ADB:Goeze, Johan Melchior
Lessings, wurde am 16. Octbr. 1717 in Halberstadt geboren, wo sein Vater, Johann Heinrich G., Diaconus zu St. Martini und sein Großvater, Johann Melchior G., Consistorialrath und Dr. theol., Oberprediger an derselben Kirche war. Er besuchte zuerst die Schule in Halberstadt, dann die in Aschersleben, wohin sein Vater als Pastor zu St. Stephani versetzt ward; der Großvater war am 1. April 1727 gestorben. Um Michaelis 1734 konnte er schon die Universität beziehen; sein Vater brachte ihn selbst nach Jena. Von hier ging er im J. 1736 nach Halle, wo namentlich Sig. Jac. Baumgarten sein Lehrer war; unter dem Vorsitz desselben vertheidigte er im October 1738 seine Dissertation „De patrum primitivae ecclesiae feliciori successu in profliganda gentium superstitione quam in confirmanda doctrina christiana“. Baumgarten ließ mit dieser Dissertation einen Brief an Goeze’s Vater drucken, in welchem er sich über den Fleiß und die Kenntnisse Goeze’s höchst anerkennend aussprach. Nach Hause zurückgekehrt, vertrat er seinen Vater mehrfach auf der Kanzel und [525] ward dann im J. 1741 zum Adjunctus Ministerii, im J. 1744 zum Diaconus in Aschersleben gewählt; als solcher verheirathete er sich am 8. Febr. 1746 mit Johanna Rosina, der am 2. Juli 1725 geborenen Tochter des Bürgermeisters Derling zu Aschersleben. Neun Jahre war er hier der College seines Vaters, wie dieser selbst in Halberstadt zwölf Jahre College seines Vaters gewesen war. Um diese Zeit ließ er einzelne Predigten und Betrachtungen und auch eine apologetische Arbeit zur Vertheidigung der Göttlichkeit der Sendung Mose’s (in den Erlanger gelehrten Anm. und Nachr. 1746) drucken. Nachdem er im Jahre 1749 einen Ruf an die St. Catharinenkirche zu Magdeburg abgelehnt hatte, nahm er im folgenden Jahr eine Berufung als zweiter Prediger an die Kirche zum heil. Geist in Magdeburg an; im J. 1752 ward er Pastor an derselben Kirche. Hier wurde seine Wirksamkeit eine bedeutende und bald wurde er auch durch seine homiletischen und ascetischen Schriften, die sich zu einem großen Theile mit den sogenannten letzten Dingen (Tod, Auferstehung, Gericht und ewiges Leben) beschäftigen, in weiten Kreisen bekannt und berühmt. Ob persönliche Bekanntschaft, etwa durch hamburgische Kaufleute, die nach Magdeburg reisten, oder sein Ruf als Prediger und Schriftsteller die Hamburger auf ihn die Blicke richten ließen, als der Pastor (Hauptpastor) zu St. Catharinen daselbst, Johann Ludwig Schlosser, im J. 1754 gestorben war, ist wohl nicht mehr festzustellen; am wahrscheinlichsten ist beides zusammen gekommen. Damals war die Berufung in ein hamburgisches Pastorat, jetzt Hauptpastorat genannt, etwas höchst Ehrenvolles; aus den bedeutendsten Theologen der lutherischen Kirche in Deutschland bildete man den sogenannten weiten Aufsatz, aus welchem dann vier auf die engere Wahlliste gebracht wurden; unter diesen vier war mit G. sein Magdeburger College, der Superintendent Friedrich Eberhard Rambach. Daß G. einstimmig gewählt sei, ist eine irrthümliche Angabe; aber von 26 Wählenden gaben ihm 17 bei der entscheidenden Wahl ihre Stimme. Er hat es sich gründlich überlegt, ob er dem Rufe folgen solle; er sagt selbst: „ich bin nicht meinen eignen Einsichten allein gefolgt, sondern ich habe berühmte und hochverdiente Gottesgelehrte unserer Kirche zu Rathe gezogen und von ihnen allen die Antwort erhalten, daß ich ohne der Führung Gottes zu widerstreben, einen solchen Ruf, welcher alle Kennzeichen der Göttlichkeit hat, vor mich nicht wegwerfen dürfte.“ Ob er vielleicht eine Ahnung von den Kämpfen hatte, die ihm dort bevorstehen würden? Unmöglich wäre es nicht; wie er denn namentlich auch von den Weitläufigkeiten, welche gerade damals die beginnende Aufklärung den an der kirchlichen Lehre festhaltenden Predigern bei der Ausarbeitung eines neuen Katechismus gemacht hatte, Kunde haben konnte. Auch ward ihm nicht leicht, sich so weit von seinem alten Vater, der am 11. Octbr. 