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Nach dem Ball

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Autor: Otto Julius Bierbaum
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Titel: Nach dem Ball
Untertitel: Ein Monolog mit Zwischenreden von Objekten, die eigentlich gar nicht mitzureden haben
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Albert Langen
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Google-USA* und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach der Ausgabe 1920 von ngiyaw-eBooks, Djvu auf Commons
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[63]
Nach dem Ball


Ein Monolog mit Zwischenreden von Objekten,
die eigentlich gar nicht mitzureden haben


[65] (Das Arbeitszimmer des Herrn Mitte der Dreißiger. Der Herr tritt, im Ballanzuge, eine weiße Nelke im Knopfloch, ein, begleitet von einem großen, gelbweißen Bernhardiner, der mit der phlegmatischen Würde seiner Rasse durch Schweifwedeln zum Ausduck bringt, daß er sich freut, seinen Herrn endlich begrüßen zu dürfen. Es ist drei Uhr morgens. Man erblickt durch die Fenster eine dickbeschneite Lindenallee in bläulichgrauem Lichte. Auf dem großen zopfigen Schreibtisch aus Palissanderholz, der in der Mitte des Zimmers steht, brennt in einer japanischen breitbauchigen Vase eine mit einem grünseidenen Schirme verhängte Lampe. Bücherschränke aus hellbraunem Kirschholze, deren Glastüren grüne Vorhänge haben; ein großes Schriftenregal; ein grünmustriges Sopha mit einem Tisch davor; in einer Ecke ein rund vorspringender hoher Eckschrank. Auf dem Schreibtische und auf den Schränken vielerlei [66] Objekte: Leuchter, Vasen, Büsten und dergleichen. – Der Herr bleibt am Fenster stehen und blickt hinaus.)

Das einzig Reinliche: die Natur. (Mentor, der Hund, steht hinter ihm auf und legt ihm die Pfoten auf die Schulter.) Ja ja, du auch, und die Muinz auch. Wo ist die Muinz? (Muinz, die schwarze Katze auf dem Sopha, miaut: Wo wird sie sein? hier!) Guten Morgen, alte Schachtel! Immer noch verliebt? (Muinz miaut: dumme Frage!) Ein infames Alter, wo man melancholisch wird, wenn man beschneite Bäume sieht. Alte, schwarze Linden, so alt, und jedes Frühjahr beladen sie sich neu mit Laub und Blüten, und duften Sommers nach lauter Liebe und Märchen. Lindenbäume – Ludwig Richter – erste Liebe – Möricke, – das ist alles nicht modern. Die heutige Lyrik und Malerei hat eine andere Botanik, und die Verliebten schnitten ihre Namen lieber in gigantische Kakteen oder so was. Na ja! Wenn sie sich nur nicht die Fingerchen zerstechen. Und lieber in einen Kaktus, als gar nicht. –

[67] Da wären wir also glücklich wieder bei besagtem Punkt der Punkte:

Schön ist ein Cylinderhut,
Wenn man ihn besitzen tut.
Und das Schönste auf der Welt
Ein Weib, das man im Arme hält.

Wirklich? Ich hielt heute viele im Arme, und ich kann eigentlich nicht finden, daß das auch nur erbaulich gewesen wäre.

Die gelbe Steingutkatze auf dem großen Bücherschrank (gemein-ironisch, singend): Die wahre Liebe war das nicht!

Der Herr (gelinde erstaunt): Nanu? du kannst singen? Gebärde dich etwas wahrscheinlicher!

Die gelbe Steingutkatze (leiernd wie eine böse alte Jungfer): Finden Sie vielleicht, daß es sehr wahrscheinlich klingt, wenn Sie hier am Fenster stehen und laut mit sich selber reden? Das gibt es ja nicht ’mal mehr auf dem Theater. Hihi!

