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Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/80

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CCCCXXXVIII. Der Lago d’Averno bei Neapel.




Auch die Sonnen zeugen und haben ihre Wehen, und es war einmal eine Stunde, wo von der alten Urmutter alles Planetenlebens, von unserer Sonne, die Erde sich loswand und auf des Schöpfers Geheiß in ihre eigene Bahn trat. Elektrizität, Licht und Wärme wurden ihr zum Lebensfonds mitgegeben, und in ihnen sind auch die nächsten Ursachen aller Formveränderungen zu suchen, welche seitdem ihre Oberfläche trafen.

Im ersten Krystall, welcher sich bei’m Erstarren der Erdkruste bildete, erkennen wir den ersten Lebensprozeß auf unserm Planeten. Im Entstehen des Krystalls offenbarte sich die eigenthümliche Kraft gewisser Atome, sich von der äußern Umgebung loszureißen und in bestimmten Formen nach besondern Gesetzen zu entwickeln. Wie der Keim des pflanzlichen und thierischen Lebens, so hat auch der Keim des Krystalls seine Entwickelung; mit der ihm innewohnenden Urkraft formt er sich aus dem gestaltlosen Gemenge der Massen. Die ihn umgebende Außenwelt muß seiner Macht unterliegen, er ergreift, was seinem Wesen entspricht und wächst so zu einem identischen Ganzen heran mit vollkommen und gesetzlich ausgeprägter Individualität.

Die Krystallbildung füllt die erste Epoche der Veränderung der Erdoberfläche aus, indem auf der Außenseite der feuerflüssigen Erbmasse durch Erstarrung die krystallinischen Gebirge entstanden, deren Trümmer wir noch in unsern Urgebirgen erkennen.

Später sprengte die Macht des unterirdischen Feuers die dünne Decke und vielfaches Zerstören und Neubilden der Erdkruste folgte. Die Trümmer agglomerirten sich, vulkanische Gewalten schoben sie über einander, oder thürmten sie zu hohen Gebirgen auf. An ihren erkalteten Seiten verdichteten sich die wässerigen Dünste der Atmosphäre und stürzten in Strömen nieder. Das Wasser übernimmt nun eine Hauptrolle in den Erdrevolutionen; es streitet mit dem Feuer um die Oberherrschaft. Die Fluthen zerreißen und zertrümmern die ungeschichteten Gebirge und aus ihren Ruinen geht das Flötzgebirge hervor. Eine mächtigere Verwandtschaft zerstört den ersten Bund der Atome. Zersetzung und Verwitterung beginnen ihren Krieg. Die starren Formen werden besiegt und die Krystalle zerfallen in Staub. Die entbundenen Bestandtheile folgen neuen Gesetzen; es walten über sie höhere Kräfte. Die Substanz betritt die zweite Entwickelungsstufe im Reiche des Erdenlebens; die Pflanze wird geboren.