Der Altmarkt als geschichtlicher Schauplatz
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Wer heute über den Altmarkt schreitet und, eine Weile stillstehend, seine Augen den weiten Platz entlang schweifen läßt, der sieht und fühlt sich inmitten eines rasch flutenden neuzeitlich großstädtischen Lebens und eines ins Große gesteigerten geschäftlichen Treibens. Drei bis oben hinauf vollgefüllte Warenhäuser und ringsum Haus für Haus Kaufläden und Geschäftsräume, die aus den Erdgeschossen auch in die oberen Geschosse steigen und die Wohnungen verdrängen, zwei stattliche Bankhäuser, von denen das eine als Sitz einer in Auflösung befindlichen Anstalt auch die Kehrseite modernen Geschäftslebens darstellt, dann ein durch drei Häuser durchgehendes Café, das Tag und Nacht dem Vergnügen offen steht, ferner zum Zeichen, daß die Kunst heute nicht bloß nach Brot sondern auch zu Markte geht, ein Kunstsalon! An den vier- bis fünfstöckigen Häuserreihen hin erstrecken sich vier breite Fahrstraßen, von dem rastlos wogenden Verkehr vollständig bedeckt; von ihnen umschlossen, einer Insel gleich, liegt in blanker Sauberkeit der freie Innenraum des Marktes da, beherrscht von der Germania, und seitlich eingefaßt von zwei mächtigen Kandelabern, mit denen die Bogenlampen über den Fahrstraßen und die Beleuchtungen der Warenhäuser und Läden wetteifern, um den Markt auch bei Nachtzeit in Tageshelle zu tauchen. Und wenn dann des stillen Beobachters Blick an den Häusern hingleitet, an den alten Häusern, in denen, Vergangenheit und Gegenwart vermählend, das neue Leben sich eingerichtet hat, an den alten Häusern, die schon Zeiten gesehen haben, in denen kein heutiger Mensch lebte, das Bild des Marktes empor, wie er früher wohl war, und des Lebens, das ihn einst erfüllte. Da standen unter den stattlichen Häusern, den stattlichsten der Stadt, in denen auch die vornehmsten Bürger und manche Adelige wohnten, die vier Hauptgasthöfe – denn auch der hervorragende Fremde wollte am Markte wohnen, der damals noch in höherem Maße der Brennpunkt des freilich kleineren Verkehrs war; die ältesten Apotheken waren gleichfalls hier angesiedelt – und sie allein sind geblieben. Auch der Handel fand hier seinen Mittelpunkt, aber es war Kleinhandel, der seine Waren auf den Verkaufsständen vor den Häusern unter kleinen Schutzdächern auslegte. Der Platz war nicht gegliedert in Fahrstraßen und freien Innenraum: ungehindert über den ganzen Platz zu Fuß und zu Wagen ging der Verkehr, der besonderer Ordnung noch nicht bedurfte. Eine Reinigung erfuhr der Platz nur vor Festlichkeiten – 12 Mann mußten dann drei Tage arbeiten; und abends lag er in Dunkelheit, nur die Lichter von Handlaternen huschten darüber hinweg. Den Platz beherrschte das frei daraufstehende Rathaus, und von den Eckhäusern schauten als Zeugen eines frommen kirchlichen Sinnes Heiligenbilder herab: ein Gleichnis, wie Obrigkeit und Kirche Leben und Gemüter vormals ganz anders als gegenwärtig regierten. Ein anderes Gesicht als heute hat der Markt ehemals gehabt, so wie das Leben ein anderes war, das auf ihm sich abspielte. Und dennoch, damals wie heute, war und ist der Marktplatz nicht nur der örtliche Mittelpunkt der Stadt, sondern der Mittelpunkt ihres Lebens und allezeit ein getreuer Spiegel ihrer Geschichte und Entwickelung; ja sehr oft im Laufe ihrer Geschichte war [2] er auch unmittelbar der Schauplatz schicksalsreicher Begebenheiten und Vorgänge.
Die äußere Erscheinung dieses Schauplatzes, welche Wandlungen, in kurzen Umrissen nur, hat sie nach einander während der Jahrhunderte durchgemacht, bis sie das heutige Aussehen gewann? Um den Markt herum an der Süd- und Westseite floß bis ins 18. Jahrhundert unbedeckt in einem Gerinne, wie man es heute noch in manchen deutschen Städten findet, ein künstlicher Arm der Kaitzbach, in erster Linie zu Feuerlöschzwecken, dann auch zu Gewerbs- und Reinigungszwecken dienend. Bei der Kreuzpforte über den Stadtgraben geleitet, kam sie von der Kreuzgasse her auf den Markt und floß durch die Schloßgasse und die große Brüdergasse wieder zur Stadt hinaus der Elbe zu. Die nördliche Fläche des Marktplatzes nahm das Rathaus ein, das urkundlich zuerst 1380 so genannt wird, unter dem Namen Kaufhaus aber bereits 1295 vorkommt und mit seiner Entstehung aller Wahrscheinlichkeit nach bis in die Zeit der Stadtgründung zurückreicht. Die Rathauskapelle, die 1407 angebaut wurde, bewahrte die alte gotische Gewandung bis zum Abbruch, während das Rathaus selbst sie durch Umbauten namentlich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der Renaissanceform vertauschte, die es bis zuletzt zeigte. Um das Erdgeschoß des Rathauses rankte sich ein malerisches Geniste von Buden und Verkaufsbänken: die Garküche, die Ratswage, die Gewand-, Fleisch-, Brot-, Fisch- und Schuhbänke und die Kramerbuden. Im Jahre 1707 wurde dieses Rathaus mit seinem Beiwerk abgebrochen und der ganze Platz freigelegt. Rechts vor dem Rathaus, nach der Badergasse zu, stand neben Pranger und Gerichtsbank seit 1478 ein großer hölzerner Röhrtrog, an dessen Stelle 1653 ein steinerner Wassertrog mit einem Standbild der Gerechtigkeit trat. Auf der Südfläche des Platzes erhoben sich seit 1726 vorübergehend die Hauptwache, sodann die Ratswage, dauernd aber wieder seit 1746 ein Bau, der freilich in seiner nüchternen Unansehnlichkeit das Gegenteil eines Ersatzes für das malerische alte Rathaus war: das Chaisenhaus. Von den Anwohnern und der Bürgerschaft von jeher als Verunzierung des Altmarktes angefochten und verspottet, hielt es sich doch weit über 100 Jahre und fiel erst 1878. Zehn Jahre später wurde auch der Gerechtigkeitsbrunnen abgebrochen, der übrigens seit 1842 nur eine Säule an Stelle des Standbildes der Gerechtigkeit trug. Das Siegesdenkmal mit der Germania, das von der Mitte des Platzes aus dem heutigen Antlitz des Altmarkts den Grundzug aufprägt, wurde am 1. September 1880 enthüllt, und die beiden großen sechsarmigen Lichtträger stehen seit dem Jahre 1899. – Auch die Häuserreihen, die den Platz umschließen, haben ihr Gesicht nach und nach langsam verändert. Ursprünglich vielleicht vielfach von Holz und Fachwerk, haben sie sich, der übrigen Stadt voranschreitend, allmählig ganz in ein steinernes Gewand gekleidet; und, anfangs wahrscheinlich durchweg nicht höher als zweistöckig, wuchsen sie seit dem 16. Jahrhundert auf drei und allgemach weiter auf vier und fünf Stock. Die Umwandlung des Marktes aus Holz in Stein hat sich wesentlich unter dem Einfluß des großen Stadtbrandes von 1491 vollzogen. Die gotische Bauart ist noch zu Canalettos Zeit in der Marienapotheke und den Nachbarhäusern bis zur Frohngasse erhalten. Heute schaut aus dieser Bauepoche nur noch der Erker des Eckhauses Wilsdrufferstraße 2 in den Markt herein. Das letzte der gleichfalls noch gotischen Heiligenbilder an den Häuserecken, der Heilige Nikolaus, mußte mit dem Hause selbst vor drei Jahren von seinem Platze weichen und steht nun im Innern des Herzfeldschen Neubaus. Das älteste Haus, nach seiner wesentlichen Gesamterscheinung, ist das mit dem Erkergiebelrelief Kind und Totenkopf gezierte Rennersche Eckhaus an der Schreibergasse, das ungefähr so wie es jetzt ist aus der Renaissancezeit vom Ende des 16. Jahrhunderts stammt. Sonst sind aus der Renaissance nur noch einige Erker und Giebel übrig, die Erker an den drei Eckhäusern der Seestraße und Webergasse, und der Giebel des Ebersteinschen Eckhauses, der an dem damit verschmolzenen Nachbarhause wiederholt wurde; das Wahrzeichen des „Israel“ über der Tür dieses Nachbarhauses, ein vergoldetes Relief vom Kampfe Jakobs mit dem Engel, befindet sich jetzt in der Mitte des neuen Doppelgiebels. Dazu kommt an dem Hause Altmarkt 3 ein anmutiges Relief singender und springender Knaben mit der Inschrift Olim aliter: einst wars anders! Einst hat man allerdings nicht künstlerischen Häuserschmuck mit großen Firmenbrettern verschlagen, wie es dies hübsche Relief sich jetzt gefallen lassen muß. Dem Barock gehören an: die Löwenapotheke samt dem Nachbarhaus, sowie das Eckhaus neben der Marienapotheke. Dann aber auch das Rathaus. Nach dem Abbruch des alten Rathauses wurde das Eckhaus an der Scheffelgasse angekauft und zum Rathaus eingerichtet, mußte aber 1740 wegen Baufälligkeit abgetragen werden, womit zugleich das jetzt im Altertumsmuseum aufbewahrte Eckstandbild Johannes des Täufers fiel. Das an derselben Stelle neu errichtete Rathaus wurde 1745 bezogen; zur selben Zeit wurde das in Privatbesitz befindliche Nachbarhaus am Markt auf höheren Befehl mit gleichartiger Fassade ausgestattet, sodaß es äußerlich mit dem Rathaus zusammen als ein Bauwerk erschien: 1861 dazu gekauft, wurde es nun auch im Innern mit dem Rathaus zu einem Bau verschmolzen. Auch diese Wandlungen des Rathauses versinnbildlichen so recht die Entwicklung der Stadt. Frei auf dem Markt stand es als Sitz mittelalterlich städtischer Gewalt und beherrschte den [3] Platz, wie ihn heute die Germania, das Sinnbild neuer deutscher Größe und Reichsherrlichkeit, beherrscht. Der Markt, trotz der Einengung durch das Rathaus, und anderseits das Rathaus selbst waren groß genug für die kleine Stadt. Als aber die Stadt mehr und mehr zur ständigen Residenz der Landesfürsten wurde, dünkte diesen der Platz nicht mehr groß genug für den Markt einer Residenz, der auch Schauplatz fürstlicher Prachtentfaltung sein sollte. Und das zum Absolutismus erstarkte Fürstentum befahl einfach den Abbruch des Rathauses. Nun ist allmählich mit der gewaltig wachsenden Stadt der weite Markt für das Rathaus zu eng geworden und es muß seinen natürlichen Platz verlassen und in freierer Gegend einen Raum sich suchen, wo es sich mehr ausdehnen kann.
