Die Kriegsfinanzen der Großmächte
der Großmächte
gehalten in Basel am 9. November 1915
von
[II]
aus den Sonntagsblättern Nr. 46 u. 47 der „Basler Nachrichten“
vom 14. und 21. November 1915.
[3] In den ersten Tagen des August 1914, inmitten einer in ihren seelischen und geistigen, ihren politischen und wirtschaftlichen Grundvesten erschütterten Welt, da die Besten jedes Volkes sich auf ihre letzten, unerschüttert gebliebenen Werte besannen, um derentwillen das Volk zur Tat aufgerufen wurde, lasen wir in einer Rede des englischen Schatzkanzlers Lloyd George die frevelhaften Worte, Sieger im Weltringen werde derjenige Staat bleiben, der die letzten 100 Millionen Pfund aufzubringen vermöge. Uns, die wir wissen, daß historisches Geschehen sich in der Sphäre des Transzendenten, nicht der des Mechanischen vollzieht, erschien frevelhaft die Gesinnung, die ihre Zuversicht aus dem Glauben an die letzten 100 Millionen Pfund herzuleiten vermochte, doch nicht minder frevelhaft auch die Gesinnung, die die Anwaltschaft auf den Sieg in anderen mechanischen Vorteilen, in Vorteilen der schweren Artillerie, im Besitze eines 42 cm-Mörsers zu haben vermeinte. Der Wundermörser verstummte gar bald vor nicht mechanisch und nur mit Einsatz sittlicher Kräfte zu brechenden Hindernissen; mit ihm verstummte auch längst schon der Glaube an die Siegeskraft silberner Kugeln. Was bei
[4] Kriegsausbruch die wenigsten voraussahen ist heute Gemeinplatz: keiner der kriegführenden Staaten wird infolge finanzieller Schwierigkeiten die Waffen strecken, keiner hat in seiner finanziellen Stärke die Gewähr des Sieges.
Mit dieser Erkenntnis verliert mein Thema jedes aktuell-politische Interesse und kann auch an neutraler Stätte in einem akademischen Vortrag erörtert werden. Zweck dieser Erörterung ist nicht die Mitteilung von Tatsachen und Zahlen, die jedem Zeitungsleser bekannt sind und hier deshalb nur flüchtig in Erinnerung gebracht werden sollen; was sie geben will, sind die Beziehungen zwischen den Kriegsfinanzen und den Grundelementen, die die Wesenheit der Völker, die Wesenheit der kriegführenden Mächte konstituieren. Wir bezeichnen diese Elemente als das Sein und das Haben des Volkes. Das Sein gegeben und bestimmt durch die Veranlagung und die sittlichen Werte der Bevölkerung; das Haben gegeben und bestimmt durch Geographie und Geschichte, Geographie umfassend Lage und geologische Formation, Bodenbeschaffenheit und Klima des Landes, Geschichte umfassend alle der Gegenwart von den vorausgegangenen Perioden überlieferten Ansammlungen, Ansammlungen von Menschen und Kapitalien nicht minder als die kulturelle Tradition, die staatlichen, rechtlichen, wirtschaftlichen Institutionen. Ein auf diese für den Staat allein wesentlichen Elemente gerichtetes Auge sieht ihre Spiegelung auch in den Vorgängen, die wir als Finanzierung des Krieges [5] bezeichnen, und die scheinbar ganz und gar in der Sphäre des Geldumlaufe liegen.
Nur scheinbar. Montecucculis jetzt zum Ueberdruße zitierter Ausspruch vom dreifachen Geldbedarfe des Krieges hatte Geltung, solange die Feldherren die Kriegführung in Generalentreprise übernahmen und solange Geld in Söldnertruppen umgesetzt wurde. Seitdem aber Geld nicht mehr unmittelbar in Truppen, sondern allein in die Mittel zu ihrem Unterhalt und ihrer Ausrüstung umgesetzt werden kann, ist nicht Geld mehr das Entscheidende, sondern die nationale Produktionskraft. Denn nur durch diese kann Geld für die Kriegführung wirksam werden und nur in dem Maße, als diese ausreicht, Alle zu ernähren und Alles zu liefern, was der Krieg bedarf: Brot und Fleisch, Tuch und Leder, Gewehre und Munition, Kanonen und Granaten, Zugtiere und Automobile, Stacheldraht und Pelze, Zelte, Verbandszeug, Gummireifen und tausendunddrei andere Dinge.
Diese Vorräte für den Krieg bereitzustellen war ehemals Aufgabe der staatlichen Magazinierungspolitik. Dem enormen Sachbedarf des heutigen Krieges gegenüber versagt die Magazinierung, der Inhalt der staatlichen Proviantmagazine und Zeughäuser kommt nur für den Kriegsbeginn in Betracht, für die Fortführung des Krieges muß der Staat auf die Vorräte der Volkswirtschaft greifen, auf die Warenlager des Handels, die Rohstofflager und die Arbeitskräfte der Industrie. Hier findet er reichliche Reserven vor. [6] Denn einmal dient gut 1/3 der im Frieden geleisteten Arbeit der Erzeugung von Reizungs- und Betäubungsmitteln und der Befriedigung von Luxus- und Vergnügungsbedürfnissen; diese aber schrumpfen im Kriege auf ein Minimum zusammen, und die im Frieden in ihrem Dienste stehenden Kräfte können nun direkt oder indirekt in den Dienst des Kriegsbedarfes gestellt werden. Zum Zweiten verbraucht das Volk, selbst bei luxuriöser Lebensführung, im Frieden bei weitem nicht alles was es erzeugt. Den Ueberschuß der Erzeugung über den Verbrauch, das was wir fachlich die Kapitalbildung nennen, verwendet das Volk im Frieden zu Bauten aller Art, Häuser-, Fabriken- und Maschinenbauten, Schiffs- und Eisenbahnbauten, Bauten von Straßen, Brücken und Deichen. Die unvorstellbaren Zahlen dieser Kapitalbildung würden zur Veranschaulichung ihres Umfanges weniger beitragen als die Mitteilung, daß nach fachkundiger Schätzung die Bauinvestitionen der 12 größten Städte der nordamerikansichen Union alljährlich den Bauwert des kaiserlichen Rom erreichen, und daß die jährliche Bautätigkeit innerhalb des Weichbildes von Großberlin dem Aufwande gleichkommt, der zum Bau des Perikleischen Athen erforderlich war. Im Kriege ruht diese Bautätigkeit. Die Rohstoffe und Arbeitskräfte, die sie im Frieden in Anspruch nahmen, sind nun für den Krieg disponibel. Diese Richtungsänderung der produktiven Kräfte nennt man die Umgestaltung der Volkswirtschaft zur Kriegswirtschaft. Wir müssen nun zunächst fragen: auf [7] welche Weise kann der Staat die volkswirtschaftlichen Reserven, die Rohstoffe und Arbeitskräfte, in den Dienst des Kriegsbedarfes stellen?
