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Juedischer Krieg/Buch VI 4-10

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Juedischer Krieg
Buch VII 1-6 »
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[455]
Viertes Capitel.
Unglücklicher Angriff auf den inneren Tempel. Uebergang einiger Rebellen. Brand der Thore. Berathung über das Schicksal des Tempelhauses. Ausfall der Juden. Der Tempel in Flammen. Allgemeiner Ansturm der Legionen. Geschichte des Tempels.

220 (1.) Als die für den Tempel bestimmten Belagerungsdämme von den betreffenden zwei Legionen zu Ende geführt waren, befahl Titus am achten des Monates Lous die Widder gegen die westliche und nördliche Ausbuchtung (Exedra) des inneren Heiligthums aufzufahren. 221 Vor diesen zwei Punkten nun bearbeitete vom frühen Morgen an ununterbrochen die stärkste Sturmmaschine, die die Römer besaßen, die Mauerwand, ohne das geringste auszurichten. Die Größe und das Gefüge der hier befindlichen Steine trotzte dieser so gut, wie allen anderen Widdermaschinen. 222 Nur beim Thore auf der Nordseite gelang es endlich, und zwar nicht durch die Maschinen, sondern durch die Mineure, die Grundsteine zu untergraben und nach ungemein mühseliger Arbeit die vordersten Quadern herauszuwälzen. Da aber das Thor noch von den weiter drinnen liegenden Steinen gestützt ward, so blieb es unerschüttert. Jetzt gaben die Römer die Hoffnung auf, mittels Widder und Brechstangen der Mauer beizukommen, und begannen Leitern an die Hallen anzusetzen. 223 So wenig sich die Juden beeilten, sie daran zu hindern, so groß war der Ungestüm, mit dem sie sich auf die einmal oben befindlichen Römer stürzten und mit ihnen rangen. Die einen stießen sie mit solcher Gewalt zurück, dass sie rücklings in die Tiefe stürzten, die anderen hieben sie im [456] Handgemenge zusammen. 224 Viele Römer wurden in dem Moment, wo sie von der Leiterspitze auf das Dach springen wollten, ehe sie noch mit ihrem Schilde parieren konnten, von den Schwerthieben der Feinde getroffen, und einige Leitern, die von Bewaffneten vollgepfropft waren, konnten die Juden sogar seitwärts drehen, 225 so dass sie von der Zinne hinunterglitten und nicht wenige Soldaten zerschmetterten. Besonders heftig wehrten sich die Fahnenträger um die auf der Höhe schon aufgepflanzten Standarten, deren Wegnahme sie für den schwersten Verlust und für die größte Schmach ansahen. 226 Doch zuletzt eroberten die Juden auch die Fahnen und machten alles nieder, was oben war, während die anderen, eingeschüchtert durch das Missgeschick der Gefallenen, zurückwichen. 227 Auf Seite der Römer hatten alle, die fielen, redlich ihre Schuldigkeit gethan, unter den Rebellen aber hatten sich auch diesmal wieder die Helden der früheren Kämpfe und außerdem Eleazar, Brudersohn des Tyrannen Simon, durch ihre Tapferkeit hervorgethan. 228 Als nun Titus sehen musste, wie die dem fremden Heiligthum erwiesene Schonung seinen Soldaten nur Schaden und Verluste brächte, gab er den Befehl, Feuerbrände an die Thore zu legen.

229 (2.) Um diese Zeit giengen Ananus von Emmaus, der größte Bluthund unter den Trabanten Simons, und Archelaus, der Sohn des Magadates, in der Hoffnung zu Titus über, dass sie jetzt umso leichter Gnade finden würden, weil sie gerade nach einem Siege der Juden die Stadt verlassen hatten. 230 Bei Titus aber verfieng dieser Kniff durchaus nicht, und da er überdies von ihrer Grausamkeit gegen das Volk erfahren hatte, so war er schon Willens, beide hinrichten zu lassen. „Nur der bittere Zwang“, fuhr er sie an, „hat euch zu mir getrieben, und hienge es von euch ab, so wäret ihr sicher nicht da. Leute, wie ihr, die erst in einem Augenblicke ihrer Vaterstadt entlaufen, wo dieselbe um eurer Frevel willen schon in Flammen steht, verdienen keine Gnade mehr!“ 231 Schließlich überwog doch die Rücksicht auf die gegebene Zusage den Zorn des Cäsars, und er ließ sie, wenn auch unter ganz anderen Bedingungen, wie die früheren, ziehen. 232 Unterdessen hatten schon die Soldaten Feuer an die Thore gelegt. Zunächst schmolz unter den ringsum leckenden Flammen das Silber ab und gab dann das Feuer an das Holzwerk weiter, von wo es, in mächtigen Garben aufschlagend, die Hallen erfasste. 233 Der Anblick dieses Feuerkreises schien im ersten Augenblicke den Juden alle Leibes- und Seelenkräfte gelähmt zu haben: das Entsetzen bannte sie dermaßen an ihre Stelle, dass auch nicht einer einen Schritt zur Vertheidigung oder zum Löschen machen konnte; 234 als wenn das Blut ihnen in den Adern erstarrt wäre, standen sie und [457] stierten in die Flammen. Aber weit entfernt, dass die Verzweiflung wegen der rettungslos verlorenen Hallen ihnen den vernünftigen Gedanken eingegeben hätte, wenigstens das Uebrige noch zu retten, schärften sie jetzt umgekehrt an der Vorstellung des brennenden Tempelhauses, das noch nicht einmal brannte, ihre ganze Wuth gegen die Römer. 235 Das Feuer brauchte übrigens den ganzen Tag und die folgende Nacht, um sich vollständig auszubreiten, da die Römer die Hallen bloß von einzelnen Punkten aus und nicht im ganzen Umkreis zugleich in Brand stecken konnten.

236 (3.) Am nächsten Tage befahl Titus einem Theile seiner Truppen an die Löscharbeiten zu gehen und zum Zwecke eines leichteren Aufmarsches der Legionen einen breiten Weg an den Thoren herzustellen. 237 Er selbst versammelte um sich den Stab, bestehend aus den sechs obersten Befehlshabern, nämlich dem Leiter aller Heerestheile, Tiberius Alexander, dem Legaten der fünften Legion, Sextus Cerealis, dem Legaten der zehnten Legion, Larcius Lepidus, dem Legaten der fünfzehnten Legion, Titus Phrygius, 238 und dem Lagerpräfecten der aus den zwei Alexandrinischen Legionen ausgewählten Truppen, Fronto Liternius, wozu noch der damalige Schatzmeister von Judäa, Markus Antonius Julianus, wie auch die anderen kaiserlichen Procuratoren und die Tribunen kamen. Den Gegenstand der Berathung bildete das Schicksal des eigentlichen Tempelgebäudes. Ein Theil der Versammelten hielt es für das beste, einfach nach dem Kriegsrechte vorzugehen, 239 da die Juden ihre Umsturzversuche solange nicht aufgeben würden, als noch der Tempel, dieser Vereinigungspunkt für die Juden der ganzen Welt, fortbestünde. 240 Andere wieder riethen zur Erhaltung des Tempels für den Fall, als die Juden ihn verlassen und nicht zu einem Waffenplatz machen würden: sollten sie dagegen auf ihm zur Vertheidigung Posto nehmen, möge man ihn niederbrennen; denn er sei dann nur eine Festung und kein Tempel mehr, und die Ruchlosigkeit wäre gewiss nicht auf Seite der Römer, sondern nur dort zu suchen, wo man die Gewalt gegen das Gotteshaus erzwungen habe. Dem gegenüber erklärte Titus: 241 „Ich meine, man sollte auch in dem Falle, als die Juden den Tempel zum Bollwerk machen, dem todten Material nicht die Bosheit der Menschen entgelten lassen und nie und nimmer ein so wundervolles Bauwerk den Flammen preisgeben. Den Schaden haben schließlich nur die Römer, die sich umgekehrt in diesem Tempel ein Juwel für ihre Kaiserkrone retten. 242 Diese Erklärung war dem Fronto, Alexander und Cerealis, die sich früher nicht recht zu äußern gewagt hatten, wie aus der Seele gesprochen. 243 Damit hob nun Titus die Sitzung auf und gab den Commandanten [458] die Weisung, ihre Truppen einmal gründlich ausrasten zu lassen, um sie dann desto kräftiger in den Kampf werfen zu können, während unterdessen eine Anzahl auserlesener Cohortensoldaten durch die Trümmer einen Zugang schaffen und das Feuer dämpfen musste.

244 (4.) An jenem Tage hielt begreiflicherweise Ermüdung und Bestürzung die Kampflust der Juden nieder. Am folgenden dagegen sammelten sie wieder ihre ganze Streitmacht und stürzten sich mit frischem Muth um die zweite Stunde durch das Ostthor auf die im äußeren Vorhof stehenden Wachposten der Römer. 245 Hier fanden aber die Angreifer einen ebenso kräftigen Empfang, indem die Römer schnell mit ihren Schilden vor sich ein Schutzdach und unter sich eine mauerdichte Schlachtreihe bildeten. Auf die Länge freilich, das war sofort klar, hätten die Angegriffenen sich nicht behaupten können, da der ausfallende Schwarm zu zahlreich und sein Angriff allzu ungestüm war. 246 Doch ließ es Titus, der von der Antonia herab dem Gefechte zusah, nicht zu dieser Wendung kommen, indem er mit seinen auserlesenen Reitern ihnen wieder Luft machte. 247 Dem Ansturm der Reiter konnten die Juden nicht Stand halten, und die meisten wandten sich, nachdem die ersten Reihen niedergehauen waren, wieder dem Tempel zu. 248 Kaum aber wollten sich die Römer zurückziehen, machten die Juden Kehrt und setzten ihnen nach. Wie die Römer sich umwandten, gaben auch die Juden wieder Fersengeld, bis sie endlich um die fünfte Tagesstunde mit aller Gewalt ins innere Heiligthum zurückgedrängt und dort eingeschlossen wurden.