Der Markt, im Mittelalter auch Ring genannt, heißt erst seit Herstellung des neuen Marktes an der Frauenkirche unter Kurfürst Moritz zur Unterscheidung der Alte Markt. Er gehörte sicher zu den ältesten Teilen der Stadt, da er ja ein Hauptkennzeichen der Stadteigenschaft eines Ortes überhaupt war. Auch seiner ganzen Anlage nach ist er mit der Gründung der Stadt aufs engste verwachsen. Von der Brücke her, die jedenfalls gleichzeitig mit Burg und Stadt entstand, ging in gradliniger Fortsetzung an der Burg vorbei ein Straßenzug bis ans andere Stadtende, an dem sich in der Mitte der große rechteckige Markt anlegte. Brücke und Markt gehörten zusammen, wie Mittel und Zweck. Der Zweck war, Handel und Wandel in das Land zu leiten, um es der Kultur zu erschließen. Dazu begründete der Markgraf, der Herr der Burg, unter dem Schutze der Burg einen Markt mit einer Stadt. Für solche planmäßige Gründung spricht die regelmäßige Gestalt des Marktes und die Art, wie er bestimmend auf die Gliederung der ganzen Stadt wirkte: von ihm als Mittelpunkt ausgehend breitete sich die Stadt spinnennetzartig nach allen Seiten aus; an jeder Marktecke gabeln sich zwei Gassen ab und zwischen diesen an jeder Marktseite je eine Gasse, die alle konzentrisch von weiteren Gassen geschnitten werden. Auch der Marktzoll, der an den Markgrafen zu entrichten war, deutet auf landesherrliche Gründung des Marktes hin. Dieser Marktzoll wurde bereits 1271 von dem erstarkten Bürgertum gegen eine ansehnliche Beisteuer zum Seußlitzer Klosterbau abgelöst.
Also von Ursprung an war das Wesentliche an dem Platze seine Markteigenschaft, die ihm auch den Namen gegeben hat. War ja auch das Rathaus ursprünglich Kaufhaus, bis aus der rein landesherrlichen Verwaltung eine selbständige städtische Behörde herausgewachsen war, die das Kaufhaus mehr und mehr in Anspruch nahm und allmählich ganz ins Rathaus umwandelte. Aus den oberen Stockwerken wurden die Gewandbänke für den Tuchverkauf ins Erdgeschoß verwiesen, bis sie auch daraus verschwanden, als 1591 am Neumarkt wieder ein besonderes Kaufhaus gebaut worden war. Um das Rathaus herum aber blieben ständige Verkaufsbuden und -Bänke bis zu seinem Abbruch bestehen. Der Marktplatz selbst diente seinem Zwecke in Wochenmärkten und Jahrmärkten. Der Wochenmarkt fand Montags statt und seit der Vereinigung mit Altendresden 1549 auch Freitags. Während der Dauer des Marktes bis 11 Uhr vormittags war an einer Stange der Marktwisch aufgesteckt, das Zeichen des Marktfriedens. Erst im Jahre 1845 verschwand dieses alte Sinnbild der Marktgerechtigkeit aus dem Bilde des Markttreibens. Die verschiedenen Arten der Marktwaren hatten ihre bestimmten Plätze, nach denen einige Teile des Marktes besondere Namen führten, die Holzecke an der Badergasse nach dem Holzmarkt und die Vogelecke an der Wilsdruffer Gasse nach den dort feilhaltenden Vogelhändlern (auch die heutige Löwenapotheke hieß bis ins 18. Jahrhundert Vogelapotheke). Außer den Dresdner Gewerbetreibenden beschickten den Markt namentlich die Bauern der Umgegend, die Lebensmittel hereinbrachten. Auch Kleinvieh wurde auf dem Wochenmarkte verkauft. Der mit dem Wochenmarkt verbundene Getreidemarkt wurde 1766 wegen Raummangels vom Altmarkt nach der Breiten Gasse verlegt. Bei dem Bauer konnte der Bürger seinen Bedarf an Lebensmitteln unmittelbar decken; daneben war auch der Zwischenhandel, die Hökerei, zugelassen. Die lebhafte Gemütsart, deren sich die Hökerinnen allezeit erfreuten, wird wohl manchmal das bunte Markttreiben noch bunter gestaltet haben; sehr bunt trieben sie es einmal im Jahre 1680: sie stritten sich, und zwar nicht zum erstenmal, um die besseren Marktplätze, aus dem Streit wurde fast ein Kampf, in den die Ratsknechte mit schlichtendem Wort und strafender Tat eingriffen. Soldaten aber verteidigten ihre Weiber, die Hökerinnen, gegen die Widersacherinnen wie gegen die Beamten. Erst dem Generalwachtmeister v. Schönberg gelang es, des Tumultes Herr zu werden und die Ruhe wieder herzustellen. Das dichte Gewühl des Wochenmarktverkehrs hat Canaletto in einem seiner Marktbilder geschildert, mit scharfem Griffel, der das äußere Leben in seiner Mannigfaltigkeit fest zu packen versteht. Die neuzeitliche Entwickelung des Marktwesens hat den Wochenmarkt vom offenen Platze in große bedeckte Markthallen gewiesen. Mit der Eröffnung der Markthalle auf dem Antonsplatz im Juli 1893 wurde der Wochenmarkt auf dem Altmarkt zunächst auf den Großverkehr mit Wald-, Feld- und Gartenfrüchten eingeschränkt und mit der Eröffnung der Hauptmarkthalle am 9. Dezember 1895 ganz eingezogen. Von dem alten Wochenmarkt ist als freundlicher Rest nur noch der den Altmarkt anmutig belebende [4] Blumenmarkt übrig geblieben. Nur zu Jahrmarktszeiten herrscht auch jetzt noch das Treiben wie von alters her, obzwar in verwandelten Kostümen und mit veränderten Waren. Der älteste und damals einzige Jahrmarkt ist der Gallusmarkt im Oktober. Dann kam 1488 der Fastenmarkt hinzu. Der Johannismarkt endlich beruht auf der 1540 vom Rat vorgenommenen Umwandlung des mittelalterlich katholischen Johannisablaßfestes. Von Weihnachtspoesie umstrahlt besteht der Striezelmarkt sicher schon seit dem 15. Jahrhundert, seine Hauptware, die Christbrode oder Striezeln, haben ihm den Namen gegeben. Er erfreute sich immer großer Beliebtheit bei der Einwohnerschaft. Selbst das Fürstenhaus besuchte ihn nicht selten. Im Jahre 1852 besah sich auch einmal Kaiser Franz Josef mit seinen Brüdern Karl und Max, dem späteren Kaiser von Mexiko, das eigenartige Treiben. Auch dieser Markt hat seinen künstlerischen Darsteller gefunden: in dem Maler deutschen Gemüts, Ludwig Richter, der in kleiner Einzelszene den Zauberreiz des Ganzen erfaßt und mit Humor und poetischer Empfindung wiedergiebt.
