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Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl I/Drittes Capitel

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Zweites Capitel Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band (1875)
von Charles Darwin
Viertes Capitel


[84]
Drittes Capitel.
Vergleichung der Geisteskräfte des Menschen mit denen der niederen Thiere.
Die Verschiedenheit in den geistigen Kräften zwischen dem höchsten Affen und dem niedrigsten Wilden ist ungeheuer. — Gewisse Instincte sind gemeinsam. — Gemüthsbewegungen. — Neugierde. — Nachahmung. — Aufmerksamkeit. — Gedächtniss. — Einbildung. — Verstand. — Progressive Vervollkommnung. — Von Thieren gebrauchte Werkzeuge und Waffen. — Abstraction, Selbstbewußtsein. — Sprache. — Schönheitssinn. — Glaube an Gott, spirituelle Kräfte; Aberglauben.

Wir haben in den letzten beiden Capiteln gesehen, dass der Mensch in seiner körperlichen Bildung deutliche Spuren seiner Abstammung von irgend einer niedern Form darbietet; man könnte aber behaupten, dass sich bei dieser Folgerung irgend ein Irrthum eingeschlichen haben müsse, da der Mensch in seinen Geisteskräften so bedeutend von allen andern Thieren abweicht. Die Verschiedenheit in dieser Hinsicht ist ohne Zweifel enorm, selbst wenn man die Seele eines der niedrigsten Wilden, welcher kein Wort besitzt, eine höhere Zahl als vier auszudrücken, und welcher keine abstracten Bezeichnungen für die gewöhnlichsten Gegenstände oder Affecte[1] gebraucht, mit der des höchstorganisirten Affen vergleicht. Ohne Zweifel würde der Unterschied selbst dann immer noch ungeheuer bleiben, wenn einer der höheren Affen soweit veredelt oder civilisirt wäre, wie es ein Hund ist im Vergleiche mit seiner Stammform, dem Wolfe oder Schakal. Die Feuerländer gehören zu den niedersten Barbaren; ich habe mich aber fortwährend darüber verwundern müssen, wie genau die drei an Bord des Beagle befindlichen Feuerländer, welche einige Jahre in England lebten und etwas Englisch sprechen konnten, uns in der ganzen Anlage und [85] den meisten unsrer geistigen Fähigkeiten glichen. Wenn kein organisches Wesen ausser dem Menschen irgendwelche geistige Fähigkeiten besessen hätte, oder wenn seine Fähigkeiten von einer völlig verschiedenen Natur wären im Vergleich mit denen der niederen Thiere, so würden wir nie im Stande gewesen sein, uns zu überzeugen, dass unsere hohen Fähigkeiten allmählich entwickelt worden sind. Es lässt sich aber deutlich nachweisen, dass kein fundamentaler Unterschied dieser Art besteht. Wir müssen auch zugeben, dass ein viel weiterer Abstand in den geistigen Fähigkeiten zwischen einem der niedrigsten Fische, wie der Pricke oder einem Amphioxus, und dem der höheren Affen besteht, als zwischen dem Affen und dem Menschen: und doch wird diese Lücke durch zahllose Abstufungen ausgefüllt.

Auch ist in Bezug auf die moralischen Anlagen der Unterschied zwischen einem Barbaren, wie dem von dem alten Seefahrer Byron beschriebenen Mann, welcher sein Kind an den Felsen zerschlug, weil es einen Korb mit Seeigeln hatte fallen lassen, und einem Howard oder Clarkson nicht klein, ebensowenig der Unterschied, in Bezug auf den Verstand, zwischen einem Wilden, der keine abstracten Ausdrücke gebraucht, und einem Newton oder Shakespeare. Verschiedenheiten dieser Art zwischen den grössten Männern der höchsten Rassen und den niedrigsten Wilden werden durch die feinsten Abstufungen mit einander verbunden. Es ist daher auch möglich, dass sie in einander übergehen und aus einander sich entwickeln können.

Ich beabsichtige in diesem Capitel nun zu zeigen, dass zwischen dem Menschen und den höheren Säugethieren kein fundamentaler Unterschied in Bezug auf ihre geistigen Fähigkeiten besteht. Jeder Abschnitt dieses Gegenstandes hätte sich zu einer besonderen Abhandlung ausdehnen lassen, muss aber hier nur kurz behandelt werden. Da keine Eintheilung der geistigen Fähigkeiten ganz allgemein angenommen worden ist, werde ich meine Bemerkungen in einer meinen Zwecken am meisten dienenden Weise anordnen und werde diejenigen Thatsachen auswählen, welche mich am meisten frappirt haben, in der Hoffnung, dass sie auch auf den Leser ihre Wirkung äussern werden.

In Bezug auf die sehr tief auf der Stufenleiter stehenden Thiere werde ich noch einige weitere Thatsachen in dem Abschnitt über geschlechtliche Zuchtwahl zu geben haben, welche zeigen werden, dass ihre geistigen Fähigkeiten viel bedeutender sind, als man hätte erwarten können. Die Veränderlichkeit dieser Fähigkeiten bei Individuen einer [86] und derselben Art ist ein bedeutungsvoller Punkt für uns, und einige wenige Erläuterungen hierüber mögen hier gegeben werden. Es würde aber überflüssig sein, hier auf viele Einzelnheiten über diesen Gegenstand einzugehen; denn nach häufigen Erkundigungen habe ich gefunden, dass alle Diejenigen, welche lange Zeit Thiere vieler Arten, mit Einschluss der Vögel, aufmerksam beobachtet haben, der Meinung sind, dass die Individuen in jedem geistigen Characterzuge bedeutend von einander abweichen. Zu untersuchen, in welcher Weise die geistigen Fähigkeiten zuerst in den niedrigsten Organismen sich entwickelt haben, ist eine ebenso hoffnungslose Untersuchung als die, wie das Leben zuerst entstand. Dies sind Probleme für eine ferne Zukunft, wenn sie überhaupt je von Menschen gelöst werden können.

Da der Mensch dieselben Sinne wie die niederen Thiere besitzt, so müssen seine fundamentalen Anschauungen dieselben sein. Der Mensch hat auch einige wenige Instincte mit den Thieren gemeinsam, wie den der Selbsterhaltung, der geschlechtlichen Liebe, der Liebe der Mutter für ihr Neugeborenes, den Trieb des Letzteren zu saugen u. s. w. Doch hat vielleicht der Mensch etwas weniger Instincte als diejenigen Thiere, welche zunächst in der Stufenreihe auf ihn folgen. Der Orang auf den indischen Inseln und der Schimpanse in Africa bauen Plattformen, auf denen sie schlafen, und da beide Arten dieselbe Gewohnheit haben, so könnte man schliessen, dass dies die Folge eines Instincts sei; wir sind aber nicht sicher, ob es nicht das Resultat des Umstandes ist, dass beide Thiere ähnliche Bedürfnisse und die gleiche Fähigkeit der Ueberlegung haben. Wir können annehmen, dass diese Affen die vielen giftigen Früchte der Tropen vermeiden, und der Mensch besitzt diese Kenntnisse nicht. Da aber unsere Hausthiere, wenn sie in fremde Länder gebracht und zuerst im Frühjahr hinausgetrieben werden, oft giftige Pflanzen fressen, welche sie später vermeiden, so sind wir nicht sicher, ob die Affen nicht nach ihrer eigenen Erfahrung oder nach der ihrer Eltern lernen, welche Früchte sie zu wählen haben. Indessen ist es gewiss, wie wir sofort sehen werden, dass die Affen eine instinctive Furcht vor Schlangen und wahrscheinlich auch vor anderen gefährlichen Thieren haben.

Die geringe Zahl und vergleichsweise Einfachheit der Instincte bei den höheren Thieren ist merkwürdig contrastirend mit denen der niederen Thiere. Cuvier behauptete, dass Instinct und Intelligenz in umgekehrtem Verhältniss zu einander stehen, und manche Schriftsteller [87] haben gemeint, dass die intellectuellen Fähigkeiten der höheren Thiere sich allmählich aus deren Instincten entwickelt haben. Es hat aber Pouchet in einem interessanten Aufsatze[2] gezeigt, dass ein derartiges umgekehrtes Verhältniss factisch nicht besteht. Diejenigen Insecten, welche die wunderbarsten Instincte besitzen, sind sicher auch die intelligentesten. Unter den Wirbelthieren besitzen die am wenigsten intelligenten Glieder, nämlich die Fische und Amphibien, keine complexen Instincte; und unter den Säugethieren ist das Thier, welches wegen seiner Instincte merkwürdig ist, nämlich der Biber, sehr intelligent, was Jeder zugeben wird, welcher Morgan's ausgezeichnete Beschreibung dieses Thieres[3] gelesen hat.

Obgleich sich die ersten Spuren der Intelligenz nach Herbert Spencer[4] durch die Vervielfältigung und Coordination von Reflexwirkungen entwickelt haben, und obschon viele der einfacheren Instincte in Wirkungen dieser Art übergehen und kaum von ihnen unterschieden werden können, wie bei dem Saugen junger Thiere, so scheinen doch die complicirten Instincte unabhängig von irgend einer Intelligenz entstanden zu sein. Ich möchte aber durchaus nicht läugnen, dass instinctive Thätigkeiten ihren fixirten und nicht angelernten Character verlieren und durch andere Thätigkeiten ersetzt werden können, welche mit Hülfe des freien Willens ausgeführt werden. Andererseits werden aber Handlungen des Verstandes, wie z. B. wenn Vögel auf oceanischen Inseln zuerst sich vor Menschen zu fürchten lernen, in Instincte umgewandelt und als solche vererbt, wenn sie mehrere Generationen hindurch ausgeführt worden sind. Man kann dann von diesen Handlungen sagen, dass sie im Character verderbt sind, denn sie werden nun nicht mehr durch den Verstand oder nach der Erfahrung ausgeführt. Dagegen scheint die grössere Zahl der complicirten Instincte in einer völlig verschiedenen Weise erlangt worden zu sein, nämlich durch die natürliche Zuchtwahl von Variationen einfacher instinctiver Handlungen. Derartige Variationen scheinen aus denselben unbekannten Ursachen, welche hier auf die Organisation des Gehirns wirken, zu entstehen, wie solche unbedeutende Abänderungen oft individuelle Verschiedenheiten in anderen Theilen des Körpers hervorrufen; und in Folge unserer Unwissenheit sagen wir dann häufig, dass diese Variationen spontan auftreten. Ich [88] glaube, wir können auch mit Bezug auf den Ursprung der complicirteren Instincte zu keinem anderen Schlusse gelangen, wenn wir an die wunderbaren Instincte steriler Arbeiterameisen und Bienen uns erinnern, welche keine Nachkommen hinterlassen, denen sie die Wirkungen der Erfahrung und veränderten Lebensweise überliefern könnten.

Obschon ein hoher Grad von Intelligenz mit dem Vorhandensein complicirter Instincte verträglich ist, wie wir bei den eben genannten Insecten und beim Biber gesehen haben, und obgleich Handlungen, welche zuerst willkürlich erlernt wurden, in Folge von Gewohnheit bald mit der Schnelligkeit und Sicherheit einer Reflexthätigkeit ausgeführt werden können, so ist es doch nicht unwahrscheinlich, dass freie Intelligenz und Instinct (welcher eine gewisse vererbte Modifikation des Gehirns in sich begreift) sich in einer gewissen Ausdehnung in ihrer gegenseitigen Entwickelung stören. Ueber die Functionen des Gehirns ist nur wenig bekannt; aber wir beobachten, dass in dem Maasse, wie die intellectuellen Fähigkeiten höher entwickelt werden, auch die verschiedenen Theile des Gehirns durch die feinst verwobenen Canäle gegenseitigen Austausches mit einander in Verbindung gebracht werden müssen; und als Folge hiervon würde jeder einzelne Theil vermuthlich weniger geschickt werden, besondere Empfindungen oder Associationen in einer bestimmten und vererbten, das ist instinctiven, Weise zu entwickeln. Es scheint selbst eine gewisse Beziehung zwischen einem niedern Intelligenzgrade und einer starken Neigung zur Bildung fixirter, wennschon nicht vererbter Gewohnheiten zu bestehen; wenigstens hat ein scharfsinniger Arzt gegen mich geäussert, dass in geringem Grade schwachsinnige Personen in Allem nach Routine und Gewohnheit zu handeln streben, und dass man sie viel glücklicher macht, wenn man sie darin ermuthigt.

Ich hielt es für der Mühe werth, diese Abschweifung hier einzuschalten, weil wir die geistigen Fähigkeiten der höheren Thiere und besonders des Menschen leicht unterschätzen können, wenn wir ihre auf die Erinnerung vergangener Ereignisse, auf Vorsicht, Nachdenken und Einbildungskraft gegründeten Handlungen mit den vollständig ähnlichen Handlungen vergleichen, welche von niederen Thieren instinctiv ausgeführt werden. In diesem letzteren Falle ist die Fähigkeit zur Ausführung solcher Handlungen Schritt für Schritt durch Variabilität der psychischen Organe und natürliche Zuchtwahl erreicht worden, ohne dass eine bewusste Intelligenz von Seiten des Thieres während einer jeden [89] der aufeinanderfolgenden Generationen dazu gekommen wäre. Ohne Zweifel ist viel von der Verstandesarbeit, die der Mensch ausführt, auf Nachahmung und nicht auf Ueberlegung zu schieben, wie Mr. Wallace bemerkt hat;[5] aber zwischen seinen Handlungen und vielen der von niederen Thieren ausgeführten besteht der grosse Unterschied, dass der Mensch beim ersten Versuche nicht im Stande ist z. B. ein steinernes Beil oder ein Boot durch seine Fähigkeit der Nachahmung zu fertigen. Er hat seine Arbeit durch Uebung zu erlernen. Ein Biber dagegen kann seinen Damm oder Canal, ein Vogel sein Nest genau so oder nahezu so gut, eine Spinne ihr wunderbares Gewebe vollständig so gut[6] das erste Mal, wo sie's versuchen, bauen, als wenn sie alt und erfahren sind.

Doch kehren wir zu unserem vorliegenden Gegenstande zurück. Die niederen Thiere empfinden offenbar wie der Mensch Freude und Schmerz, Glück und Unglück. Das Glück gibt sich nirgends besser zu erkennen als bei jungen Thieren, wie bei jungen Hunden, Katzen, Lämmern u. s. w., wenn sie zusammen spielen wie unsere eigenen Kinder. Selbst Insecten spielen zusammen, wie jener ausgezeichnete Beobachter P. Huber beschrieben hat,[7] welcher sah, wie Ameisen sich jagten und thaten, als wenn sie einander bissen, genau so, als wenn es junge Hunde gewesen wären.

