ADB:Witt, Franz Xaver
Joseph und Michael Haydn, Mozart, Beethoven bis herab zu Witzka, Kempter, Diabelli und Dreyer. Alle aufgeführten Compositionen dieser Meister hatte er so treu im Gedächtnisse, daß er als Knabe die einzelnen Stimmen aus dem Kopfe aufschreiben konnte und nach vierzig Jahren sie noch auswendig wußte. Nach seinem Abgange vom Gymnasium (1851) studirte er zunächst ein Jahr lang Philosophie und dann Theologie am Lyceum in Regensburg. Während dieser Zeit wurde er durch den Domcapellmeister Joseph Schrems (s. A. D. B. XXX, 483), dessen Schüler er war, in die am Dom in Aufnahme gekommene altclassische Kirchenmusik eingeführt und verkehrte auch mit dem bekannten Musikgelehrten Kanonikus Dr. Proske (s. A. D. B. XXVI, 666). Diese beiden Männer übten einen bestimmenden Einfluß auf W. aus; sie verstanden es, ihn für die Kirchenmusik eines Palestrina, Lassus und ihrer Zeitgenossen zu begeistern. Am 11. Juni 1856 zum Priester geweiht, wirkte er zunächst drei Jahre lang als Cooperator in Oberschneiding (Diöcese Regensburg), bis er am 17. August 1859 in gleicher Eigenschaft und als Lehrer des Chorals, der Homiletik und Katechetik an das Priesterseminar in Regensburg berufen wurde. Im J. 1862 kam noch ein Amt hinzu, indem die Marianische Congregation an der Dominicanerkirche daselbst ihn zu ihrem Präses und Prediger erwählte. Im J. 1867 wurde er durch königliches Decret zum Inspector des Studienseminars an St. Emmeran ernannt, mit welcher Stellung die eines Chorregenten an der Stadtpfarrkirche St. Rupert verbunden war. Da ihn aber die pädagogische Thätigkeit zu sehr aufregte, so bewarb er sich um ein Beneficium in Stadtamhof, welches am 12. August 1869 ihm durch die bischöfliche Behörde übertragen wurde. In diese Zeit fällt seine Reise nach Italien, die Reformirung des Domchors in Eichstätt, seine musikalische Missionsthätigkeit, sein Instructionscurs für Chordirectoren und Organisten in St. Gallen. Als später die nur 350 Seelen zählende Pfarrei Schatzhofen bei Landshut vacant geworden war, bewarb sich W. aus alter Liebe zur Landseelsorge um diese Stelle und erhielt dieselbe am 1. August 1873 auf die Präsentation des akademischen Senats der Universität München hin. Wegen eines anhaltenden Nervenleidens siedelte W. am 23. October 1875 wieder nach Landshut über, während er die Pfarre durch einen Cooperator pastoriren ließ. Er starb am 2. December 1888 infolge eines Schlaganfalles. Das sind die verhältnißmäßig bescheidenen Lebensstellungen, in denen W. gewirkt hat. Die Ausübung der Seelsorge hielt er stets sehr hoch und sah sie auch als seine erste Pflicht an. Seine Bedeutung liegt auf dem Gebiete der Kirchenmusik. Was Richard Wagner der Oper, das ist Franz W. der katholischen Kirchenmusik geworden: ein Reformator. Schon in der Oberhoffer’schen Zeitschrift „Cäcilia“ hatte er den Gedanken einer durchgreifenden Reform der ganz entarteten Kirchenmusik, durch welche die feierliche Liturgie [574] vielfach zum Spotte geworden, und welche an unzähligen Orten auf der tiefsten Stufe der Trivialität stand, ausgesprochen. Im J. 1865 trat er mit der Broschüre hervor „Der Zustand der katholischen Kirchenmusik zunächst in Altbayern“. Damit stieß er in ein Wespennest; die Reformbewegung kam aber in Fluß. Ein Jahr darauf gab W. die Monatsschrift heraus „Fliegende Blätter für katholische Kirchenmusik“ und zwei Jahre später konnte er bei Gelegenheit der Katholikenversammlung in Bamberg (1868) den „Cäcilienverein für alle Länder deutscher Zunge“ mit 500 Mitgliedern gründen. Der Verein fand die Anerkennung von 30 Bischöfen und erhielt durch ein Breve vom 16. December 1870 auch die Bestätigung von Seiten des Papstes. Ein Cardinal wurde als Protector bestellt und W. zum ersten Generalpräses ernannt. In demselben Jahre gründete er noch ein zweites kirchenmusikalisches Blatt „Musica sacra“ betitelt, welches er neben den „Fliegenden Blättern“ bis zu seinem Tode redigirte. In diesen beiden Zeitschriften stellte er den betheiligten Kreisen sein Ideal vor Augen: „Würdiger Gottesdienst, Erbauung, Veredlung, Erziehung des Volkes durch eine ernste, weihevolle Musik bis ins