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ADB:Liechtenstein, Ulrich von (Dichter)

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Artikel „Liechtenstein, Ulrich von“ von Anton Schönbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 620–623, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Liechtenstein,_Ulrich_von_(Dichter)&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:39 Uhr UTC)
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Band 18 (1883), S. 620–623 (Quelle).
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Liechtenstein: Ulrich von L., (bei Judenburg in Obersteiermark, der Murauer Linie des Geschlechtes angehörig, ist um 1200 geboren, wurde am Hofe des Markgrafen Heinrich von Istrien (oder Oesterreich [Bd. XI, S. 526][WS 1]) erzogen, in allen ritterlichen Fertigkeiten gebildet und geübt, sogar in der Kunst Verse zu machen, wenn er auch nicht lesen und schreiben konnte. Als um 1219 sein Vater Dietmar starb, mußte Ulrich nach Steiermark zurückkehren und den ererbten Besitz antreten, von dem er einen Theil an seinen Bruder Dietmar (später von Offenberg genannt) abgab. Unter seinen adeligen Genossen machte Ulrich sich bald ausgezeichnet geltend, schon früh erscheint sein Name gleich hinter den ersten des Landes in Urkunden, den Pfannbergern, Stubenbergern, Wildoniern. Auf die Vermehrung seiner Güter sowie die Bewahrung des Erbes muß er [621] sorgfältig bedacht gewesen sein. So ist er auch ziemlich rasch zu einflußreichen Aemtern gelangt. Von einer Romfahrt 1226 zurückgekehrt, 1227 uns zuerst urkundlich bezeugt, wird er schon 1241 als Truchseß der Steiermark genannt und von Herzog Friedrich dem Streitbaren (Bd. VII, S. 580) mit wichtigen Missionen betraut. Ja 1245 vertritt er als Landesrichter und wol auch Landeshauptmann die Person des Herzogs in der Steiermark. An der unglücklichen Leithaschlacht von 1246 hat Ulrich theilgenommen, sie vielleicht auch in einem verloren gegangenen Liede besungen. Während der herrenlosen Folgezeit, wo der steirische Adel selbst im Lande walten und das Recht zu finden hatte, trat Ulrich bald an die Spitze seiner Genossen, wenn auch bei weitem nicht der mächtigste und reichste, so doch durch Klugheit und Thatkraft von entscheidendem Einfluß. Man sieht deutlich, daß er sich bestrebt, die Adelsherrschaft zu wahren; gegenüber den wechselnden großen Mächten sucht er durch rechtzeitiges paktiren und lösen die Interessen seines Standes sicher zu stellen. Nicht immer wußte er sich selbst zu schützen, 1248–49 wurde er geraume Zeit auf seiner eigenen Frauenburg von Pilgrim von Katsch, einem seiner Mannen, gefangen gehalten und konnte erst durch die Intervention des Landesverwesers Meinhard von Görz gegen vieles Geld frei werden. Mit Philipp von Kärnthen, dem erwählten Erzbischof von Salzburg, stand er in sehr nahem Verhältniß und war an den schweren, langwierigen Händeln desselben betheiligt, er verheirathete zwei seiner Kinder mit Erzb. Salzburger Ministerialen und ließ sie durch diesen Kirchenfürsten ausstatten. 1251 führt er eine Bewegung der steirischen Landesherren gegen die ungarische Herrschaft unter Bela, später Stephan. 1252 wohnt er der Vermählung Ottokars von Böhmen mit Margarethe von Oesterreich zu Haimburg bei, vermuthlich das Band schon knüpfend, das die Steiermark dann an die Premysliden fesseln sollte. So hielt er sich auch in dem Kampfe zwischen Böhmen und Ungarn zu Ottokar. 