249 (5.) Titus begab sich jetzt wieder auf die Antonia zurück mit dem Entschlusse, am frühesten Morgen des nächsten Tages seine ganze Macht in das innere Heiligthum zu werfen und so das ganze Tempelhaus ringsum einzuschließen. 250 Gott aber hatte schon längst den Tempel zum Feuer verurtheilt, und soeben war der verhängnisvolle Kreis der Zeiten mit dem zehnten des Monates Lous abgelaufen, an welchem Tage auch der frühere Tempel von dem Babylonischen König war in Brand gesteckt worden. 251 Wie die Juden die eigentliche Schuld waren, so sollten sie auch die äußere Veranlassung des Brandes werden. Kaum hatten sich nämlich die Rebellen nach dem Abzug des Titus ein wenig verschnauft, als sie schon wieder auf die Römer losstürzten: es waren diesmal die jüdischen Wachposten am Tempelhaus, welche den am inneren Heiligthum mit Löscharbeiten beschäftigten Römern ein Gefecht lieferten; die Römer aber jagten die Juden zurück und gelangten bei der Verfolgung bis zum eigentlichen Tempelhaus. 252 Hier geschah es nun, dass ein Soldat, ohne einen höheren Befehl abzuwarten oder im geringsten vor seiner verhängnisvollen That zurückzuschrecken, wie von [459] einer unsichtbaren Hand ergriffen, aus den glühenden Holzstücken einen Feuerbrand aufraffte, sich dann von einem Kameraden emporheben ließ und das Feuer beim goldenen Fenster hineinwarf, in dessen Nähe sich der nördliche Eingang in die rings um den Tempel laufenden Gemächer befand. 253 Das Aufwirbeln der Flammen begleiteten die Juden mit einem Schrei, wie ihn nur das Entsetzen über ein solches Unheil ausstoßen kann. Von allen Seiten liefen sie zusammen, dem Brande zu wehren: jetzt kannten sie schon gar keine Schonung mehr für ihr Leben, und keine Kraft ward mehr gespart beim Gedanken, dass nun gerade das, wofür man sich früher so gerne noch hätte erhalten wollen, in Flammen aufzugehen drohte.

254 (6.) In größter Eile stürzt ein Römer mit der Meldung ins Feldherrnzelt, wo Titus, vom Kampfe ermüdet, eben der Ruhe pflegen wollte. Der Cäsar sprang auf und lief, wie er war, zum Tempelhaus, um das Weitergreifen des Feuers zu verhindern; 255 ihm nach die Generäle, gefolgt von den alarmierten Legionen. Es war ein Schreien und Tosen, wie es nur das wilde Gewoge einer so ungeheuren Truppenmenge hervorrufen konnte. 256 Mit lauter Commandostimme und hocherhobener Hand suchte sich der Cäsar den kämpfenden Soldaten verständlich zu machen und sie zum Löschen anzuhalten. Aber sein Wort verhallte in dem ohrenbetäubenden Getümmel, und seine Winke blieben in dem Gewirre des Kampfes und in der Hitze der Leidenschaft völlig unbeachtet. 257 Vergebens bemühte er sich auch, theils durch gute Worte, theils durch Drohungen, die mit aller Gewalt in den Tempel einströmenden Legionen zurückzuhalten: man hörte nur auf die Stimme der Rache! Bei dem furchtbaren Gedränge, das um die Eingänge wogte, wurden viele von den Ihrigen zusammengetreten, viele stürzten in den noch glühend heißen Schutt der Hallen, und endeten ebenso elend, wie ihre Feinde. 258 Einmal in der Nähe des Tempelhauses, stellten sich die Legionäre gegen alle Befehle des Cäsars wie mit Taubheit geschlagen und schrien sogar ihren Vordermännern zu, nur noch mehr Brände in den Tempel hineinzuschleudern. 259 Den Rebellen war jetzt jede Möglichkeit, den Tempel zu retten, genommen; überall nur Tod und Schrecken! Zumeist waren es Bürgersleute und schwaches wehrloses Volk, das, wo es vom Feinde betroffen ward, ohne Umstände niedergestochen wurde, so dass um den Brandopferaltar sich ein ganzer Wall von Leichen häufte, und auch über die Stufen zum Tempelhaus das Blut in hellen Strömen hinabrieselte, gefolgt von den droben geschlachteten Opferleibern, die darüber hinabkollerten.

260 (7.) Da der Cäsar die fanatische Wuth seiner Soldateska nicht mehr zu bändigen vermochte, und andererseits auch das Feuer über- [460] hand nahm, so gieng er mit seinem Stabe in das Innere, um sich den heiligen Raum des Tempelhauses und seine Einrichtung näher anzusehen. Was er nun hier sah, übertraf bei weitem die Sage, die davon bei den Heiden gieng, und blieb auch nicht hinter dem zurück, was die Juden selbst davon Aufsehens und Rühmens machten. 261 Daraus, dass die Flammen im Innern noch nirgends durchgebrannt hatten, sondern nur in den ringsum liegenden Gemächern wütheten, glaubte Titus schließen zu müssen, es könnte am Ende doch das Bauwerk gerettet werden, was in der That damals noch möglich gewesen wäre. 262 Er eilte darum ins Freie und bemühte sich wiederholt, durch persönliche Zusprache die Soldaten zum Löschen des Feuers zu bringen, während er dem Centurio seiner Gardelanzenträger Liberalis die Weisung gab, die Brandleger mit Knüttelhieben zurückzutreiben. 263 Doch die Scheu vor dem Cäsar und die Furcht vor der Züchtigung ward überwogen von der Erbitterung und dem Hass gegen die Juden, wie auch von der einmal entfesselten überaus wilden Kriegsfurie. 264 Die meisten jedoch lockte die Aussicht auf Beute, weil sie der Meinung waren, dass drinnen alles voll von Schätzen sein müsse, zumal sie die ganze Außenseite ringsherum von Gold strahlen sahen. 265 Bereits waren von diesen Soldaten einige in das Innere des Tempels vorgedrungen, und einer davon benützte die Abwesenheit des Titus, der hinausgeeilt war, die Soldaten zu zügeln, um rasch hinter der Thüre an deren Angeln Feuer anzulegen. 266 Als nun auf einmal auch von innen eine Flamme aufzuleuchten beginnt, müssen sich die Generäle mit Titus zurückziehen, und man lässt jetzt die Soldaten draußen ungestört das Zerstörungswerk durch Feuer vollenden. So ward der Tempel gegen den Willen des Titus eine Beute der Flammen.

267 (8.) Gewiss muss der Untergang eines Werkes ungemein schmerzlich berühren, das in Anbetracht seiner kunstvollen Arbeit, wie ungeheuren Größe, dann auch der Kostbarkeit aller seiner Details und des Ruhmes seiner Heiligkeit zu dem Wunderbarsten gehörte, was wir aus eigener Anschauung oder bloß vom Hörensagen kennen. Indes empfängt dieser Schmerz auch einen ungemein großen Trost aus der Erwägung, dass dem Verhängnis, so wenig wie alles Lebendige, auch nicht die Gebilde und die Stätten der Menschen entrinnen können. 268 Geradezu staunenswert ist aber die Genauigkeit, mit der dabei der Umlauf der Zeiten beobachtet worden ist, da das Verhängnis nach dem Gesagten sowohl denselben Monat, wie auch denselben Tag, an welchem der Tempel früher von den Babyloniern angezündet worden ist, eingehalten hat. 269 Von der Erbauung des ersten Tempels, dessen Grund der König Salomon gelegt, bis zum Untergang des jetzigen, [461] der im zweiten Regierungsjahr des Kaisers Vespasian erfolgt ist, zählt man im Ganzen 1130 Jahre, sieben Monate und fünfzehn Tage. 270 Von der Gründung des zweiten Tempels an, den Aggäus im zweiten Regierungsjahr des Königs Cyrus begonnen, bis zu seiner Zerstörung unter Vespasian rechnet man dagegen 639 Jahre und 45 Tage.


Fünftes Capitel.
Der Tempel ein Meer von Feuer und Blut. Die Priester. Das Volk auf der Südhalle. Vorzeichen des Unterganges. Betrachtung des Verfassers über das Ende des Heiligthums.

