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Thierhetzen auf dem Altmarkte

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Die Dresdner Kirchenbücher Thierhetzen auf dem Altmarkte (1893) von Otto Richter
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Ein Brief des Generals von Thielmann an Hofrath Böttiger 1811
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Thierhetzen auf dem Altmarkte.
(Hierzu eine Abbildung.)


Seit den Tagen des Kurfürsten August hat unter den Vergnügungen des sächsischen Hofes die Jagd eine der hervorragendsten Rollen gespielt. Der von ihm erbaute und später erweiterte Jägerhof in Dresden-Neustadt, dessen letzte stattliche Reste dem Verkehrs- und Verschönerungsbedürfniß der Großstadt nun bald zum

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Thierhetze auf dem Altmarkte zu Dresden am 7. August 1617.
Nach einem Bilde von Daniel Bretschneider.

[73] Opfer fallen werden, war von einem zahlreichen Jagdpersonal bewohnt, Ställe und Schuppen mit Hunden aller Art und mannigfaltigem Jagdzeug gefüllt. Aber man begnügte sich nicht, draußen in Feld und Wald auf das Wild zu pürschen, man verlegte den Schauplatz des Jagdvergnügens auch in die Stadt herein. So hatte schon Kurfürst August einen Löwenzwinger am Altstädter Brückenthore und eine Bahn für Thierhetzen im Jägerhofe herstellen lassen. Unter seinen Nachfolgern nahm die Veranstaltung solcher Thierkämpfe einen immer größeren Maßstab an und sie wurden deshalb häufig und noch unter August dem Starken im großen Schloßhofe und selbst auf dem Altmarkte abgehalten.

Namentlich war Kurfürst Johann Georg I. ein gewaltiger Nimrod. Er hat in den 40 Jahren von 1611 bis 1650 nahezu 2000 Jagden, darunter 992 Hirsch- , 423 Sau-, 340 Fuchs-, 77 Wolfs- und 35 Bären-Jagden abgehalten und dabei nicht weniger als 101 603 Stück Wild (darunter nicht einen einzigen Vogel) gefangen, geschossen und gehetzt. Diese Ergebnisse seiner Jagden hat er genau aufzeichnen und in einem jetzt in der Königl. öffentlichen Bibliothek aufbewahrten prächtigen Album (Handschrift R. 7b) zusammenstellen lassen, das mit zierlichen, in Deckfarben auf Pergament ausgeführten Bildern von der Hand Daniel Bretschneiders ausgestattet ist.

Unter diesen Bildern befindet sich auch die Darstellung einer Thierhetze, die aus Anlaß der Anwesenheit des Kaisers Matthias, des Königs Ferdinand von Böhmen und des Erzherzogs Maximilian am 7. August 1617 auf dem Altmarkte stattfand. Das Bildchen, von dem wir eine nur wenig verkleinerte Nachbildung diesem Blatte beifügen, ist jetzt für uns besonders wichtig als die älteste uns erhaltene Ansicht des hervorragendsten Stadttheils, des Altmarktes, von der Westseite aus aufgenommen.[1]

Auf unserm Bilde stellt sich links das Rathhaus mit einer davor angebrachten Zuschauerbühne und anschließenden Bretterverschlägen dar; auf der die Mitte des Bildes einnehmenden Ostseite des Marktes ist besonders auf das Gasthaus zum goldnen Löwen an der Ecke der Frohngasse und auf die mit einem großen Wandgemälde geschmückte Marienapotheke aufmerksam zu machen; die südliche Häuserreihe wird von der stattlichen Kreuzkirche überragt; das an dieser Seite hinfließende Gewässer ist die Kaitzbach. Bemerkenswerth ist auch, daß das jetzt Sendigsche Eckhaus an der Kreuzkirche damals mit einer Heiligenfigur unter einem Baldachin geschmückt ist. Man ersieht daraus, daß ein solcher plastischer Schmuck nichts Ungewöhnliches war, und wird deshalb um so mehr der Sage, die das Heiligenbild an der Ecke der Schössergasse in eine besondere Beziehung zur ehemaligen Rathhauskapelle bringen möchte, die geschichtliche Berechtigung absprechen dürfen.

