Der Pariser Kirchhof Père la Chaise
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„Wer lange leben will, der bleibe in Deutschland, besuche im Sommer die Bäder und lese im Winter die Protokolle der Ständeversammlungen. Wer aber Herz genug hat, die Breite des Lebens seiner Länge vorzuziehen, der komme nach Paris. Jeder Gedanke blühet hier schnell zur Empfindung hinauf, jede Empfindung reift schnell zum Genusse hinan; Geist und Herz und Sinn suchen und finden sich, und rasch und leicht hüpft die Welle des Daseyns dem Strome der Ewigkeit zu. – Paris ist der Telegraph der Vergangenheit, das Mikroskop der Gegenwart, das Fernrohr der Zukunft.“
Ein Anderer hat Paris mit einer Bühne verglichen, wo Jeder auf Kothurnen wandelt. In der That muß die einzelne Welle hoch aufschwellen, welche sich in diesem Ocean der Menschen bemerklich machen will, und selbst bedeutende Persönlichkeiten können da der Vergrößerung nicht entbehren, wo Alles auf Stelzen geht. Deshalb ist die Charlatanerie in Paris ein unentbehrlich Ding, und der hochgestellte Staatsmann, der gefeierte Akademiker, der Feldherr kann sie eben so wenig missen, als der kleine Krämer z. B., welcher seinen Namen und sein Waarenschild zehn Mal über und neben Thüren und Fenster malt, oder der Schlosser, der einen vergoldeten Schlüssel, groß genug für die Pforte des Himmels, dir vor die Nase hängt, oder der Coiffeur, welcher den lebendigen Bären hinter das Glasfenster seines Ladens zur Schau stellt, um die Leute glauben zu machen, daß er seine Pomaden aus dem ächten Fett der Bestien bereite.
Sogar der Tod geht hier auf dem Kothurn und die Charlatanerie begleitet den Sterblichen treu bis an die Schwelle des Schattenreichs. – Ein Leichenzug ist, nach deutschen Alltagsbegriffen, eine stille, ernste, fromme Feierlichkeit, in welcher die Verwandten, Freunde, Mitbürger einen Todten zur Ruhestätte begleiten. Man sucht dafür kein anderes Motiv, als Liebe oder Achtung. Ein Leichenzug in Paris hingegen ist vor Allem und wesentlich ein Schauspiel, um welches sich die Neugierde sammelt und durch welches die Überlebenden zu glänzen streben. Der Charakter der Trauer und der Wahrheit verschwindet: Pomp und Schein auf der einen, Vergnügen auf der andern Seite sind Alles. Am grellsten offenbart sich das bei den großen Leichenbegängnissen, die in einer Stadt wie Paris, wo alle Tage irgend ein durch seinen Reichthum, Rang oder Ruf bedeutender Mensch in’s kleine Kämmerchen einzieht, so häufig vorkommen. Es ist ein Spektakelstück und es setzt die Bevölkerung [108] eben so leicht in Bewegung, wie eine Feuersbrunst oder eine Hinrichtung, eine Illumination, oder die feierliche Auffahrt des Königs. Die mit jeder Volksbewegung in Paris in Verbindung stehenden Vorsichtsmaßregeln der bewaffneten Macht und Polizei sind von einem solchen Leichenzuge unzertrennlich. Soldaten werden auf den Boulevards aufgestellt, Posten der Munizipalgarde und der Polizei sammeln sich an den Straßenecken und Plätzen, an welchen der Trauerzug vorüber gehen soll. Die Durchgänge werden geschlossen: wer passiren will, wird zurückgewiesen; ja man kann hundert Schritte von seinem Hause seyn: man passirt nicht! – Das Volk sammelt sich, es drängt aus den umliegenden Straßen herbei, und die Boulevards werden dicht mit Menschen gefüllt. Alt und Jung, Männer und Weiber, Alles kömmt, fragt, bleibt stehen, um zu hören und zu sehen. Man lärmt und schreit. Ueberall ist Tumult, da Streit um die besten Plätze, dort unbändiges Lachen. „Was gibt’s?“ ruft jeder Neuankommende. „Ein General wird begraben: un grand homme!“ Der Tag kann nichts Unterhaltenderes, Belustigenderes bringen, als solch ein Begräbniß. Die Stunde naht, wo der Zug vorüber ziehen soll. Die Fenster in den Straßen füllen sich; bis zum fünften, sechsten, siebenten Stock reihen sich Kopf an Kopf, Hut an Hut, Schleife an Schleife: selbst an den Schornsteinen wird’s lebendig, wimmelt schaulustiges Volk. Nirgends in der unabsehbaren Menge ist ein Zeichen der Trauer; Kleider und Bänder von allen Farben: weiß, grün, blau, rosa, wie es die Mode bringt; alle Gesichter mit lachenden Mienen; überall Schäkern, überall laute Fröhlichkeit. Man unterhält, man amüsirt sich, – voila tout!
