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ADB:Witt, Christian Friedrich

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Artikel „Witt, Christian Friedrich“ von Max Seiffert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 571–573, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Witt,_Christian_Friedrich&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:30 Uhr UTC)
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Witt: Christian Friedrich W. wurde um 1660 als Sohn des Hoforganisten J. Ernst W. in Altenburg geboren. Seine musikalische Ausbildung erhielt er alter Ueberlieferung zufolge (Walther’s und Gerber’s Lexica) auf Kosten Herzog Friedrich’s I. von Gotha-Altenburg (geb. 1646, reg. 1674–1691 †) in Wien und Salzburg. Es kann möglich sein, daß er die Reise dorthin im Gefolge des Herzogs machte, der 1676 in Wien Regierungsgeschäfte zu erledigen hatte. Aber in nähere Beziehungen als zu der österreichischen Schule (W. Ebner, Froberger, J. K. Kerl, G. Muffat) trat W. doch zur eigentlich süddeutschen Richtung, die von Haßler und Erbach ausgehend über Er. Kindermann, Wecker, Schwemmer u. A. zu Pachelbel führte. Daß er bei G. C. Wecker in Nürnberg ebenfalls auf herzogliche Kosten studirte, meldet Gerber (A. L. II, Sp. 779). Directe Bestätigung hierfür erbringt J. V. Eckelt’s Tabulatur (1690–1692; s. Artikel „Nic. Vetter“); denn sie zeigt, daß sich Pachelbel, der auch Wecker’s Schüler war, beim Unterricht seiner Zöglinge der Compositionen Witt’s bediente. Als W. heimkehrte, „war der Herzog mit dessen erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen so wohl zufrieden, daß er Weckern durch sein Kammercollegium, außer dem bedingten Honorare noch sein Bildniß, nebst einem verbindlichen Schreiben zuschicken ließ“. W. aber ernannte er zum Hoforganisten. Das geistige Leben in Gotha nahm unter Friedrich I. und seinen nächsten Nachfolgern einen stetigen und erfreulichen Aufschwung (Beck, Gesch. des gothaischen Landes, 1868, I, S. 357 ff.). In welchem Umfange die Musik daran theilnahm, bedarf freilich erst eingehender, actenmäßiger Darlegung. Man wird jedoch mit der Annahme kaum fehlgehen, daß die Musik am gothaischen Hofe eine ähnliche Rolle spielte, wie wir sie von einer Anzahl damaliger thüringischer Fürstenhöfe kennen (Spitta, J. S. Bach, Bd. I). An der Spitze der Hofcapelle stand Wolfg. Michael Mylius, ein Schüler Christoph Bernhard’s und ein eifriger Vertreter der virtuosen italienischen Gesangskunst. Als Hoforganist hatte W. in der Kirche, wie in der fürstlichen Kammer aufzuwarten, bei Chor- und Solostücken lag ihm die Ausführung des Generalbasses ob. Wenn er außerdem noch mit eigenen, neuen Compositionen dienen konnte, so schätzte man ihn als ein um so brauchbareres Subject. Letzteres ist mit W. thatsächlich der Fall gewesen. Die gräfliche Bibliothek zu Wernigerode besitzt einen Jahrgang von Cantatentexten, die unter dem Titel „Erbauliche Uebereinstimmung der Sonn- und Fest-Tags-Evangelien“ 1696 für die Hofcapelle zu Gotha gedruckt und von W. componirt wurden (Spitta, J. S. Bach II, 320 Anm. 27); die Musik ist leider noch nicht gefunden worden. Erhalten sind dagegen einige Kammermusikwerke seiner Arbeit. W. muß nach beiden Seiten hin, für den Hof, wie für die Kirche vielbeschäftigt gewesen sein. Als Joh. Konrad Rosenbusch 1692, [572] nachdem er eben Pachelbel’s Unterricht verlassen hatte, nach Gotha kam, hatte er öfters W. „sowohl bei Tafel- als Kirchenmusiken“ zu vertreten (Mattheson, „Ehrenpforte“). Es ist möglich, daß W. bereits 1692/93 (Vice-)Capelldirector geworden war, als welchen ihn Joh. Phil. Treiber („Der accurate Organist im Generalbaß“. Jena und