![]() |
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band |
|
Daher läßt auch Virgil seinen Aeneas die Fahrt in die Unterwelt am Averno beginnen. Im Walde, welcher die Ufer umschattete, brach er den goldnen Zweig, auf dessen Vorzeigung ihn Charon über den Styx fuhr.
Und doch war dieser See zur Zeit Virgils kein Bild der Stille und des Todes, sondern des geräuschvollen Lebens. Als Augustus mit Pompejus kriegte, ließ er einen Theil vom Ufer des Averno abtragen, durch einen Kanal mit dem Lukriner See verbinden und letzteren mit dem Meere vereinigen, so daß daraus ein doppelter Kriegshafen entstand, lange als Portus Julius berühmt. Paläste richteten sich auf seinen Höhen auf; Arsenale erhoben sich an seinen Ufern und Befestigungen an seinen Eingängen. Unfern aber breitete sich das alle Cumä aus, eine der frühesten griechischen Pflanzstädte, und sowohl durch die Pracht seiner Gebäude, als den Reichthum seiner Bewohner und deren Bildung verherrlicht. Noch steht ein wohlerhaltenes Thor und hütet die Grabstätte des alten Cumä: – eine Reihe Hügel von Schutt. Auf der Zinne jenes alten, auf unserm Bilde sichtbaren Stadtthors hat der Reisende eine der schönsten Visten Italiens. Rechts blickt man in den großen Meerbusen von Gaeta mit seinen romantischen Ufern, Schlössern und Citadellen; man sieht Gaeta, Mola, die Inseln Ponta und Ventatiena; gerade vor sich strecken die Lagunen sich aus und das Meer mit dem heitern Ischia; links ragt, stolz und ernst, das misonische Vorgebirge aus der Fluth, und die Pracht der ganzen Neapeler Meeresbucht mit Capri und andern Eilanden ist dem Blick entfaltet.
Keine Sybille läßt jetzt am Averner See goldene Zweige brechen; aber die berühmte Pforte der Unterwelt wird noch jedem Reisenden gezeigt. Es ist eine finstere, mit Gestrüpp verwachsene Kluft, dicht am Gestade, aus der schwefliche Dünste steigen. Niemand wagt es, sie zu betreten und für die Szenerie des unheimlichen Orts paßt noch immer die Beschreibung Virgil’s, (Aeneide, IV.):
„Grau’nvoll lag die Höhl’, aufklaffend mit steinigem Rachen,
In dem Dunkel des Hains, vom schwarzen Gewässer umspület;
Ungestraft erkühnt sich kein schneller Vogel, die Lüfte
Ueber ihn zu durchschneiden; denn Dünste der Pest und des Todes
Athmet ihr Schlund empor zur gewölbten Halle des Aethers.“
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1843, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_10._Band_1843.djvu/86&oldid=- (Version vom 8.2.2025)