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RE:Elegie

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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griechische und röm. Literaturgattung, Klagegedicht, oft in Distichen
Band V,2 (1905) S. 22602307
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Elegie. Zusammenfassendes aus der neueren wissenschaftlichen Literatur, abgesehen von den literargeschichtlichen Handbüchern: Poetae lyrici Graeci ed. Bergk II. O. F. Gruppe D. röm. Elegie, bes. I 396ff. J. Flach Geschichte der gr. Lyrik. Anthologia Lyrica ed. Hiller-Crusius (in der adnotatio das Nötigste aus der Literatur zu den einzelnen Poeten). O. Immisch Philologenversammlung zu Görlitz 1889, 380ff. R. Reitzenstein Epigramm u. Skolion, 1893. U. v. Wilamowitz Die Textgeschichte der griechischen Lyriker, Abh. Gesellsch. d. Wissensch. zu Göttingen N. F. IV 3, 1900. Rothstein Propertius XVIIIff.; Phil. LIX 445. Fr. Leo Philol. Untersuchungen II und Göttinger gel. Anz. 1898, 720ff. (auch für die Auffassung der Griechen von Bedeutung). Fr. Skutsch Aus Virgils Frühzeit, 1901.[1]

I. Elegos und Elegie, Ursprung und Bedeutung.

A. Geschichte des Problems.

Legendarisches: 1) Elege, Elegeïs, Heroinen der Elegie? S. o. S. 2258f. Die Elegeia bei Ovid. amor. III 1 ist eine allegorische Erfindung des Dichters, s. u. S. 2302. 2) Theokles als εὑρετής des Elegeions, Etym. M. p. 327, 5 ἐλεγαίνειν τὸ παραφρονεῖν · τινὲς τῶν παλαιῶν καὶ τὸ ὁπωσδήποτε ἀκολασταίνειν, καὶ τὸ ἐλεγεῖον μέτρον ἀπὸ τούτου ἐκλήθη (im Sinne der Elegeislegenden, o. S. 2258).). Τινὲς νομίζουσιν, ὅτι Θεοκλῆς Νάξιος ἢ Ἔρετριεὺς πρῶτος αὐτὸ ἀνεφθέγξατο μανείς. Diese Legende ließ [2261] also Elegeion und E. in einem Gebiete entstehen, in das die Lebensgeschichte des Archilochos hineinführt (Bd. II S. 495). Gemeint ist hier (obgleich man Χαλκιδεύς erwartet; zum Athener, der Euboeer anführt, macht den Theokles Ephoros) jener Θεοκλῆς oder Θουκλῆς, der als Oikist der Χαλκιδῆς eine Kolonie von Euboia nach Naxos und weiter nach Sicilien geführt haben sollte (Thuc. VI 3. Hellan. Steph. Byz. s. Χαλκίς, Κατάνη. Ephor. Strab. VI 267. Scymn. 272. Polyaen. V 5); auf Naxos hatte er (Ἀπόλλωνος Ἀρχηγέτου βωμόν gegründet. Er sprach vermutlich nach einer in ihren Grundzügen noch erkennbaren (elegischen?) κτίσις in apollinischer Ekstase (μανείς) einige Distichen, die für das Vorgehen der Kolonisten bestimmend wurden; ähnliche Überlieferungen im Archilochos-Bios o. Bd. II S. 490. Dümmler (Kl. Schr. II 406) vergleicht die μανία des Solon und allerlei ferner Liegendes, was kaum weiter hilft; noch weniger passen die Kombinationen von O. Immisch a. a. O. 381 in den Sinn der Legende. Vielleicht denkt Virgil zunächst an diese Überlieferungen (und an alte chalkidische Elegien? s. u. S. 2267f.), wenn Gallus ecl. 10, 50 mit Chalcidico versu die E. bezeichnet (vgl. 6, 1); Euphorion, auf den man den Ausdruck bezieht, könnte davon immerhin in einer seiner mythologischen Dichtungen (eben jener κτίσις ?) gehandelt haben; doch sieht die Erklärung der Virgilkommentatoren fast wie ein Autoschediasma aus.

Die antiken Literarhistoriker und Philologen, die auch den Texten keine Fürsorge zuwandten, boten wenig. Aristoteles in der Poetik 1 meint, man spreche zwar gemeinhin von ἐλεγειοποιοί im Gegensatz zu ἐποποιοί, als ob das Versmaß das Wesentliche wäre, aber es komme auf die μίμησις an. So hat er für die E. in der Poetik nichts über; soweit sie erzählend ist, fällt sie ihm unter den Begriff der Epos, soweit sie aber einfach Gedanken und Stimmungen des Dichters ausdrückt, steht sie außerhalb der Grenzen der Poetik, und ihre Betrachtung gehört (mit der Logik überhaupt) eher in die Rhetorik und Lyrik. Die Schüler des Aristoteles verwischten diese scharfen, aus dem Grundgedanken seiner Ästhetik folgerichtig sich ergebenden Grenzbestimmungen; auf sie wird jenes System zurückgehen, das einesteils bei Horaz (ars poet. 75ff.) vorausgesetzt zu werden scheint, andernteils durch Sueton (p. 16f. Reiff., Text vielfach problematisch) den spätern Grammatikern (Diomedes G. L. I 482f.) übermittelt ist. Zweifelhaft bleibt es freilich, ob die das ganze spätere Altertum beherrschende Ansicht, daß die E. ursprünglich ein Klagelied gewesen sei, aus diesen Kreisen stammt und rein gelehrten Ursprungs ist. S. Didymos bei Orion p. 58, 7 ὄθεν πεντάμετρον τῷ ἡρωϊκῷ συνῆπτον, οὐχ ὁμοδραμοῦντα (Hor. ars poet. 75) τῇ τοῦ προτέρου δυνάμει, ἄλλ’ οἷον συνεκπνέοντα ... ταῖς τοῦ τελευτήσαντος τύχαις, οἱ δὲ ὔστερον πρὸς ἅπαντας ἀδιαφόρως. Ähnlich Proklos chrest. 6 τὴν δὲ ἐλεγείαν ... ἁρμόζειν τοῖς κατοιχομένοις, und bei antiken Etymologen (παρὰ τὸ εὖ λέγειν τοὺς τεθνεῶτας und ἀπὸ τοῦ ἐλέου, s. Schol. Dion. Thrax p. 750, 10. Suet. p. 18 Reiff. Mar. Victor, p. 110, 18). Als gelehrte Hypothese will das Immisch (a. a. O. 377) sogar schon bei Euripides nachweisen, s. aber u. S. 2264. [2262] Die Gelehrten der Renaissancezeit – Scaliger Poet. Lilius Gyraldus Poet. hist. I p. 41. Caelius Rhodiginus Lect. ant. IX 3 usw. – beschränken sich darauf, die antiken Notizen zusammenzureihen. Eine Übersicht über die Arbeiten seit dem Abbé Souchay (Mém. de l’acad. VII 315ff.) bei Bernhardy Grundr. II 463, vgl. auch O. Immisch a. a. O. 372f. Neuerdings wollte C. Dilthey (Anal. Callim. p. 46 Sent. 1) die E. a carminibus magicis antiquissimis ableiten, und H. Usener (Altgr. Versb. 113) vermutete, daß der Pentameter in ,den oft obszönen Spott- und Schmähversen bei gewissen Kulthandlungen heimisch war‘ (s. o. Elegeis, S. 2259). Aber diese Hypothesen (Dilthey hat sie aufgegeben, s. Usener 114 Anm.) finden in den Nachrichten und Resten der ältesten literarischen Elegien keinen rechten Anhalt. Die Mehrzahl der Forscher hält an der Hypothese der Alten fest, wonach die E. ursprünglich ein Klagelied war; so neuerdings vor allem Christ Metrik 312; Gr. Lit. § 93, und, mit Beschränkung auf den Ursprung des Verstypus K. Zacher Phil. LVII 9. 22. Daneben tritt die zuerst von Böttiger in Wielands Att. Museum I 292 mit ziemlich wilden Kombinationen gebildete Ansicht, daß der Pentameter den kriegerischen Flötenmelodien der Lyder seine Entstehung verdanke und daß die elegische Dichtung ursprünglich patriotisch-kriegerischen Inhalt gehabt habe. Auf ein ähnliches Ergebnis kommt, von andern Voraussetzungen aus, F. Dümmler Philol. LIII 201 = Kl. Schr. II 405ff.; er sieht in der patriotischen Ekstase, wie sie sich in manchen Legenden und in Solons Auftreten manifestieren, den Urkeim der Dichtungsgattung. O. Immisch, in seinem Vortrag auf der Philologenversammlung zu Görlitz 1889, 380ff., findet die in der E. waltenden Stimmungsgegensätze der Trauer und Ausgelassenheit im Kypris- und Adoniskult und sieht hier den Boden für die neue musikalisch-poetische Stimmung. Wir haben gesehen (o. S. 2259),, daß der Demeterdienst nähere Ansprüche hat, wenn man auf diese transcendentalen Probleme überhaupt eingehen will. Die Flötenbegleitung der E. gilt freilich als ursprünglich nicht-griechisch (eher phrygisch, als semitisch), war aber zur Zeit des Archilochos in den sakralen Brauch (auch im Paean) längst rezipiert (frg. 76 p. 404 B.).

B. Tatsachen und Ergebnisse.

Archilochos war, wie schon Bd. II S. 503 ausgeführt ist, der Vollender der iambischen und epodischen Formen; geschaffen hat er sie nicht. Der für die E. charakteristische Pentameter wird von ihm bereits mit unfehlbarer Sicherheit und Eleganz gebildet. Usener und Immisch – neuerdings auch P. Rasi De eleg. Lat. 36ff. und Zacher a. a. O. 18ff. – haben auf den selbständigen und freieren Bau und Gebrauch des Verses bei Späteren hingewiesen (Stesich. frg. 42. Hipparchs Hermen, Philipp. Anthol. XIII 1. Heliod. Aethiop. III 2 u. a. m. Aesch. Ag. 1022; Choeph. 380; Eum. 961; Suppl. 580 usw.; Pentameter als Abschluß nach mehreren Hexametern in Kaibels Sylloge, vgl. auch Petron. 34. 55 und Büchelers Carm. epigr.). Nun war das übliche Begleitungsinstrument bei distichischen Dichtungen, wie Rohde im Gegensatz zu v. Wilamowitz nachgewiesen hat (Afterphilologie [2263] 24f.; Gr. Roman. 139f.), ursprünglich die Flöte (Mimnerm. Theogn. 241 usw.). Der Dauerton des Blasinstrumentes begünstigte die lange Katalexis und Binnenkatalexis im Pentameter (der schlechte, rein metrisch geprägte Name ist schon bei Hermesianax nachweisbar, allerlei weitere Zusammenstellungen bei Rasi De eleg. Lat. 12ff.) und führte so zu den ältesten Strophenbildungen, die wir im Distichon (und seinen aus der Analogie des Margites und späterer Inschriften zu erschließenden Vorstufen) erblicken dürfen, s. Böttiger a. a. O. Usener 117f.[2] Die Form des Pentameters wie des Distichons ist durchaus griechisches Eigentum, wie sie sich in den Rahmen des epischen Hexameters einpaßt. Es scheint ohne weiteres begreiflich, daß sie in der Heimat der epischen Dichtung erwuchs.

Die älteren Zeugen, die freilich zur Anwendung eines Terminus technicus keinen Anlaß hatten, nennen, diesen Tatsachen entsprechend, Distichen einfach ἔπη (Solon 1. Theognis 20. 22. Herod. V 113). Seit dem 5. Jhdt. nachweisbar tritt daneben die Bezeichnung ἐλεγεῖον, ἐλεγεία auf (nämlich ἔπη oder μέτρα), Pherekr. Cheiron. 153 K. (Zitat von Theogn. 467. 469). Thuc. I 132. Plat. Men. 45 D (Zitat von Theogn. 33). Kritias frg. 3, 4 p. 282 Bgk.; vgl. Susemihl Jahrb. f. Philol. 1894, 657. Flach G. d. gr. Lyrik I 156, modifiziert durch Zacher 9f. Daß diese Bezeichnung erst zwischen Theognis und Thukydides entstanden sei (Susemihl und Flach), ist ein vorschneller Schluß ex silentio. Das lateinische Korrelat elogium (Jordan Vindiciae lat. serm. 19f.) ist lautlich und volksetymologisch derart umgestaltet, daß es ziemlich früh auf dem Wege lebendigen Verkehrs (nicht erst durch Ennius, wie Ribbeck Röm. Dicht. I 50 annimmt) eingedrungen sein muß, wohl mit dem sonstigen fremden Funeralpomp (nenia νηνίατον usw.). Ziemlich spät aufgekommen scheint der Terminus ἐλεγεία (näml. ποίησις), für den die ältesten Beispiele Aristoteles Athenerstaat 5 (ποιήσαντι τὴν ἐλεγείαν ἧς ἡ ἀρχὴ ,γινώσκω κτλ.) und Theophrast (hist. plant. IX 15 Αἰσχύλου ἐν ταῖς ἐλεγείαις) bieten; daran sich anschließend Parthenius in dem Brief an Gallus, Strabon u. a. Die Wörter sind Denominativa; ἐλεγεῖον geht auf die metrische Form, bezeichnet das Distichon, auch den Pentameter (Immisch 376. Zacher 10. Rasi a. O.). Ἐλεγεία ist eine Gesamtbezeichnung, die für das ältere und auch später vorherrschende ἔλεγος eintritt.

Die Zeugnisse für die Anwendung des Terminus ἔλεγος hat Zacher 11ff. ausführlich besprochen. Das älteste bieten die ἔλεγοι des Auloden Echembrotos, s. o. S. 1912;; es sind Lieder zur Flöte, deren Form nicht sicher bestimmbar ist. Euripides bezeichnet an zwei Stellen (Hel. 185ff.; Iph. Taur. 146ff. 173ff.) die Totenklage als ἔλεγοι, ähnlich, nur abgeblaßter Troad. 119; Iph. Taur. 1089. Aristoph. Vögel 218 (Klage um Itys). Immisch (a. a. O. 377) ist der Meinung, [2264] daß Euripides, im Gegensatz zu den literarischen Tatsachen, geführt durch die Etymologie (Iph. Taur. 143ff.), in den Trauerliedern den Ursprung der Elegie gesucht habe; die Distichen der Andromache (103) wollen nach ihm nur ,eine von Euripides vertretene Ansicht über Herkunft und Wesen der E. durch ein Beispiel bestätigen‘. Wenn die Hellenisten und Römer (Stellen bei Immisch 377; vollständiger Rasi 47f.) für elegische Dichtungen mit Vorliebe ἔλεγοι elegi sagten, so wären sie danach im Grunde nur durch dies Vorbild bestimmt. Gegen diese sehr auf die Spitze gestellten Ansichten hat sich schon Zacher erklärt. Für ἔλεγος muß der Sinn ,Klagelied‘ jedesfalls alt und volkstümlich sein. Ferner ist aber auch die Benützung des Pentameters in solchen Liedern gerade durch die doch recht alte Terminologie erwiesen. Der Pentameter kann ἐλεγεῖον nur genannt werden als Metron des Elegos, weil er im Elegos (wie später in der Grabschrift) mit Vorliebe angewandt wurde. So heißt sprichwörtlich ἐλεγεία ᾄδειν soviel wie ,Klagelieder singen‘ (Lucian. Timon 46, ähnlich vielleicht schon Herond. I 71, s. unten). Ob die Zweigliedrigkeit des asynartetischen Pentameters aus der Beteiligung eines Doppelchores bei der Totenklage herzuleiten ist, bleibt freilich ebenso zweifelhaft, wie die Etymologie des dunkeln Wortes, die von Alten und Neueren ziemlich einhellig auf den Klagerefrain (vgl. αἴλινος, ἰώβακχος, ἰήλεμος, ὐμεναῖος usw.) bezogen ist (so mit den Alten von ἔλεγε G. Hermann, Welcker, Christ, s. Flach 157, von einem postulierten ἔλεγε = ἤλεγε = germ. welaga Zacher 21f.). Eine fleißige Zusammenstellung der alten Zeugnisse, die von Distichon und Pentameter handeln, bei P. Rasi De elegiae latinae compos. et forma 12ff. Der Pentameter, das charakteristische Element, machte auf das antike Empfinden, im Gegensatz zu dem elastisch sich dahinschwingenden Hexameter, den Eindruck des Weichlichen (εὗρεν ... μαλακοῦ πνεῦμ' ἀπὸ πεντάμετρου schon Hermesianax Athen. XIII 598 A) oder schleppenden (χωλεύειν, claudicare, daher wohl χωλά = ἐλεγεῖα Herond. I 71, s. Crusius Philol. LIII 223 [Ovid. am. II 17, 21f. u. ö.]: es sind μέτρα χωλεύοντα κατ' ἔνδειαν, im Gegensatz zu dem χωλεύοντα κατὰ πλεονασμόν, wie dem Trimeter σκάζων). Daher heißen die elegi bei den Römern molles, tenues. In der Tat gewinnt der Vers auch für unser Empfinden durch die doppelte, langgedehnte Katalexe (Näheres darüber besonders bei Usener Altgr. Versbau) etwas Kurzatmiges, Lässiges, Zusammensinkendes, wie das sehr treffend das Epigramm unseres Dichters ausdrückt. Insofern ist die freilich etwas kurz angebundene Charakteristik und Verwertung der Form bei Didymos gar nicht übel (eine seltsame Singularität ist der elegius scazon bei Marius Victor. p. 111, 21. mit überschüssiger Silbe). Daß aber die Zwillingskola von vornherein nicht als selbständige ἀντίφωνα, sondern als Einheit im Rahmen des Hexameters aufgefaßt wurden, beweist die besondere Behandlung, die dem zweiten Kolon schon bei Archilochos zu teil wird (das daktylische Schema als Norm usw.).

Nun soll allerdings nach der Ansicht der Neuesten die literarische E. von diesem Zusammenhang mit dem Klagelied keine Spur mehr [2265] zeigen; nach Reitzenstein (Epigramm und Skolion 45ff.) ist sie ausschließlich fürs Gelage bestimmt. Obgleich gegen diese handgreifliche Übertreibung sofort Einspruch erhoben wurde (Crusius Lit. Centralbl. 1899, 725), sehen doch sowohl Immisch wie Zacher die Zeugnisse durch die Brille Reitzensteins. Es will etwas heißen, daß eine der ältesten im Umriß erkennbaren distichischen Dichtungen (Archilochos an Perikles) threnetisch-paramythetischen Inhalt hat; sie ist in der Tat nicht für Mahl und Gelage bestimmt (wie interpretiert Reitzenstein nur οὐδέ τις ἀστῶν ... θαλίῃ τέρψεται!), und wenn sie den Schmerz dämpfen, wenn sie zu ,starkem Lebensmut‘ auffordern will (Reitzenstein 49, 2. Immisch 378), so spricht aus ihr nur eine stärkere Persönlichkeit und eine reifere Kultur, genau wie aus gewissen reformierenden Leichenordnungen (Rohde Psyche I 121ff., oben S. 1209f.). Es ist nicht ,unfaßbar‘, sondern selbstverständlich, daß ,die Literaturgeschichten‘ dem Plutarch, der das Gedicht ganz las (de aud. poet. 6 p. 23 A), glaubten, daß Archilochos den Tod seines Schwagers in ihm beweine (θρηνῶν). An solchen Vorgang schließen sich doch wohl die Elegien auf die Schlachten der Perserkriege an, Simonides PLG III 422ff., während allerdings die Betrachtung über die Vergänglichkeit alles Irdischen frg. 85, die man wohl mit Unrecht dem Semonides von Amorgos zugeschrieben hat, nach andrer Richtung weist. S. 2274, vgl. auch Aeschyl. PLG II 240. Plut. qu. conv. I 10; Archelaos (und Melanthios?) PLG II 28f. (Ed. Meyer Forschungen z. alten Gesch. II 43). Wenn also Euripides Andromache (103ff.) in Distichen klagen läßt, so folgt er schwerlich der Schrulle einer schlechten Etymologie und willkürlichen Hypothese; von der reichen melischen Gestaltung der Klage, wie sie seit Aischylos (Perser und Septem, deren Schluß echt ist) in der Tragödie herrschte, wendet er sich – gewisse Tendenzen der Hellenisten vorwegnehmend – zu einer einfacheren, volkstümlichen Form zurück; so trug man wohl in der Tat bei der Leichenfeier πεποιημένα vor. Auch das Grabepigramm mag ein Nachklang davon sein. Endlich verstehen sich die distichischen Epikedien seit Antimachos und Philetas (s. u. S. 2276ff.) gleichfalls am besten als Fortsetzung alter lebendiger Kunstübung. Immerhin tritt die Stimmung der Trauer in der ionischen E. stark zurück. Um so mächtiger und bestimmender klingt aus ihr, zumal in den Fragmenten der ältesten Zeit, das patriotische Pathos heraus. Es ist unwahrscheinlich, daß man diese schwungvollen, ernsten Verse nur ,beim Gelage‘ vorgetragen hätte (Reitzenstein 47); sie haben zum Teil den Charakter echter adhortationes, wie sie die Feldherren vor der Schlacht hielten, und der Redner Lykurg läßt dementsprechend Leokr. 107 die Soldaten Tyrt. frg. 10 τεθνάμεναι γάρ beim Appell vor dem Königszelt hören. Reitzenstein meint zwar, die Zusammenkunft der Männer zum Festmahl sei für die von den Hochfesten der Götter ausgeschlossenen Gedichte der einzige passende Ort: so daß dann wohl alle profane Dichtung jener Zeit ,Gelagepoesie‘ wäre. Das ist verkehrt: der Markt, die Lesche, der Exerzierplatz boten Gelegenheit genug (Crusius Centralbl. a. O. 725). [2266] Alles in allem wird man vermuten dürfen, daß in der vorliterarischen E. das Pathos der Trauer und der patriotische ,Weckruf‘ (Dümmler) wichtige Leitmotive waren; es wird kein Zufall sein, daß die älteste Dichtung mit voller lyrisch-elegischer Stimmung, die Klage im 24. Buch der Ilias, beide Motive vereinigt. So ist auch diese von den Ioniern früh gezähmte und veredelte Form aus orgiastischer Stimmung, wie sie der αὐλός festhält und vermittelt, hervorgewachsen. Daß sie bei den Symposien gleichfalls herrschte (was zuletzt Reitzenstein durchgeführt hat), stimmt dazu. Auch die Flöte erklang bei der Totenklage wie beim Gelage, und im περίδειπνον trifft Lust und Trauer zusammen, wie bei jenen Kultbräuchen, von denen oben (S. 2262) die Rede gewesen ist. Die Alten, die den Namen mit ἐλεεῖν oder εὖ λέγειν in Zusammenhang brachten (Mar. Vict. p. 110, 18 K., s. o. S. 2261), dachten wohl an diese Gelegenheit, wo ἔλεος und ἔπαινος (s. das Sprichwort οὖκ ἐπαινεθείης κτλ.) sich verbanden.