271 (1.) Während der Tempel in Flammen aufgieng, raubten die Soldaten, was ihnen in den Wurf kam, und richteten unter denen, auf die sie stießen, ein ungeheures Blutbad an. Kein Alter fand Erbarmen, nichts Heiliges ward geachtet, sondern Knäblein und Greise, Laien und Priester wurden gleicherweise hingewürgt. Ohne jede Rücksicht auf das Geschlecht wüthete auf allen Seiten das feindliche Schwert, es wüthete ebenso gegen jene, die um Pardon baten, wie gegen jene, die noch Gegenwehr leisteten. 272 In das Geprassel der himmelhoch aufschlagenden Flammen mischte sich das schauerliche Aechzen der Sterbenden, und bei der Höhe des Tempelberges, wie bei der Ausdehnung des brennenden Gebäudes hätte man leicht glauben können, dass die ganze Stadt im Feuer stehe. Keine Vorstellung dürfte imstande sein, die Gewalt und die Grässlichkeit jenes Tumultes zu überbieten, 273 den der brausende Schlachtruf der zusammenströmenden Legionen, das Gebrüll der von einem Feuer- und Eisenwall umklammerten Rebellen, wie auch die Angst des abgeschnittenen und dem Feinde gerade in die Hände laufenden Volkes droben und sein letzter Todesschrei hervorbrachten. 274 Dem Getümmel auf der Höhe antwortete das Jammergeschrei des Volkes in der Stadt. Selbst viele von denen, die vor Hunger schon verschmachteten und kein lautes Wort mehr hervorbrachten, überkam beim Anblick des feuersprühenden Tempels eine verzweifelte Kraft, so dass sie wieder laut zu jammern, ja zu schreien begannen. Der Wiederhall von den Wänden jenseits des Kedron und den übrigen Bergen ringsum machte das Getöse noch furchtbarer. Aber dieser äußere Eindruck blieb noch weit hinter den wirklichen Schreckensscenen zurück. 275 Der ganze Tempelberg erschien von seinem Fuße an wie ein einziger ungeheurer Feuerofen, der nach allen Seiten Flammen spie. Dann hatte es wieder den Anschein, als ob die Blutbäche das Feuer ersticken müssten, da die Zahl der Schlächter fast hinter der Zahl ihrer Opfer verschwand. 276 Nirgends sah man mehr ein Fleckchen Erde, das nicht mit Todten bedeckt war, und die Soldaten mussten [462] förmliche Leichenhügel stürmen, um die Flüchtigen zu verfolgen. 277 Mit genauer Noth vermochte der Banditenschwarm den Kreis der Römer zu durchbrechen und sich nach dem äußeren Vorhof durchzuhauen, von wo er sich in die Stadt hinabwarf, während der Rest des Volkes sich auf die äußere Säulenhalle flüchtete. 278 Von den Priestern rissen einige zuerst die spitzigen Stangen am Dache mit ihren Bleilagern, in denen sie steckten, heraus und schleuderten sie auf die Römer hinab. 279 Als sie aber damit nichts erreichten, und das Feuer immer näher zu ihnen heraufzüngelte, zogen sie sich auf den acht Ellen breiten Mauerstock zurück und warteten hier das Weitere ab. 280 Nur zwei der Angesehensten, denen es freigestanden, sich durch den Uebergang zu den Römern zu retten, oder sich selbst auf das traurige Schicksal aller übrigen gefasst zu machen, stürzten sich jetzt in die Glut und verbrannten mit dem Tempel: es waren dies Meirus, Sohn des Belgas, und Josephus, der Sohn des Daläus.

281 (2.) Da die Römer es für zwecklos hielten, nach der Einäscherung des eigentlichen Tempelhauses die anderen Gebäulichkeiten ringsherum noch stehen zu lassen, so brannten sie alles miteinander, nämlich die noch übrigen Theile der Hallen und die Thore, mit Ausnahme von zweien, des Ostthores und Südthores, die sie erst später der Erde gleich machten, nieder. 282 Auch die Schatzkammern, in denen eine ungeheure Masse Geldes nebst einer Unzahl von feinen Kleidern und anderen Kostbarkeiten, kurz gesagt, der ganze Reichthum der Juden aufgespeichert lag, da die Wohlhabenden ihren ganzen Hausstand dorthin hatten bringen lassen, wurden den Flammen preisgegeben. Nun kamen die Römer auch an die noch stehenden Hallen des äußeren Vorhofes, 283 auf die sich Frauen und Kinder aus der Bürgerschaft und zahlreiches unterschiedliches Volk, bei 6000 Menschen, geflüchtet hatten. 284 Noch hatte der Cäsar über deren Schicksal noch nichts bestimmt, und auch die Generäle noch deine Ordre gegeben, als die von ihrer Erbitterung fortgerissenen Soldaten auch schon die Hallen von unten aus in Brand stecken, bei dem nun die einen, die noch den Flammen zu entrinnen vermochten, durch Absturz, die anderen aber im Feuer endeten: auch nicht einer kam aus dieser Masse mit dem Leben davon! 285 Die Schuld an ihrem elenden Tode trug ein falscher Prophet, der gerade an diesem Tage dem Volke in der Stadt feierlich erklärt hatte, es sei Gottes Wille, dass sie auf die Tempelhallen hinaufsteigen sollten, um dort die Wunderzeichen seiner rettenden Allmacht zu erfahren. 286 Ueberhaupt gab es damals viele solcher Propheten, welche von den Tyrannen angestiftet und unter das Volk geschickt wurden, um es zum standhaften Vertrauen auf die Hilfe Gottes zu ermuntern, und [463] auf diesem Wege zu erreichen, dass die Leute nicht zu viel überliefen, und dass jene, die schon über alle Furcht und Bedenklichkeit hinweg waren, doch wenigstens von der Hoffnung noch in der Stadt zurückgehalten würden. 287 Wie schnell glaubt doch der Mensch etwas im Unglück! Ist es aber gar die völlige Hebung des auf ihm lastenden Ungemaches, was ihm der Gauner verpfändet, so wird der Arme ein blinder Sclave seiner Hoffnung.

288 (3.) Auf solche Art ließ sich damals das unglückliche Volk von seinen Verführern und falschen Gottesgesandten gängeln, während es andererseits die Erscheinungen, welche die kommende Verödung prophezeiten, weder beachtete noch an ihre Bedeutung glaubte, sondern ganz so, als hätte ihm der Donner das Gehör verschlagen, und als wäre es ohne Augen und ohne Leben, die feierlichen Weisungen Gottes vollständig ignorierte. 289 So erschien einmal über der Stadt ein Gestirn, das viele Aehnlichkeit mit einem großen Schwerte hatte, wie auch ein Komet, der ein ganzes Jahr hindurch am Himmel verblieb. 290 in anderesmal – es war noch vor dem Abfall von Rom und vor dem Ausbruch der ersten kriegerischen Bewegung – als das Volk sich eben am achten des Monates Xanthikus zur Feier des Festes der ungesäuerten Brote versammelt hatte, da umfloss um die neunte Stunde der Nacht ein so gewaltiger Lichtglanz Altar und Tempelhaus, dass es heller Tag zu sein schien, was etwa eine halbe Stunde währte. 291 Obwohl die Erscheinung in den Augen der Unkundigen als eine gute Vorbedeutung galt, so gaben ihr doch die Schriftkundigen sofort jene Erklärung, die durch die folgenden traurigen Ereignisse bestätigt worden ist. 292 Bei demselben Feste geschah es, dass die von einer Person zur Opferung geführte Kuh mitten im Tempel ein Widderböcklein gebar. 293 Auch die östliche Pforte des inneren Heiligthums, die ganz von Erz und von so enormer Schwere war, dass sie am Abend von zwanzig Männern nur mit Mühe zugemacht werden konnte, und die sowohl mit eisenbeschlagenen Querpfosten gesperrt, als auch noch mit senkrechten Riegeln versehen war, welche man in die aus einem einzigen Steine bestehende Schwelle sehr tief hineinstecken konnte, diese Pforte sah man auf einmal um die sechste Stunde der Nacht ganz von selbst sich öffnen. Die Wächter des Heiligthums liefen nun schnell mit der Meldung zum Tempelhauptmann, 294 der sofort sich zur Pforte hinausbegab und erst mit vieler Mühe dieselbe wieder schließen konnte. 295 Auch dieses hielten die Unerfahrenen für ein ganz herrliches Vorzeichen, da es nach ihnen nichts geringeres bedeutete, als dass Gott ihnen das Thor zu allen Gütern jetzt aufgesperrt habe. Die Einsichtigen jedoch fanden darin die Andeutung, dass Gott selbst nunmehr seinen Schutz vom Heiligthum [464] zurückziehe und den Feinden zuliebe seine Thore aufmache, und stellten in ihren Kreisen das als bestimmtes Anzeichen der nahenden Verwüstung hin. 296 Erst wenige Tage waren seit diesem Feste verstrichen, als sich am 21. des Monates Artemisius eine geisterhafte Erscheinung zeigte, die ganz unglaublich klingt. 297 Wenn das, was ich erzählen werde, nicht in Kreisen von Augenzeugen seine Bestätigung hätte, und die Drangsale, die diesen Zeichen auf dem Fuße gefolgt sind, eine solche Vorbedeutung nicht geradezu herausfordern würden, könnte wohl das Ganze, wie ich fürchte, nur für eine abenteuerliche Fabel gehalten werden. 298 Vor Sonnenuntergang wurden nämlich hoch in der Luft über dem ganzen Lande hin Kriegswagen und Heeresmassen sichtbar, welche durch die Wolken stürmten und die einzelnen Städte umschlossen. 299 Weiter geschah es am sogenannten Pfingstfeste, dass die Priester, als sie nach ihrer Gewohnheit noch im nächtlichen Dunkel ins innere Heiligthum giengen, um ihren heiligen Dienst zu verrichten, zunächst ein Getrabe und Stampfen, wie sie erzählten, dann aber auch die Stimmen einer großen Menge vernommen, die da riefen: „Lasset uns von dannen ziehen!“ 300 Noch schreckhafter, als die angeführten Zeichen, war das folgende: Vier Jahre vor dem Ausbruch des Krieges, zu einer Zeit, wo die Stadt noch im tiefsten Frieden und Glücke lebte, kam ein gewisser Jesus, ein Sohn des Ananus, von gemeiner Herkunft und seiner Beschäftigung nach ein Bauer, auf das Fest, an dem alle Juden nach alter Sitte zur Verherrlichung Gottes in Laubhütten wohnen, und begann urplötzlich im Heiligthum laut aufzuschreien: 301 „Eine Stimme vom Aufgang, eine Stimme vom Niedergang, eine Stimme von den vier Winden, eine Stimme über Jerusalem und den Tempel, eine Stimme über Bräutigam und Braut, eine Stimme über das ganze Volk!“ Diese Worte schrie er bei Tag und bei Nacht, in allen Straßen Jerusalems herumgehend. 302 Einige angesehene Bürgersleute, erbost über das Geschrei des Unglücksraben, ließen den Mann aufgreifen und ihm eine starke Tracht Prügel verabreichen. Der Mensch verlor aber dabei weder ein Wort zu seiner Vertheidigung noch beschimpfte er die Personen, die ihn schlugen, sondern immer wieder kam nur derselbe Ruf über seine Lippen. 303 Die obersten geistlichen Behörden, welche hinter der seltsamen Unruhe des Menschen eine höhere Macht zu erblicken glaubten, worin sie gewiss das Rechte trafen, stellten den Mann vor das Gericht des damaligen römischen Landpflegers, 304 der ihn mit Geißelstreichen solange peitschen ließ, bis man auf seine Gebeine sehen konnte. Aber er flehte nicht, er weinte nicht, sondern in dem jämmerlichsten Tone, den er nur seiner Stimme geben konnte, begleitete er jeden Streich bloß mit den Worten: „Wehe, wehe [465] Jerusalem!“ 305 Auf alle Fragen des Albinus – so hieß der damalige Landpfleger – wer er sei, und woher er stamme, und warum er denn immer so schreie, hatte er gar keine Antwort, dafür aber wiederholte er unausgesetzt den Klageruf über die Stadt, bis endlich Albinus auf Narrheit erkannte und den Mann entließ. 306 Die folgende Zeit über bis zum Kriege näherte er sich weder einem Bürger, noch sah man ihn mit Jemand sprechen, sondern Tag für Tag, wie einem, der ein Gebet eingelernt hat, entquoll ihm nur die Klage: „Wehe, wehe Jerusalem!“ 307 Obwohl täglich von den Leuten geschlagen, hatte er nie einen Fluch für den, der ihn schlug, aber auch keinen Segen für den, der ihm zu essen gab: für alle hatte er immer nur dieselbe unheimliche, ominöse Antwort. Am lautesten erscholl sein Klagegeschrei an den Festtagen, 308 und trotzdem er durch sieben Jahre und fünf Monate so schrie, ward er niemals heiser und niemals müde, bis er endlich die Belagerung Jerusalems und damit die Erfüllung seiner verhängnisvollen Prophezeiungen schaute. Jetzt erst kam er zur Ruhe und zwar so: 309 Er gieng eben auf der Mauer herum und schrie mit einer mark- und beindurchdringenden Stimme sein „Wehe, wehe“ über die Stadt und das Volk und den Tempel, als er zuletzt auf einmal hinzusetzte: „Wehe, wehe auch mir!“ In demselben Augenblicke schnellte aus einer Balliste ein Stein auf, gerade auf ihn zu, und zerschmetterte ihn auf der Stelle, so dass sein Weheruf schon im Todesröcheln verhallte.