Der Staat hat gewiß die Möglichkeit, alle innerhalb seines Machtbereiches vorhandenen Gütervorräte und die gesamten verfügbaren Arbeitskräfte, ganz ohne Rücksicht auf den Inhalt seiner Kassen, für Zwecke der Kriegführung in Anspruch zu nehmen. Er kann sie requirieren, und dies tut er auch in größtem Umfange im eroberten Feindeslande. Innerhalb seiner eigenen Volkswirtschaft macht der Staat heute aus dem Requisitionsrechte nur in sehr geringem Umfange Gebrauch. Aus recht naheliegenden Gründen: stets gab der Bauer dem Kaiser mit Freude seinen Sohn, aber nur mit Murren seinen Ackergaul. Das Murren war gleichgültig, solange der Bauer nicht wesentlich mehr geben konnte, als was ihm bei Kriegsbeginn weggenommen wurde; es ist ganz und gar nicht gleichgültig, wenn der Staat während der ganzen Kriegsdauer fortgesetzt auf Güterlieferungen der Wirtschaft angewiesen ist. Im gegenwärtigen Kriege hat nur einer der kriegführenden Staaten innerhalb seines eigenen Wirtschaftsgebietes aus dem Requisitionsrechte einen weitgehenden Gebrauch gemacht, der russische Staat, und dieser mit einem recht problematischen Erfolge. Die durch Kohlen- und Rohstoffmangel ohnehin beeinträchtigte Leistungsfähigkeit der russischen Industrie wurde durch Requisitionen abermals geschwächt; der Unternehmer, der für seine Lieferungen [8] Requisitionsscheine erhielt, empfand so wenig Anreiz zum Weiterarbeiten, daß zahlreiche Betriebe sequestriert und für Rechnung der Krone weitergeführt werden mußten. Der moderne Staat requiriert nicht im Inlande, die Leiturgien müssen heute bezahlt werden.
Aus welchen Mitteln werden sie bezahlt? Der nächstliegende Ausweg, den erhöhten Bedarf durch erhöhte Steuern zu decken, versagt. Die Mittel, die selbst starke Steuererhöhungen zu liefern vermögen, sind winzig klein, an den Bedürfnissen des heutigen Krieges gemessen. England hat, den alten und vornehmen Traditionen seiner Finanzpolitik folgend, auch in diesem Kriege einen Teil der Kriegskosten durch Kriegssteuern zu decken versucht. Es blieb beim Versuche. In den 2 Jahrzehnten englischer Kriege gegen das revolutionäre und napoleonische Frankreich wurden gut 2/3 des Kriegsbedarfes durch Kriegssteuern aufgebracht; heute decken die englischen Kriegssteuern kaum den durch den Krieg bewirkten Ausfall in den ordentlichen Staatseinnahmen. Da Requisitionen und Steuern versagen, ist der Staat bei der Finanzierung des Krieges auf Anleihen angewiesen. Durch Anleihen erlangt der Staat die Verfügungsgewalt über die in der Vergangenheit gebildeten Gütervorräte, über die Reserven seiner Volkswirtschaft und über die produktiven Kräfte der Gegenwart, die Gegenleistung in der Form von Zinsen und Tilgungsquoten erstattet er in der Zukunft.
Der Staat bezahlt die Lieferungen mit Anleihen. Die Mechanik dieses Zahlungsprozesses mag uns [9] ein Blick auf die Anleihewirtschaft des Deutschen Reiches veranschaulichen. Offenbar würden sich technische Unzuträglichkeiten einstellen, wollte der Staat für die Lieferungen Zug um Zug Stücke der Kriegsanleihe ausgeben. Diese Unzuträglichkeiten überwindet, als technisches Mittel der Güterübertragung, das Geld. Der Staat wendet sich nicht allein an die Lieferanten, er wendet sich an die Gesamtheit seiner Bürger und bietet Kriegsanleihe jedermann zum Kaufe an. Wer Ersparnisse gemacht oder eben Gewinne erzielt hat, verwendet sie zum Ankauf von Kriegsanleihe; für diejenigen, die über kein Bank- oder Sparkassenguthaben verfügen, wohl aber über Vorräte oder Produktionskräfte, die der Staat benötigt, wurden Darlehenskassen eingerichtet, bei welchen jedermann gegen Verpfändung solcher Vorräte papierene Geldscheine geliehen erhält. Um es an einem Beispiel zu zeigen: jedes Kilogramm Kupfer kann sich in einen 3 Mark-Darlehenskassenschein verwandeln, wer 100 Tonnen Kupfer auf Lager hat, kann sie verpfänden und 300,000 Mark Kriegsanleihe zeichnen. In den Staatskassen strömen als Einzahlungen auf die Kriegsanleihen sowohl jene Bank- und Sparkassenguthaben zusammen wie diese in Darlehenskassenscheinen mobilisierten Vorräte, und nun hat der Staat auch die Mittel, um jedes im Lande überhaupt vorhandene Quantum von Kupfer und Baumwolle, Stahl und Leder und Chemikalien anzukaufen und die Weiterverarbeitung dieser Rohstoffe zu Gegenständen des Kriegsbedarfs zu bezahlen [10] Was beim Verkauf der Rohstoffe und ihrer Weiterverarbeitung an Gewinnen erzielt wird, kann von Neuem in Kriegsanleihen angelegt werden. Die Bezahlung der Lieferungen wie die Einzahlungen auf die Kriegsanleihe werden in papierenen Geldscheinen geleistet; dringen wir aber über den Majaschleier des Geldes zur wirtschaftlichen Wirklichkeit durch, so sehen wir, daß diese Geldscheine nur technische Hilfsmittel sind. In Wirklichkeit werden alle Güter und Dienste, deren der Staat bedarf, mit Kriegsanleihe bezahlt. In unserm Beispiel hat der Mann, der 100 Tonnen Kupfer dem Staate verkaufte, nicht Geld dafür erhalten, dieses mußte er ja sofort an die Darlehenskasse zurückzahlen, er hat für sein Kupfer jetzt 300,000 Mark Kriegsanleihe in Händen. Allgemeiner gesprochen: wenn im Deutschen Reiche heute jede der großen kaufmännischen und industriellen Unternehmungen Hunderttausende oder Millionen Mark Kriegsanleihe besitzt, so bedeutet dies: das Betriebskapital dieser Unternehmungen, das vor dem Kriege in Rohstoffen, Guthaben und Kassenbeständen verkörpert war, hat sich um den Betrag ihres Kriegsanleihebesitzes verringert; für den Gegenwert haben dieselben oder andere Unternehmungen dem Staate Güter oder Arbeitsleistungen geliefert. Und ganz allgemein gesprochen bedeutet das Gesamtergebnis der bisher begebenen Kriegsanleihen von 25,6 Milliarden Mark: in der Form von Rohstoffen und Nahrungsmitteln inländischer und ausländischer [11] Provenienz, die bei Kriegsbeginn im Lande vorhanden waren, Nahrungsmitteln und Rohstoffen, die seit Kriegsausbruch dem heimischen Boden abgewonnen wurden, und Arbeitsleistungen zur Umgestaltung dieser Stoffe in Gegenstände des Kriegsbedarfes, hat die deutsche Volkswirtschaft Werte in der Höhe von annähernd 25,6 Milliarden Mark dem Staate geliefert und das Entgelt dafür in Anleihetiteln empfangen.