II. Die altionische Elegie.

Schon bei Archilochos ist das Distichon ein sehr universales Instrument, mit dem die verschiedensten Stoffe – Trost und Klage, Waffenfreude, Kriegs- und Reiseerinnerungen, Lebensweisheit – angegriffen werden (o. Bd. II S. 498f.); kurze Sinnsprüche wechselten ab mit erzählenden und briefartigen Stücken. Aber wie sich die Elegien in Metrum und Sprache an das Heldenepos anlehnen, so haben sie eine gewisse Würde und Gehaltenheit; für die im eigentlichen Sinne polemischen Zwecke gebraucht der Dichter ausschließlich die Form des Iambos und der Epodoi. Das skoptische Epigramm frg. 19 hat sehr zweifelhafte Gewähr (o. Bd. II S. 497); für den τωθασμός ist die elegische Form in alter Zeit nicht nachgewiesen (gegen Usener o. S. 2262). - Kallinos von Ephesos, ein Zeitgenosse des Archilochos (Bd. II S. 503), ist vor allem der Dichter der patriotisch-kriegerischen Paraenese; außerdem tritt bei ihm bedeutsam das mythischerzählende Element hervor (frg. 7f.), wie er sich ausdrücklich auf Homer als Dichter der Thebais berief (Hiller Rh. Mus. XLII 324. Crusius Philol. LIV 723). Derartige Züge scheinen in den Elegien des Archilochos zu fehlen. – Semonides von Amorgos kennen wir (da Simonides frg. 85 ihm schwerlich gehört, s. o. S. 2265) nur aus Iamben, die weniger persönlich gehalten sind als die verwandten Dichtungen des Archilochos; ihm wird bei Suidas-Hesychios (p. 198f.) eine ἀρχαιολογία Σαμίων zugeschrieben, nach Bergks wahrscheinlicher Annahme (PLG II 441; Gr. Litt. II 195) eben die im Pinax des Hesychios erwähnte ἐλεγεία. Der Titel ist jung; aber daß das Gedicht ,selbstverständlich Fälschung eines Samiers auf den berühmten Namen‘ gewesen sei, ist eine der Behauptungen A. Ficks (Ilbergs Jahrb. I 506), deren Formulierung nur zeigt, wie fern ihm die literargeschichtlichen Probleme liegen.[3] Über ein betrachtendes elegisches Fragment, das man ihm zuschreiben will, s. u. S. 2274. – Patriotische [2267] Empfindung und heimische Sage spielen auch bei dem meist (wie Anakreon) einseitig eingeschätzten Kolophonier Mimnermos (der auch kräftige Iamben in archilochischer Art schrieb, s. Athen. XIII 597) eine bedeutsame Rolle, s. frg. 9f. (kolophonische Stammsage, vgl. O. Immisch Klaros 153; Philol. XLIX 209). 13f. (Lyderkriege, nach Schubert Gesch. der Könige von Lydien 36 Quelle für die Legenden Plut. parallel. 30 = Dosith. frg. 6, FHG IV 461). Aber ganz neu ist die sentimentale erotische Stimmung seiner Elegien, denen man im späteren Altertum nach der in ihnen angeredeten Geliebten (vgl. Κύρνος bei Theogn., Antimachos Lyde usw.) den Namen Ναννώ (frg. 4. 5. 8. 9. 12) gab; als einheitliches Ganzes waren sie (bei dem sehr heterogenen Inhalt) schwerlich angelegt (wie Flach 176 anzunehmen scheint). Doch objektiviert sich die Empfindung bei Mimnermos meist ganz anders, als etwa in der äolischen Lyrik. Sie wird entweder in der Art der alten gnomischen Dichtung analysiert in fast rhetorisch wirkenden Darlegungen (1ff. 7), oder sie findet ihr Gegenbild im Mythos (frg. 4. 5, 7); charakteristisch war in dieser Hinsicht offenbar die Darstellung der Helios- und Argonautensage (zu οὐδέκοτ' ἃν μέγα κῶας ἀνήγαγεν frg. II ist zu ergänzen: ohne die Hilfe der Kypris). Vor allem durch diese Verwendung des Sagenstoffes wird die Nanno eine Vorläuferin der erotischen E. der Hellenisten.[4]

Mimnermos wird ausdrücklich als Aulet und Aulode bezeichnet; wenn ihn Hipponax (frg. 96) den ἐκπεμπομένοις φαρμακοῖς den κραδίης νόμος (Hesych. s. v.) blasen läßt (Plut. de mus. 8 p. 492), so wird das eine Bosheit sein, es setzt aber voraus, daß Mimnermos ein Mitglied jener Zunft war, der auch der später in Peloponnes wirkende Kolophonier Polymnest angehörte. – Die erotisch-sympotische Saite, die Mimnermos anschlug, klang weiter in dem Elegienbuch des Anakreon (o. Bd. I S. 2041); zu frg. 94 vgl. Xenoph. 1 p. 110 Bergk und Kaibel Epigr. Gr. 19. Derselbe Anakreon scheint auch als einer der ersten die distichische Aufschrift gepflegt zu haben; auch ist die Echtheit seiner Epigramme umstritten (Bergk PLG III 281. Reitzenstein 135, 1). Das elegische Fragment (PLG II 23) des Asios von Samos (o. Bd. II S. 1605) mit humoristischem Anstrich, hat erzählenden Charakter (Hochzeit des Meles, vgl. Welcker Götterl. III 47. Crusius Philol. LIV 727); es zeigt, wie man damals auch schon epischen Stoff in elegische Form zu bringen pflegte. – Gänzlich verschollen ist ein chalkidisches Elegienbuch, das noch in der Hellenistenzeit existiert haben wird, weil man sonst schwerlich die E. durch einen Chalkidier hätte ,erfinden‘ lassen. In dem Anhang der Theognidea steckt es nicht (s. u. S. 2274); eher [2268] II,2_1605.png könnte man die viel umstrittenen Verse Theogn. 891ff. und Verwandtes (οἴμοι ἀναλκείης · ἀπὸ μὲν Κήρινθος ὄλωλεν, Ληλάντου δ' ἀγαθὸν κείρεται οἰνόπεδον κτλ.) dahin beziehen, denn in solchen und ähnlichen Stellen redet offenbar ein Euboier, kein Fahrender, der als Gast nach Euboia kam, wie 784 (Theognis selbst nach Leutsch Philol. XXIX 679; dann würden wir dies κ in die Reihe seiner Vorbilder einzustellen haben). Diese chalkidische E. hat wohl sympotisch-erotischen Charakter gehabt; was man später (bei Athen. XIII und sonst) von den schönen Frauen und Knaben Euboias hört, mag zum Teil daher stammen. Ähnlich gestimmte melische Lieder kannte noch Aristoteles, Carm. pop. 44 p. 673 Bergk; sie werden in demselben Buch gestanden haben. Vielleicht erklärt sich so (von der euböischen Stadt) auch das Pseudonym Cērinthus bei Tibull-Sulpicia, das schon der Quantität wegen mit κέρας-Cornutus nichts zu tun haben kann. – Einen Elegiker Euenos von Paros (vgl. PLG II 269ff.) will Fick (Ilbergs Jahrb. I 560) ins 6. Jhdt. rücken, indem er ihm (mit Bergk) eine Reihe von Versen aus den Theognidea zuschreibt. Ficks Ausführungen zeigen, daß er sich über die Stasis der Frage nicht orientiert hat; vgl. zuletzt Reitzenstein 57f.

Der metrische und sprachliche Stil dieser Elegikergruppe ist im wesentlichen bestimmt durch das ionische Epos, das auch im einzelnen vielfach direkt kopiert wird. H. L. Ahrens (Kl. Schr. I 159, zu ergänzen durch die Arbeiten von Deuticke, Renner, H. W. Smyth, O. Hoffmann Dial. III) hat die Hauptgesichtspunkte endgültig festgelegt. Neuerdings hat vor allem A. Fick versucht, bei den älteren Elegikern die lokalen Idiome streng durchzuführen (Bezzenbergers Beitr. XI 246; Ilbergs Jahrb. I 504ff.). Das ist aber, ohne starke Künsteleien und Willkürlichkeiten nicht möglich. Gegen die Umformung der Texte in der Art Hartungs mag bei dieser Gelegenheit ausdrücklichst protestiert werden (so wird ὁππότε κεν δή in εὖ τέ μιν ἂν δὴ, αἱματόεντ' αἰδοῖα in αἱματόεντ' ἔνδινα verwandelt, Fick S. 508. 509). Aber soviel wird man Hoffmann (III 183f.) und Fick zugestehen müssen, daß der Einfluß der epischen Kunstsprache im Verhältnis zum dialektischen Element im Wachsen ist, und daß insbesondere Mimnermos epische Formen häufiger zuläßt als seine Vorgänger. Für Mimnennos ist das bezeichnend; die schwächlichtrübe Gegenwart bedeutet ihm weniger als die glanzvolle Vergangenheit, die sich in den Homerischen Dichtungen spiegelt. Die Verstechnik ist schon bei Archilochos völlig durchgebildet, auch in Bezug auf die korrekte Gestaltung der beiden Kola des Pentameters. In den umfänglicheren Stücken greift die syntaktische Periodenbildung oft über die Grenzen des Distichons hinaus (Archil. frg. 9 u. a.). Die Gedanken und Empfindungen entwickeln sich gern oder lösen sich gern ab in Satz und Gegensatz (μὲν – ἀλλὰ zweimal in wenigen Versen bei Archil. frg. 9, 1. 5. 7. 9; ähnlich Jugend – Alter, Mimnerm. frg. 1, 1–5. 2, 1. 5. 7. 9ff., Schema a b a 1 b 1, ähnlich Kallinos 1; Mimn. 5, 1–5 usw.), ähnlich wie später besonders bei Tibull, der mit den altionischen Elegikern eine gewisse Stilverwandtschaft hat. [2269]

III. Die Elegie bei den Doriern im Peloponnes.

Als Import aus der Fremde erscheint fast gleichzeitig mit ihrem ersten literarischen Auftreten in Asien die E. im dorischen Peloponnes. Die elegischen Partien des lakedaimonischen Militärliederbuches hielt man für Dichtungen des Tyrtaios, und noch wir erkennen in einer Reihe von markanten Fragmenten eine starke Helden- und Sängerpersönlichkeit. Tyrtaios ist ein Erbe des Kallinos; kriegerische und politische Paraenesen und Erzählungen aus der Landesgeschichte und Sage sind die Grundelemente seiner Dichtung, die in schwerer στάσις (Aristot. polit. V 6, 2) die Einheit und εὐνομία hergestellt haben sollte. Gelegentlich, in einem ihm abgesprochenen Fragmente, wird reichlicher Gebrauch gemacht von der Heldensage; so werden 12, 1ff. aufgezählt die Kyklopen, Boreas, Tithonos, Midas, Pelops, Adrast (vgl. auch Theogn. 113ff.); aber das ist kein rhethorisches Übermaß, sondern volkstümlicher Priamelton, wie an anderer Stelle nachgewiesen werden soll. Die vorausgesetzten militärischen Verhältnisse sind zum großen Teil höchst altertümlich, z. B. der Gebrauch des Schildes, 11, 21ff.; der grauenhafte Zug der Verstümmelung der αἰδοῖα (frg. 10, 25) findet bei Späteren nicht seinesgleichen, und wenn gerade solches Detail von Cobet und Fick (S. 509) wegkonjiziert ist, so kann man aus diesem Fehlgriff wenigstens folgern, wie singulär und befremdend es war. Es gehört zu den modernen philologischen Paradoxen, daß man diese Fragmente in Bausch und Bogen als Produkt des 5. Jhdts. (Verall Class. Review X 269. XI 185) einzuschätzen oder gar als Fälschung athenischer Lakonomanen (E. Schwartz Hermes XXXIV 928ff.) zu eliminieren versucht hat (dagegen u. a. E. Meyer Forsch. z. alten Gesch. II 544ff. und vor allen H. Weil Études sur l'antiquité Gr. 193ff.). Es läßt sich wahrscheinlich machen, daß Solon und Theognis die Tyrtaios-Elegien gekannt haben; insbesondere hat die später mit dem Stichwort Εὐνομία bezeichnete Gedichtgruppe dem Solon vorgelegen. Im Kem geht dies Elegien-Buch sicher auf den Sänger des 7. Jhdts. zurück. Aber es wuchs weiter, gerade weil es lebendig blieb, wie die Homerischen Dichtungen, die Hesiodea oder Theognidea: so drangen, wie noch wir nachweisen können, Doubletten und jüngere Elemente ein. Beobachtungen darüber zuletzt bei U. v. Wilamowitz Textgesch. d. gr. Lyriker, Abh. der Kgl. Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen N. F. IV 3, 1900, 112ff. In der Anlage des E.-Buches gestattet besonders das große Fragment 10 noch einen Einblick (wie wir das Iambenbuch des Semonides mit seinen je nach der Art und den Wünschen des Publikums zu gebrauchenden Doubletten aus dem meist fälsch beurteilten Frauenspiegel kennen lernen). Es ist eine alte Debatte, ob man 10, 1–14. 15ff. als Einheit auffassen solle, oder als zwei selbständige Dichtungen; v. Wilamowitz (a. a. O. 111) hat sich neuerdings sehr bestimmt für die zweite Annahme entschieden. Aber es ist klar, daß die beiden adhortationes (ähnlich wie jene Trimeter der Alten und Jungen) sich gegenseitig bedingen und aus derselben Situation herauswachsen. Wir haben also ein innerlich zusammengehöriges Elegienpaar vor uns, eine Gedichtgruppe, wie wir sie [2270] später bei Theognis oder Properz beobachten können. Auch hier die Entwicklung in Satz und Gegensatz; doch wird in 10I der Gegensatz, mit v. 3 anhebend, weiter ausgesponnen und das Positive syllogismenartig v. 13f. daraus entwickelt (+ a – A + a). 10II v. 15-20 lösen sich Vers um Vers Satz und Gegensatz ab, bis v. 20–27 der Gegensatz, v. 28ff. der Satz breiter ausgeführt wird; etwas freier frg. 11 (v. 10 benützt von Solon Ἀθ. πολ. 6 p. 19 Ken., während umgekehrt in v. 21 Archilochos frg. 58 benutzt scheint). In dem priamelartig redselig einsetzenden frg. 12 zeigt sich auch die bei Theognis und andern Spätern hervortretende Neigung, die Hauptgedanken nach einer belebten und im einzelnen ausgeführten Bilderreihe scheinbar überflüssig wieder aufzunehmen (v. 23 ὅς δ' αὗτ ... ὤλεσε θυμόν ... 27 τὸν δ' ὀλοφύρονται ... 33 ὅντιν' ... Ἄρης ὀλέσῃ. Schema a B a, ähnlich v. 8ff.). Mit Solon verglichen erscheinen diese lakonischen Elegien unpersönlicher, objektiver, wenn wir aus dem Erhaltenen einen Schluß ziehen dürfen. Es sind δαμώματα, wie die Gedichte des Stesichoros, keine persönlichen Konfessionen (was Reitzenstein Epigr. und Skol. 46ff. über die Anlage dieser Elegien vorträgt, scheint nicht zutreffend).

Daß die E. mit der Aulodik frühzeitig im Peloponnes Eingang gefunden hatte, erzählt die alte Musikgeschichte (Plutarch de mus. Philodem. de mus. p. 27, 16f.); Einzelheiten bei Hiller Rh. Mus. XXXI 85ff. Bergk PLG III p. 3ff. Flach Gesch. d. Lyr. I 157. 254ff. Mit der Flötenmusik drang hier auch der elegische Vers in die sakrale Hymnendichtung, deren Hauptmaß während der ersten Katastasis (in den Nomen Terpanders) der Hexameter geblieben war. Außer Echembrotos (o. S. 1912) kommt hier in Frage dessen älterer Landsmann Klonas (Plut. de mus. 5), Polymnestos aus Kolophon (PLG III p. 13, über seine erotisch-sympotischen Lieder s. Philol. XLVII 40), Sakadas von Argos (PLG III p. 103).[5] Ihre Dichtungen sind für uns verschollen (bei Athen. XIII 610 C folgt Bergk der Schlimmbesserung τῆς Σακάδα ... περσίδος, Hiller Rh. Mus. XXXI 88 und Kaibel lesen richtig Ἀγία). Aber einen Nachklang dieser sakralen Elegeia hat Th. Bergk mit großer Wahrscheinlichkeit in dem distichischen Pallashymnus des Kallimachos erkannt (Philol. Thesen II 31 = Kl. Schr. II 742; Gr. Lit.-Gesch. II 219, 55); er ist in einer altertümlichen Doris geschrieben (was Parthey Alex. Mus. 136* befremdet), und die Gliederung erinnert an die (durch Timotheos völlig gesicherte) Form des Terpandreischen Nomos (s. o. S. 1227f.): ἀρχὰ 1–12, μεταρχά 13–32; κατατροπά 33–42, μετακαταπροπά 43–56, ὀμφαλός (Mythus) 57–130, σφραγίς (nicht selbständig durchgebildet) 131–136, ἐπίλογος 137–142. So mögen auch andre sakrale Dichtungen der hellenistischen Elegiker (z. B. die σπονδοφόροι des Aratos; Weiteres bei [2271] Crusius Über die Nomosfrage, Verhandl. der Philologenversamml. Zürich 1887, 258ff.) an diese dorischen Kultelegien sich angeschlossen haben.

Das Kallimacheische Nachbild scheint die Vermutung nahezulegen, daß in den Nomoi der Auloden vielfach eine gemäßigte Doris angewandt wurde. Tyrtaios schließt sich in der Sprache und Verstechnik den ionischen Meistern an, läßt aber, darin dem Theognis vorarbeitend, einige metrisch bequeme Dorismen zu (δέσποτας, δημότας, u. a. richtig beurteilt auch von Fick Ilbergs Jahrb. I 508).

IV. Solon; Theognis und Zeitgenossen.

Solon vereinigt die Tendenzen des Tyrtaios und Mimnermos (frg. 20); eine Verbindung von Tüchtigkeit und Gedankentiefe mit heitrer Anmut macht ihn zum idealen Repräsentanten seines Volkes, dem er die bestimmende Form nicht nur seines Staates, sondern auch seiner Dichtung (die iambische Rhesis) gegeben hat. Unmittelbar praktischem Zweck dienten die politischen Elegien. Die Salamis ist aus einer bestimmten Situation heraus geschrieben und auf augenblickliche Wirkung berechnet, wie Kallinos 1; das große paränetische Fragment (4) erinnert an die Art des Tyrtaios und klingt kaum zufällig in einen Preis der Εὐνομία aus. Dazu kommen kleinere Stücke, in denen volkstümliche Spruchweisheit – wie wir sie aber schon bei Semonides und Mimnermos finden (falsch Flach 378) – ausgemünzt wird, und vor allem allerlei ins Epigrammatische hineinspielende Improvisationen, die sich an Freunde und Bekannte richten und oft einen briefartigen Charakter haben (frg. 19). Derartiges scheint es, von einigen verwandten Stücken bei Archilochos abgesehen, bei den älteren Elegikern nicht gegeben zu haben.

Die größeren Stücke zeigen in ihrer Anlage vielfach ähnliche Züge wie ihre Vorbilder. Fragment 4 ist auf Gegensätzen aufgebaut (κατὰ μὲν Δἰός – 5ff. αὐτοὶ δὲ [ähnlich frg. 11]; dann Schilderung der δυσνομία 12ff., Preis der εὐνομία 33–40). Hymnenartig beginnt frg. 13 mit Anruf und Bitten, aber über alles Maß hinaus wächst die Durchführung des Gegensatzes, die Schilderung der Habgier und Ate; ein Abschluß scheint zu fehlen. Volkstümlichen Klang hat die Charakterisierung der Berufsklassen v. 41ff.; dem Mann, der diese katalogartigen Verse schrieb, ist auch das schlicht-gnomische, alte Volksweisheit ausmünzende frg. 27 (vollständig) zuzutrauen.

Mit solchen Stücken berührt sich die altertümliche Gnomik des Phokylides von Milet. Sie griff in der Hauptsache auf die Form des Hexameters im Stil und zum Teil nach dem Vorbild der Hesiodischen Erga zurück; auch den alten Sprichwörterschatz scheint Phokylides (wie Hesiod) ausgebeutet zu haben (Michael Ephes. zu Aristot. Eth. Nic. V 1. Phocyl. 17 = Theogn. 145ff.). Das Distichon ist nur in den persönlicher gestimmten, epigrammatischen Neckversen nachweisbar, die zwischen ihm und Demodokos (Demod. 1. Phocyl. 1. Demod. 2) hin- und herflogen.

Xenophanes soll nach Diog. La. IX 20 κτίσιν Κολοφῶνος καὶ τὸν ἐς Ἐλέαν ἀποικισμόν geschrieben haben. Hiller (Rh. Mus. XXXIII 529) hat die Notiz dem Lobon zugewiesen und als Schwindel verdächtigt, Immisch (Philol. XLIX 208f.) [2272] sucht sie mit guten Gründen zu verteidigen und die Spuren dieser Jugend-E. in der Literatur nachzuweisen. Sie würde sich an die verwandten Dichtungen des Kallinos, Semonides, Mimnermos anschließen (frg. 3 trifft im Ton auffällig mit Asios frg. 13 p. 26 K. Athen. XII 525 zusammen). In einer sympotischen E. (frg. 1 p. 110 Bgk., ähnlich Phocyl. 11. Theogn. 46ff. Anacr. 94) und in dem wichtigen frg. 2 (vgl. Tyrt. 12. Heinze Philol. L 458) spricht der politisch-philosophische Reformator. Andere Stücke haben humoristisch-satirischen Ton, wie er in der älteren E. nicht nachweisbar ist; sie berühren sich eng mit den Sillen und Iamben (Wachsmuth Corpusc. poes. ep. ludib. II 63. Crusius Praef. Anthol. p. XXII; daß die Form der Archilochischen Epodoi im 6. Jhdt. nicht erstorben war, zeigt das neue Hipponaxfragment, S.-Ber. Akad. Berl. 1899, 857ff. und die verwandten Bildungen der ältesten attischen Komödie). Die Distichen der Kleobulina (Rätsel) und wohl auch die des Aisopos (Betrachtung) scheinen, wie die Scholien der Sieben Weisen, aus einem novellistischen Buche nach Art des βίος Ὁμήρου zu stammen, dessen älteste Redaktion in die Zeit zwischen Solon und Herodot fallen wird (Crusius Philol. LV 1. LII 204). Weder Kleobulina noch Aisopos sind literarische Größen.