Die Thatsache, dass die niederen Thiere durch dieselben Gemüthsbewegungen betroffen werden wie wir, ist so sicher festgestellt, dass es nicht nöthig ist, den Leser durch viele Einzelnheiten zu ermüden. Der Schreck wirkt auf sie in derselben Weise wie auf uns, er macht ihre Muskeln erzittern, ihr Herz schlagen, die Schliessmuskeln erschlaffen und das Haar sich aufrichten. Verdacht, das Kind der Gefahr, drückt sich äusserst characteristisch bei vielen wilden Thieren aus. Es ist, denke ich, unmöglich, die Beschreibung, welche Sir E. Tennent von dem Betragen der weiblichen, als Lockthiere dienenden Elefanten gibt, zu lesen, ohne zu der Ueberzeugung zu kommen, dass sie den Betrug bewussterweise und absichtlich ausführen und wohl wissen, um was es sich handelt. Muth und Furchtsamkeit sind bei Individuen einer und derselben Species äusserst veränderliche Eigenschaften, wie [90] wir bei unseren Hunden deutlich sehen. Manche Hunde und Pferde sind schlechten Temperaments und werden leicht bös, andere sind guten Temperaments, und diese Eigenschaften werden sicher vererbt. Jedermann weiss, wie leicht Thiere wüthend werden und wie deutlich sie es zeigen. Viele und wahrscheinlich wahre Anekdoten hat man von der lange verschobenen und überlegten Rache verschiedener Thiere veröffentlicht. Der zuverlässige Rengger und Brehm[8] geben an, dass die americanischen und africanischen Arten, welche sie zahm besassen, sich sicher rächten. Sir Andrew Smith, ein Zoolog, dessen scrupulöse Genauigkeit von vielen Leuten ausdrücklich anerkannt wurde, hat mir die folgende, von ihm selbst persönlich erlebte Geschichte erzählt: Am Cap der guten Hoffnung hatte ein Officier einen bestimmten Pavian häufig geneckt. Als das Thier ihn eines Sonntags zur Parade gehen sieht, giesst es Wasser in ein Loch, macht schnell etwas dicken Schlamm zurecht und spritzt ihn ganz geschickt und zum Amüsement vieler Zuschauer über den Officier, als er vorübergieng. Noch lange Zeit nachher freute sich und triumphirte der Pavian, so oft er das Opfer seiner Rache sah.

Die Liebe eines Hundes für seinen Herrn ist eine notorische Thatsache; so sagt ein alter Schriftsteller:[9] „ein Hund ist das einzige Ding in der Welt, das Dich mehr liebt, als sich selbst“.

Man hat von einem Hunde berichtet, der noch im Todeskampfe seinen Herrn geliebkost hat, und Alle haben davon gehört, wie ein Hund, an dem man die Vivisection ausführte, die Hand seines Operateurs leckte. Wenn nicht dieser Mann ein Herz von Stein hatte, so muss er, wenn die Operation nicht völlig gerechtfertigt war, bis zur letzten Stunde seines Lebens Gewissensbisse gefühlt haben.

Whewell[10] hat sehr richtig gefragt: „Wer nur die rührenden Beispiele mütterlicher Liebe liest, die so oft von Frauen aller Nationen und von den Weibchen aller Thiere erzählt worden sind, kann der wohl zweifeln, dass der Beweggrund der Handlung in beiden Fällen derselbe ist?“ Wir sehen mütterliche Zuneigung in den unbedeutendsten Zügen sich äussern; so beobachtete Rengger einen americanischen [91] Affen (einen Cebus), welcher sorgfältig die Fliegen verscheuchte, die sein Junges peinigten, und Duvaucel sah einen Hylobates, welcher seinen Jungen in einem Flusse die Gesichter wusch. Der Kummer weiblicher Affen um den Verlust ihrer Jungen war so intensiv, dass er ohne Ausnahme den Tod gewisser Arten verursachte, welche Brehm in Nordafrica in Gefangenschaft hielt. Verwaiste Affen wurden stets von den anderen Affen, sowohl Männchen als Weibchen, adoptirt und sorgfältig bewacht. Ein weiblicher Pavian hatte ein so weites Herz, dass er nicht bloss junge Affen anderer Arten adoptirte, sondern auch noch junge Hunde und Katzen stahl, welche er beständig mit sich herumführte. Doch gieng seine Liebe nicht so weit, mit seinen adoptirten Nachkommen die Nahrung zu theilen, worüber sich Brehm deshalb verwundert, weil seine Affen stets Alles gewissenhaft mit ihren Jungen theilten. Ein adoptirtes Kätzchen kratzte den ebenerwähnten liebevollen Pavian; dieser, welcher sicher einen feinen Verstand besass, war sehr erstaunt, gekratzt zu werden, untersuchte sofort die Füsse des Kätzchens und biss ihm, ohne sich viel zu besinnen, die Krallen ab.[11] Im zoologischen Garten hörte ich von einem Wärter, dass ein alter Pavian (C. Chacma) einen Rhesus-Affen adoptirt hatte; als aber ein junger Drill und Mandrill in den Käfig gethan wurden, schien er zu bemerken, dass diese Affen, trotzdem sie verschiedenen Arten angehörten, doch noch näher mit ihm verwandt wären, denn er verstiess sofort den Rhesus und adoptirte jene Beiden. Ich sah dann, dass der Rhesus sehr unzufrieden damit war, in dieser Weise verstossen zu werden; er neckte und attakirte den jungen Drill und Mandrill, wie ein ungezogenes Kind, so oft er es mit Sicherheit thun konnte, welches Betragen bei dem alten Pavian grosse Indignation erregte. Nach Brehm vertheidigen auch Affen ihre Herren, wenn diese von irgend Jemand angegriffen werden, ebensogut wie sie Hunde, denen sie zugethan sind, gegen die Angriffe anderer Hunde vertheidigen. Wir berühren aber hiermit den Gegenstand der Sympathie und Treue, auf welchen ich noch zurückkommen werde. Einige von Brehm's Affen amüsirten sich damit, einen gewissen alten Hund, den sie nicht leiden [92] konnten, und ebenso andere Thiere in verschiedenen ingeniösen Weisen zu necken.

Die meisten der complicirteren Gemüthsbewegungen sind den höheren Thieren und uns gemeinsam. Jedermann hat gesehen, wie eifersüchtig ein Hund auf die Liebe seines Herrn ist, wenn diese noch irgend einem anderen Wesen erwiesen wird, und ich habe dieselbe Thatsache bei Affen beobachtet. Dies zeigt, dass die Thiere nicht bloss Liebe, sondern auch die Sehnsucht haben, geliebt zu werden. Die Thiere haben offenbar Ehrgeiz; sie lieben Anerkennung und Lob, und ein Hund, welcher seinem Herrn einen Korb trägt, zeigt Selbstgefälligkeit und Stolz in hohem Grade. Ich glaube, es kann kein Zweifel sein, dass ein Hund Schamgefühl, und zwar verschieden von Furcht, besitzt, ebenso etwas der Bescheidenheit sehr Aehnliches, wenn er zu oft um Nahrung bettelt. Ein grosser Hund verachtet das Knurren eines kleinen Hundes, und dies könnte man Grossmuth nennen. Mehrere Beobachter haben angegeben, dass Affen es sicher nicht leiden können, ausgelacht zu werden, und sie erfinden zuweilen eingebildete Beleidigungen. Im zoologischen Garten sah ich einen Pavian, der jedesmal in grenzenlose Wuth gerieth, wenn sein Wärter einen Brief oder ein Buch herausholte und ihm laut vorlas; und diese Wuth war so heftig, dass er bei einer Gelegenheit, bei welcher ich selbst zugegen war, sein eigenes Bein biss, bis das Blut kam. Hunde zeigen auch etwas, was ganz gut ein Sinn für Humor genannt worden, verschieden vom blossen Spielen; wenn irgend etwas, ein Stock oder dergl., einem Hunde hingeworfen wird, trägt er es oft eine kurze Strecke weit fort; dann kommt er wieder, legt den Gegenstand nahe vor sich auf den Boden und wartet bis sein Herr dicht heran kommt, um jenen aufzuheben. Nun ergreift aber der Hund das Ding schnell und läuft im Triumph damit fort, wiederholt dasselbe Stückchen und erfreut sich offenbar des Scherzes.

Wir wollen uns nun den intellectuelleren Erregungen und Fähigkeiten zuwenden, welche von grosser Bedeutung sind, da sie die Grundlage zur Entwickelung der höheren geistigen Kräfte bilden. Die Thiere freuen sich offenbar der Anregung und leiden unter der Langeweile, wie man bei Hunden und, nach Rengger, bei Affen sehen kann. Alle Thiere empfinden Verwunderung und viele zeigen Neugierde. Von dieser letzteren Eigenschaft haben sie zuweilen zu leiden, so wenn der Jäger Grimassen schneidet und sie dadurch anlockt. Ich habe dies beim Reh selbst gesehen, und dasselbe gilt für die behutsamen Gemsen und manche [93] Arten von wilden Enten. Brehm theilt eine merkwürdige Erzählung von der instinctiven Furcht mit, welche seine Affen vor Schlangen zeigten; ihre Neugierde war aber so gross, dass sie sich nicht enthalten konnten, gelegentlich ihre Neugierde in einer äusserst menschlichen Art und Weise zu befriedigen, dadurch, dass sie den Deckel des Kastens, in dem die Schlangen gehalten wurden, aufhoben. Mich frappirte diese Erzählung so, dass ich eine ausgestopfte und zusammengerollte Schlange in das Affenhaus im zoologischen Garten mitnahm, und die dadurch verursachte Aufregung war eines der merkwürdigsten Schauspiele, was ich jemals zu Gesicht bekommen habe. Drei Arten von Cercopithecus waren am meisten beunruhigt, sie flogen in ihrem Käfig herum und stiessen scharfe Warnungsrufe aus, welche von den anderen Affen verstanden wurden. Nur wenige junge Affen und ein alter Anubis-Pavian nahmen von der Schlange keine Notiz. Ich legte dann das ausgestopfte Exemplar in einem der grösseren Behälter auf den Boden. Nach einiger Zeit hatten sich alle Affen rings um dasselbe in weitem Kreise versammelt und boten, dasselbe anstierend, einen äusserst lächerlichen Anblick dar. Sie wurden äusserst nervös, und als z. B. eine hölzerne Kugel, welche ein ihnen vollständig vertrautes Spielzeug war, zufällig im Stroh, unter dem sie theilweise verhüllt war, bewegt wurde, stoben sie sofort auseinander. Diese Affen benahmen sich sehr verschieden, wenn ein todter Fisch, eine Maus[12] oder irgend andere neue Gegenstände in ihre Käfige gebracht wurden. Denn obwohl sie zuerst erschreckt waren, näherten sie sich doch bald, nahmen dieselben in die Hände und untersuchten sie. Ich brachte dann eine lebendige Schlange in einem Papiersack, dessen Oeffnung lose verschlossen war, in einen der grösseren Behälter. Einer der Affen näherte sich sofort, öffnete vorsichtig den Sack ein wenig, guckte hinein und prallte sofort zurück. Dann beobachtete ich, was Brehm beschrieben hat; denn einer von den Affen nach dem anderen, mit hocherhobenem und auf die Seite gewandtem Kopf, konnte der Versuchung nicht widerstehen, von Zeit zu Zeit in den aufrechtstehenden Sack und auf den schreckenerregenden Gegenstand, der ruhig auf seinem Boden lag, einen flüchtigen Blick zu werfen. Es möchte fast scheinen, als wenn die Affen irgend eine Vorstellung von zoologischer Verwandtschaft hätten, denn diejenigen, welche Brehm hielt, zeigten eine merkwürdige und doch nicht miszudeutende [94] instinctive Furcht vor unschuldigen Eidechsen und Fröschen. Auch ist beobachtet worden, dass ein Orang von dem ersten Anblick einer Schildkröte sehr beunruhigt wurde.[13]

Das Princip der Nachahmung ist beim Menschen sehr stark und besonders, wie ich selbst beobachtet habe, beim Wilden. Bei gewissen krankhaften Zuständen des Gehirns wird diese Neigung zu einem ausserordentlichen Grade gesteigert; manche hemiplegische Personen und Andere im Anfangsstadium der entzündlichen Gehirnerweichung sprechen unbewusst jedes gehörte Wort aus ihrer eignen oder einer fremden Sprache nach und ahmen auch jede Geberde oder Handlung nach, die in ihrer Gegenwart ausgeführt wird.[14] Desor[15] hat bemerkt, dass kein niederes Thier willkürlich eine vom Menschen verrichtete Handlung nachahmt, bis wir, in der Stufenleiter aufsteigend, zu den Affen kommen, von denen ja sehr bekannt ist, dass sie in lächerlicher Weise nachahmen. Thiere ahmen aber zuweilen ihre Handlungen unter einander nach: so lernten zwei Arten von Wölfen, welche von Hunden aufgezogen worden waren, zu bellen, wie es zuweilen auch der Schakal thut.[16] Ob dies indessen eine willkürliche Nachahmung genannt werden kann, ist eine andere Frage. Vögel ahmen den Gesang ihrer Eltern und zuweilen den andrer Vögel nach; Papageyen sind wegen ihrer Nachahmung jedes, oft von ihnen gehörten Lautes notorisch. Dureau de la Malle[17] theilt den Fall eines von einer Katze aufgezogenen Hündchens mit, welches die so bekannte Gewohnheit der Katzen nachahmen lernte, sich die Füsse zu lecken und sich damit das Gesicht und die Ohren zu reinigen; dasselbe hat auch der bekannte Audouin gesehen. Ich habe noch mehrere bestätigende Berichte erhalten; in einem dieser Fälle wurde ein Hund nicht von der Katze aufgesäugt, wohl aber bei einer solchen in Gesellschaft junger Kätzchen aufgezogen; hierdurch hatte er die erwähnte Gewohnheit erlernt, die er während seines ganzen Lebens von dreizehn Jahren ausübte. Dureau de la Malle's Hund lernte auch von den Kätzchen, mit einem Balle zu spielen, ihn mit den Vorderpfoten zu rollen und danach zu springen. [95] Einer meiner Correspondenten versichert mir, dass eine Katze in seinem Hause ihre Pfoten in den Hals einer Milchkanne zu stecken pflegte, die eine für ihren Kopf zu enge Oeffung hatte. Ein Junges dieser Katze lernte sehr bald denselben Streich ausführen und benutzte sie dies später stets, so oft sich nur eine Gelegenheit dazu darbot.