kleinste Dorf hinein“, sodann rügte er Mißbräuche und half aufbauen mit immer unermüdlichem Eifer und einer gewaltigen Beredsamkeit. In den musikalischen Beilagen zu den genannten Blättern gab er seine und seiner Gesinnungsgenossen Compositionen heraus, denn er war sich dessen wohl bewußt, daß ein Reformator nicht nur Mißbräuchliches abschaffen, sondern auch Brauchbares an dessen Stelle setzen müsse. Deshalb schuf er zahlreiche Compositionen. „Sie repräsentiren“, sagt Walter, „eine geistvolle, tiefempfundene Wiedergabe des Textes; es pulsirt in ihnen ein reiches, melodisches Leben; sie glänzen durch eine gewisse Farbenpracht, eine nicht Effekt haschende, aber Effekt machende Dynamik; sie sind eine so formvollendete organische Einheit, voll Geist und Wahrheit, voll Phantasie und Kunst, daß selbst Männer wie Liszt und Bülow sie bewunderten.“ Franz Liszt bemerkte einmal dem Seelsorger F. Witt: „Lassen Sie die Leute stehlen und fluchen und schreiben Sie uns so schöne Tacte, wie Sie uns schon oft geschrieben haben!“ Für seine Reform wirkte W. auch als „Wanderprediger“ auf seinen Reisen, die er nach Württemberg. Vorarlberg, in die Schweiz u. s. w. unternahm. Ueberall hielt er Instructionscurse ab, wobei er belehrende Vorträge hielt, dirigirte und vorsang. Um seiner Reform eine weltumfassende Bedeutung zu geben, gründete er in Rom die „Scuola Gregoriana“, welche im Herbste 1880 eröffnet wurde.
Witt: Franz Xaver W., der geniale Reformator der katholischen Kirchenmusik, wurde am 9. Februar 1834 zu Walderbach in der Oberpfalz als Sohn eines Volksschullehrers geboren. Schon in der Jugend verrieth er gute Anlagen, insbesondere viel Talent für Musik. Seine wissenschaftliche Vorbildung erhielt er auf dem Gymnasium in Regensburg, welches er vom Jahre 1843 bis 1851 besuchte. Zugleich sang er während dieser Zeit als Chorknabe am Dom, in Niedermünster und zu St. Emmeran, sodaß er infolge der vielen kirchlichen Verrichtungen die Hälfte der Schulstunden versäumen mußte. Trotzdem erhielt er bei seinem Abgange ein vorzügliches Zeugniß. Als Sänger hatte er das ganze Repertoire der neueren Kirchenmusik kennen gelernt:In Anerkennung der großen Verdienste verlieh ihm Papst Pius IX. am 2. September 1873 den Titel als „Doctor der Philosophie“. Am 2. Februar 1880 wurde er durch den damaligen Protector des Cäcilienvereins, Cardinal de Lucca, zum Ehrenkanonikus von Palestrina ernannt. Die Zahl seiner Compositionen ist sehr groß. Ich gebe hier eine kurze Uebersicht nach den Angaben Walter’s: 33 Messen, 7 Requiem, 1 Vesper, 1 Complet, 4 Hefte Cantus sacri, 1 Eucharistische Gesänge; Gradualien und Offertorien für das ganze Kirchenjahr, 2 Hefte Lamentationen, 1 Improperien, 1 Kreuzwegstationen (lateinisch und deutsch), 2 mal die Marianischen Antiphonen, der Psalm 135, 2 Serien Responsorien, 6 Te deum, 15 Litaneien, 1 Lauda Sion, 1 Stabat mater, 2 Bde. Motetten, Meßgesänge mit deutschem Texte, verschiedene deutsche Kirchenlieder, 1 Cantate „Pergolese“ (Gedicht von Geibel) in zweifacher Bearbeitung; Orgelbegleitung zum Ordinarium Missae. Außerdem gab er noch Compositionen von Palestrina, Lassus, Haßler, Clereau, Cima, Cannicciari und Ett neu heraus. Witt’s Compositionen sind zum größten Theil reine Vocalmusik (von 1 bis zu 8 Stimmen). Ein kleiner Theil ist mit Orgelbegleitung, ein anderer mit Instrumentalbegleitung versehen. Seine Schriften, soweit sie nicht schon genannt worden, sind folgende: „Gestatten die liturgischen Gesetze beim Hochamte deutsch [575] zu singen?“ Ein Vortrag gehalten 1872. Mit einem Prolog und Epilog (Regensburg 1886); „Ueber das Dirigiren kathol. Kirchenmusik“ (Regensburg 1870); „Das Königl. bayerische Kultus-Ministerium, die bayer. Abgeordneten-Kammer und der Cäcilien-Verein. Eine Streitschrift und zugleich ein Handbuch zur Beurtheilung kath. Kirchenmusik für Musiklaien“ (Regensburg 1886).
- Anton Walter, Dr. Franz Witt, Gründer und erster Generalpräses des Cäcilienvereins. Ein Lebensbild. Mit dem Bildnisse Dr. Witt’s und dem Verzeichnisse seiner Compositionen. Regensburg 1889. – Cyrill Kistler, Dr. Franz Witt, ein großer deutscher Meister. Kissingen 1889.