Der Lago d’Averno bei Neapel
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Auch die Sonnen zeugen und haben ihre Wehen, und es war einmal eine Stunde, wo von der alten Urmutter alles Planetenlebens, von unserer Sonne, die Erde sich loswand und auf des Schöpfers Geheiß in ihre eigene Bahn trat. Elektrizität, Licht und Wärme wurden ihr zum Lebensfonds mitgegeben, und in ihnen sind auch die nächsten Ursachen aller Formveränderungen zu suchen, welche seitdem ihre Oberfläche trafen.
Im ersten Krystall, welcher sich bei’m Erstarren der Erdkruste bildete, erkennen wir den ersten Lebensprozeß auf unserm Planeten. Im Entstehen des Krystalls offenbarte sich die eigenthümliche Kraft gewisser Atome, sich von der äußern Umgebung loszureißen und in bestimmten Formen nach besondern Gesetzen zu entwickeln. Wie der Keim des pflanzlichen und thierischen Lebens, so hat auch der Keim des Krystalls seine Entwickelung; mit der ihm innewohnenden Urkraft formt er sich aus dem gestaltlosen Gemenge der Massen. Die ihn umgebende Außenwelt muß seiner Macht unterliegen, er ergreift, was seinem Wesen entspricht und wächst so zu einem identischen Ganzen heran mit vollkommen und gesetzlich ausgeprägter Individualität.
Die Krystallbildung füllt die erste Epoche der Veränderung der Erdoberfläche aus, indem auf der Außenseite der feuerflüssigen Erbmasse durch Erstarrung die krystallinischen Gebirge entstanden, deren Trümmer wir noch in unsern Urgebirgen erkennen.
Später sprengte die Macht des unterirdischen Feuers die dünne Decke und vielfaches Zerstören und Neubilden der Erdkruste folgte. Die Trümmer agglomerirten sich, vulkanische Gewalten schoben sie über einander, oder thürmten sie zu hohen Gebirgen auf. An ihren erkalteten Seiten verdichteten sich die wässerigen Dünste der Atmosphäre und stürzten in Strömen nieder. Das Wasser übernimmt nun eine Hauptrolle in den Erdrevolutionen; es streitet mit dem Feuer um die Oberherrschaft. Die Fluthen zerreißen und zertrümmern die ungeschichteten Gebirge und aus ihren Ruinen geht das Flötzgebirge hervor. Eine mächtigere Verwandtschaft zerstört den ersten Bund der Atome. Zersetzung und Verwitterung beginnen ihren Krieg. Die starren Formen werden besiegt und die Krystalle zerfallen in Staub. Die entbundenen Bestandtheile folgen neuen Gesetzen; es walten über sie höhere Kräfte. Die Substanz betritt die zweite Entwickelungsstufe im Reiche des Erdenlebens; die Pflanze wird geboren.
[45] Flechten und Moose sind die ersten Kinder dieser neuen Schöpfung. Noch wiederholt sich das Entstehen derselben täglich vor unserm Auge; der Prozeß geht noch eben so vor, als am Fels, der die erste Pflanze trug. Zuerst nimmt nämlich die durch Verwitterung zersetzte Außenseite des Gesteins ein staubiges Ansehn an; hierauf zeigen sich farbige, meist grünliche Pünktchen; es erscheinen deutliche Körnchen, erst einzelne, dann viele; zuletzt treten die Körnchen zusammen. Unmerklich schwellen sie an, bis sie flechtenartige Schwämmchen bilden. Die kleine Pflanze ist fertig; wurzel- und zweiglos klebt sie am dürren Gestein. Während sie aus der Luft ihre Nahrung saugt, durchdringen die Atmosphärilien ihre Gefäße, und durch diese kommen dem todten Gestein neue Keime des Lebens zu. Die Pflanzenfaser fängt an sich auszubilden, sie kriecht hinab in die Klüfte des Gesteins, strebt aufwärts in die freie Luft, es scheiden sich Stamm und Wurzel; Pflanzen höherer Gattungen sind ins Daseyn getreten. – Auf diese Weise hat sich jedes entblößte Land auf dem Erdboden, jeder Berggipfel, jede Insel im Weltmeer mit der ihren Klimaten, ihren Boden- und Ortsverhältnissen angemessenen Pflanzenwelt bedeckt, und so würde sich die Erde neu kleiden, wenn einmal alle Vegetation von ihrer Oberfläche mit einem Male vertilgt würde.