Man kann wohl sagen, dass die Eltern vieler Thiere im Vertrauen auf das in ihren Jungen thätig werdende Princip der Nachahmung und noch besonders auf ihre instinctiven oder erblichen Anlagen dieselben erziehen. Wir sehen dies, wenn eine Katze ihrem Kätzchen eine lebendige Maus bringt; und Dureau de la Malle hat (in dem oben citirten Aufsatze) eine merkwürdige Schilderung seiner Beobachtungen an Habichten gegeben, welche ihre Jungen Geschicklichkeit ebenso wie Beurtheilung der Entfernung lehrten, dadurch, dass sie erst todte Mäuse und Sperlinge durch die Luft fallen, welche die Jungen meist nicht fangen konnten, und dann lebendige Vögel fliegen liessen.

Kaum irgend eine Fähigkeit ist für den intellectuellen Fortschritt des Menschen von grösserer Bedeutung als die Fähigkeit der Aufmerksamkeit. Thiere zeigen diese Fähigkeit offenbar, so wenn eine Katze vor einer Höhle wartet und sich vorbereitet, auf ihre Beute zu springen. Wilde Thiere werden zuweilen hierdurch so befangen, dass man sich ihnen leicht annähern kann. Mr. Bartlett hat mir ein merkwürdiges Beispiel mitgetheilt, wie variabel diese Fähigkeit bei den Affen ist. Ein Mann, welcher Affen abrichtete, pflegte die gewöhnlichen Arten von der zoologischen Gesellschaft zum Preise von 5 Pfund (Sterling) das Stück zu kaufen; er erbot sich aber, die doppelte Summe zu zahlen, wenn ihm erlaubt sei, drei oder vier derselben ein paar Tage lang bei sich zu halten, um einen auszuwählen. Als er gefragt wurde, wie es möglich sei, dass er so bald schon sehe, ob ein besonderer Affe sich als ein guter Schauspieler herausstellen würde, antwortete er, dass Alles von ihrer Fähigkeit, aufzumerken, abhänge. Würde die Aufmerksamkeit des Affen, während er mit ihm spräche und ihm irgend etwas erklärte, leicht abgezogen, sei es durch eine Fliege an der Wand oder irgend einen anderen unbedeutenden Gegenstand, so sei der Fall hoffnungslos. Versuche er einen unaufmerksamen Affen durch Strafe zum Agiren zu bringen, so werde er böse. Andererseits meinte er, dass ein Affe, welcher aufmerksam auf ihn merkte, immer abgerichtet werden könne.

Es ist fast überflüssig, noch zu erwähnen, dass Thiere ein ausgezeichnetes [96] Gedächtniss für Personen und Orte haben. Mir hat Sir Andrew Smith mitgetheilt, dass ihn ein Pavian am Cap der guten Hoffnung voller Freude nach einer Abwesenheit von neun Monaten wiedererkannt habe. Ich habe einen Hund gehabt, welcher wild und unwirsch gegen alle Fremden war, und habe absichtlich sein Gedächtniss nach einer Abwesenheit von fünf Jahren und zwei Tagen auf die Probe gestellt. Ich gieng zu dem Stall, wo er war, und rief ihn an in meiner alten Weise; er zeigte keine Freude, aber folgte mir augenblicklich, kam heraus und gehorchte mir so genau, als wenn ich ihn erst vor einer halben Stunde verlassen hätte. Ein Strom alter Ideenverbindungen, welche fünf Jahre lang geschlummert hatten, war hierdurch in seiner Seele augenblicklich angeregt worden. Selbst Ameisen erkannten, wie P. Huber[18] entschieden nachgewiesen hat, ihre Genossen, die demselben Haufen angehörten, nach einer Trennung von vier Monaten wieder. Thiere können sicher durch irgend welche Mittel die Zeitintervalle zwischen wiederkehrenden Ereignissen beurtheilen.

Die Einbildungskraft ist eine der höchsten Prärogativen des Menschen. Durch dieses Vermögen verbindet er unabhängig vom Willen frühere Eindrücke und Ideen und erzeugt damit glänzende und neue Resultate. Jean Paul Friedrich Richter bemerkt:[19] „ein Dichter, welcher erst überlegen muss, ob er einen seiner Charactere Ja oder Nein sagen lassen soll — zum Teufel mit ihm. Er ist nur ein seelenloser Körper“. Das Träumen gibt uns die beste Idee von dieser Fähigkeit, wie ebenfalls Jean Paul sagt: „Der Traum ist eine unwillkürliche Kunst der Dichtung“. Der Werth der Producte unserer Einbildungskraft hängt natürlich von der Zahl, Genauigkeit und Klarheit unserer Eindrücke ab, ferner von dem Urtheil und dem Geschmack bei der Auswahl und dem Zurückweisen der unwillkürlich sich darbietenden Combinationen und in einer gewissen Ausdehnung von unserer Fähigkeit, sie willkürlich zu combiniren. Da Hunde, Katzen, Pferde und wahrscheinlich alle höheren Thiere, selbst Vögel, wie nach gewichtigen Autoritäten[20] angeführt wird, lebhafte Träume haben und sich dies durch ihre Bewegungen und ihre Stimme zeigt, so müssen wir auch zugeben, dass sie eine gewisse Einbildungskraft haben. Es muss etwas Specielles [97] dabei sein, was die Hunde veranlasst, in der Nacht und besonders bei Mondschein in einer so merkwürdigen und melancholischen Weise zu heulen. Es thun dies nicht alle Hunde; nach Houzeau[21] sehen sie dabei nicht den Mond an, sondern einen bestimmten Punkt am Horizont. Houzeau glaubt, dass ihre Vorstellungen durch die undeutlichen Umrisse der umgebenden Gegenstände gestört werden, wodurch phantastische Bilder vor ihnen heraufbeschworen werden. Ist dies der Fall, dann könnte man ihre Empfindungen beinahe abergläubisch nennen.

Unter allen Fähigkeiten des menschlichen Geistes steht, wie wohl allgemein zugegeben wird, der Verstand obenan. Es bestreiten nur wohl wenige Personen noch, dass die Thiere eine gewisse Fähigkeit des Nachdenkens haben. Fortwährend kann man sehen, dass Thiere zuwarten, überlegen und sich entschliessen. Es ist eine bezeichnende Thatsache, dass je mehr die Lebensweise irgend eines besonderen Thieres von einem Naturforscher beobachtet wird, dieser ihm desto mehr Verstand zuschreibt und desto weniger die Handlungen nicht gelernten Instincten beilegt.[22] In späteren Capiteln werden wir sehen, dass Thiere, welche äusserst niedrig in der Stufenleiter stehen, offenbar einen gewissen Grad von Verstand zeigen. Es ist ohne Zweifel oft schwierig, zwischen den Aeusserungen des Verstandes und denen des Instincts zu unterscheiden. So bemerkt Dr. Hayes in seinem Werke über „das offene Polarmeer“ wiederholt, dass seine Hunde, statt die Schlitten in einer compacten Masse zu ziehen, auseinandergiengen und sich trennten, wenn sie auf dünnes Eis kamen, so dass ihr Gewicht gleichmässiger vertheilt wurde. Dies war oft das erste Warnungszeichen, welches die Reisenden erhielten, dass das Eis dünn und gefährlich wurde. Handelten nun die Hunde nach der Erfahrung jedes einzelnen Individuums so oder nach dem Beispiele der älteren und gescheidteren Hunde oder nach einer ererbten Gewohnheit, d. h. nach einem Instincte? Dieser Instinct könnte wohl in jener Zeit entstanden sein, als vor langen Jahren Hunde zuerst von den Eingeborenen dazu benutzt wurden, Schlitten zu ziehen, oder es könnten die arctischen Wölfe, die Urväter der Eskimohunde, diesen Instinct erlangt haben, der sie zwang, ihre Beute nicht in einer geschlossenen Masse anzugreifen, wenn sie sich auf dünnem Eise befanden.

[98] Wir können nur nach den Umständen, unter welchen gewisse Handlungen vollzogen werden, beurtheilen, ob sie Folge eines Instinctes oder eine Verstandesäusserung oder nur Folgen einer blossen Ideenassociation sind: doch ist ja das letztere mit Verstand in engstem Zusammenhang. Einen merkwürdigen Fall hat Prof. Möbius[23] von einem Hechte erzählt, welcher durch eine Glasplatte von dem benachbarten, mit Fischen besetzten Aquarium getrennt war und sich bei den Versuchen, die andern Fische zu fangen, oft mit solcher Heftigkeit gegen das Glas anstiess, dass er zuweilen ganz betäubt war. Drei Monate hindurch that er dies beständig, endlich lernte er aber vorsichtig sein und that es nicht mehr. Nun wurde die Glasplatte entfernt; der Hecht griff aber diese einzelnen Fische nicht an, obschon er andre, die später eingesetzt wurden, verschlang: so stark war die Idee des Stosses in seinem schwachen Verstande mit den Angriffen auf seine früheren Nachbarn associirt. Wenn ein Wilder, welcher niemals eine grosse Fensterscheibe gesehen hat, auch nur ein einziges Mal gegen eine solche angerannt wäre, so würde er für eine geraume Zeit nachher einen Stoss mit einer Fensterscheibe associiren, er würde über die Natur des Hindernisses wahrscheinlich Ueberlegungen anstellen und unter analogen Umständen vorsichtig sein. Wie wir nun gleich sehen werden, genügt es bei Affen zuweilen, dass sie in Folge einer einmal ausgeführten Handlung einen schmerzhaften oder andern unangenehmen Eindruck erhalten, um sie von einer Wiederholung derselben abzuhalten. Wenn wir diesen Unterschied zwischen dem Affen und dem Hechte einfach dem zuschreiben, dass die Ideenassociation bei dem einen um so viel stärker und dauernder ist als bei dem andern, trotzdem dass der Hecht den so viel schwereren Schaden erlitt, können wir wohl in Bezug auf den Menschen behaupten, dass ein ähnlicher Unterschied den Besitz eines fundamental verschiedenen Geistes bedingt?

Houzeau erzählt[24], dass beim Uebergang über eine weite und dürre Ebene in Texas seine Hunde sehr vom Durst litten und dass sie zwischen dreissig und vierzig mal Vertiefungen hinabjagten, um nach Wasser zu suchen. Diese Vertiefungen waren keine Thäler, auch waren weder Bäume darin, noch zeigten sie irgend eine andre Verschiedenheit der Vegetation; da sie absolut trocken waren, konnte auch kein Geruch nach feuchter Erde dagewesen sein. Die Hunde benahmen sich so, als [99] wüssten sie, dass eine Vertiefung in dem Boden ihnen die beste Chance Wasser zu finden darböte; Houzeau hat dasselbe Benehmen auch bei andern Thieren beobachtet.

Ich habe es gesehen, – und ich bin überzeugt, andre auch, – dass, wenn irgend ein kleiner Gegenstand vor einen der Elefanten im zoologischen Garten auf den Boden geworfen wird, zu weit für ihn um ihn zu erreichen, er dann mit seinem Rüssel jenseits des Gegenstandes auf den Boden bläst, um durch den, dort von allen Seiten reflectirten Luftstrom den Gegenstand in seinen Bereich treiben zu lassen. Ferner theilt mir ein bekannter Ethnolog, Herr Westropp, mit, dass er in Wien beobachtet habe, wie ein Bär mit seiner Pfote in dicht an seinem Käfig stehendem Wasser eine Strömung zu erregen suchte, um ein Stückchen auf dem Wasser schwimmenden Brodes in seinen Bereich zu bringen. Diese Handlungen des Elefanten und Bären können kaum dem Instinct oder vererbter Gewohnheit zugeschrieben werden, da sie für die Thiere im Naturzustände nur von wenig Nutzen sein würden. Was ist nun der Unterschied zwischen solchen Handlungen, wenn sie ein uncultivirter Mensch ausführt, und wenn sie eines der höheren Thiere verrichtet?

Der Wilde und der Hund haben oft an niedrigen Stellen Wasser gefunden und das Zusammentreffen unter solchen Umständen wurde in ihrem Geiste associirt. Ein cultivirter Mensch würde vielleicht irgend einen allgemeinen Satz über die Sache aufstellen; nach allem aber, was wir von Wilden wissen, ist es äusserst zweifelhaft, ob sie dies thun, und ein Hund thut es sicherlich nicht. Ein Wilder aber wird ebenso wie ein Hund in derselben Weise suchen, aber auch häufig enttäuscht werden; und bei beiden scheint es in gleicher Weise eine Handlung des Verstandes zu sein, mag nun irgend ein allgemeiner Satz über den Gegenstand bewusstermassen dem Geiste vorgestellt werden oder nicht.[25] Dasselbe wird auch für den Elefanten und für den Bären gelten, welche Strömungen in der Luft oder im Wasser erzeugen. Der Wilde würde sicherlich weder wissen noch sich darum kümmern, nach welchen Gesetzen die gewünschten Bewegungen hervorgebracht werden; und doch [100] würde die Handlung durch einen rohen Process der Ueberlegung, und zwar so sicher wie ein Philosoph in der längsten Kette seiner Deductionen, geleitet werden. Ohne Zweifel würde der Unterschied zwischen ihm und einem der höheren Thiere darin bestehen, dass er viel geringfügigere Umstände und Bedingungen beachten und jeden Zusammenhang zwischen ihnen nach viel kürzerer Erfahrung beobachten würde; und dies ist von einer durchgreifenden Bedeutung. Ich hielt ein sorgfältiges Tagebuch über die Handlungen eines meiner Kinder; und als es ungefähr elf Monate alt war und noch ehe es ein einziges Wort sprechen konnte, wurde ich beständig von der, verglichen mit dem intelligentesten Hunde den ich je gesehen, so bedeutenderen Schnelligkeit frappirt, mit welcher alle Arten von Gegenständen und Lauten in seinem Geiste associirt wurden. Die höheren Thiere weichen aber in genau derselben Weise in Bezug auf dies Associationsvermögen von den niedriger stehenden ab, z. B. dem Hechte, wie in Bezug auf das Ziehen von Schlüssen und auf Beobachtung.

Die nach einer sehr kurzen Erfahrung sich einstellenden Verstandesschlüsse zeigen sich schon gut in der nachfolgend geschilderten Handlungsweise americanischer Affen, welche in ihrer Ordnung ziemlich tief stehen. Rengger, ein höchst sorgfältiger Beobachter, gibt an, dass, als er seinen Affen in Paraguay zuerst Eier gab, sie dieselben zerbrachen und daher viel von ihrem Inhalt verloren. Später schlugen sie vorsichtig das eine Ende an einem harten Körper ein und nahmen die Schalenstückchen mit ihren Fingern heraus. Hatten sie sich einmal mit irgend einem scharfen Werkzeug geschnitten, so wollten sie es nicht wieder berühren oder es nur mit der grössten Vorsicht behandeln. Stücke Zuckers wurden ihnen oft in Papier eingewickelt gegeben, und Rengger that zuweilen eine lebendige Wespe in das Papier, so dass sie beim hastigen Entfalten gestochen wurden. War dies aber einmal der Fall gewesen, so hielten sie stets das Päckchen zuerst an ihre Ohren, um irgend eine Bewegung im Innern zu entdecken[26].