Der Herr: Hihi! sagt sie auch noch! Aber eigentlich hat sie recht. Ich habe keine [68] Ursache, irgendwem Unwahrscheinlichkeiten vorzuwerfen. Wenn ich betrunken wäre oder voll heiligen Geistes, – gut, dann ließe sich das Monologhalten vertreten, aber so? Es ist schlechterdings absurd und wird wohl nicht wahr sein.

Ein ausgetrockneter Frosch auf dem Schreibtisch (durchaus im Tone eines alten Professors): Es ihst auch nicht wahr! Es ihst nun und nimmermehr wahr! Es ihst eine von den modernen Alfanzereien. Ich springe augenblicklich ins Tintenfaß, wenn dieser Unfug nicht sofort aufhört.

Der Herr: Alter Renommist! Wenn du noch springen könntest! (Tritt an den Tisch und sieht den Frosch nachdenklich an.) Als ich dich fand, werte Mumie, die einmal ein Herz, wenn auch mit kaltem Blute, hatte, nun ist es schon fast zehn Jahre her, da dacht’ ich mir, wie ich dich so in der Sonne liegen sah, die Hinterbeine breit auseinander, die Vorderbeine eingestemmt und die Kehle mit dem breiten Kopfe platt auf der Erde, – da dacht’ ich mir: „Wenn [69] du nicht das Stinken lernst, amphibische Leiche, will ich dich aufheben und immer vor mir liegen haben, nicht als eine Mahnung an den Tod und die Vergänglichkeit, sondern als ein Bild und Wahrzeichen des gesegneten Alters. Denn da ich keine Wunde an dir sehe, so mußt du wohl an Altersschwäche hier in der Sonne gestorben sein. Und selbst nach dem Tode war das Glück dir hold, denn obwohl hier Wagenspuren sind, bliebst du doch als Leiche noch unverletzt. In der Sonne gestorben, und der Zukunft aufbewahrt! Amen! Amen! So möchte mir auch einmal sein!“ Und wahrhaftig: Du hast das Stinken nicht gelernt, obwohl du doch auch damals auf meinem Schreibtisch lagst, als die Niederträchtigkeit in meinem Hause zu Gaste war, und als diese hohlen Augen eine feige Gemeinheit mit ansehen mußten, die eine Atmosphäre von Pest und Mist verbreitete. Sehr, sehr wackere Mumie du! Ich will dich den Überfrosch heißen, – aber du mußt schweigen.

Der Frosch: Ich verzichte auf den Titel! Ich verzihchte! Ich bin immer ein anständiger [70] Frosch gewesen, und meine gute Konservierung nach dem Tode ist lediglich eine Folge meines guten Lebenswandels. Keinerlei Debauchen, mein Herr, immer mäßig und nach den Regeln der guten Gesellschaft: das ist das ganze Geheimnis. Betrachten Sie mich dessen als Symbol und nehmen Sie sich ein Beispiel an mir. Dies Redoutengehen, Tanzen und Carressieren, Herr Lüstling, beraubt Sie absolut der Möglichkeit eines widerstandsfähigen Kadavers. Sie werden stin…

Der Herr (nimmt den Frosch und dreht ihn um): Genug! Soll ich mir auch noch von Fröschen Moral quaken lassen? Die Didaktik gehört zu den minderen Gattungen der Poesie, habe ich sagen hören, und, ach, mein Leben fängt selber an, ein Lehrgedicht zu werden. (Läßt sich in den breiten ledernen Armstuhl nieder.) Man wird zu Stroh, hat man die Liebe nicht, und selbst Leichen fangen an, sich dem als Lehrmeister aufzudrängen, dem der Sinn des Lebens verloren gegangen ist: die Liebe. Ob ich ihn ganz verloren habe und auf immer?

[71] Die Prinzessin Elisabeth von Preußen aus Gußeisen (hinter einem venezianischen Druckstocke auf dem Schreibtisch stehend, flüstert): Machen Sie sich mehr Bewegung, mein Herr, und essen Sie nicht soviel Kuchen!