Es ist gewiß eine den wirklichen Vorgängen nicht adäquate Vorstellung, wenn in der deutschfeindlichen und auffälliger Weise zum Teil selbst in der deutschen Presse das Wesen der deutschen Anleihewirtschaft als ein Kreislauf großer Papiergeldmengen dargestellt wird, die im geschlossenen deutschen Wirtschaftsgebiete sich immer von neuem aus den Staatskassen in den Verkehr ergießen, um bei der nächsten Kriegsanleihe aus dem Verkehr in die Staatskassen zurückzufluten. Es mögen wohl stofflich die gleichen papierenen Geldscheine sein; aber die Güter und Arbeitsleistungen, welche die Wirtschaft heute dem Staate liefert, sind gewiß nicht identisch mit den vor einem Monat oder einem Jahre gelieferten, und die Geldscheine, die als Einzahlungen auf Kriegsanleihen aus dem Verkehre in die Staatskassen zurückströmen, haben für den Staat nur solange und nur insofern einen Wert, als die Wirtschaft in der Lage ist, für diese Scheine abermals Gegenstände des Kriegsbedarfes zur Verfügung zu stellen. Das Geld ist Mittel interpersonaler Güterübertragung, wie etwa die Eisenbahnen [12] Mittel interlokaler Güterübertragung sind. Auch ein Eisenbahngüterwagen mag vielleicht Jahre hindurch immer die gleiche Strecke von West nach Ost zurücklegen, um alsdann vom Osten wieder westwärts zu rollen; niemand wird deshalb das Wesen des interlokalen Güterverkehrs durch das Bild dieses immer die gleiche Bahn rollenden Wagens adäquat dargestellt zu haben vermeinen, denn es fehlte im Bilde das Entscheidende: die immer neuen Güter, mit welchen er befrachtet wird, und um derentwillen er rollt. Leistet er aber diesen Dienst der Güterbeförderung, dann ist es nicht gar so wesentlich, ob er mit Dampf oder mit Elektrizität fortbewegt wird; und ebenso nicht gar so wesentlich ist die Metall- oder Papiersubstanz des Geldes für die Leistung, die es zu erbringen hat.
Es ist schwer verständlich, warum diese ungemein einfachen Vorgänge der Kriegsfinanzierung auf breite Kreise fast mysteriös wirken. Vermutlich weil die völlig überflüssigen Fachausdrücke dem Publikum wenig geläufig sind und die Handhabung großer Geldsummen den Laien verwirrt. Im Grunde handelt es sich hierbei um zwei ganz und gar nicht mysteriöse Erscheinungen. Es handelt sich einmal um die Leistungsfähigkeit der nationalen Produktivkräfte, gegeben und bestimmt durch Geographie und Geschichte im vorhin umschriebenen Sinne; und es handelt sich zum zweiten um die Bereitwilligkeit, diese Leistungen gegen Staatsanleihen, also gegen bloßes Versprechen zukünftiger Gegenleistung des Staates, dahinzugeben, [13] eine Bereitwilligkeit, die im wesentlich gegeben und bestimmt ist durch die sittlichen Werte der Bevölkerung. Zwei Erscheinungen, in welchen wir eindeutig jene eingangs erwähnten beiden Grundelemente wiedererkennen: das Sein und das Haben des Volkes.
Die Leistungsfähigkeit der nationalen Produktivkräfte. Diese sah Frankreich, dessen Industrie und Unternehmung noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts den ersten Platz auf dem Kontinente behaupteten, in den letzten Jahrzehnten aus Mangel an Menschen erlahmen. Der höchstqualifizierte französische Unternehmer und Arbeiter ist im Zeitenlaufe gealtert, seine Arbeitskraft reicht für ein ganzes Menschenleben nicht mehr aus, seine karge Nachkommenschaft liefert der Wirtschaft nur spärliche Arbeitskräfte und gegenüber den Aufgaben einer ökonomisch rationalisierten Wirtschaftstechnik versagt seine spezifische Arbeitsbegabung, seine altüberkommene Geschicklichkeit und Geschmacksverfeinerung, die ihn einseitig auf Luxusgewerbe verweisen (es ist gewiß für die Art der französischen Industrie charakteristisch, daß ihr Export von Seidengeweben, fertigen Kleidern, Putz- und Modewaren, Seifen, Schminken, Parfümerien und Gummiwaren einen größeren Gesamtwert darstellt
[14] als der Export von Woll- und Baumwollgeweben, Metallwaren und Maschinen) und versagt auch die spezifische Art seiner wahrlich nicht geringen Unternehmungsbegabung, die aber nur beim Arbeiten im Rahmen der eigenen Kapitalkraft, in gewohntem Umfange, mit bewährter Kundschaft, bewährten Quellen, bewährten Qualitäten zur Geltung kommt. Das Land, dessen Ecole Polytechnique und Ecole des Ponts et Chaussées einst die erste Stätten technischer Forschung und Lehre waren, muß heute seine Eisenbahnbrücken und Elektrizitätswerke von schweizerischen Ingenieuren bauen lassen. Zur fruchtbaren Neuverwendung der gewaltigen Erträgnisse seines altüberkommenen großen Reichtums fehlen im Lande selbst die Kräfte; um für Frankreich fruchtbar zu bleiben, mußte der französische Reichtum zuvor ausländische Volkswirtschaften befruchten, nahezu 70 % der französischen Kapitalneubildung konnten zuletzt nicht mehr im Inlande, mußten im Auslande angelegt werden. Frankreich wurde zum Bankier der Welt, zum kreditgebenden Rentnerstaat.
Während die Bevölkerung Frankreichs im Durchschnitt der letzten Jahrzehnte alljährlich um 60,000 Menschen gewachsen ist, mußten im Deutschen Reiche für alljährlich neu hinzukommende 600,000 Menschen, im Durchschnitt des letzten Jahrzehnts für eine alljährlich neu hinzukommende Million Menschen Nahrung, Kleidung, Wohnung und vor allem Arbeitsgelegenheit beschafft werden. Die Söhne selbst eines reichen Mannes stehen dem Wirtschaftsleben [15] ganz anders gegenüber, wenn ihrer viele als wenn ihrer nur wenige sind. Bei aller Hebung des Lebensstandard waren in Deutschland die Voraussetzungen für den Rentner als Massentypus nicht gegeben, die wirtschaftlichen Spannkräfte wurden im ganzen Volke rege erhalten, eine Fülle wagemutiger Persönlichkeiten strömte dem Wirtschaftsleben immer von neuem zu, bei ansteigender Arbeitsfülle lohnte die Einführung verbesserter Arbeitsmethoden. In der Entfaltung der Leistungsfähigkeit seiner nationalen Produktivkräfte ist Deutschland bis an die Grenzen, zeitweise sogar über die Grenzen seiner Mittel vorgedrungen; die Inanspruchnahme des deutschen Geldmarktes für die Bedürfnisse der deutschen, in einem beispiellosen Tempo entfalteten Großindustrie und intensivierten Landwirtschaft hat zeitweise zu Pressungen geführt, die von wohlwollender Seite als notwendige Begleiterscheinungen einer aufs höchste gespannten Kräftebetätigung, von weniger wohlwollender Seite als Beweis finanzieller Schwäche angesehen wurden. Deutschland befand sich in der Lage eines Unternehmers, der für Erweiterungen seines Betriebes alljährlich mehr Kapital benötigt, als er aus dem Betriebe selbst zu leisten vermag, Deutschland wurde zum kreditnehmenden Unternehmerstaat.
Es ist aber offenbar unter dem Gesichtspunkte der Deckung des Kriegsbedarfes vorteilhafter, kreditnehmender Unternehmerstaat als kreditgebender Rentnerstaat gewesen zu sein, vorteilhafter, [16] über Produktionsstätten im Inlande als über Geldforderungen im Auslande verfügen zu können. Um es an einem extremen Beispiel zu zeigen: es könnte im gegenwärtigen Augenblicke dem Deutschen Reiche ziemlich gleichgültig sein, wenn die Kruppschen Werke mit französischem Leihkapital arbeiteten, sofern nur die Produktion dieser Werke der deutschen Heeresleitung zur Verfügung stünde.
