Der festliche Tag, Sonntag der 24. Juni, war gekommen. Nach dem Gottesdienste (während dessen ausnahmsweise das Pirnische Tor zum Aus- und Einfahren offen blieb) versammelte sich der Rat auf dem Rathause und 100 Bürger aus allen Stadtvierteln traten mit Ober- und Untergewehr in ihren neuen schwarz und gelb verbrämten Uniformen auf dem Markte an. Ein „Vornehmer des Rats“, der Notarius Michael Müller, hielt an die in der Kommissionsstube versammelten Schützen eine Vermahnung, wie sie sich vor, in und bei dem Vogelschießen zu verhalten hätten. Um 12 Uhr wurde der Ausmarsch die Schloßgasse hinunter durchs Sporergäßchen über den Jüdenhof, wo die kurfürstlichen Herrschaften vom Stallgebäude herunter zuschauten, und die Pirnische Gasse, die jetzige Landhausstraße, hinaus angetreten. Den ersten der sechs Züge bildeten die 100 bewaffneten Bürger, befehligt von Viertelsmeistern, mit klingendem Spiel und Pfeifern. Den zweiten Zug führten die beiden Pritschmeister Georg Ferber und Wenzel Braun an, ihnen folgten zwei Trommelschläger und ein Pfeifer und dann drei Schützenälteste, von denen einer das große silberne Vogelschützenkleinod, die „Vogelkette“ genannt, umgehängt hatte, da der alte Schützenkönig vom Jahre 1630, dem dies der Sitte nach zugekommen wäre, nicht mehr lebte; die andern trugen die beiden silbervergoldeten Brustschilde, die vom Landesherrn in den Jahren 1614 und 1618 aus Anlaß seiner Schützenkönigswürde gestiftet waren und noch jetzt im Stadtmuseum aufbewahrt werden. Hierauf kamen, geleitet von je zwei Knaben mit Fahnen und Kränzen, der Zieler der Büchsenschützen mit der Vogelschützenlade auf der Schulter, der der Armbrustschützen mit einem Vogel und der Zeichen-Ausschreier mit dem Losbeutel, dann zwei „starke Knaben“ mit Körben voll Zitronen und Pommeranzen, endlich der Kommissionsdiener mit dem Königsbecher, begleitet vom Stadtwachtmeister und dem Marktmeister mit den großen Fahnen. Im dritten Zuge, den drei Viertelsmeister mit Rohrstäben und Degen und die Stadtmusikanten eröffneten, schritten drei und drei die Ratsherren mit dem Bürgermeister an der Spitze, dann die übrigen Viertelsmeister, die Schützen und deren Jungen mit den Rüstungen; die Ratsmitglieder stiegen am Pirnischen Tore in bereitstehende Wagen, einige aber begaben sich „wegen Jahrmarkts und anderer Verrichtung und Ehehaften“ wieder herein. Den vierten und fünften Zug bildeten die zur Belustigung der hohen Herrschaften und des verehrlichen Publikums befohlenen Bauern aus den Ratsdörfern, die in Angermanns Wirtschaft auf der Seegasse gespeist worden und wohl schon in angeregter Stimmung waren: voran der Bauernkommandant, auch „der Schwäbische Bauer“ genannt, dann zwei Schalmeier und ein Dudelsackpfeifer und zwölf Bauern mit ihren Rennstangen, an denen die Gewinste hingen, alle zu Pferde; hierauf zu Fuß zwei Pickelhäringe, d. h. Spaßmacher, vier Bauernspielleute und zehn Paar Mägde und Bauerknechte. Der letzte Zug endlich war sehr kurz: zwei Geiger und ein Sackpfeifer, drei Schenken mit Körben und Gläsern, in jeder Hand ein großes Glas haltend, drei Bierschröter mit einem schwarzgelb bemalten Fasse, endlich der Böttcher und acht Lehrjungen mit Reifen.
Als der Zug bei der Vogelstange anlangte, mußte ihm in dem Gedränge der vielen Tausende von Zuschauern, von denen es auch auf den Hausdächern der Ziegelgasse, auf Gartenmauern und aufgestellten Bretterbühnen wimmelte, erst durch die zur Absperrung aufgebotene Bürgermannschaft und die Pritschmeister, die mit ihren Pritschen wohl weidlich einhieben, Platz gemacht werden. Inzwischen kamen auch der Kurfürst und sein Bruder Herzog Moritz, beide mit Gemahlinnen, sowie mit dem Kurprinzen Johann Georg, der Prinzessin Erdmuthe Sophie und einer zu Besuch anwesenden Prinzessin von Holstein nebst ihrem Gefolge draußen an, wurde vor den Schranken von den an schwarzgelben Schärpen und Stäben kenntlichen Marschällen des Rates empfangen und zu dem von Schweizertrabanten und Bürgern bewachten Zelte geführt, wo der Rat sich aufgestellt hatte. Der Kurfürst bot jedem gnädigst die Hand und ließ sich herein geleiten, worauf sich die Ratsherren in das kurfürstliche Frauenzimmerzelt begaben und bei den fürstlichen Damen den Handkuß abstatteten.
Nachdem der Pritschmeister unter Trommelschlag den Anfang des Schießens verkündet, wurden die Geldeinlagen einkassiert und die Bolzen beschrieben, wobei sich 61 Teilnehmer meldeten, größtenteils Adelige, Beamte und Offiziere und nur einige wenige Bürger darunter. Das Ausrufen der Lose war einem Knaben mit guter Stimme übertragen. Nach jedem Rennen wurden auf Trommelsignal die Bolzen wieder eingesammelt. Der Kurfürst und sein Sohn gaben bisweilen auch außerhalb der durch das Los bestimmten Reihenfolge Schüsse ab; für den damals 13jährigen Kurprinzen, den späteren tapfern Türkenbesieger Johann Georg III., war als „Vortel“ ein besonderes Gestell zum Auflegen der Armbrust hergerichtet, während die übrigen Schützen ohne Auflegen schossen. Die fürstlichen Herren waren ganz bei der Sache „und haben sonderlich kurfürstliche Durchlaucht gewiß mit sonderbarem Anmut meist stehend auf eines jeden Schützen Aktion genaue Achtung gehabt“.
In den Zelten wurden die Gäste an Tafeln, die mit Rosenstöcken besetzt und mit Nelken bestreut waren, bewirtet. Für die Herrschaften wurde Rheinwein, für die hohen Offiziere Neckarwein und für „das Frauenzimmer“ Kirsch-, Erdbeer- und Himbeerwein, sowie
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/132&oldid=- (Version vom 18.2.2025)