„In’s Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist.“ Unbegreiflich bleibt die Urerzeugung der Wesen immerdar, am unbegreiflichsten zumal jene der thierischen Schöpfung, an deren Wiege wir jetzt treten.
Die urweltlichen Meere sind diese Wiege.
In ihren grenzenlosen Behältern strömten (in der Periode der Entstehung der Flötzformationen) die aufgelösten Gebirge zusammen; die Atome schwimmen fessellos umher, die starren Formen hielten sie nicht mehr gebunden. Urstoffe des Pflanzen- und Steinreichs, die zahllosen Zeugungskeime beider, wogten frei durcheinander und das Licht drang mit stiller Gewalt zu ihnen hinab in die blinkende Tiefe.
Jetzt zeigten sich in den weiten Gründen nie gesehene Gestalten. Schalthiere, monströse Gebilde, bewegliche Pflanzen und wurzelnde Thiere erfüllten die Meere, welche damals fast die ganze Erde bedeckten, wie die bis an die höchsten Gebirgsrücken ansteigenden Schichten urweltlicher Conchilien beweisen.
Den Schalthieren der urweltlichen Meere folgte nach einer neuen Revolution, welche den mittlern Flötzgebirgen das Daseyn gab, ein freieres Geschöpf. Es reißt sich los von der schweren Steinbürde, welche die Bewegung hindert, und in vielfachen Gestalten, mit vollendeten Sinnen, kreuzt das stumme Geschlecht der Fische in der wogenden Tiefe. – Später, auf noch höherer Stufe, erhebt sich eine neue Wesenclasse aus der finstern Wohnung. Als nämlich des Erdfeuers Macht den Boden des Meers über die Fluthen gehoben und Inseln und Continente erzeugt hatte, wagen Amphibien zuerst das alte Gebiet des thierischen Lebens zu verlassen, furchtbare [46] Eidechsen sind Entdecker der jungen Continente, sie klimmen die Gestade hinan, freuen sich schüchtern des Frühlings reizender Schöpfung, betreten mit Lust den warmen Boden, vergessen aber die Heimath nicht und kehren zurück in die Gewässer, wenn sie müde sind der Lust, auf fester Erde zu wandeln. – Diese schmückt sich nun mit Wäldern und kleidet sich mit tausend Blumen; denn sie harrt auf höhere Wesen, sie will eine andere Thierwelt als Braut empfangen, eine Welt, die ihr ganz eigen sey. Sie kommt; edlere Geschlechter erscheinen. Der Vögel zahlloses Heer erhebt sich mit buntem Gefieder in die schweigenden Lüfte, durchirrt das stille Gebiet der donnergebährenden Wolken und füllt mit frohem Gesang die Räume des Aethers. Zu gleicher Zeit betritt das säugende Thier die blühende Schöpfung, und Wälder und Berge hallen wider von seiner Stimme[1].
Seitdem sind viele Millionen Jahre verronnen im Strome der Zeiten, und die Erdoberfläche hat viele Verwandlungen erlitten. Gleich dem organischen Keime entsproßten dem Kern der Erde Felsengenerationen, ihr kreischender Leib gebar ihre stummen Geschlechter, und kann schlummerte die Erde wieder, bis sie zu neuen Umwälzungen erwachte. Lange Zeiträume liegen dazwischen; denn viele Jahrtausende gehen vorüber und Aeonen schwinden dahin, ehe das Erdenleben von einer Staffel zur andern steigt, oder wie ein Baum die welke Pracht seiner Blätter abschüttelt und Knospen treibt zu einem neuen, schönern Gewande. Ist aber endlich ein Winter gekommen und naht der Frühling – dann zersprengt das gewaltige Feuer im Innern der Erde seine Fesseln, tausend Vulkane erheben sich, die Felsen wanken, Gebirge stürzen zusammen, Welttheile zertrümmern, Meere treten aus ihren Ufern und ihre Fluth verschlingt alle Formen: unter Donner und Sturm fällt die trennende Scheidewand zwischen den Körpern zusammen, sie vereinigen sich zu einem formlosen Chaos: in wilder Freiheit toben die [47] irrenden Kräfte gegen einander, das Leben der Erdsubstanz erlangt die höchste Spannung, die höchste Erregung, die Zeugung neuer Formen geht vor sich. Entkräftung folgt; die Vulkane erlöschen, oder sie stürzen in sich zusammen, die Gewässer sammeln sich wieder in den Tiefen und das starre Gestein ordnet sich schweigend nach ewigen Gesetzen und bildet neue Gebirge. Dann ruht die Erde, bis der Lebenscyklus der neuen Schöpfung vollendet ist und die glühende Kraft zu abermaliger Zeugung drängt.