310 (4.) Wenn man das alles bei sich ruhig erwägt, so muss man zum Schlusse kommen, dass Gott für die Menschen die zarteste Sorge trägt und in der mannigfachsten Weise ihr Geschlecht auf die Mittel zu seinem Heile aufmerksam macht, und dass somit die Menschen nur an ihrer eigenen Thorheit und in ihrem selbstgewählten Elende zugrunde gehen. 311 Haben doch auch damals die Juden selbst ihr Heiligthum nach der Ueberwältigung der Besatzung in der Antonia viereckig gemacht, obschon in ihren Prophezeiungen deutlich geschrieben stand, dass Stadt und Tempel dann sicher fallen würden, wenn das Heiligthum die Form eines Viereckes bekäme. 312 Was aber die Juden am meisten für den Krieg begeisterte, das war ein doppelsinniger Prophetenspruch, der sich ebenfalls in den heiligen Schriften vorfindet und besagt, dass um jene Zeit aus dem Lande der Juden ein Herrscher der Welt hervorgehen werde. 313 Dieses Wort haben nun die Juden von einem der Ihrigen ausgelegt, so dass selbst viele weise Männer mit ihrem Urtheile hier fehlgegangen sind, während doch der Gottesspruch nur die Erhebung des Vespasian zur Kaiserwürde, die in Judäa durch das Heer erfolgte, hat andeuten wollen. 314 Es können ja doch nun einmal die Menschen dem Verhängnis, auch wenn ihnen ein [466] Blick in die Zukunft gegeben wird, schlechterdings nicht entrinnen, 315 und so haben auch die Juden diesen Zeichen zum Theile eine sehr rosige Deutung gegeben, theils gar keine Beachtung geschenkt, bis sie erst in dem Fall ihrer Vaterstadt und in ihrem eigenen Untergang über ihre Verblendung die schrecklichste Aufklärung empfiengen.


Sechstes Capitel.
Das Opfer des römischen Heeres. Hinrichtung der Priester. Unterredung zwischen Titus und den Rebellenführern. Die Römer setzen die Unterstadt in Brand. Uebergang der Prinzen von Adiabene zu den Römern.

316 (1.) Als die Rebellen in die Stadt hinuntergeflohen waren, und das eigentliche Tempelgebäude mit allen umliegenden Bauten ein Raub der Flammen geworden, trugen die Römer ihre Adler in das Heiligthum und stellten sie dem Ostthore gegenüber auf. Hier wurde ihnen nun ein Opfer dargebracht, und unter den begeistertsten Glückwünschen Titus von den Soldaten zum Imperator ausgerufen. 317 Alle Soldaten hatten sich mit erbeuteten Schätzen so voll gestopft, dass man in Syrien ein bestimmtes Gewicht Goldes nur mehr um die Hälfte seines früheren Wertes an Mann bringen konnte. 318 Bei den Priestern, welche noch immer auf dem Mauerstock des Tempelgebäudes aushielten, befand sich auch ein Knabe, der, von Durst gequält, die römischen Wachen um Pardon bat und ihnen sagte, wie sehr ihn dürfte. 319 Den Römern gieng die Qual des zarten Kindes zu Herzen, und sie versprachen ihm, das Leben zu schenken, worauf der Junge herabstieg, seinen Durst löschte und überdies das mitgebrachte Gefäß mit Wasser anfüllte. 320 Auf einmal war er aber auf und davon, zu den Seinigen zurück. Von den Wachen konnte ihn niemand mehr einholen, und so blieb ihnen nichts übrig, als tüchtig über seine Falschheit zu schimpfen, worauf der Schlingel herunterrief: „Ich habe ja doch unser Uebereinkommen nicht im geringsten gebrochen, da ich von euch den Handschlag erhalten habe, nicht, um bei euch zu bleiben, sondern um hinabsteigen und Wasser schöpfen zu dürfen. Das habe ich nun redlich gethan und zu weiterem hielt ich mich nicht verbunden“. 321 Die betrogenen Wachen mussten schließlich selbst das schlaue Stücklein zumal bei einem so kleinen Kerlchen höchlich bewundern. Am fünften Tage aber zwang der Hunger die Priester herabzukommen. Sie wurden von den Wachen sofort zu Titus geführt, der ihnen auf ihre flehentliche Bitte um Gnade zur Antwort gab: 322 „Die Zeit der Gnade ist für euch schon abgelaufen, und das einzige, was mich noch hätte bewegen können, euer zu schonen, ist nicht mehr: Der Priester soll seinen Tempel nicht überleben!“ Auf seinen Wink führte man die Männer zur Hinrichtung ab.