Die folgenden Fälle beziehen sich auf Hunde. Mr. Colquhoun[27] schoss zwei wilde Enten flügellahm, welche auf das jenseitige Ufer [101] eines Flusses fielen. Sein Wasserhund versuchte Beide auf einmal herüberzubringen, es gelang ihm aber nicht. Trotzdem man wusste, dass er nie vorher auch nur eine Feder gekrümmt hätte, biss er die eine Ente todt, brachte die andere herüber und gieng nun zu dem todten Vogel zurück. Oberst Hutchinson erzählt, dass zwei Rebhühner auf einmal geschossen wurden, das eine wurde getödtet, das andere verwundet. Das Letztere rannte fort und wurde vom Hunde gefangen, welcher auf dem Rückwege beim todten Vogel vorbeikam. „Er blieb stehen, offenbar sehr in Verlegenheit, und nach ein- oder zweimaligem Versuchen, wobei er fand, dass er es nicht mitnehmen konnte, ohne das flügellahm geschossene entwischen zu lassen, überlegte er einen Augenblick, biss dann dieses mit einem kräftigen Ruck absichtlich todt und brachte dann beide Vögel auf einmal. Es war dies das einzige bekannte Beispiel, dass er je mit Absicht irgend welches Wildpret verletzt hätte“. Hier haben wir Verstand, wenn auch nicht durchaus vollkommenen. Denn der Hund hätte den verwundeten Vogel zuerst bringen und dann nach dem todten zurückkehren können, wie es in dem Falle mit den zwei wilden Enten geschah. Ich führe die vorstehenden Fälle an, da für sie die Gewähr zweier unabhängiger Zeugen spricht, weil in beiden Beispielen die Wasserhunde nach Ueberlegung eine von ihnen ererbte Gewohnheit durchbrachen (die, das apportirte Wild nicht zu tödten), und weil sie zeigen, wie stark die Fähigkeit der Ueberlegung gewesen sein muss, dass sie eine fixirte Gewohnheit überwand.

Ich will mit der Anführung einer Bemerkung Homboldt’s schliessen[28]. „Der Maulthiertreiber in Südamerica sagt: ,ich will Ihnen nicht das Maulthier geben, dessen Schritt am leichtesten ist, sondern la mas racional, das, welches es sich am besten überlegt‘,“ und Humboldt fügt hinzu, „dieser populäre Ausdruck, den lange Erfahrung dictirt, widerspricht der Annahme von belebten Maschinen vielleicht besser, als alle Argumente der speculativen Philosophie“. Nichtsdestoweniger leugnen selbst jetzt noch einige Schriftsteller, dass die höheren Thiere auch nur eine Spur von Verstand haben; sie versuchen, wie es scheint, durch blosse Wortklauberei[29] alle die oben angeführten Thatsachen wegzuexpliciren.

[102] Ich glaube, es ist nun gezeigt worden, dass der Mensch und die höheren Thiere, besonders die Primaten, einige wenige Instincte gemeinsam haben. Alle haben dieselben Sinneseindrücke und Empfindungen, ähnliche Leidenschaften, Affecte und Erregungen, selbst die complexeren, wie Eifersucht, Verdacht, Ehrgeiz, Dankbarkeit und Grossherzigkeit; sie üben Betrug und rächen sich; sie sind empfindlich für das Lächerliche und haben selbst einen Sinn für Humor. Sie fühlen Verwunderung und Neugierde, sie besitzen dieselben Kräfte der Nachahmung, Aufmerksamkeit, Ueberlegung, Wahl, Gedächtniss, Einbildung, Ideenassociation, Verstand, wenn auch in sehr verschiedenen Graden. Die Individuen einer und derselben Species zeigen gradweise Verschiedenheit im Intellect von absoluter Schwachsinnigkeit bis zu grosser Trefflichkeit. Sie sind auch dem Wahnsinn ausgesetzt, wenn schon sie weit weniger oft daran leiden als der Mensch[30]. Nichtsdestoweniger haben viele Schriftsteller behauptet, dass der Mensch durch seine geistigen Fähigkeiten von allen niederen Thieren durch eine unüberschreitbare Schranke getrennt sei. Ich habe mir früher eine Sammlung von über zwanzig solcher Aphorismen gemacht; sie sind aber beinahe werthlos, da ihre grosse Zahl und Verschiedenheit die Schwierigkeit, wenn nicht die Unmöglichkeit des Versuches darlegen. Es ist behauptet worden, dass nur der Mensch einer allmählichen Vervollkommnung fähig sei, dass er allein Werkzeuge und Feuer gebrauche, andere Thiere sich angewöhne, Eigenthum besitze, dass kein anderes Thier das Vermögen der Abstraction habe oder allgemeine Ideen besitze, Selbstbewusstsein habe und sich selbst verstehe, dass kein Thier eine Sprache gebrauche, dass nur der Mensch ein Gefühl für Schönheit habe, Launen ausgesetzt sei, das Gefühl der Dankbarkeit, des Geheimnissvollen u. s. w. besitze, dass er an Gott glaube oder mit einem Gewissen ausgerüstet sei. Ich [103] will über die wichtigeren und interessanteren der angegebenen Punkte ein paar Bemerkungen zu geben versuchen.

Erzbischof Sumner behauptete früher,[31] dass nur der Mensch einer fortschreitenden Veredelung fähig sei. Dass er einer unvergleichlich grösseren und schnelleren Veredelung als irgend ein andres Thier fähig ist, lässt sich nicht bestreiten; dies ist wesentlich eine Folge seines Vermögens zu sprechen und seine erworbne Kenntniss zu überliefern. Was die Thiere betrifft, so wollen wir zunächst das Individuum betrachten. Hier weiss Jeder, der nur irgend eine Erfahrung im Legen von Fallen besitzt, dass junge Thiere viel leichter gefangen werden können als alte, sie lassen auch Feinde viel leichter sich annähern; und selbst in Bezug auf alte Thiere ist es unmöglich, viele an einer und derselben Stelle und in derselben Art von Fallen zu fangen oder durch dieselbe Art von Giften zu tödten. Und doch ist es unwahrscheinlich, dass Alle von dem Gifte genossen hätten, und unmöglich, dass Alle in der Falle gefangen worden seien. Sie müssen dadurch Vorsicht lernen, dass sie ihre Genossen gefangen oder vergiftet sehen. In Nordamerica, wo die pelztragenden Thiere lange Zeit verfolgt worden sind, zeigen sie nach dem einstimmigen Zeugniss aller Beobachter einen fast unglaublichen Grad von Scharfsinn, Vorsicht und List; es ist aber das Fallenstellen dort so lange schon ausgeführt worden, dass hier vielleicht Vererbung mit in’s Spiel kommt. Es ist mir von mehreren Seiten mitgetheilt worden, dass, als Telegraphen zuerst angelegt wurden, sich in den betreffenden Gegenden viele Vögel dadurch tödteten, dass sie gegen die Drähte flogen, dass sie aber im Laufe sehr weniger Jahre diese Gefahr vermeiden lernten, wie es scheinen möchte, weil sie sahen, dass ihre Kameraden dadurch umkamen[32].

Betrachten wir aufeinanderfolgende Generationen oder die Rasse, so ist keinem Zweifel unterworfen, dass Vögel und andere Thiere allmählich Vorsicht in Bezug auf den Menschen oder andere Feinde sowohl erlangen als verlieren[33]. Und diese Vorsicht ist gewiss zum grössten Theil eine angeerbte Gewohnheit oder ein Instinct, zum Theil aber [104] das Resultat individueller Erfahrung. Ein guter Beobachter, Leroy[34], führt an, dass in Districten, wo Füchse sehr viel gejagt werden, die Jungen, wenn sie zuerst ihre Höhlen verlassen, unstreitig viel schlauer sind als die alten in Districten, wo sie nicht sehr gestört werden.

Unsere domesticirten Hunde stammen von Wölfen und Schakals[35] ab, und trotzdem sie nicht an Verschlagenheit gewonnen und an Bedachtsamkeit und ängstlicher Vorsicht verloren haben mögen, so haben sie doch in gewissen moralischen Eigenschaften, wie Zuneigung, Zuverlässigkeit, Temperament und wahrscheinlich in allgemeiner Intelligenz Fortschritte gemacht. Die gemeine Ratte hat mehrere andere Species durch ganz Europa, in Theilen von Nordamerica, in Neuseeland und neuerdings in Formosa ebenso wie auf dem Festlande von China besiegt und zurückgetrieben. Mr. Swinhoe[36], welcher die beiden letzteren Fälle mittheilt, schreibt den Sieg der gemeinen Ratte über die grössere Mus coninga ihrer überlegenen Schlauheit zu; und diese letztere Eigenschaft lässt sich wohl der beständigen Anstrengung aller ihrer Fähigkeiten zuschreiben, die sie der Verfolgung und Zerstörung durch den Menschen entgegengesetzt, ebenso wie dem Umstande, dass fast alle weniger schlauen oder schwachköpfigeren Ratten mit Erfolg vom Menschen vertilgt worden sind. Es ist indessen möglich, dass der Erfolg der gemeinen Ratte davon abhängt, dass sie schon zu der Zeit grössere Schlauheit als die verwandten Arten besessen hat, in der sie noch nicht mit dem Menschen vergesellschaftet ward. Ohne Bezugnahme auf irgendwelche directen Beweise behaupten zu wollen, dass kein Thier im Verlaufe der Zeit in Bezug auf den Intellect oder andere geistige Fähigkeiten fortgeschritten sei, heisst die Frage von der Entwickelung der Arten überhaupt verneinen. Wir werden später sehen, dass nach Lartet jetzt lebende und zu mehreren Ordnungen gehörende Säugethiere grössere Gehirne haben, als ihre alten tertiären Prototypen.

Es ist oft gesagt worden, dass kein Thier irgend ein Werkzeug gebrauche. Der Schimpanse knackt aber im Naturzustande eine wilde Frucht, ungefähr einer Wallnuss ähnlich, mit einem Steine[37]. Rengger[38] [105] lehrte sehr leicht einen americanischen Äffen auf diese Weise harte Palmnüsse zu öffnen, und später gebrauchte dieser dann auf eigenen Antrieb Steine, um andere Arten von Nüssen ebenso wie Kästen zu öffnen. Er entfernte auch die weiche Rinde einer Frucht, welche einen unangenehmen Geschmack hatte. Einem anderen Affen wurde gelehrt, den Deckel einer grossen Kiste mit einem Stocke zu öffnen, und später brauchte er den Stock als Hebel, um schwere Körper zu bewegen; und ich habe selbst gesehen, wie ein junger Orang einen Stock in einen Spalt steckte, seine Hände an das andere Ende brachte und ihn in der richtigen Weise als Hebel benutzte. Es ist bekannt, dass die zahmen Elefanten in Indien sich Zweige abbrechen, um die Fliegen abzuwehren; dasselbe Manoeuvre ist bei einem wilden Elefanten beobachtet worden[39]. Ich habe einen jungen weiblichen Orang gesehen, der sich, wenn er glaubte er solle geschlagen werden, mit einer Decke oder mit Stroh zudeckte und schützte. In diesen verschiedenen Fällen werden Steine und Stöcke als Werkzeuge gebraucht; sie werden aber gleicherweise als Waffen benutzt. Brehm[40] führt nach der Autorität des bekannten Reisenden Schimper an, dass, wenn in Abyssinien die zu der einen Art gehörenden Paviane (C. Gelada) truppenweise von den Bergen herabsteigen, um die Felder zu plündern, sie zuweilen Truppen einer andern Species (C. Hamadryas) begegnen, und dann beginnt ein Kampf. Die Geladas rollen grosse Steine herab, welchen die Hamadryas auszuweichen suchen, und dann gehen beide Species mit grossem Lärm wüthend auf einander los. Als Brehm den Herzog von Coburg-Gotha begleitete, stand er einem Angriff mit Feuerwaffen auf einen Trupp von Pavianen an dem Passe von Mensa in Abyssinien bei. Die Paviane wälzten ihrerseits so viele Steine, einige so gross wie ein Menschenkopf, den Berg herab, dass die Angreifer sich schnell zurückziehen mussten, und der Pass war thatsächlich eine Zeit lang für die Karawane verschlossen. Es verdient Beachtung, dass diese Paviane hier in Uebereinstimmung handelten. Mr. Wallace[41] sah bei drei Gelegenheiten weibliche Orangs in Begleitung ihrer Jungen „Zweige und die grossen dornigen Früchte der Durianbäume mit allen Zeichen der Wuth abbrechen und einen solchen Schauer von Geschossen herabwerfen, [106] dass es ihnen gelang zu verhindern, dass er sich dem Baume zu sehr näherte“. Wie ich wiederholt gesehen habe, wirft ein Schimpanse jedes Ding, was ihm in die Hand kommt, nach seinem Beleidiger; und der oben erwähnte Pavian bereitete zu diesem Zwecke Schlamm.

Im zoologischen Garten gebrauchte ein Affe, welcher schwache Zähne hatte, einen Stein, um sich Nüsse zu öffnen; und mir versicherten die Wärter, dass das Thier, wenn es den Stein gebraucht habe, ihn im Stroh verberge und keinen anderen Affen ihn berühren lasse. Hier haben wir die Idee des Eigenthums; doch ist diese Idee jedem Hunde, der einen Knochen hat, und den meisten oder allen Vögeln in Bezug auf ihre Nester eigen.

Der Herzog von Argyll[42] bemerkt, dass das Formen eines Werkzeugs zu einem speciellen Zwecke dem Menschen absolut eigenthümlich sei, und er hält dies für einen unermesslichen Abstand zwischen ihm und den Thieren. Es liegt ohne Zweifel ein sehr bedeutender Unterschied hierin; aber mir scheint in Sir J. Lubbock’s Vermuthung[43] viel Wahres zu liegen, dass, als die Urmenschen zuerst Feuersteine zu irgend welchem Zwecke benutzten, sie sie zufällig zerschlagen und dann die scharfen Bruchstücke benutzt haben werden. Von diesem Punkte aus bedurfte es dann nur eines kleinen Schritts, um die Feuersteine absichtlich zu zerbrechen, und keines sehr grossen Schritts, um sie roh zu formen. Indessen dürfte der letztere Fortschritt sehr langer Zeit bedurft haben, wenn wir nach dem ungeheuren Zeitintervalle urtheilen, welcher vergieng, ehe der Mensch der neueren Steinperiode begann, seine Werkzeuge zu schleifen und zu poliren. Beim Zerbrechen der Feuersteine werden, wie Sir J. Lubbock gleichfalls bemerkt, Funken hervorgesprungen sein und beim Schleifen derselben wird sich Wärme entwickelt haben: „hierdurch können die beiden gewöhnlichen Methoden, Feuer zu erhalten, entstanden sein“. Die Natur des Feuers wird in den vielen vulkanischen Gegenden, wo Lava gelegentlich durch Wälder fliesst, bekannt geworden sein. Die anthropomorphen Affen bauen sich, wahrscheinlich durch Instinct geleitet, flache temporäre Hütten auf Bäumen. Wie aber viele Instincte in grossem Maasse vom Verstande controlirt werden, so können auch die einfacheren, wie der, sich solche flache Nester zu bauen, leicht in einen willkürlichen, bewussten Act übergehen. Es ist bekannt, dass der Orang sich zur Nachtzeit mit den [107] Blättern des Pandanus zudeckt, und Brehm führt an, dass einer seiner Paviane sich gegen die Sonnenwärme dadurch schützte, dass er eine Strohmatte über den Kopf warf. In diesen letzteren Handlungen haben wir wahrscheinlich die ersten Schritte zu einigen der einfacheren Künste zu erblicken, nämlich zu einer rohen Architectur und Kleidung, wie sie unter den frühen Stammeltern des Menschen entstanden.

