einer unsichtbaren Hand ergriffen, aus den glühenden Holzstücken einen Feuerbrand aufraffte, sich dann von einem Kameraden emporheben ließ und das Feuer beim goldenen Fenster hineinwarf, in dessen Nähe sich der nördliche Eingang in die rings um den Tempel laufenden Gemächer befand. 253 Das Aufwirbeln der Flammen begleiteten die Juden mit einem Schrei, wie ihn nur das Entsetzen über ein solches Unheil ausstoßen kann. Von allen Seiten liefen sie zusammen, dem Brande zu wehren: jetzt kannten sie schon gar keine Schonung mehr für ihr Leben, und keine Kraft ward mehr gespart beim Gedanken, dass nun gerade das, wofür man sich früher so gerne noch hätte erhalten wollen, in Flammen aufzugehen drohte.
254 (6.) In größter Eile stürzt ein Römer mit der Meldung ins Feldherrnzelt, wo Titus, vom Kampfe ermüdet, eben der Ruhe pflegen wollte. Der Cäsar sprang auf und lief, wie er war, zum Tempelhaus, um das Weitergreifen des Feuers zu verhindern; 255 ihm nach die Generäle, gefolgt von den alarmierten Legionen. Es war ein Schreien und Tosen, wie es nur das wilde Gewoge einer so ungeheuren Truppenmenge hervorrufen konnte. 256 Mit lauter Commandostimme und hocherhobener Hand suchte sich der Cäsar den kämpfenden Soldaten verständlich zu machen und sie zum Löschen anzuhalten. Aber sein Wort verhallte in dem ohrenbetäubenden Getümmel, und seine Winke blieben in dem Gewirre des Kampfes und in der Hitze der Leidenschaft völlig unbeachtet. 257 Vergebens bemühte er sich auch, theils durch gute Worte, theils durch Drohungen, die mit aller Gewalt in den Tempel einströmenden Legionen zurückzuhalten: man hörte nur auf die Stimme der Rache! Bei dem furchtbaren Gedränge, das um die Eingänge wogte, wurden viele von den Ihrigen zusammengetreten, viele stürzten in den noch glühend heißen Schutt der Hallen, und endeten ebenso elend, wie ihre Feinde. 258 Einmal in der Nähe des Tempelhauses, stellten sich die Legionäre gegen alle Befehle des Cäsars wie mit Taubheit geschlagen und schrien sogar ihren Vordermännern zu, nur noch mehr Brände in den Tempel hineinzuschleudern. 259 Den Rebellen war jetzt jede Möglichkeit, den Tempel zu retten, genommen; überall nur Tod und Schrecken! Zumeist waren es Bürgersleute und schwaches wehrloses Volk, das, wo es vom Feinde betroffen ward, ohne Umstände niedergestochen wurde, so dass um den Brandopferaltar sich ein ganzer Wall von Leichen häufte, und auch über die Stufen zum Tempelhaus das Blut in hellen Strömen hinabrieselte, gefolgt von den droben geschlachteten Opferleibern, die darüber hinabkollerten.
260 (7.) Da der Cäsar die fanatische Wuth seiner Soldateska nicht mehr zu bändigen vermochte, und andererseits auch das Feuer über-
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/469&oldid=- (Version vom 1.8.2018)