Eine andere Eigenschaft des Marktplatzes ist diejenige, nach der der Römer, weil sie ihm die Hauptsache war, seinen Markt Forum, offenen oder öffentlichen Platz, nannte. Mittelpunkt des gesamten öffentlichen Lebens war der Markt naturgemäß in dem früheren kleinen Dresden in weit höherem Grade als in der heutigen Großstadt; daß er’s trotzdem auch heute noch ist, offenbart sich bei allen öffentlichen Vorgängen, die viel Volk auf die Beine bringen: immer münden die strömenden Volksmassen auf den Altmarkt ein, sei es bei Festlichkeiten, sei es am Abend nach wichtigen Wahlen, sei es um die Mitternachtsstunde des Jahreswechsels. In älterer Zeit aber ging auf offenem Markt das Recht seinen Gang, die Verfassung kam hier zur augenfälligen Erscheinung, hier bot sich der weiteste Rahmen für das äußere Leben der Kirche, hier war der Mittelpunkt der öffentlichen Geselligkeit. Unter freiem Himmel hielt der markgräfliche Vogt mit seinen Schöffen das Landgericht: das Recht über Hals und Hand sprach er auch für die Stadt; denn erst 1484 erlangte das Stadtgericht, das im Rathaus tagte, zu der niederen auch die hohe und peinliche Gerichtsbarkeit.[WS 1] Die Gerichtsbank des Landgerichts stand rechts vom Rathaus und war von Schranken umschlossen, nach denen dieser Teil des Marktes der Schrank benannt war. Nicht selten auch ging der Strafvollzug auf dem Markte vor sich; selbst Hinrichtungen fanden hier statt, während doch der eigentliche Richtplatz vor der Stadt lag: es waren das Fälle, die größere öffentliche Bedeutung hatten oder Delinquenten von Stande betrafen: so erlitt 1554 ein Heinrich von Arras, der einen anderen Adeligen erstochen hatte, auf kurfürstlichen Befehl auf dem Altmarkt den Tod durchs Schwert, ferner wurde 1558 Ehebruchs halber Hans von Kannewurf daselbst enthauptet; auch die Hinrichtung Franz Laublers 1726 gehört mit hierher. Manche Hinrichtungen bestanden aus mehreren Akten gleichsam: sie wurden des öffentlichen Beispiels und der größeren Feierlichkeit wegen auf dem Altmarkt begonnen und an anderem Orte zu Ende gebracht. 1548 wurde einer, der seine eigene Mutter vorsätzlich ins Wasser gestoßen, so daß sie umkam, erst an den vier Ecken des Marktes mit glühenden Zangen gezwickt und dann von der Brücke in einem Sack in die Elbe geworfen. Die Ausstellung an dem Pranger, meist nur ein Teil der Strafe, geschah immer auf dem Markt; stand doch in ältester Zeit der Pranger fest auf offenem Markt neben der Gerichtsbank; später und zwar noch 1792 wurde er immer für den einzelnen Fall vor dem Rathaus aufgerichtet. Der Übeltäter mußte eine Stunde da stehen, an der Brust trug er einen Zettel, auf dem Name, Vergehen und Strafe angegeben waren. Einen tüchtigen Spaß mag es einer müßig gaffenden und spottenden Menge auch gegeben haben, als im Jahre 1734 einmal eine liederliche Dirne, angetan mit einem Schellenhalsband, den Altmarkt kehren mußte. Die Strafen der guten alten Zeit hatten eben mitunter einen weniger für den Übeltäter als für den Zuschauer angenehmen Beisatz eines freilich etwas wilden Humors. – Eine Justiz, die nicht gegen Menschen sich richtete, übte der Rat mit den Hundehetzen bis ins 15. Jahrhundert aus, wobei die herrenlosen Hunde auf dem Markte zusammengetrieben, gehetzt und totgeschlagen wurden.
Bei dem Wechsel der Obrigkeiten, des Rates sowohl wie der Landesherren, spielte der Marktplatz eine nicht unbedeutende Rolle. Der neue Rat wurde nach geschehener „Einsitzung“ beim Verlassen des Rathauses gewöhnlich von den Kreuzschülern mit Gesang begrüßt. Wenige Wochen später nach eingegangener Bestätigung erfolgte vor der unter ihren Viertels- und Rottenmeistern versammelten Bürgerschaft die Ratsverkündigung, wobei auch die Stadtwillkür zur Verlesung kam. – Der neue Landesherr begab sich zur Huldigung auf das Rathaus: in der Ratsstube bestätigte er der Stadt ihre Privilegien, worauf ihm der Rat den Treueid leistete; dann trat der Fürst ins Fenster und nahm auch von der unten auf dem Platze unter Führung ihrer Viertelsmeister aufmarschierten Bürgerschaft und von der Bauernschaft aus den Ratsdörfern den Huldigungseid entgegen. Mit dem Verschwinden des alten Rathauses auf dem Altmarkt wurde der Schauplatz für diese Huldigungsfeier auf den Neumarkt verlegt.
Kirchliche Feste im Mittelalter, soweit sie außerhalb der Kirche gefeiert wurden und mit Umzügen und Vorführungen verbunden waren, spielten sich im wesentlichen [5] auf dem Altmarkt ab. Beim Fronleichnamsfest waren Maien aufgesteckt und Gras und Rosen gestreut und für die Almosenbitter eine Hütte auf dem Markt gebaut. Mit besonderem Glanz und Aufwand wurde das Johannisablaßfest gefeiert, das ganz volkstümlich gehalten war, wobei natürlich auch der Humor nicht zu kurz kam. In der Prozession, die von der Kreuzkirche ausgehend durch die Gassen und über den Markt nach der Kirche zurückkehrte, schritt beinahe die ganze alt- und neutestamentliche biblische Geschichte, ja selbst die Heiligenlegende in Maskenfiguren mit, das erste Menschenpaar, das goldene Kalb, Johannes der Täufer, Herodes und die drei Könige aus dem Morgenlande, die Apostel, die klugen und törichten Jungfrauen, Ritter St. Georg, Engel und Teufel und der Antichrist. Welch fröhliche Stimmung und schallende Heiterkeit wird aus den Reihen der Zuschauer sich gelöst haben, wenn die Juden um das Kalb tanzten, in dem ein Faß Bier verborgen war, wenn die Knechte des Herodes kleine Kinder aus Holz auf den Spießen vorbeitrugen, wenn Judas Ischarioth sich vor allem Volke aufhängte und in einen aus Leinwand gefertigten Höllenrachen geschleudert wurde, wenn der heilige Georg einen großen Lindwurm hinter sich her schleifte oder wenn gar der Antichrist als Verführer Geld unter die Menge ausstreute. Wenn der Aufzug wieder an der Kirche angelangt war, so folgte ein Bühnenspiel, das von Johannes dem Täufer und seiner Enthauptung handelte. Die Bretterbühne, auf der dies Spiel vor sich ging, war in der Marktecke vor der Kreuzkirche errichtet und konnte von der Zuschauermenge auf dem Markt gut überschaut werden. Dem geistlichen schloß sich ein durchaus weltliches Vergnügen an, ein Fußwettrennen auf dem Markte, wobei Fußläufer unter einander und mit einem Rossewagen um den Preis rangen; der erste Preis war ein schön angeputzter Ochse, dem bei seiner Umführung durch die Stadt der Kreuztürmer voranblies, und der Spottpreis war ein Ferkel. Dieses kirchlich-weltliche Fest, bei dem der Markt von Staunen, Jubeln und Lachen erfüllt war, kam unter der neuen ernsteren Kirche, die dem Weltsinn nicht schmeicheln mochte, in Wegfall; nur der damit verbundene Markt bestand als Johannismarkt fort.
