den Feinden gar nichts geblieben sei. 365 Dessenungeachtet wurde Josephus bis zum letzten Augenblick nicht müde, die Elenden um die Rettung selbst der Trümmer ihrer Vaterstadt anzuflehen, aber er erntete sowohl für seine dringenden Vorstellungen, die er ihnen wegen ihrer Grausamkeit und Gottlosigkeit machen musste, als auch für seine vielen guten Rathschläge zu ihrer Rettung nichts anderes, als die gemeinsten Spöttereien. 366 Da sich die Banditen wegen ihres Eides nicht ergeben wollten und, wie in einem Thierkäfig eingeschlossen, sich außerstande sahen, auch nur mit einiger Aussicht den Kampf mit den Römern aufzunehmen, auf der anderen Seite aber noch die gewohnte Mordlust in ihren Händen juckte, so lauerten sie jetzt an verschiedenen Punkten in der Umgebung der Oberstadt unter den Ruinen auf die kommenden Ueberläufer. 367 Viele geriethen denn auch in ihre Hände und wurden ausnahmslos, da sie vor Hunger nicht einmal soviel Kraft hatten, um fliehen zu können, niedergemetzelt, ihre Leichen aber den Hunden vorgeworfen. 368 Doch schien den Unglücklichen immerhin jedes andere Ende noch erträglicher, als der Hungertod, woher es auch kam, dass sie, obschon sie jetzt gar kein Erbarmen mehr von den Römern erwarten durften, immer noch zu ihnen ihre Zuflucht nahmen und freiwillig den Rebellen ins Messer liefen. 369 In der Stadt selbst war auch nicht ein einziges Plätzchen, das nicht entweder einen verhungerten oder im Parteikampf ermordeten Juden aufzuweisen gehabt hätte, oder besser gesagt, mit solchen Leichen über und über bedeckt gewesen wäre.
370 (3.) Die Schreckensmänner und ihre Banden schmeichelten sich jetzt noch mit der Hoffnung, zuletzt wenigstens in die unterirdischen Gänge fliehen zu können, wo man sie, wie sie fest glaubten, nicht aufspüren würde. Nach der vollständigen Einnahme der Stadt und dem darauffolgenden Abzug der Römer wollten sie sich dann wieder herauswagen und durch die Flucht in Sicherheit bringen. 371 Das sollte nun freilich nur ein leerer Traum bleiben, da sie weder den Augen Gottes noch auch später den Augen der Römer zu entgehen vermochten. 372 Damals aber machten sie, wie gesagt, diese Schlupfwinkel noch recht vertrauensselig, so dass sie in diesem ihrem Uebermuthe noch größere Flächen, als selbst die Römer, niederbrannten und die aus den brennenden Häusern in die Canäle hinabfliehenden Bewohner ohne viel Federlesens niederstachen und ausraubten. Die bei ihnen erbeuteten Nahrungsmittel wurden, selbst vom Blute der Opfer durchtränkt, noch gierig verschlungen, und man schlug sich untereinander mit Erbitterung um die einzelnen Beutestücke. 373 Ja, ich glaube, dass, wenn ihrem Treiben nicht der Fall der Stadt ein Ziel gesetzt hätte, sie in ihrer unbändigen Blutgier das Fleisch noch von den Leichen abgebissen haben würden.
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/482&oldid=- (Version vom 1.8.2018)