Polizeisoldaten ordnen die Menge zum Spalier, ein wandelndes Bahrtuch blinkt von fern her über die Köpfe der Menge. – Es ist ein Leichenwagen, der naht; ein Wagen, mit weißen Tüchern behangen, mit weißen Pferden bespannt; eine Myrthenkrone liegt auf dem weißbekleideten Sarge, – Blumenkränze sind an den Seiten befestigt. Eine Reihe verschleierter Mädchen in weißen Gewändern folgt dem einfachen Zuge. Man bringt die Hoffnung einer Mutter, ein junges Mädchen, zur Gruft. – C’est le heros en jupon! spottet einer aus der Menge, und schallendes Gelächter rollt durch die dichtgedrängten Massen.
Eine Pause folgt – Ungeduld und getäuschte Erwartung bewegen die Massen. Viele verlassen ihren Standpunkt und eilen weg. Da werden die Polizeisoldaten von neuem lebendig – „er kömmt! er kömmt!“ tönt’s, und wie von einem Zauberstab berührt, steht die Menge und harrt.
Diesmal ist’s der rechte Leichenzug, der daher kommt. Eine Gensd’armeriecolonne eröffnet ihn, ihr folgen Linientruppen mit gesenkten, florumhüllten Gewehren. Dann einige Offiziere mit schwarzen Degen. Hierauf der sechsspännige, schwarzbehängte, hochgerüstete Triumphwagen des Todes, auf dem sich Luxus und Pomp in Trauerinsignien zur Schau stellen. Auf der Vorderseite des Wagens ist eine Trophäe aufgerichtet; vier [109] Helme von Silber senden von den vier Ecken des Sarges wallende Reiherfedern herab. Auf dem Deckel liegen die Zeichen des Ranges des Verstorbenen. Diener tragen auf Sammtkissen die Dekorationen, welche der Verstorbene hatte. Sein Leibroß figurirt hinter dem Sarge. Kameraden des Todten, Generale im großen Kostüm, halten die Zipfel des Sargtuchs. Offiziere, Beamte, Freunde folgen dem Wagen und eine Abtheilung Liniensoldaten und Gensd’armen beschließen den Zug. Der Pariser hält aus, bis der Letzte der Cavalcade an ihm vorüber schreitet. Dann trennen sich die Massen im Nu – und mit dem banalen „C’est fini!“ eilt Jeder zu Hause, oder zu neuem Vergnügen. Das Spektakelstück endigt in Père la Chaise mit einigen Reden über dem Grabe, die, kalt gesprochen, nur von Wenigen gehört werden, und mit einer Musketensalve. „C’est fini!“ ruft der Pariser wieder, und das Uebrige bleibt den Steinmetzen und Bildhauern überlassen, welche die Thaten des Verstorbenen einem Monumente einmeiseln.