Zahlreiche Nachklänge und Exzerpte aus den altem Elegikern finden sich, nur zum Teil sicher auszuscheiden, in dem alten Corpus Theognideum, dessen Grundstock aber die Liederbücher eines als Persönlichkeit wohl erkennbaren ritterlichen Dichters aus Megara bilden. Theognis geht von ähnlichen Voraussetzungen aus wie Solon, so himmelweit verschieden die Stimmungen und Tendenzen des schiffbrüchigen Konservativen von denen des attischen Reformators sein mögen (Einzelheiten im Artikel Theognis). Die in den maßgebenden Hss. vorliegende Sammlung (von der zunächst die Παιδικά v. 1231ff. zu scheiden sind) erweist sich (wie Bergk und Reitzenstein sahen) als ein in Attika abgeschlossenes Jugendliederbuch. Aber in den Umrissen deutlich erkennbar sind zwei megarische Gedichtbücher, beide durch Hymnen eingeleitet: I 1–756 (1–18 Hymnen an Apollon, Artemis, die Musen und Chariten, 19–26 Sphregis mit Namensnennung); II 757–1230 (757–782 Hymnen an Zeus, die Musen, Apollon als Erbauer von Megara); s. Crusius Praef. Anthol. lyr. p. XXXI. Zu einem endgiltigen Resultate über die Herkunft der einzelnen Elemente wird schwer zu kommen sein; immerhin ist schon jetzt, indem man einerseits das sicher Fremdartige ausschied, andrerseits Kriterien aus dem Stil, den Anschauungen und Voraussetzungen des Theognis festlegte, das Gebiet des Zweifelhaften erheblich eingeschränkt (das Wichtigste aus der neueren Literatur in der Praefatio zur Anthol. Lyrica p. XXVff.). Theognis gehört zweifellos ins festländische Megara; Beloch, der für das sicilische plädiert hat (Jahrb. f. Philol. CXXXVII 729, gegen einen wunderlichen Einfall Ungers Philol. XLIV 18), hat die entscheidenden Verse (549ff.) falsch interpretiert; von Kavallerietruppen, die früher in Sicilien aufkamen, ist in ihnen keine Rede, sondern vom Ausritt des Sprechers auf den Kampfplatz; so sehen wir Ritter als Hoplomachen und daneben Knappen mit dem Roß auf Vasenbildern [2273] aus Korinth und Umgegend (Roßbach Philol. LI 7ff. P. J. Meyer Rh. Mus. XXXVII 348). Wird uns die große Umwälzung im Zeitalter der ,Sieben Weisen‘ durch Solon repräsentiert, so ist Theognis der literarische Vorkämpfer einer Art von Gegenreformation, die auch in Attika nicht gefehlt hat. Der Kern des an erster Stelle stehenden Liederbuches, das Theognis als bekannter und anerkannter Dichter (v. 22ff.) seinem αΐτης Kyrnos widmete, ist eine Art ,Adelskatechismus‘; man könnte sagen, es weht in ihm die Luft eines feudalen Offizierskasinos. In den einleitenden Hymnen wird man vielleicht einen Nachklang jener elegischen Sakralpoesie erkennen dürfen, von der oben (S. 2270) die Rede gewesen ist; sie haben aber eine einfache dreiteilige Anlage; von Nomosform kann weder hier noch v. 133ff. (Leutsch Philol. XXIX 510. XXX 656; Philol. Anz. III 43) noch gar bei Solon (Philol. XXXI 151) die Rede sein. Dagegen ist es möglich, daß Theognis den Terminus technicus σφρηγίς, mit dem er v. 19–26 bezeichnet (die Auffassung von Hartung und Sitzler ist falsch), aus dem dorischen Nomosschema entlehnt hat. Sprachlich steht Theognis etwa auf dem Standpunkt des Tyrtaios. Stilistisch ist er kurzatmiger und herber als seine meisten Vorgänger; man wird (wie bei Semonides) vielfach an Hesiod erinnert. Immerhin gibt die stete Hinwendung zu dem jugendlichen Freund (man könnte das Buch ,Kyrnos‘ nennen, wie man von Mimnermos Nanno, Antimachos Lyde spricht) manchen Stellen einen wärmeren Ton, der sich gelegentlich (wie in den sicher echten, wahrscheinlich von Ennius gelesenen Versen 237ff.) ins Schwärmerische steigert; manche gar zu individuell gefärbte Einzelheit mag von den Umdichtern beseitigt sein. Ausführlichere episch-erzählende Stellen finden sich in zweifellos echten Gedichten nicht; die Heldensage wird selten, Fabel und Sprichwort öfter verwendet. Sehr glücklich ist 699 die Sisyphosfabel und Verwandtes, 1123-1129 die Odyssee im Sinne des Dichters benutzt; wenn die Verse nicht von Theognis selbst herrühren, haben sie einen Leidensgefährten, der auch dura fugae mala durchmachte, zum Verfasser. Sie vor allem zeigen, daß die Gabe, den Mythus im Sinne der elegischen Stimmung zu verwenden (o. S. 2267) auch in diesen Kreisen zu finden war. – Die grämlichen Dichtungen des Theognis wurden Liederbücher der attischen Jugend. Sie mögen zunächst durch die mit dorischer Art sympathisierenden Adelskreise eingeführt sein. Aber man las damals noch nicht philologisch; so behielt auch ein anders gestimmtes Publikum die Erbschaft bei und dachte und dichtete Widerstrebendes um im Sinne einer freieren Kultur. Mit der gleichen Freiheit schob man fremde Bestandteile, besonders aus Solon und den ionischen Elegikern ein, und nahm zahlreiche Einfälle dichtender Dilettanten auf, die sich meist als αὐτοσχεδιάσματα beim Symposion und Komos zu erkennen geben, wie viele Studentenlieder in unseren Kommersbüchern. Gute Einzelbemerkungen bei Reitzenstein 52–78, auch bei Lehrs Quaest. Epicae 230; in mancher Hinsicht verwandt sind die Anacreontea, bei denen nur freilich der alte Kern ganz zusammengeschrumpft ist, s. o. Bd. I S. 2044ff. [2274]

Wohin das angehängte sympotisch-erotische Buch (1231ff.) gehört, zeigt der einleitende Gebethymnus, der Theseus und Aias gilt. Es ist eine für die elegante Jugend Attikas bestimmte Sammlung von Ἐρωτικά (Stücke aus Solon, Mimnermos, Theognis und allerlei Improvisiertes und Anonymes), wohl noch des 5. Jhdts., ein vollständiges Seitenstück zu den ernsteren σχόλια Ἀττικά. Hiller (Jahrb. f. Philol. CXXΙΙI 470), Reitzenstein (a. O. 81ff.) u. A. haben diese Ansicht längst vertreten. Trotzdem wagt neuerdings A. Fick (Ilbergs Jahrb. I 511f.), die Sammlung als Erzeugnis alter chalkidischer Poesie anzusprechen und ins 6. Jhdt. zu setzen; er getraut sich dann gar, diesen ,alten Bestand der chalkidischen παιδικά‘, die in einer ,dialektisch reinen ionischen Sprache‘ abgefaßt und ,in vierzeilige Strophen gegliedert‘ waren, wiederherzustellen; mit dem Emendieren in diesem Sinne (θεός 1313 für θεά usw.) hat Fick auch schon angefangen. Es ist kaum zu befürchten, daß diese Abenteuerlichkeiten irgend jemand einleuchten werden; auf Polemik können wir also verzichten. Auch mit den vierzeiligen Strophen als Stammtypus ist es nichts. Aber allerdings besteht die Sammlung aus lauter ,Kurzliedern‘ (Maximum zwölf Verse), wie man sie bei den Symposien und κῶμοι brauchen konnte. Interessant ist die Verwendung der Atalantesage für die Liebeswerbung 1287ff. Manches erinnert, wie Reitzenstein richtig hervorhebt, an das galante Epigramm der Hellenisten.

So ist das Zeitalter der Perserkriege eine Blütezeit der elegischen Dichtung. Kein Wunder, daß Simonides der Meliker, wie Anakreon, die schlichte heimische Form gern anwendet (PLG III p. 424ff.). Das umstrittene frg. 85 bringt Betrachtungen über die Vergänglichkeit menschlichen Wesens, die aber in ihrer Tendenz (v. 11f.) noch ebensosehr an Mimnermos (frg. 2) erinnern, wie an Simonides, und die nach ihrer Schlußwendung sogar mit den συμποτικά verwandt zu sein scheinen, von denen frg. 86. 88 sichere Beispiele sind; es bleibt zu erwägen, ob der in den Theognidea 469 angeredete Simonides nicht doch unser Dichter ist (vgl. die poetische Ansprache des Solon an Mimnermos).[6] Aber auch das patriotische Pathos spricht sich bei Simonides in Distichen aus; vor allem aber wird er der Klassiker der distichischen Aufschrift, s. Reitzenstein Epigr. und Skolion 11 und unten u. d. W. Epigramm. Aischylos (PLG II 240) und Phrynichos (Anthol. Lyr. p. 124) benützen die elegische Form ähnlich. Die distichische Ilias des Karers Pigres beruht dagegen, wie die ganze Dichtertätigkeit des Mannes, höchstwahrscheinlich auf reiner Fiktion, s. Crusius Philol. LIV 735. 742. LVIII 577.

Anlage und Haltung der E. in dieser Zeit bleibt von den schöpferischen Meistern durchaus abhängig. Auch jene Eigentümlichkeiten, vielleicht Schwächen in der Gedankenführung (sie [2275] haben vielfach vorschnellen Textkritikern Anstoß gegeben), stellen sich wieder ein. Vgl. Theogn. 41–44. 53–68. 93–96 (εἴ τις ... νοσφιοθεὶς ... γλῶσσαν ἰῆσι κακὴν, τοιοῦτός τοὶ ... οὔτι μάλ' ἐσθλός, ὅς κ' εἴπῃ γλῶσοῃ κτλ., Schema a B a1; Ähnliches 101ff.); 174–180 (Schema a b a1 b1, v. 179ff., die Epanalepse von 175 ist nicht abzutrennen, wie Bergk tut); 183–196 (auch hier hat Bergk die Epanalepse 193f. falsch abgetrennt); 237ff. (237–240 Motiv a, 240–246 b, 247–252 a1, dann mit αὐτὰρ der Gegensatz, hastig abbrechend). Manche Stücke der Theognidea haben jenen briefartigen Charakter, den wir besonders bei Solon kennen lernten; die abenteuerliche Idee, daß man in solchen Stücken nomische Gliederung zu erkennen habe (Leutsch Philol. XXIX), braucht nicht mehr widerlegt zu werden; zurückgewiesen war sie u. a. von Crusius in den Verhandl. d. Philologenversammlung zu Zürich 1887.

V. Die Elegie während der Vorherrschaft der attischen Kultur.

Das Hervortreten des Dramas wie die Entwicklung der künstlerischen Prosa beschränkt den Spielraum für die Distichenform mehr und mehr. Es verbleibt ihr nur das Gebiet, auf das uns schon die attische Redaktion der Theognidea und ihr erotisch-sympotischer Anhang führte: das Privatleben und die Geselligkeit. Elegiker gibt es nicht mehr. Die elegische Dichtung ist durchaus ein Parergon, das (wie vielfach schon früher) Meliker und Tragiker, Philosophen und Staatsmänner betreiben. Bei aller Beschränkung wird der Stil der E. gesteigert und verfeinert; der Einfluß der höheren Lyrik und der Tragödie, bald auch sophistisch-rhetorischer Technik, macht sich im einzelnen fühlbar. Ein klassisches Beispiel dafür sind die sympotischen Elegien des Tragikers und Dithyrambikers Ion von Chios, PLG II 251ff., vor allem frg. 1 mit seiner kühn und glücklich, aber mit der Pedanterie des jugendlichen Kleist durchgeführten Bildlichkeit; v. 6ff. verfällt, wohl nicht ohne Humor, fast in die Manier des Griphos, der ja zu den Gelageunterhaltungen gehörte. Frg. 2 vergegenwärtigt aufs lebendigste eine Situation aus dem Wanderleben des Sängers, wie etwa die berühmte Erzählung von dem Symposion mit Sophokles in den Ἐπιδημίαι (vgl. auch Theogn. 540ff.). Andere Fragmente (4 Pherekydes, 6 κτίσις von Chios) erinnern an Xenophanes.

Von diesen sympotischen Elegien sind wohl die mit den verwegensten Bildern nach Art des Griphos spielenden Verse des Dionysios Chalkus angeregt (Crusius oben S. 926): humoristische παίγνια eines Dilettanten, die, stellenweis doch wohl absichtlich, halb parodisch wirken.

Mit Euenos (s. d. PLG II 269ff. Reitzenstein Epigramm und Skolion 58) hält Stil und Denkweise neumodischer Sophistik ihren Einzug; ähnlich Astydamas PLG II 326 u. a.

Bedeutsamer scheinen die geistesverwandten (vgl. frg. 6. Euen. 1, 6) Elegien des Kritias gewesen zu sein. Frg. 1 gibt einen gradlinigen schlichten Katalog von εὐρήματα in Hesiodischer Art (dahinein gehört wohl auch Mall. Theodor. p. 537); frg. 2 schildert lakonische Sitte (vgl. Philostr. vit. soph. I 16) und gibt αἴτια und Herkunft der herrschenden Gelagebräuche an. Nach Stil und Inhalt ist hier ein Vorspiel der gelehrten [2276] E. der Hellenisten zu erkennen. Ebenso leitet der Preis des Anakreon (allerdings in Hexametern), nach Bergk ein Stück aus poetischen vitae poetarum, die literarhistorische Dichtung (Alexander Aitolos, Hermesianax usw.) ein.

Von zweifelhafter Gewähr sind die Distichen, in denen Sokrates kurz vor seinem Tode Aesopeische Fabeln (von der Königswahl der Tiere) wiedererzählt haben soll (PLG II 287, beanstandet schon von Grauert, s. Crusius Praef. Anthol. p. XXXIX).

Die Elegien des Krates an die Musen und Eutelia haben Hymnenstil; sie wirken parodisch und humorstisch (wie ja die Reihe der griechischen Humoristen, die der römischen Satire vorarbeiten, mit ihm beginnt), lassen aber voraussetzen, daß auch bei solchen feierlichen Stoffen (s. o. S. 2270) die elegische Form nicht abgekommen war. Das bestätigen die altertümlichen Klagedistichen in Euripides Andromache 103, über die oben S. 2265 gehandelt ist, und manche andere kleinere Fragmente (Dionysios der Jüngere u. a., PLG II 324ff.) aus dieser Zeit, sowie die gemessenen, den Ton eines Enkomions anschlagenden Verse des Aristoteles an Eudemos (PLG II 336), denen das an die patriotischen Elegien des Simonides erinnernde Fragment des ἐλεγειοποιός Kleon aus Sicilien (PLG II 363) zeitlich nahe steht (man hat in diesem Kleon den bei Curtius VIII 15 erwähnten κόλαξ Alexanders zu erkennen, oben Bd. III S. 2362; Glossematisches, wie νέποδες, findet sich auch bei Antimachos und Älteren).

Der letzte große Meister der klassischen Zeit, abschließend und anbahnend zugleich, ist Antimachos von Kolophon (s. o. Bd. I S. 2434ff., wo aber die wichtige Stelle aus den Prolegomena zu Dionysios Periegetes, Rh. Mus. XXIX 82, hätte verwertet werden sollen). Antimachos knüpft unverkennbar an die erotische E. seines Landsmannes Mimnermos an. Aber er macht zugleich den nur halb gelungenen Versuch, das große Epos wieder zu beleben (im Anschluß an ihn Apollonios Rhodios und Verwandte): kein Wunder, daß er die elegische Stimmung, die der Tod seiner Geliebten Lyde bei ihm erregt, in den Gestalten und Bildern der Sage objektiviert (Plut. consol. Apoll. 9). So entstand das wunderliche Trauer- und Trostgedicht (παραμύθιον τῆς λύπης) Lyde. Ähnliches finden wir vereinzelt schon bei Mimnermos und in den Theognidea. Aber zum Prinzip erhoben wird diese Verwertung des Mythos erst hier, um dann bei den Hellenisten erst recht fruchtbar zu werden. Ebenso hat die peinliche Ausarbeitung des Details (Plut. de garrul. 21), die Vorliebe für Episoden, die Glossematisches und Metaphorisches häufende Diktion (Prokl. z. Tim. 20) den Stil der Alexandriner vorbereitet. Aber Antimachos ließ es, wie das den Vorkämpfern neuer Kunstprinzipien zu geschehen pflegt, vielfach am rechten Maß und Geschmack in diesen Dingen fehlen: so wenden sich gerade in der nächsten Generation seine Schüler (Kallim. frg. 74 e. Catull 95 usw.) zum Teil wider ihn, während andere Hellenisten ihn neben Homer und Mimnermos stellen (Bethe o. Bd. I S. 2435). Antimachos ist der einzig klassische Meister der mittleren E., wie man diese Übergangsperiode wohl bezeichnen könnte. Es zeugt von Sicherheit und [2277] Feinheit des ästhetischen Urteils, daß Platon die Bedeutung des Dichters frühzeitig erkannt hat.

VI. Charakter der hellenistischen Elegie.

Mittel und Methode der Rekonstruktion. Literarischer Apparat (mit Auswahl): Meineke Analecta Alexandrina. Hartung Die gr. Elegiker II. Bergk Anthologia lyrica ed. II 1868 (noch nicht ersetzt). Bahnbrechend: C. Dilthey De Callimachi Cydippa (1863) und Analecta Callimachea (1865). Zusammenfassend: E. Rohde Der griech. Roman und seine Vorläufer (1876) 59ff. 116ff. Couat La poésie Alexandrine 59ff. Feine Detailarbeit bei Mallet Quaestiones Propertianae. Knaack Analecta Alexandrino-Romana; Quaesitones Phaethonteae 23ff. E. Maass Analecta Eratosthenica. Fr. Leo Gött. gel. Anz. 1898, 720ff. Susemihl Lit. d. Alexandrinerzeit I 174ff. (mit Beiträgen von Knaack und andern).

Das poetische Lieblingsinstrument der hellenistischen Gesellschaft, wie sie sich nach dem Zusammenbruch der griechischen Polis in Alexandreia und in andern Mittelpunkten der neuen Monarchien bildete, war die E. mit ihrer Spielform, dem Epigramm (s. d.). Eine volle Erledigung der Probleme wäre überhaupt nur möglich, wenn wir die Geschichte des hellenistischen Epigramms mit in unsere Betrachtung zögen, was freilich aus praktischen Gründen hier unmöglich ist (s. Art. Epigramm von Reitzenstein). Doch muß hier festgestellt werden, daß gerade die gnomischen und lyrischen (erotisch-sympotischen) Vorwürfe, wie wir sie bei den ionischen Meistern, bei Theognis und den Attikern, kennen gelernt haben, ein Hauptstoff jener Kurzelegien sind, die man in der Hellenistenzeit ohne feste Scheidung ἐπιγράμματα (auch ἐκλογαί, εἰδύλλια) zu nennen pflegte (einiges bei Reitzenstein Epigramm und Skolion, der einen richtigen Gedanken freilich einseitig übertrieben hat, s. Crusius Lit. Centralbl. 1894, 724f.). Diese Pseudoepigramme geben vor allem den römischen Elegikern Anregung, die oft nachweislich hellenistische Miniaturarbeit einfach in ihrer breiteren rhetorischen Technik nachbilden (Dilthey, Rohde, Mallet u. a.). S. u. S. 2289ff.

Bestimmend für den Charakter der elegischen Dichtung ist die Art und Tendenz der neuen Kultur. Von tätiger Beteiligung an politischen und militärischen Dingen, wie sie der Stadtstaat erlaubt und gefordert hat, ist der ἰδιώτης ausgeschlossen. Der Künstler sieht sich hingewiesen einesteils auf die Anforderungen des Hofes, andernteils auf das Privatleben und die eigenen Neigungen und Talente. Die Wissenschaft gewinnt die Führung im Geistesleben der hellenistischen Welt. Man lernt das große literarische und künstlerische Erbe der Vergangenheit als etwas Anders- und Eigenartiges schätzen und genießen: man lernt lesen. Die Philologie wirkt bestimmend auf Schule und Bildung; die Philosophie befördert die grüblerische Betrachtung des Seelenlebens wie der menschlichen Verhältnisse und vollendet die Emanzipation der Persönlichkeit. Die oberen Kreise trennen sich wirtschaftlich und geistig mehr und mehr vom Volke, dessen Art und Stil die Gebildeten und Gelehrten als etwas Fremdes, Gegensätzliches empfinden und beobachten. In der höfischen Gesellschaft beginnt die Frau eine Rolle [2278] zu spielen, wie sie ihr in der Polis versagt war. Es hebt die ,Feminisierung‘ der Kunst und Literatur an, unter deren Zeichen noch wir stehen. Auf künstlerischem Gebiete resultieren aus diesen Voraussetzungen die verschiedensten, zum Teil scheinbar sich befehdenden Tendenzen: von dem neuerwachenden Sinn wissenschaftlicher Beobachtung getragen der künstlerische Naturalismus, der sich gern der Darstellung des Kleinen und Unscheinbaren zuwendet (Herondas, einzelnes bei Theokrit, Kallimachos, in der Komödie); im Gegensatz dazu von dem Geist der vornehmen Gesellschaft inspiriert eine galant gestimmte sentimentale Romantik, die auch von dem psychologischen Räsonnement der Philosophen zu lernen weiß (Rohde Griech. Roman 57ff.). Als Gegenchoc gegen die raffinierte Überfeinerung Vorliebe für das Volkstümliche und Altertümliche, der Primitivismus (die Bukolik, Eindringen der Lokalsage und des Märchens) und Archaismus (Kallimachos Hymnen und die Repristination vergangener literarischer Formen bei Kallimachos, Theokrit usw.). Wir würden festzustellen haben, wie weit sich diese allgemeinen Züge in der hellenistischen E. aussprechen. Aber Abschließendes und Sicheres ist hier nicht zu geben, da das Material gar zu fragmentarisch ist und die Herstellungsarbeit bislang nur auf einzelnen Punkten durchgeführt werden konnte. Aber der dabei eingeschlagene Weg scheint der richtige. Mit den wenig zahlreichen Originalfragmenten der Hellenisten verbindet man die verwandten Elemente aus den römischen Dichtern, besonders Catull, den Elegikern, Virgil, Ovid, den sog. poetae minores, Claudian (z. B. de consol. Stilich. III 470 = Alex. Aetol. p. 238 M.), sowie aus den spätem Griechen, wie der Anthologie (Dilthey De Callim. Cyd. 101f.; Anal. 33 usw. Knaack passim), Nonnos (s. Köhler Über die Dionys. 13. 40 [Kallim.]. 22. 36 [Euphor.]. Rohde Rom. 94, 1. 131ff. [Parthenios]), Quintus Smyrnaeus (Rohde 110, 5), Aristaenet (C. Dilthey De Callim. Cyd.), den Romandichtern (s. Rohdes Roman und neuerdings z. B. Dietze Phil. LIX 139ff.). Zumal wo die Römer und die Griechen der Kaiserzeit übereinstimmen, darf man einen Hellenisten als gemeinschaftliche Vorlage annehmen (z. B. Quint. Smyrn. III 551 + Prop. II 9, 9; Ovid. Heroid. 17 + Musaeus Hero; Catull 64, 151 + Nonn. Dion. XLVII 392 usw.; Apuleius und die griechischen Romanschriftsteller, s. Dietze a. O.; daß Eryc. Anth. Pal. VI 96 Ἀρκάδες ἀμφότεροι aus Virgil ecl. VII 1 entlehnt sei, bleibt unsicher trotz Knaack Herm. XXV 89). Ferner sind die hellenistisch-römischen Bildwerke, zumal in Pompeii und Herculaneum, eine ergiebige Quelle; sie bewegen sich vorwiegend in den Mythenkreisen, die die alexandrinische Poesie behandelt hat, und sind mit ihr auch dem Geiste nach verwandt (in ihrer Bevorzugung des Sentimentalen und Erotischen, des Idyllischen und Genrehaften). Die Haupttatsachen in richtiger Beleuchtung bei W. Helbig Untersuchungen über die Campanische Wandmalerei, Lpz. 1873. Bahnbrechend für die richtige Beurteilung der E. bei den Hellenisten waren die ausgezeichneten Arbeiten von C. Dilthey; die erste Darstellung nach den richtigen Maßstäben gab E. Rohde (s. Crusius Erwin Rohde 79f.).