[467] 323 (2.) Da die Banden der Tyrannen jetzt auf allen Punkten geschlagen waren, und wegen der Umwallung ein Entrinnen nach keiner Seite hin mehr möglich war, ließen sie Titus um eine Unterredung ersuchen, 324 die ihnen der Cäsar in seiner angebornen Menschenfreundlichkeit, weil er wenigstens die Stadt noch zu erhalten hoffte, und bestärkt von seinen Freunden, die jetzt selbst an ein Entgegenkommen der Räuber glauben mochten, auch gewährte. Er nahm seinen Standort auf der westlichen Seite des äußeren Vorhofes, 325 da hier von beiden Seiten die Thore gerade auf den Xystus hinausgiengen, und eine Brücke die Oberstadt mit dem Tempel verband. Diese Brücke trennte jetzt die Tyrannen von dem Cäsar, 326 um die sich beiderseits dichte Scharen von Kriegern herandrängten: die Juden um Simon und Johannes waren voll banger Erwartung, ob sie begnadigt würden, die Römer aber um den Cäsar harrten mit gespannter Neugierde, was wohl die Juden für ein Verlangen stellen würden. 327 Nachdem Titus seinen Soldaten eingeschärft hatte, ihren Unwillen zu beherrschen und ja keinen Schuss auf den Feind zu thun, nahm er, einen Dolmetsch an der Seite, als Sieger das erste Wort in Anspruch und begann: 328 „Habt ihr also endlich doch einmal genug an dem Elende eurer Vaterstadt, nachdem ihr, ohne auf unsere Macht oder auf eure Schwäche Bedacht zu nehmen, in blindem Fanatismus und Wahnwitz euer Volk, eure Stadt und den Tempel bereits dem Untergang preisgegeben habt, und jetzt die Reihe an euch wäre, den verdienten Tod zu empfangen und die Geschichte einer Nation zu schließen, 329 welche schon früher, und zwar schon seit der Erstürmung Jerusalems durch Pompejus nie ganz zu revoltieren aufgehört und jetzt einen förmlichen Krieg gegen die Römer ins Werk gesetzt hat? War es nun etwa die Masse, auf die ihr euch dabei verlassen konntet? 330 Gewiss nicht, da schon ein winziger Theil des Römerheeres genügt hat, euch zu Paaren zu treiben. Also vielleicht eine treue Bundesgenossenschaft? Aber welche Nation außerhalb unseres Reiches hätte wohl lieber Freundschaft mit den Juden, als mit den Römern gehalten? Oder war es eure Körperstärke? 331 Auch das nicht, weil euch bekannt sein muss, dass germanische Recken unser Joch tragen. Vielleicht aber die festen Mauern? Ja, kann es denn eine gewaltigere Schutzmauer geben, als den Ocean? Und doch neigen sich die meerumflossenen Britannen vor unseren Fahnen! 332 War es die Heldenseele eures Volkes und das Genie eurer Feldherrn? Der Untergang von Carthago, von dem ihr wissen musstet, hätte euch sicher eines Besseren belehrt. 333 Es kann nach all’ dem nur eines sein, was euch gegen die Römer keck gemacht hat, nämlich die Güte der Römer! Wir haben euch einmal im ungestörten [468] Genusse eures Landes gelassen und demselben Könige aus eurer Mitte gegeben. 334 Wir haben ferner eure väterlichen Gesetze respectiert und euch nicht bloß in eurem eigenen Lande, sondern auch im Auslande ganz nach euren Wünschen leben lassen. 335 Die größte Gunst aber war die, dass wir euch sogar erlaubt haben, Abgaben für den Tempel Gottes einzuheben und Weihegeschenke dafür zu sammeln, wie wir auch den Ueberbringern weder in Wort noch That je Schwierigkeiten gemacht haben – und das alles zu dem Ende, damit ihr eure Geldquellen für den Kampf mit uns vermehren und mit unseren Schätzen euch gegen uns auf die Füße stellen konntet! 336 Nachdem ihr nun alle diese außerordentlichen Erweise unserer Güte genossen, habt ihr euch in eurem satten Uebermuthe gegen die Hand gekehrt, die sie euch bescheerte, und nach der Weise unzähmbarer Nattern euren Giftzahn denen eingehackt, die euch freundlich streichelten. 337 Allerdings hat Nero durch seinen Leichtsinn eure Verachtung herausgefordert und bewirkt, dass auf ähnliche Weise, wie die Abscesse oder Krämpfe im Körper lange Zeit heimtückisch schlummern können, um dann beim Ausbruch einer schweren Krankheit erst ihr Dasein zu verrathen, auch ihr eure wahre Natur erst unter ihm hervorgekehrt und eure begehrlichen Augen zu ganz unverschämten und maßlosen Hoffnungen erhoben habt. 338 Aber da kam mein Vater in das Land, nicht, um an euch für die Niederlage des Cestius Rache zu nehmen, sondern um euch einfach an eure Pflicht zu erinnern. 339 Denn anstatt euren Widerstand gleich bei der Wurzel zu fassen und auf der Stelle diese eure Hauptstadt von Grund aus zu zerstören, wie er das für den Fall der einmal festbeschlossenen Ausrottung eurer Nation hätte thun müssen, hat er sich im Gegentheil nur auf die Verwüstung Galiläas und der umliegenden Gebiete beschränkt, um euch noch eine weitere Gnadenfrist zu gewähren. 340 Aber in euren Augen war diese Milde nur Schwäche, und aus unserer Nachsicht hat eure Keckheit immer nur neue Nahrung gezogen. 341 So habt ihr nach dem Tode des Nero etwas gethan, wozu schon eine große Portion Niederträchtigkeit gehört: ihr habt sogar auf unsere innere Zerrissenheit speculiert und die Zeit, wo ich und mein Vater fern in Aegypten weilen mussten, zu euren Kriegsrüstungen wider uns ausgenützt, ja ihr habt euch nicht entblödet, uns sogar nach unserer Erhebung auf den Kaiserthron noch die größten Verlegenheiten zu bereiten, nachdem wir euch doch zuvor jegliche Schonung bewiesen hatten, die überhaupt ein feindlicher Feldherr üben kann. 342 Als sich nämlich das ganze römische Reich in unsere Arme geflüchtet hatte, und seine Bewohner allenthalben wieder zur Ruhe gekommen waren, ja selbst die auswärtigen Völkerschaften Glückwunschdeputationen an [469] uns schickten, da waren es wieder nur die Juden, die sich uns feindlich gegenüberstellten. 343 Beweise hiefür sind die Gesandtschaften, die ihr über den Euphrat geschickt habt, nur um Unruhen zu erregen, Beweis der Aufbau neuer Ringmauern, Beweis die Parteien unter euch und die Fehde der Tyrannen bis zum vollen Ausbruch des Bürgerkrieges, kurz, lauter Anzeichen eines grundverdorbenen Geschlechtes. 344 Endlich kam ich selbst vor die Stadt, um die traurige, von meinem Vater mir nur höchst ungern gestellte Aufgabe durchzuführen. Mit freudiger Genugthuung hörte ich daher von der Friedensstimmung des eigentlichen Volkes und forderte euch, 345 bevor es ernst wurde, wiederholt zur Niederlegung der Waffen auf. Selbst nach Beginn des Kampfes um die Stadt habe ich noch lange Zeit Nachsicht mit euch gehabt, indem ich den Ueberläufern Gnade angeboten und denen, die wirklich zu mir ihre Zuflucht nahmen, mein Wort ehrlich gehalten, desgleichen viele Gefangene aus Mitleid pardoniert, und ihre Misshandlung durch das wüthende Kriegsvolk verhütet habe. Nur dem Zwange weichend, habe ich meine Maschinen gegen eure Stadtmauern geschoben und war immer bemüht, die von Mordlust gegen euch entflammte Soldateska zu zügeln. Bei jedem meiner Siege habe ich, wie ein Besiegter, euch Friedensverhandlungen vorgeschlagen! 346 Schon bis zum Tempel vorgedrungen, wollte ich dennoch von der Anwendung des Kriegsrechtes noch immer nichts wissen, sondern beschwor euch im Gegentheil, doch mit eurem eigenen Heiligthum Erbarmen zu haben und das Haus Gottes euch zu erhalten. In dieser Absicht bot ich euch einen sicheren Abzug und volle Bürgschaft für euer Leben, ja, sogar eine Gelegenheit zum Schlagen auf einer anderen Wahlstatt an, falls ihr schon auf dem Kampfe bestehen wolltet. Und ihr – ihr habt euch über alle diese Vorschläge einfach hinausgesetzt und an euer Gotteshaus mit eigener Hand das Feuer gelegt, 347 um jetzt auf einmal mich zu einer Unterredung bitten zu lassen, nachdem ihr euch mit allen möglichen Schandthaten besudelt habt! Wozu denn etwa? Habt ihr denn noch etwas zu retten, was an die Bedeutung des vernichteten Tempels heranreichen könnte? Auf was für eine Gunst wollt ihr denn nach dem Falle eurer Gnadenstätte noch Anspruch machen? 348 Und selbst jetzt noch steht ihr mit den Waffen in der Hand vor mir und mögt euch nicht einmal in dem äußersten Elende, wenn auch nur äußerlich, in die Rolle von Bittenden bequemen! Was gibt euch doch, ihr Armseligen, einen solchen trotzigen Muth? 349 Hingerafft ist das Volk, verschwunden der Tempel, zu meinen Füßen liegt die Stadt, in meiner Hand euer Leben – so dass nur der Schluss übrig bleibt, es müsse eurer Meinung nach der ganze Heldenruhm nur in der Liebkosung [470] des Todes gefunden werden. 350 Doch ich will mit eurer tollen Verzweiflung nicht lange herumstreiten: wer die Waffen streckt und sich ergibt, dem schenke ich das Leben und mache es, wie ein nachsichtiger Hausvater, der, nachdem er die heillosen Elemente seines Hauses ausgemerzt hat, die übrigen sich zu erhalten sucht“.

351 (3.) In ihrer Antwort auf diese Vorstellungen erklärten nun die Rebellen, dass sie in die von Titus ihnen dargebotene Hand nicht einschlagen könnten, weil sie den Schwur abgelegt hätten, dies unter keinen Umständen zu thun. Sie möchten ihn aber um das eine bitten, dass er sie mit Weib und Kind über die Umwallung hinauslasse. Sie würden sich dann in die Wüste zurückziehen und ihm die Stadt überlassen. 352 Es musste natürlich dem Titus das Blut in die Wangen treiben, wenn Leute, die schon soviel, wie gefangen waren, ihm noch wie Sieger ihre Forderungen dictieren wollten. Er ließ ihnen daher durch den Dolmetsch kurz antworten: „Von jetzt an ist die Zeit für die Ueberläufer vorbei, hoffet auf keine Gnade mehr; denn ich werde keinem einzigen mehr Pardon geben! 353 Werft nur eure ganze Macht in den Kampf und sehet zu, wie ihr euch retten könnt! Jetzt soll nur mehr das Schwert das Wort haben“. Hierauf gab er den Soldaten den Auftrag, die Stadt anzuzünden und zu plündern. 354 Nachdem die Römer denselben Tag sich noch zurückgehalten, setzten sie am folgenden das Archivgebäude, die Häuser der Unterstadt, das Rathhaus und den sogenannten Ophel in Brand, 355 so dass die Flammen bis zum Palaste der Helena, der in der Mitte der Unterstadt lag, vordrangen. Bei dieser Gelegenheit brannten ganze Straßen, wie auch einzelne Gebäude zusammen, die förmlich von verhungerten Menschen angefüllt waren. 356 An diesem Tage ließen auch die Söhne und Brüder des Königs Izates und mit ihnen viele hervorragende Bürger, die sich bei ihnen zusammengefunden hatten, den Cäsar um Gnade anflehen. Obschon Titus gegen den Rest der Einwohnerschaft höchst aufgebracht war, so gieng er doch auch diesmal nicht von seiner gewohnten Milde ab und nahm die Unterwerfung der Männer entgegen. 357 Nur brachte er zunächst alle in sicheren Gewahrsam und ließ überdies die Söhne und Verwandten des Königs in Fesseln schlagen, um sie später nach Rom einzuschiffen und wichtige Geiseln an ihnen zu haben.