1766 starb, zu entfernen. Außerdem spricht er von Schwierigkeiten, die erst hätten gehoben werden müssen, bei denen nach dem Zusammenhange nur an solche gedacht werden kann, die bei der Lösung seiner bisherigen Verhältnisse oder seiner Entlassung aus seinem bisherigen Amte sich zeigten. Jedenfalls wurde er von den Kirchenvorstehern und seiner Gemeinde in Hamburg mit großen Erwartungen empfangen. Am 13. Novbr. 1755 trat er sein neues Amt an, in welchem er dann bis zu seinem am 19. Mai 1786 erfolgenden Tode verblieben ist. In seiner äußern Stellung trat nur einmal noch eine Veränderung ein, als er am 23. Juli 1760 vom Senat zum Senior des geistlichen Ministeriums erwählt ward; es war Sitte, daß der dem Dienstalter nach älteste Hauptpastor dieses einflußreiche und verantwortliche Amt erhielt; der damals älteste hatte sich die Wahl wegen seiner Kränklichkeit verbeten, und G., obwohl noch nicht 43 Jahre alt, war der zweitälteste. Am 15. August 1770 legte G. jedoch das Seniorat freiwillig nieder, als er in seinem Streite mit Alberti vom Senat und vom Ministerium nicht [526] die erwartete Hülfe erhielt. Drei Kinder hatte er aus Magdeburg mit nach Hamburg gebracht, zwei Söhne und eine Tochter. Ein ihm in Hamburg geborener Sohn starb vierjährig im October 1763; vier Tage nach diesem starb die einzige Tochter; der älteste Sohn starb im 23. Lebensjahre im J. 1769 als Student in Leipzig. Seine Frau, die in den letzten Jahren immer kränklich gewesen war, starb drei Jahre nach der Feier der silbernen Hochzeit am 1. Juni 1774. Seitdem hatte er nur noch einen Sohn am Leben, den am 3. Juli 1754 zu Magdeburg geborenen Gottlieb Friedrich G., den er sorgsam erzogen und zu dessen Unterweisung in der Geschichte er ein Münzcabinet angelegt hatte; dieser ward ein halbes Jahr vor dem Tode des Vaters Pastor zu St. Johannis in Hamburg und starb unverheirathet schon am 11. Novbr. 1791. – Unter allen Theologen, die sich in der evangelischen Kirche Deutschlands im vorigen Jahrhundert der immer mehr um sich greifenden sog. Aufklärung und der gleichzeitig einreißenden Sittenlosigkeit widersetzten, ist keiner so bekannt geblieben, wie G.; aber keiner seiner Zeitgenossen ist auch wie er verschrieen als ein finsterer Eiferer und geistloser Vertheidiger einer abgestandenen Rechtgläubigkeit; keiner hat wie er dafür Feindschaft und Hohn erdulden müssen, daß er sich erkühnte, einem vom Glauben seiner Väter abfallenden Geschlecht gegenüber das biblische Christenthum und das lutherische Bekenntniß vertheidigen und festhalten zu wollen. Mit welchen Waffen der Verläumdung und Verspottung die Vertreter der Aufklärung aus dem gewöhnlichen Troß der Zeitungsschreiber gegen G. kämpften, was man sich gegen ihn alles erlaubte, muß man selbst lesen, um es zu glauben. Aber nicht nur ein August Friedrich Cranz (vgl. Band 4, S. 564), ein Joh. Matth. Dreyer (Band 5, S. 406), ein Johann Otto Thieß und ähnliche, sondern selbst Thomas Abbt in einem anonymen Pasquill „Erfreuliche Nachricht von einem in Hamburg bald zu haltenden protestantischen Inquisitionsgericht“, Hamburg [Berlin] 1766, Klamer Eberh. Karl Schmidt in den Hendekasyllaben, Amsterdam [Halberstadt] 1773, der G. den düstern Papst Hammoniens nennt, Göckingk in dem Musenalmanach für 1780 von Voß und ihm, S. 73: „Grabschrift auf den orthodoxen *“, mit dem Anfange: „Der Papst H***s liegt unter diesem Stein“, und viele andere geachtete Schriftsteller stimmten in diesen Ton ein; haben doch sogar Claudius in der bekannten Disputation unter dem Vorsitz des Herrn Lars 1772 (Werke, 9. Ausg., Gotha 1871, I. S. 55) und Friedr. Leop. Stolberg in den Jamben, Leipzig 1784, sich nicht gescheut, G. dem Gelächter Preis zu geben, wenn sie auch hernach über ihn anders urtheilten. Doch alle diese jetzt größtentheils vergessenen Angriffe auf