Der Herr: Ist es das, Kgl. Hoheit, wirklich bloß das? Aber ich fahre ja Rad, ich gehe spazieren, ich besuche Redouten!

Die Prinzessin: Nichtsdestoweniger bekommen Sie einen Spitzbauch. Ich darf ja jetzt, Gott sei’s getrommelt und gepfiffen, so ein Wort in den Mund nehmen. Uff! Ist das eine Wohltat! Ich wünschte, ich hätte immer so gußeisern reden dürfen.

Der Herr: Das mit dem Bauch hat seine Richtigkeit. Aber ich sah schon gewaltigere Bäuche in Liebe entbrennen, und ich weiß Leute, die täglich drei Pfund Schokolade essen und dennoch verliebt sind, wie jugendliche Spatzen, obwohl sie sich soviel Bewegung machen wie eine Schlummerrolle. Nein, Prinzeß, das essen ist’s nicht, wenn es Ihnen auch Professor Hufeland [72] selber gesagt hat. Und: Aßen Sie denn niemals Kuchen?

Die Prinzessin (schweigt und ist ganz Gußeisen.)

Der Herr: Die Hohenzollerin verträgt keinen Widerspruch. Wie schade! Sie hätte mir gewiß Besseres zu sagen gewußt, als dieser korrekte Frosch-Bourgeois. – Ach, es ist ein Elend! So verscherzt man sich durch unzeitige Wahrhaftigkeit die besten Gelegenheiten. Wozu eigentlich? Lüge ist ein Zeichen von Kultur und gesellschaftlicher Gesittung. Wahrhaftigkeit ist eine Tugend für Leute mit schlechtsitzenden Gehröcken.

Die kleine Eva aus Buchsbaum (über den Apfel weglächelnd): Jung, Jung, Jung, was bist du für’n Leimsieder! Umgekehrt wird’n Schuh draus: Die Wilden lügen, der Kulturmensch leistet sich zuweilen den Luxus der Wahrheit. Je näher der Natur, desto weiter weg von der fixen Idee, es wäre was Schönes und Braves, „wahr“ zu sein. Gotte doch! Und du willst Künstler sein? Und du hast eine Frau gehabt?

[73] Der Herr: Wie, Madame? Soviel Weisheit bei so wenig Robe? Woher das? Wieso das? Wie will ein Rippenstück sich erdreisten, Gedanken zu haben? Wenn ich nicht wüßte, daß du überhaupt keine Strümpfe anhast, würde ich meinen, sie seien blau.

Die kleine Eva: Wenn ich nicht wüßte, daß Männer überhaupt keinen Verstand haben, würde ich meinen, der deine sei gestern abend in den Busen eines hübschen Mädchens gefallen. Werdet Ihr denn nie begreifen, daß Verstand haben heißt: den Sinn des Lebens innehaben? Und wo wäre das zu finden, als bei dem Weibe in seiner Nacktheit? Weisheit ist Weibsheit! Männer können nichts als kritisieren, und sie wären längst allesamt zu pappenen Hampelhänsen in der Hand des methodischen Irrsinns, genannt Logik, geworden, hätte es die verständige Dame Natur nicht so eingerichtet, daß sie sich zuweilen neben ein nacktes Weib legen müssen. Der Apfel des Verstandes als Nachspeise beim Souper der Liebe, – das steht nun schon ein paar Jahrtausende in dem alten verständigen [74] Buche, und Ihr habt es immer noch nicht kapiert. Ein wahres Glück, daß wir nicht aus Eurem Gehirne gemacht sind. Sonst wäre die Erbdummheit fertig.

Der Herr: Ist das die Umgangssprache des Paradieses? Höflichkeit, Madame, kleidet Frauen gut wie ein seidenes Kleid, aber Grobheit im Frauenmunde ist schrecklich, wie ein Unterrock aus Barchent. Ihr Feigenblatt war gewiß aus Jägerwolle.