[471]
Siebentes Capitel.
Blutbad in der Unterstadt durch die Empörer. Zwei Römer von den Juden gefangen. Wüthen der Rebellen in der Oberstadt und Umgebung. Ihre Zuversicht.

358 (1.) Mittlerweile unternahmen aber die Aufrührer einen Sturm auf den königlichen Palast, wohin viele ihre Habe in Sicherheit gebracht hatten, weil sie auf seine Festigkeit bauten. Richtig wurden die Römer aus dem Palaste zurückgeworfen, und hierauf die ganze daselbst vereinte Volksmasse, bei 8400 Menschen, einfach niedergestoßen, wie auch Alles, was Wert hatte, geplündert. 359 Auch zwei Römer, ein Reitersmann und einer vom Fußvolke, fielen ihnen dabei lebend in die Hände. Dem letzteren machten sie gleich den Garaus und schleiften dann seine Leiche in der ganzen Stadt herum, als wollten sie ihre ganze Wuth gegen die Römer an diesem einzigen Todten auslassen. 360 Der Reiter aber wurde, weil er vorgab, den Aufrührern einen guten Rettungsplan zu stecken, vor Simon geführt. Da er jedoch hier keine besonderen Aufschlüsse zu geben wusste, so übergab ihn Simon einem seiner Führer, namens Ardalas, zur Execution. 361 Dieser führte ihn, die Hände auf den Rücken gebunden und die Augen mit einer Binde bedeckt, hinaus, um ihm vor den Augen der Römer den Kopf abzuschlagen. In dem Augenblick aber, da der Jude vom Leder zog, machte der Reitersmann einen gewaltigen Satz und entkam zu den Römern. 362 Titus brachte es zwar nicht über sich, den Mann, der sich auf solche Weise glücklich aus Feindeshand gerettet hatte, zum Tode zu verurtheilen, aber er erklärte ihn für unwürdig, fernerhin die römischen Waffen zu tragen, weil er sich hatte lebendig vom Feinde ergreifen lassen. Er nahm ihm Waffe und Wehr ab und stieß ihn aus dem Heeresverbande, eine Strafe, die für einen Soldaten, der noch eine Scham im Leibe hatte, bitterer war, als der Tod.

363 (2.) Erst am anderen Tage gelang es den Römern, die Raubgesellen aus der Unterstadt zu verjagen und den ganzen bis zum Siloah reichenden Stadtbezirk einzuäschern. Aber wenn sie auch das Vergnügen hatten, endlich einmal die Stadt in Flammen aufgehen zu sehen, so kamen sie doch in Bezug auf die Beute daneben, weil die Banden schon vor ihnen alles säuberlich ausgeräumt und ihre Beute in die Oberstadt geflüchtet hatten. 364 Auch nicht die leiseste Anwandlung zur Reue überkam die Schurken beim Anblick des Unheils, das sie gestiftet, im Gegentheil, sie brüsteten sich noch damit, als wären es lauter Ehrenthaten. Mit vergnügtem Gesichte schauten sie auf die Flammen herab und sagten es ganz offen, dass sie jetzt erst guten Muthes dem Ende entgegensähen, weil das Volk hingeschlachtet, der Tempel niedergebrannt und die Stadt selbst ein Feuermeer, folglich [472] den Feinden gar nichts geblieben sei. 365 Dessenungeachtet wurde Josephus bis zum letzten Augenblick nicht müde, die Elenden um die Rettung selbst der Trümmer ihrer Vaterstadt anzuflehen, aber er erntete sowohl für seine dringenden Vorstellungen, die er ihnen wegen ihrer Grausamkeit und Gottlosigkeit machen musste, als auch für seine vielen guten Rathschläge zu ihrer Rettung nichts anderes, als die gemeinsten Spöttereien. 366 Da sich die Banditen wegen ihres Eides nicht ergeben wollten und, wie in einem Thierkäfig eingeschlossen, sich außerstande sahen, auch nur mit einiger Aussicht den Kampf mit den Römern aufzunehmen, auf der anderen Seite aber noch die gewohnte Mordlust in ihren Händen juckte, so lauerten sie jetzt an verschiedenen Punkten in der Umgebung der Oberstadt unter den Ruinen auf die kommenden Ueberläufer. 367 Viele geriethen denn auch in ihre Hände und wurden ausnahmslos, da sie vor Hunger nicht einmal soviel Kraft hatten, um fliehen zu können, niedergemetzelt, ihre Leichen aber den Hunden vorgeworfen. 368 Doch schien den Unglücklichen immerhin jedes andere Ende noch erträglicher, als der Hungertod, woher es auch kam, dass sie, obschon sie jetzt gar kein Erbarmen mehr von den Römern erwarten durften, immer noch zu ihnen ihre Zuflucht nahmen und freiwillig den Rebellen ins Messer liefen. 369 In der Stadt selbst war auch nicht ein einziges Plätzchen, das nicht entweder einen verhungerten oder im Parteikampf ermordeten Juden aufzuweisen gehabt hätte, oder besser gesagt, mit solchen Leichen über und über bedeckt gewesen wäre.

370 (3.) Die Schreckensmänner und ihre Banden schmeichelten sich jetzt noch mit der Hoffnung, zuletzt wenigstens in die unterirdischen Gänge fliehen zu können, wo man sie, wie sie fest glaubten, nicht aufspüren würde. Nach der vollständigen Einnahme der Stadt und dem darauffolgenden Abzug der Römer wollten sie sich dann wieder herauswagen und durch die Flucht in Sicherheit bringen. 371 Das sollte nun freilich nur ein leerer Traum bleiben, da sie weder den Augen Gottes noch auch später den Augen der Römer zu entgehen vermochten. 372 Damals aber machten sie, wie gesagt, diese Schlupfwinkel noch recht vertrauensselig, so dass sie in diesem ihrem Uebermuthe noch größere Flächen, als selbst die Römer, niederbrannten und die aus den brennenden Häusern in die Canäle hinabfliehenden Bewohner ohne viel Federlesens niederstachen und ausraubten. Die bei ihnen erbeuteten Nahrungsmittel wurden, selbst vom Blute der Opfer durchtränkt, noch gierig verschlungen, und man schlug sich untereinander mit Erbitterung um die einzelnen Beutestücke. 373 Ja, ich glaube, dass, wenn ihrem Treiben nicht der Fall der Stadt ein Ziel gesetzt hätte, sie in ihrer unbändigen Blutgier das Fleisch noch von den Leichen abgebissen haben würden.

[473]
Achtes Capitel.
Aufführung der Dämme gegen die Oberstadt. Hinrichtung der Idumäerdeputation durch die Schreckensmänner. Haufenweiser Uebergang des Volkes. Auslieferung versteckter Tempelschätze. Durchbruchsversuch der Empörer. Die Römer in der Oberstadt. Allgemeines Morden. Jerusalems Ende.

374 (1.) Da man der Oberstadt wegen ihres ringsum steil abfallenden Gehänges ohne Wälle unmöglich beikommen konnte, so theilte Titus seine Streitmacht und nahm am zwanzigsten des Monates Lous wieder die Dammarbeiten in Angriff. 375 Ein schweres Stück Arbeit war besonders das Herbeischleppen des Holzes, indem, wie ich schon gesagt habe, die ganze Gegend um die Stadt in einem Umkreis von hundert Stadien für den Bau der früheren Dämme abgestockt worden war. 376 Die vier Legionen bauten ihre Schanzwerke auf der Abendseite der Oberstadt, gegenüber dem Königshof, 377 die Hilfstruppen aber und die übrige Heeresmasse begannen in der Gegend des Xystus, der dortigen Brücke und des Simonthurmes, den sich Simon als Vorwerk in seinem Kampfe mit Johannes errichtet hatte, mit der Aufschüttung ihrer Dämme.

378 (2.) In diesen Tagen kamen die Anführer der Idumäer zu einer geheimen Berathung zusammen, deren Gegenstand die Uebergabe an die Römer bildete. Es ward beschlossen, fünf Abgesandte an Titus zu schicken, um sich seiner Gnade zu empfehlen. 379 Da Titus die Hoffnung hegte, es würden durch die Lostrennung der Idumäer, die im Kampfe schwer in die Wagschale fielen, auch die Tyrannen zum Nachgeben genöthigt werden, so bewilligte er ihnen, wenn auch erst auf längeres Bitten, schließlich doch wenigstens den verlangten Pardon und entließ die Männer. 380 Wie sich nun die Idumäer zum Abzuge rüsten wollten, kam es Simon zu Ohren, der auf der Stelle die fünf Männer, welche die Gesandtschaft an Titus übernommen hatten, hinrichten ließ. Die Führer, darunter den berühmten Jakobus, Sohn des Sosa, befahl er zu verhaften und in den Kerker zu werfen, 381 während er das gemeine idumäische Kriegsvolk, das infolge der Aufhebung seiner Anführer zunächst ganz rathlos war, nicht aus dem Auge ließ und auch die Mauer nur mit ganz verlässlichen Wachen besetzte. 382 Trotzdem waren die Posten ganz ohnmächtig gegenüber der Flut von Ueberläufern, die sie aufhalten sollten: so viele auch von ihnen niedergestreckt wurden, so waren es immer noch weit mehr, die ihnen entschlüpfen konnten. 383 Alles fand jetzt bei den Römern Aufnahme, theils weil Titus selbst sich in seiner Herzensgüte über die früher von ihm erlassenen scharfen Verordnungen hinwegsetzte, theils weil die Soldaten, angeekelt von dem vielen Blutvergießen, von nun an schonender vorgiengen, zumal sie auch für ihren Beutel dabei etwas herauszuschlagen hofften. 384 Die [474] Soldaten ließen nämlich nur die eigentlichen Bürger Jerusalems ungeschoren, während sie die übrige Volksmasse mit Weib und Kind verkauften, natürlich nur um eine Bagatelle, da die Zahl der Menschenwaren zu groß, die der Käufer zu klein war. 385 Sogar solche Ueberläufer, die ganz allein kamen, wurden von Titus angenommen, obschon er früher in der Absicht, auch die Familien herauszubekommen, die öffentliche Kundmachung erlassen hatte, dass keiner ohne seine Angehörigen zu ihm übergehen dürfe. Doch setzte Titus eine Commission ein, welche die Aufgabe hatte, die mit einem todeswürdigen Verbrechen belasteten Ueberläufer von den übrigen zu sondern. 386 Die Zahl derer, die in die Sclaverei verkauft wurden, war eine immense, die Zahl der eigentlichen Bürger aber, die sich glücklich gerettet hatten, betrug über 40.000. Den letzteren erlaubte der Cäsar hinzugehen, wohin ein jeder wollte.

