Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 34.
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Die Herstellung der Potentialfunction ist zuerst von Green auf die Herstellung der Function zurückgeführt in der oben (§. 20) citirten Abhandlung: an essay on the application of mathematical analysis to the theories of electricity and magnetism. Green gibt aber keinen Beweis dafür, dass für jede Gestalt des Raumes auch wirklich eine Function und nur eine existirt, die den gestellten Bedingungen Genüge leistet. Er beruft sich einfach auf die physikalische Bedeutung der Function .*)[1] Diese Lücke hat Gauss ausgefüllt.**)[2] Er bezeichnet mit eine Grösse, die in jedem Punkte der Oberfläche von einen bestimmten, endlichen, nach der Stetigkeit sich ändernden Werth hat, und mit die Potentialfunction einer über dieselbe Oberfläche auszubreitenden Masse . Die Ausbreitung der Masse darf so geschehen, dass die Dichtigkeit entweder überall positiv ist, oder dass sie in einzelnen Theilen der Fläche auch negativ sein kann. In dem zweiten Falle ist die algebraische Summe der positiven und der negativen Massen. Gauss beweist dann, dass es allemal eine und nur eine Vertheilung der Masse gibt, bei welcher die Differenz in allen Punkten der Fläche einen constanten Werth hat, und dass die Gesammtmasse so gewählt werden kann, dass dieser constante Werth ist. Bezeichnet man nun mit den Abstand eines Punktes der Oberfläche von dem gegebenen Unstetigkeitspunkte im Innern von , so hat die Eigenschaften, welche
|[145]Gauss seiner Function zuschreibt. Man darf also den Satz von Gauss speciell so aussprechen: Auf der Oberfläche eines gegebenen Raumes lassen sich immer in einer und nur in einer Weise entweder positive, oder theils positive, theils negative Massen so ausbreiten, dass die Function für jeden Punkt der Oberfläche den Werth Null hat. Diese Function befriedigt alle Bedingungen, welche Green für seine Function aufstellt.
Dieser Beweis ist, wie man sieht, nicht rein analytisch. Seine Einkleidung ist der Theorie der Potentialfunction selbst entnommen. Einen rein analytischen Beweis hat später Dirichlet gegeben.*)[3]
Der Satz von Dirichlet lautet:
Ist die Function einwerthig, endlich und stetig variabel für jeden Punkt in der Oberfläche eines begrenzten Raumes gegeben, so lässt sie sich immer und nur auf eine Weise für das Innere so bestimmen, dass sie auch da einwerthig, endlich und stetig variabel ist und der partiellen Differentialgleichung
(1) |
Genüge leistet.
Um diesen Satz zu beweisen, bilden wir das über den Raum auszudehnende Integral
(2) |
Darin soll mit eine Function bezeichnet werden, die in der Oberfläche des Raumes überall mit der gegebenen Function übereinstimmt, die aber im Innern des Raumes nur an die Bedingung geknüpft ist, dass sie selbst und ihre ersten Derivirten überall einwerthig, endlich und stetig variabel seien. Solcher Functionen gibt es unendlich viele. Bezeichnet man eine von ihnen mit so lässt jede andere sich in die Form bringen
wenn eine passend zu wählende Constante bedeutet und eine
|[146]Function von ist, die in der Oberfläche des Raumes den Werth Null hat, im Innern aber an dieselbe Bedingung geknüpft ist wie die Functionen .
Das Integral (2) hat unter dieser Voraussetzung einen endlichen, positiven Werth, der im allgemeinen ein anderer sein wird, wenn man von einer Function zu einer andern übergeht. Nun gibt es zwar unendlich viele Functionen , die den aufgestellten Bedingungen genügen, und folglich wird man ihnen entsprechend auch unendlich viele Integralwerthe erhalten. Die letzteren sind aber sämmtlich positiv und endlich. Demnach ist unter ihnen jedenfalls einer vorhanden, der kleiner als alle übrigen ist. Dieser kleinste Werth des Integrals kann nur in einem Falle gleich Null sein, nemlich wenn im Innern des Raumes die ersten Derivirten der zugehörigen Function überall gleich Null sind. Es müsste also diejenige Function , welche das Minimum zu Stande bringt, im Innern von constant sein, und da sie eine stetige Fortsetzung der in der Oberfläche gegebenen Function ist, so müsste auch diese an jeder Stelle der Oberfläche denselben constanten Werth haben. Schliessen wir diesen Specialfall durch die Voraussetzung aus, dass in der Oberfläche stetig variabel sein soll, so ist der Minimalwerth des Integrals um eine positive endliche Grösse von Null verschieden.