Ich habe eben die erlahmende Leistungsfähigkeit der produktiven Kräfte Frankreichs zum Teil wenigstens zurückgeführt auf ein Versagen der spezifisch französischen Arbeits- und Unternehmungsbegabung gegenüber den Anforderungen einer ökonomisch rationalisierten Wirtschaft. In gewissem Sinne gilt dies auch vom heutigen England. Die ökonomisch rationalisierte Wirtschaft verlangt intensivste Arbeitsleistung und andauernde Nutzbarmachung jedes technischen Fortschrittes im Interesse größter Kostenersparnis. Im heutigen England ist die Intensität der Arbeitsleistung begrenzt durch die Gewohnheiten eines erholungsreichen Lebens, Weekend, Landleben, Sport, die längst bereits in die breitesten Schichten des Volkes mit Einschluß der Arbeiterschichten eingedrungen sind. Der andauernden Nutzbarmachung des technischen Fortschrittes steht das Erziehungsideal eines reichen Volkes entgegen, das seine mehr auf schönes Sein als auf Leistung gerichtete Jugend mit Spezialkenntnissen nicht überlasten will, und die [17] Abneigung des Unternehmers gegen nicht nachweisbar und sofort gewinnbringende Investitionen. Die altehrwürdigen englischen Hochschulen wollen in erster Linie hervorragende Parlaments-, Gerichts- und Kanzelredner ausbilden: ein technisches Hochschulwesen im kontinentalen Sinne des Wortes war bis vor kurzem überhaupt nicht vorhanden. Die fortgesetzten Rufe nach der Schaffung eines solchen, die sich charakteristischer Weise in die Form des Wunsches nach einem „englischen Charlottenburg“ kleideten, führten schließlich zur Angliederung technisch-naturwissenschaftlicher Abteilungen an einzelne der alten und zur Errichtung einer größern Anzahl neuer Universitäten mit stark ausgebauten technisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten. Aber diese neuen technischen Hochschulen klagen dauernd über die systematisch unzulängliche Vorbildung der Studierenden, dem Hochschulwesen fehlt der Unterbau, während die ausgebildeten Techniker über die Schwierigkeiten des Eintrittes in die Praxis klagen, das neu entstehende Angebot technisch vorgebildeter Kräfte findet keine Nachfrage vor. Und das Ergebnis? Konnte von der deutschen Industrie mit einiger Uebertreibung gesagt werden, daß, wo ein Schwungrad sich dreht und eine Retorte kocht, daneben ein geschulter Ingenieur oder Chemiker steht, so konnte gegen die englische mit nicht mehr Uebertreibung selbst von englandfreundlicher Seite der Vorwurf erhoben werden, daß ihre gesamte Technik abenteuernden Empirikern ausgeliefert ist. Die Abneigung des Unternehmers [18] gegen neue und nicht sofort gewinnbringende Investitionen, tief eingewurzelt während der langen Dauer fast konkurrenzloser Beherrschung der Märkte durch die englischen Industrien, mußte zur technischen Rückständigkeit führen, seitdem die amerikanische und die deutsche Industrie, die einen Markt erst zu erobern hatten, mit ganz anders geartetem Wagemut ein wesentlich beschleunigtes Tempo für die industrielle Verwertung technischer Fortschritte bestimmen. Wenn von den ehemals führenden großen englischen Industrien nur eine, die Textilindustrie, ihren alten Rang hat behaupten können, wenn namentlich die Metallindustrien und die chemische Industrie von der deutschen und der amerikanischen Konkurrenz längst überflügeIt sind, so ist die Erklärung hierfür, nach so kompetentem Urteil, wie es das der Moseley-Kommission ist, in der technischen Rückständigkeit der englischen Industrie zu suchen. Aber die Parole, die diese Kommission als Endergebnis ihrer Studie ausgegeben hat: Ausrangieren! Hat praktisch doch nur wenig Beachtung gefunden.
Die Beziehungen zwischen diesen, nicht gleichartig verlaufenden Linien produktiver Kräfteentfaltung und unserem Thema sind naheliegend. Wie der Krieg dem gesamten nationalen Leben eine einseitige Zweckrichtung gibt, so stellt er alle produktiven Kräfte des Landes vor die eine Aufgabe: Deckung des Kriegsbedarfes. Dieser Aufgabe konnten in Deutschland die zur höchsten Leistung erzogenen Produktionskräfte in dem Maße [19] entsprechen, daß der gesamte Kriegsbedarf bis auf einen geringen Bruchteil im Inlande zu decken war, wogegen Frankreich und England sich fast von Kriegsbeginn an in weitgehendem Maße auf Lieferungen des Auslandes, insbesondere der Vereinigten Staaten, angewiesen sahen.
Lieferungen des Auslandes müssen bezahlt werden. Im Frieden bezahlt man sie gewöhnlich mit Gegenlieferungen, der Import wird zum größten Teile durch Export bezahlt. In Frankreich sowohl wie in England ist aber der Export, statt den Auslandsbezügen entsprechend zu steigen, seit Kriegsausbruch ganz bedeutend zusammengeschrumpft. Goldzahlung ist nicht wohl möglich, denn jede, an diesen gewaltigen Zahlungsverpflichtungen gemessen, nennenswerte Zahlung durch Goldexporte würde sofort zur Schwächung der nationalen Edelmetallreserven und im Gefolge zur Erschütterung des ganzen Wirtschaftsgefüges führen. Bezahlung durch Wiederverkauf in französischen und englischen Händen befindlicher amerikanischer Wertpapiere kommt nur in beschränktem Umfang in Frage, denn der Staat, der jene Lieferungen bezahlen soll, kann die Eigentümer dieser Papiere, auch wenn sie seine Bürger sind, zu häufig verlustbringendem Verkauf bei gesunkenen Kriegskursen nicht zwingen. So verbleibt nur eine Zahlungsmöglichkeit: Inanspruchnahme von Kredit im lieferenden Auslande. Englische und französische Staatsanleihen in den Vereinigten Staaten stellen [20] sich uns somit, dringen wir über die Deckschicht des Geldverkehrs zu den wirtschaftlichen Realitäten hindurch, durchaus nicht als Symptom finanzieller Schwäche dar, als was sie deutscherseits gerne ausgegeben werden; finanziell ist Englands Situation gewiß und auch die Frankreichs wahrscheinlich nicht ungünstiger als die deutsche, denn Englands Reichtum ist größer, die französische mindestens liquider als der des Deutschen Reiches, welches dennoch keine Auslandsanleihen benötigt; nicht ein Symptom finanzieller Schwäche haben wir in jenen Anleihen zu erblicken, wohl aber den finanziellen Reflex der für den Kriegsbedarf nicht zulänglichen Leistungsfähigkeit der eigenen Produktionskräfte.
Nächst der Leistungsfähigkeit der nationalen Produktionskräfte, dem Haben, nannte ich als den zweiten, für die Finanzierung des Krieges mitentscheidenden Faktor: die Bereitwilligkeit, die Leistungen jener Kräfte dem Staate gegen Staatsanleihen, d. h. gegen bloßes Versprechen zukünftiger Gegenleistung dahinzugeben. In dieser Bereitwilligkeit zeigt sich das Maß der Solidarität mit dem Staate, das Maß der Unterordnung der wirtschaftlichen Interessen unter staatliche Aufgaben. Und unter diesem Gesichtspunkte
[21] beansprucht die scheinbar rein technische Frage nach den Formen der Kriegskredite ein allgemeineres Interesse.