Die Masse von Denkmälern berühmter und großer Menschen in diesem Friedhofe ist enorm. Père la Chaise ist ein Register der neuern Geschichte: ihre Stromkarte in allen ihren Wendungen, Erweiterungen, Wasserschnellen und Stürzen liegt ausgebreitet vor dem betrachtenden Auge. Wandelt man unter diesen Gräbern, so möchte man mit dem Grubenlicht hinabsteigen in die engen Wohnungen und die großen Gestalten einer großen Zeit heraufbeschwüren an das Licht des Tages; ich meine jene Gestalten, die stolz ihre Häupter in den Geisterhimmel erhoben, jene Männer, welche in Staat und Wissenschaft die Vernunft zuerst in ihre Würde eingesetzt, jene starken Seelen, welche schaffend und gestaltend nach eignem Typus, von Gott selbst berufen schienen, Völker zu lenken und den Entwickelungsgang der Menschheit zu beschleunigen. Die leuchtenden Namen der französischen Revolution findet man in Père la Chaise wieder. Während das Auge sie auf den Monumenten entziffert, steigen sie vor der Seele wie riesige Schatten auf, und was sie gethan und gestrebt, das zieht lebendig durch die Erinnerung. Freilich decken nicht alle Mausoleen ausgezeichnete Menschen. Gar viele sind nur Mumiendecken der Eitelkeit, des Irrthums, oder des Verbrechens.
Sinnig und schicklich haben sich in dem weiten Todtenparke die Gestirne je nach ihrer Art zusammen geordnet, die illustren Abgeschiedenen je nach ihrer Gattung sich geschaart. Die großen Männer der Wissenschaft, der Kunst, des Staats; die Helden der Schlachten der Republik und des Kaiserreichs; die Gesetzgeber und jene, welche der Freiheit Acker rodeten und die Bürgerhoheit, den Baum, welcher stark, grün, ausbreitend seine Zweige über viele Völker, die Hoffnung der künftigen Geschlechter ist, aus dem Keime geweckt, ihn gepflegt und groß gezogen haben, – sie sind hier geselliger zu einander getreten, als im Leben. Liest man die Namen auf den Todtensteinen manches kleinen Raums, wie oft wird da der Gedanke hervorgerufen, daß es wohl [110] ganz anders um die Welt stehen möchte, hätten die starken Geister ihren Zielen mit vereinigten Kräften zugestrebt, und daß sie viel mehr gewirkt haben würden, hätten sie im Leben so enge bei einander gestanden! Wie stark, wie mächtig, wie unverletzlich würde da das Recht jetzt seyn, für das sie gerungen, wie gedemüthigt das Unrecht, gegen das sie gekämpft, wie fest und unzerreißlich die Fesseln, die sie um die Tyrannei gelegt! Aber die Schlangensaat der Zwietracht, welche die Gegner unter sie geworfen, hat stets ihre Kraft gebrochen, die Arglist der Feinde hat immer wieder die Organismen ihrer großen Schöpfungen zerstört und zerrüttet, ehe sie sich zu beständigen Formen entwickeln konnten, und so ist ihre Zeit aufgegangen in einer Reihe von Zersetzungsprozessen. Es ist unter solchen Verhältnissen noch von Glück zu sagen, daß sich das neue Leben im Keime – das Prinzip der Volkshoheit als rechte Basis der Freiheit – in die Gegenwart herüber rettete.