Der kleine Adam aus Buchsbaum: Sehr gut, mein Herr, bravo, mein lieber Herr Doktor; stecken Sie es ihr nur ordentlich!

Der Herr: Ach, Sie! Hätten Sie sie lieber besser erzogen!

Der kleine Adam: Erzogen! Sie sprechen von Erziehen? Sie sind wohl noch nicht konfirmiert? Man kann wohl einem Nashornkäfer das Menuettanzen beibringen, aber eine Frau erziehen, das kann man nicht. Hören Sie mich an, mein Herr, und merken Sie sich das für spätere Fälle: Wir Männer haben nichts weiter, als das Recht, den Schulmeister [75] zu spielen, und je drolliger wir das machen, um so lieber wird es gesehen. Nur sollen wir uns nicht einbilden, damit jemals auch nur den winzigsten Effekt zu erzielen. Wir werden sofort lächerlich, tun wir das, oder gar unglücklich. Wobei zu bemerken ist, daß es sich durchaus nicht verlohnt, eines Weibes wegen unglücklich zu werden, solange es noch andere gibt. Ich freilich war übel daran, denn ich hatte, wie Sie wissen, keine Auswahl. Mein kleines Verhältnis mit des Teufels Großmutter darf füglich nicht mitgerechnet werden.

Der Herr: Rabulist! Das sagt jeder, und es ist mir interessant, daß diese Ausrede von Herrn Adam stammt. Du warst also der beste Bruder auch nicht? Ich habe es mir immer gedacht, daß die Bibel in der Hinsicht Lücken hat. Vielleicht erzählst du mir gelegentlich mal mehr von dem Abenteuer?

Der Tod auf Thoma’s Adam und Eva: Er wird es bleiben lassen.

Der Herr: Was, du auch, Mann mit dem kühlen Laken? Auch du, Gebein ohne [76] Stimmbänder, tust heute deine Kiefer auseinander und sprichst?

Der Tod: Törichtes Männchen, weißt du nicht, daß ich der bin, der immer das letzte Wort hat? In allen eueren Geschwätzen bin ich die Pointe, und es würde nur Klugheit verraten, wenn ihr überhaupt schwieget. Aber ihr Menschen seid eine komische Nation: mit Worten glaubt ihr wunder was auszurichten; sogar mich wollt ihr mit diesem Geschnalze wegexekutieren. Das Resultat ist, daß ihr mit ein paar Gehirnwindungen mehr krepiert. Dafür verfault diese Materie aber auch zuerst.

Der Herr: Der Herr Gevatter spricht, als wenn er Kraft und Stoff gelesen hätte. Glaubst du mir damit zu imponieren, Knochenweste? Der Seufzer einer Frau in meinen Armen ist mir interessanter und mehr wert, als all dein Dozieren, kahler Schädel. Was geht uns deine Pointe an, wenn wir noch in der Exposition sind? Du, o ja, du bist die Wahrheit, die Sicherheit, das einzig Solide, aber sollen wir deshalb weniger froh darüber sein, [77] daß vor dir hergehen die schöne Lüge, das göttliche Taumeln, der flüchtige Traum? Was uns gewiß ist, braucht uns nicht zu kümmern. Wir sind am Tag nicht bange, weil die Nacht kommt. Deine Schatten sind überall, aber in unserem Gehirn ist eine Sonne, und ein Feuer ist in unseren Herzen, wir haben eine Wärme und ein Licht, daß wir zwischen und in deinem Schatten Hellseher einer Seligkeit sind, die hundertmal eine kurze Lüge sein möge, wenn wir sie nur fühlen. Das ist die Lust unseres Lebens, daß wir Schöneres zu träumen vermögen, als deine dumme Wahrheit. Und wenn wir dich selber wegzuträumen belieben – was, wie mir scheint, eine löbliche Übung ist – so hülfe dir alle deine Tatsächlichkeit nichts. Du bist nicht mehr für uns da.