VII. Philetas von Kos und seine Zeitgenossen. [2279]

Als Archeget der neuen E. (die chronologisch etwa am selben Punkte einsetzt, wie die neue Komödie, mit der sie sich nach Leos Beobachtungen vielfach berührt) galt schon den Alten Philetas von Kos, der als Günstling des ersten Ptolemaios und Lehrer seines Sohnes in Alexandrien und Kos in den ersten Jahrzehnten des 3. Jhdts. tätig war. Er war Gelehrter, Philosoph und wortforschender Philologe, vor allem Homeriker; neben der elegischen Form benützte er bei der Behandlung kleiner epischer Stoffe, in denen er die erotischen Züge unterstrichen zu haben scheint, den Hexameter (Parthen. 2 erinnert in charakteristischem Detail an Verg. Aen. IV 507). In der distichischen Δημήτηρ war wohl die Legende vom Koreraube paramythetisch erzählt, wie die Sagen in der Lyde, die Galateasagen und der Hylas bei Theokrit: wie uns denn diese kleinen Theokriteischen Dichtungen wohl eher den Stil der Sagen-E. vergegenwärtigen, als den des Epyllions. Die Elegienbücher waren seiner Geliebten Bittis (nicht Battis) gewidmet (verwandte Namen bei Herondas und auf den koischen Steinen); sie knüpfen (Ovid. ars am. III 329; rem. 759) an Antimachos und Mimnermos an; doch treten in den spärlichen Fragmenten neben die legendarischen Elemente (αἴτια u. ä.) idyllische und genrehafte Züge, die an Theokrit erinnern (Bergk Anth. frg. 16ff.); daß sie eine im wesentlichen lyrisch-subjektive Haltung hatten, scheint auch aus der Charakteristik bei Hermesianax Athen. XIII 598 F hervorzugehen. Sprache und Stil wirkt schlichter und natürlicher, als bei den späteren Alexandrinern, wenngleich Hermesianax auf das glossographische Element seiner λαλιή hinzuweisen scheint. Weiteres läßt sich über die Bittis-Elegien nicht sagen.[7] Problematische Einzelfragen (Maass De tribus Philetae carminibus p. XI, s. Reitzenstein Herm. XXXI 196. Rothstein zu Prop. II 34, 31 Anhang S. 358) gehören in den Sonderartikel.

Auch in den sog. Epigrammen wird früh der bukolische Ton angeschlagen. Vor allem aber finden wir eine elegisch-idyllische Stimmung, die wohl an Philetas erinnern kann, in dem merkwürdigen Elegienfragment, das Grenfell und Hunt (Oxyrhynchos Papyri I 37) herausgegeben haben, 20 Zeilen, denen aber offenbar der Abschluß mangelt. ,Töricht waren die Sterblichen, wie Glaukos, als sie das Leben der Naturmenschen mit dem Mühsal der Zivilisation vertauschten. Wie selig die Zeit, da man noch keine Axt, noch keine Hacke schwang, da man noch nicht zu säen brauchte und die Fluren, Νείλου δῶρα κυθηγενέος, noch nicht umpflügte‘. Die Verse, die H. Weil (Etudes de littérature 26ff.) gut hergestellt und richtig eingeschätzt hat, erinnern lebhaft an ähnliche τόποι bei Ovid, Virgil und Tibull (I 3, 35ff. I 10, für die Νείλου δῶρα vgl. Hekat. frg. 279. Herod. II 5, für κυθηγενής Tibull I 7, 23f.; der Vergleich mit Glaukos weist auf das goldene und eherne Zeitalter, die hier genau wie bei Tibull I 3, 35 unmittelbar nebeneinandergestellt werden). Sie allein genügen, [2280] um zu beweisen, daß ,tibullische‘ Stimmungen der alexandrinischen E. nicht fremd waren, und daß Gruppe (Die röm. Eleg. 402f.) das Verhältnis zwischen Römern und Alexandrinern falsch auffaßte. Noch sicherer fixierbar ist ein elegisches Bruchstück in den Flinders Petrie Papyri II S. 157, über das die Ansicht des Verfassers im Philologus LIII 12 angedeutet ist. Daß es hellenistisch ist, scheint klar; an Kallimachos mag Mahaffy aus allgemeinen Erwägungen (Zeit des Mumiendeckels usw.) nicht denken, und charakteristische Eigentümlichkeiten des kallimacheischen Stils wird man in den (freilich recht spärlichen) Resten nicht nachweisen können. Jedenfalls gehört aber das Gedicht in frühhellenistische Zeit, in die Umgebung des Philetas. Plan und Zusammenhang lassen sich (wie demnächst in den Münchner Akademieberichten genauer ausgeführt werden soll) immerhin noch im Umriß erkennen. Es beginnt mit einem Anruf (παιδὸς ύπερ] ζώης δ' ἴσχετε χεῖρας [ἀεί), dann folgt eine umfängliche mythologische Partie (7–20); der Schluß ist völlig verstümmelt, aber soviel ist wohl klar, daß es sich um eine Hochzeit handelt. Das Fragment scheint, in seiner Gebet- oder hymnenartigen Anlage, eine Analogie zu den Tibullischen (und Properzischen) Festgedichten zu bieten, wenn es auch knapper gehalten ist. Bedeutsam ist es, daß auf der Rückseite des Blattes, das dies zweifellos ,elegisch‘ stilisierte Fragment enthält, kurze Epigramme verschiedener Poeten stehen; diese Stücke waren, wie es scheint, in einer Anthologie vereinigt.[8]

Während in den besprochenen Fällen das subjektive Element, in der Art der älteren Ionier und der Theognidea, klar zu Tage tritt, dient in andern Dichtungen das Distichon der Gestaltung sagenhaften und gelehrten Stoffes. Von Simmias existierte ein Festkalender (Μῆνες, Steph. Byz. s. Ἀμύκλας) in Distichen (zweifelhaft ist die E. Gorgo, s. Rohde in der 2. Auflage des griech. Romans S. 87); daneben steht Hedylos mit einer an Theokrits Kyklopenidyll erinnernden elegischen Erzählung von Glaukos und Skylla (Athen. VII 297 B). Auch die Ἀραί der Moiro von Byzanz, der Frau des Andromachos φιλόλογος, ein Vorspiel von Kallimachos (Ovids) Ibis, in dem subjektives Pathos in der Sage sein Bild sucht, werden distichische Form gehabt haben. Ziemlich vereinzelt stehen in dieser Zeit die elegischen ἰνδαλμοί des Sillographen Timon (Wachsmuth Corpusc. p. 21ff.) mit ihrer etwa an Eudemos oder Xenophanes erinnernden beschaulichen Haltung (Susemihl I 113). Die meisten Dichter und Dichterinnen dieser ältesten Generation – Asklepiades, Poseidippos, Anyte, Nossis, Hedylos – beschränkten sich aber allem Anschein nach auf die Dichtung jener ,Kurzelegien‘, die man Epigramme nennt; näheres bei Reitzenstein in dem Art. Epigramm. Obgleich sich in dieser [2281] Generation (± 300) die persönlichen Beziehungen, trotz aller Griphos- und Kombinationsspiele, nur in sehr bescheidenem Umfange feststellen lassen, wird man doch sagen dürfen, daß Philetas die leitende Persönlichkeit blieb, vor allem als Lehrer und Anreger, wie später Valerius Cato. Sein Ruf hat wohl auch in Kos jene aus allen Himmelsgegenden zugereiste Poeten- und Gelehrtengesellschaft zusammengeführt, die wir besonders durch Herondas und Theokrit kennen lernen. Als eine wichtige literargeschichtliche Urkunde wird sich zumal der ,Traum‘ des Herondas (VIII) bewähren, wenn die Herstellung bei Crusius Herond.4 75 das Richtige trifft; v. 62 (ὑπὲρ γῆς) scheint auf das Auftreten des koischen Dichters in Alexandreia zu gehen; die Traumerlebnisse (τὤναρ VIII 66, auch VIII 14 herzustellen) spiegeln durchweg die literarischen Verhältnisse von Kos und Alexandrien, wie das ganze Gedicht ein scurriles Gegenbild der somnia Callimachi ist.

VIII. Hermesianax und seine Nachfolger. Archaisierende Dichtung im Stil der Hesiodischen Kataloge.

Wenn Antimachos sich mit alten Liebessagen tröstet und Moiro Beispiele zauberhaft wirkender ἀραί aus dem griechischen Mythenschatz zusammenreihte, so haben wir hier schon die Erscheinung des Legendencyklus, der durch das subjektive Band einer Stimmung oder eines Glaubens zusammengehalten wird. Eine wirkliche Anschauung war bei dem Stand der Überlieferung bisher nicht zu gewinnen. Besser steht es um die Elegien des Hermesianax. Hermesianax aus Kolophon, also Landsmann des Mimnermos Xenophanes Antimachos, richtete drei Bücher Elegien an seine Geliebte Leontion (die man ebensowenig als eine erdichtete Person anzusehen hat, wie Lyde, trotz Couat 81). Es ist eine Art triomfo dell’ Amore (Ovid. am. I 2, 30. Rohde Roman 108f.), in dem der Dichter Götter und Dämonen (I), Helden und Königstöchter (II), Seher, Sänger und Weise von Orpheus und Homer bis herab auf Philetas und Aristipos (III, Athen. XIII 597) vor seiner Geliebten (die wiederholt angeredet wird) vorüberziehen läßt, um sich endlich selbst anzuschließen. Unverkennbar sind die Beziehungen zu Mimnermos und Antimachos (v. 35–48, s. Kaibel Herm. XXII 510). Aber in der gradlinigen, katalogartigen Anlage folgt Hermesianax vielmehr direkt dem Vorgang von Hesiods Eoeen (οἵην μὲν 1 – οἰὴ μὲν 85 und andere typische Eingangsformeln, wie φημὶ δὲ usw.). Der Ton ist schlicht, wie ein urkundliches Referat, die Darstellung knapp (in den fünfzehn kontrollierbaren Beispielen beträgt das Minimum vier, das Maximum vierzehn Verse). Ebenso zeigt der Versbau bei entschiedener Bevorzugung des daktylischen Elements eine auffällige Uniformität (z. B. von 47 Pentametern haben 26 Adjektiv und Nomen am Ende der beiden Kola). Es handelt sich hier um spielenden, halb parodisch wirkenden Archaismus, nicht um Ungeschick. Das zeigt am besten der Inhalt: mit ganz harmloser Miene läßt der Dichter in der Zeit der aufblühenden philologischen Studien Hesiod den Weiberfeind die Eoee lieben, Homer die Penelope, Alkaios die Sappho usw. Wie über Ovids Ars amandi, so ist über das Ganze – das ebensowenig naiv genommen sein will, wie manche Märchen und [2282] Legenden unserer Romantiker – eine leise Ironie, ein schalkhafter Humor ausgegossen. Daß die modernen Philologen das nicht gefühlt haben, sondern einesteils die literargeschichtlichen Paradoxa des Hermesianax ernst nehmen (Beloch, s. Crusius Philol. LV 5ff.), andernteils die Katalogform als ,pueril‘, den bewußt altmodigen Ausdruck als ,trocken und ermüdend‘ tadeln (Bergk Kl. Schr. II 158. Couat 91. Susemihl I 186) – das ist lediglich ein Beweis dafür, wie schwer es ist, solche verschollenen Poesien einigermaßen nachzuempfinden. Eher könnte ein solcher Tadel die Namenreihen im Epitaphios Bions 86ff. oder bei Ovid Trist. II 363ff. treffen.[9]

Mit der Leontion der äußeren Form nach (auch in der Behandlung des Pentameters) verwandt sind des Phanokles Ἔρωτες ἢ καλοί (Susemihl I 190), schwermütige Legenden, gleichfalls nach hesiodischer Art durch ein schlichtes ἢ ὡς aneinandergereiht;[10] sie verraten jenes Suchen nach poetischen αἴτια (s. o. S. 2279), das für die alexandrinische Poesie mehr und mehr charakteristisch wird. Die Darstellung des Phanokles fließt breiter und ruhiger dahin; von parodischem Humor ist bei ihm nichts zu spüren, ebensowenig wie in den spärlichen Resten andrer Katalogdichter, wie Nikainetos von Samos (κατάλογος γυναικῶν) und Sosikrates von Phanagoria (Ἠοῖοι, Athen. XIII 590 B), s. Rohde Rom. 131. Völlig verschollen sind Theokrits Ἠρωῖναι, vielleicht eine Dichtung im τρόπος Ἡσιόδειος, sicher nicht mit der Megara identisch und schwerlich den dithyrambischen Hymnus der Λῆναὶ umfassend, wie man neuerdings vermutet hat. Daß auch Antimachos und gar Mimnermos die Katalogform angewandt hätten, ist eine unbeweisbare Vermutung von Skutsch Aus Virgils Frühzeit 53.

IX. Erotische Erzählung und literarische Plauderei; Alexander Aitolos.

Eine persönliche Stimmung sucht bei Hermesianax und seinen Nebenleuten Ausdruck im mythischen Stoff. Bei andern verschiebt sich der Ausgangspunkt: es entsteht das schon von Kallinos und Mimnermos vorbereitete ,elegische Epos‘. Der mythische Vorwurf wird Selbstzweck; er erfährt aber eine andere Behandlung als im alten Epos; er wird, den Grundsätzen der neuen Schule entsprechend, auf einen möglichst knappen Umfang zusammengedrängt, indem (nach dem Vorgange der höheren Lyrik) nur die wirkungsvollsten Szenen ausführlich dargestellt und die sentimentalen und erotischen Züge mit großer Eindringlichkeit zur Geltung gebracht werden. Die gewohnten Pfade der Heldensage werden meist verlassen; wie sich das gelehrte Interesse den Sitten und Bräuchen, den Legenden und Märchen des Volkes zuwandte (Dilthey De Call. Cyd. 119), so begann jetzt auch die Dichtung diese noch unverbrauchten Schätze neu zu münzen. Das Distichon ist für diese doch immer eine leichte persönliche Färbung tragenden Erzählungen eine angemessene Form.

Alexandros von Aitolien (s. Knaack Bd. I S. 1447), [2283] vielerprobt als Bibliothekar in Alexandrien wie als Epen-, Couplet- und Tragödiendichter, schrieb ein elegisches Gedicht Ἀπόλλων, in dem der Gott Liebesgeschichten in der Form der Weissagung erzählt. Die ,schwerfällige‘ Form, die alles in die Zukunft projiziert, wird mit Absicht gewählt und als Reiz empfunden; Lykophron, Catull. 65, 340, Kallimachos hymn. V 110 und andere sind dem Alexander gefolgt. Das erhaltene große Fragment ist eine fabella Milesia; es führt nach Milet und hat novellistischen Zuschnitt. Die Vermutung liegt nahe, daß der Gott der Branchiden spricht, wie bei Apuleius metam. II 33. Hervorzuheben ist die hellenistische Vorliebe für erzählende Episoden (v. 7ff.). Die Darstellung konzentriert sich auf die Katastrophe (v. 15ff.), die Sprache ist schlicht und angemessen, ganz entgegengesetzt dem glossematischen Übermaß bei Lykophron (unrichtig Knaack o. Bd. I S. 1447, 55). Neben Ἀπόλλων stehen die elegischen Μοῦσαι (Macrob. V 22, 4), in denen der Vielgewandte die Dichtung zum Gegenstand der Dichtung machte, wie schon Kritias; auch in andern Formen behandelt er ähnliche Vorwürfe (wenn er bei der Schilderung des Euripides, Gell. XV 20, Anapäste anwendet, benützt er archaisierend ein Maß der alten literarhistorischen Komödie, wie die zahlreichen Epigramme ähnlichen Inhalts, von Theokrit, Kallimachos u. a., die Formen der Iambographen usw. wieder aufnehmen).

Nach dem Zeugnis Alexanders wandte auch der wenig ältere Parode und Mime Boiotos (Knaack Bd. III S. 666) die Elegienform an (Μίμνερμου δ' εἰς ἔπος ἄκρον ἰών). Man mußte nach seiner ganzen Art (Crusius Unters. zu Herondas 50) voraussetzen, daß er realistische Lebensbilder gab, unter dem Einfluß des Mimos, der Komödie, der Hilarodie. Das wäre eine neue Stilart der E., mit der vor allem zahlreiche ,Epigramme‘ der Hellenistenzeit verwandt wären. Leider sind Fragmente nicht vorhanden. Aber manche Übereinstimmungen der römischen Elegiker mit der Komödie, Herondas, der Mimendichtung (Crusius Unters. 21f.; Herondas4 p. 116ff. Leo Plautin. Forschungen 127ff.) führen auf dasselbe Postulat. Es muß hellenistische Elegien gegeben haben, welche die Liebe nicht in jenem sentimentalen und galanten Ton schilderten, den Dilthey und Rohde als Normalstimmung der hellenistischen Erotik und der griechischen Romane erwiesen haben, sondern die der nüchternen und scharfen Art des Mimos und der mimisch-skoptischen Epigramme näher standen. Meist scheinen die Hellenisten freilich für diese Stimmung mit richtigem Takt die knappere Form des epigrammatischen Paignions gewählt zu haben; die Hetären- und Kupplerelegien der Römer (seit Lucilius) lassen sich, soweit sie auf griechische Vorlagen zurückweisen, vielfach als erweiternde Paraphrasen solcher ἐπιγράμματα verstehen. Die Grenze zwischen dem Begriff Epigramm und E. blieb eben, wie wir oben dargelegt haben, immer flüssig.

X. Die Blüte der hellenistischen Elegie. Kallimachos, seine Schüler und Nachfolger.

Während Theokrit der einzige hellenistische Poet ist, der bis in unsere Zeit hinein lebendig weiter wirkte, ist der Vollender und theoretische Führer der alexandrinischen [2284] Poesie nach den Anschauungen der Alten Kallimachos. Er legt, wie C. Dilthey und E. Rohde (Gr. Rom. 22f.) entwickelt haben, das künstlerische Programm fest: keine großen Heldengesänge (Hymn. II 107; frg. 359. 427. 490. 287. 481. Theocr. VII 45) und ausgefahrenen Wege (Epigr. 28; frg. 293, vgl. Prop. IV 1, 14), sondern neue, dem eigenen Empfinden entgegenkommende Stoffe und fein gefeilte μελύδρια von leicht übersehbarem Umfang. Das praktische Experiment zur Bewährung seiner Theorien machte er vor allem in dem Epyllion Hekale (feine Detailmalerei bei der Schilderung des Morgens auf dem Lande in dem Wiener Fragment) und in dem Elegienkranz der Αἴτια (vier Bücher, s. neuerdings den πίναξ bei Reitzenstein Herm. XXVI 307). In einem den Eingangshymnen der Erga nachgebildeten Prooimion erzählte der Dichter, wie er im Traum nach Pierien entrückt sei (Rohde Rom. 92): die Musen selbst erschienen ihm und gaben ihm ihre Weisungen. Möglich, daß, außer dieser Ouvertüre, auch zu den einzelnen Abschnitten (Büchern?) Vorspiele existierten, wie bei Properz, Ovid und in den peripatetischen Dialogen; wenigstens erklärt sich so am bequemsten frg. 331; man könnte an die vier Musen gewisser Mythographen denken. An der Rekonstruktion des ersten Buches hat sich neuerdings Eugen Dittrich versucht (Callim. aet. lib. I 1896). Eine wirkliche Anschauung haben wir, dank Dilthey und Rohde, von der dem dritten Buch angehörigen, im ganzen spätem Altertum nachwirkenden Liebeslegende von Akontios und Kydippe: ein einfacher Konflikt mit novellistischer Lösung, in zierlichem, gesucht einfachem Ton vorgetragen. Die aitiologische Tendenz (Erklärung des μήλοις βάλλειν) tritt hier wohl mehr zurück, als in andern Abschnitten des Werkes, das die verschiedenartigsten Ortssagen Malzeichen, Bräuche und Einrichtungen der Vergangenheit erklärend aneinander reihte. Wir finden genau Entsprechendes in der Balladenpoesie unserer Romantiker; in beiden Fällen wird die Dichtertätigkeit durch die gelehrte Arbeit getragen (vgl. Schneider Callim. II 14ff.; die θαυμάσια νόμιμα κτίσεις μηνῶν μετονομασίαι setzen sich genau so in Poesie um, wie etwa Uhlands Studien zur deutschen Sage und Volksüberlieferung). Wie weit diese andern Abschnitte von ähnlichen sentimental-erotischen Stimmungen beherrscht wurden, bleibt zweifelhaft. Man hat deshalb daraus, daß sich die römischen Erotiker auf Kallimachos beriefen (Prop. II 1, 40. Ovid. Trist. II 317 usw.), geschlossen, daß er auch molles elegiae in der Art des Mimnermos und Philetas geschrieben haben müsse (s. W. Lange De Call. aetiis, Lips. 1882). Sichere Beläge fehlen.[11] [2285] Die Bekenntnisse der furta und deliciae finden wir vor allem in jenen παίγνια und Kurzelegien, die – neben echten Aufschriften – im Epigrammenbuche standen; auch frg. 67 ἐν ἐλεγείαις) gehört wohl hierher (gegen Bentleys Sonderbuch schon Schneider 214). Neben dem ἔρως παιδικός steht die Hetärenliebe. Epigr. 63 παρακλαυσίθυρον an der Haustür der Κωνώπιον, die als Geliebte des Poeten erscheint. Die Scheidewand, die Rothstein (Properz S. XXI) zwischen Epigramm und E. aufrichtet, erreicht ihren Zweck schwerlich. Als E. gilt wegen seines Umfanges der von Catull übersetzte πλόκαμος Βερενίκης; aber gerade dies Gedicht ist epigrammenähnlich seiner Form wie seinen Voraussetzungen nach (vgl. Epigr. 5, wo der κόγχος spricht). Wie bei Hermesianax klingt in ihm durch die gelehrte und höfische Feierlichkeit ein feiner humoristischer Ton hindurch; nicht das Königspaar wird geschildert, sondern ein Liebespaar (schief ist die Auffassung von Lafaye Catulle et ses modèles p. 208). – Alte sakrale Elegien dienten dem Kallimachos bei dem dorischen Pallashymnus zum Vorbilde, s. oben S. 2270f.; bemerkenswert ist die breit ausgeführte Verheißung der Athene v. 163ff. (vgl. Alex. Aet. und Catulls Peleushochzeit). – Auch dem wahrscheinlich elegischen Ibis (einem wunderlichen, akademischen παίγνιον, das als solches eingeschätzt werden muß, wie die carmina figurata u. ä.) lagen hymnenartige dirae zu Grunde, wenn Ovids Nachbildung getreu ist. Das Distichon wird hier schon, wie bei den spätem Römern, gern mit einer syntaktischen Fermate geschlossen. Auch ist von andern metrischen Feinheiten abgesehen, das Auftreten spondeischer Hexameterschlüsse (in polysyllabis) nicht nachweisbar in den Hymnen und Epigrammen, wohl aber in den andern Dichtungen (frg. 19. 103. 185. 267. 281). – Man hat den Geist, der die Elegien, insbesondere die Aitia beherrscht, mit gutem Grund als romantisch bezeichnet; der Dichter schaut sehnsuchtsvoll hinein in den Nachglanz einer schöneren Vergangenheit und in die schlichte Welt, die sich in der Sitte und Sage des Volkes auftut. Aber anders wie die Mehrzahl unsrer Romantiker (die an der Antike genährten Kleist, Uhland, Möricke ausgenommen) weiß er seinen Gestalten und ihrer Umgebung feste Haltung und klare Umrisse zu geben; in den Einzelheiten arbeitet er – wie am anschaulichsten das Hekalefragment und die von Haupt (Opusc. I 255ff., vgl. II 144) aus den Hymnen herausgehobenen Stellen lehren – mit der peinlichen Treue des realistischen Genrebildners, der mit [2286] Theokrit befreundet war und mit dem jüngern Herondas (in dem Choliambenbuche, s. Crusius Unters. 190) den Wettkampf aufnahm.