Abstraction, allgemeine Ideen, Selbstbewusstsein, geistige Individualität. – Es würde, selbst für Jemand, der viel mehr Kenntnisse besitzt als ich, ausserordentlich schwer sein zu bestimmen, in wie weit Thiere irgend welche Spuren dieser hohen geistigen Fähigkeiten darbieten. Diese Schwierigkeit rührt von der Unmöglichkeit her, zu beurtheilen, was in der Seele eines Thieres vorgeht; ferner verursacht die Thatsache noch eine weitere Schwierigkeit, dass die Schriftsteller in hohem Maasse darin auseinandergehen, was für eine Bedeutung sie den oben erwähnten Ausdrücken beilegen. Dürfen wir nach den verschiedenen, vor Kurzem veröffentlichten Aufsätzen urtheilen, so scheint es, als ob der grösste Nachdruck auf die vermeintlich vollständige Abwesenheit des Abstractionsvermögens bei Thieren gelegt würde, oder des Vermögens allgemeine Begriffe zu bilden. Wenn aber ein Hund in der Entfernung einen andern Hund sieht, so ist es oft ganz klar, dass er nur im abstracten Sinne wahrnimmt, dass es ein Hund ist; denn wenn er näher heran kommt, so ändert sich sein ganzes Wesen plötzlich, wenn der andre Hund mit ihm befreundet ist. Ein neuerer Schriftsteller bemerkt, dass es in allen derartigen Fällen eine reine Vermuthung sei, wenn man behauptet, dass der psychische Act bei Thieren nicht von wesentlich derselben Natur wie beim Menschen sei. Wenn einer von beiden das, was er mit seinen Sinnen wahrnimmt, auf einen geistigen Begriff bezieht, so thun es auch beide[44]. Wenn ich zu meinem Terrier in einem eifrigen Tone sage (und ich habe den Versuch viele male gemacht): „such’, such’, wo ist es?“, so nimmt er dies sofort als ein Zeichen, dass irgendetwas aufgestöbert werden müsse, sieht sich zuerst schnell rings um und stürzt dann in das nächste Dickicht, um irgend einem Wilde auf die Spur zu kommen; findet er nichts, so sieht er sich auf einem der nahestehenden Bäume nach einem Eichhorn um. Weisen nun diese Handlungen nicht deutlich darauf hin, [108] dass der Hund in seiner Seele einen allgemeinen Begriff oder eine Idee davon hatte, dass irgend ein Thier zu entdecken und zu jagen sei?

Man kann ganz gern zugeben, dass kein Thier Selbstbewusstsein habe, wenn mit diesem Begriff verstanden werden soll, dass es über solche Fragen, wie: woher es komme oder wohin es gehe, oder was das Leben und was der Tod sei und so fort, nachdenke. Wie können wir aber sicher sein, dass ein alter Hund mit einem ausgezeichneten Gedächtnisse und etwas Einbildungskraft, wie sie sich durch seine Träume zu erkennen gibt, niemals über die Freuden und Leiden Betrachtungen anstellt, welche er früher auf der Jagd hatte? Dies wäre aber eine Form des Selbstbewusstseins. Andererseits hat aber Büchner bemerkt:[45] wie wenig kann das abgearbeitete Weib eines verkommenen australischen Wilden, welches kaum irgendwelche abstracte Worte braucht und nicht über vier zählen kann, sein Selbstbewusstsein bethätigen oder über die Natur seiner eignen Existenz nachdenken! Es wird allgemein zugegeben, dass die höheren Thiere Gedächtniss besitzen, ferner Aufmerksamkeit, Associationen und selbst etwas Einbildungskraft und Vernunft. Wenn diese Fähigkeiten, welche bei verschiedenen Thieren sehr verschieden sind, einer Ausbildung fähig sind, so scheint es nicht besonders unwahrscheinlich zu sein, dass die complicirteren Fähigkeiten, wie die höheren Formen der Abstraction und des Selbstbewusstseins u. s. w. sich aus der Entwickelung und Combination der einfacheren herausgebildet haben. Gegen die hier vertretenen Ansichten ist hervorgehoben worden, dass es unmöglich sei anzugeben, bei welchem Punkte in der aufsteigenden Stufenleiter die Thiere einer Abstraction fähig würden u. s. w.; wer kann denn aber sagen, in welchem Alter dies bei unsern Kindern eintritt? Wir sehen wenigstens, dass derartige Fähigkeiten sich bei Kindern in unmerklichen Abstufungen entwickeln.

Dass Thiere das Bewusstsein ihrer psychischen Individualität bewahren, ist durchaus nicht fraglich. Als meine Stimme eine Reihe alter Associationen in der Seele des obengenannten Hundes wach rief, muss er seine geistige Individualität behalten haben, obschon jedes Atom seines Gehirns wahrscheinlich mehr als einmal während des Verlaufs von fünf Jahren gewechselt hatte. Dieser Hund hätte das vor Kurzem in der Absicht, alle Evolutionisten niederzuschmettern, vorgebrachte Argument beibringen und sagen können: „Ich verbleibe inmitten aller [109] geistigen Stimmungen und aller materiellen Veränderungen derselbe .... Die Lehre, dass die Atome die empfangenen Eindrücke als Erbschaft den andern an ihre Stelle rückenden Atomen überlassen, widerspricht der Aeusserung des Bewusstseins und ist daher falsch; es ist dies aber dieselbe Lehre, welche durch die Theorie der Entwickelung nothwendig gemacht wird, und demzufolge ist auch diese Hypothese eine falsche“[46].

Sprache. – Diese Fähigkeit ist mit Recht als einer der Hauptunterschiede zwischen dem Menschen und den niederen Thieren betrachtet worden. Aber der Mensch ist, wie ein äusserst competenter Richter, Erzbischof Whately, bemerkt, „nicht das einzige Thier, welches von einer Sprache Gebrauch machen kann, um das auszudrücken, was in seinem Geiste vorgeht, und welches mehr oder weniger verstehen kann, was in dieser Weise von Anderen ausgedrückt wird“[47]. Der Cebus Azarae in Paraguay gibt, wenn er aufgeregt wird, wenigstens sechs verschiedene Laute von sich, welche bei anderen Affen ähnliche Erregungen veranlassen[48]. Die Bewegungen des Gesichts und die Gesten von Affen können von uns verstanden werden und sie verstehen zum Theil die unsern, wie Rengger und Andere erklären. Es ist eine noch merkwürdigere Thatsache, dass der Hund seit seiner Domestication in wenigstens vier oder fünf verschiedenen Tönen zu bellen gelernt hat[49]. Obgleich das Bellen ihm eine neue Kunst ist, so werden doch ohne Zweifel auch die wilden Arten, von denen der Hund abstammt, ihre Gefühle durch Schreie verschiedener Arten ausgedrückt haben. Bei dem domesticirten Hunde haben wir das Bellen des Eifers, wie auf der Jagd, das des Aergers ebenso wie das Knurren, das heulende Bellen der Verzweiflung, z. B. wenn sie eingeschlossen sind, das Heulen bei Nacht, das der Freude, wenn sie z. B. mit ihrem Herrn spazieren gehen sollen, und das sehr bestimmte Bellen des Verlangens oder der Bitte, z. B. wenn sie wünschen, dass eine Thüre oder ein Fenster geöffnet werde. Nach Houzeau, der dem Gegenstande besondere Aufmerksamkeit widmete, stösst das Haushuhn mindestens ein Duzend bezeichnender Laute aus[50].

[110] Der beständige Gebrauch der articulirten Sprache indessen ist dem Menschen eigentümlich; aber er benutzt gemeinsam mit den niederen Thieren unarticulirte Ausrufe in Verbindung mit Gesten und den Bewegungen seiner Gesichtsmuskeln[51], um seine Gedanken auszudrücken. Dies gilt besonders für die einfacheren und lebendigeren Gefühle, welche aber nur wenig mit unserer höheren Intelligenz in Zusammenhang stehen. Unsere Ausrufe des Schmerzes, der Furcht, der Ueberraschung, des Aergers, in Verbindung mit entsprechenden Handlungen, und das Murmeln einer Mutter mit ihrem geliebten Kinde sind ausdrucksvoller als irgend welche Worte. Das, was den Menschen von den niederen Thieren unterscheidet, ist nicht das Verständniss articulirter Laute; denn Hunde verstehen, wie Jedermann weiss, viele Worte und Sätze. In dieser Beziehung stehen sie auf derselben Entwickelungsstufe wie Kinder zwischen zehn und zwölf Monaten, welche auch viele Worte und kurze Sätze verstehen, und doch nicht ein einziges Wort hervorbringen können. Es ist nicht sowohl die blosse Fähigkeit der Articulation, welche den Menschen von anderen Thieren unterscheidet, denn, wie Jedermann weiss, können Papageyen und andre Vögel sprechen; auch ist es nicht die blosse Fähigkeit, bestimmte Klänge mit bestimmten Ideen zu verbinden; denn es ist ganz sicher, dass manche Papageyen, welchen Sprechen gelehrt worden ist, ohne zu irren Worte mit Dingen, und Personen mit Ereignissen in Verbindung bringen[52]. Von den niedern Thieren weicht der Mensch allein durch seine unendlich grössere [111] Fähigkeit, die verschiedenartigsten Laute und Ideen zu associiren, ab; und dies hängt offenbar von der hohen Entwickelung seiner geistigen Fähigkeiten ab.

Wie Horne Tooke, einer der Gründer der edlen Wissenschaft der Philologie bemerkt, ist die Sprache eine Kunst, wie das Bauen und Backen; es würde aber das Schreiben ein viel entsprechenderes Gleichniss dargeboten haben. Sicher ist die Sprache kein echter Instinct, da eine jede Sprache gelernt werden muss. Sie weicht indessen von allen gewöhnlichen Künsten sehr weit ab, denn der Mensch hat eine instinctive Neigung zu sprechen, wie wir in dem Lallen junger Kinder sehen, während kein Kind eine instinctive Neigung zu bauen, backen oder schreiben hat. Ueberdies nimmt kein Philolog jetzt an, dass irgend eine Sprache mit Ueberlegung erfunden worden sei; eine jede hat sich langsam und unbewusst durch viele Stufen entwickelt[53]. Die Laute, welche Vögel von sich geben, bieten in mehreren Beziehungen die nächste Analogie mit der Sprache dar, denn alle Glieder derselben Art äussern dieselben instinctiven, zur Bezeichnung ihrer Gemüthsbewegungen dienenden Laute; und alle Arten, welche das Singvermögen besitzen, äussern dieses Vermögen instinctiv. Aber der wirkliche Gesang und selbst die Lockrufe werden von den Eltern oder Pflegeltern gelernt. Diese Laute sind, wie Daines Barrington[54] bewiesen hat, „ebensowenig eingeboren als es die Sprache dem Menschen ist“. Die ersten Versuche zum Singen „lassen sich mit dem unvollkommenen Stammeln bei einem Kinde vergleichen, welches zu lallen beginnt“. Die jungen Männchen üben sich beständig oder, wie der Vogelsteller es ausdrückt, sie probiren zehn oder elf Monate lang. Ihre ersten Versuche lassen kaum eine Spur ihres späteren Gesangs erkennen; wenn sie aber älter werden, kann man ungefähr erkennen, wonach sie streben, und endlich sagt man, sie singen ihren Gesang rund ab. Nestlinge, welche den Gesang einer verschiedenen Art gelernt haben, wie z. B. in Tyrol aufgezogene Canarienvögel, lehren und überliefern ihre neue Sangesweise ihren Nachkommen. [112] Die unbedeutenden natürlichen Verschiedenheiten des Gesangs bei Individuen derselben Species, welche verschiedene Gegenden bewohnen, können ganz passend, wie Barrington bemerkt, mit Provincialdialecten verglichen werden, und die Sangesweisen verwandter, wenn auch verschiedener Species lassen sich mit den Sprachen verschiedener Menschenrassen vergleichen. Ich habe die vorstehenden Einzelnheiten gegeben, um zu zeigen, dass eine instinctive Neigung, eine Kunst sich anzueignen, keine auf den Menschen beschränkte Eigenthümlichkeit ist.

Was den Ursprung der articulirten Sprache betrifft, so kann ich, nachdem ich einerseits die äusserst interessanten Werke von Mr. Hensleigh Wedgwood, F. Farrar und Professor Schleicher[55]. und die berühmten Vorlesungen von Professor Max Müller auf der anderen Seite gelesen habe, nicht daran zweifeln, dass die Sprache ihren Ursprung der Nachahmung und den durch Zeichen und Gesten unterstützten Modificationen verschiedener natürlicher Laute, der Stimmen anderer Thiere und der eigenen instinctiven Ausrufe des Menschen verdankt. Wenn wir die geschlechtliche Zuchtwahl behandeln werden, wird sich zeigen, dass der Urmensch oder wenigstens irgend ein sehr früher Stammvater des Menschen wahrscheinlich seine Stimme, wie es heutigen Tages einer der gibbonartigen Affen thut, dazu benutzte, echt musikalische Cadenzen hervorzubringen, d. h. also zum Singen. Nach einer sehr weit verbreiteten Analogie können wir auch schliessen, dass dieses Vermögen besonders während der Werbung der beiden Geschlechter ausgeübt sein wird, um verschiedene Gemütsbewegungen auszudrücken, wie Liebe, Eifersucht, Triumph, und gleichfalls, um als Herausforderung für die Nebenbuhler zu dienen. Die Nachahmung musikalischer Ausrufe durch articulirte Laute mag daher Worten zum Ursprung gedient haben, welche verschiedene complexe Erregungen ausdrückten. Da es zu der Frage der Nachahmung in Beziehung steht, verdient die bedeutende Neigung bei unseren nächsten Verwandten, den Affen, bei mikrocephalen Idioten[56] und bei den barbarischen Menschenrassen, [113] Alles, was sie nur hören, nachzuahmen, wohl eine Beachtung. Da die Affen sicher vieles von dem verstehen, was von Menschen zu ihnen gesprochen wird, und da sie im Naturzustande Warnungsrufe bei Gefahren ihren Genossen[57] zurufen; da ferner Hühner bestimmte Warnungszeichen bei Gefahren auf dem Boden oder am Himmel wegen der Habichte (beide, ebenso wie ein drittes, werden von Hunden verstanden)[58] ausstossen: – dürfte nicht irgend ein ungewöhnlich gescheidtes, affenähnliches Thier darauf gefallen sein, das Heulen eines Raubthiers nachzuahmen, um dadurch seinen Mitaffen die Natur der zu erwartenden Gefahr anzudeuten? und dies würde ein erster Schritt zur Bildung einer Sprache gewesen sein.