1258 freilich leitete Ulrich im Dienste des Seckauer Prätendenten auf den Salzburger Stuhl den verhängnißvollen Ueberfall der kärnthnischen Truppen vor Radstadt, entkam jedoch ohne Schaden, machte sofort seinen Frieden mit dem Ungarnkönig und war am 26. Mai 1259 schon wieder bei Stephan in Graz. Zu der schließlichen Vertreibung der Ungarn hat er gewiß geholfen, demgemäß befindet er sich bereits 1260 in Ottokars Diensten. Dabei gab er jedoch die gefährlichen Beziehungen zu der in Judenburg internirten Babenbergerin Gertrud von Oesterreich (Bd. IX, S. 70) nicht auf. Unter Ottokars Herrschaft ist Ulrich in Landesangelegenheiten sehr thätig, oft als Schiedsmann. Das schlug jedoch 1268–69 zu seinem Nachtheil aus: als Ottokar die Mehrzahl der steirischen Burgen und damit die Stützen der Adelsmacht brechen wollte, wurde auch Ulrich mit anderen festgenommen und saß gefangen 26 Wochen zu Klingenberg in Böhmen. Damit verlor er allerdings nicht die Gunst des Königs, blieb dienstbar und einflußreich, 1272 als Landmarschall und Landesrichter in Steiermark. Die kärnthnische Fehde hat er noch mitgemacht, sich den gegen Ottokars Regiment Verstimmten angeschlossen und am 27. Juli 1274 der Versammlung steirischer Edeln zu Göß (nahe Leoben) beigewohnt, welche dort Beschlüsse gegen Ottokar gefaßt haben soll. 1275 oder 1276 ist er gestorben, den großen Kampf zwischen Böhmen und Habsburg hat er nicht mehr erlebt. Seinen Grabstein mit deutscher Inschrift will man jüngst gefunden haben, Sicherheit ist dafür aber nicht zu erlangen. Ulrich besaß von seiner Gattin Bertha von Weitzenstein zwei Söhne, Ulrich und Otto, sowie zwei Töchter. Liukardis, die Admonter Nonne, welche man für sein Kind hielt, ist seine Enkelin. – Die 84 uns bekannten Urkunden, in denen Ulrich vorkommt, lassen ebenso wie die Angaben des steirischen Reimchronisten auf ein ungewöhnlich thätiges und erfolgreiches Leben schließen, das der kluge, körperlich überaus kräftige Mann auch dichterisch auszuschmücken [622] wußte. Seinen Poesien dankt er wol allein, daß die Nachwelt um seine Person sich bekümmert. Zwei Werke hat er in schon späten Jahren abgefaßt: 1255 den Frauendienst, 1257 das Frauenbuch. In dem erstgenannten sehr umfangreichen Stücke schildert er die Erlebnisse seines Minnedienstes. Durch Erziehung darauf vorbereitet, hat er, noch ein Knabe, sich einer sehr vornehmen Dame (vielleicht einer pfannbergischen Gräfin) geweiht und begeistert ihr Waschwasser getrunken. Als Ritter beschloß er, ein Spiegel des Minnelebens zu werden. Er hat seine Frau nicht blos in Liedern reichlich besungen und ihr Büchlein geschickt, sondern auch in Tjosten und Turnieren ihre tugendhafte Schönheit verfochten. So bereits zu Friesach 1224 als König Mai gekleidet. Die Hauptprobe bestand Ulrich, da er am 25. April 1227 im Gewande der Herzenskönigin Venus zu Mestre im Venetianischen eine Turnierfahrt begann, täglich zu Ehren seiner Herrin eine Anzahl Speere verstach und an die sattelfesten Tjostierer goldene Ringe schenkte. Ueber Kärnthen, Obersteiermark ging der wunderliche Zug nach Niederösterreich bis an die mährische Grenze, die am 22. Mai erreicht wurde. Ein großes Turnier, am 30. Mai, Pfingstmontag, zu Klosterneuburg abgehalten, beschloß. Als nach dreizehnjährigem erfolglosen Dienste Ulrich seine Herrin, die einen andern vorzog, aufgegeben hatte, unternahm er nichtsdestoweniger noch 1240 eine ähnliche kürzere Fahrt als König Artus, die durch den rauhen Herzog Friedrich II. von Oesterreich etwas schroff beendet wurde. Was uns Ulrich von seinen Abenteuern im Dienste der Minne berichtet, ist wol nur zum geringeren Theile wahr. Daß er eine Hasenscharte sich operiren, einen unbrauchbar gewordenen Finger sich abhacken ließ, mögen wir ihm noch glauben, allein an der berüchtigten Geschichte von dem Rendezvous, wie er als Aussätziger der Burg seiner Dame sich nähert, endlich Abends in einem Tuch an der Mauer aufgezogen, vor die Geliebte in ihr Prunkgemach gebracht wird, da sehr sonderbar über die Erfüllung seiner Wünsche verhandelt, zuletzt in ganz schmählicher Weise durch eine List betrogen in den Burggraben fällt, alles das giebt wahrscheinlich nur eine durch Phantasie und