Der Staat kann den Kriegskredit kurzfristig in Anspruch nehmen, durch Anleihen bei der Notenbank; oder, abermals kurzfristig, durch Ausgabe von Schatzscheinen, das sind Schuldverschreibungen, die nach einigen Monaten oder höchstens nach einigen wenigen Jahren zurückbezahlt werden müssen; oder langfristig durch Ausgabe von Renten, das sind Schuldverschreibungen, deren Rückzahlungstermin der Staat nach Belieben auf Jahrzehnte hinausschieben kann.
Die Anwendung lang- oder kurzfristiger Kreditformen ist kein rein finanztechnisches Problem; die gewählte Kreditform bestimmt sehr wesentlich den Charakter des staatlichen Anspruches an die Wirtschaft. Die absolute Größe des Kriegsbedarfes schließt seine Deckung aus den während des Krieges neu gebildeten Kapitalien aus. Wenn beispielsweise für die deutsche Volkswirtschaft der Jahreszuwachs des Volksvermögens für die dem Kriege letztvorausgegangenen Jahre mit etwa 10 Milliarden Mk. veranschlagt wurde, die drei Kriegsanleihen aber über 251/2 Milliarden Mk. erbracht haben, so bedarf es keines weitern Beweises, daß selbst unter der diskutablen Doppelvoraussetzung einer im Kriege nicht verminderten Kapitalbildung und ihrer ausschließlichen Anlage in Kriegsanleihen der Kriegsbedarf aus der Kapitalbildung allein nicht gedeckt werden konnte, und dies ist auch [22] die Situation in allen anderen kriegführenden Staaten. Ueberall sind es in diesem Kriege die großen erwerbswirtschaftlichen Unternehmungen, deren Millionenzeichnungen die Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit erregen, welche den kriegführenden Staaten dieselben Dienste leisten, die zu leisten ehemals (so zuletzt noch 1871–1873 in Frankreich bei der Emission der großen Kriegsentschädigungsanleihen) der Ruhmestitel der Börsenspekulation war: sie übernehmen die Anleihen bis zu ihrer endgültigen Plazierung, sie überbrücken mit ihrem eigenen Kapital die Spannung zwischen der Gegenwart, die den Kriegsbedarf aufbringen muß, und der zukünftigen Kapitalbildung, die ihn erst wird decken können. Ueberall werden einzelne Zweige des Wirtschaftslebens nur in eingeschränktem Umfange fortgetrieben; überall wird mit beschleunigtem Betriebstempo, folglich mit kleinern Rohstoffvorräten gearbeitet; überall ist in weiterem Maße an Stelle der Kreditgewährung die Barzahlung getreten; überall konnte folglich die Wirtschaft einen Teil ihrer nach den Bedürfnissen des Friedenszustandes bemessenen Betriebskapitalien liquidieren und dem Staate zur Deckung des Kriegsbedarfes überlassen. Aber diese Ueberlassung ist nur zeitweise möglich. Nach dem Kriege wird die Wirtschaft aus der Kriegsverfassung wieder in die Friedensverfassung übergeleitet werden; man wird die Produktion wieder im erweiterten Umfange aufnehmen, die Rohstofflager wieder füllen, [23] wieder Kredite gewähren müssen; der Unternehmer, der während des Krieges für den Betrieb nicht benötigte Teile seines Betriebskapitales zum Ankauf von Kriegsanleihen verwendet, tut dies im Bewußtsein des bloß vorübergehenden Charakters dieser Anlage und denkt an die nach dem Kriege eintretende Notwendigkeit einer Liquidation dieser Werte.
Mit Hinblick auf diese bevorstehende Notwendigkeit der Liquidation bedeutet aber der Erwerb langfristiger Kriegsanleihen ein ganz anderes Maß von Risiko, als der Erwerb kurzfristiger Schatzscheine. Letztere werden bald nach dem Friedensschlusse pari zurückgezahlt, das zu ihrem Ankaufe aufgewendete Kapital steht wieder liquide für die Bedürfnisse des Betriebes zur Verfügung; ein Risiko war mit ihrem Ankaufe nicht verbunden, ja dieser Ankauf bot die gewiß willkommene Möglichkeit einer verzinslichen Anlage im Betriebe nicht benötigter Kapitalien. Ganz anders wird dagegen nach dem Kriege die Situation des Unternehmers beschaffen sein, der Kapitalien in langfristigen Kriegsanleihen angelegt hat. Mit deren Rückzahlung kann er für die nächste Zukunft nicht rechnen; er wird sie, so bald er die in ihnen investierten Kapitalien wieder im Betriebe benötigt, verkaufen müssen; aber diese Verkaufsmöglichkeiten werden begrenzt sein durch das Tempo der Kapitalneubildung nach dem Kriege und durch das Maß der Bereitwilligkeit jenes neugebildeten Kapitals dem zahlreiche und lohnende Anlagen sich darbieten [24] werden, die Kriegsanleihen denjenigen abzukaufen, die sie während des Krieges zeitweise aufgenommen haben. Der Unternehmer, der Teile seines Betriebskapitals zum Ankauf langfristiger Kriegsanleihen verwendet, übernimmt damit auch das Risiko, diese Werte unter Umständen nur zu stark gesunkenen Kursen und somit nur mit Verlusten wiederverkaufen zu können. Wo wirtschaftliche Interessen die stärkeren sind, da wird die Wirtschaft dem Staate kurzfristige Kreditformen aufnötigen: sie will ihr Schicksal nicht an das des Staates binden, soll sie ihre Betriebskapitalien in den Dienst des Staates stellen, so will sie die Sicherheit, über diese Kapitalien nach kürzester Frist wieder verfügen zu können. Wo dagegen die staatlichen Zwecke dominieren, wo Alle, und mit ihnen auch die Wirtschaft, auf Gedeih und Verderb mit dem Staate verknüpft sind, da wird der Staat die ihm vorteilhafteren langfristigen Kreditformen benützen können.
Dies vorausgesetzt haben wir nur zu konstatieren, daß von den bisherigen Kriegskrediten in Frankreich 14 %, im Deutschen Reich 95 % in langfristiger Form aufgebracht wurden[1], und wir [25] sehen in diesen Zahlen zwei Extreme der Staatsauffassung. Der einen ist der Staat ein höchster, fast religiöser Wert, der über Wirtschaft und Gesellschaft steht, die andere beschränkt ihn auf die Grenzen eines notwendigen Uebels und wendet alle ihm entzogene Macht der Gesellschaft zu. Im machtlos gewordenen Staate kann alsdann die Gesellschaft [26] ihre wirtschaftlichen Interessen zum Gesetz des staatlichen Handelns erheben; der mächtig gebliebene Staat dagegen kann öffentliche Pflichten über wirtschaftliche Interessen setzen und neben der persönlichen Dienstpflicht des Mannes die Dienstpflicht des Kapitals instituieren.