Als nun die Stimme immer weiter und weiter benutzt wurde, werden die Stimmorgane weiter gekräftigt und in Folge des Princips der vererbten Wirkung des Gebrauchs vervollkommnet worden sein; und dies wird wieder auf das Vermögen der Rede zurückgewirkt haben. Aber noch viel bedeutungsvoller ist ohne Zweifel die Beziehung zwischen dem fortgesetzten Gebrauch der Sprache und der Entwickelung des Gehirns gewesen. Die geistigen Fähigkeiten müssen bei irgend einem frühen Vorfahren des Menschen viel höher entwickelt gewesen sein, als bei irgend einem jetzt lebenden Affen, selbst bevor die unvollkommenste Form der Rede hat in Gebrauch kommen können. Wir können aber zuversichtlich annehmen, dass der beständige Gebrauch und die weitere Entwickelung dieses Vermögens dadurch auf die Seele zurückgewirkt haben wird, dass sie dieselbe in den Stand setzte und ermuthigte, lange Gedankenzüge zu durchdenken. Ein langer und complexer Gedankenzug kann ebensowenig ohne die Hülfe von Worten durchgeführt werden, mögen sie gesprochen werden oder stumm bleiben, als eine genaue Berechnung ohne den Gebrauch von Zahlen oder der Algebra. Es scheint auch, als wenn selbst die gewöhnlichen Gedankenreihen irgend eine Form von Sprache fast erforderten oder durch eine solche erleichtert würden; denn das taubstumme und blinde Mädchen Laura Bridgman gebrauchte ihre Finger, als man sie beobachtete, während sie träumte[59]. [114] Nichtsdestoweniger kann auch eine lange Reihenfolge von lebendigen und zusammenhängenden Ideen durch die Seele ziehen, ohne die Hülfe von irgend einer Form von Sprache, wie wir aus den langen Träumen von Hunden schliessen können. Wir haben auch gesehen, dass Thiere im Stande sind, bis zu einem gewissen Grade nachzudenken, und dies offenbar ohne die Hülfe der Sprache. Der innige Zusammenhang zwischen dem Gehirn, wie es jetzt bei uns entwickelt ist, und der Fähigkeit der Sprache zeigt sich deutlich in jenen merkwürdigen Fällen von Gehirnerkrankung, bei denen die Sprache besonders afficirt ist, wie in dem Falle, wo das Vermögen, sich substantiver Wörter zu erinnern, verloren ist, während andere Wörter völlig correct gebraucht werden können, oder wo Substantiva einer gewissen Classe, oder alle Substantiva und Eigennamen mit Ausnahme ihrer Anfangsbuchstaben vergessen sind[60]. In der Annahme, dass der fortgesetzte Gebrauch der Stimmorgane und der geistigen Organe zu erblichen Veränderungen in ihrem Bau und ihren Functionen führe, liegt nicht mehr Unwahrscheinliches als in der gleichen Annahme für die Form der Handschrift, welche zum Theil von der Bildung der Hand, zum Theil von der Geistesbeschaffenheit abhängt; und die Form der Handschrift wird sicher vererbt[61].

Mehrere Schriftsteller, besonders Prof. Max Müller[62], haben neuerdings behauptet, der Gebrauch der Sprache setze das Vermögen voraus, allgemeine Begriffe zu bilden; und dass, da vermeintlich kein Thier dies Vermögen besitze, hierdurch eine unübersteigliche Schranke zwischen ihnen und dem Menschen gezogen sei[63]. Was die Thiere betrifft, [115] so habe ich bereits zu zeigen versucht, dass sie diese Fähigkeit, wenigstens in einem rohen und beginnenden Grade besitzen. Und was Kinder im Alter von zehn bis elf Monaten und Taubstumme betrifft, so scheint es mir unglaublich, dass sie im Stande sein sollten, gewisse Laute mit gewissen allgemeinen Ideen mit der Schnelligkeit, mit der es geschieht, in Verbindung zu bringen, wenn nicht solche Ideen in ihrer Seele bereits gebildet wären. Dieselbe Bemerkung kann auf die intelligenteren Thiere ausgedehnt werden. So bemerkt Mr. Leslie Stephen[64]: „Ein Hund bildet einen allgemeinen Begriff von Katze oder Schaf und kennt das entsprechende Wort so gut wie ein Philosoph. Und die Fähigkeit zu verstehen ist ein ebenso guter, wenn auch dem Grade nach niedrigerer Beweis für vocale Intelligenz, wie die Fähigkeit zu sprechen“.

Warum die jetzt für die Sprache benutzten Organe ursprünglich schon zu diesem Zweck vervollkommnet sein sollten, und zwar eher als irgend andere Organe, ist nicht schwer einzusehen. Ameisen haben ein ziemlich beträchtliches Vermögen, sich mit Hülfe ihrer Antennen unter einander verständlich zu machen, wie Huber gezeigt hat, welcher ein ganzes Capitel der Sprache der Ameisen widmet. Wir könnten auch unsere Finger als passende Hülfsmittel benutzt haben, denn eine hierin geübte Person kann einem Tauben jedes Wort einer in einer öffentlichen Versammlung schnell gehaltenen Rede auf diese Weise mittheilen; der Verlust einer weiteren Benutzbarkeit unserer Hände bei einem solchen Gebrauche würde aber eine sehr bedenkliche Störung gewesen sein. Da alle höheren Säugethiere Stimmorgane besitzen, welche nach demselben allgemeinen Plan wie die unseren gebaut sind und welche als Mittel der Mittheilung benutzt werden, so war es offenbar wahrscheinlich, dass, wenn das Vermögen der Mittheilung weiter entwickelt werden sollte, diese selben Organe noch weiter entwickelt werden würden; und dies ist durch Zuhülfenahme der benachbarten und gut angepassten [116] Theile bewirkt worden, nämlich der Zunge und der Lippen[65]. Die Thatsache, dass die höheren Affen ihre Stimmorgane nicht zur Sprache benutzen, erklärt sich ohne Zweifel dadurch, dass ihre Intelligenz nicht hinreichend entwickelt worden ist. Der Umstand, dass sie dieselben Organe besitzen, welche bei lange fortgesetzter Uebung zur Sprache hätten benutzt werden können, obschon sie sie nicht in dieser Weise benutzen, ist dem Falle parallel, dass viele Vögel, welche Singorgane besitzen, trotzdem doch niemals singen. So haben die Nachtigall und die Krähe ähnlich gebaute Stimmorgane; die Erstere benutzt dieselben zu mannichfaltigem Gesange, die Letztere nur zum Krächzen[66]. Wenn man frägt, warum der Intellect der Affen nicht in demselben Grade entwickelt ist wie der des Menschen, so kann die Antwort nur die Bezeichnung allgemeiner Ursachen enthalten. Bedenkt man unsere Unwissenheit in Bezug auf die aufeinanderfolgenden Entwickelungsstufen, welche jedes Wesen durchlaufen hat, so ist es unverständig, irgend eine bestimmtere Antwort zu erwarten.

Die Bildung verschiedener Sprachen und verschiedener Species und die Beweise, dass beide durch einen stufenweise fortschreitenden Gang entwickelt worden sind, beruhen in merkwürdiger Weise auf gleichen Grundlagen[67]. Wir können aber den Ursprung vieler Wörter weiter zurück verfolgen, als den Ursprung der Arten, denn wir können wahrnehmen, wie sie factisch aus der Nachahmung verschiedener Laute entstanden sind. In verschiedenen Sprachen finden wir auffallende Homologien, welche Folgen der Gemeinsamkeit der Abstammung sind, und Analogien, welche Folgen eines ähnlichen Bildungsprocesses sind. Die Art und Weise, in welcher gewisse Buchstaben oder Laute abändern, wenn andere abändern, erinnert sehr an Correlation des Wachsthums; wir finden in beiden Fällen Verdoppelung von Theilen, die Wirkung [117] lange fortgesetzten Gebrauchs u. s. w. Das häufige Vorkommen von Rudimenten sowohl bei Sprachen als bei Species ist noch merkwürdiger. Der Buchstabe m in dem englischen Worte „am“ bedeutete „ich“, so dass in dem Ausdruck J am ein überflüssiges und nutzloses Rudiment beibehalten worden ist. Auch beim Schreiben von Wörtern werden oft Buchstaben als Rudimente älterer Formen der Aussprache beibehalten. Sprachen können wie organische Wesen in Gruppen classificirt werden, die anderen Gruppen untergeordnet sind, und man kann sie entweder natürlich nach ihrer Abstammung oder künstlich nach anderen Characteren classificiren. Herrschende Sprachen und Dialekte verbreiten sich weit und führen allmählich zur Ausrottung anderer Sprachen. Ist eine Sprache einmal ausgestorben, so erscheint sie, wie Sir C. Lyell bemerkt, gleich einer Species niemals wieder. Ein und dieselbe Sprache hat nie zwei Geburtsstätten. Verschiedene Sprachen können sich kreuzen oder mit einander verschmelzen[68]. Wir sehen in jeder Sprache Variabilität, und neue Wörter tauchen beständig auf; da es aber für das Erinnerungsvermögen eine Grenze gibt, so sterben einzelne Wörter, wie ganze Sprachen allmählich ganz aus. Max Müller[69] hat sehr richtig bemerkt: „in jeder Sprache findet beständig ein Kampf um’s Dasein zwischen den Wörtern und grammatischen Formen statt: die besseren, kürzeren, leichteren Formen erlangen beständig die Oberhand, und sie verdanken ihren Erfolg ihrer eigenen inhärenten Kraft“. Diesen wichtigeren Ursachen des Ueberlebens gewisser Wörter lässt sich auch noch die blosse Neuheit und Mode hinzufügen; denn in dem Geiste aller Menschen besteht eine starke Vorliebe für unbedeutende Veränderungen in allen Dingen. Das Ueberleben oder die Beibehaltung gewisser begünstigter Wörter in dem Kampfe um’s Dasein ist natürliche Zuchtwahl.

Die vollkommen regelmässige und wunderbar complexe Construction der Sprachen vieler barbarischer Nationen ist oft als ein Beweis entweder des göttlichen Ursprungs dieser Sprachen, oder des hohen Culturzustandes und der früheren Civilisation ihrer Begründer vorgebracht worden. So schreibt Friedrich von Schlegel: „wir beobachten häufig bei den Sprachen, welche auf der niedrigsten Stufe intellectueller Cultur zu stehen scheinen, einen sehr hohen und ausgebildeten Grad in [118] der Kunst ihrer grammatischen Structur. Dies ist besonders der Fall bei dem Baskischen und Lappländischen und bei vielen der americanischen Sprachen“[70]. Es ist aber zuverlässig ein Irrthum, von irgend einer Sprache als einer Kunst zu sprechen, in dem Sinne, als sei sie mit Mühe und Methode ausgearbeitet worden. Die Philologen geben jetzt zu, dass Conjugationen, Declinationen u. s. f. ursprünglich als verschiedene Worte existirten, die später mit einander vereinigt wurden; und da solche Worte die augenfälligsten Beziehungen zwischen Objecten und Personen ausdrückten, so ist nicht zu verwundern, dass sie von Menschen der meisten Rassen während der frühesten Zeiten benutzt worden sind. Was die Vervollkommnung betrifft, so wird die folgende Erläuterung am besten zeigen, wie leicht man irren kann: Ein Crinoide besteht zuweilen aus nicht weniger als 150,000 Schalenstückchen[71], welche alle vollständig symmetrisch in strahlenförmigen Linien angeordnet sind; aber ein Naturforscher hält ein Thier dieser Art nicht für vollkommener als ein seitlich symmetrisches mit vergleichsweise wenigen Theilen, von denen keine einander gleichen mit Ausnahme der auf den entgegengesetzten Seiten des Körpers befindlichen. Er betrachtet mit Recht die Differenzirung und Specialisirung der Organe als den Prüfstein der Vervollkommnung. So sollte man, was die Sprachen betrifft, die am meisten symmetrischen und complicirtesten nicht über die unregelmässigen, abgekürzten und verbastardirten Sprachen stellen, welche ausdrucksvolle Worte und zweckmässige Formen der Construction von verschiedenen erobernden oder eroberten oder einwandernden Rassen sich angeeignet haben.

Aus diesen wenigen und unvollständigen Betrachtungen schliesse ich, dass die äusserst complicirte und regelmässige Construction vieler barbarischer Sprachen kein Beweis dafür ist, dass sie ihren Ursprung einem besonderen Schöpfungsacte[72] verdanken. Auch bietet, wie wir gesehen haben, die Fähigkeit articulirter Sprache an sich kein unübersteigliches Hinderniss für den Glauben dar, dass der Mensch sich aus irgendwelcher niederen Form entwickelt hat.