In vielen Gegenden der Erde begegnen wir deutlichen Spuren solcher verschiedenen Zeugungsepochen; wir können die Denkmäler der ältern und neuern Umwälzungen genau unterscheiden und aus ihnen eine Chronologie der Erdgeschichte zusammensetzen. Mit Schärfe lassen sich vorzüglich die neuen und neuesten Revolutionen der Erdoberfläche verfolgen, bei denen vulkanische Kräfte eine Hauptrolle spielten: Kräfte, welche ihre Hauptherde hatten, von denen aus die Zerstörung in mehr oder minder weiten Erschütterungskreisen erfolgte.
Als ein solcher Herd für die letzte Umwälzung stellt sich das südliche Italien mit Sicilien und der benachbarte Theil des mittelländischen Meers dar. Die Neapeler Gegend zumal war eine furchtbare Mutter der Zerstörung. Noch sieht man die meisten dortigen Gebirge mit alten Laven überschüttet; sie und Basalte bilden den Boden des Meeres und ihre Gestade. Ueberall erheben todte Vulkane ihre kegelförmigen Häupter, oder zirkelrunde Seen lassen die Stelle der alten Krater erkennen. Mitten in diesem weiten Cyklus erstorbener, vulkanischer Thätigkeit ragt der feuerspeiende Vesuv als lebender Zeuge der Verheerungen, welche von hier aus bei der letzten Umwälzung der Erdoberfläche über drei Welttheile sich entwickelten.
Der Lago d’Averno gehört zu dieser merkwürdigen Gegend. Er liegt zwei Stunden von der Hauptstadt, dicht am Busen von Neapel, von dem es nur durch den Lukriner See und zwei schmale, dammähnliche Landzungen getrennt ist. Beide Seen sind zirkelrund und ihre Ufer sind offenbar nichts anders, als die Kraterwände, wie sie selbst die noch offnen, mit Wasser ausgefülllen Schlünde sind, aus denen einst die Flammen aus den Eingeweiden der Erde zum Himmel stiegen.
Der Averno ist von unermeßlicher Tiefe. Seine Ufer sind steil, fast senkrecht. Ehemals waren sie mit tausendjährigen Eichen bewachsen: aber das Erdbeben von 1538 schüttelte die Wälder von den Felsrippen, und seitdem sind sie mit Unfruchtbarkeit geschlagen und starren öde empor. Mephitischer Dunst entsteigt dem leblosen Gewässer, kein Vogel kommt in seine Nähe, kein Wild betritt seine Ufer; kein Mensch hat sich an demselben eine Wohnung gebaut; der Geist der Verlassenheit und des Grauens schwebt über dem See, wohin die schauerlichsten Mythen des Alterthums ihren Schauplatz verlegen. Schon die Griechen, welche sich zuerst in der Gegend niederließen, staffirten die höhlenvollen Ufer des d’Averno mit dem Eingange in das Schattenreich aus. [48] Daher läßt auch Virgil seinen Aeneas die Fahrt in die Unterwelt am Averno beginnen. Im Walde, welcher die Ufer umschattete, brach er den goldnen Zweig, auf dessen Vorzeigung ihn Charon über den Styx fuhr.