387 (3.) In denselben Tagen verließ auch ein gewisser Jesus, der Sohn des Priesters Thebuthi, sein Versteck, nachdem er von Titus die eidliche Zusicherung seiner Begnadigung unter der Bedingung erhalten hatte, dass er einige Gegenstände aus dem heiligen Schatze ausliefere, was er auch that. 388 Er brachte aus der Wand des Tempelhauses zwei Leuchter zum Vorschein, welche den im Heiligthum stehenden sehr ähnlich waren, dann auch Tische, Mischkrüge und Schalen, 389 Alles von massivem Golde und von bedeutendem Gewichte. Ferner lieferte er die Vorhänge und die Amtskleidung des jeweiligen Hohenpriesters mit den Edelsteinen daran, wie auch viele andere beim heiligen Dienst in Verwendung kommende Geräthschaften aus. 390 Auch der Tempelschatzmeister, namens Phinees, fiel den Römern in die Hände und musste ihnen die Kleider und die Gürtel der Priester und eine Menge Purpur- und Scharlachstoffe verrathen, die zum Zwecke der Erneuerung der Vorhänge immer bereit lagen, überdies noch einen großen Vorrath von Zimmt und Kasia und anderer Gewürze, die täglich in einem bestimmten Gemenge als Rauchwerk Gott dem Herrn dargebracht wurden. 391 Auch viele andere Kostbarkeiten und nicht wenige heilige Paramente spielte er den Römern in die Hände, wofür er dann den gleichen Pardon, wie die Ueberläufer, empfieng, auf den er als eigentlicher Kriegsgefangener sonst keinen Anspruch gehabt hätte.

392 (4.) Als endlich nach achzehntägiger Arbeit am siebenten des Monates Gorpiäus die Dämme fertig gestellt waren, rückten die Römer mit den Maschinen an die Mauer heran. In diesem Augenblicke entsank vielen Rebellen jede Hoffnung auf die Rettung der Stadt, und sie zogen sich von der Mauer auf die Burg zurück, während andere [475] in den unterirdischen Gängen verschwanden. 393 Immerhin blieb noch eine starke Zahl von Vertheidigern auf ihren verschiedenen Posten und suchte die Annäherung der Sturmböcke zu verhindern. Doch brach sich ihr Widerstand an der Uebermacht und Stärke, ganz besonders aber an der Siegeszuversicht der Römer, der sie jetzt nur Entmuthigung und Abspannung entgegenstellen konnten. 394 Als nun erst gar ein Stück von der Mauer einstürzte, und schon einige Thürme unter den Widderschlägen erzitterten, da ließen sich die Vertheidiger keinen Augenblick mehr halten, und selbst die Tyrannen überkam plötzlich ein Schrecken, der durch die wirkliche Gefahr sicher nicht in solchem Grade gerechtfertigt war. 395 Denn noch bevor ein Feind seinen Fuß auf die Mauer gesetzt hatte, waren sie schon starr vor Angst und dachten hin und her, wie sie ihm nur entrinnen könnten. Die vordem so aufgeblasenen Menschen, die sich noch aus ihren Schandthaten eine Ehre gemacht hatten, boten jetzt in ihrer Niedergeschlagenheit und schlotternden Angst ein so klägliches Schauspiel, dass einen selbst diese abgefeimten Bösewichter in ihrer jetzigen Verfassung hätten dauern können. 396 Zunächst hatten sie es auf eine Ueberrumplung der Umwallung abgesehen, deren Wachen sie zurückwerfen wollten, um dann durch eine Bresche zu entkommen. 397 Da sie aber nirgends mehr ihre alten getreuen Trabanten sahen, – diese waren in alle Winde zerstoben, wie es einem jeden die Angst eingab – und überdies einige in aller Eile schon den Einsturz der ganzen westlichen Mauer, andere auch schon den Feind im Innern meldeten, wieder andere wussten, dass er in der nächsten Nähe stehe und schon nach den Tyrannen suche, 398 und einige in den Trugbildern ihrer geängstigten Phantasie ihn sogar schon auf den Thürmen gesehen haben wollten, da fielen sie auf ihr Angesicht, um mit lautem Stöhnen ihren Wahnwitz zu beweinen, und waren eine Zeitlang ganz außerstande zu fliehen, nicht anders, als wären ihnen die Sehnen durchschnitten. 399 Da konnte man wieder einmal so recht den starken Arm Gottes über dem Haupte der Frevler, wie auch das Glück der römischen Waffen kennen lernen! Die Tyrannen beraubten sich ja selbst der sichersten Schutzwehr, indem sie aus eigenem Antriebe die Thürme verließen, wo sie keine Gewalt je, sondern nur der Hunger hätte bezwingen können. 400 Auf diese Weise bekamen die Römer, nachdem sie auf die Eroberung der schwächeren Mauern unsägliche Mühe hatten verwenden müssen, gerade jene Mauern, die sonst den stärksten Maschinen getrotzt hätten, durch einen glücklichen Zufall in ihre Gewalt. Es waren das die drei Thürme, von denen wir weiter oben eine Schilderung entworfen haben, und deren Stärke alle Belagerungsmaschinen zu Schanden gemacht haben würde.

[476] 401 (5.) Nachdem die Tyrannen die Thürme verlassen hatten oder, besser gesagt, durch Gottes Hand von denselben herabgeschleudert worden waren, flohen sie gleich in das Thal unter der Siloahquelle, wo sie sich von ihrer ersten Angst etwas erholten. 402 Hierauf machten sie einen Angriff gegen die Umwallung, bei dem sie aber, schon von Furcht und Noth gelähmt, keineswegs den kühnen Heldenmuth entfalteten, den die verzweifelte Lage gefordert hätte. Sie wurden von den Wachen zurückgeworfen und vollständig auseinandergesprengt, worauf die Einzelnen sich in die unterirdischen Gänge versteckten. 403 Die Römer aber waren unterdessen über die Mauern eingedrungen und hatten ihre Standarten auf den Thürmen aufgepflanzt, wo sie nun unter Waffenklang und Jauchzen ihre Siegeslieder anstimmten und das so unerwartet leichte Ende eines Krieges feierten, der einen so harten Anfang gehabt hatte. Denn ohne einen Tropfen Blutes zu vergießen, waren sie auf die letzte Mauer hinaufgekommen, so dass sie zunächst ihren eigenen Augen nicht trauten und in eine seltsame Verlegenheit geriethen, als sie jetzt keinen einzigen Gegner mehr vor sich sahen. 404 Dann aber ergossen sie sich, mit dem Schwert in der Faust, in die Straßen der Stadt und hieben in zügelloser Wuth alles in Stücke, was sie ereilten, und zündeten die mit Flüchtigen vollgefüllten Häuser an, dass alles miteinander verbrannte. 405 Wollten aber die Soldaten auf ihrem verheerenden Zuge einmal selbst in das Innere eines Hauses dringen, um Beute zu machen, so stießen sie regelmäßig auf die Leichen ganzer Familien und auf Dächer, die voll von Verhungerten lagen, bei deren Anblick sie, von kaltem Schauder gepackt, ohne etwas angerührt zu haben, wieder hinausstürmten. 406 So ergriffen sie aber beim Anblick dieser Todten waren, so gefühllos waren sie für die Lebenden. Wer ihnen unter die Hände kam, dem bohrten sie das Schwert in die Brust, so dass sich in den Straßen ganze Barrikaden von Leichen bildeten. Das Blut floss in der ganzen Stadt so reichlich, dass an vielen Stellen selbst die Flammen von seinen Strömen erstickt wurden. 407 Gegen Abend hörte das Gemetzel auf, indes das Feuer gerade bei der Nacht immer stärker um sich griff. 408 So stieg nun die Sonne am achten Gorpiäus über die Flammen Jerusalems auf, einer Stadt, die während der Dauer ihrer Belagerung allein schon soviele Leiden ausgestanden hat, dass dasselbe Maß von Glück, auf die ganze Zeit ihres Bestandes vertheilt, sie gewiss noch immer in den Augen der Menschen beneidenswert gemacht hätte. Und an diesen entsetzlichen Drangsalen war nichts anderes, als nur das Geschlecht schuld, das Jerusalem zuletzt hervorgebracht, und von dem es auch ins Verderben gerissen worden ist.

[477]
Neuntes Capitel.
Die Riesenthürme. Trauriges Schicksal der Gefangenen. Zahl der während der Belagerung umgekommenen Juden. Die Leichen in den unterirdischen Gängen. Beutegier und Mordlust der Soldaten. Gefangennahme des Johannes.