Schönheitssinn. – Dieser Sinn ist für einen dem Menschen eigenthümlichen erklärt worden. Ich beziehe mich hier nur auf das [119] Vergnügen, welches gewisse Farben, Formen und Laute veranlassen und welches ganz gut ein Sinn für das Schöne genannt werden kann; bei cultivirten Menschen sind indessen derartige Empfindungen innig mit complicirten Ideen und Gedankenzügen associirt. Wenn wir aber sehen, wie männliche Vögel mit Vorbedacht ihr Gefieder und dessen prächtige Farben vor den Weibchen entfalten, während andere nicht in derselben Weise geschmückte Vögel keine solche Vorstellung geben, so lässt sich unmöglich zweifeln, dass die Weibchen die Schönheit ihrer männlichen Genossen bewundern. Da sich Frauen überall mit solchen Federn schmücken, so lässt sich die Schönheit solcher Ornamente nicht bestreiten. Wie wir später sehen werden, sind die Nester der Colibris und die Spielplätze der Kragenvögel (Chlamydera) geschmackvoll mit lebhaft gefärbten Gegenständen ausgeschmückt; und dies zeigt, dass sie ein gewisses Vergnügen beim Anblick derartiger Dinge empfinden müssen. Bei der grossen Majorität der Thiere ist indessen, soweit wir es beurtheilen können, der Geschmack für das Schöne auf die Reize des andern Geschlechts beschränkt. Die reizenden Klänge, welche viele männliche Vögel während der Zeit der Liebe von sich geben, werden gewiss von den Weibchen bewundert, für welche Thatsache später noch Beweise werden beigebracht werden. Wären weibliche Vögel nicht im Stande, die schönen Farben, den Schmuck, die Stimmen ihrer männlichen Genossen zu würdigen, so würde alle die Mühe und Sorgfalt, welche diese darauf verwenden, ihre Reize vor den Weibchen zu entfalten, weggeworfen sein, und dies lässt sich unmöglich annehmen. Warum gewisse glänzende Farben Vergnügen erregen, lässt sich, wie ich vermuthe, ebensowenig erklären, als warum gewisse Gerüche und Geschmäcke angenehm sind; Gewohnheit hat aber jedenfalls etwas damit zu thun; denn was unsern Sinnen zuerst unangenehm ist, wird zuletzt angenehm, und Gewohnheiten werden vererbt. In Bezug auf Laute hat Helmholtz, zu einem gewissen Theile aus physiologischen Gründen, erklärt, warum Harmonien und gewisse Arten des Tonfalles angenehm sind. Ferner sind Laute, welche häufig in unregelmässigen Zwischenräumen wiederkehren, äusserst unangenehm, wie Jeder zugeben wird, der Nachts dem unregelmässigen Klappen eines Taues auf einem Schiffe zugehört hat. Dasselbe Princip scheint auch in Bezug auf das Gesicht zu gelten, da das Auge Symmetrie oder Figuren mit einer regelmässigen Wiederkehr vorzieht. Muster dieser Art werden selbst von den niedrigsten Wilden als Zierrathen verwendet; [120] auch sind sie durch geschlechtliche Zuchtwahl zur Verschönerung einiger männlichen Thiere entwickelt worden. Mögen wir nun für das durch das Gesicht oder Gehör erlangte Vergnügen in diesen Fällen einen Grund angeben oder nicht, der Mensch und viele der niedern Thiere sind in gleicher Weise über die nämlichen Farben, das graziöse Schattiren und derlei Formen und über die nämlichen Laute ergötzt.

Der Geschmack für das Schöne, wenigstens was die weibliche Schönheit betrifft, ist nicht in einer specifischen Form dem menschlichen Geiste eingeprägt; denn in den verschiedenen Menschenrassen weicht er vielfach ab, und ist selbst bei den verschiedenen Nationen einer und derselben Rasse nicht derselbe. Nach den widerlichen Ornamenten und der gleichmässig widerlichen Musik zu urtheilen, welche die meisten Wilden bewundern, liesse sich behaupten, dass ihr ästhetisches Vermögen nicht so hoch entwickelt sei als bei gewissen Thieren, z. B. bei Vögeln. Offenbar wird kein Thier fähig sein, solche Scenen zu bewundern, wie den Himmel zur Nachtzeit, eine schöne Landschaft, oder verfeinerte Musik; aber an solchen hohen Geschmacksobjecten, welche ihrer Natur nach von der Cultur und von complexen Associationen abhängen, erfreuen sich Barbaren und unerzogene Personen gleichfalls nicht.

Viele Fähigkeiten, welche dem Menschen zu seinem allmählichen Fortschritte von unschätzbarem Dienste gewesen sind, wie das Vermögen der Einbildung, der Verwunderung, der Neugierde, ein unbestimmtes Gefühl für Schönheit, eine Neigung zum Nachahmen und die Vorliebe für Aufregung oder Neuheit, mussten natürlich zu den wunderlichsten Aenderungen der Gewohnheiten und Moden führen. Ich führe diesen Punkt deshalb an, weil ein neuerer Schriftsteller[73] wunderbar genug die Laune „als eine der merkwürdigsten und typischsten Verschiedenheiten zwischen Wilden und den Thieren“ bezeichnet hat. Wir können aber nicht blos wahrnehmen, woher es kommt, dass der Mensch launisch ist, sondern wir sehen auch, dass die niederen Thiere, wie sich später noch zeigen wird, in ihren Zuneigungen, Widerwillen und ihrem Gefühl für Schönheit ebenfalls launisch sind. Wir haben auch Grund zu vermuthen, dass sie Neuheit ihrer selbst wegen lieben.

Gottesglaube, Religion. – Wir haben keine Beweise dafür, dass dem Menschen von seinem Ursprunge an der veredelnde Glaube an die Existenz eines allmächtigen Gottes eigen war. Im Gegentheil sind [121] reichliche Zeugnisse, nicht von flüchtigen Reisenden, sondern von Männern, welche lange unter Wilden gelebt haben, beigebracht worden, dass zahlreiche Rassen existirt haben und noch existiren, welche keine Idee eines Gottes und mehrerer Götter und keine Worte in ihren Sprachen haben, eine solche Idee auszudrücken.[74] Natürlich ist diese Frage von der anderen höheren völlig verschieden, ob ein Schöpfer und Regierer des Weltalls existirt; und diese ist von den grössten Geistern, welche je gelebt haben, bejahend beantwortet worden.

Verstehen wir indessen unter dem Ausdruck „Religion“ den Glauben an unsichtbare oder geistige Kräfte, so stellt sich der Fall völlig verschieden; denn dieser Glaube scheint bei den weniger civilisirten Rassen ganz allgemein zu sein. Auch ist es nicht schwer zu verstehen, wie er entstanden ist. Sobald die bedeutungsvollen Fähigkeiten der Einbildungskraft, Verwunderung und Neugierde, in Verbindung mit einem Vermögen nachzudenken, theilweise entwickelt waren, wird der Mensch ganz von selbst gesucht haben, das was um ihn her vorgeht zu verstehen, und wird auch über seine eigene Existenz dunkel zu speculiren begonnen haben. Mr. M’Lennan[75] hat bemerkt: „irgend eine Erklärung der Lebenserscheinungen muss der Mensch sich ausdenken; und nach ihrer Allgemeinheit zu schliessen scheint die einfachste und dem Menschen sich zuerst darbietende Hypothese die gewesen zu sein, dass die Erscheinungen der Natur der Anwesenheit solcher zur Thätigkeit treibender Geister in Thieren, Pflanzen, leblosen Gegenständen und auch in den Naturkräften zuzuschreiben seien, wie die sind, von deren Besitz sich der Mensch bewusst ist“. Wie Mr. Tylor klar entwickelt hat, ist es auch wahrscheinlich, dass Träume der Annahme solcher Geister zuerst Entstehung gegeben haben; denn Wilde unterscheiden nicht leicht zwischen subjectiven und objectiven Eindrücken. Wenn ein Wilder träumt, so glaubt er, dass die Bilder, welche vor ihm erscheinen, von Weitem hergekommen sind und über ihm stehen; oder „die Seele des Träumers geht auf Reisen aus und kommt heim mit der Erinnerung Dessen, was sie gesehen hat“[76]. So lange aber die obengenannten [122] Fähigkeiten der Einbildung. Neugierde, des Verstandes u. s. w. nicht ziemlich gut in dem Geiste des Menschen entwickelt waren, werden ihn seine Träume nicht zu dem Glauben an Geister veranlasst haben, ebensowenig wie einen Hund.

Die Neigung bei Wilden, sich einzubilden, dass natürliche Dinge und Kräfte durch geistige oder lebende Wesen belebt seien, wird vielleicht durch eine kleine Thatsache, welche ich früher einmal beobachtet habe, erläutert. Mein Hund, ein völlig erwachsenes und sehr aufmerksames Thier, lag an einem heissen und stillen Tage auf dem Rasen; aber nicht weit von ihm bewegte ein kleiner Luftzug gelegentlich einen offenen Sonnenschirm, welchen der Hund völlig unbeachtet gelassen haben würde, wenn irgend Jemand dabei gestanden hätte. So aber knurrte und bellte der Hund wüthend jedesmal, wenn sich der Sonnenschirm leicht bewegte. Ich meine, er muss in einer schnellen und unbewussten Weise bei sich überlegt haben, dass Bewegung ohne irgendwelche offenbare Ursache die Gegenwart irgend einer fremdartigen lebendigen Kraft andeutete; und kein Fremder hatte ein Recht, sich auf seinem Territorium zu befinden.

Der Glaube an spirituelle Kräfte wird leicht in den Glauben an die Existenz eines Gottes oder mehrerer Götter übergehen; denn Wilde werden naturgemäss Geistern dieselben Leidenschaften, dieselbe Lust zur Rache oder die einfachste Form der Gerechtigkeit und dieselben Zuneigungen zuschreiben, welche sie selbst in sich erfahren. Die Feuerländer [123] scheinen in dieser Beziehung sich in einem mittleren Zustande zu befinden; denn als der Arzt an Bord des Beagle einige junge Enten zum Aufbewahren als zoologische Exemplare schoss, erklärte York Minster in der feierlichsten Weise: „Oh! Mr. Bynoe, viel Regen, viel Schnee, viel Blasen“, und dies war offenbar als zu befürchtende Strafe für das Verwüsten menschlicher Nahrung verstanden. So erzählt er ferner, als sein Bruder einen „wilden Mann“ getödtet habe, hätten lange Zeit Stürme geherrscht und es sei viel Regen und Schnee gefallen. Und doch konnten wir nie finden, dass die Feuerländer an das glaubten, was wir einen Gott nennen würden, oder dass sie irgendwelche religiöse Gebräuche ausübten. Jemmy Button behauptete mit gerechtfertigtem Stolze fest und sicher, dass in seinem Lande kein Teufel sei, und diese letztere Behauptung ist um so merkwürdiger, als bei den Wilden der Glaube an böse Geister bei weitem gewöhnlicher als der Glaube an gute herrscht.

Das Gefühl religiöser Ergebung ist ein in hohem Grade complicirtes, indem es aus Liebe, vollständiger Unterordnung unter ein erhabenes und mysteriöses höheres Etwas, einem starken Gefühle der Abhängigkeit[77], der Furcht, Verehrung, Dankbarkeit, Hoffnung in Bezug auf die Zukunft und vielleicht noch anderen Elementen besteht. Kein Wesen hätte eine so complicirte Gemüthserregung an sich erfahren können, bis nicht seine intellectuellen und moralischen Fähigkeiten zum mindesten auf einen mässig hohen Standpunkt entwickelt wären. Nichtsdestoweniger sehen wir eine Art Annäherung an diesen Geisteszustand in der innigen Liebe eines Hundes zu seinem Herrn, welche mit völliger Unterordnung, etwas Furcht und vielleicht noch anderen Gefühlen vergesellschaftet ist. Das Benehmen eines Hundes, wenn er nach einer Abwesenheit zu seinem Herrn zurückkehrt, und, wie ich hinzufügen kann, eines Affen bei der Rückkehr zu seinem geliebten Wärter, ist sehr weit von Dem verschieden, was diese Thiere gegen Ihresgleichen äussern. Im letzteren Falle scheinen die Freudenbezeigungen etwas geringer zu sein, und das Gefühl der Gleichheit zeigt sich in jeder Handlung. Professor Braubach[78] geht so weit, zu behaupten, dass ein Hund zu seinem Herrn wie zu einem Gott aufblickt.

[124] Dieselben hohen geistigen Fähigkeiten, welche den Menschen zuerst dazu führten, an unsichtbare geistige Kräfte, dann an Fetischismus, Polytheismus und endlich Monotheismus zu glauben, werden ihn, so lange seine Verstandeskräfte nur wenig entwickelt waren, unfehlbar zu verschiedenen fremdartigen Gebräuchen und Formen des Aberglaubens geführt haben. Schon der Gedanke an viele Arten dieser ist schaudervoll, so das Opfern menschlicher Wesen einem blutliebenden Gotte, das Ueberführen unschuldiger Personen durch das Gottesgericht mit Gift oder Feuer, Zauberei u. s. w., und doch verlohnt es sich wohl, gelegentlich über diese Formen von Aberglauben nachzudenken; denn sie zeigen uns, in welch’ unendlicher Weise wir der Vervollkommnung unseres Verstandes, der Wissenschaft und unseren aufgestapelten Kenntnissen zu Danke verpflichtet sind. Wie Sir J. Lubbock[79] sehr gut bemerkt hat, „ist es nicht zu viel, wenn wir sagen, dass die schauerliche Furcht vor unbekannten Uebeln wie eine dichte Wolke über dem Leben der Wilden hängt und jedes Vergnügen verbittert“. Diese traurigen, indirect aus unseren höchsten Fähigkeiten herzuleitenden Folgen können mit den zufälligen und gelegentlichen Missgriffen der Instincte niederer Thiere verglichen werden.