Vallottons Schumann (der unablässig auf einen schmerzenden Zahn zu drücken scheint, weil es dem Holzschneider beliebt hat, auf diese Weise Melancholie auszudrücken): Ja, ja, ja, ja, das träumt sich so eine Weile recht lieblich, bis der Augenblick [78] kommt, wo man zu Düsseldorf von der Brücke in den Rhein springt.

Der Herr: Weil man zu viel schweres Bier getrunken hat … Verzeih! Verzeih! Das fuhr mir so heraus.

Vallottons Schumann: Laß ruhig fahren, Junge, – es ist was Wahres daran. Und übrigens: Treibt Euer Spiel, so lange es geht, mit leichten Melodien oder schweren Bieren, – gleichviel. Das Einzige, worauf es ankommt, ist die Kunst.

Der Herr: Ich muß dir die Hand küssen für das Wort, Meister. Das ist es: die Kunst! Aber, aber, – man kann das Leben darüber versäumen. …

Die junge schöne Venezianerin (in einem Renaissancerahmen): Und wenn? Und wenn? Das heißt zuweilen mehr gelebt, als was die anderen leben nennen, die mit Edeldamen in schönen Gondeln fahren und jeden Tag Cyperwein trinken, ganz in Seide und Brokat getan, mit Edelsteinagraffen auf der Mütze. Ihr dürft es mir glauben, Signor Dottore. [79] Ich habe das eine Leben gekannt, wie das andere.

Der Herr: Auch diese schönen Lippen öffnen sich? O holdselige Nacht, die es mich vernehmen läßt, von welch vollem und doch zartem Klang die Worte sind, die aus dem Granatapfelfleische dieses Mundes kommen. Zwar, Signora, bin ich kein Dottore, aber gelehrig will ich den Lehren lauschen, die Ihr, hoffe ich, so gnädig sein werdet, mir zu geben.

Die junge schöne Venezianerin: Wie, Signor, Ihr seid kein Dottore? Ist nicht jeder Deutsche ein Dottore? O! Hahaha! Ich muß noch lachen, denke ich an den Deutschen, der einmal zu mir kam in mein Kasino, es war im allerschönsten Mai und ich so jung, daß ich im Frühling mein Blut noch rauschen hörte, und der Deutsche kam mit seinem viereckigen Barte, seiner geraden Nase, seinen großen blauen Augen, stark wie ein schöner Fuchshengst, unter den Achseln riechend nach Mann und Kraft und Gesundheit, Hände, so groß wie ein Blatt der Musa, aber schön, fest und warm, und einen [80] vollen blühenden Mund unter dem blonden Barte. Und, denkt Euch, Signor, hahaha, denkt Euch! –: statt mich zu küssen und mir Gutes zu tun mit seinem schönen Munde, hat er mich ausgefragt nach unserer Sprache und wie sie sich unterscheide von der lingua toscana und ob wir wirklich el sagen statt il. Hahaha, Signor, leidet Ihr an der Krankheit noch immer?

Der Herr: O signora amatissima, was sprecht Ihr schön, und wie tut es wohl, Euch lachen zu sehen! Laßt uns schweigen von dieser deutschen Krankheit. Ich glaube, sie ist im Schwinden, und gewiß achten wir die nicht mehr so hoch, die diesen Aussatz der Seele haben, wie unsere Vorfahren. Sprecht weiter, Signora, sprecht weiter!