Des Kallimachos Freund Aratos scheint (von dem verschollenen ἐπικήδειον Κλεομβρότου abgesehen) die distichische Form vor allem in dem Buche κατὰ λεπτόν angewandt zu haben, dessen Anlage und Inhalt uns vielleicht Virgils Jugendliederbuch vergegenwärtigt; außerdem hatte man von ihm einen liber ἐλεγείων, in welchem (Macrob. V 20, 8) wiederholt zitierte Verse auf Diotimos standen (Knaack o. Bd. II S. 394), scherzhafte Mitteilungen an einen Freund, wie wir sie schon bei Solon und im Theognisbuche finden.

Enger schloß sich der Landsmann und Nachfolger des Kallimachos, der große Eratosthenes, an den Meister an. Seine Erigone, deren Wiederherstellung wir Maass (Anal. Eratosth.) zu verdanken haben, stellt sich nach Stil und Stoff (attische aitiologische Legenden) neben die αἴτια.

Auch ein andrer Schüler des Kallimachos, der gelehrte Sammler Philostephanos, schilderte θαυμάσια in Distichen (Tzetz. Chil. VΙΙ 144. 670), Susemihl I 476. Ob Euphorion von Chalkis sein ἐπικήδειον εἰς Πρωταγόραν in elegischen Versen schrieb (wie Parthenios u. a.), steht dahin (Meineke Anal. Alex. 21). Völlig verschollen sind die erotischen Elegien des Euphorion, die Cornelius Gallus nachgebildet haben soll (Donat. Prob. zu Virgil. ecl. X 50 u. a., s. Meineke 24, berechtigte Bedenken bei Susemihl I 396); die umfänglicheren Fragmente, die meist abgelegene Legenden und Mythen behandeln, zeigen durchweg hexametrische Form, und die Wendung Chalcidico versu kann nicht ohne weiteres im Sinne der üblichen Annahme verwandt werden, s. S. 2261. Die Ἀραί (Meineke 43) sind dem Kallimacheischen Ibis verwandt und können dieselbe Form gehabt haben. Aber sichere Distichen finden sich nur in den Epigrammen (Meineke 162ff.). In technischer Hinsicht fällt bei Euphorion in den epischen Hexametern die ungemeine Häufung der Dispondeen am Schluß auf (drei hintereinander frg. 27 p. 92 M.); gerade diese Äußerlichkeiten fanden bei den Römern Anklang.

Schließlich begann man auch rein gelehrte Stoffe, naturwissenschaftliche und geschichtliche Kuriositäten, in elegischer Form zu behandeln. Insbesondere müssen die Ὀφιακὰ des Nikandros von Kolophon (Anfang des 2. Jhdts.), denen Schneider (Nicandrea 37ff.) die bei Aelian. u. a. X 47. XVI 28 erhaltenen Verse zuschreibt, im Gegensatz zu den übrigen Lehrgedichten dieses gelehrten Pedanten, in Distichen abgefaßt gewesen sein. Zweifelhaft ist das Zitat Πτολεμαῖος ὁ βασιλεὺς Ἰδιοφυέσιν bei Achilles ad Arat. 79 M. Die Verse, mit ihrem Lob des Arat, sehen aus wie der Eingang eines größeren Gedichts. Vielleicht liegt, wie Maass gesehen hat, ein Irrtum vor; Archelaos hatte seine Ἰδιοφυῆ einem Ptolemaios gewidmet. Dieses Lehrgedicht, an verwandte Versuche des Philostephanos erinnernd (Reitzenstein o. Bd. II S. 453), umfaßte zahllose auseinanderbröckelnde Einzelheiten; doch beherrscht die Fragmente bei Antigonos (19. 89) der Grundgedanke omnia mutantur (πάντα δι' ἀλλήλων ὁ πολὺς σφραγίζεται αἰών). Wir haben [2287] bei diesen Arbeiten den Eindruck, daß in ihnen das poetische Handwerk schulmeisterlich mißbraucht wird, da sie weder unsere Anschauung noch unsere Empfindung recht ansprechen wollen. Immerhin versucht Archelaos Andacht und Bewunderung vor der Natur zu erwecken: ἴδ' ἐξ οἵων οἷα τίθησι φύσις, und noch Goethe schrieb von der Metamorphose der Pflanzen in elegischer Form – sein Gedicht (Hempel II 227) läßt freilich doppelt lebhaft empfinden, was jenen Alexandrinern fehlt.

Nach Susemihl (I 863) gehört in diese Gruppe noch Zenothemis, den Bergk (Anthol. 171) freilich in die Kaiserzeit setzte. Er schrieb einen elegischen Periplus, aus dem Verse und Nachrichten über die Arimaspen, Hyperboreer, Amazonen erhalten sind (Crusius in Roschers Lexikon I 2824); bei mythischen und phantastischen Bildern scheint er mit Vorliebe verweilt zu haben. Ganz verschollen sind die Elegien andrer Mitglieder des kallimacheischen Kreises, wie Herakleitos von Halikarnass, der bei Diog. Laert. IX 17 ἐλεγείας ποιητής heißt (vgl. Strab. XIV 656); aber daß der schwunghafte Preis bei Kallimachos Epigr. 2 (αἱ δὲ τεαὶ ζώουσιν ἀηδόνες κτλ.) sich nur auf Epigramme im eigentlichen Sinne bezieht, von denen wir eine Probe besitzen (Susemihl II 34), ist nicht ohne weiteres anzunehmen.

XI. Griechische Elegiker in Rom. Parthenios.

In das erste vorchristliche Jahrhundert gehört eine Gruppe griechischer Poeten, die mit römischen Großen in Verkehr traten, z. T. wohl auch in der römischen Gesellschaft lebten und nach dem Vorgange des Kallimachos αἴτια Ῥωμαϊκά in Distichen behandelten. Besprechung einiger chronologischen und biographischen Fragen bei Hillscher Jahrb. f. Phil. Suppl. XVIII 355ff. (lückenhaft). Nicht genau zu fixieren ist Agathyllos Ἀρκάς; nach ihm kommt Aeneas über Arkadien nach Rom; auch für den poetischen Ruhm seiner Heimat, von dem Virgil und seine Zeitgenossen zu erzählen wissen, mag er plädiert haben (Crusius o. Bd. I S. 763f.). – Neben ihn stellt sich Simylos, der die Tarpeiasage im Stil der hellenistischen Erotik umbildete (Plut. Rom. 17), s. Meineke Com. I p. XV. Susemihl II 559, 198. Ein Freigelassener des jüngern Cato war Butas αἰτίας μυθώδεις ἐν ἐλεγείοις περὶ τῶν Ῥωμαϊκών ἀναγράφων (Knaack o. Bd. III S. 1080). Es sind Vorläufer von Ovid und Properz. Weiteres bei Rohde Rom. 82. 96f. Die einzige greifbare Persönlichkeit ist Parthenios (Nachlaß in Meinekes Anal. Al. 255ff. und in der neuen Ausgabe von Martini Mythogr. Gr. II 1 Suppl., der S. 3ff. das Zeugnismaterial bietet), der 73 als Kriegsgefangener nach Rom kam, dann freigelassen wurde und im Kreise des Cornelius Gallus verkehrte. Er ist der Wiedererwecker der griechischen E.; gleichzeitig mit seinem Auftreten entsteht in der römischen Dichtung, sicher nicht zufällig, eine verwandte Bewegung. Berühmt waren seine distichischen ἐπικήδεια, auf Bias, Archelais (Schlußvers iambisch), Auxithemis und Arete, seine Gattin; er ließ diese Dichtung, wie Seikilos sein Anacreonteum, auf dem Grabmal der Arete (Kaibel Epigr. 1089; IG XIV 1089) einmeißeln; ein lehrreiches Beispiel für die Verwandtschaft des Grabepigramms mit der threnetischen E. Daß das Ἀρήτης ἐγκώμιον ἐν τρισὶ βιβλίοις mit [2288] dieser E. identisch gewesen sei, ist eine unnötige Vermutung bei Susemihl I 192, 103; es wird sich zu dem ἐπικήδειον verhalten, wie die Enkomien auf Messalla zu den elegiae auf Maecenas. In andern Elegien wurden ἰστορίαι ξέναὶ καὶ ἄτριπτοι in der Art des Kallimachos und Euphorion erzählt, mit denen ihn Lucian auch im Hinblick auf die breite Detailmalerei vergleicht, de conscr. hist. 57. In der Λευκαδία scheint eine Erzählung in der Form einer Prophetie vorgekommen zu sein (Knaack), in der Δῆλος wurde der Γρύνειος Ἀπόλλων erwähnt, der bei Gallus Virg. ecl. VI 72 wieder auftaucht, in den Ovid in die Hand arbeitenden Metamorphosen Verwandlungssagen (denn daß das von der Verwandlung einer Jungfrau in eine Quelle handelnde Fragment p. 277 Mein. in die Metamorphosen gehört, ist eine einleuchtende Annahme E. Rohdes Rom. 94, die von Martini S. 27 nicht hätte bestritten werden sollen). Der Pentameter aus dem Krinagoras verrät erotischen Inhalt; Parthenios hat dem berühmten Staatsmann und Elegiendichter, den wir durch Rubensohn und Cichorius genau kennen gelernt haben, vermutlich ein Büchlein distichischer παίγνια und ἐπιγράμματα gewidmet. Für den literarisch-ästhetischen Standpunkt des Mannes bezeichnend ist die dem Cornelius Gallus gewidmete Prosaschrift περὶ ἐρωτικῶν παθημάτων: kurze Auszüge aus hellenistischen Liebeslegenden, deren Art und Bedeutung vor allem von E. Rohde (Gr. Rom. 113ff.) gewürdigt ist. Parthenios will damit einesteils ein Hilfsmittel geben, um die Anspielungen bei den ältern hellenistischen Dichtern (τὰ παρά τισι τῶν ποιητῶν ... μὴ ἀντοτελῶς λελεγμένα) verständlich zu machen, andernteils Rohstoff für poetische Behandlung in ἔπη καὶ ἐλεγεῖαι. Man sieht hier am besten, daß gelehrte Sammelarbeit und Dichtertätigkeit sich gegenseitig bedingen und bestimmen, wie wir es oben bei Kallimachos und seinen Nebenmännern vermutet haben. Zugleich zeigt der Brief, in dem der Lehrer zum Schüler spricht, daß systematische Lektüre mit philologischen Mitteln als Vorbedingung der Produktion galt. Wir stehen im Zeitalter der schulmäßigen μίμησις.

Einige Elegienfragmente, die man auf die καινὴ ἱστορία des Ptolemaios Chennos zurückgeführt hat, werden günstigstenfalls in dieser Zeit entstanden sein, so das Epithalamion des ἐπιθαλαμιογράφος Agamestor (Bergk PLG II 378), der wohl auf eine Linie mit Demodokos und Phemios zu stellen ist (Crusius o. Bd. I S. 729). Auch die Teiresias-E. des sonst unbekannten Sostratos ist nur bei Ptolemaios Chennos nachweisbar, s. Susemihl I 382, 40 (an Σώστρατος ὁ Φαναγορείτης dachte noch Rohde Rom. 83, 2). Sicher geschichtlich ist jener Dionysios von Korinth, von dem Plutarch αἴτια benützte; doch nennt ihn Suidas ἐποποιός (s. o. S. 415). Dagegen mag auf die Möglichkeit hingewiesen werden, daß manche von den Epigrammatikern dieser Zeit sich wohl auch in breiteren Formen bewegt haben. Über Archias ist wenig bekannt (Reitzenstein o. Bd. II S. 463). Von Meleagros, dem Sammler des Stephanos, besitzen wir das Einleitungsgedicht (58 Verse), eine Art Katalog der herangezogenen Poeten mit kurzer Charakteristik [2289] in 29 Distichen. Im Grunde ist das aber eine Kette von Epigrammen im eigentlichsten Sinne. Es ist klar, daß eine eigentliche Konkurrenz den römischen Elegikern von diesen Kleinkünstlern nicht erwachsen ist.

XII. Die ältesten römischen Elegiker. Valerius Cato und die νεώτεροι.

Dem nüchternen alten Römertum war die griechische E. etwas innerlich Fremdes. Noch Ennius, der Halbgrieche, der seiner literarischen Richtung nach durchaus Hellenist war, traute seinem Publikum zwar Interesse für Heduphagetica und sotadeische Zweideutigkeiten, ja für die Plattheiten des Euhemeros zu, aber auf die Nachbildung eigentlicher Elegien verzichtete er, obgleich er Kallimachos und seine Schüler gekannt und benützt hat. Doch war er der erste, der Distichen baute und in dem berühmtesten dieser epigrammatia (Cic. Tusc. I 39) klingen Sentenzen der alten griechischen Elegiker wieder (das Bild stammt wohl aus Theogn. 237). Immerhin wurde durch die römische Komödie die galante Terminologie der Hellenisten nachgebildet und die Fähigkeit, gerade diese Stimmungen auszudrücken und nachzuempfinden, mit nur zu raschem Erfolge vorbereitet. Es ist wohl noch nicht genauer untersucht, wie weit die Sprache der römischen Elegiker (vor allem Catulls, bei dem z. B. die Termini compar morsiuncula orgia aus dem Liebesbrief im Pseudolus 64ff. wiederkehren) von den Komikern abhängig ist (Leo Plautin. Forschungen 130f. verfolgt einen anderen Gesichtspunkt). Ausgiebiger gebraucht Lucilius die distichische Form im 22. Buch seiner Saturae; die Mehrzahl der Fragmente führt in sehr unzweideutige Situationen und die saloppe Anwendung griechischer Fremdwörter zeigt, daß der Stil nichts weniger als vornehm war. Es sind derbe humoristische Lebensbilder, die an gewisse mimische Epigramme und Elegien der Hellenisten erinnern mögen (s. o. S. 2283); ihren Stil wird Priap. 68 mit seinen maccaronischen Versen vergegenwärtigen können. Auch eine distichische Grabschrift auf einen bewährten Sklaven stand in jenem Buch. – Elegisch-epigrammatische παίγνια erotischen Inhalts (von Kallimachos [41] und anderen Alexandrinern) übersetzten und überboten T. Quinctius Atta, Valerius Aedituus, Q. Lutatius Catulus, Porcius Licinus. S. auch P. Rasi De eleg. lat. 50–67 (eine Zusammenstellung der Zeugnisse). Es ist also eine geschichtliche Tatsache, daß die elegische Bewegung auf italischem Boden zuerst bestimmt wird durch die galante alexandrinische Dichtung im Stil der ἐπιγράμματα und κατὰ λεπτόν; der Römer bei Gellius XIX 9 befindet sich in einer sonderbaren Selbsttäuschung, wenn er diese Dinge gegen den renommierenden Graeculus ausspielt. Am selbständigsten ist wohl das massive Spottepigramm des Pompilius Varro de l. l. VII 28. Völlig schattenhaft bleibt Ciceros E. Thalia maesta (nach Heinsius Ribbeck Röm. Dicht. I2 301f.). In dieselbe Zeit fallen die an die literarischen Elegien des Alexander Aitolos erinnernden Arbeiten des Porcius Licinus, für die aber der populäre trochäische Langvers gewählt wird. Daß die furta, die Varro Atacinus in einem seiner Geliebten Leucadia (vgl. Delia u. ä.) gewidmeten Büchlein gestand, elegische Form [2290] hatten (der Name fügt sich bequem vor allem dem Pentameter ein), ist eine einleuchtende Annahme auf Grund von Prop. III 34, 85. Ovid. trist. II 439. S. Gruppe Röm. El. 350f. Teuffel-Schwabe § 212, 2. Anschauung ist nicht zu gewinnen.

Mit Valerius Cato, dem Zeitgenossen des Parthenios, beginnt der bewußte Anschluß an die gelehrte E. der Hellenisten (Ribbeck Gesch. d. röm. Dichtung I2 312ff.). Wie die älteren alexandrinischen Poeten ist er ein trefflicher Philologe und Interpret und zugleich ein gewandter Dichter; als peridoneus praeceptor wird er das Haupt der νεώτεροι, der ,Modernen‘, zu denen C. Licinius Calvus (Verfasser von Epigrammen und Elegien, s. u.), Furius Bibuculus, Ticida, Catullus, Cinna sich zählen. S. im allgemeinen Schwabe Quaest. Catull. 310ff. Zu den senes severiores gehörte er nicht, wie Catull 56 zeigt. Es ist kein erfreuliches Schauspiel, wie sich bei diesen Jungrömern mit dem künstlerischen Eifer der Hellenisten auch ihre sittliche Libertinage verbindet, die dann (wie vor allem in den Priapea) ins Römisch-Massive hineingetrieben wird. Aber seine Sache nahm Cato ernst; er schenkte seinen Hörern keine Schwierigkeiten, sondern verstand, omnes solvere quaestiones, nach Art der alexandrinischen λυτικοί. Wie Parthenios, so ging Cato bei seinem Unterricht von der Dichtererklärung aus: solos legit ac facit poetas, heißt es in einem Fragmente des Bibaculus, und das gehört zusammen. Es sind die bekannten Schlagwörter des Kallimacheischen Kreises, die uns bei den docti poetae, den Schülern des Cato, wieder ins Ohr klingen: die Forderung sorgfältiger Arbeit und langer Feile (Cinna Isid. VI 12 carmina vigilata lucernis, Catull 95 Zmyrna ... nonam post denique messem ... edita), die Bevorzugung zierlicher Form und kleinen Umfangs (im Gegensatz zu den breiten Annalen parva ... monumenta sodalis, Catull. 95). Kallimachos mit seinem Anhang (vor allem Aratos, der in Rom beispiellos populär wird) führt einen Geisterkampf gegen die Nachfahren des Apollonios, die römischen Annalisten und ihre Bewunderer (Catull. 95).