Auch außerhalb besonderer Festzeiten führte den Bürger, zumal den wohlhabenden, sein Vergnügen und seine Erholung auf den Markt. Wollte er sich an einem guten Schoppen laben, so stieg er in den gewölbten Ratskeller hinab und in die besseren Trinkstuben daneben: dort wurde fremdes Bier und ausländischer Wein verzapft, wozu der Rat in der älteren Zeit das ausschließliche Recht hatte. Besonders beliebt war das gute Freibergische Bier. Als jenes Sonderrecht des Rates verschwand und man auch anderwärts gute fremde Getränke erhielt, ging der Ratskellerbesuch zurück. Daher ward auch in dem neuen Rathaus kein öffentlicher Ratskeller eingerichtet. Ferner diente die Ratsstube als Tanzsaal bei bürgerlichen Hochzeiten und Familienfesten, wie auch die Ritterschaft der Umgegend ihre Adelstänze dort abhielt. Hier entspann sich der erste Anfang der Dohnaischen Fehde, indem Hans von Körbitz dem Jeschke von Dohna beim Tanzen ein Bein stellte und dafür eine Ohrfeige einheimste. Auch den Hof lud der Rat zu Schmaus und Tanz aufs Rathaus, und fremde Fürsten, wenn sie bei Hof zu Gaste waren, so 1454 und 1456 den Herzog Ludwig den Reichen von Baiern. Vom Tanzen wurde das Rathaus mitunter geradezu Tanzhaus genannt. Wenn sich dergestalt hohe Herren und vornehme Leute oben im Ratssaal vergnügten, da hatte unten auf dem Platz auch das niedere Volk seine Lust am Schauen und Hören, soviel es zu schauen und zu hören gab. Das Schaubedürfnis der Menge kam ferner auf seine Kosten, wenn in den Gasthöfen am Markt vornehme und merkwürdige Gäste abstiegen. Im September 1599 traf eine moskowitische Gesandtschaft von 40 Personen auf dem Wege nach Wien hier ein und wohnte im Goldenen Ring, jetzt Altmarkt Nr. 15; sie warfen bei ihrem Einzug und aus den Fenstern des Gasthofs kleine Silberpfennige unter die Menge aus, deren fremdartiges Gepräge schon die Phantasie der glücklichen Erwerber beschäftigte; bei ihrer Rückkehr im Mai darauf wohnte die Gesandtschaft wieder mehrere Tage im Ring. Über 100 Jahre später kehrte der Zar selbst im Goldenen Ring ein, Peter der Große auf der Reise nach Karlsbad und rückwärts, im September und Oktober 1711: ihm zu Ehren wurde während seiner Anwesenheit die Wachparade statt auf dem Neumarkt vor seinem Gasthof auf dem Altmarkt abgehalten. Auch stand eine Ehrenwache vor dem Gasthof.
Nachdem Dresden allmählich ständige Residenz der Landesfürsten geworden war, bildete der Markt häufig den Schauplatz fürstlicher Lustbarkeiten. Und bei Familienfesten des Fürstenhauses, denen zu Ehren die Stadt sich in ein festliches Gewand warf, war er bis heute naturgemäß der Mittel- und Gipfelpunkt aller Schmückung. Das vornehmste Fürstenvergnügen im Mittelalter war das ritterliche Turnier. Auch nach Verblassung des Rittertums blieb zwar der Name Turnier noch lang erhalten; aber die Sache war eine andere geworden, ein wirkliches Lanzenbrechen kam nach Mitte des 16. Jahrhunderts kaum mehr vor, schon die ritterlichen Übungen der Karussells, Quintan-, Kopf- und Ringrennen zeigten Formen, die weniger von den Turnieren als von volksmäßigen Kampfspielen herkamen, und nach dem 30jährigen Krieg war aus dem Turnier gar nur ein höfischer Maskenscherz oder ein Tanz zu Pferde geworden. [6] Die alten Turniere wurden meist auf dem Markte abgehalten, der den größten Raum dazu bot; später jedoch trat der Markt als Turnierplatz hinter der neuen Stallbahn im Stallgebäude zurück, die 1589 fertig war. Bei den Turnieren und Rennen auf dem Markte versammelte sich der Hof auf dem Rathaus, wo er das ganze Schauspiel gut übersehen konnte. Die Stechbahn wurde durch Aufschüttung von Sand hergestellt und von Schranken umschlossen. Für diese Zurüstungen hatte der Rat zu sorgen. In den städtischen Rechnungen wird zum erstenmal 1409 ein Turnier auf dem Markt erwähnt, weitere Turniere im 15. Jahrhundert finden sich in den Jahren 1410, 1451, 1462. Im November 1524 bei Gelegenheit der Vermählung Joachims II. von Brandenburg mit Herzog Georgs Tochter Magdalena fand auf dem Markt, als die Herrschaften von der Trauung aus der Kreuzkirche kamen, ein Rennen von vier Paaren statt, an den folgenden Tagen sind nach einander fünf Turniere auf dem Markte abgehalten worden, bei denen auch die Fürsten mitrannten: der Bräutigam selbst, die Söhne Herzog Georgs, Wolf zu Anhalt, Albrecht von Mecklenburg, Philipp von Braunschweig; Kurfürst Joachim I., der Vater des Bräutigams, stach seinen Marschall vom Pferd; den ersten Dank oder Preis erstritt sich der spätere Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige und nahm ihn aus den Händen der Braut entgegen. Ein großes Turnier und Ritterspiel veranstaltete Kurfürst Moritz zu Fastnacht 1553: die Stechbahn reichte vom Schloß bis auf den Altmarkt; am zweiten Tag ward ein auf dem Markt errichtetes Haus, das eine von Türken besetzte Festung darstellte, beschossen und mittels einer achträdrigen „Katze“ gestürmt; an diesem Spiel, einer Art Festungsmanöver, waren auch 120 junge Bürger beteiligt. Ein großer Liebhaber der Turniere war Kurfürst August in seinen jungen Jahren, der seinem Adel ein gutes Beispiel ritterlicher Tüchtigkeit geben wollte: er saß 55 mal im Turniersattel und von 29 seiner Rennen hat der Hofmaler Heinrich Göding Bilder auf Holz gemalt, die heute noch in der Gewehrgalerie hängen. Bei einem Turnier auf dem Markt zur Feier der Taufe seines Sohnes Alexander im Jahr 1554 wurde er von Sigmund von Miltitz in den Sand gestreckt. Bei der Taufe seines Sohnes Joachim 1557 fand auf dem Markt ein Rennen und Scharmützel von „wilden Männern und Riesen“ statt. Eine volle Maskerade aber waren die Ringrennen im September 1602 gelegentlich der Hochzeit Kurfürst Christians II. mit Hedwig von Dänemark. Die Bahn auf dem Markt war mit Brettern beschlagen und umgeben von 62 mit Laub und Malerei geschmückten Schwibbögen, in den vier Marktecken ragten Portale mit Statuen, dem Rathaus gegenüber stand eine Ehrenburg, wo die Musik und die Kampfrichter ihren Platz hatten; in der Mitte des Platzes zwischen Rathaus und Ehrenburg befand sich die eigentliche Rennbahn mit sechs von Figuren besetzten Portalen. Die Manutenatoren, d. h. die Herausforderer, die den Aventurierern, den Angreifern, standzuhalten hatten, waren der Bräutigam selbst, der Herzog von Lüneburg und der Hofmarschall, der Führer der Angreifer war des Kurfürsten Bruder Johann Georg I.; die Hofgesellschaft zog in bunten Kostümen auf: Tataren, Mönche, Bergleute, Afrikaner, Welsche, Türken, Venetianer, Wilde, nackte Jungfrauen in blauen Schürzen, Mohren, Jäger, Bauern. Das letzte dieser Art Spiele auf dem Altmarkt fand am 12. September 1719 bei der Hochzeit des Kurprinzen statt: ein Roß- und Fußturnier der „Abencerrager und Zegerer“: rings um die Schranken der mit Brettern belegten Bahn standen Grenadierkompagnien, die Königliche Familie nahm in einer Loge Platz und drei Kanonenschüsse vom Kreuzturm gaben das Zeichen zum Beginn des Turniers.
Aber das seltsamste Fürstenvergnügen für den Marktplatz einer Stadt waren die Tierhetzen und Jagden, wie sie im 16. und 17. Jahrhundert des öfteren hier vorkamen. Seit Kurfürst August spielte die Jagd eine große Rolle am sächsischen Hof. Und offenbar fand die gesteigerte Jagdleidenschaft einen besonderen Reiz gerade darin, den Wald und seine Tiere in die Stadt zu zaubern und die breiteste Öffentlichkeit zum Zeugen fürstlicher Waidmannslust zu machen. Schon 1557 hielt Kurfürst August eine Jagd auf Hirsche, Rehe, Füchse und Hasen auf dem Markt ab. Die beiden größten Hetzjagden daselbst fanden zu Ehren fürstlicher Besuche vom 6. bis 8. März 1609 und am 7. August 1617 statt[WS 2]; beide sind für die Nachwelt in bildlichen Darstellungen festgehalten worden. Im erstgenannten Jahre waren einige ernestinische Vettern und der Markgraf von Kulmbach bei Hof zu Gaste, 1617 aber stattete Kaiser Matthias mit glänzendem Gefolge dem Kurfürsten einen dreiwöchigen Besuch ab, vom 25. Juli bis 13. August, in seiner Begleitung befanden sich auch der spätere Kaiser Ferdinand II. und Erzherzog Maximilian; zu jener Jagd, die ein Glied in einer langen Reihe von Vergnügungen war, ließ sich der Kaiser, da er unpäßlich war, im Stuhl tragen. Diese Tierhetzen auf dem Markt haben alle ungefähr ein und dasselbe Gepräge gehabt. Von der Vorderseite des Rathauses nach den Marktseiten herüber, sowie an allen Gassenausgängen war der Platz durch hohe Bretterwände abgesperrt, die mit Jägergestalten bemalt waren. Dichte Reihen von Zuschauern guckten hinter den Wänden von Holzgerüsten herab und hielten die Häuser bis zu den Dächern hinauf besetzt. Der Platz war mit Bäumen und Buschwerk bepflanzt und mehrere große Wasserbehälter standen da, desgleichen ein Gestell zum Ausweiden der Tiere nach [7] der Jagd. Die Tiere wurden in Käfigen und auf Wagen auf den Platz geführt. Die Jäger brachten die Hunde in Koppeln. Nun wurden die Tiere ihrer Haft entledigt und stürzten wütend auf einander los: zwei Bären halten sich in eiserner Umarmung, ein Stier schleudert einen Eber in die Luft, auf dem Boden wälzen sich Bären und Stiere im Kampf, ein Eber und ein Bär kugeln eng umschlungen in die Kaitzbach. An einer Leine werden auf Rädern Jägerpuppen aus Watte und Werg hin und her gezogen, Bären zerfetzen sie, durch die Täuschung zu äußerster Wut entflammt. Das zahmere Getier, Hirsche, Rehe, Hasen, Füchse, Marder, rennt angstvoll die Kreuz und Quer. Ausbrechende Tiere werden von den Jägern mit den Spießen zurückgescheucht. Die Hunde werden losgelassen und greifen die großen Tiere in Rudeln an. Die Jäger schießen mit Bolzen und gehen mit Jagdspießen auf die erschöpften Tiere los. Der Kurfürst sticht wohl auch eigenhändig einen großen Bären ab. Während der Hatz lassen Hifthörner lustige Jagdweisen erschallen und blasen die Jagd an und blasen sie ab. In Reihen liegen die zur Strecke gebrachten Tiere auf dem Markte da. Läßt unser friedlicher Markt heute es ahnen, daß er einst ähnliches gesehen, wie die Römische Arena?