Reminiscenzen aus dem höfischen Epos verhüllte Darstellung des resultatlosen. plötzlichen und unrühmlichen Ausganges seines Minneverhältnisses, für dessen Leiden die treue Pflege seiner lieben Hausfrau ihn von Zeit zu Zeit entschädigen mußte. Gewiß ist Ulrich weiterhin zu keinem Erfolge gelangt, wie er auch seine zweite glückliche Minne entweder rein erfunden oder aus platonischen Beziehungen zu einer ältlichen Freundin herausconstruirt hat. Die Lieder, welche er für dieses angebliche zweite Verhältniß dichtete, unterscheiden sich durch Künstelei, Farblosigkeit, Pedanterie, Eintönigkeit, didaktische Haltung sehr von denen, welche er dem ersten zugewiesen hat. Diese sind in der überlieferten Folge während Ulrichs junger Jahre entstanden, verdanken echter Empfindung ihren Ursprung, sind zierlich und geschmackvoll, reichen in lieblicher Einfachheit und melodiöser Weichheit bisweilen an die schönsten Walthers von der Vogelweide heran. Auf ihnen beruht Ulrichs dichterischer Ruf, sie gestatten, ihn den besten Minnesängern beizuzählen. Schon seine Liebesreden im Büchlein fallen dagegen nach Form und Inhalt stark ab, höchst holperig und steif sind die in achtzeilige Strophen gruppirten, paarweise stumpf (nicht ohne Einfluß des Volksepos) gereimten Verse seiner Erzählung, mit welcher das Frauenbuch, eine langstielige Klage über das Verderben ritterlicher Zucht und sittigen Minnelebens durch die wachsende Rohheit der Epigonen, so ziemlich in einer Reihe steht. – Nach alledem erscheint uns Ulrich als ein merkwürdig gemischter Charakter: weltliche Klugheit, geschäftsgewandter rühriger Sinn, auf Erwerb und angesehene Stellung abzielend und dabei den Wandelungen der politischen Situation schlau folgend, heftig und gewaltthätig; dann wieder, wie seine Dichtungen ihn uns kennen lehren wollen, [623] zart und gefühlvoll, ein sorgfältiger Bewahrer feiner Sitte, bis zur Verbohrtheit in humorloser Don Quijoterie einem angeborenen Ideale chevaleresken Lebens und Minnedienstes nachstrebend, will er die kahle Alltäglichkeit zum Artusromane gestalten. Mitten in den abenteuerlichsten Unternehmungen, in der abstrusesten Sentimentalität, welche fast ein Wertherfieber des 13. Jahrhunderts scheinen möchte, wird plötzlich seine praktische, für nüchterne Beurtheilung realer Verhältnisse geschickte Art naiv sichtbar. Ihm laufen oftmals nebeneinander das rauhe Leben eines emporstrebenden Ministerialen, das traumhafte eines Tafelrundehelden und schmachtenden Troubadours; kreuzen sie sich, dann weicht alsbald und unbedingt das zweite dem ersten. In allem und jedem ist Ulrich ein Kind seiner Zeit und seines Landes, das damals eine kurze Glanzepoche geistiger Produktivität erlebte; er steht unter der Einwirkung der verschiedenen Richtungen, welche die Poesie der Steiermark kennzeichnen. Neben manchem mißlungenen bringt es eine entschiedene Begabung für Lyrik auch zur Vollkommenheit in kleinen Formen: ein Lied, wie „In dem Walde süße Töne singen kleine Vögelein“, sichert Ulrich ein dankbares Gedächtniß.

Die Dichtungen Ulrichs v. Liechtenstein sind herausgegeben durch Karl Lachmann mit Anmerkungen Th. v. Karajan’s, Berlin 1841. Zur Biographie: v. d. Hagens Minnesinger 4, 321–404; v. Muchar, Geschichte des Herzogthums Steiermark an verschiedenen Stellen des 3. 4. 5. Bandes; Jakob Falke, Geschichte des fürstlichen Hauses Liechtenstein, 1, 57–124; v. Beckh-Widmanstetter, U. v. Liechtenstein’s Grabmal auf der Frauenburg, Graz 1871; v. Krones, Die Herrschaft König Ottokars in der Steiermark, Mittheil. des hist. Vereins f. Steierm. 1874; Karl Knorr, Ueber U. v. L., Quellen und Forschungen, 9. Heft, Straßburg 1875; endlich ein Aufsatz des Unterzeichneten im 26. Bande der Zeitschrift für deutsches Alterthum.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: IX, S. 526