409 (1.) Nach seinem Einzuge wurde Titus von der höchsten Bewunderung für die Befestigungswerke der Stadt, namentlich aber für die Thürme ergriffen, welche die Tyrannen in ihrer Kopflosigkeit im Stiche gelassen hatten. 410 Wie er so seine Blicke auf ihre massive Höhe, auf den gewaltigen Umfang der einzelnen Steine, auf das haarscharfe Gefüge, auf ihre riesige Breite und Ausdehnung hinschweifen ließ, da musste er ausrufen: 411 „Wahrhaftig, da hat Gott an unserer Seite gestritten, und nur Gott konnte es sein, der die Juden von diesen Burgen herabgezerrt hat: denn was könnten wohl Menschenhände oder Belagerungsmaschinen gegen solche Thürme ausrichten?“ 412 Um diesen Gedanken bewegten sich viele seiner Gespräche, die er damals mit seinen Freunden führte. In den Gefängnissen dieser Thürme fand man auch die Opfer der Tyrannen, die von Titus sofort ihre Freiheit erhielten. 413 Als Titus später die ganze Stadt der Erde gleichmachen und die Ringmauern abgraben ließ, durften die Thürme allein noch stehen bleiben, als ewige Monumente seines Glückes, mit dessen Hilfe er bezwungen, was sonst keine menschliche Gewalt hätte gewinnen können.

414 (2.) Da die Soldaten schon des Blutvergießens müde waren, aber andererseits doch noch ganze Scharen von Juden sich zeigten, die am Leben geblieben waren, so gab Titus den Befehl, nur mehr die Bewaffneten und jene, die sich zur Wehre setzen würden, niederzuhauen, das übrige Volk aber zu Gefangenen zu machen. 415 Die Soldaten ließen nun zunächst, außer den von Titus angegebenen, auch die Greise und Schwachen über die Klinge springen, um dann jene, die noch in der Blüte ihrer Jahre waren, und die noch eine Verwendung finden konnten, zum Tempel hinaufzutreiben, wo man sie zwischen den Umfassungsmauern des Frauenvorhofs einschloss. 416 Die Aufsicht über diese Gefangenen erhielt ein Freigelassener des Cäsar, während einer seiner Freunde, namens Fronto, die Aufgabe bekam, einem jeden von ihnen das verdiente Urtheil zu sprechen. 417 Zuerst ließ Fronto alle Rebellen und Banditen, von denen einer den anderen verrieth, mit dem Tode bestrafen, worauf er die schlanksten und schönsten von den jungen Leuten aussuchte, um sie für den Triumph aufzusparen. 418 Von den übrigen schickte er viele, die schon über siebzehn Jahre alt waren, wohlgefesselt nach den Bergwerken Aegyptens ab, während die meisten dieses Alters von Titus in die verschiedenen Provinzen verschenkt wurden, um in den dortigen Theatern unter dem Schwerte oder den [478] Zähnen der wilden Thiere zu enden. 419 Die Gefangenen unter siebzehn Jahren wurden als Sclaven verkauft. Aber noch während der von Fronto vorgenommenen Musterung starben 11.000 Gefangene aus Mangel an Nahrung, weil zum Theile die Wächter ihnen aus Hass nichts verabfolgten, zum Theile sie selbst von dem Dargereichten nichts zu sich nehmen wollten, und überdies für eine solche Menschenmasse der Speisevorrath auch viel zu klein war.

420 (3.) Die Zahl sämmtlicher Kriegsgefangenen, die während des ganzen Feldzuges gemacht wurden, ward auf 97.000 Köpfe berechnet, die Zahl jener, die bei der ganzen Belagerung umkamen, auf 1,100.000 Menschen. 421 Davon gehörte der größte Theil, wenn er auch jüdischer Abstammung war, keineswegs zu den eigentlichen Bewohnern der Hauptstadt, da die Leute von allen Enden des Landes zum Feste der ungesäuerten Brote nach Jerusalem zusammengeströmt und dort, ehe sie sichs versahen, vom Feinde umschlossen waren, ein Zustand der Ueberfüllung, welcher unter ihnen zunächst tödtliche Seuchen und dann die noch verheerendere Hungersnoth hervorbringen musste. 422 Dass aber die Hauptstadt wirklich solche Massen aufnehmen konnte, geht klar aus der unter Cestius vorgenommenen Schätzung hervor. Dieser wollte nämlich den Kaiser Nero, der von der Größe unserer Nation ziemlich wegwerfend sprach, über die Stärke der Hauptstadt einmal aufklären und forderte zu diesem Zwecke die Hohenpriester auf, wenn es irgendwie möglich wäre, eine Zählung der Volksmenge anzustellen. 423 Da nun das sogenannte Paschafest vor der Thüre stand, bei welchem von der neunten bis zur elften Stunde Opfer dargebracht werden, und zwar in der Weise, dass jedes Opfer den Mittelpunkt einer Art Familienbundes von nicht weniger als zehn Köpfen, oft auch bis zu zwanzig Köpfen bildet – denn für sich allein darf Niemand die Opfermahlzeit genießen – 424 so zählten nun die Hohenpriester bei dieser Gelegenheit die geschlachteten Opfer und ermittelten die Zahl 255.600. 425 Das macht, um nur zehn Theilnehmer für jedes Opfer anzusetzen, 2,600.000 Menschen, und zwar sind das nur die reinen und heiligen, 426 da den mit Aussatz oder Samenfluss behafteten, wie auch den Frauen während des Monatsflusses und allen anderen sonstwie verunreinigten Personen die Theilnahme an diesem Opfer nicht gestattet war. 427 Ebenso waren die Heiden, die Gott ihre Verehrung zu bezeigen zum Feste erschienen, von diesem Opfer ausgeschlossen.

428 (4.) Zum großen Theil stammt diese Volksmenge von auswärts. Damals aber wurde durch das Verhängnis aus der Festversammlung gleichsam ein einziger großer Kerker, in den die ganze Nation eingesperrt ward, und gerade in dem Augenblick, da die Stadt von [479] Menschen vollgestopft war, schloss sich der feindliche Ring um sie. 429 Kein Wunder also, dass das massenhafte Verderben in der Stadt allen Schrecken überstieg, den Feindesschwert und Gottes Geißel nur verbreiten können. Wie gesagt, wurden von den Römern jene Juden, die sich blicken ließen, zum Theil niedergemetzelt, zum Theil gefangen genommen, aber die Soldaten durchstöberten auch die unterirdischen Gänge und rissen sogar den Erdboden auf, um alle, die ihnen dort in die Hände geriethen, abzuschlachten. 430 Man stieß dort auch auf mehr als 2000 Todte, die theils durch eigene Hand, theils durch fremde Hand, zumeist aber durch Hunger den Tod gefunden hatten. 431 Der Verwesungsgeruch, der von diesen Leichen den eindringenden Römern entgegenwehte, war so entsetzlich, dass viele auf der Stelle umkehren mussten, während die anderen, von der Gier nach Schätzen weiter getrieben, durch die aufgehäuften Leichen sich keck hindurcharbeiteten: fand man ja doch soviele Kleinodien in diesen Stollen, 432 und wo gab es je einen, wenn auch noch so grauenvollen, Pfad, den die Geldgier nicht in der Ordnung gefunden hätte! Auch viele Gefangene der Tyrannen förderte man aus diesen Schächten zu Tage. 433 Sie hatten also von ihrer Grausamkeit nicht einmal in der äußersten Bedrängnis lassen können! Uebrigens machte sich Gott von beiden Schurken nach Gebür bezahlt, indem Johannes nach furchtbaren Hungersqualen, die er mit seinen Brüdern in den geheimen Gängen durchgemacht, endlich sich gezwungen sah, um die Gnade der Römer zu betteln, die er oft so stolz zurückgewiesen hatte, wie auch Simon nach langem Ringen mit der Noth, das wir im Folgenden noch ausführlicher schildern werden, sich selbst den Römern stellte. 434 Er wurde in Haft genommen, um später durch seinen Tod den Triumph zu verherrlichen. Johannes erhielt ewigen Kerker. Nachdem die Römer die Stadt bis in ihre entlegensten Theile verbrannt, gruben sie auch noch die Stadtmauer ab.


Zehntes Capitel.
Kurze Geschichte Jerusalems.

435 (1.) Aus solche Weise wurde Jerusalem im zweiten Jahre der Regierung Vespasians, am achten des Monates Gorpiäus erstürmt. Obwohl früher schon fünfmal erstürmt, ward sie doch im Ganzen nur zweimal völlig verwüstet. 436 Der erste, der sie nahm, ohne sie zu zerstören, war der Aegypterkönig Asochäus, der zweite Antiochus, der dritte Pompejus und dann Sosius im Vereine mit Herodes. 437 Vor ihnen hatte sich der König von Babylon der Stadt bemächtigt und dieselbe in eine Ruinenstätte verwandelt. Das geschah 1468 Jahre und sechs Monate nach der Gründung der Stadt. 438 Ihr erster Erbauer war [480] ein chanaanäischer Fürst, der in unserer Muttersprache den Namen „gerechter König“ führte und ihm auch alle Ehre machte. Darum war er zugleich der erste Priester, der hier Gott diente und die erste heilige Stätte errichtete, wie er auch davon die ehedem Solyma genannte Stadt Hierosolyma zubenannte. 439 Der jüdische König David verjagte die chanaanäische Bevölkerung aus der Stadt und siedelte seine Stammgenossen dort an, bis sie 477 Jahre und sechs Monate nach ihm von den Babyloniern geschleift ward. 440 Zwischen dem König David, dem ersten Juden, der über Jerusalem herrschte, und der Zerstörung durch Titus liegt ein Zeitraum von 1179 Jahren, 441 zwischen der ersten Gründung und der letzten Eroberung aber ein solcher von 2177 Jahren. 442 So sollte denn weder ihr ehrwürdiges Alter, noch ihr unerschöpflicher Reichthum, weder die Ausbreitung ihres Volkes über die ganze Erde, noch der Weltruf ihres Cultus imstande sein, ihren Untergang aufzuhalten. Also endete die Belagerung Jerusalems!

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