XIII. Catullus.

Aus dieser Schule geht der wahre Begründer der römischen E., wie der römischen Lyrik überhaupt, hervor, der frühgestorbene Valerius Catullus aus Verona. Wir kennen diese reichste römische Dichternatur nicht in der Periode der Reife; der junge Catull schwört auf die verba magistri und hält sich in der Wahl seiner Aufgaben und seiner Vorbilder (außer den Hellenisten die von Kallimachos aufs Schild erhobenen älteren Iambographen und Elegiker, vor allem Archilochos und Sappho) durchaus an den Kanon der Schule. Sein Talent war zum Glück stark genug, um auch in dieser theoretischen Abhängigkeit Eigenartiges hervorzubringen. Lediglich eine Studie nach Kallimachos ist die epigrammatische E. auf die Berenikelocke (s. o. S. 2285); aber eine bloße Übersetzung ist sie nicht, sondern eine Nachschöpfung von herber Anmut und Frische. Der elegische Begleitbrief an Ortalus vollends ist ein köstliches Stück Poesie, bei aller Schwerflüssigkeit, die man im Grunde als einen eigenartigen Reiz empfindet (der Dichter verwickelt sich scheinbar in dem langen Faltenwurf seiner Sätze, wie sein [2291] Nachahmer in der Ciris – aber bei Catull ist es die elegische Stimmung, die Trauer um den Bruder, die ihn überwältigt; sehr kühn aber glücklich wirkt daneben das aus der Kydippe stammende idyllische Bild v. 20ff., das keineswegs mit Rossbach und Dilthey De Cyd. 65 als selbständiges Fragment zu fassen ist). Der Brief ist sichtlich ein Vorspiel der größten elegischen Dichtung Catulls (68), die gleichfalls in eine briefartige Einleitung (1–40) und in die E. selbst (41–160) zu zerlegen ist.[12] Das gemessene Enkomion im Stil des Theokrit oder Parthenios, das man nach dem formelhaften Eingang erwartet, wird zu einem von pindarischem Schwung getragenen ungestümen Ergusse der Gedanken und Empfindungen, die Catull erfüllen und bedrängen, der Dankbarkeit für Freundestreue, der Liebesleidenschaft, der Trauer um den Bruder. Man hat über das Gedicht sehr hart geurteilt, Bernhardy nennt es ,ungenießbar steif‘, Gruppe (Elegie 504f.) meint, ein monströseres Gedicht sei nie gemacht worden. Westphal (Catull 78) hatte den verfehlten Einfall, die eigenartige Anordnung auf die Form des Nomos zurückzuführen, dessen Schema er von hier aus gründlich in Unordnung brachte (s. Crusius in den Verh. d. Philologenversammlung in Zürich). Die neueren Exegeten (zuletzt Birt Rh. Mus. LIX 433ff.) sind dem Gedichte eher gerecht geworden. Seine Einheit (die man pedantisch genug vermißt hat), ist das seelische Erlebnis des Dichters, das in ihm sein Abbild findet. Der Gedanke an die Hilfe des Freundes (41–51) führt Catull hinüber in schmerzlich süße Erinnerungen: das Bild der Geliebten taucht vor ihm auf (52–72); zärtlich wie eine Laodamia erschien sie ihm, der ihr Gatte so schnell entrissen wurde (73–90), dort, wo Catulls Bruder ruht – eine Klage über ihn ist der Höhe- und Mittelpunkt des Gedichtes. In natürlichen Assoziationen haben sich die Gedanken bis hierher gehoben, um dann stufenweise auf den Ausgangspunkt zurückzugleiten; es ist eine uralte Form elegischer Stimmungsevolution (a b a1), die sich naturgemäß erweitert, weil der Dichter, der gegebenen Situation nach, vier Motive zu verarbeiten hat, nicht eins (Formel: a b c d c1 b1 a1). Genau analoge Beispiele für eine solche Polyphonie des Inhalts sind bei den Griechen noch nicht nachgewiesen; auch die Römer scheiden später scharf zwischen Hauptmotiv und begleitendem Motiv, z. B. Tibull. I 3 Delia (Messalla), II 6 Messalinus (Nemesis). Möglich, daß wir hier ein geniales Wagnis Catulls zu erkennen haben.[13] Einfacher und einheitlicher ist das rührende Selbstgespräch 76 (a b a1 1–8, 9–16, 17–26, der Schlußteil fühlbar Steigerung des Eingangs). In dem Epikedeion 101 ist das Mittelstück ausgefallen. Andere Stücke gliedern sich in Satz und Gegensatz, wie manche der ältesten Elegien (+ a – a, c. 72, vgl. Theogn. 1315ff.); einfache Schmerz- und Jubelrufe sind z. B. 75. 87. 107 (bemerkenswert ist es, daß Catull hier keine leichtere lyrische [2292] Form mehr anwendet). All diese Stücke sind Gelegenheitsgedichte im eigentlichsten Sinne, keine bloßen παίγνια. Die Distichen der dritten Schicht (c. 69ff.) spielen teils das Lesbiathema weiter, teils fallen sie unter den Begriff des skoptischen Epigramms, in dem Catull schon häufig eine Pointe herausarbeitet. Verwandt ist auch das Zwiegespräch mit der Tür, c. 67, eine Variation auf das Thema des παρακλαυσίθυρον, s. Herondas ed. Crusius S. 124. Auszuheben sind etwa noch die Trostworte an Calvus 96. Sie nehmen Bezug auf ein elegisches Epikedeion, das Calvus, wohl nach dem Vorgang des Parthenios, der Quintilia gewidmet hatte (Catullus ed. Müller p. 86. M. Haupt Opusc. I 215).[14] Bei Catull und seinen Nebenmännern scheint die römische E. in höherem Maße als später (schon bei Tibull, vollends bei Properz) den Stempel der Echtheit des wirklich Durchlebten zu tragen. Jene Umbildung und mechanische Ausweitung von Motiven der hellenistischen Erotik, die bei Properz und vor allem bei Ovid noch mit unserem Material oft genug nachgewiesen werden kann, tritt bei Catull ganz zurück. Unrichtig ist es z. B., daß Catull die Äußerung, die er c. 70 der Geliebten in den Mund lege, aus einer literarischen Quelle (Callim. epigr. 25) habe, wie Rothstein S. XXVI behauptet; die Ähnlichkeit mit Kallimachos beschränkt sich auf den alten locus communis vom Wert des ὅρκος Ἀφροδίσιος; Catull 72, 2 (kombiniert mit den Cicerostellen, wo Clodia βοῶπις heißt) beweist, daß selbst die Redensart non si se Iuppiter ipse petat echt ist. Gerade die Echtheit und der Ernst der Empfindung verlangt größere Einfachheit des Ausdrucks, zurückhaltendere Verwendung mythologischen Schmucks und rhetorischer Mittel. Aber man darf in einer Entwicklungsgeschichte der römischen E. diese älteste Gruppe nicht so weit beiseite schieben, wie es Rothstein (S. XXIVf.) tut.[15] In der Behandlung des Verses zeigt Catull die bekannten Eigenschaften der cantores Euphorionis. In dem feierlich getragenen Ton der großen Elegien bildet er gern, nach älterem griechischen Vorbild, breite Perioden, die mehrere Distichen umfassen (z. B. 65, 20–30. 66 Anf.); in den epigrammenartigen Gedichten dagegen fallen oft, ganz nach der Art der Späteren, die Satzenden mit den Grenzen der Disticha zusammen (z. B. 70. 72. 74. 78ff. 88. 97f. 102ff.). Vgl. Bubendey Die Symmetrie der römischen Elegie, Hamburg 1876, 5. 7. Rasi De eleg. Lat. 67–106. [2293]

XIV. Cornelius Gallus. Virgils Catalepton. Tibull und seine Zeitgenossen.

Catull ist der letzte republikanische Dichter. Nach Zeit und Charakter steht ihm am nächsten Cornellius Gallus, von dessen Dichtertätigkeit Skutsch (o. Bd. IV S. 1346f.; Aus Virgils Frühzeit, 1901) ein ausgeführtes Bild zu geben versucht hat. Die vier Bücher Elegien auf seine Geliebte Lycoris (vgl. Euphorion frg. 53, über die Persönlichkeit vor allem Cicero ad fam. IX 26) sind die erste größere, rein elegische Schöpfung, die bei den Römern mit Sicherheit nachweisbar ist (Teuffel-Schwabe § 232), wie denn Cornelius Gallus in der Diadoche der römischen Elegiker, die seit Properz und Ovid feststeht, als der erste gilt. Bedeutsam ist das enge Verhältnis des Römers zu dem Hellenisten Parthenios, der ihm (wie der Widmungsbrief zeigt) vor allem die Welt der erzählenden alexandrinischen E. und Epik erschloß; von ihm angeregt wird er den Euphorion übersetzt haben. Seine Dichtungen sind bis auf einen gelehrt klingenden Pentameter verschollen. Skutsch (Aus Virgils Frühzeit 27) meint, daß die Elegienbücher den Titel Amores getragen hätten,[16] andere (z. B. Ribbeck Gesch. d. röm. Dicht. II 185) mit mindestens gleicher Wahrscheinlichkeit, daß sie, nach hellenistischem Vorgang (s. Weichert Poetarum Latinorum reliquiae p. 261f.) unter dem Namen Lykoris gegangen seien. Wir können nach den Andeutungen in Virgils zehnter Ekloge, trotz der phantastisch-humoristischen Haltung des Gedichts, mit Sicherheit annehmen, daß diese Dichtungen vor allem das Thema der Catullischen Lesbia-Elegien und -Epigramme weiter spannen; die Klage über die Untreue der Geliebten war ein Hauptmotiv. Daß sich die bei Virgil angeschlagenen Motive bei Properz wiederfinden, hebt Rothstein S. XXI mit Recht hervor. Aber darf man aus dem seltsamen Potpourri Verg. ecl. 10, 52ff. (das charakteristische Eigentümlichkeiten des Gallus karikieren wird) einen Schluß ziehen, so stand sein Stil der straffen Art des Properz (trotz Rothstein S. XXXV) durchaus nicht nahe.

Genauere Anschauung zu gewinnen ist uns versagt. Daß bei Maximianus, bei dem der Name Lycoris (II 1ff. für eine treulose Geliebte, freilich auch bei Horaz c. I 23, 4) wieder auftaucht, Reminiszenzen an Gallus (noch bei Vibius Sequester zitiert) mit unterlaufen, wird sich vielleicht noch dartun lassen. Auch idyllische Züge, wie wir sie bei Tibull antreffen, hat man den Elegien des Gallus durch gelehrte Kombinationen zuweisen wollen. Doch stehen diese Annahmen vorläufig in der Luft.[17] Die Versuche von Skutsch, aus [2294] Virgils Andeutungen eine Art πίναξ von Gedichten des Gallus zu erschließen (Aus Virgils Frühzeit 12ff.), sind im einzelnen anfechtbar (falsch interpretiert wird ecl. 10, 50ff. S. 17–21; daß Gallus Bucolica geschrieben habe, ist unwahrscheinlich wegen der excusatio ecl. 10, 47; ähnliche Anstände ergeben sich gegen S. 26. 37ff. 49. 87f.). In der Hauptsache zutreffend Helm Philol. LXI 272 (nur wird Virgils Capriccio zu ernst genommen).

Wie populär die elegische Form damals geworden war, zeigt das aus dem Archive des Valerius Messalla bereicherte Büchlein der Virgilischen κατὰ λεπτόν sowie des corpus Tibullianum. Der junge Virgil steht unverkennbar unter dem Einfluß Catulls; gerade unter den distichischen Stücken finden sich überzeugende Nachbilder echt lyrischer Stimmung, jugendlicher Freundschaftsschwärmerei (4) und kindlicher Pietät (8, bezeichnend ist der meist nicht recht verstandene v. 3, der Dichter hat etwas gut zu machen). Andere Stücke sind epigrammatische παίγνια (1, mimisch; 3; 11 nach Kallimachos, von Baehrens durch einen heterogenen Anbau verunziert). Das Enkomion auf Messalla (vgl. Tib. I 7. II 5. IV 1) läßt ahnen, wie Parthenios derartige Aufgaben behandelte, bei dem sich aber die rhetorische Phrase weniger breit gemacht haben wird; manches (z. B. v. 9ff.) klingt wie der Brief eines Schülers an einen alten Onkel. Mit Emphase wird (was für die Beurteilung des Messallaschützlings Tibull von Bedeutung ist) auf Kallimachos hingewiesen. Von Kyrene (v. 61) erwartet der Verfasser sein Heil, denn pingui nil mihi cum populo – die bekannten Schlagwörter der νεώτεροι (Callim. epigr. 28. 30). In der Tat gibt er ein rein literarisches Enkomion; hellenistische Mythen werden v. 26ff. mit dem Sacke gesät. Die Art, wie sich der Verfasser durch Assoziation v. 37f. auf den Haupttopos zurückleiten läßt, erinnert an Catull. 68. Im delectus verborum entfernt sich das Gedicht vom echten Virgil (itaque 9 u. ä.) und klingt an die Tibullianer an (niveus v. 1 Lygd. 4, 30 u. ä.). Eine Nachbildung verwandter hellenistischer Liebenswürdigkeiten wird die literarische Vision v. 17ff. sein. Danach hat Messalla, ein Geistesverwandter jenes Italikers, der den Epitaphios Bions schrieb, Ephyreïs (das steckt in Epyredia v. 21, s. carm. epigr. 1183) in griechischer Sprache ein feierliches Enkomion gestiftet, in dem alle divi und divae auftraten; in einem andern Gedicht wurden zwei Hirten vorgeführt, die sich Neckereien zuriefen (das Vorspiel zu Virgil ecl. 1, 1. wie Knaack o. Bd. III S. 1010 richtig ausführt, der Einwand bei Skutsch 22 Anm. ist gegenstandslos; nach v. 14 muß der Schauplatz dieser Bukolik Attika gewesen sein, wie in Aelians und Alkiphrons Bauernbriefen). Man sieht, wie die Verbindung elegisch-erotischer und idyllisch-bukolischer Motive damals in der Luft lag. [2295]

Der Klassiker dieses, schon im Epigramm und in der E. der Hellenisten vorbereiteten idyllischen Elegienstils (s. o. S. 2279) ist Tibull. Einige formell bereits völlig reife Jugendgedichte, die aus dem Archiv des Messalla ans Licht traten (III 19f.), zeigen ihn noch auf den Spuren der Epigrammatiker und Catulls, aber er hat doch einen leichteren, tändelnden Ton, der von dem leidenschaftlichen Ernst des Älteren absticht. Den fertigen Meister bewundern wir in den beiden ersten Büchern. Jedes Gedicht ist einer besonderen Situation, einer individuellen Stimmung oder Anschauung entsprungen; was Rothstein (S. XXXVII) in dieser Hinsicht von ,Einförmigkeit‘ bei Tibull sagt, ist unzutreffend. In der Mehrzahl der Dichtungen gleiten Bilder und Gedanken, meistens im Satz und Gegensatz, negativ und positiv, in Variationen sich ablösend, in sanftem Fluß dahin (I 1–4 Motiv a, 5–14 Motiv b, 15–40 b2 41f. a2, 43–48 b3, 49f. a3, 51f. b4, 53f. a4, 55–75 b5 [60-75 b modifiziert durch den Gegensatz], 75f. a5, 77f. b5; ähnlich schon I 10 [Einst und Jetzt, s. Gruppe Röm. Eleg. 6ff.]. I 3. II 3 u. a.). Der Dichter pflegt mit dem Gegenbilde zu beginnen und mit emphatischer Ausführung eines Wunsches oder einer Vision, worin sich der positive Grundgedanke siegreich behauptet, zu schließen (am schönsten wohl I 3); es ist wie ein Nachklang des Agon, nur daß die streitenden Gedanken in des Sprechers eigener Brust wohnen. Vereinzelt regt sich ein leiser, nicht immer von den Interpreten verstandener Humor, so I 6. Denn daß der Dichter den Vorschlag, der coniunx möge ihn zum Hüter der Geliebten machen, nicht ernst gemeint hat, zeigt schon v. 33f. (Rothstein S. XXXVI hat das offenbar nicht richtig eingeschätzt). In der Anlage ist dies Gedicht, das sich in freiem Spiel an die verschiedensten idealen Hörer wendet (Amor 2, coniunx 15, die jeunesse dorée 38. 51, Delia 55, ihre Mutter 63, Delia 73), besonders kompliziert; aber auch hier ist der Gegensatz das bestimmende Prinzip. So lösen sich Bilder und Gegenbilder schon bei den älteren griechischen Elegikern gern ab (o. S. 2268ff.), und man darf, wie Leo (zuletzt in dem Götting. Gel. Anz. 1898, 745. vgl. auch Philol. Unters. II 43ff.) andeutet, in diesen Dichtungen wohl die Vollendung des ionischen Elegienstils sehen; Philetas mag der Mittelsmann gewesen sein. Andere Stücke sind halbdramatische Situationsschilderungen, wie I 2. 5 (Lygd. 6), direkt oder indirekt (durch das Epigramm und die Komödie) aus lyrisch-mimischen κῶμοι und παρακλαυσίθυρα entwickelt (Herondas ed. Crusius4 p. 117–125). Auch das kecke Priapeum I 4 gehört dahin, in dem ein epigrammatisches Motiv dialogisiert wird, wie in manchen mimischen Epigrammen. Die Rede des Priapus ist eine Art von Lehrgedicht, natürlich humoristisch aufzufassen; sie ist die Vorläuferin der Ovidianischen Ars. – Die Situation, in der sich Tibull sprechend denkt, hat sich, mit Catull verglichen, verändert. Catull hält Monologe, oder er wendet sich unmittelbar an den Freund und die Geliebte. Tibull denkt schon an das elegante Publikum, effuso cui toga laxa sinu, und sieht sich als Lehrer (magister) derer, quos male habet multa callidus arte puer, ähnlich wie Properz und Ovid. – Eine andere Gruppe von Elegien [2296] hat einen breiten rhetorischen Rahmen; es sind Festgedichte, die aber lebendiger als das Messalla-Enkomion in den Catalepton, in bestimmte Situationen hineinführen (I 7. II 1. 2. 5). Sie arbeiten mit rhetorischen Mitteln, sind aber nicht nach einfachem rhetorischen Schema gebaut, sondern erinnern (vor allem II 1) an die hellenistischen Hymnen und Enkomien, in denen schon Kallimachos elegische Form zugelassen hatte (Näheres bei Crusius Verh. der Philologenversammlung in Zürich, s. o. S. 1228f.). Auch der alexandrinische Kunstgriff, epischen Stoff in der Form der Prophezeiung mitzuteilen, wird wieder angewandt (IΙ 5, 39–64, womit man am besten die Prophetie vom Schicksal des Teiresias im Kallimacheischen Pallashymnus vergleichen kann; ähnlich auch die Rede des Priapus I 4). Hier sehen wir Tibull doch wohl als unmittelbaren Schüler des Hellenisten. Wenn er im einzelnen nicht so viele hellenistische Reminiszenzen bietet, wie Catull, Properz oder das Messalla-Enkomion, so zeigt das nur, daß er ein selbständiges Talent ist und ein feines Stilgefühl hat. Der schlichte Ton der erotischen Elegien, bei denen er sich Frauen aus dem Volk, wie Delia, als Hörerinnen denkt, schließt abgelegene hellenistische Mythen aus und verlangt Beschränkung auf volkstümlichen Glauben und Aberglauben, s. I 2, 45. 3, 10. 23. 5, 10. 50ff. 6, 45ff. (fanaticus). 8, 19. 9, 12. II 2 usw. Denn Delia ist ein individuelles Wesen, kein Hetaerentypus wie Corinna. In den Festgedichten fehlt es keineswegs an gelehrten Anspielungen und Reminiszenzen, s. I 7, 19ff. 23ff. (Callim. frg. 176, II p. 455 Schn.). 54 (Callim. frg. 351). II 1, 39. 55ff. (αἴτια). II 5, 64ff. So steht auch Tibull auf den Schultern der Hellenisten, trotz E. Baehrens (Tib. Blätter 41); selbst in eine idyllische Welt (Norden Ilbergs Jahrb. 1901, 268) führen uns schon Philetas und seine Schüler.

In der Verstechnik geht Tibull seinen eigenen Weg; er ist feinhöriger als Catull und kann als Vollender des römischen Elegienstils gelten, für den das Distichon eine abgeschlossene Strophe ist. Feine Bemerkungen darüber schon in Briefen A. W. Schlegels an Goethe, Goethe und die Romantik I (Schr. der Goethegesellschaft) 19f. In Hinsicht auf die Verteilung des daktylischen und spondeischen Elements steht Tibull in der Mitte zwischen dem schwerflüssigeren Stil des Catull und Properz und der tändelnden Anmut Ovids. Über andre Eigenheiten seiner Technik s. vor allem Leo Philol. Unters. IΙ; einige brauchbare statistischen Nachweise bei Rasi De eleg. Lat. 117ff. Manche feine Einzelbemerkung bei H. Belling Untersuchung der Elegien des Tibullus (Berlin 1897), dazu die ertragreiche Rezension von Leo Gött. gel. Anz. 1898, 47ff. (der über die Nomosfrage jetzt anders denken wird als S. 56).

Ganz und gar verschollen sind die Elegien des Cassius Parmensis (Skutsch o. Bd. III S. 1743). Das große Elegienfragment des Valgius Rufus (Schol. Veron. ecl. 7, 22), in dem eines zeitgenössischen Dichters gedacht wird, erinnert in Einzelheiten an das Messalla-Enkomion im Kataleptonbuche (v. 17f.), das aber deshalb nicht den gleichen Ursprung zu haben braucht (wie [2297] Unger meinte). Andere Fragmente der elegi scheinen aus der Schilderung einer Fahrt auf dem Padus zu stammen. Kein Zweifel, daß auch die flebiles modi, in denen er seines Lieblings Mystes Tod besang (Horaz c. II 9, 9, vgl. I 33, 2), elegi waren, wie die des Tibull; zu dem Schluß, daß dieses Werk den Titel amores getragen habe (wie das Kiessling anzunehmen scheint), reicht die Horazische Phrase (nec tibi vespero surgente decedunt amores) freilich nicht aus. Kiessling (zu Horaz a. O.) denkt ihn sich als Schüler Apollodors im Gegensatz zur herrschenden alexandrinischen Geschmacksrichtung; die Fragmente, in denen der Verfasser der Zmyrna, Cinna, gepriesen wird, leisten dieser Ansicht keinen Vorschub.

Ob Domitius Marsus die fusca Melaenis (Martial. VII 28) in den epigrammata gepriesen hat, oder, was Weichert (Poet. lat. rel. p. 262) nicht unwahrscheinlich annahm, in einem elegischen μονόβιβλος, wird sich nicht bestimmt entscheiden lassen; auf das von Weichert verwendete Zitat Domitius in Melaene bei Ps.-Apuleius de orthogr. 15 p. 7 O. ist nichts zu geben; der Fälscher (Caelius Rhodiginus, s. Philol. XLVII 445) hat das Zitat erschwindelt (wie gleich darauf Tuscus in Phyllidis suae amore). Wie damals elegische Stimmung auch in das Epodenbuch des Horaz eindrang, hat Leo (De Horatio et Archilocho 9ff.) gezeigt.

Den rechten Maßstab, an dem die Größe der Meister ermessen werden kann, geben die ins Corpus Tibullianum aufgenommenen Versuche der Dilettanten. Der Panegyricus auf Messalla (Marx Bd. I S. 1326) wirkt wie eine Karikatur der Festgedichte. Dagegen gehört der schlichte Elegienkranz der Sulpicia (III 8–18 [IV 2–12]), trotz aller technischen Schwächen zum Echtesten, was die römische Literatur besitzt; man möchte jene naiven Züge, die nach Gruppes feiner Beobachtung eine weibliche Hand verraten, nicht missen. Es sind Tagebuchblätter (13f.) und Billets (15ff.), 4–10 Zeilen, ohne jeden gelehrten Aufputz, schlicht und anmutig, wie manches Erotische in den Theognidea.

Umstritten sind die nach Gruppes Entdeckung durch Verse der Sulpicia inspirierten Sulpiciaelegien (III 8-12 [IV 2–6]); Marx schreibt sie (a. O.) einem Anonymus zu. Es ist reife Kunst: ein glänzendes Muster ,objektiver Lyrik‘ und in diesem Sinn ein Vorspiel der entsprechenden Erscheinungen bei Properz und Ovid. Daß die Sprache wie die Verstechnik durchaus an Tibull erinnert, hebt Marx selbst hervor. Im Ton und in der Gesamtanlage haben 8. 10ff. (2–4ff.) einige Verwandtschaft mit den Tibullischen Festgedichten (verkehrt ist die Gliederung von Prien u. a.), nur daß hier alles schlichter und knapper gehalten ist; die Gedankenfolge in 9 (3) entspricht den o. S. 2295 nachgewiesenen Neigungen des Dichters. Über strittige Einzelheiten s. neuerdings H. Belling Unters. 3ff. 20ff. Ohlsen Comment. Grvph. 26ff. Ullrich Stud. Tibull. 25ff.