Der Kirchhof Père la Chaise ist am Ostende von Paris, unfern von der Barriere d’Aulnay. Eine schönere und passendere Lage für die Nekropolis hätte man nicht wählen können. Sie nimmt einen etwa 100 Morgen großen Hügel ein, der trocken, luftig und nach allen Seilen hin frei ist. Auf seinem Gipfel stand ehedem ein Kloster. Ludwig XIV. erbaute nachher ein schönes Landhaus an dessen Stelle und schenkte es mit den reizenden Gartenanlagen seinem Beichtvater, Père la Chaise einem Jesuiten, von dem es an den Orden vererbte. Hier wurden zur Zeit der Maria von Medicis, die Pläne zur Protestantenverfolgung entworfen, hier der Widerruf des Edikts von Nantes zuerst vorgeschlagen, hier die schärfsten Pfeile geschmiedet, welche der schlaue, nach Weltherrschaft trachtende Orden gegen seine Feinde sendete, und die finstersten Intriken angesponnen, welche das Glück Tausender vernichteten und Staaten und Völker entzweiten. Nach der Aufhebung des Ordens, 1763, wurde Père la Chaise öffentlich verkauft und es wechselte seine Besitzer von da an sehr häufig. Die splendide, in der Unterhaltung höchst kostspielige Anlage verschlang ein Vermögen nach dem andern, und es wurde sprüchwörllich, daß, wenn ein reicher Mann sich ruiniren wolle, er Père la Chaise kaufen müsse. Endlich, im Jahre 1801, erwarb die Stadt das Besitzthum und bestimmte es zur neuen Nekropolis von Paris. Die parkmäßige Anlage geschah unter der Leitung Brongiarts. Die Unregelmäßigkeit des Terrains begünstigte eine malerische Anpflanzung; Haine von Cypressen und Trauerweiden wechseln mit Bosketts von blühenden Sträuchern und immergrünen Gewächsen und dem sammtnen Teppich der Rasenplätze, unter denen die Tausende schlummern, deren Stätte kein Kreuz oder Abzeichen bemerklich macht. Die höchsten Punkte mit reizenden Aussichten über Paris, Vincennes, Meudon, Montreuil und hundert andere Dörfer und Flecken an den Ufern der Seine und der Marne, sind vorzugsweise den Mausoleen des Ruhms und des Reichthums vorbehalten. Von diesen Punkten ragen Obelisken, Pyramiden, Tempel, Kapellen und Grabmäler aller Formen. Es sind diese Höhen kleinern Vermögen durchaus unzugänglich: denn der Grund und [111] Boden ist daselbst der theuerste auf der ganzen Erde. Jeder Quadratmeter Flächenraum kostet 450 Franken, der Raum eines gewöhnlichen Grabes über 1000 Franken. –
Die Eingangspforten des Todes – gewaltige eiserne Gitterthore, zu deren Seiten die Leichenhallen mit den Wohnungen der Todtengräber, der Wächter, des Inspektors und eines Arztes sich befinden – sind von Mitternacht bis zum Abend offen, und wer an dieser Pforte weilt, sieht, daß der Tod niemals rastet. – Während Epidemien herrschen, folgen sich öfters ganze Tage lang die Trauerzüge auf dem Fuße, und als die Cholera vor einigen Jahren die Pariser decimirte, zogen die Todten in zwei- und dreifachen Reihen durch die weiten Thore in ihr Reich. Dem Eingang gerade gegenüber steht die Kirche, ein schönes Gebäude. In einem kleinen freundlichen Hause wohnen zwei Kirchendiener, welche bei den Ceremonien administriren.