Und doch war dieser See zur Zeit Virgils kein Bild der Stille und des Todes, sondern des geräuschvollen Lebens. Als Augustus mit Pompejus kriegte, ließ er einen Theil vom Ufer des Averno abtragen, durch einen Kanal mit dem Lukriner See verbinden und letzteren mit dem Meere vereinigen, so daß daraus ein doppelter Kriegshafen entstand, lange als Portus Julius berühmt. Paläste richteten sich auf seinen Höhen auf; Arsenale erhoben sich an seinen Ufern und Befestigungen an seinen Eingängen. Unfern aber breitete sich das alle Cumä aus, eine der frühesten griechischen Pflanzstädte, und sowohl durch die Pracht seiner Gebäude, als den Reichthum seiner Bewohner und deren Bildung verherrlicht. Noch steht ein wohlerhaltenes Thor und hütet die Grabstätte des alten Cumä: – eine Reihe Hügel von Schutt. Auf der Zinne jenes alten, auf unserm Bilde sichtbaren Stadtthors hat der Reisende eine der schönsten Visten Italiens. Rechts blickt man in den großen Meerbusen von Gaeta mit seinen romantischen Ufern, Schlössern und Citadellen; man sieht Gaeta, Mola, die Inseln Ponta und Ventatiena; gerade vor sich strecken die Lagunen sich aus und das Meer mit dem heitern Ischia; links ragt, stolz und ernst, das misonische Vorgebirge aus der Fluth, und die Pracht der ganzen Neapeler Meeresbucht mit Capri und andern Eilanden ist dem Blick entfaltet.
Keine Sybille läßt jetzt am Averner See goldene Zweige brechen; aber die berühmte Pforte der Unterwelt wird noch jedem Reisenden gezeigt. Es ist eine finstere, mit Gestrüpp verwachsene Kluft, dicht am Gestade, aus der schwefliche Dünste steigen. Niemand wagt es, sie zu betreten und für die Szenerie des unheimlichen Orts paßt noch immer die Beschreibung Virgil’s, (Aeneide, IV.):
„Grau’nvoll lag die Höhl’, aufklaffend mit steinigem Rachen,
In dem Dunkel des Hains, vom schwarzen Gewässer umspület;
Ungestraft erkühnt sich kein schneller Vogel, die Lüfte
Ueber ihn zu durchschneiden; denn Dünste der Pest und des Todes
Athmet ihr Schlund empor zur gewölbten Halle des Aethers.“
- ↑ Nur mit Mühe und langsam trennt sich das anorganische Leben von dem organischen – Mutter Erde verfolgt die organische Schöpfung in der That bis zur höchsten, erreichten Staffel. Die Kette der Wesen ist noch nicht geschlossen, bei welchen das Leben in den Fesseln der todten Substanz hängt; denn auch der Mensch ist ja sterblich! – Aber von Stufe zu Stufe läßt sich der Gang allmähliger Emancipation verfolgen, und eben diese fortschreitende Entwickelung ist Bürge dafür, daß einst Wesen folgen werden, die viel freier sind, als wir Menschen.
Mit dem Infusorien-Schalthier der Urwelt, deren Gehäuse jetzt ganze Gebirge zusammensetzen, beginnt die Reihe. So ist ein krystallinisches, belebtes Stäubchen anorganischer Masse mit Bewegung. In der Coralle überzieht das unbewegliche Gestein, wie eine Haut, ein Heer thierischer Bewohner. Es ist Generationen hindurch an das Fossil gekettet, das mit Uebermacht die belebte Substanz beherrscht. Das Skelett gebietet hier den Organen. – Höher schon als die Coralle stehen Muschel und Schnecke. Das Fossil ist ihnen zwar auch noch eine unzertrennliche Bürde: aber das Leblose muß doch dem Willen der lebendigen Masse gehorchen, es hat seine Oberherrschaft eingebüßt. Auch das zartere Insekt trägt noch die feste, unbewegliche Hülle und das Fossil umfängt noch sein inneres Leben. Erst bei den vollkommensten Thieren, bei dem Vogel und Vierfüßer, verbirgt das Fossil sich gänzlich, als Geripp zieht es sich in das Innere zurück, es gehorcht dem bewußten Willen.