Die Inseln Procida und Ischia bei Neapel
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„Wär’ ich ein Crösus oder ein Bettler und hätte die freie Wahl meines Wohnorts auf Erden, ich wählte Ischia!“ äußerte Sternberg gegen den Maler. „Ist’s wirklich so schön?“ fragte Johanne den Neapeler Onkel, der eben in’s Zimmer trat. „Du mußt sehen und kannst dann selbst urtheilen!“ entgegnete dieser lebhaft. „Der Tag ist heiter, in einer halben Stunde fährt der Dämpfer ab. Wollt Ihr mit von der Partie seyn, so macht Euch fertig!“ Majora acclamirte, die Zauderer und Bedächtigen wurden zur Eile getrieben und die ganze Gesellschaft erreichte den Molo gerade in dem Augenblick, als der Dämpfer, ungeduldig, schon schnaufend, die Flügel zu regen begann. Kaum waren wir am Bord, so verkündete ein Kanonenschuß die geschehene Abfahrt.
Das Wetter war schön, doch der Wind nicht günstig. Die See ging hoch und hohl. Erst fuhren wir längs dem Posilippo, dann ließen wir Nisida rechter Hand liegen und schossen dicht vor dem Felskap des Misenus vorbei. Nach einer guten Stunde erreichten wir das hohe Ufer von Procida. Wir landeten bei dem Städtchen gleichen Namens, welches von Menschen und Gewerben wimmelt. Zwei große Hotels waren schon gestopft voll Reisender. Wir konnten kaum ein Unterkommen finden.
Abenteuernde Griechen aus Chalcis und Eretria, zweier Städte auf Euböa (jetzt Negroponte), colonisirten die Eilande des Neapeler Golfs. Der Name Procida (die Verschüttete) deutet den damaligen Zustand des Ländchens an. Ein Erdbeben hatte es zusammen gestürzt und die Ureinwohner waren geflohen oder umgekommen, als die ansiedelnden Griechen kamen. Wie hat es sich seitdem verändert! Procida ist ein Park, ein fruchtbarer Garten.
Wir erstiegen sogleich daß königliche Schloß, das hoch über der Stadt auf einem Felsen steht. Hübsche Anlagen umgeben es, in welchen Fasanen aller Art umherflattern. Sie fliegen über die ganze Insel und die strengsten Gesetze verschaffen den Thieren vollkommene Sicherheit. Ihretwillen durften die Einwohner ehedem keine Katze halten, und das ungerechte Königsgebot behielt so lange Kraft, bis die Kinder in der Wiege nicht mehr vor Mäusen und Ratten zu schützen waren. Vom Schlosse hat man eine unvergleichliche Aussicht auf das Meer, über die Inseln, auf Neapel und die Küste.
Nachmittags gingen wir nach Ischia ab; die angenehme Fahrt dauerte eine Stunde. Ischia ist die größte und schönste Insel des Golfs. In Kegelform dem Meere entsteigend erhebt sie sich anfangs sanft, dann aber [115] steil bis zum Gipfel. Die ganze Insel ist in der That blos ein Vulkan, der im Grunde der Meeres wurzelt. Auf der Seite nach Procida hin haben Erdbeben ein Stück vom Eilande abgerissen, und die Trümmer davon, ein Fels, steht in der brandenden Fluth. Ihre Zinne krönt ein Castell, das die Bucht vertheidigen hilft. Eine lange Brücke, kühn über den Abgrund hingeworfen, führt von der Insel hinüber. Unser Dampfschiff schiffte vorbei und landete in Borgo d’Ischia, einem freundlich am Ufer sich hinstreckenden Städtchen. Nahe bei demselben befinden sich warme Bäder, mit einem im artigen Styl gebauten Kurhause und hübschen Gartenanlagen, die im Sommer stark besucht werden. Das Wasser ist salzig und hat einen Geschmack nach Schwefel. An einem kleinen See, nicht weit vom Ufer, steht ein königliches Landhaus, wo sich zuweilen der Hof mit Fischerei vergnügt. Von Borgo machte sich den andern Morgen früh die ganze Gesellschaft zu Esel auf, um das Innere der Insel zu besuchen.