Es ist nicht recht wahrscheinlich, daß ein zweiter Poet von so hohem und eigenartigem Talent in der Umgebung des Messalla gelebt habe. Gehören die Verse dem Tibull, würde man sie nach III 19f. zu setzen und in ihnen eine weitere Phase seiner Entwicklung zu erkennen haben. Bemerkenswert [2298] ist in der Jagd-E. III 9, 5 das Auftauchen des Wortes Delia (= Diana). Die in dieser Weise bei den Römern sonst kaum nachweisbare Gabe, sich in die fremde Persönlichkeit ganz und gar ,einzufühlen‘, würde man gerade dem Tibull am ersten zutrauen. Denn so groß Tibull als Künstler ist: ein starker, naiver Mensch wie Catull (und bis zu einem gewissen Grade selbst Properz) ist er nicht gewesen. Marx hat ganz richtig beobachtet, daß zwischen seinem Leben und seiner Kunst ein gewisser Gegensatz besteht. Der Offizier und Weltmann träumt sich anempfindend in die idyllisch-enge Sphäre der Bauern und der Frauen aus dem Volke hinein, wie in die Seele der Patrizierin Sulpicia. Tibull (der doch wohl der Verfasser ist), ist von der Dichterin inspiriert, wird in ihre Gedanken- und Gefühlswelt hineingezogen, während umgekehrt Goethe Marianne Willemer in die seine heraufhob. Aber erst unter der Hand Tibulls sind aus diesen dilettantischen Skizzen Kunstwerke (8–12) geworden. – Erheblich jünger ist Lygdamus, in der Stimmung echt, wenn auch ohne die Tiefe und Reinheit der Sulpicia, bei der Ausführung ein Ältestes (Catull) und Jüngstes (Ovid) zusammenschmelzender, etwas redseliger Eklektiker, s. Marx a. O. S. 1326. Mit Lygdamus 4 berührt sich die schwungvolle Schilderung der Vision eines Verstorbenen, CIL VI 21521[18] = Carmina epigr. 1109 Büch., wie schon Leo gesehen hat; auch Properzens Cornelia läßt sich vergleichen. Die ganze Inschrift ist nicht epigrammatisch, sondern elegisch stilisiert (s. auch Bücheler Carm. epigr. 995).

XV. Properz.

Tibulls Kunst bietet ein Beispiel jenes höchsten ζῆλος, der, aus congenialer ästhetischer Stimmung heraus, ohne viel Anlehnung im einzelnen, freie und reine Kunstwerke hinstellt, wie sie die besten Griechen hätten schaffen können, wenn sie auf römischem Boden gelebt hätten. Weniger ausgeglichen, aber vielseitiger und bei aller Abhängigkeit im Detail von scharf ausgeprägter Eigenart ist die Dichtung des Properz, deren Verständnis durch den Kommentar Rothsteins (vgl. auch Philol. LIX 441) erheblich gefördert ist. Der Monobiblos Cynthia ist ein Ganzes von planvoller, künstlerischer Anordnung; wiederholt beobachten wir, daß Nachbargedichte sich ergänzen und erklären (Ähnliches aber schon bei den ältesten griechischen Elegikern, s. o. S. 2269). Der Dichter spinnt nachweislich Motive des Cornelius Gallus (I 8; vgl. Virgil. ecl. 10, 46ff. A. Marx De Prop. vita 9) und des Tibull (Marx De Prop. vita 91ff.) weiter und trifft wiederholt mit spätgriechischer Elegien- und Epigrammenpoesie zusammen (I 3 verwandt mit Paul. Sil. Anth. Pal. V 275; I 13 verwandt mit Anth. Pal. V 255), s. E. Rohde D. gr. Roman 104f. Mallet Quaest. Prop., 1882. Kein Gedicht erreicht die Ausdehnung der größeren Tibullischen Delia-Elegien und manche tragen geradezu Epigrammentypus (21. 22). Meist wird ein klar formulierbares Thema behandelt, gelegentlich fast schulmäßig (so I 2 die Mahnung zur Einfachheit in der Toilette). Man hat den Eindruck, daß der Dichter, im Gegensatz zu Tibull, vor allem von den knapperen, epigrammenartigen Stücken der Hellenisten angeregt wurde, um dann freilich, [2299] mit den Mitteln der modischen Rhetorik und mit einer energischer, an Kunstwerken wie an der Natur genährten Phantasie jenen Stil auszubilden, den Gruppe (Elegie 367f.) und Rothstein im wesentlichen treffend geschildert haben. Die Sagen- und Märchenwelt der Hellenisten ist ihm und seinen Hörern lebendig und gegenwärtig; in sie flüchtet er sich aus der Gegenwart, wie sein alexandrinischer Lieblingsmeister (Rohde Roman 24ff.).

Das Zwillingsbuch II bleibt prinzipiell auf dem Standpunkt des ersten (herauszuheben sind epigrammatische Stücke, wie das σκωπτικόν 18 b, das an Martial erinnert; 22 b. 25). Die Wandlung des Tones (Zurücktreten der Cynthia, Zunahme der geschichtlichen Anspielungen und Eindringen heterogener Stoffe) im einzelnen nachzuweisen, ist Sache des Sonderartikels; hingewiesen sei nur auf die aus bekannten Epigrammen herausgesponnene Diatribe II 23. 24 (von Gruppe II 201 auseinandergerissen), wo die forcierte Kühle einer kynisch-horazischen Lebensweisheit plötzlich in das Bekenntnis der alten Leidenschaft umschlägt. – Aus dem dritten Buch mögen einige Stücke von merklich herabgestimmtem Ton und didaktischer Tendenz herausgehoben werden. III 13 der Fluch des Goldes, Luxus und Treulosigkeit in der modernen Frauenwelt; im Gegensatz dazu die fernen Inder und (tibullisch ausgemalt) die idyllischen Zustände der Urzeit; Tibull hätte zwischen den beiden Bildern wohl das Hauptmotiv leicht wieder angeschlagen, das sich hier erst am Schluß wiederholt; a b b a. III 14 denselben Gedankenfaden weiterspinnend, Schilderung des spartanischen Frauenlebens, als Ideal; man könnte hier einen Nachklang der ähnlich gerichteten Elegien des Kritias vermuten.

In dem letzten (,vierten‘) Buche (Birt Buchw. 425) zeigt sich der Dichter am vielseitigsten. Mit fühlbarer Absicht sind die Gedichte (doch wohl vom Dichter) nach dem Prinzip der Abwechslung geordnet. Neben der lyrischen, subjektiven Liebeselegie steht ,objektive‘ Lyrik, wie wir sie schon in Tibulls Sulpiciacyklus kennen gelernt haben, so die schöne (stark hellenistisch gefärbte) Arethusa-Epistel IV 3 (mit ihr verwandt und mit Tibull III 10 vergleichbar sind die Freundesbriefe I 20, III 12, auch die brutale Rhyparographie IV 5 mit ihrer Szenerie im Stile des Herondas, Ansatz zu einer Hetären-τέχνη) und die regina elegiarum Cornelia IV 11, das letzte und grandioseste Stück der Sammlung (doch scheinen Gruppes ästhetische Vorbehalte, a. a. O. S. 318, nicht unberechtigt). Die wirkungsvolle Einkleidung – der Schatten der Cornelia ist durch die Klagen des Gemahls aus dem Grabe emporgelockt, wie Dareios in den Persern, und spricht zu ihm – weist dieser Dichtung unter den paraenetisch-threnetischen Elegien eine Sonderstellung zu. Verwandtes findet sich vielfach in der Epigrammendichtung; ja man kann, mit Hinblick auf v. 36 sagen, daß das Gedicht an der Grenze des epigrammatischen γένος steht, wie Kallimachos Berenikelocke, zumal das Hauptmotiv in den Sepulkralepigrammen wiederholt auftaucht. Form und Stimmung der Consolatio tritt am meisten auf in der knappen Marcellus-E. III 18, während in den Paetus-Epikedeion (Vahlen) sich gegen [2300] Schluß das erotische Motiv hineindrängt (Otto Herm. XX 564). An Tibulls Festgedichte und ihre Vorbilder erinnern, auch in der Gliederung, einige hymnenartige Stücke, vor allem IV 6 (Sacra facit vates, vgl. v. 3f.). mit breitem legendarischen Hauptteil, auch das Geburtstagsgedicht III 10 (v. 7f. ein deutlicher Anklang an Kallimachos Hymn. II 18, die gemeinsame Vorlage für Tibull und Properz). Wie Theokrit in dem entsprechenden Idyll (13), das uns den Stil der erzählenden hellenistischen E. repräsentiert, gibt Properz der Erzählung der Hylassage I 20 durch die Anrede an einen Freund persönliche Färbung (über Einzelheiten vor allem Rohde Gr. Roman 105, 3). Führt schon der Hymnus III 10, in Anlehnung an Tibull II 5, auf das Gebiet der heimischen αἴτια, so zeigen uns den Dichter die übrigen erzählenden Römerelegien, für die er in den unter XI. behandelten Griechen Vorgänger hatte, auf dem besten Wege, ein Romanus Callimachus (IV 1, 64) zu werden; hier setzen dann Ovids Fasti ein. Die eigenartige, balladenhafte Gestaltung des Stoffes, wie wir sie bei den Hellenisten beobachteten, tritt uns auch hier entgegen. Einmal klingt eine rein erzählend beginnende E. (IV 9 Amphitryoniades) in einen hymnenartigen Epilog aus, wie Theokrits Dionysoshymnus Λῆναι (26).

Sehen wir von dieser Gruppe ab, so ist es unverkennbar, daß sich die meisten Elegien des Properz in ihrer Anordnung und Gedankenführung ganz erheblich von denen des Tibull unterscheiden. Das Prinzip, das wir in den Jugendgedichten des ersten Buches beobachteten, ist in der Tat das Charakteristikum seiner ganzen Dichtung: feste epigrammatische Gedanken und Situationen, meist rhetorisch breit ausgeführt, oft aber auch zu echten epigrammatischen παίγνια verdichtet (so II 2 Anth. Pal. V 256; 18 b. 28 b. 31; III 23 auf eine verlorene Schreibtafel). Zu einer mimischen Szene von keckster Realistik wird das Thema der Eifersucht ausgebildet IV 8. Die wie aus einem Mimus herausgelöste Figur des Horos redet IV 1 geradezu dramatisch in den begeisterten Monolog des Dichters hinein: ein Redenpaar, das an Horazens letzte Epode (Crusius Unters. zu Herondas 22) erinnert. Nichts dergleichen wird man bei Tibull nachweisen können.

In der Verstechnik steht Properz in der Mitte zwischen Ovid und Tibull. Die syntaktische Abschließung der Distichen führt er freilich nicht so streng durch, wie sein Vorgänger (Gruppe 364f.), und der größeren Wucht seines Stils entsprechend ist der Prozentsatz an Spondeen etwas höher.

Man hat neuerdings wieder die im Altertum nicht fest entschiedene Frage aufgeworfen, ob Tibull oder Properz der größere Poet sei. Meist entscheidet man sich mit Moritz Haupt für Properz, der selbst wohl überzeugt war, daß er dem Tibull den Kranz entrissen habe (Gruppe 370). Es ist nicht fruchtbar, selbständige und heterogene Größen so aneinander zu messen. Genug, daß beide in einem durch ihre Persönlichkeit bedingten und beseelten Stile echte Kunstwerke schufen, die noch heute unmittelbar zu wirken fähig sind. Wer griechische Art und Kunst liebt, wird (mit Leo) seine Sympathien vor allem Tibull zuwenden. [2301]

XVI. Ovid und seine Genossen. Anonymes.

Schon bei Properz fehlt dem erotischen Pathos vielfach Wahrheit und Würde; die Stoffe werden in einer Manier gestaltet, die an die Rhetorenschule erinnert. Ganz und gar willkürliches, aber geistreiches und in der Form fast geniales Spiel sind die amores Ovids, die gleichzeitig mit seinen ludicra und epigrammata entstanden sein werden. Gruppe (Elegie I 370ff.) hat von ihnen eine immer noch lesenswerte Charakteristik gegeben und dargetan, wie Ovid die Motive seiner Vorgänger nach rein artistischen Gesichtspunkten aufgreift, ummodelt, zusammenordnet (gute Einzelbeobachtungen S. 379f.;[19] innerlich verbundene Nachbarstücke wie bei Properz II 2. 3. 7. 8. 11–14). Im Mittelpunkt der Amores steht ein Weib mit griechischem nom de guerre, Corinna, ,das Mädchen‘ (zu κόρη, mit der Dichterin hat sie nichts zu tun). Sehen Tibull und auch Properz ihre Delia und Cynthia noch im Lichte apollinischer Stimmung: hier ist nichts Göttliches mehr; neben die domina (die hellenistische galante Terminologie κύριος κυρία ist auch die römische) tritt nicht nur als Helferin (Nape), sondern auch als Ziel des Begehrens die jugendliche Sklavin (Kypassis). Die Rolle und Empfindung des türhütenden Eunuchen wird mit widriger Breite (wie schon in der hellenistischen Komödie) II 2. 3 dargestellt und das realistische Bild einer alten Kupplerin mit dem redenden Namen Dipsas (in Anlehnung an Properz) zeigt Farben, die an den Mimus erinnern (Crusius Untersuchungen zu Herondas 20ff.). Der Stoff ist vielfach unrein bis zum Ekelhaften (IΙ 13f. 15. III 1); die nequitia, bei Properz noch eine Folge der Verzweiflung, wird bei Ovid (IΙ 1, 2) die Durchschnittsstimmung; gefällige Täuschung, rein sinnlicher Genuß (corpus amo III 11, 38, vgl. II 4) ist alles, was der Dichter will. Dabei glauben wir gern, was Ovid später versichert, daß diese ganze Libertinage im Grunde nur in seiner Phantasie existierte, wie etwa bei W. Heinse. Es sind rhetorisch-dichterische Bearbeitungen angenommener Situationen: τίνας ἂν εἴποι λόγους. Aber freilich mit sprühendem Witz, spielender Grazie, unerschöpflicher Erfindung und Anempfindung, so daß selbst dieses frivole Spiel einigermaßen erträglich wird. Stofflich neu ist Ovid nur insoweit, als er sagt, was man bis dahin in dieser Form nicht sagen mochte; auch seine Sprache verbindet in seltsamer Weise eine zierliche (mehr an die Anacreontea erinnernde), galante Phraseologie mit wahrhaft massiven, bis dahin wohl nur im Mimus und der satura üblichen Brutalitäten (IΙ 4, 22f.; sustinuisse femur, s. Herondas V 1, am schlimmsten III 7, 73. 83. II 9, 23–38. 13. 14). Die Lebendigkeit, mit der sich ganze Szenen vor unsern Augen abspielen (z. B. II 7. 8, die angeredete Kypassis wirkt mit, wie eine stumme Person; ähnlich III 2, ein Bild aus dem großstädtischen Leben; III 5 die Traumdeutung, wie Herondas VIII; III 7), setzt in der Tat eine am Drama, vor allem am Mimus geschulte Phantasie voraus; als Vorläufer dieser Stücke kann man nur Properz IV 8 anführen. Der künftige Dichter [2302] der Metamorphosen kündigt sich an in manchen kleinen Zügen, scharf gesehenen Naturschilderungen, eigenartig belebten Allegorien (das Gefolge des Cupido I 2, Elegeia und Tragödie im Agon III 1, nur daß der neue Hercules beide Wege zu gehen ermächtigt wird; Ähnliches III 9, 3ff. in dem Epikedeion auf Tibull). Vielfach schlägt ein an Martial gemahnender Epigrammenstil durch, bald mit priamelartig gehäuften Einzelheiten (z. B. II 4), bald mit scharf herausgeschliffener Pointe (IΙ 19, v. 60 me tibi rivalem si iuvat esse veta, ähnlich I 8. III 3. 14 u. a.). Aber auch die träumende Lässigkeit des Tibull klingt gelegentlich an; in der Struktur tibullisch ist z. B. I 10 mit seiner Entwicklung in Gegensätzen. Wirklich neu ist die Anlage des παρακλαυσίθυρον I 6: wie in der Ἀποκεκλειμένη Grenfells, wird hier ein Mittelteil mit lyrischer Stimmung herausgehoben, und zwar durch das in der römischen E. sonst nicht gebräuchliche Mittel des Refrains (tempora noctis eunt: excute poste seram; Analogien bei Virgil und Catull). Die Ironie, mit der der Dichter im Grunde seinem Stoffe gegenübersteht, nimmt gelegentlich fast die Form der Parodie an. Von dem naiven Passer Catulls ist der pompöse Psittacus II 6 himmelweit verschieden; die Art, wie hier höhere und niedere Mythologie, Himmel und Hölle bemüht werden, hat in den entsprechenden (sicher parodischen) Abschnitten des Culex eine Analogie. Eine gute allegorische Charakteristik gibt Ovid selbst III I, 7ff. venit odoratos Elegeia nexa capillos – 44 huic ego proveni lena comesque deae: in dem Dunstkreis dieser parfümierten Bordellpoesie fühlt sich der Dichter und sein Publikum offenbar sehr wohl. Herausgehoben seien aus diesem Einleitungsgedicht noch die lebensvollen Züge v. 51ff. Daß Einzelelegien als erotische Huldigung, als Werbung, als Geburtstagsgabe dienten, zeigen uns greifbar Sulpicia und Lygdamus. So wird auch das öffentliche Anheften oder Einritzen solcher Poeme (v. 53 vel quotiens foribus duris incisa pependi usw.) keine bloße Fiktion sein. Eine Gegenprobe bieten die elegischen Dirae auf Stein und Erz (s. Carm. epigr. 1178 Büch.).

Zu den Amores verhalten sich die Heroides, wie der Sulpiciacyklus oder die Arethusa-E. zu den übrigen Dichtungen des Tibull und Properz. Mit diesen Anregungen der Vorgänger verband sich die Technik der Rhetorenschule, die Reden und Briefe aus fremder, auch heroischer Person heraus schreiben lehrte (manches derart, auch in poetischer Form, ist erhalten, besonders in der Anthologia Palatina und in spätern Papyri, in Heidelberg und in andern Sammlungen, s. Crusius Philologus LXIV [1905] 144ff.). Die Umbildung der Sagengestalten in galante Ritter und Damen hatte schon die hellenistische Erotik vollzogen, die dem Dichter die reichste Fundgrube war (Rohde D. gr. Rom. 101, 2. 110f. 129f. Dilthey Observ. in heroid., Göttingen 1884/5. Knaack Anal. Alex.-Rom. 32. Zielinski Philol. LXIV 17). So waren nach Inhalt und Form alle Elemente schon vorhanden, aber als Ganzes war das Heroidenbuch doch ignotum aliis opus (ars am. III 346). In der Durchführung der Aufgabe zeigt Ovid ähnliche Vorzüge und Schwächen, wie in den Amores. Die dem Durchschnittsgeschmack [2303] entsprechende Manier sicherte gerade diesem Werk großen Erfolg, und da die gleiche Methode ohne Schwierigkeit auf eine Unzahl von Gestalten anzuwenden war, so blieb auch das servum pecus der Nachahmer nicht aus (die Echtheitsfrage kann hier nicht erörtert werden).

Ähnlich steht es mit Ovids erotischem Hauptwerk, der ars (Sonderausgabe von Brandt Leipz. 1902) und den mit ihr eng verbundenen remedia und de medicamine facici: Dichtungen, die während und nach der Arbeit an didaktischen Gedichten im Stile des Arat und Nikandros (Prob. Verg. Georg. I 138 Phaenomena, Plin. XXX 33 Medizinisches) entstanden sein werden; der Titel mag mit einem Seitenblick auf die philosophischen ἐρωτικαὶ τέχναι (Zeno Diog. Laert. VII 34, vgl. Apul. de mag. 9 p. 14 Kr.) gewählt sein. Schon die Hellenisten haben die Form des Lehrgedichtes mit ironischer Feierlichkeit auf erotische und gastronomische Stoffe angewandt. Durch Ennius (Heduphagetica) hatte Rom derartiges kennen gelernt. Bei Tibull und Properz, wie in Ovids Amores beobachteten wir, wie im Rahmen einer mimischen Situation die Theorie des Hetärentums und der Galanterie entwickelt wird: umgekehrte Χείρωνος ὑποθῆκαι. Aber die breite, virtuose Manier, wie Ovid hier den Stoff gestaltet, die Treffsicherheit, mit der er seine Zeit, die großstädtische jeunesse dorée, die ganze Welt und Halbwelt von Rom aufzunehmen weiß, haben ein Werk geschaffen, das, trotz seines vielfach abstoßenden Inhalts, als künstlerische Leistung sehr hoch steht, höher als alles, was wir von griechischer Seite aus vergleichen könnten: mit gleich gewandtem Griffel hat später etwa Martial seine Zeit zu zeichnen gewußt. Wiederholt klingen uns wie in den Amores Tibullische Weisen ins Ohr, idyllische Schilderungen der Urzeit (ars I 103ff.; de medicam. 11ff.), aber nur um in ihrer rusticitas als Folie zu dienen für den cultus der modernen Welt; Kallimachos und andere Poeten werden zitiert, aber ihre poetische Schwärmerei ist ein mendacium, an das der frivole Gelegenheitsmacher und sein Gefolge nicht glaubt (charakteristisch ars I 25ff., mit Bezug auf Callim. frg. anon. 388 p. 188 Schn. Fronto p. 11 Naber). Den rhetorischen τέχναι entlehnt der Dichter die Disposition (Zielinski Philol. LXIV 16), mit dem Bewußtsein, damit den Rhetoren und ihren ampullae ein Schnippchen zu schlagen. Ovid steht hier den Stoffen und Stimmungen der hellenistischen Erotik gegenüber, wie H. Heine der Idealwelt der Romantiker, nur daß freilich dem antiken Meister jeder sentimentale und weltschmerzliche Zug abgeht.