Diejenige Function , für welche das Integral (2) seinen kleinsten Werth annimmt, soll für das Innere des Raumes mit bezeichnet werden. Dann lässt sich jede andere Function in die Form bringen
Wir wollen nun die Constante unendlich klein nehmen. Dann lautet die Bedingung des Minimum
(3) |
Nun hat man aber
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|[147]Folglich ist
und danach findet sich
(4) |
Wird nun für die Bedingung (3) befriedigt, so ist der Coefficient von auf der rechten Seite der Gleichung (4) nothwendigeweise gleich Null. Denn sonst könnte man das Vorzeichen von so wählen, dass das Product
negativ ausfiele, und den Zahlwerth von so klein, dass das positive Glied kleiner würde als der absolute Werth des vorhergehenden negativen Gliedes. Dann hätte man
was mit (3) im Widerspruch steht. Also ist
(5) |
die nothwendige und, wie man leicht sieht, auch die ausreichende Bedingung für das Zustandekommen des Minimum Die linke Seite der Gleichung (5) transformiren wir nach §. 20 und erhalten
(6) |
Das erste Integral auf der rechten Seite ist über die Oberfläche des Raumes zu erstrecken. Sein Werth ist null, da nach der Voraussetzung in jedem Punkte der Oberfläche ist. Die Bedingung (5) für das Minimum geht also über in
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(7) |
Da aber im Innern des Raumes die Function gänzlich unbestimmt ist, so kann diese Gleichung nur dadurch erfüllt werden, dass im Innern überall
(8) |
Nun existirt immer ein Minimum des Integrals . Folglich muss es unter den unendlich vielen Functionen welche in der Oberfläche von mit der dort gegebenen Function zusammenfallen, eine geben, welche jenes Minimum zu Stande bringt, und das kann nicht anders geschehen als durch Befriedigung der Gleichung (8). Diese Function ist die für das Innere von verlangte stetige Fortsetzung der in der Oberfläche gegebenen Function
Die Transformation (6), durch welche die Bedingung (5) in (8) übergeht, ist nach §. 20 nur dann zulässig, wenn die Functionen und und die ersten Derivirten von im Innern des Raumes überall endlich und stetig variabel sind. Diese Bedingung ist für und erfüllt. Denn wir haben von allen Functionen und vorausgesetzt, dass jede von ihnen mit ihren ersten Derivirten einwerthig, endlich und stetig variabel sei. Denken wir uns aber den Fall, dass die ersten Derivirten von im Innern des Raumes sich sprungweise änderten, wenn der Punkt von der negativen auf die positive Seite einer gewissen Fläche übertritt, so würde zu dem Oberflächen-Integral auf der rechten Seite von (6) noch der Beitrag hinzutreten
(9) |
In diesem Beitrage ist ein Element der Unstetigkeitsfläche, die Normale. Die Integration ist über die ganze Unstetigkeitsfläche zu erstrecken. Zur Erfüllung der Bedingung (5) würde dann die Gleichung (8) nicht genügen. Es müsste ausserdem das Integral (9) den Werth Null haben, und das ist bei der Unbestimmtheit von nicht anders möglich, als wenn an jeder Stelle der angenommenen Unstetigkeitsfläche
(10) |
|[149]Diese Gleichung sagt aber aus, dass, wenn ein Minimum ist, die ersten Derivirten von im Innern des Raumes nicht unstetig sind.
Es fragt sich noch, ob ausser der einen Function , welche das Integral zu einem Minimum macht, noch eine andere dieselbe Eigenschaft besitzt. Unter soll hier wieder eine Function verstanden werden, welche in der Oberfläche von den Werth Null hat und im Innern derselben Bedingung genügt wie die Functionen . Nun ist ein Minimum, wenn für eine Constante , die unendlich nahe an 1 heranrückt, die Bedingung erfüllt ist:
(11) |
Wir haben nach den Gleichungen (4) und (5)
und wenn man hierin setzt:
Dadurch geht die Bedingung (11) in folgende über
(12) |
Da man aber die Constante , die unendlich nahe an 1 liegen soll, nicht bloss grösser, sondern auch kleiner als 1 nehmen darf, so kann der Bedingung (12) nur dadurch genügt werden, dass man setzt:
(13) |
Bei der eigenthümlichen Form des Integrals kann diese Gleichung nur dann zu Stande kommen, wenn im Innern des Raumes überall
(14) |
d. h. ist. Der constante Werth von muss aber Null sein, weil in der Oberfläche ist.
Von allen den Functionen , welche die in der Oberfläche des Raumes gegebene Function ins Innere stetig fortsetzen, gibt es also eine und nur eine, die das Integral (2) zu einem Minimum macht. Diese Function und ihre ersten Derivirten sind im Innern von überall endlich und stetig variabel, und sie selbst erfüllt die partielle Differentialgleichung (8). |[150]
Mit Hülfe dieses Satzes ist nun leicht zu beweisen, dass für jede Gestalt des Raumes eine und nur eine Function existirt, welche die von Green aufgestellten charakteristischen Eigenschaften besitzt. Wir setzen
(15) |
wobei den Abstand des Punktes von dem inneren Unstetigkeitspunkte der Function bezeichnet. Dann hat man in der Oberfläche gleich zu nehmen und diese Function ins Innere des Raumes endlich und stetig variabel so fortzusetzen, dass
Das kann nach dem Satze von Dirichlet immer in einer und nur in einer Weise geschehen. Da nun der Gleichung von Laplace ebenfalls genügt, so ist die in (15) ausgedrückte Function in der That die von Green verlangte. Sie ist Null in der Oberfläche von , sie ist im Innern überall endlich und stetig variabel ausser im Punkte wo sie unendlich wird wie der reciproke Werth des Abstandes, und genügt im Innern von der Gleichung von Laplace.*)[4]
- ↑ *) Green. An essay on the application etc. Art. 5. (Crelle, Bd. 44, S. 366, 367.) „To convince ourselves that there does exist a function as we have supposed U to be, conceive the surface to be a perfect conductor put in communication with the earth and a unit of positive electricity to be concentrated in the point p', then the total potential function arising from p' and from the electricity it will induce upon the surface, will be the required value of U.“
- ↑ **) Allgemeine Lehrsätze etc. Art. 31 bis 34.
- ↑ *) In seinen Vorlesungen über die dem umgekehrten Quadrat der Entfernung proportional wirkenden Kräfte.
- ↑ *) Man vergleiche die Abhandlung von Dirichlet: Sur un moyen général de vérifier l'expression du potentiel relatif à une masse quelconque, homogène ou hétérogène, (Crelle. Journal, Bd. 32. S. 80.)