Ganz anders als in Frankreich ist das Bewußtsein dieser nationalen Dienstpflicht des Kapitals in England lebendig. Nächst dem deutschen wüßte ich kein Volk mit gleich bedingungsloser Solidarität von Wirtschaft und Staat, kein Volk, das in gleichem Maße durch und durch, unbarmherzig und unwiderstehlich Staat geworden wäre wie das englische. Umso erstaunlicher die Formen der englischen Kriegsfinanzen[2], doppelt erstaunlich angesichts Englands großem und liquidem Reichtum. England deckt den Kriegsbedarf zu mehr als einem Viertel durch kurzfristige Schatzscheine, hat an langfristigen Anleihen noch nicht drei Viertel der deutschen Leistung aufgebracht. [27] und während im Deutschen Reich die Bedingungen von Anleihe zu Anleihe für den Staat günstiger wurden, mußte in England der Staat immer ungünstigere Bedingungen, immer höhere Zinssätze konzedieren. Erstaunlich aber wohl erklärlich. Der durch die englische Flotte gegen den deutschen Ueberseehandel erfolgreich geführte Stoß bewirkte die denkbar vollkommenste Umgestaltung der deutschen Volkswirtschaft; da die Importmengen gewaltig sanken, so brauchte auch zur Bezahlung des Importes entsprechend weniger für den Export gearbeitet zu werden, die produktiven Kräfte des Landes konnten sozusagen vollständig zur Bedarfsdeckung der eigenen Bevölkerung und der Deckung dies Kriegsbedarfes dienstbar gemacht werden, es gibt z. Z. nur eine Wirtschaft im Deutschen Reiche, die Kriegwirtschaft, und nur diese eine Wirtschaft ist zu finanzieren. In England lag zu einer derartigen Neugestaltung des Wirtschaftslebens scheinbar keine zwingende Veranlassung vor. Weder stockte der Import von Rohstoffen, noch brauchte die Bevölkerung auf die gewohnten Zufuhren überseeischer Nahrungssmittel zu verzichten; aber eben deshalb dauerte auch die Notwendigkeit fort, zur Bezahlung dieser Importe ihrem Werte entsprechende Warenmengen zu exportieren. Business as usual. Und mitten im Kriege hat sich das Land mit Anspannung aller Kräfte bemüht, nicht allein den gewohnten Friedensgeschäftsgang aufrecht zu erhalten, sondern darüber hinaus durch Eroberung [28] der bisher deutschen Absatzgebiete seinen Friedensexport zu steigern, hatte folglich nicht eine sondern zwei Wirtschaften, die Friedenswirtschaft und die Kriegswirtschaft zu finanzieren. Aber die Textilgewebe, die nach Südamerika exportiert werden sollen, können nicht auch zur Bekleidung der Armee dienen; der Mann, der in Sheffield Stahlwaren für Ostasien erzeugen soll, kann nicht zugleich Munitionsarbeiter sein; und auf der Drehbank können nicht zugleich Spindeln und Granaten gedreht werden. Verlangt man von den produktiven Kräften des Landses diese doppelte Leistung, dann stellt sich ein Mißverhältnis ein zwischen der Leistungsfähigkeit und dem Leistungsanspruch. Ein solches Mißverhältnis nennt man Kapitalmangel, und dieser findet seinen finanziellen Widerschein in steigenden Zinssätzen. Allmählich beginnt man auch in England einzusehen, daß to rule the seas will have proved a costly glory.
Die Schlußfolgerungen für Rußland und Oesterreich-Ungarn können kurz gezogen werden. Zur Erkenntnis der relevanten Zusammenhänge tragen sie wenig bei.
Wissen wir einmal, daß die Gestaltung der Kriegsfinanzen von der Gestaltung der nationalen Produktivkräfte abhängt, so ist es uns nur eine Bestätigung dieser Erkenntnis, wenn von allen kriegführenden Mächten Rußland in größtem Maße auf ausländische Lieferungen und folglich auf ausländische Anleihen angewiesen ist. Denn groß kann die eigene Leistung nicht sein in einem Lande, dessen [29] produktive Kräfte noch nicht erschlossen, geschweige denn entfaltet sind, und das deshalb auch im Frieden einen bedeutenden Teil seines gesamten Bedarfes an gewerblichen Erzeugnissen aus dem Ausland beziehen muß. Im Frieden bezahlt Rußland die gewerblichen Importe mit den Bodenerzeugnissen seines gewaltig gedehnten Landes; nun im Kriege, da die beiden Ausfalltore des russischen Agrarexportes, die Ostsee und das Schwarze Meer, geschlossen und die Schienenstränge nach dem Westen abgebrochen sind, kann Russland die schwer transportablen Massenerzeugnisse seines Bodens nicht außerhalb der Grenzen absetzen, das ihm verbündete oder befreundete Ausland kann für Lieferungen an Rußland Zahlung nur in russischen Staatsschuldverschreibungen erhalten. Und wissen wir einmal, daß die Gestaltung der Kriegsfinanzen abhängig ist vom Maße der Solidarität zwischen Volk und Staat, die die Bereitwilligkeit zeitigt, die Wirtschaft des Volkes für die Zukunft zu belasten um der Erfüllung der staatlichen Gegenwartsaufgaben willen, so ist es uns wieder nur eine Bestätigung unserer Erkenntnis, wenn von allen kriegführenden Mächten allein Rußland an den Spieltrieb der Masse statt an ihre Opferwilligkeit appellieren und zum problematsichen Mittel staatlicher Lotterieanleihen hat greifen müssen.
Oesterreich-Ungarn hat in drei Jahrhunderten strenger merkantilistischer Zucht seine reichen natürlichen Produktivkräfte zu vielseitiger Entfaltung gebracht. Die Stärke seiner Wirtschaft liegt [30] in der idealen Ergänzung der agrarischen ungarischen Reichshälfte mit der industriellen österreichischen, in der Mannigfaltigkeit seiner gewerblichen Produktion, welche die meisten Zweige der Fein- wie der Schwerindustrie umfaßt, und in der Bodenständigkeit dieser Industrie, die mit Ausnahme der tropischen fast sämtliche Rohstoffe im Lande selbst vorfindet. Im Kriege haben die produktiven Kräfte des Reiches einen glänzenden Beweis ihrer Leistungsfähigkeit erbracht: man hat wenig von ausländischen Kriegslieferungen nach Oesterreich, wenig von österreichischen Kriegsanleihen im Auslande gehört, was aus Deutschland bezogen wurde, konnte zu einem großen Teile durch Gegenlieferungen nach Deutschland wieder ausgeglichen werden, ihren Kriegsbedarf hat die Donaumonarchie, wenn auch mit Schwierigkeiten, wenn auch mit harten Opfern und selbst Entbehrungen (es ist Krieg!), im Wesentlichen durch eigene Produktivkräfte im Inland decken können. Und dennoch: Die Gestaltung der österreichisch-ungarischen Kriegsfinanzen entspricht nicht diesen wirtschaftlichen Leistungsmöglichkeiten des Landes, ein Widerspruch, der uns in der Geschichte nicht selten entgegentritt. Frankreichs Finanzen in den letzten Jahrzehnten der Regierung Ludwig XIV. sind erheblich besser, als es der Wirtschaftslage des Landes entspräche, der Staat gedeiht auf Kosten der Wirtschaft. Umgekehrt sind die holländischen Finanzen im ausgehenden 17. und in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts schlechter als es der [31] holländischen Wirtschaftsblüte entsprochen hätte, die Wirtschaft hat dem Staate die Mittel vorenthalten, und diese Gestaltung der Dinge, damals in Holland, heute in Oesterreich-Ungarn, dürfte die gleiche Ursache haben: hinter der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, hinter dem Reichtum der Gesellschaft ist zurückgeblieben das lebendige Gefühl ihrer Solidarität mit dem Staate, das im Frieden zur Steuerwilligkeit, im Kriege zur Bereitwilligkeit führt, die Kapitalreserven der Wirtschaft in der Form von Kriegsanleihen an den Staat dahinzugeben. Diese Bereitwilligkeit ist in Oesterreich gewiß in höherem Maße als in Rußland gegeben, lange nicht in dem Maße wie im Deutschen Reiche; die Finanzierung des Kriegsbedarfes konnte wohl nur zu einem kleinern Teile durch eigentliche Kriegsanleihen erfolgen, zu einem größern Teile erfolgt sie in Oesterreich-Ungarn mit denselben Mitteln, deren auch Frankreich sich bedienen muß: Kredite bei der Notenbank und Schatzscheine.
