Truppen verstärkt, machten in den folgenden Tagen rasche Fortschritte. Der Altmarkt zeigte nicht mehr das belebte Bild der ersten Tage, denn die Kämpfer hatten vollauf in den Barrikaden und Häusern zu tun, und[WS 1] als vom Georgentor aus Sechspfünder durch die Schloßgasse den Platz mit Kugeln bestrichen, sodaß kein Bewohner sich mehr in die Schußlinie wagte, war der Platz oft ganz menschenleer. Am 7. Mai pfiffen aus dem von Soldaten eroberten Eckhaus der Rosmarin- und Schössergasse auch schon Flintenkugeln über den Platz. Der Kreis, den die Truppen um den Altmarkt zogen, wurde immer enger. Am 9. Mai morgens begann der Kampf schon um 2 Uhr. Die provisorische Regierung, die ihre Sache verloren sah, trat den Rückzug nach Freiberg an, der um 3 Uhr vom Rathausbalkon herab kundgegeben wurde. Die Barrikaden an den Marktausgängen waren jetzt als letzte Stellungen zur Deckung des Rückzugs gut besetzt. Da ertönten um 8 Uhr vom Kreuzturm drei mal drei Glockenschläge als Zeichen zum allgemeinen Rückzug und im Nu verschwanden die letzten Kämpfer durch die Seegasse oder in den Häusern. Unheimlich still und leer lag der Altmarkt eine Weile da. An allen Stockwerken erschienen improvisierte weiße Fahnen. Mit einemmal brachen aus den Straßen und Häusern die Sachsen und Preußen mit Hurrah hervor und füllten den Platz. Die Befehlshaber Generale von Schirnding und Graf Holtzendorff betraten das Rathaus, wo sie von den Stadträten Pfotenhauer und Meisel begrüßt wurden. Der Epilog des Dramas war die allgemeine Waffenablieferung, die den Einwohnern auferlegt wurde: binnen wenigen Stunden lagen große Haufen von allerlei Gewehren und Waffen vor dem Rathaus aufgestapelt.
Das Ideal der einheitlichen deutschen Verfassung, das den edleren Kämpfern jener Tage, wenn auch in unklarer Weise, vorschwebte, fand seine Erfüllung erst in dem großen Kriege gegen Frankreich. Am 5. März 1871 ward auf dem Altmarkt das Sieges- und Friedensfest gefeiert. Um das Henzesche Germaniastandbild, aus dem später das jetzige Siegesdenkmal hervorging, stand eine dichtgedrängte feierlich bewegte Masse, aus der die Gesänge „Nun danket alle Gott“ und „Die Wacht am Rhein“ in rauschenden Klängen sich lösten. Der Ansprache des Oberbürgermeisters folgte ein gewaltiges Hoch auf Kaiser und Reich.
Vielleicht in nicht allzulanger Zeit wird das Rathaus, das seit der Gründung der Stadt am Markte sich befunden hat, dort verschwunden sein. Viele der geschilderten Vorgänge haben sich vor und wegen dem Rathaus auf dem Markte abgespielt. Sicher wird der Platz dann von seiner alten Bedeutung wieder ein Stück einbüßen. Aber er wird doch immer das Herz der Stadt bleiben. Möge er hinfort der Schauplatz nur mehr für solche Begebenheiten sein, die Heil und Segen für die Stadt bedeuten! Und möge er schon durch äußere vornehme Gestalt verraten, daß er der Mittelpunkt einer hochentwickelten und glücklichen Stadt ist!
Man ist in den Kreisen der Historiker längst darüber einig, welche Bedeutung die Kenntnis auch der äußeren Gestalt eines geschichtlich denkwürdigen Ortes hat. Solche Kenntnis ist uns Dresdnern zum Glück besser als den Bewohnern mancher andern Stadt ermöglicht. Beweist doch der von dem Herausgeber dieser Blätter zusammengestellte „Atlas zur Geschichte Dresdens“ (Dresd. 1898) zur Genüge, daß Veranschaulichungsmittel aus den verschiedensten Zeitabschnitten erhalten sind. Wiederholt haben Gelehrte und Künstler das Stadtbild, wie es sich ihren Augen darstellte, festzuhalten verstanden – der eine im Grundriß, ein andrer im Aufriß, ein dritter vielleicht sogar in plastischer Gestalt. So können wir uns eine ziemlich deutliche Anschauung von fast jedem Entwicklungsstadium des Stadtbildes verschaffen. Es ist natürlich, daß nicht alle diese Darstellungen gleichwertig sind und daß bei manchen eine Nachprüfung nicht mehr möglich ist. Umso freudiger begrüßen wir es, wenn uns Anschauungsmaterial entgegentritt, dessen sorgfältige Ausführung mit den der Zeit zur Verfügung stehenden Mitteln sogar urkundlich verbürgt ist. In dieser günstigen Lage befinden wir uns den zierlichen perspektivischen Darstellungen gegenüber, die der kurfürstlich-sächsische Hofmaler Andreas Vogel im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts von unsrer Stadt und Teilen derselben gefertigt hat. Es erscheint daher nicht unangebracht, den Lebensgang und die hier in Betracht kommenden Werke des Künstlers, seine Dresdner Ansichten, allgemeinerer Kenntnis zugänglich zu machen.
Allerdings ist eine Lösung aller Fragen nicht gelungen. So kann z. B. über Geburts- und Sterbezeit des Künstlers keine bestimmte, sondern nur eine ungefähre Auskunft gegeben werden, da alle Unterlagen dafür (besonders in den Kirchenbüchern) fehlen. Auch ist über Andreas Vogel, abgesehen von einigen flüchtigen Erwähnungen, die am Schlusse dieser Studie zu nennen sein werden, nichts Gedrucktes vorhanden, und der Stoff muß durchgängig aus den Akten geschöpft werden.
In den Jahren 1571 bis 1575 hatte Severin Vogel in Freiberg das Goldschmiedehandwerk erlernt, 1580 sein Meisterstück geliefert und 1582 das Bürgerrecht
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: letzter Buchstabe unkenntlich, vermutlich „d“
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/15&oldid=- (Version vom 3.1.2025)