Zunächst der Kirche fesselt das Grabmal des Abelard und seiner Heloise den Blick. Es ist von einer schönen gothischen Kapelle eingeschlossen, und wurde bei der Errichtung des Kirchhofs aus der alten Abtei St. Marcells hierher versetzt. Leider! beging man bei diesem Anlaß die Roheit, die Gebeine beider Liebenden, die bisher ein Sarg umschlossen hatte, zu sondern und in zwei verschiedene Särge neben einander zu betten. – Zunächst diesem entweiheten, aber prächtigen Denkmal romantischer Vorzeit erhebt sich ein einfacher Stein mit dem Namen Sonnini, des großen Forschers im Reiche der Natur, Büffon’s Freund und Gehülfe. Etwas östlicher ragen die Grabmäler Hallé’s, des Arztes, und Delambre’s, des Astronomen. Hier beginnt der sogenannte classische Grund der Nekropolis, wo jeder Name einen großen Mann der Wissenschaft oder der Kunst andeutet. Mit Ehrfurcht berührt der Fuß die Grabhügel von Hauy, des Mineralogen; Fourcroy, des Chemikers; Bernardin St. Pierres, des geistreichen Denkers über die Harmonie in der Natur; Visconti’s, des Archäologen; Mentelle’s, des Geographen; Gretry’s, des Componisten; und der Dichter: Jaques Delille, Mercier und Chenier, des Sängers der Freiheit. Delille schläft unter den Blumen eines kleinen Gärtchens; über dem Pförtchen steht schmucklos sein Name. Eben so einfach ist Chenier’s Ruhestätte – Name, Geburts- und Todestag ist die ganze Inschrift auf dem Steine Dessen, der fortlebt und fortwirkt, so lange die Gesänge der Freiheit Menschenherzen wärmen. – Die kühne Seglerin der Lüfte, Madame Blanchard, ruht nicht weit von Delille, und nächst ihr der große Beherrscher des Tonreichs, Mehul. Eine Gruppe einfacher Denksteine gehört den Pädagogen und Philantropen an: wir lesen die Hochachtung gebietenden Namen von Hauy, des Lehrers der Blinden; Petit’s, des Mitbegründers der polytechnischen Schule; Abbé Gauthier’s, des Verbesserers des Elementarunterrichts. Von da wenden wir uns ostwärts zwei Mausoleen zu, welche groß, prächtig und anspruchsvoll, den Wanderer herbeirufen: es sind die Gräber des Marschalls Kellermann und seiner Gattin. – Daneben steht bescheidener die Urne eines Opfers der Treue – des edeln, unglücklichen Labedoyere. Etwas [112] entfernter schläft ein anderes: der Held Ney, welchen der Tod in 100 Schlachten schonte und die Kugeln gemeiner königlicher Rachsucht fällten. Noch weiter ragt das Monument von Beaumarchais, des wltzigen Verfassers des Figaro.
Weiterhin, zur Linken, krönt eine Mausoleengruppe einen Hügel: er ist den Fürsten der Schlachten geweiht, den Männern, welche den corsischen Eroberer auf seinen Weltzügen begleiteten; Massena, dem Unerschrocknen; Lefebre, dem Braven, und dem minder würdigen Davoust, einer Geisel überwundener Nationen. Aber nicht Kampf und Tod für Ehre auf den Schlachtfeldern gibt den meisten Ruhm. Nicht weit von Massena schlummert der größte Mimiker der Neuzeit, Talma, und diesem nicht fern, im stillen Nachthause von schwarzem Marmor, der Abbé Sicard, der den Aermsten unsers Geschlechts, den Taubstummen, die Wohlthaten des Unterrichts und der Bildung errungen hat. Er war der Gründer und Förderer der Taubstummen-Institute, deren Segnungen jetzt die Unglücklichen so vieler Länder genießen. Sicard machte die Menschenliebe groß auf der Erde und für den Himmel.