Zur Schilderung des Verlaufs einer solchen Hetzjagd geben wir einem Zeitgenossen das Wort. Georg Pezold nämlich, ein Student der Theologie, hat in einer jetzt sehr seltenen Druckschrift in erbaulichen Versen die Festlichkeiten beschrieben, die aus Anlaß einer Kindtaufe am kurfürstlichen Hofe im September 1614 stattfanden. Eine am 26. September auf dem Altmarkte abgehaltene Thierhatz besingt er folgendermaßen:

„Den folgnden Tag ein newe lust,
Die Jägerpursch anstellen must,
Auffn Marckt zu haltn ein Beeren-Jagt,
Welchr vmb vnd vmb mit Bretten vermacht.
Aus allen Gassen gros vnd klein,
Die Jagt zu sehn sich stellen ein.
Kein Fenster war da in keinm Haus,
Da nicht jhr viel sahen heraus,
Etliche auff den Dächern sitzn,
Ja auch wol oben auff den Spitzn.
Ans Rathhauß war ein Gang gebawt
Auff welchm die Herrschafft die Jagt schawt,
Auch ander Gäng warn da vmbher
Allenthalben besetzet sehr.
Wer nicht war an eim ort bekandt,
Der bekam schwerlich einen standt,
Ich selber must mich drücken laßn,
Daß mir der Schweiß gieng vbr die Nasn.
Der Mittag war gleich komn herbey,
Auff dem Marckt hub sich ein geschrey:
Der Churfürst kömpt, macht raum, macht raum,
Ich hatt mich vmbgesehen kaum,
Siehe, auffm Marckt er schon hergieng,
Bald drauff zu Jagen man anfieng:
Inn Kästen thet man führn herein
Große Beeren, auch wilde Schwein:
Ein Polnischn Ochsen stellet man
Mitten auff den Marckt auff den Plan,
Welcher mit den Beern streiten solt,
Weil sie einandr nicht weren holdt.
Vnd nun ließ man ein Beern herauß
Auffn Marckt lauffn, aus seinem Haus,
Ein großer Beer, ein grewlichs Thier,
Deßgleichen kaum vorkommen mir,
Mit frewdn lieff er vbrn Marckt dahin,
Biß er des Ochßen wurde inn:
Mit ihm er sich in Streit einlies,
Der Ochs mit seinen Hörnern sties,
Der Beer sich mit sein Klawen wehrt,
Jetzt fieln sie bald beyd niedr zur Erd:
Aber es wert nicht lang der Streit,
Bald ließn sie von einander beyd,
Vnd lieffen vmbher auff dem Plan,
Vnd sahn einandr von ferne an.
Vier hohe Bäwm warn auffgericht,
Vier Fässr mit Wasser man auch sieht:

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Der Beer am Bäwmn auffsteigen wolt,
Bald er auch zu dem Wasser trolt,
Vnd thet sich allda wiedr erfrischn,
Bald ins Faß auch gar hienein wischn:
Mit Boltzn auff jhn man schosse zu,
An keinem ort hatte er ruh.
Aber die Hund wurdn los gelassn,
Etliche thetn den Ochssn anfassn,
Etlich lieffn auf den Beern hienein,
Die Jäger auffm Marckt theten schreyn,
Vnd hetzten die Hund weidlich an,
Ihr Jägrhörnlein sie klingen lan:
Der Ochs auff die Hund vmb sich sties,
Der Beer sich auff sein Tatzn verlies,
Vnd setzet sich fein darzu niedr,
Die Riedn schlug er da hin vnd wiedr.
Welche warn vbr den Ochssen her,
Ließn ab, vnd lieffn auch zu zum Beer,
Vnd kamm zu hülf ihrn armn geselln,
Die er so kunt zu boden felln:
Englische Hundt auch zu hülff kamn,
Vnd sich der armen Riedn annahmn:
Die Beernbeißr kamen auch darzu,
Vnd ließn ihm nunmehr keine ruh:
Da hielt es mit dem Beeren hart,
Ob er zwar keiner müh nicht spart,
Sondrn mit seim Rachn, vnd Klawen gros,
Bald diesm, bald jenem gab ein stos:
Doch war es geschehn vmb sein lebn
Weil jhm so viel thetn widerstrebn,
Die jhn steiff hieltn, auch so viel zeichn
An seine Haut theten darreichn.
Als nun der Beer fast vberwundn,
Vnd in dem Kampff must liegen vntn:
Siehe, mit einem Jägerspieß
Der Churfürst selbst den Beern durchsties:
Zur Erden er drauff sincken thet,
Vnd starb in seim Blut an der stet:
Die alda drauff bestellet sein,
Trugen jhn in ein Haus hienein.“

Es wird hierauf weiter geschildert, wie ein Wildschwein von einem Hofnarren erlegt wird, wie ein Bär einen mit Werg ausgestopften Mann zerreißt und wie Bären, Schweine und Hunde gegen einander losgehen. Dann fährt die Dichtung fort:

„Es war auch ein Beer vnterm hauffn,
Welcher gar nicht außm Kastn wolt lauffn,
Er machts in der Clauß ziemlich lang,
Weis nicht ob jhm war worden bang,
Von dem Geschrey das man da hört,
Odr ob jhn sonst was hett bethört,
Man thet mit Stangn auff jhn zustossn,
Ich gleub fürwahr er merckt den Possn,
Bißweilen hub er an zu Brummn,
Es halff abr nichts, er must raus kommn:
Da er nun endlich herfür kam,
Seinen Weg er zur Wand zu nam,
Vnd thet an den Heusern herschleichn,
Vnd sich fein an die Wände schmeichn,
Offt gieng er an die Thürn hienan,
Als ob er da wolt klopffen an.
Mit Boltzen man jhn schiessen thet,
Nichts dest wenigr er langsam geht,
Biß man auff jhn die Hunde lies,
Die jhm fein kunden machen Füß,
Vnd auff der Erden vmbher schleiffn,
Biß er auffn letzten Loch thet pfeiffn.
Als nun Zehn Beeren warn gejagt,
Auch so viel Schweine, wie man sagt:
Siehe, vnsr Gnedigstr Herr alsbald,
Die Jägerpursch ohn auffenthalt
Auffm Marckt zusammen kommen hies,
Damit man nun die Jagt abblies:
Jetzt warn sie da, jetzt bliessen sie,
Solchn brauch hab ich gesehen nie:
Sein Churfürstlich Gnad selbst darbey
Sein Jägerhörnlein lies hören frey,
Jhr Hüte sie abzogen all,
Vnd bliessen mit frölichem schall.
Frantzösisch Hörnr mit Silber schön,
Theten da geben ein gethön.
Da nun endlich alls war verricht,
Ein jeds zu Haus sich wiedr verfügt.“

Seine ganze „Beschreibung der Churfürstlichen Kindtauff vnd Frewdenfests zu Dreßden“ schließt Pezold mit den Worten:

„Also sey diesr Beschreibung end,
Der Leser sie zum besten wend.“

Diesem Wunsche des „Dichters“ schließen wir uns an.

Dr. O. Richter. 

  1. Eine ähnliche Abbildung des Altmarktes mit einer Thierhetze im Jahre 1609, aber von der Ostseite aus aufgenommen und daher weniger malerisch, ist in Kupferstich dem „Sammler für Geschichte und Alterthum“ Bd. I, S. 78 beigegeben.