Gegen Mitte des 18. Jahrhunderts hörte der Hof allmählich auf, den Altmarkt als Festplatz zu betrachten, und zog sich aus der Öffentlichkeit vornehm auf sich selbst zurück, da ihm ja auch im Zwinger ein neuer prächtiger Rahmen für seine Feste entstanden war. Es entsprach dies ebenso sehr der Umwandlung des patriarchalischen Fürstentums in den unnahbaren Absolutismus, als auf der anderen Seite der wachsenden Größe und selbständigen Bedeutung der Stadt. Aber die Stadt selbst ließ es sich hinfort und bis heute angelegen sein, bei Festlichkeiten im Schoße der Herrscherfamilie den Markt in ein glänzendes Festgewand zu kleiden. Viele prächtige und auch künstlerisch wertvolle Festbauten, Pavillons, Ehrenpforten, Triumphbogen, Ruhmessäulen, die auf zuzählen und zu schildern zu weit führt, hat der Altmarkt bei solchen Gelegenheiten gesehen, Künstler wie Bähr und Thormeyer haben ihre Kraft dieser Aufgabe geweiht. Eine Festsäule, die 1835 zum 80jährigen Geburtstag König Antons auf dem Markt errichtet worden war, hätte beinahe dauernde Bedeutung gewonnen, da von der Bürgerschaft ihre Umwandlung in ein steinernes Denkmal zum immerwährenden Gedächtnis in Aussicht genommen war; der König jedoch lehnte diese Ehrung ab. Vielleicht den eigenartigsten Festschmuck hat der Altmarkt bei der sogenannten sizilianischen Hochzeit 1738 erlebt: auf künstlichem Felsen erhob sich ein über 20 Ellen hoher bis obenan mit Lampen besetzter Obelisk, die Wasserstrahlen, die aus dem Felsen in große Muscheln sprangen, waren aus versilbertem Metall, glitzerten aber in dem spielenden Licht wie wirkliches Wasser; auf einem Gerüst, das der sizilianische Gesandte hatte bauen lassen, spielten Musikanten und darunter sprang für das Volk roter und weißer Wein wie im Schlaraffenland; auch ließ der Gesandte goldene und silberne Vermählungsmünzen auswerfen.
Trotz der in neuerer Zeit eingetretenen Abschwächung seiner Beziehungen als Markt, Forum und Festplatz, blieb der Altmarkt doch was er immer war: der Hauptplatz und Mittelpunkt der Stadt, ihr Herz gleichsam, das ihre Schicksale am innigsten erlebte. Wenn die Seele der Bevölkerung erregt war, so drängten die Wellen der Erregung nach dem Herzen, den Markt. Und sicherlich haben alle bewegten Zeiten zunächst und zumeist das Gesicht des Marktes verändert und an Stelle des Zuges der Alltäglichkeit ihm ihren Stempel aufgedrückt, so daß es kaum ein wichtiges Schicksal der Stadt geben mag, das nicht irgendwie einen Wiederschein im Äußeren des Marktes fand. Aber eine ganze Reihe von Ereignissen, die das Leben der Stadt eng berührten, spielten sich auch unmittelbar auf dem Markte ab.
Aus dem Mittelalter sind wenig greifbare Vorgänge überliefert; aber sofort stoßen wir auf das Walten der Kirche, die damals die fast unbeschränkte Herrschaft über die Gemüter inne hat und sich nicht verkümmern lassen will. Papst Nikolaus V. hatte 1450 den Franziskaner Johannes von Capistrano als Bußprediger zur Ausrottung der Ketzerei nach Deutschland gesandt. Als er im März 1542 von Freiberg nach Meißen kam, erwartete man ihn auch in Dresden und richtete schon den Markt dazu her. Aber erst ging er nach Böhmen und kam dann über Thüringen wieder ins Meißnerland und Mitte Dezember nach Dresden. Auf dem Markt war ein Predigtstuhl für ihn erbaut und Bänke für die zuhörenden Priester und Schüler. Ein gewaltiger Ruf war den fanatischen Mönch vorausgeeilt und so wird ganz Dresden auf dem Markt zusammen geströmt sein, um seine glühende Beredsamkeit und seine Persönlichkeit auf sich wirken zu lassen. Der welsche Mönch erzielte seinen Erfolg ebenso durch sein südlich lebhaftes Geberden- und Mienenspiel wie durch seine fremden Laute – denn seine Predigt war lateinisch und wurde von einem seiner Genossen verdolmetscht. Gegen Genußsucht eifernd, verbrannte er in ganzen Haufen Spiele, Luxusmittel und Frauenzöpfe, die ihm seine Hörer und Hörerinnen, von der Kraft seiner Rede durchdrungen, brachten. Etwa eine Woche lang hielt er sich hier auf und zog dann nach Kamenz weiter.
Ein anderes Gesicht zeigte der Markt im Jahre 1491, nicht ruhig gespanntes Lauschen, sondern wilde angstvolle Erregung spiegelten seine Züge wieder. Es [8] war das Jahr des großen Stadtbrandes. Am 15. Juni frühmorgens brach in der Webergasse Feuer aus und legte, vom Winde begünstigt, in rascher Ausbreitung mehr als die halbe Stadt in Asche; vom Markt sank die ganze Südseite in rauchende Trümmer. Der junge Herzog Georg eilte mit seinen Räten auf den Markt und suchte Anstalten zur Eindämmung der Brunst zu treffen, aber bei der leichten Bauart der Häuser und bei der völligen Unzulänglichkeit der damaligen Feuerlöschmittel war aller Eifer vergebens. Ein wüstes ratloses Durcheinander, ein „Alles rennet, rettet, flüchtet“ erfüllte den Platz. Am 1. August traf Herzog Albrecht selbst, der auf dem Reichstag zu Nürnberg geweilt hatte, mit wenigen Begleitern ein und griff mit kräftiger Hand zu, daß die Stadt schöner und fester wieder aufgebaut werde. Aus der Südostecke des Marktes, die die Kirchecke hieß, war die ragende Kirche verschwunden, denn auch sie war bis auf die Sakristei abgebrannt. Neu erhob sich der Markt aus dem Schutt und eine neue Kirche schaute über Markt und Stadt.