  1. s. die Belege über diese Punkte bei Sir J. Lubbock, Prehistoric Times p. 354 u. flgde.
  2. L'instinct chez les Insectes, in: Revue des Deux Mondes. Febr. 1870, p. 690.
  3. The American Beaver and his Works. 1868.
  4. The Principles of Psychology. 2. edit. 1870, p. 418—443.
  5. Contribution to the Theory of Natural Selection. 1870, p. 212.
  6. Wegen der Belege hierzu s. das äusserst interessante Buch von J. Trahernk Moggridge, Harvesting Ants and Trap-door Spiders. 1873, p. 126, 128.
  7. Recherches sur les moeurs des Fourmis. 1810, p. 173.
  8. Alle die folgenden Angaben, welche nach der Autorität dieser beiden Naturforscher gemacht sind, sind entnommen aus Rengger, Naturgesch. der Säugethiere von Paraguay. 1830. S. 41—57 und aus Brehm's Thierleben. Bd. 1, S. 10-87.
  9. Citirt von Dr. Lauder Lindsay in seiner: Physiology of Mind in the Lower Animals; Journal of Mental Science, April, 1871, p. 38.
  10. Bridgewater-Treatise, p. 263.
  11. Ohne allen Grund bestreitet ein Kritiker (Quarterly Review, July, 1871, p. 72) die Möglichkeit dieses Actes, wie ihn Brehm beschrieben hat, nur um mein Buch zu discreditiren. Ich habe daher den Versuch gemacht und gefunden, dass ich mit meinen eignen Zähnen die kleinen scharfen Krallen eines beinahe fünf Wochen alten Kätzchens fassen konnte.
  12. Ich habe eine kurze Schilderung ihres Benehmens bei dieser Gelegenheit in meinem: Ausdruck der Gemüthsbewegungen gegeben. 2. Aufl. 1874. S. 144.
  13. W. C. L. Martin, Natur. Hist. of Mammalia. 1841, p. 405.
  14. Dr. Bateman, on Aphasia; 1870, p. 110.
  15. Angeführt von C. Vogt, Mémoires sur les Microcéphales. 1867, p. 168.
  16. Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 1. S. 29.
  17. Annales des Sciences natur. 1. Série, Tom. XXII., 397.
  18. Les Moeurs des Fourmis. 1810, p. 150.
  19. Citirt in: Maudsley, Physiologe and Pathology of Mind. 1868, p. 19, 220.
  20. Jerdon. Birds of India. Vol. I. 1862, p. XXI. Houzeau erzählt, dass seine Parakitten und Canarienvögel träumten: Facultés Mentales, Tom. II, p. 136.
  21. Facultés Mentales des Animaux. 1872. Tom. II., p. 181.
  22. L. H. Morgan’s Buch über „The American Beaver“ 1868 bietet eine gute Erläuterung dieser Bemerkung dar. Ich kann mich indessen der Ansicht nicht erwehren, dass er die Kraft des Instincts viel zu sehr unterschätzt.
  23. Die Bewegungen der Thiere etc. 1873. p. 11.
  24. Facultés Mentales des Animaux. 1872. Tom. II., p. 265.
  25. Prof. Huxley hat mit wunderbarer Klarheit die geistigen Schritte analysirt, durch welche ein Mensch, ebensogut wie ein Hund, zu einem, dem im Texte gegebnen analogen Schlusse gelangt, s. seinen Artikel: „Mr. Darwin’s Critics“ in der „Contemporaneous Review“, Nov. 1871, p. 462, und in seinen „Critiques and Essays“, 1873, p. 279.
  26. Auch Mr. Belt beschreibt in seinem sehr interessanten Buche (The Naturalist in Nicaragua, 1874, p. 119) verschiedene Handlungen eines zahmen Cebus, welche, wie ich glaube, deutlich beweisen, dass dies Thier eine gewisse Ueberlegungskraft besitzt.
  27. The Moor and the Loch p. 45. Hutchinson, Dog Breaking. 1850. p.46.
  28. Personal narrative. Vol. III, p. 106.
  29. Ich freue mich zu sehn, dass ein so scharfsinniger Denker wie Leslie Stephen da, wo er von der vermeintlich unübersteiglichen Schranke zwischen dem Geiste des Menschen und der niedern Thiere spricht (Darwinism and Divinity. Essays on Free-thinking, 1873, p. 80), das Folgende sagt: „In der That scheinen uns die aufgestellten Unterschiede auf keinem besseren Grunde zu ruhen, als eine grosse Zahl andrer metaphysischer Distinctionen, auf der Annahme nämlich, dass, weil man zwei Dingen zwei verschiedene Namen geben kann, sie deshalb auch verschiedner Natur sein müssen. Es ist schwer zu verstehen, wie Jemand, der nur irgend jemals einen Hund gehalten oder einen Elefanten gesehen hat, an dem Vermögen eines Thieres zweifeln kann, die wesentlichen Processe des Nachdenkens auszuüben“.
  30. s. Madness in Animals, by Dr. W. Lauder Lindsay, in: Journal of Mental Science. July, 1871.
  31. Citirt von Sir Ch. Lyell, das Alter des Menschengeschlechts. Original S. 497. (Der betreffende Abschnitt wurde in der Uebersetzung weggelassen.)
  32. Wegen weiterer Belege mit Details s. Houzeau, Les Facultés Mentales des Animaux, Tom. II. 1872, p. 147.
  33. s. in Bezug auf die Vögel oceanischer Inseln mein „Journal of Researches during the Voyage of the ,Beagle‘“ 1845, p. 398. Entstehung der Arten. 5. Aufl. S. 283.
  34. Lettres philos. sur l'Intelligence des Animaux. Nouv. édit. 1802, p. 86.
  35. s. die Belege hierfür im 1. Capitel des 1. Bdes. von „Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication.“
  36. Proceed. Zool. Soc. 1864, p. 186.
  37. Savage and Wyman, in Boston Journal of Nat. Hist. Vol.IV. 1843–44. p. 383.
  38. Säugethiere von Paraguay. 1830, S. 51–56.
  39. The Indian Field, 4. March, 1871.
  40. Thierleben. Bd. 1. S. 79. 82.
  41. The Malay Archipelago. Vol. I. 1869, p. 87.
  42. Primeval Man. p. 145, 147.
  43. Prehistoric Times. 1865, p. 473 flgde.
  44. Mr. Hookham in einem Briefe an Prof. Max Müller in den „Birmingham News“. May, 1873.
  45. Vorlesungen über die Darwinsche Theorie. S. 190.
  46. The Rev. Dr. J. M’Cann. Anti-Darwinism, 1869, p. 13.
  47. Citirt in der Anthropological Review. 1864, p. 158.
  48. Rengger a. a. O. S. 45.
  49. s. mein Buch „Ueber das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“. 2. Aufl. Bd. 1. S. 28.
  50. Facultés Mentales des Animaux, Tom. II. 1872. p. 346–349.
  51. s. eine Erörterung dieses Gegenstandes in Mr. E. Tylor’s sehr interessantem Buche: Researches into the Early History of Mankind. 1865. Capit. 2–4.
  52. Ich habe mehrere detaillirte Berichte hierüber erhalten. Admiral Sir J. Sullivan, den ich als einen sorgfältigen Beobachter kenne, versichert mich, dass ein, lange Zeit in seines Vaters Hause gehaltener africanischer Papagey ausnahmslos gewisse Personen des Hausstandes und ebenso Besucher bei ihren Namen nannte. Beim Frühstück sagte er zu Jedermann „Guten Morgen“ und zu Allen „Gute Nacht“, wenn sie Abends das Zimmer verliessen, ohne je diese Begrüssungen zu verwechseln. Bei Begrüssung von Sir J. Sullivan’s Vater pflegte er dem „Guten Morgen“ noch einen kurzen Satz hinzuzufügen, den er nach dem Tode des Vaters nicht ein einziges mal wiederholte. Einen fremden Hund, der durch’s offene Fenster in’s Zimmer kam, schalt er heftig aus; ebenso zankte er auf einen andern Papagey (er rief „you naughty polly“), der aus seinem Käfig herausgegangen war und auf dem Kuchentisch liegende Aepfel ass. s. auch ebenso über Papageyen: Houzeau, Facultés Mentales, Tom. II., p. 309. Dr. A. Moschkau erzählt mir, dass er einen Staar gekannt habe, welcher beim Grüssen kommender Personen mit „Guten Morgen“ und fortgehender mit „Leb wohl, alter Junge“ sich niemals geirrt habe. Ich könnte noch mehrere solcher Fälle anführen.
  53. s. einige gute Bemerkungen hierüber von Prof. Whitney in seinen: Oriental and Linguistic Studies. 1873, p. 354. Er bemerkt, dass bei der Entwickelung der Sprache der Trieb der Mittheilung zwischen den Menschen die lebendige Kraft ist, welche „sowohl bewusst als unbewusst thätig ist: bewusst, sofern es das zunächst zu erreichende Ziel gilt, unbewusst, sofern es die weitern Folgen der Handlung betrifft“.
  54. Hon. Daines Barrington, in: Philos. Transact. 1773, p. 262. s. auch Dureau de la Malle in: Annal. des scienc. natur. 3. Ser. Zool. Tom. X, p, 110.
  55. On the Origin of Language by H. Wedgwood. 1866. Chapters on Language by the Rev. F. Farrar, 1865. Diese Werke sind äusserst interessant. s. auch „De la Physion. et de la Parole“ von Alb. Lemoine. 1865, p. 190. Die Schrift des verstorbenen Aug. Schleicher ist auch von Dr. Bikkers in’s Englische übersetzt worden unter dem Titel: Darwinism tested by the science of language. 1869.
  56. Vogt, Mém. sur les Microcéphales. 1867, p. 169. In Bezug auf Wilde habe ich im Journal of Researches, 1845, p. 206 einige Thatsachen mitgeteilt.
  57. s. entschiedene Beweise hierfür in den so oft citirten beiden Werken von Rengger und Brehm.
  58. Houzeau theilt einen merkwürdigen Bericht seiner Beobachtungen hierüber mit in: Facultés Mentales des Animaux. Tom. II., p. 348.
  59. s. Bemerkungen hierüber von Dr. Maudsley, The Physiology and Pathology of Mind. 2. edit. 1868, p. 199.
  60. Viele merkwürdige Fälle der Art sind mitgetheilt worden. Dr. Bateman, on Aphasia, 1870, p. 27, 31, 53, 100 etc. s. auch Inquiries concerning the Intellectual Powers von Abercrombie 1838, p. 150.
  61. Ueber das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, S. 6.
  62. Lectures on „Mr. Darwin’s Philosophy of Language“, 1873.
  63. Das Urtheil eines so ausgezeichneten Philologen wie Prof. Whitney wird in Bezug auf diesen Punkt viel mehr Gewicht haben, als irgend etwas was ich sagen könnte. Von Bleek’s Ansichten sprechend bemerkt er (Oriental and Linguistic Studies, 1873, p 297): „Weil im Grossen und Ganzen die Sprache das nothwendige Hülfsmittel des Gedankens, unentbehrlich zur Entwickelung des Denkvermögens, zur Deutlichkeit und Mannichfaltigkeit und Complexität der Begriffe, zur vollen Herrschaft des Bewusstseins ist, deshalb möchte er mit Unrecht den Gedanken ohne Sprache absolut unmöglich machen, die Fähigkeit mit ihrem Werkzeuge identificirend. Er könnte ebenso vernünftig behaupten wollen, die menschliche Hand könne nicht ohne ein Werkzeug handeln. Von einer solchen Theorie ausgehend kommt er Müller’s schlimmsten Paradoxen ziemlich nahe, dass ein Kind (in-fans, nicht sprechend) kein menschliches Wesen ist, und dass Taubstumme nicht eher in den Besitz der Vernunft gelangen, bis sie gelernt haben, ihre Finger zur Nachahmung gesprochner Worte zu benutzen“. Max Müller gibt (Lectures on Mr. Darwin’s Philosophy of Language, 1873, dritte Vorlesung) den folgenden Aphorismus in cursivem Druck: „Es gibt keinen Gedanken ohne Worte, ebensowenig wie es Worte ohne Gedanken gibt“. Was für eine merkwürdige Definition muss hier das Wort „Gedanken“ erhalten haben!
  64. Essays on Free-thinking etc. 1873, p. 82.
  65. s. einige gute Bemerkungen hierüber in Maudsley, The Physiology and Pathology of Mind. 1868, p. 199.
  66. Macgillivray, Hist. of British Birds. Vol. II. 1839, p. 29. Ein ausgezeichneter Beobachter, Mr. Blackwall, bemerkt, dass die Elster leichter einzelne Worte und selbst ganze Sätze aussprechen lernt, als beinahe irgend ein anderer britischer Vogel; doch fügt er hinzu, dass er nach langer und aufmerksamer Beobachtung ihrer Natur und Art nie erfahren habe, dass sie im Naturzustande irgend eine ungewöhnliche Fähigkeit im Nachahmen gezeigt habe. Researches in Zoology. 1834, p. 158.
  67. s. den sehr interessanten Parallelismus zwischen der Entwickelung der Sprachen und Arten, den Sir Ch. Lyell gibt: Das Alter des Menschengeschlechts. Uebers. Cap. 23, S. 395.
  68. s Bemerkungen hierüber in einem interessanten Aufsatz von F. W. Farrar, betitelt: Philology and Darwinism in: „Nature“, March 24th, 1870, p. 528.
  69. „Nature“, Jan. 6th, 1870, p. 257.
  70. Citirt von C. S. Wake, Chapters on Man, 1868, p. 101.
  71. Buckland. Bridgewater Treatise, p. 411.
  72. Einige treffende Bemerkungen über die Vereinfachung der Sprachen s. bei Sir J. Lubbock, Origin of Civilisation. 1870, p. 278.
  73. „The Spectator“, Dec. 4th 1869, p. 1430.
  74. s. einen ausgezeichneten Aufsatz hierüber von F. Farrar in: Anthropological Review. Aug. 1864, p. CCXVII. Wegen weiterer Thatsachen s. Sir J. Lubbock, Prehistoric Times. 2. edit. 1869, p. 564 und besonders die Capitel über Religion in seinem Origin of Civilisation. 1870.
  75. The Worship of Animals and Plants, in: Fortnightly Review. Oct. 1, 1869, p. 422.
  76. Tylor, Early History of Mankind 1856, p. 6. s. auch die drei bemerkenswerthen Capitel über die Entwickelung der Religion in Lubbock’s Origin of Civilisation. 1870. In gleicher Weise erklärt Herbert Spencer in seinem geistvollen Aufsatz in der Fortnightly Review (May 1. 1870, p. 535) die frühesten Formen religiösen Glaubens in der ganzen Welt dadurch, dass der Mensch durch Träume, Zwielichtbilder und andere Veranlassungen dazu gebracht wurde, sich selbst als ein doppeltes Wesen zu betrachten, ein körperliches und geistiges. Da von dem geistigen Wesen angenommen wird, es lebe nach dem Tode fort und sei mächtig, so wird es durch verschiedene Geschenke und Ceremonien günstig zu stimmen versucht und um seinen Beistand angefleht. Er zeigt dann weiter, dass die den frühesten Vorfahren oder Gründern eines Stammes nach irgend einem Thiere oder Gegenstande gegebenen Namen oder Spitznamen nach Verlauf langer Zeiträume für Bezeichnungen des wirklichen Urerzeugers des Stammes angesehen wurden; und von einem derartigen Thiere und Object wird dann geglaubt, dass es noch immer als ein Geist existire, es wird heilig gehalten und als ein Gott verehrt. Nichtsdestoweniger kann ich mich der Vermuthung nicht erwehren, dass es einen noch früheren und roheren Zustand gab, wo Alles, was nur Kraft oder Bewegung äusserte, als mit einer Art von Leben und geistigen, unsern eigenen analogen, Fähigkeiten begabt angesehen wurde.
  77. s. auch einen guten Aufsatz über die psychischen Elemente der Religion von L. Owen Pike in: Anthropolog. Review, Apr. 1870, p. LXIII.
  78. Religion, Moral u. s. w. der Darwin’schen Art-Lehre. 1869. S. 53. Es wird angegeben (Dr. W. Lauder Lindsay, in: Journal of Mental Science, 1871, p. 43), dass vor langer Zeit schon Bacon und auch der Dichter Burns derselben Meinung gewesen seien.
  79. Prehistoric Times. 2. edit. p. 571. In demselben Werke findet sich (S. 553) eine vorzügliche Schilderung der vielen fremdartigen und capriciösen Gebräuche der Wilden.
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