme um sich hatten, während die übrigen Herren des Rates draußen standen. Nachdem sich dann der Hof und ebenso der Rat zu Wagen in die Stadt zurückbegeben, hielten die Schützen ihren feierlichen Einzug in ähnlicher Ordnung wie den Auszug. Der vornehme Schützenkönig trug die Kette und den gewonnenen Becher mit dem Kranze im Zuge nicht selbst, sondern ließ sich durch seinen Amtmann vertreten, ebenso ließen der Kurfürst und der Herr von Bomsdorf ihre Becher durch ihre Armbrustspanner im Zuge tragen, während die bürgerlichen Gewinner dies selbst taten. Die Vogelkette und die Schützenlade ward auf dem Rathause abgeliefert, und dort stärkten sich die Schützen noch mit einem Abschiedstrunke.
Am folgenden Tage erstieg „post festum“ ein Walachenjunge namens George Galuschy den noch [131] draußen stehenden Kletterbaum, eroberte die Trommel und Schalmei und blieb zwei Stunden im Wipfel sitzen, wobei er sich vermittelst der Schnur Bier hinaufreichen ließ und mit seiner Trommel viel Volk aus der Vorstadt um sich versammelte. Dann zog er mit Trommelschall und unter dem Geleit der Straßenjugend mit dem toten Hahne nach dem Schlosse und zu dem Freiherrn von Callenberg und wollte schließlich auch vom Rate noch ein Trinkgeld haben; es wurde ihm daraufhin nebst dem Kletterbaume ein Taler verabreicht. „Hat also“ – damit schließt der amtliche Bericht – „dieses von neuem wieder angefangene Vogelschießen sich mit Fried, Lust und Vergnügen der chur- und fürstlichen Herrschaften, auch sonsten männigliches Behagen nach angefangen, gemittelt und geendet.“
Einen bittern Nachgeschmack mag das Fest aber doch für den Rat gehabt haben, als ihm später die Rechnung über die Kosten vorgelegt wurde. Zu den bedeutenden Ausgaben für das Schießen selbst und für Essen und Trinken waren auch noch erhebliche Belohnungen und Trinkgelder hinzugekommen. Dem Oberschenken von Güntherodt, der bei der Tafel Marschallsstelle vertrat, wurde ein silbervergoldeter, mit weißem Blumenwerk geschmückter Tischbecher im Werte von 231/4 Taler, den beiden adeligen Vorschneidern, Junkern von Gersdorff und von Bernstein, je ein goldner Ring mit Diamanten für 7 Taler, alles Arbeiten des bekannten Goldschmieds und Ratsherrn Paul Zincke, verehrt. Der Hofkoch mit seinen Gehilfen erhielt 20 Taler, der Pritschmeister Ferber 5 Taler, sein Kollege Braun aber nur 4 Taler, weil ihm schon ein Paar Strümpfe geliefert worden waren. Die beiden Pickelhäringe wurden für ihre Späße mit 6 Talern belohnt. Ziemlichen Aufwand hatte die Musik verursacht: die sechs Schalmeibläser bekamen 12 Taler, die vier Bauernspielleute 2 Taler, die Bergsänger, wahrscheinlich ihrer neun, 9 Taler, die Stadtpfeifer 3 Taler und Herr Hickmann mit seiner Studentenkompagnie 12 Taler. Dem M. Conrad zahlte man 3 Taler für das von ihm gedichtete kurfürstliche „Namenslied“, von dem Melchior Bergen 200 Stück, zwei Druckbogen stark, für 4 Taler gedruckt hatte. Die Malerei an dem Theatrum, von Hans Gottfried Böhme ausgeführt, kostete 2 Taler. Für das benutzte Geschirr, das der Rat zum Teil von Gastwirten geborgt hatte, war eine Leihgebühr zu zahlen, für verloren gegangenes Ersatz zu leisten: so wurden zwei zerbrochene „Gesundheitsgläser“ mit 2 Talern, ein gestohlenes geschliffenes Glas mit 8 Talern angesetzt und für verlorenes – d. h. doch auch gestohlenes – Zinn, sechs Teller und zwei Kännchen, 53/4 Taler berechnet.