Näher ihm, näher den Gestirnen, näher dem erhabensten Punkte der Necropolis, wie die Wohnungen. verwandter Götter um eine Höhe, gruppiren sich die Grabmäler von Lafayette, Foy, Manuel, Benjamin Constant, Camille Jordan und Börne. – Hier weile, o Wanderer, und feiere! – Welchen Sonnentempel des edelsten Strebens bauten diese sechs Namen! Welche Wirksamkeit geht von ihnen aus, weit reichend in die Zeitenfernen! Lafayette: der Bannerherr der Freiheit; Foy: in seiner Brust standen die Ideale festgebaut und unerschüttert; Manuel: er glaubte, daß die Völker mit ihm reiften und baute an einer seligen Gegenwart; Benjamin Constant: er schürte das Feuer, das die Götzen der Zeit verzehren sollte, bis zur letzten Stunde; Camille Jordan: das große Herz mit den großen Opfern; Börne: der herrliche Schwertträger des Geistes und der Wahrheit, Deutschlands Stolz und Schmach . . . . – Ach, wie ist’s nach ihnen so öde und kalt im Tempel der Freiheit geworden! Wo ist nach ihnen der Priester am Altare, der ein eigenes, reiches, inneres Leben in die Opferschale gösse, wie diese? – Wenn, ihr Geschiedenen! wird der Tag kommen, der euern hellen Morgentraum verwirklicht? wenn wird der Todesengel die Felsen sprengen, welche die Resurrektion euerer großen Ideen verhindern? Wenn er kommt, dann wird man eure Herzen in ein Grab legen, und dann wird Alles in demselben vereinigt seyn, was groß ist im Menschen: die Pflicht, das Vaterland, die Freiheit, der Ruhm!
Nahe Jenen und ihnen verwandt im Geiste und im Streben, schläft Volney in einer einsamen Ecke des Friedhofs: Volney, der Verfasser der Ruinen, der Herkules, welcher die Ungeheuer des Glaubens tödtete. Parmentier, der Thaer Frankreichs, hat zunächst seine Halle, und dann folgen zwei Denksteine mit unsterblichen Namen: Molière und Lafontaine.
[113] Im nördlichen Theile des Friedhofs hat der Tod die werthloseste Aerndte aufgespeichert; er ist angefüllt mit Denkmälern von Menschen ohne That, aber mit langen Namen, und die Kunst der Wappenbildnerei war hier sehr fleißig. Er ist das aristokratische Viertel der Todtenstadt. das Stickmuster von farbigen Feldern mit Klauen- und Schnabelthieren aller Art in Marmor und Erz. Nur ein großer Mann hat hier sein Grab: Junot, der menschliche Sieger, der, wenn er in den feurigen Schlachtentod stürzte, im Auge den Feind hatte, im Herzen die Liebe.
Nicht weit von Junot deckt eine Marmorsäule ein gebrochenes Herz: „Gräfin von der Mark“ heißen es die goldenen Lettern, eine Prinzessin von Preußen ist es, die illegitime Tochter König Wilhelm’s II. – Auch die Gattin des Fürsten Demidoff ruht in Père la Chaise, und der colossale Reichthum ihres Galten drückt auf das zarte Wesen mit überschwenglicher Marmorlast. Sie starb in der Blüthe des Lebens. – Doch wie oft liegen Traualtar und Grabhügel nahe bei einander, wie oft hat hier Hymens Fackel als Trauerkerze geleuchtet, wie oft gingen hinter diesen Todtenhügeln verwaisten Aeltern ihre ermatteten Ideale zum zweiten Male in den davon ziehenden Söhnen und Töchtern unter! Wie viele Hoffnungsfrühlinge sind hier verschwunden, wie viele Thränen tränkten diese kleine Spanne Erde! In jedem Thautropfen an Bäumen und Blumen kann man eine Perle der Trauer und des Schmerzes liebender Menschenherzen glänzen sehen. –
Stirbt aber nicht seit Jahrtausenden in jedem Jahre ein Frühling, und läßt die Auferstehungshoffnung auf den neuen jemals vergeblich warten? Darum – meine Brüder und meine Schwestern, die wir noch draußen stehen im Abendrothe des Lebens und hinüber blicken auf theure Gräber! – seyd eingedenk, daß die Frühlinge wiederkehren, und seyd getröstet.
„Schweig’ denn du o Thräne, die in Wehmuth Trost weint,
Mach’ das Herz nicht weich, fließe nicht mehr!
Ist am Ziel denn nicht Vollendung?
Folgt der Grabesnacht nicht junger Morgen?“
(Klopstock’s Messias.)