Nicht ganz so auf der Oberfläche wie für Rußland und Oesterreich-Ungarn liegt die Ausdeutung der kriegsfinianziellen Lage Italiens. Sagte ich eben, Rußlands produktive Kräfte seien kaum erschlossen, geschweige entfaltet, so gilt dies auch für Italien. Unter einer dünnen Oberschicht entwickelter Produktionsformen beharrt das Land in einer fast noch naturalwirtschaftlichen Verfassung. Dies gilt ungeachtet der Ueberfülle statistischer Daten über die rasche Vermehrung der Zahl der Fabriken, motorischen Pferdekräfte, Fabrikarbeiter, mit welchen [32] eine betriebsame Publizistik uns an den Eintritt Italiens in die Reihe der modernen Industriestaaten will glauben machen. Except the facts there is nothing more false than statistics. Eine Industrie, wie wir sie in England, im Deutschen Reiche oder in den Vereinigten Staaten kennen, wurzelt in den Tiefen des heimischen Bodens. Die Wurzeln heißen Kohle und Eisen. Bei moderner Förderungstechnik setzen beide für ihre eigenen Bedürfnisse ganze Industrien in Bewegung, auf beiden baut sich je ein Industriesystem auf. Die Kohle trägt die schwere chemische Industrie, aus dieser erwächst, neben der pharmazeutischen, die Farbstoffchemie, die wieder zu einem gewichtigen Träger der Textilindustrien wird. Auf dem Eisen baut sich abermals ein Industriensystem auf, von den Eisenhütten, den Walz- und Hammerwerken zur Maschinenindustrie und der Elektromechanik aufsteigend. Zu gewaltigen Komplexen vereinigt stützen und fördern diese Elementarindustrien einander, ihr eigener Sachbedarf wie der ihrer Arbeitermassen schafft wieder den tragfähigen Boden für das Gedeihen einer Unzahl kleinerer Industriezweige.
Es hieße den Unterschied zwischen einem Wald und einer Anzahl gepflanzter Bäume nicht sehen, wollte man im gleichen Sinne von einer italienischen Industrie sprechen. Mit englischen Spinnmaschinen können schweizerische Spinnmeister ägyptische oder amerikanische Baumwolle in Oberitalien gewiß ebenso gut wie in Moskau oder Ostasien [33] verspinnen, Baumwollgewebe und Suppenkonserven kann man überall machen und wo hohe Zölle Monopolgewinne gewährleisten wird eigenes oder fremdes Kapital auch eine chemische Fabrik und eine Automobilfabrik errichten; die Zahlen der Fabrikstatistik steigen. Aber wer die produktiven Kräfte nicht nach den Zahlen sondern aus der Kenntnis der produktiven Kräfte die Zahlen bewertet, der wird auch a priori wissen, daß solche ohne Fundamente gebauten Produktionsstätten der schweren Belastungsprobe der Kriegsleistung kaum standhalten können. Wenn die erste italienische Kriegsanleihe so wenig Erfolg hatte, daß das vermittelnde Bankensyndikat ein Fünftel des Anleihebetrages selbst behalten mußte; wenn der eklatante Mißerfolg der zweiten Kriegsanleihe den Ruf nach Zwangsanleihen im Lande ertönen ließ; wenn lange vor dem Eintritt Italiens in den Krieg Berichte über Anleiheverhandlungen mit England in die Oeffentlichkeit drangen und jüngst wieder Berichte über Anleiheverhandlungen in den Vereinigten Staaten; so werden wir in jenen Mißerfolgen der Inlandsanleihen und in diesem Bedürfnis nach Auslandsanleihen vor allem den finanziellen Reflex unzulänglicher Entwicklung der nationalen Produktivkräfte erblicken.
Vor allem, nicht ausschließlich. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die kriegsfinanzielle Leistung des Landes kleiner ist, als es seinen Leistungsmöglichkeiten und seinem in den letzten Jahrzehnten durch die Auswanderung neu geschaffenen Reichtum [34] entspräche. Die italienische Auswanderung ist bekanntlich nicht dauernde Abwanderung, sondern zum größten Teile Austausch italienischer Arbeit gegen ausländischen Arbeitslohn, und weil diese ab- und wieder rückwandernden italienischen Arbeiter weder willens noch imstande sind, ihre Lebensführung auf das Niveau des höhern ausländischen Arbeitslohnes zu heben, so fließen von überall her, wo immer Italiener arbeiten, Lohnkapitalien ab, um sich alsbald in italienische Sparkapitalien zu verwandeln, die bei mancher unscheinbaren italienischen Sparkasse um Dutzende, im ganzen Lande um Hunderte von Millionen Lire jährlich anwachsen. Diesen bedeutenden Ansammlungen von Sparkapitalien gegenüber erscheinen die in der Presse bekannt gegebenen Sparkassenzeichnungen auf die italienischen Kriegsaleihen erstaunlich gering, fast verschwindend klein. Der halbverwirtschaftete alte feudale italienische Reichtum riskiert sich im Kriege, der neue Reichtum Italiens riskiert sich nicht.
Weil er noch zu jung ist, um schon zum Bewußtssin der Pflicht gegen den Staat erwacht zu sein? Ich sehe die Erklärung anderswo. Weil historisches Geschehen ein geistiges Geschehen ist, gilt für historisches Geschehen Napoleons Wort von der impuissance de la force gegenüber der Macht der Idee. Es ist, um es an einem großen geschichtlichen Beispiel zu zeigen, die religiös-politische Idee des englischen Staates, wie sie der Pflichglaube der Puritaner einst geschaffen, die England drei Jahrhunderte [35] beherrscht, England groß gemacht und die noch der ungläubige Enkel von heute vom gläubigen Ahnen im Blute geerbt hat. Was die Völker im Innersten zusammenhält, ist nicht die Blutgemeinschaft und nicht der Sprachzusammenhang allein, erst die Idee, in welcher das Wesen des Volkes sich investiert, und der Glaube, daß diese Idee berufen ist, durch dieses Volk und seinen Staat zur Weltidee erhoben zu werden. Dies, und nicht die Sicherung von Rohstoffen und Absatzgebieten, ist der Inhalt des Begriffes Imperialismus. Das heutige Italien, hierin dem heutigen Japan vergleichbar, hat keine solche Idee. Wie Japan nach Zerstörung seiner alten feudal-heroischen Kultur nichts hat als japanische Nuancen anglo-amerikanischer Ideen, so hat Italien, sehe ich auf sein heutiges Sein, nicht auf sein historisch überkommenes Haben, nichts als italienische Nüancen der einst weltbeherrschenden französischen Ideenwelt. Nüancen aber, und wären sie noch so schön, können keinen Glauben erwecken; es ist aber nur der Glaube, der den Volksgenossen befähigt, sich selbst und seine Zukunft, mit Einschluß seiner wirtschaftlichen Zukunft, in den Dienst einer überindividuellen Pflicht gegen den Staat zu stellen; fehlt der Glaube, dann tritt an Stelle opferfreudiger Hingabe von Blut und Gut der Strike der gekreuzten Arme, der Strike der zugeschnürten Beutel.