Arnstadt 1704) bezeichnet. Mylius starb 1712 oder 1713; sein Nachfolger auf dem Schloß Friedenstein als Capellmeister wurde W. Zu dieser Zeit wurde eine Neuausgabe der kirchlichen Choräle nothwendig; auf Befehl Friedrich’s II. (1691–1732) übernahm W. die musikalische Redaction. Unter dem Titel „Psalmodia Sacra“ erschien 1715 sein Choralbuch, in dem die Choräle mit beziffertem Generalbaß versehen sind; die Vorrede dazu schrieb der Hofprediger A. Chr. Ludwig. Zu den Schöpfungen Friedrich’s II. gehörte noch ein Theater auf dem Friedenstein, wo auch die Oper gepflegt wurde. Ob W. hierfür compositorisch thätig war, bedarf noch des Nachweises. W. starb am 13. April 1716; von seinen Schülern ist uns nur einer bekannt, Chr. Laurentius, später Organist in Gotha und Altenburg (Gerber, A. L. I, Sp. 789). – W. war eine musikalisch nicht unbedeutende Persönlichkeit. Treiber nennt ihn einen „weitberühmten Clavir-Künstler“. Seine Clavier- und Orgelsachen haben auch in der That in den thüringischen Landen eine weite Verbreitung gefunden. Wir können dies noch an dem Ursprung ihrer Quellen gewahren: J. G. Walther’s Handschriften (Th. I, III, Berlin; Th. IV, Königsberg), Eckelt’s Hdschr. (Ms fol. Z 35, Berlin), Andreas Bach’s Orgelbuch (Leipzig), H. N. Gerber’s Hdsch. (Ms. 131 und 7365, Berlin), Hdsch. von Dröbs (Ms. acc. 4107, Berlin), E. L. Gerber’s Hdsch. (verschollen), J. Chr. Graff’s Orgelbuch (aus A. G. Ritter’s Nachlaß unbekannt wohin verkauft), Ms. fol. 37 (Kassel). Ritter’s Urtheil (Z. Gesch. d. Orgelspieles, 1884, I, S. 169) über den musikgeschichtlichen Werth von Witt’s Stücken lautet freilich nicht eben günstig, aber er kannte auch nur den kleinsten Theil derselben. Die genannten Quellen geben dem Historiker einen viel zuverlässigeren Maßstab. Witt’s Choralbearbeitungen, Präludien, Fugen und Claviersuiten tragen ausnahmslos süddeutsches Gepräge, das man bei einer Gegenüberstellung mit Pachelbel’schen Stücken auf den ersten Blick erkennt. Zum Ueberfluß behandelt die Gmoll-Fuge ein Thema Pachelbel’s, das sowol in dessen Schule, wie in der seines norddeutschen Freundes Buxtehude eine ziemlich merkwürdige Rolle spielt und bis in die modernste Zeit hinein noch sein Wesen treibt. Die Hinneigung zur österreichischen Schule läßt sich an den Canzonen ermessen, deren Bau jenes Ebenmaß aufweist, das man an italienischen Vorbildern nachzuahmen gelernt hatte. Namentlich die Emoll-Canzone darf noch heute als Schmuckstückchen gelten. Das Capriccio mit seinen Reprisen und seinem Ueberreichthum an mannichfaltigen Verzierungen weist endlich auf Couperin’s Claviersatz hin. Der französische Compositionsgeschmack begann damals größere Kreise zu fesseln; man denke nur an Marchand und an den Hof in Celle. Auch Witt’s Instrumentalwerke, aus Suiten, Ouvertüren und einer Sonate bestehend (Ms. fol. 60 a und i, Kassel), sind französischen Mustern nachgebildet. Bemerkenswerth ist es deshalb, daß das Capriccio durch ein Glied der Bach’schen Familie überliefert ist. Witt’s Choralsätze in der Psalmodia Sacra sind sorgfältig gearbeitet. Noch Marpurg spendete ihnen das Lob, daß man überall eine starke und männliche Harmonie finde, die doch bei genauerer Untersuchung größtentheils nur aus Dreiklängen und Sextaccorden bestehe (Kritische Briefe über d. Tonkunst II, 1761, S. 188). Ueber den Werth der Ausgabe für die Geschichte des deutschen Kirchenliedes handeln ausführlich Winterfeld (Ev. Kirchenges. III, 509 ff.) und Kümmerle (Encykl. d. ev. Kirchenmusik). Für die Musikgeschichte ist W. neben Pachelbel und gleich diesem im [573] Hinblick auf J. G. Walther’s Schaffen zu würdigen. Neugedruckt ist von allen seinen Compositionen – Nichts.