Aber bald nahm auch eine neue Kirche von den Gemütern Besitz: die Reformation hielt ihren Einzug in Stadt und Kirche. Und die ehemals gut katholische Stadt wurde eine gute und strenge Lutherstadt. Auch gegen den Kalvinismus verteidigte die Bevölkerung ihr Luthertum. Als nach dem Tode des strenggläubigen Vater August unter dem milderen Christian I. die vom Kanzler Krell geförderte kryptokalvinistische Bewegung die Oberhand gewann und nach und nach allerhand Neuerungen einführte, da stemmte sich der Sinn des Volkes dagegen: namentlich die Abschaffung der Teufelsaustreibung weckte heftigen und in Einzelfällen selbst tätlichen Widerstand; ja nach dem mit dem Tode Christians I. erfolgten Sturze des Kryptokalvinismus brach sich die in den Massen angesammelte Erregung in offener Rache und Gewalttat Bahn. Am 18. Mai 1592 rottete sich die Menge auf dem Altmarkt vor der Wohnung des bisherigen Hofpredigers Salmuth an der Frohngassenecke zusammen, riß das Pflaster auf, warf die Fenster ein und schickte sich an, das Haus zu stürmen und den Hofprediger womöglich umzubringen. Da gelang es der anrückenden Stadtgarde und der vom Rat aufgebotenen bewaffneten Bürgerschaft, den Aufruhr zu stillen; den Prediger aber und seinen Amtsgenossen Steinbach mußte man, um sie vor der Volkswut zu sichern, in der Nacht nach Stolpen in Gewahrsam bringen. Der Kanzler war schon im November 1591 auf den Königstein gefangen gesetzt worden. Es wurde ihm der Prozeß gemacht, der 10 Jahre währte. Nach beendetem Prozeß brachte man ihn am 5. Oktober 1601 nach Dresden zurück und am 9. Oktober wurde auf dem Rathaus ein hochnotpeinliches Halsgericht über ihn gehalten, während auf dem Markt, um das Halsgericht zu wahren, die junge Mannschaft aus allen Zünften aufgeboten war. Nachdem der Stab gebrochen, trug man den Verurteilten auf einem Stuhle vom Rathaus nach dem Jüdenhof, wo er den Tod durchs Schwert erlitt.
Die Religionsänderung des Fürstenhauses brachte der Bevölkerung schwere Gewissensbeunruhigung. Wie früher gegen den Kalvinismus, so wandte sich der Argwohn jetzt wieder mehr gegen den Katholizismus und argwöhnte jesuitische Umtriebe, auch wo in Wirklichkeit keine waren. Die grauenvolle Tat eines wahrscheinlich wahnsinnigen religiösen Fanatikers, des Trabanten Franz Laubler, der am 21. Mai 1726 den Mittagsprediger an der Kreuzkirche Mag. Hahn in seiner Wohnung mit Messerstichen ermordete, blies den Funken dieses Argwohns zu lodernden Flammen an. Windschnell lief die Schreckenskunde um – denn der Mörder war mit blutigem Messer über den Altmarkt auf die Schloßgasse gerannt, wo er festgenommen wurde. Das Volk strömte zusammen: es witterte eine große katholische Verschwörung, und nicht viel fehlte, daß ein Rachezug gegen alle Katholiken unternommen ward. Der Superintendent Löscher hielt auf dem Rathause eine beschwichtigende Ansprache und sofortige militärische Maßnahmen verhinderten den Ausbruch. Die innere Aufregung der Bevölkerung jedoch dauerte fort. Auf dem Altmarkt vor der Schreibergasse wurde eine Wache erbaut, die vom 23. Juni ab mit 40 Soldaten und vier Kanonen besetzt war. Um 18. Juli fand die Hinrichtung des Mörders statt, zur Sühne der Öffentlichkeit gegenüber auf dem Altmarkt. 1000 Mann Infanterie, etliche Kürassierschwadronen und 600 Mann Bürgerwehr umstanden das Schaffot. Der Verbrecher wurde gerädert, sein Körper wurde dann nach dem Richtplatz auf dem Sande gebracht und noch aufs Rad geflochten.
Von außen war Dresden bisher vor großen Erschütterungen bewahrt geblieben: Kriegsstürme hatten ihre Wogen nicht in die stark befestigte Stadt gewälzt und kein Keind war in sie eingedrungen. Sowohl die Hussitenkriege als auch der 30jährige Krieg waren im wesentlichen gnädig an den Mauern unserer Stadt vorübergegangen, von den schweren wirtschaftlichen und allgemeinen Schädigungen natürlich abgesehen. Nur das offene und später nicht stark befestigte Altendresden war vorübergehend mit dem Feind in unsanfte Berührung gekommen. Das sollte mit den Fortschritten der Kriegskunst im 18. Jahrhundert anders werden. Entsprechend der Rolle des leidenden Teils, die die Stadt in den folgenden Kriegen spielte, trat auch der Altmarkt wenig hervor: außer bei Truppendurchzügen und Truppenaufstellungen wird er vielmehr bei der Lähmung und Einschüchterung des öffentlichen Lebens für gewöhnlich das Bild einer gewissen Verödung gezeigt haben, zumal wenn Dresden [9] unmittelbar der umstrittene Stein im Schachbrett des Krieges war, mochte eher im Umkreis der Stadt als in ihrem Mittelpunkt eine lebhaftere Bewegung erkennbar sein. Nach der Schlacht bei Kesselsdorf stand die Stadt dem Sieger offen und zum erstenmal sah Dresden einen Eroberer in seinen Mauern: Friedrich der Große zog am 18. Dezember 1745 mit seinen Truppen ein; nachdem aber der Frieden geschlossen war, sammelten sich die preußischen Truppen am 29. Dezember marschbereit auf dem Altmarkt sowie in der Schloß- und Elbgasse und zogen wieder von dannen. Auch zu Beginn des Siebenjährigen Kriegs war Dresden sofort in der Hand des Feindes und schmerzlich und demütigend mochte es empfunden werden, daß am 3. Oktober 1756 auf dem Marktplatz der Hauptstadt von feindlichen Grenadier-Bataillonen zu Ehren des feindlichen Sieges bei Lobositz drei Salven abgefeuert wurden. – Eine seltsame Szene spielte sich am 16. Januar des folgenden Jahres auf dem Altmarkt ab: auf Befehl des Königs von Preußen ward eine Hinrichtung vollzogen, aber nicht an einem Menschen, sondern an einer Druckschrift, des Titels „Kurzer doch gründlicher Beweis, daß das Königreich Böhmen S. K. M. in Preußen zustehe“. Ein Kommando von einem Unteroffizier und acht Gemeinen bildete in der Mitte des Marktes einen Kreis, in den der Auditeur und der Scharfrichter traten: der Scharfrichter ließ durch seinen Knecht in dem Kreise ein Feuer anzünden; bei präsentiertem Gewehr las der Auditeur eine Erklärung vor, des Inhalts, daß Se. Maj. an dieser Schrift seinen Anteil nähmen und auf das Königreich Böhmen keine Gedanken hätten, weshalb Sie vor Gott und aller Welt Augen öffentlich Ihr Mißfallen daran durch diese Exekution kund tun wollten. Darauf gab der Auditeur die Schrift dem Scharfrichter und dieser seinem Knechte, der sie auf dem Feuer zu Asche verbrannte. – Nach der preußischen Besetzung kam die Stadt auch wieder in österreichische Hände und es kamen die entsetzlichen Tage der preußischen Beschießung im Juli 1760: am 19. Juli ward die Kreuzkirche in einen Trümmerhaufen verwandelt, auch am Altmarkt standen mehrere Häuser an der Frohn- und Schreibergassenecke in Brand, wie denn in der ganzen Stadt weit über 200 Häuser in Asche sanken; aber da gab es keine lebhafte Bewegung von Löschenden und Zuschauenden auf dem Markt wie 1669, als der Blitz in die Kreuzkirche schlug, sondern wegen der großen Lebensgefahr blieb der Platz fast verödet und es brannte ruhig, was brannte. Ende Juli zogen die preußischen Belagerer ab und die Stadt blieb in den Händen der Österreicher; am 16. und 17. April 1761 fand eine Musterung über zwei Kaiserliche Infanterie-Regimenter auf dem Altmarkte statt. – Nach etlichen Jahrzehnten der Ruhe kamen wieder die Napoleonischen Kriegswirren, in denen Dresden ein Spielball der streitenden Mächte war. Aus der Hand des versöhnten Siegers empfing das sächsische Fürstenhaus die Königskrone, deren Annahme der Hauptstadt durch einen Herold kund getan ward: in Phantasietracht ritt er mit dem Geleit einer Abteilung Garde du Corps durch die Stadt, auf acht Plätzen hielt er an, auf dem Altmarkt an zwei Stellen, vor dem Rathaus und vor der Wohnung des französischen Kommandanten, und rief in kurzen feierlichen Worten die Königswürde aus; die auf dem Rathausaltan versammelten Ratsherren beantworteten die Verkündigung durch Vivatrufe. Nachdem die Stadt im Jahre 1809 einmal längere Zeit von Garnisontruppen ganz entblößt gewesen war, währenddessen die Schützengesellschaften und die Handelsinnung als Bürgerkorps die öffentliche Ordnung bewacht hatten, wurde von der Regierung auf Grundlage dieser freiwilligen Organisation eine aus acht Fußkompagnien und einer reitenden Bürgergendarmerie bestehende National Bürgergarde gebildet. Die Offiziere dieser Bürgergarde legten am 6. September 1809 vor dem Rathaus in die Hand des Generals von Thielmann den Eidschwur ab. Und am 29. April des nächsten Jahres übergab derselbe General auf dem Altmarkt der versammelten Bürgergarde zu Fuß und zu Pferde mit feierlicher Anrede Standarte und Fahne, worauf die Garde den Treueid ableistete.