Es mag Ovid nicht leicht gewesen sein, sich aus der ironischen Profanisierung der Sage und des Glaubens wieder in die positive Stimmung hinaufzuschrauben, aus der heraus im ganzen doch die Fasti, nach dem Vorbilde des Properz und griechischer Poeten (o. S. 2300), geschaffen worden sind, so sehr ihnen lebendige Religiosität abgeht. Was Properz werden wollte, ist hier Ovid, der Romanus Callimachus, der ,Zeiten und Orte‘ der Heimat poetisch verklärt; auch die Form (der Gott selbst als Offenbarungsspender) weist wiederholt auf Hellenisten (Kallimachos, Alexander Aitolos) als Muster zurück. [2304] Das geniale Erzählertalent des antiken Poeten, der Boccaccio und Ariost zugleich ist, bewährt sich hier aufs schönste. Auch ist die distichische Form (was hier im Gegensatz zu andern betont sei) ganz angemessen, da der Stoff in viele kleine balladenhafte Einheiten zerfällt. Es ist ein Elegienkranz, keine E.

Ovids letzte Arbeiten, die Tristia, und Epistulae ex Ponto, werden meist gar zu niedrig eingeschätzt; Gruppe, der manche ältere Einzel-E. eingehend und fein analysiert hat, geht über diese umfangreichen Bücher (S. 380) mit ein paar Phrasen hinweg. Aber die Dichtungen sind durchaus dem innersten Bedürfnis des Verbannten entsprungen; was er tr. IV 10, 112ff. sagt (tristia quo possum carmine fata levo usw.), erinnert an ein bekanntes Wort von Goethe. Nur entschwindet ihm, da nemo est, cuius referatur ad aures, der rechte kritische Maßstab: er teilt zu viel mit, während er früher minder Gelungenes emendaturis ignibus ipse dedit. Aber es wird hier doch eine Fülle erlebter Stimmungen, gesehener Bilder glücklich festgehalten. Es gibt Abschnitte, die den Vergleich mit Tibull und den Griechen nicht zu scheuen brauchen. So das Schreiben des Kranken an die ferne Gattin, Trist. III 3 (mit dem ergreifenden Geständnis si iam deficiam 21); der Ausdruck des Heimwehs Trist. IV 6 u. Ä.; die Klage um ein zerstörtes Leben IV 8; die Geburtstagsgrüsse an die Gattin V 5 (mit den originellen Einzelzügen v. 30ff., s. Callim. frg. 464 p. 626 Schn.: Ovid beschäftigte sich wieder mit Kallimachos und bearbeitete dessen Ibis, s. o. S. 2285); das perfer obdura ep. ex Ponto III 7 u. a. Ungetrübt ist das scharf beobachtende Auge, ungehemmt die Fähigkeit, das Beobachtete mitzuteilen (der Winter in Tomi, Trist. III 10 u. ö., die νόμιμα βαρβαοικά V 10). Das Gefühl der Zerknirschung, die Zuflucht zur religio ist echt und wird wirksam ausgesprochen (Trist. IV 8. V 3). Es sind Töne, wie sie Schubart anschlug, als er auf dem Hohenasperg saß. Die angewandten Mittel sind die alten. Aber sie werden oft originell verwandt. So wird der Orestesmythus ep. ex Ponto III 2, 70 einem alten Geten in den Mund gelegt. Die Priamelmanier, die dem überströmenden Talent des Poeten so geläufig ist (s. z. B. Trist. I 8. IV 6), führt in dem Brief an die Frau V 2 zu einem ἀπροσδόκητον (v. 27), das wie ein grelles Verzweiflungslachen wirkt. Auch epigrammatisch zugespitzt sind manche Stücke, z. B. Trist. I 4 (mit dem Oxymoron v. 28). I 11. Wenn die Poesie vor allem Kunst des Ausdrucks ist, war Ovid auch jetzt noch ein großer Künstler.

Freilich in der Mehrzahl dieser Altersdichtungen kommt lediglich der von Seneca (controv. II 2, 9) gerühmte rhetorische Improvisator, der Schüler des Porcius Latro und Arellius Fuscus zu Wort. Klientenpoesie, am schlimmsten Trist. II. Während wir die ludicra und epigrammata (darin der ex Ponto I 2, 131 erwähnte Hymenaeus ?), in denen sich Ovid neben Catull und Domitius Marsus stellte, ungern vermissen, dürfen wir wohl überzeugt sein, daß wir an den elegischen Epicedia auf M. Valerius Messalla (ex Ponto I 7, 27) und Paullus Fabius Maximus (ex Ponto IV 13, 19; Trist. III 14, 48) nicht zu viel verloren [2305] haben. Ähnliche anonyme Stücke besitzen wir in den elegiae in Maecenatem (PLM I 122ff.) und der consolatio ad Liviam, über die der gründliche Artikel von Skutsch (o. Bd. IV S. 933ff.) alles Nötige beibringt.

In formeller (besonders metrischer) Hinsicht ist Ovid der Vollender des römischen Stils der E.; er ist hier für die Zukunft der klassische Meister, wie Virgil für das Epos. Wir wissen von Ovid selbst (ex Ponto IV 16), daß sich ein Kreis von Gleichstrebenden an ihn anschloß, vor allem Proculus, da er Callimachi molle teneret iter, und Sabinus, der Antwortschreiben auf die Heroiden verfasste; Einzelheiten bei Gruppe 388f. Teuffel-Schwabe § 252. Einiges Interesse kann die E. Nux beanspruchen: Technik und Sprache steht Ovids Manier nahe genug (s. Fröhner Philol. Suppl. V 46. A. Kunz Ovid. de medic. fac. p. 54). Es scheint nicht ausgeschlossen, daß das Gedicht (PLM I 90) unter jenen ludicra et epigrammata stand, die wir uns in der Art des Virgilischen Buches κατὰ λεπτόν angelegt zu denken haben. Das Thema eines griechischen Epigramms (Anth. Pal. IX 3. 79), das auch die Fabel aufgenommen hat (Babrius 151 p. 141 Cr., mit weiteren Nachweisen), wird mit rhetorischen und mythologischen Mitteln weit ausgesponnen (v. Wilamowitz Comment. Momms. 396); jene typische Übertragung der alexandrinischen Miniatur ins römische Fresko, auf die wir wiederholt hingewiesen haben. Bährens und v. Wilamowitz halten das Gedicht für unecht, während sich Fröhner für die Echtheit entscheidet.

XVII. Elegische Versuche in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit.

Iuvenal beklagt sich (I 3) über einen Dilettanten, der ihm elegos vorliest: er wird dabei redselige Arbeiten in der Manier Ovids im Sinne haben; die elegidia, die nach Persius I 51 crudi dictarunt [vielleicht ructarunt, wegen crudi, was bei Horaz ep. II 1, 110 fehlt?] proceres, werden sympotische παίγνια sein, vgl. das sechszeilige elegidarion des Eumolpos bei Petron. 109. Also auch die hellenistische Sitte, derartige Verse beim Symposion zu improvisieren, bestand noch. Elegien waren wohl die Dichtungen des Arruntius (s. o. Bd. II S. 1266) Stella (Buch Asteris, darin nach Mart. VII 14, 5 der Tod einer Lieblingstaube ,beweint‘, die neben Ovids Psittacus und Catulls Passer gehört, es wird in dem ,Park‘ dieser römischen Damen auch noch Rebhühner, Wachteln, vielleicht auch Hühner gegeben haben, vgl. Herondas ed. Crusius4 p. 121f.). Völlig verschollen sind die verwandten Versuche des Plinius und des Passienus Paulus, eines Nachkommen des Properz (Plin. ep. VII 4. 3. 7). Von der damals herrschenden Manier geben aber ein anschauliches Bild die distichischen Poeme bei Petronius und das unter Senecas Namen gehende und zum Teil wohl von Seneca herstammende Epigrammenbuch der Anthologie PLM IV 55ff. B., s. Petron. p. 115ff. Bücheler. Im allgemeinen überwiegt die epigrammatische Anlage (Pointen als Regel, Priamelstil Seneca 2 p. 55; 50 p. 76. Petron. 83. 137 frg. 26. 32). Aber es fehlt nicht an freier ausklingender elegischer Stimmung. Schon Petron. 38 p. 117 Bch. (99 Baehr.) gehört dahin: ein zierliches Gedicht, dessen Anlage und Stellung (wie manches [2306] in Ovids Amores) an die dem Petron (wie dem Gellius) wohlbekannten Anacreontea (frg. 19f. p. 112 Bch.) erinnert (s. Anacr. 30. 31 ὑακινθίνῳ με ῥάβδῳ χαλεπῶς Ἔρως ῥαπίζων κτλ). In noch höherem Maße Sen. 5. 25, die sog. elegia de Spe; ferner 39, wohl Einleitung zu einem lasziven Arethusacyklus im Stil Ovids, wie 41; 62 an eine Delia, wie 61, auch im Stil an Catal. 1 erinnernd; 72. 73, ein Elegienpaar, eine Scene aus dem Bürgerkriege behandelnd. Ebenso zeigen die jetzt bei Bücheler leicht zu überschauenden carmina epigraphica, wie gern gerade die Römer sich damals auch in Inschriften in dem breiten mythologisch-rhetorischen Stil der E. gehen ließen. S. Carm. epigr. 1111. 1141f. 1237; merkwürdige dirae, eine Art Gegenstück zum Ovidisch-Kallimacheischen Ibis, Carm. epigr. 1178 (27 Distichen). Wo der Vollender des römischen Epigrammenstils, Martial, positive Empfindung ausspricht, greift er nicht zum Distichon, sondern zu einfachen lyrischen Formen, wie Hendecasyllaben (Rückkehr in die Heimat XII 18) und Hinkiamben (ergreifend X 74). Ähnlich scheinen die Griechen in dieser Zeit den Gebrauch des Distichons beschränkt zu haben. Für das lyrische Spiel gebrauchten sie einfache metrische Formen (Typus die Anakreontea), für belehrende und erzählende Stoffe den Hexameter.

XVIII. Die späteren Jahrhunderte der Kaiserzeit: Maximianus.

In den populären Epitaphien tritt immer wieder jener elegienhaft breite Stil auf, den wir eben kennen lernten (PLM III 245 Vitalis; 270 Nymphius; manches bei Bücheler Carm. epigr.). Ebenso wird das Distichon, nach dem Vorgange Ovids, nicht unglücklich bei kleinen lehrhaft-erzählenden Stoffen angewandt. Dahin gehört das carmen de rosis (Teuffel-Schwabe § 229, 2), de ave Phoenice (stark unter dem Einfluß des Ovid, Teuffel-Schwabe § 397, 8), auch die Fabeln Aviens; hier kann auch auf gleichzeitige griechische Poeten verwiesen werden (s. Babrius ed. Crusius p. 220f.). Auch der elegische Brief wird weiter gepflegt, vor allem durch Ausonius (Marx o. Bd. II S. 2568ff.) und Claudian (Vollmer o. Bd. III S. 2656ff.). Bei den Dichtern der Anthologie tritt der elegische Stil gelegentlich neben den epigrammatischen (Pentadius de fortuna und de adventu veris PLM IV 343ff.): Künsteleien in der Art der epanaleptischen elegia des Sedulius und Porfyrius (Anth. lat. 269. PLG IV 268, vgl. auch 426 p. 356); ferner de cupiditate PLM IV p. 107. Noch in der Zeit der Völkerwanderung wird die elegische Form mit Glück und Geschick angewandt. So schrieb Rutilius Claudius Namatianus (Teuffel-Schwabe § 454) de reditu suo in mindestens zwei Büchern mit frischer Anschauung und nicht ohne Temperament und Geist (bemerkenswerte deverticula sind abgesehen von allerlei Sagen und αἴτια der schwungvolle Hymnus auf Rom I 47–164; das Lob des Eisens I 355ff.; die Angriffe auf Juden und Mönche I 387ff. 439ff., auf Stilicho II 110ff.). Ein lebhaftes patriotisches Pathos – Stolz auf die Größe Roms und Entrüstung über das hereinbrechende Barbarentum – gibt dem Ganzen Wärme und einheitliche Stimmung. Doch liegt die ältere patriotische E. der Griechen dem Verfasser sichtlich fern; neben den bekannten [2307] hexametrischen Itinera schwebten ihm wohl Ovids Reisebriefe (vor allem sein Abschied von Rom Trist. I), möglicherweise auch die Reise-E. und Valgius Rufus vor, s. o. S. 2297. Dieselbe Gewandtheit in der Handhabung der elegischen Form legen andere Dichter dieser Zeit an den Tag, wie Apollinaris Sidonius (o. Bd. I S. 2845), Sedulius (Teuffel-Schwabe § 472, 4), Dracontius (o. S. 1635ff.), Ennodius (Teuffel-Schwabe § 479, 7f.). Doch kann das Fortwuchern dieser Form in der christlichen Poesie und im Mittelalter hier nicht verfolgt werden. Am interessantesten sind die bei Bährens PLM V 361ff. abgedruckten Elegien, darin die 32 Verse lange Priamel der Eucheria und ein Gedicht über die Nachtigall mit volkstümlichen Anklängen p. 369, beides aus Antikem entwickelt, und doch schon halb mittelalterlich im Stil.

Aber noch im 6. Jhdt. lebt die alte erotische E. wieder auf in den Dichtungen des Etruskers Maximian (PLM V 303. Teuffel-Schwabe § 490). Es ist die trübe Gesinnung des Mimnermos, die gleich im ersten Gedicht (Einst und Jetzt) den Grundton anschlägt. Von dem Alternden trennt sich die ungetreue Lykoris (II, s. o. S. 2293). Ein wunderliches Bild aus der Jugendzeit steigt auf, die erste Liebe, von der er durch eine Radikalkur des Boethius geheilt wird (III); daneben ein späteres Erlebnis, wie er durch Traumreden seinen Johannistrieb wider Willen verraten habe (IV); endlich ein kräftiges Thema Tibullianum und Ovidianum, offenbar im Anschluß an Ovid Amor. III 7, aber in der Ausführung durchaus selbständig. Amüsant ist die Schilderung, wie eine Graia puella den Würdenträger zu fangen sucht, die pervigil ad nostros astabat nocte fenestras nescio quid Graeco murmure dulce canens – ganz wie Grenfells Ἀποκεκλειμένη (Herondas ed. Crusius p. 117ff.); in der römischen E. wird sich der τόπος sonst kaum nachweisen lassen. Die üblichen mythologischen und rhetorischen Mittel (priamelartige Häufung von Bildern I 269ff. u. ö.) gebraucht Maximianus handwerksmäßig sicher, es fehlt ihm auch nicht an Einfällen, wohl aber an Geschmack. Seltsam wirkt das Nebeneinander lüsterner erotischer Bilder mit einer durchgehenden Tendenz zum Asketischen. Antike und Mittelalter im Kampf. Aber es ist merkwürdig, wie viel eigenes Leben noch in diesem letzten Vertreter der erotischen E. steckt.

Bei den Griechen ist das herrschende Maß, seit dem Auftreten des Nonnos, der Hexameter; daneben, für lyrische Zwecke, die Formen der Anakreontea (s. o. S. 2273 und Bd. I S. 2048), Cholanapaesten u. ä. Das Distichon beschränkt sich im ganzen auf kleinere Aufgaben im Epigrammenstil. Doch fehlt es nicht an Beispielen für erzählende und betrachtende Dichtungen in diesem Maß (Babrius ed. Crusius p. 220. 223). Aber ein Werk, das mit den klassischen Elegien der Römer vergleichbar wäre, wird sich bei den Griechen in diesem Zeitalter nicht nachweisen lassen.

Anmerkungen

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  1. [Nach dem Abschluß des Artikels erschien Fr. Jacoby Zur Entstehung der röm. Elegie, Rh. Mus. LX 42ff. Diese Arbeit konnte nur in einigen Fußnoten benützt werden. Überhaupt war mir eine Verwertung der neueren monographischen Beiträge nur in sehr bescheidenem Umfang möglich, da mir die Zeit zum Nacharbeiten im einzelnen fehlte. – Jacoby hat richtige, aber nicht neue Gedanken (relative Selbständigkeit der römischen E. und maßgebende Wirkung des hellenistischen Epigramms) einseitig übertrieben und steht weder den literargeschichtlichen noch den ästhetischen Fragen unbefangen gegenüber. Um seiner These den gewünschten Nachdruck zu verleihen, schaltet er nicht nur Catull, sondern auch Tibull und Ovid nahezu aus, und arbeitet vorwiegend mit einem x (Gallus), das er, ohne überzeugende Gründe, nach seinem Bedürfnis zu gestalten weiß (S. 93f. 98). Sein Vorgänger in der Betonung der Selbständigkeit der römischen E. ist vor allem O. F. Gruppe, den man, sehr mit Unrecht, nicht mehr zu lesen pflegt (Eleg. 401f.). Mancherlei schon vor Jahrzehnten vorgetragenen Beobachtungen über die Bedeutung des hellenistischen Epigramms würde ich jetzt im einzelnen durchzuführen versucht haben, wenn mir die Redaktion mehr Zeit hätte lassen können. Einzelnes s. u.]
  2. [Jacoby S. 42 versichert wieder, die E. sei im Altertum ,durchaus der epischen bezw. der rezitierenden Poesie zugerechnet, nie der Lyrik‘; wie sich das ᾄδειν ὑπ' αὐλοῦ damit verträgt, sagt er nicht.]
  3. Begründung: ,Archäologische Studien (!) lagen ohne Zweifel dem alten Iambographen fern‘. Sowohl Kallinos wie Mimnermos bieten Analologien.
  4. [Das verkennt Jacoby, der auch aus dem Vorherrschen des paraenetischen Elementes in unsern (durch die Florilegien vermittelten) Fragmenten S. 43 falsche Schlüsse zieht – man denke, was aus Herondas geworden wäre, wenn man bei ihm nach Jacobys Methode verfahren hätte. Dabei führt Jacoby die Stellen des Horaz (ep. II 2, 29) und Properz (I 9, 11) an, die das Richtige lehren.]
  5. Daß dem mythischen Auloden Ardalos (Plut. de mus. 5) apud Pausaniam elegi tribuuntur, ist ein längst gerügtes, aber immer wieder nachgesprochenes (Flach S. 256) Versehen Volkmanns Plut. de mus. p. 68, der die Worte (Paus. II 31, 3) ποιῆσαι δὲ ἔλεγον (dicebant) αὐτὸ (τὸ ἱερόν) Ἄρδαλον nicht ordentlich gelesen hatte.
  6. v. Wilamowitz versichert allerdings a. O. S. 58, 1 ,Stil und Gedanken weisen den Keer ab‘ – weshalb? Die gezierte Phrase Χῖος ... ἀνήρ würde ich ihm z. B. eher zutrauen, als dem alten Iambographen.
  7. [Willkürlich ist die Annahme, daß auch die Bittis-Elegien ein Epikedeion gewesen seien (Jacoby 47) oder daß sie zu den ,Kataloggedichten‘ gehört hätten (Jacoby 55, 4. 66).]
  8. [Wie ich nachträglich bemerke, hat Jacoby wenigstens das erste dieser Fragmente gekannt, er meint aber ,es gibt keinen Anhalt, die Art des Gedichtes zu bestimmen, in der es stand‘. Daß v. 1 der Anfang ist, scheint sicher. Man muß sich die Augen schon zuhalten, um nicht zu sehen, was oben ausgeführt ist.]
  9. Beiläufig: warum man an den Περοικά des Kolophoniers zweifeln soll, läßt sich nicht absehen.
  10. Bei Plut. symp. IV 5 p. 671 C steht bei Bernardakis wieder εἰδὼς im Text, εἶδος im Apparat: viel wahrscheinlicher ist ἡ ὡς.
  11. [Diese Zeilen wurden vor dem Erscheinen der Arbeit von Jacoby geschrieben. S. 67 behauptet Jacoby, um seine These durchzuführen, ,das Epigramm konnte dem Mangel [an Analogien für die römischen Elegienbücher] nicht abhelfen, weil es allein steht. Da kann das erste einen schönen Knaben, das zweite ein Mädchen [ganz wie bei Tibull] ... feiern‘. Woher kennt Jacoby hellenistische Epigrammenbücher? Eine Analogie bietet vor allem der von Jacoby ausgeschaltete Catull 69ff. Hier taucht das Lesbiamotiv immer wieder auf. Die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, daß es ähnliche Epigrammenreihen bei den Hellenisten gegeben habe, wird sich nicht bestreiten lassen. Das einzige elegisch-epigrammatische Buch der Griechen, dessen Umrisse und Anlage wir kennen, Theognis ,Kyrnos‘ (s. o. S. 2273), richtet sich an den einen ἐρώμενος; in dieser, den Römern wohl bekannten Sammlung ist also das angeblich neue römische Prinzip vorweggenommen. Und warum sollen wir aus Theognis und Catull nicht auf die Hellenisten schließen? Wer weiß, ob uns nicht noch ein Konopioncyklus des Kallimachos beschert wird.]
  12. Ganz analog ist die Verbindung eines Widmungsbriefes mit einer größeren Dichtung in Virgils Eklogen VI, VIII; so zeigen uns auch die κατὰ λεπτόν Virgil unter dem Einfluß Catulls.
  13. Properz II 34 kann kaum verglichen werden.
  14. [Jacoby S. 68, 4 nennt die Annahme, daß Calvus seine Frau in einer E. beklagte, ,nicht wahrscheinlich‘ – wir haben doch aber einen Pentameter threnetischen Inhalts! Seltsam ist der Nachdruck, den Jacoby darauf legt, ob es sich um die Frau oder um eine Hetaere handelt. Das hat mit der Kunstform und ihrer Entstehung doch nichts zu tun.]
  15. [Jacoby S. 68 dekretiert gar: ,Catull kann man nicht in eine Reihe mit den ,römischen Elegikern‘ stellen, da er das elegische Maß nur in Übersetzungen, Briefen, einem Spottgedicht und Epigrammen verwendet hat‘. Eine seltsame Methode, der ,Entstehung‘ einer Dichtungsart nachzugehen.]
  16. [Jacoby S. 71 wagt die Vermutung von Skutsch zu der Annahme auszudehnen, daß seit Gallus ,der solenne Titel der Elegienbücher Amores gewesen sei‘ – so bei Properz, Tibull usw. (während doch Lygdamus 1, 6 selbst den Titel Neaera bezeugt): wie das durch die angeführten Stellen bewiesen werden soll, bleibt unklar. Mir scheint der Titel Amores (wohl nur zufällig an die Ἔρωτες des Phanokles anklingend) charakteristisch für die weniger individuelle Art des Ovid.]
  17. [Das Vorstehende wurde vor dem Erscheinen des Aufsatzes von Jacoby geschrieben; ich kann nicht finden, daß es ihm (S. 80) gelungen ist, die oben als unbewiesen bezeichneten Annahmen wirklich zu erhärten. Wenn er S. 103 gar 40/39 als Geburtsjahr der römischen E. bezeichnet, so hängt das an lauter Voraussetzungen, die keinen festen Halt haben.]
  18. Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 21521
  19. [Neuerdings s. vor allem R. Bürger De Ovidii Carminum amatoriorum inventione et arte, 1901.]