Der gesamte Festaufwand betrug 1280 Taler, gerade noch einmal soviel als beim letzten Vogelschießen von 1630 – in einer Zeit, wo Handel und Wandel noch schwer darniederlagen, gewiß eine hohe Summe, besonders wenn man in Betracht zieht, daß sich die ganze Jahresausgabe für alle Zweige der Stadtverwaltung auf nicht mehr als 20 000 Taler belief. Der Rat suchte sich wenigstens die vom Landesherrn in der guten Laune des Festes wiederholt gegebene Versicherung, daß er der Stadt in besonderer Gnade zugetan bleiben und ihre Wohlfahrt fördern werde, zu nutze zu machen: er erinnerte ihn in einem Schreiben vom 12. Juli daran und ließ es ihm durch den Bürgermeister Brehme persönlich überreichen, wobei dieser ihm die mancherlei Beschwerungen der Stadt mündlich zu Gemüte führen sollte; ob es freilich etwas genützt hat, davon steht nichts geschrieben.
Kein Wunder aber, wenn die Stadtväter der Fortsetzung dieser Lustbarkeiten nicht mit leichtem Herzen entgegensahen. Auf Verlangen des Kurfürsten mußten sie solche Vogelschießen wieder in den Jahren 1661, 1665, 1668, 1673, 1676, 1677 und 1678 veranstalten. Sie waren dabei bestrebt, die Ausgaben einzuschränken, und ließen schon beim nächsten das kostspielige Abendessen weg. Fast jedesmal machte man Versuche, sich dem Ansinnen des vergnügungssüchtigen Landesherrn zu entziehen, aber dieser bestand auf seinem Willen. Ganz besonders nahm der Rat 1678 einen Anlauf zum Widerstand. In einem Gesuche um Abschaffung des Festes wies er auf den nach den bisherigen Erfahrungen dafür erforderlichen bedeutenden Aufwand und andrerseits auf die Erschöpfung der städtischen Finanzen hin, an der namentlich das Ausbleiben der Zinsen von den dem Kurfürsten geleisteten bedeutenden Darlehnen, die Beeinträchtigung des Bierabsatzes aus dem Ratskeller und der auferlegte neue Bierzoll schuld sei; man habe noch nicht einmal die mehrere hundert Gulden betragenden Ausgaben für den Festschmaus bei der neulichen Einweisung des neuen Superintendenten, an dem der Kurfurst auch teilgenommen hatte, verwinden können. Der Oberhofmarschall erklärte sich nun zwar bereit, dieses Gesuch vorzutragen, riet aber davon ab und bemerkte, der Kurfürst habe sich das Vogelschießen bereits in seinem Diarium notiert und es werde daher nicht ohne große Erregung abgehen; er pflege solche Dinge so aufzufassen, als ob man ihn gerne los sein wolle. Das machte den Rat doch bedenklich und er trat deswegen sogleich zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Ratsherr Tzschimmer erklärte, er habe die Notiz im Tagebuche des Kurfürsten selbst gesehen. Ratsherr Vogler: man müßte es doch tun, es würde alles nichts helfen. Bürgermeister Wiegner: der Kurfürst habe es sich nun einmal eingebildet und es sei große Ungnade zu befürchten. Bürgermeister Schlinzig: der Kurfürst habe sich in dergleichen Dinge nie hineinreden [132] lassen; sei doch auch die kurfürstliche Kammer und alles so erschöpft, daß keine vernünftigen Ratschläge helfen wollten, was würde da hier die Einrede des Rats helfen! Man könne dem Kurfürsten bei seinem hohen Alter das Vergnügen füglich nicht abschlagen! Und so fügten sie sich alle in das Unvermeidliche, beschlossen die Schrift nur zu künftiger Nachricht beim Hofmarschallamte niederzulegen, sowie möglichst auf Ersparnisse beim Feste bedacht zu sein, und feierten mit ihrem Landesvater nochmals ein fröhliches Vogelschießen[4]. Aber es war sein letztes, zwei Jahre nachher starb er.
Nun trat eine lange Pause ein. Erst 1699 wurde auf Anordnung Augusts des Starken, als er mit großem Gefolge von der polnischen Königskrönung zurückkehrte, wieder ein Vogelschießen veranstaltet, das der Stadt nicht weniger als 3800 Taler Kosten verursachte. Von da an zog sich der Rat immer mehr von der Veranstaltung dieser Feste zurück und überließ sie bald ganz der Bogenschützengesellschaft[5]. Unter deren Obhut hat die „Vogelwiese“ nach und nach die heutige Gestalt angenommen und erfreut sich noch immer der vollsten Beliebtheit bei der großen Masse, der es Vergnügen macht, sich mitunter einmal für einige Stunden in einen älteren Kulturzustand zurückversetzt zu sehen.