Zuerst ritten wir nach Casamiccia, einem andern Kurort mit warmen Quellen. Die Badeanstalten sind geräumig, leiden aber an dem großen Uebel Neapels, der Unsauberkeit. Wir trafen eine Menge Badegäste aus den untersten Volksklassen, Lahme, Krüppel und Aussätzige an. Vermächtnisse und Stiftungen verschaffen hier über 600 Armen die Wohlthat des unentgeltlichen Gebrauchs der Bäder jedes Jahr. – Lano war unser nächstes Ziel, ein Flecken, der, malerisch an’s Ufer gebettet, einen kleinen Hafen hat. Hier hielten wir uns nicht auf, sondern ritten sogleich nach Furia d’Ischia, an der westlichen Seite des Eilands. Der Weg ist reizend. Bald führt er am Meere hin, bald über blühende Thäler oder Hügel, von denen man die Hauptstadt, den Vesuv, die Küste gewahrt, oder eine Fernsicht in den Ocean genießt. Die Gestade des Eilands selbst haben bei jedem Schritt eine andere Scenerie. Hier hängt ein weit vorstehender Fels durch eine schmale Erdzunge mit dem Lande zusammen, dort thürmen sich über den Wellen einzelne Klippen. Daneben erfreut die sorgfältigste Kultur. Jedes Eckchen Land, jeder Felsvorsprung, wo eine Handvoll Erde Platz findet, ist benutzt und angepflanzt. Die Gelände tragen Weinstöcke, die sich unter der Last der Trauben beugen; in den Thälern winden sich die Baumreben um die schlanken Pappeln, um Oliven- und Maulbeerbäume und knüpfen die alternden Stämme mit Laubgewinden zusammen. In geschützten Felsnischen beugen sich fruchtbeladene Feigenbäume; große Kirsch-, Pflaum- und Birnbäume nehmen die rauheren, kälteren Lagen ein. In den Thälern mischen sich die Wohlgerüche der Orangen- und Citronenwäldchen mit den Düften des Jasmins und der Akazie, und an den sonnigsten und trockensten Stellen glühen Granatbäume und recken die saftigen Agaven und die Aloe ihre hohen Blüthenkronen empor. Kaktusarten, mit ihren großen rothen und gelben Blumen, bilden ganze Hecken, oder bekleiden die verwitterte Oberfläche der Lavaströme, welche sich von dem Gipfel des Vulkans nach allen Seiten bis zum Meere hinabstrecken. Viele Gewächse blühen auf diesem warmen Boden, auf welchem nie eine Schneeflocke liegen [116] bleibt, welche man sonst nur in den Tropenländern findet. Selbst die Baumwollenstaude und das Zuckerrohr kommen fort, und andere gleichzarte Pflanzen verweilen hier, genährt von der fruchtbaren, milden Erde, erwärmt von dem im mütterlichen Schooße glühenden Feuer und von dem kräftigen Sonnenstrahl, der nicht sengt, weil er sich an dem Hauche des Meeres kühlt.
Der nächste Tag war der Besteigung des Monte San Nicolo bestimmt. Unter Begleitung eines Führers und versehen mit frischen Maulthieren machten wir uns früh auf. Anfangs ritten wir zwischen Gartenmauern hin – unter einem Dach von Obstbaumzweigen, die ihre Früchte auf unsern Pfad streuten. So wie wir aber die Gärten hinter uns hatten, ging es steil aufwärts. Je näher dem Gipfel, je unwegsamer wurde es. Ungeheuere Tuffsteinblöcke versperrten öfters den Pfad und wir mußten sie umklettern; an andern Stellen hingen Lavafelsen über unsern Häuptern wie gefrorne Wasserfälle, mit langen Zacken. Fünftehalb Stunden brauchten wir, den Gipfel zu erreichen, und ganz ermattet klopften wir an das Pförtchen der Einsiedelei, wo zwei Patres aus dem Kloster der Stadt abwechselnd ihre Wohnung haben. Sie hießen uns mit Herzlichkeit willkommen und brachten uns einen Krug köstlichen Bergwein und einen großen Laib Waizenbrod mit freundlicher Miene.
Nachdem wir uns gestärkt hatten an den Gaben der gastfreien Mönche, erstiegen wir, von ihnen geleitet, den äußersten, höchsten Rand des Kraters. Leider nahm uns ein umwölkter Himmel die Pracht einer hellen Beleuchtung. Graue Wolken zogen ostwärts; an ihnen sahen wir die Schatten des gezackten Berges, auf dem wir standen; tief unter uns lag das Meer, lagen die andern Inseln, die ausgeschnittenen Gestade Italiens und Siciliens, mit ihren Wächtern – Vesuv und Aetna. Aus beiden stiegen weiße, lichte Rauchwolken empor, die Zeugen ihrer Thätigkeit. Der Vulkan, auf dem wir standen, schlummerte. Nur wenn seine mächtigern Nachbarn Flammen speien und glühende Lavaströme hinabrollen, bei sehr heftigen Ausbrüchen und Erdbeben, gibt der San Nicolo noch Lebenszeichen von sich. Sein letzter eigentlicher Ausbruch geschah vor 500 Jahren.
Der Rückweg war nicht weniger beschwerlich, als die Besteigung, und erst auf der Hälfte des Berges erfreute uns, in der Umgebung der herrlichsten Natur, ein bequemerer Pfad. Zwischen blühenden und fruchttragenden Orangenbäumen öffnete sich zuweilen ein Durchblick auf’s Meer, die Inseln, die Küsten. Ein zarter, lichter Dunst, welcher dem südlichen Italien eigen ist, warf einen Zauberschleier über alle Gegenstände und erhöhte die Reize der Aussicht. Mit Anbruch der Dämmerung kamen wir nach Borgo d’Ischia zurück. Der Dämpfer lag schon parat, uns aufzunehmen. Schwärme von Delphinen umspielten das Boot auf der ganzen Fahrt, und nach kurzen drei Stunden saßen wir schon wieder im Salon des Onkels und erzählten einander von der Freude der zwei Tage, die Jeden von uns wie selige Träume durch’s Leben begleiten werden.