Die junge schöne Venezianerin: Ihr seid galant, Signor, und darum sollt Ihr mich noch ein wenig hören, obwohl es uns, die wir nun bloß Dinge sind, eigentlich nicht mehr erlaubt ist zu reden, als zweimal. Ach, welche Wonne ist es zu reden, Worte ausfliegen zu lassen, wie [81] weiße Tauben! … Einst, als ich lebte, hab’ ich lieber geküßt, aber nun, da ich bei den andern bin, kenn’ ich kein größeres Glück, als reden zu dürfen. O, Signor, nur la la la zu sagen, ist schon ein Glück. – Aber was war es doch, das ich noch sagen wollte? O, ja, das, – ja, Signor: Es gibt ein Leben in der Kunst, das schöner ist, als alles andere Leben. Seht, ich habe viele Männer gekannt, die wohl wußten, was Glück ist; junge Edelleute, die reich waren, schön waren, tapfer waren, verliebt waren. Die schwarzen Gondeln, in denen sie zu mir kamen, waren voll Rosen, ihre Mäntel dufteten nach den Blumen von Byzanz, ihre Degen klirrten Ruhm, ihr Schreiten war Lust und Ichgefühl, und meine Säle schallten von Jauchzen, waren sie darin. O, wohl, ihre Liebe war stark, und ihre Jugend nicht feige, sondern mutig im Nehmen und Behalten, und alles war adelig an ihnen. Aber das allertiefste Glück, das ganze, in sich verlorene Glück hatte nur einer, der kein Edelmann war, sondern ein Maler. Er fuhr auf keinen Galeeren aus, Ruhm und [82] Reichtum zu holen, seine Gondel legte an keinen Palästen an, schönen Edelfräuleins den Hof zu machen, auch gab er keine Feste und war an keinen Festen Gast. Er hatte nichts als eine kleine Werkstatt auf der Giudecca, und ich weiß, daß kein Mädchen ihn besuchte außer mir. Aber, Signor, in seiner kleinen Stube war das Glück. Wenn er mich ansah, oder ein Rosenblatt, oder eine Wolke am Himmel, oder ein Kätzchen in der Sonne, oder am Lido draußen ein zertreten Muschelchen, – von allem sah er alles schön und mit der ganzen Seele, und er nahm’s in sein Herz und gab’s in seine Hand und schrieb es mit seinen Farben hin in aller Süßigkeit der Gestalt, andächtig allem Leben, untertänig voll Stolz seiner Gabe, das Leben noch einmal zu bilden als das Seine, nur Seine, und es zu verschenken: Da, Welt, ein Stück von dir, ein Stück von mir! O mein Francesco, der meinen Mund gemalt hat und seine Küsse, der meinen Leib gemalt hat und unser Glück, der in der Corteggiana die Liebe leibhaftig sah, weil die Liebe in ihm leibhaftig [83] war …!… So wußte und hatte das Glück keiner, wie er. Im Sterben selber besaß er es noch ganz. Ich saß an seinem Bette, nackt, und über meinem Kopf her kam die Sonne des Abends zu ihm durch das Fenster. Er sah mich voll und selig an und sprach: Das will ich drüben malen; – o, Giocanda, deine Schultern brauchen keine Flügel, Engel der Verkündigung der Schönheit. Es ist da eine Linie, zart wie Frühlingsmorgen und voll wie die Gottheit im Jauchzen der Welt. – So sprechend breitete er seine Arme aus, lächelte und sank auf das Pfühl, lächelte und starb. Ich habe seine Augen mit Küssen geschlossen und war nicht traurig. Nackt hätte ich mögen hingehen unter alles Volk und rufen: Selig! Selig! Selig!

Der Herr (nach einer Pause): Du schweigst? O rede, Giocanda! Du süß sprechende, schweige mir nicht! Nur aus deinem Munde mag das Wort kommen, das mir frommt in meiner Einsamkeit. (Er erhebt sich und tritt vor das Bild.) Sie ist tot und kann nur noch lächeln. Das [84] sind die Küsse, die Francesco gemalt hat. – Nun will ich schlafen gehn. Denn nun wird keines meiner Dinge mehr reden wollen. Und ich selber? Schlafen. Schlafen. Meine Hoffnung ist, von dir zu träumen, Giocanda. Gute Nacht! – Komm’, Mentor! Muinz, schlaf wohl!

(Er zündet eine Kerze an, nimmt den hohen japanischen Bronceleuchter und steigt die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinan. Mentor folgt ihm würdevoll.)