[36] Unsere Betrachtung hat die Gestaltung der Kriegsfinanzen aus der Wirtschaftsverfassung der einzelnen Länder und aus dem Verhältnis zwischen Individuum oder Gesellschaft und Staat abzuleiten versucht. Sie suchte neutral in einem spezifisch-wissenschaftlichen Sinne zu bleiben, im Sinne der methodischen Norm, die von der Wissenschaft Kausalerklärung, nicht Bewertung des Seienden und nicht Bestimmung des Seinsollenden verlangt, und die namentlich in der Nationalökonomie im letzten Jahrzehnt immer stärker betont, immer allgemeiner befolgt worden ist. Bei der Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit der obersten ethischen, politischen, sozialen Ideale, aus welchen die wirtschaftspolitischen Forderungen abgeleitet werden, war es ein Bedürfnis reinlicher Grenzregulierung zwischen Staatswissenschaft und Politik, ja es war schließlich eine Lebensfrage der Wissenschaft, wollte sie nicht die Allgemeingültigkeit ihrer Erkenntnisse gefährden, sich in diesem Sinne Neutralität, Verzicht auf jedes Werturteil aufzuerlegen, sich auf die Kausalerklärung des Seienden zu beschränken, und seine Bewertung, die ja immer durch das Ideal des Seinsollenden bestimmt wird, dem Staatsmann zu überlassen. Dieser methodischen Norm gemäß enthielt sich auch unsere Erörterung jedes Werturteils darüber, ob diese oder jene Art der nationalen Wirtschaftsverfassung, ob dieses oder jenes Verhältnis der Gesellschaft zum Staate gut oder schlecht ist. Aber die Voraussetzung jener methodischen Norm, die Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit [37] der Ideale, ist im Kriege zeitweise dahingefallen. Was den Krieg den ihn Miterlebenden als eine große Zeit empfinden läßt, das ist, daß im Kriege jeder Staatskörper zu einem Ganzen geworden ist, in dem nur ein Wille lebt, ein einziger Gedanke, ein Oberster indiskutabler Wert ist heute für jeden der kriegführenden Staaten gegeben, ein Ziel, dem sich jedes andere Wollen unterordnet: der Sieg, und jede Erscheinung des nationalen Lebens kann nun nicht allein festgestellt und auf ihre Ursachen hin betrachtet, sie kann mit Anspruch auf objektive Gültigkeit beurteilt werden: nach ihrer größern oder geringern Eignung, dieses höchste Willensziel der Nation zu fördern. Gut ist heute diejenige Wirtschaftverfassung, und damit diejenige Richtung der Wirtschaftspolitik, und gut ist heute dasjenige Verhältnis von Gesellschaft und Staat, und damit diejenige politische Konzeption des Staates, die sich als meistgeeignet erwiesen haben, den Anforderungen des Krieges zu genügen.
Vielleicht ist es nicht Hybris, diese Einheit des nationalen Wollens, die uns der Krieg gezeigt hat, auch als Friedensmöglichkeit zu denken; vielleicht ist es zulässig, in einer bessern Zukunft an Völker zu glauben, die so durch und durch zu Staaten geworden sind, daß ihre Willensrichtung auch im Frieden so einheitlich und eindeutig wäre, wie es heute in allen kriegführenden Staaten der Wille zum Sieg ist. Als Konsequenzen solcher nationalen Willensdominanten würden sich undiskutierbare ethische, politische, [38] soziale Wertungen ergeben; aus einem solchen autoritativ-nationalen Weltbilde fließende Werturteile wären dann ebenso einheitlich, in sich zusammenhängend, objektiv-gültig, wie heute die Aussagen über das Seiende und seine Zusammenhänge; gut oder schlecht wäre dann eine Beschaffenheit der Dinge, wie jede andere objektive Qualität auch; und in einem solchen Staate könnte auch die Staatswissenschaft aus der Isolierung, in die sie sich heute durch Verzicht auf das Werturteil selbst verbannt, heraustreten und dem fruchtbaren Zusammenhange mit einem Lebensganzen wiedergegeben werden.
- ↑ Von den 25,6 Millliarden Mark Gesamtergebnis der drei deutschen Kriegsanleihen entfallen ca. 24,5 Milliarden auf Rentenanleihen und ca. 1 Milliarde auf Schatzscheine; der Anteil dieser letzteren am Gesamtergebnis beträgt somit ca. 4 %. Will man berücksichtigen, daß außer den Schatzscheinen im Deutschen Reiche auch kurzfristige Schatzwechsel ausgegeben und bei den Banken diskontiert werden; nimmt man an, daß dieser [25] Schatzwechselumlauf, dessen Größe amtlich nie bekannt gegeben wurde, der Natur der Sache nach jeweilen unmittelbar nach einer Kriegsanleihe praktsich gleich Null sein, unmittelbar vor einer solchen schätzungsweise bis auf 5 Milliarden Mark steigen, im Durchschnitte somit 21/2 Milliarden Mark betragen dürfte; dann erhöht sich der Anteil der kurzfristigen an den gesamten Kriegskrediten im Deutschen Reiche auf ca. 12 % Von den in Frankreich ausgegebenen Anleihen könne allein die obligations de la défense nationale (rückzahlbar 1920—1925), und auch diese nur bei starkem Aufwand guten Willens, zwar nicht als langfristige, aber wenigstens als nicht ausgesprochen kurzfristige Kreditinstrumente angesehen werden. Von diesen waren, nach den jüngsten Mitteilungen des Finanzministers Ribot in der Kammer, Mitte November ca. 32/3 Milliarden Fr. abgesetzt, wovon aber ca. 0,7 Milliarden Fr., die nicht gegen Zeichnung, sondern im Umtausch gegen die schon vor dem Kriege ausgegebene 31/2%ige Rentenanleihe bezogen wurden, bei Berrechnung der eigentlichen Kriegskreditleistung abzuziehen wären. Alle übrigen französischen Kriegskredite sind kurzfristiger Natur: ca. 7 Milliarden Fr. Anleihe bei der Banque de France; ca 81/3 Milliarden Franken bons de la défense nationale, nach 3-12 Monaten rückzahlbar; ca 11/4 Milliarden englischer Vorschüsse; ca. 11/4 Milliarden Franken französischer Anteil an der franko-britischen Anleihe in den Vereinigten Staaten, rückzahlbar 1920. Der Gesamtbetrag der Kredite würde sich demnach auf etwa 21 Milliarden Franken belaufen, wovon ca. 14 % auf die obligations de la défense nationale entfallen.
- ↑ An langfristigen Kriegsanleihen wurden bisher in England ausgegeben: im November 1914 31/2 % First War Loan, nominell L. 350 Mill. Pfund zum Kurse von 95 %, Erlös: 3321/2 Mill. Pfund; im Juni 1915 4 % Second War Loan, pari, 585 Mill. Pfund. Zusammen langfristig 917 Mill. Pfund. Kurzfristig wurden bis Ende Oktober 1915 aufgebracht: 2371/2 Mill. Pfund durch Ausgabe von Treasury Bills, nach 12 Monaten rückzahllbar; 331/2 Mill. Pfund durch Ausgabe der 3 %igen Exchequer Bonds; 50 Mill. Pfund englischer Anteil an der 1920 zur Rückzahlung fälligen franko-britischen Anleihe in den Vereinigten Staaten. Zusammen kurzfristig 321 Mill. Pfund. Anteil der kurzfristigen an den Gesamtkrediten: zirka 26 %.