Das schlimmste Leidensjahr für unsere Stadt war das Jahr der Befreiung Deutschlands aus dem Joche der Fremdherrschaft. Während die zweitägige Schlacht die Stadt umtobte, sah es wild auf Markt und Straßen aus: der Markt wie die anderen größeren Plätze glichen mit Kriegsmaterial gefüllten Heerlagern und in der Nacht Biwaks mit lodernden Wachtfeuern. Unsägliches Elend hatte die Stadt zu erdulden während der Umzingelung Ende Oktober und Anfang November. Die grimmigste Hungersnot brach über die französische Besatzung und über die Einwohnerschaft herein. Auf dem leeren Markte, der von Schmutz und Unrat starrte, sah man nur wenige Gemüsekörbe, um die hungrige Einwohner und Soldaten sich drängten. Nachdem endlich am 11. November die Kapitulation geschlossen war, brachten österreichische und russische Marketender und Juden Lebensmittel auf den Markt.
Die Kriegsstürme schwiegen. In einer Reihe von Ruhejahren erholte sich die schwer geschlagene Stadt langsam wieder – da erhoben sich aus der Seele des Volkes selbst neue Unruhen. Fremdes Beispiel schärfte ihm den Sinn, daß es Rechte forderte. Aus Unzufriedenheit und Widersetzlichkeit wuchs der Geist der Empörung empor, der die Fackel schwang auf Markt und Gassen. Schon 1792 hatte die französische Revolution einen schwachen Wiederschein auf Dresden geworfen. Ende Juli wurde die Stadt durch einen Schneidergesellen-Ausstand, dem sich die meisten anderen Gesellenbrüderschaften anschlossen, einige Tage lang beunruhigt – den [10] Schneidern mochte wohl aus den Vorgängen in Frankreich der Mut zu ihrem Vorgehen gekommen sein, noch mehr aber stand den Behörden bei diesem an sich harmlosen Vorgang das Schreckgespenst der französischen Revolution vor den Augen, sodaß sie sich zu militärischen Maßnahmen entschlossen: am 26. Juli fuhren zwei Kanonen auf dem Altmarkt auf, die bis zum 1. August dort verblieben. Aber in weiteren Schichten der Bevölkerung weckte erst die Juli-Revolution von 1830 ein wirkliches Echo. Mancherlei Unzufriedenheit mit reformbedürftigen alten Zuständen lag längst als Zündstoff aufgespeichert da. Schon bei der Feier der Augsburgischen Konsession am 25. Juni kam es zu unruhigen Auftritten, deren nächste Ursache der alte Argwohn des Volkes gegen geheime katholische Pläne und Machenschaften war: die in der allgemeinen Festbeleuchtung dunkelgebliebenen Fenster des Rathauses erregten bei der auf dem Altmarkt versammelten Volksmasse heftigen Unwillen. Als nun noch dazu in die Aufregung hinein aus dem offenen Fenster des Hauses an der rechten Ecke der Frohngasse von einer Violine – der Kammervirtuos Franz Schubert spielte sie – der Gassenhauer „Lott’ ist tot“ wie höhnend erklang, da war im Nu das Pflaster aufgerissen und Steine flogen gegen das Haus. Der eigentliche politische Aufstand brach nach dem Vorgange Leipzigs in Dresden am Abend des 9. September los und wälzte sich sofort nach dem Altmarkt gegen das Rathaus. Auf Leitern erkletterten etliche Aufrührer den Balkon, kamen so in das Haus und öffneten das verschlossene Tor von innen, sodaß die Waffe eindrang und ihr Zerstörungswerk begann. Gerätschaften und Akten wurden herabgeworfen und unten auf dem Markt verbrannt. Bald aber ließen die Rotten vom Rathaus ab und stürzten sich mit größerer Wut auf das Polizeihaus in der Scheffelgasse, das von Grund aus zerstört wurde. Selbst das über den Altmarkt anrückende Militär, das von der Schußwaffe nicht Gebrauch machen sollte, war dem Steinhagel der wütenden Menge gegenüber zu schwach und wurde über die Brücke nach Neustadt geworfen. Die am Morgen unter dem Vorsitz des Prinzen Friedrich August zusammentretende Kommission zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe bildete aus der Bürgerschaft eine Kommunalgarde und übertrug ihr den Schutz der öffentlichen Ordnung. Die Bürgerschaft zeigte sich in ihrem eigensten Vorteil sehr willig und schon am Nachmittag des 10. September hielt der zum Kommandanten der Kommunalgarde ernannte General von Gablenz auf dem Altmarkt die erste Musterung über das neue Bürgerheer ab. Der verhaßte alte Minister Graf Einsiedel nahm seine Entlassung, neben den König trat als Mitregent der allverehrte Prinz Friedrich August, der sofort Reformen in Angriff nahm. Am 14. September Vormittags hielt der Mitregent, mit großer Begeisterung empfangen, auf dem Altmarkt eine Heerschau über die Kommunalgarde und fuhr nachmittags mit dem König durch ihre Reihen. Auch die geforderte Vertretung der Bürgerschaft bei der Stadtverwaltung wurde gewährt. Am 31. Oktober wurde die Feier der Einführung der Kommun-Repräsentanten begangen, verbunden mit einem Dankfest für Wiederherstellung der Ruhe. Nach vollzogener Einsetzung der neuen Bürgervertreter auf dem Rathaus zogen Ratsmitglieder, Kommun-Repräsentanten, Innungsälteste in feierlichem Zuge in die Kreuzkirche und nach dem Gottesdienst unter Vorantritt der Geistlichkeit zurück auf den Altmarkt, den die Kommunalgarde im Viereck umgab: im Innenraum standen der Prinzmitregent und Prinz Johann inmitten der festlichen Versammlung. Glockengeläute und Kanonendonner begleiteten die Feier, die mit dem Gesang eines Chorals und des Sachsenliedes und mit einem Hoch auf die Prinzen beschlossen ward. Aber das Feuer der Empörung war noch nicht ganz ausgetreten und als man im April des folgenden Jahres zur Auflösung des Bürgervereins, des Herdes der fortgesetzten Umtriebe, ja zur Verhaftung einzelner Mitglieder schreiten mußte, loderte es wieder zu einer gefährlichen Flamme auf. Um 17. April Nachmittags zog sich auf dem Altmarkt eine dichte Volksmasse zusammen, die von der Scheffelgaffe in das Rathaus eindrang und die Gefangenen befreite. Der bedrängten Wache am Rathauseingang kam Prinz Johann mit wenigen Kommunalgardisten zu Hilfe, nicht ohne eigene Gefahr. Inzwischen besetzte die Kommunalgarde die Ausgänge der zum Markte führenden Straßen und mit Hilfe eines Linienbataillons wurde der Markt gesäubert. Die befreiten Gefangenen waren der Masse wieder abgenommen worden. Auch am nächsten Tage zeigte sich lebhafte Bewegung auf den Straßen, der Altmarkt wurde mit Kommunalgarde und Militär besetzt und gesperrt. Gegen Abend suchten die Aufrührer mit Gewalt auf den Markt vorzudringen; erst als das wegen seiner Langmut bereits verhöhnte Militär eine scharfe Ladung abgab, sodaß Blut floß, stob die Menge auseinander, und auf dem Postplatz, wo sie sich wieder sammelte, wurde der Aufstand ganz niedergeschlagen. Allmählich kehrte nun wieder völlige Ruhe in Stadt und Land ein; am 4. September wurde die Verfassung verliehen und am 11. September versammelten sich die Innungen auf dem Altmarkt, um in feierlicher Weise von Rat und Kommunrepräsentanten ihre Fahnen wieder in Empfang zu nehmen, mit denen am Verfassungstage das Rathaus geschmückt gewesen war. Am 31. Mai 1832 erfolgte die Einführung des nach der neuen Städteordnung gewählten Stadtrates auf dem Rathaus. Die anschließende Feier verlief ähnlich wie bei der Einführung der Kommunrepräsentanten mit Festzug in die Kreuzkirche und Versammlung auf dem Altmarkt.
