Sobald das Schießen beendet war, setzten sich die Herren des Rats auf die „Karreten“ und eilten herein nach der Wohnung des regierenden Bürgermeisters Christian Brehme, wo ein großes Festmahl stattfinden sollte. Brehme, der bekannte Schriftsteller und frühere Bibliothekar des Kurfürsten, besaß ein Haus in der Pirnischen Gasse (Landhausstraße), neben der jetzigen Nr. 15, das zuletzt vom Amtsgericht benutzt und beim Baue des Polizeigebäudes mit abgebrochen worden ist. Vom Pirnischen Tore an bildeten 60 Mann bewaffnete Bürger mit klingendem Spiele bis an das Haus Spalier, und an der mit Maien besetzten Haustür hatte sich der Rat aufgestellt und begrüßte die nach 8 Uhr zu Wagen ankommenden kurfürstlichen Herrschaften. Die Tafel war im Vorsaal des zweiten Stockwerks hintenheraus hergerichtet; für die Gäste vom Adel, die nicht mit an dieser Tafel Platz fanden, und für die Ratsherren, die in der Aufwartung bei den Herrschaften einander ablösten, war im dritten Stock gedeckt. Vor den Fenstern des Speisesaals hatte man draußen auf den um den Hof herumlaufenden Gängen aus Linden, Erlen und Birken mit viel Goldfäden dazwischen und feinen Tapeten „ein schön Theatrum einer Waldperspektiv“ aufgebaut, das von zwölf über den Fenstern angebrachten Lichtern und den Wachskerzen, die auf einer mit Blumen geschmückten ovalen Tafel standen, und vermittelst hier und da aufgehängter Spiegel herrlich erleuchtet war. Als die Herrschaften Platz genommen hatten und die Vorhänge vor den Fenstern weggezogen wurden, stimmte eine Gesellschaft von neun Studenten und der Musik Beflissenen unter Leitung ihres Direktors Esaias Hickmann und unter Mitwirkung des Kreuzorganisten Hering „eine liebliche Musik mit Positiv, Violen und Dulcianen“ d. h. mit Hausorgel, Bratschen und Fagotten an und dazu sang ein weißgekleideter Jüngling ein vom Magister Elias Conrad gedichtetes Lied von den vier Jahreszeiten, das an den Johannistag, den Namenstag des Kurfürsten, anknüpfte und diesen in kräftiger, wenn auch nicht sehr geschmackvoller Weise verherrlichte. Es bestand aus 15 Strophen, deren letzte also lautete:
Ei so wachs je mehr und mehr,
Gleich dem Ersten Deines Namens,
Wachs an Macht, an Ruhm und Jahren her
Und an Früchten Deines tapfern Samens!
Feire vielmal diese Stunden
In der gleichen Friedensruh,
Als sie sich jetzt eingefunden,
Lebe wohl, Du Großer Du!
Über dem Jüngling hing ein von zwei fliegenden Engeln gehaltener Kranz, worin der Kurhut und der kurfürstliche Namenszug und darüber in goldenen Buchstaben das Wort Vivat, darunter die Jahreszahl 1660 angebracht war. Alles das konnten die Herrschaften durch die herausgenommenen, mit Lindenzweigen umwundenen Bogenfenster gut sehen und hören. Nach dieser Festaufführung spielte der Stadtpfeifer Lauberding mit seinen Gesellen zur Tafel auf. Auch „Bergsänger“ ließen sich hören: das waren Bergleute aus der Freiberger Gegend, die heimatliche Gesänge, sogenannte Bergreihen, mit Instrumentalbegleitung vortrugen.
An der kurfürstlichen Tafel saßen 22 Personen, obenan der Kurfürst mit seiner Gemahlin, auf der rechten Seite Herzog Moritz und der Kurprinz, auf der linken die Herzogin, die Prinzessin Erdmuthe Sophie und die Prinzessin von Holstein, die Damen also alle nebeneinander; dann folgten der Graf von Lynar, der Oberhofmarschall Freiherr von Rechenberg, die Geheimen Räte Heinrich und Karl von Friesen, der Landvogt von Callenberg, der Oberst von Liebenau und andere Hofbeamte und Offiziere. Von den Herren des Rates wurde keinem, auch dem Gastgeber Bürgermeister Brehme nicht, diese Auszeichnung zu teil, sondern sie hatten nur die ehrenvolle Aufgabe, mit ihren Söhnen und Dienern, sowie den Ratsbeamten und Viertelsmeistern bei der Tafel aufzuwarten, während die Frauen der beiden Bürgermeister Brehme und Schumann und dreier Ratsherren mit Hilfe des Kochs und des „kalten Küchenmeisters“ vom Hofe die Küche besorgten. Die Zahl der Gäste mag mit Einschluß der an der Beitafel im dritten Stock bewirteten nicht mehr als etwa 60 betragen haben. Was diese verzehrten, war nicht gerade unbedeutend. Es wurden verbraucht 4 Schöpse (das Stück zu 3 Taler), 4 Kälber (zu je 2 Taler 12 Groschen), 5 Lämmer (zu je 1 Taler 8 Groschen), 1 Viertel Rindfleisch von 88 Pfund (zu je 1 Groschen), 4 Rindszungen (für 17 Groschen), 2 Hasen (für 21 Groschen), ferner Dutzende von türkischen Hähnen, Kapaunen, alten und jungen Hühnern, sowie Krebse, Aale, Lachs, Karpfen, Hechte, Schmerlen und 2 Schock Forellen, die man sich durch den Pfarrer zu Lengefeld im Erzgebirge, das Schock für 5 Taler, also das Stück für 2 Groschen, besorgen ließ. Auffällig ist es, daß man sich zum Zugemüse Krauthäupte, Artischocken, Petersilienwurzel und Hasenöhrchen (eine Pilzsorte) erst von Leipzig kommen lassen mußte. An Kuchen wurden 4 Fladen für je 2 Taler, 1 großer Fladen für 3 Taler und 1 Aufsatzkuchen (Baumkuchen ?) für 1 Taler vom Bäcker bezogen, während die Frau Bürgermeisterin selbst 2 Scheffel Weizenmehl zu 32 kleinen Kuchen verbuk. Recht ansehnlich war der Konsum an Getränken. Es wurden, einschließlich des Verbrauchs in den Zelten während des Schießens, getrunken 21/2 Eimer Rheinwein für 54 Taler, von der Witwe Hammer in Leipzig bezogen, ein großes und ein kleines Stückfaß Neckarwein für 67 Taler vom Hofvisierer Oßwaldt, 11/2 Faß sechsjähriger
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/134&oldid=- (Version vom 19.2.2025)