[11] In diesen unruhigen Tagen der 30er Jahre lag der angeborene friedliche Sinn der Dresdner Bevölkerung mit den Aufreizungen moderner liberaler Gedanken im Widerstreit. Volkshaß und Volksgunst wechselten ab wie heftiger Regen und lachender Sonnenschein im April. Aber 1849 entlud sich eine schwere Gewitterwolke verheerend über unserer Stadt. Von den Revolutionswirren des Jahres 1848 blieb Dresden zunächst äußerlich verschont, aber gewisse Anzeichen verrieten doch deutlich, daß es im Innern gährte: am 15. März wurde ein größerer Volksauflauf, der sich wieder gegen das Polizeihaus richtete, durch den Aufmarsch der Kommunalgarde auf dem Altmarkt mit leichter Mühe zur Ruhe gebracht; eine mächtige Kundgebung, vom Vaterlandsverein veranstaltet, war die Totenfeier für Robert Blum am 19. November, zu der sich ein langer Menschenzug mit Trauerfahnen über den Altmarkt nach der Frauenkirche begab. Mit der Zunahme dieser inneren Gährung Anfang 1849 wurde Dresden von den Sendlingen der Revolution insgeheim zum Platze eines Hauptschlages auserkoren. Die bestimmte Ablehnung der Reichsverfassung durch den König am 3. Mai bot den äußeren Anlaß. Viele glaubten für die Reichsverfassung zu kämpfen, während Umsturzpläne schon längst die Oberhand hatten. Am Zeughaus, wo die Menge ungestüm Waffen verlangte, fielen gegen 4 Uhr Nachmittags die ersten Opfer und dieses Blut besiegelte den Aufstand. Und der Altmarkt wurde der Herd dieses Aufstandes: hier sammelten sich die bunten Scharen der Kämpfer, von hier wurden sie zum Kampfe in die Barrikaden geschickt. Und ob er gleich von dem eigentlichen Kampfe fast nichts sah, so war er doch der Mittelpunkt des Kampfes, das strategische Ziel der Angreifer: denn auf dem Rathaus war der Sitz der provisorischen Regierung und des Hauptquartiers der Aufstandsleitung. Der Rathausbalkon war die Kanzel des Aufstandes, von der die Kundgebungen an die Massen ergingen – nie ist so viel auf diesem Balkon geredet worden als in diesen Tagen. Schon am Morgen und Mittag des 3. Mai wogten auf dem Platz Menschenmengen, die auf die Verkündung der Antwort des Königs und überhaupt auf die Dinge, die kommen sollten, harrten. Die Verkäufer räumten die Marktbuden, die dann am Nachmittag zum Barrikadenbau benutzt wurden. Schreiende Gruppen sprachen aufgeregt über die Lage und über ihre Erwartungen und Befürchtungen. Aufwiegler taten ihre Arbeit bei den empfänglichen Massen: aus dem Erkerfenster der Löwen-Apotheke, wo sich jetzt der Arnoldische Kunstsalon befindet, schleuderte die Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient die Aufforderung in die Menge herab, nach dem Schloß zu ziehen. Immer dichter wurden die Massen und in den ersten Nachmittagsstunden änderte sich ihr Aussehen: die friedlicheren[WS 3] Elemente verschwanden, die Bewaffneten nahmen [WS 4] und wilde Gestalten tauchten auf. Auch die Kommunalgarden marschierten auf den Markt. In der Menge erscholl der Ruf nach Waffen, das Aufbrechen und Plündern eines Ladens an der Seegassenecke, wo man Pulver und Blei vermutete, wurde durch die Kommunalgarde verhütet. Aber die Aufstandsleitung hatte genügend für Munition gesorgt: in ganzen Säcken wurde solche herumgereicht. Abends wurden auch Tausende von Sensen verteilt. An den Marktausgängen stiegen Barrikaden in die Höhe. Auf dem Rathaus war inzwischen ein Sicherheitsausschuß in Tätigkeit getreten, dem Tzschirner, der Führer der äußersten Linken in der Kammer, zwar nicht angehörte, aber schon die Maßnahmen vorschrieb. Am Balkon wurde die Deutsche Fahne aufgepflanzt. Das Hervortreten Tzschirners aber machte viele Gutgesinnte, die für das Schwarz-rot-gold streiten wollten, schon stutzig, ganze Kommunalgarden-Bataillone rückten ab. Der Kommandant der Kommunalgarde, Kaufmann Lentz, hatte schon im Anfang sein Kommando niedergelegt. Die wütende Menge nahm Rache an ihm, indem sie seine Wohnung und sein Schnittwarengeschäft im Hause der Löwen-Apotheke plünderte und zerstörte. Als Tzschirner abends vom Balkon aus den neuernannten Kommandanten der Kommunalgarde und des Aufstandsheeres überhaupt, Obristleutnant Heinze, vorstellte, ging durch Zufall ein Gewehr auf dem Altmarkt los; auch dieser Schuß von unbekannter Hand, den die Masse gegen Tzschirner abgegeben glaubte, steigerte die Wut und Aufregung. Zahlreiche Zuzüge von auswärts rückten auf den Markt und wurden jubelnd empfangen; einzelne aber, wie die Tharandter Kommunalgarde, traten, als sie den wahren Stand der Dinge sahen, sofort den Rückmarsch an. Was nunmehr den Markt füllte, waren entschlossene Revolutionskämpfer, bunte Haufen in den verschiedenartigsten Kostümen und Bewaffnungen, Scharfschützen, Kommunalgardisten, Turner, Bergleute, Feuerwehren, Akademiker, Techniker, Polen mit der Czapka, Proletarier mit Piken, Sensen und Äxten. Selbst einige Böllerkanonen brachten die Bergleute der Burgkschen Werke mit, aus denen sie in den Kampftagen eiserne Zylinder abschossen. In der Nacht entwickelte sich ein Biwak an brennenden Lagerfeuern; Kugeln wurden gegossen und Patronen gefertigt. Mit dem Tagesgrauen des 4. Mai stiegen vom Markt Signalraketen in die Luft. Am Vormittag stellte der Oberlehrer Dr. Köchly vom Rathausbalkon herab den Massen die nach der Flucht des Königs gewählte provisorische Regierung vor. Einen Offizier, der nachmittags vom Zeughauskommandanten entsandt war, wußte Tzschirner auf den Balkon zu locken und so die Täuschung zu erwecken, als ob die Zeughaustruppen übergegangen seien. Der planmäßige Angriff der Truppen auf die aufrührerische Stadt begann erst am 5. Mai mittags. Die Angreifer, am Abend des 5. Mai durch preußische [12] Truppen verstärkt, machten in den folgenden Tagen rasche Fortschritte. Der Altmarkt zeigte nicht mehr das belebte Bild der ersten Tage, denn die Kämpfer hatten vollauf in den Barrikaden und Häusern zu tun, und[WS 5] als vom Georgentor aus Sechspfünder durch die Schloßgasse den Platz mit Kugeln bestrichen, sodaß kein Bewohner sich mehr in die Schußlinie wagte, war der Platz oft ganz menschenleer. Am 7. Mai pfiffen aus dem von Soldaten eroberten Eckhaus der Rosmarin- und Schössergasse auch schon Flintenkugeln über den Platz. Der Kreis, den die Truppen um den Altmarkt zogen, wurde immer enger. Am 9. Mai morgens begann der Kampf schon um 2 Uhr. Die provisorische Regierung, die ihre Sache verloren sah, trat den Rückzug nach Freiberg an, der um 3 Uhr vom Rathausbalkon herab kundgegeben wurde. Die Barrikaden an den Marktausgängen waren jetzt als letzte Stellungen zur Deckung des Rückzugs gut besetzt. Da ertönten um 8 Uhr vom Kreuzturm drei mal drei Glockenschläge als Zeichen zum allgemeinen Rückzug und im Nu verschwanden die letzten Kämpfer durch die Seegasse oder in den Häusern. Unheimlich still und leer lag der Altmarkt eine Weile da. An allen Stockwerken erschienen improvisierte weiße Fahnen. Mit einemmal brachen aus den Straßen und Häusern die Sachsen und Preußen mit Hurrah hervor und füllten den Platz. Die Befehlshaber Generale von Schirnding und Graf Holtzendorff betraten das Rathaus, wo sie von den Stadträten Pfotenhauer und Meisel begrüßt wurden. Der Epilog des Dramas war die allgemeine Waffenablieferung, die den Einwohnern auferlegt wurde: binnen wenigen Stunden lagen große Haufen von allerlei Gewehren und Waffen vor dem Rathaus aufgestapelt.
Das Ideal der einheitlichen deutschen Verfassung, das den edleren Kämpfern jener Tage, wenn auch in unklarer Weise, vorschwebte, fand seine Erfüllung erst in dem großen Kriege gegen Frankreich. Am 5. März 1871 ward auf dem Altmarkt das Sieges- und Friedensfest gefeiert. Um das Henzesche Germaniastandbild, aus dem später das jetzige Siegesdenkmal hervorging, stand eine dichtgedrängte feierlich bewegte Masse, aus der die Gesänge „Nun danket alle Gott“ und „Die Wacht am Rhein“ in rauschenden Klängen sich lösten. Der Ansprache des Oberbürgermeisters folgte ein gewaltiges Hoch auf Kaiser und Reich.
Vielleicht in nicht allzulanger Zeit wird das Rathaus, das seit der Gründung der Stadt am Markte sich befunden hat, dort verschwunden sein. Viele der geschilderten Vorgänge haben sich vor und wegen dem Rathaus auf dem Markte abgespielt. Sicher wird der Platz dann von seiner alten Bedeutung wieder ein Stück einbüßen. Aber er wird doch immer das Herz der Stadt bleiben. Möge er hinfort der Schauplatz nur mehr für solche Begebenheiten sein, die Heil und Segen für die Stadt bedeuten! Und möge er schon durch äußere vornehme Gestalt verraten, daß er der Mittelpunkt einer hochentwickelten und glücklichen Stadt ist!