G., die, was wol zu beachten, mit wenigen Ausnahmen sich gegen seine Person richteten und nicht nur gegen die Sache, die er vertrat, würden nicht bis auf unsere Tage ihm den bösen Ruf, in dem er steht, erhalten haben, wenn nicht Lessing in seinen Streitschriften gegen G. ihn „für alle Zeiten zum Träger und Typus aller Geistesbeschränktheit und Wissenschaftsfeindschaft erhoben“ hätte. G. aber war weder beschränkt noch wissenschaftlichen Bestrebungen unzugänglich, wie aus seinen zahlreichen Schriften unschwer zu erweisen ist; er war in der Theologie und der Litteratur seiner Zeit wohl bewandert und konnte auf den Namen eines Gelehrten größeren Anspruch als die meisten seiner Gegner machen, wovon kein Gegenbeweis ist, daß er auch einmal in einer einzelnen Sache sich geirrt hat (vgl. Lessing’s Werke, Ausgabe Hempel, Band 17, S. 152, Anm. 2). Daß er z. B. in dem Streite mit Semler über die Complutensische Bibel im Wesentlichen Recht hatte, hat auch Lessing anerkannt, wenn auch Goeze’s Meinung von der Vorzüglichkeit der Handschriften, die bei dieser Ausgabe gebraucht sind, sich auf dem heutigen Standpunkt der historischen Bibelkritik nicht mehr festhalten läßt. Sein Hauptfehler in den Augen aller seiner Gegner war [527] dieser, daß er das biblische Christenthum nach dem Lehrbegriff der lutherischen Kirche, den er für göttliche Wahrheit hielt, mannhaft und ohne Ansehen der Person gegen alle Gegner derselben vertrat; das konnte man ihm nicht verzeihen. Daß er dabei ein Heuchler gewesen, ist ein durch nichts erweisbarer Vorwurf; nicht einmal das kann man sagen, daß er an dem äußeren Bekenntniß sich habe genügen lassen; seine zum Theil vortrefflichen und in ihrer Zeit und bis in unser Jahrhundert hinein verbreiteten homiletischen und ascetischen Werke beweisen zur Genüge, daß er in diesem gehässigen Sinne nicht ein Orthodoxer gescholten zu werden verdiente. Sein Glaube war ihm völlig Herzens- und Gewissenssache. Und daß er für denselben nur mit denjenigen Mitteln eintrat, welche die theologische Wissenschaft seiner Zeit darbot, daß er nicht das schließliche Resultat des Kampfes, an dessen Anfange er stand, wie es in unserm Jahrhundert sich herausgestaltet hat, im voraus schon kannte, daraus kann man ihm doch keinen Vorwurf machen. Die heutige positive evangelische Theologie ist freilich eine andere als Goeze’s; aber geistlos und plump ist seine Polemik darum noch nicht, wenn sie auch den Gegnern noch nicht oder vielmehr nicht mehr gewachsen war. Man kann mit Recht (wie Röpe thut, siehe unten) seine Stellung eine tragische nennen, da er mit unzulänglichen Mitteln den Vertretern einer neuen, aber keineswegs, wie heute doch wol allgemein zugegeben wird, in ihren Principien und in ihren Resultaten irrthumsfreien Weltanschauung entgegenzutreten genöthigt war; aber Hohn und Spott hat er darum nicht verdient. Daß er, als er einmal in den Kampf öffentlich eingetreten war, hernach des Guten zu viel that und jeden hingeworfenen Fehdehandschuh aufnahm, wird zuzugeben sein; von seinen späteren Streitschriften, namentlich denen, in welchen er sich gegen persönliche Verläumdungen rechtfertigte, hätten manche ungeschrieben bleiben können; er sah die Sache so an, daß er um seines Amtes willen nicht dazu schweigen dürfe, wenn sein Charakter verunglimpft werde. Auch seine Kampfesart werden wir nicht immer billigen; sie hat ihm namentlich im Streit gegen Schlosser und hernach in dem gegen die Katholiken nicht unverdiente Unannehmlichkeiten und Zurechtweisungen bereitet; aber auch betreffs ihrer haben wir nicht zu vergessen, daß damals manches unanstößig war, was wir heute nicht ertragen könnten, was insbesondere auch von der Kanzelpolemik gilt. Seine nicht abreißenden litterarischen Fehden aufzuzählen, kann hier kein Versuch gemacht werden, da im einzelnen doch nicht auf sie eingegangen werden kann; jedes Verzeichniß seiner Schriften, deren Zahl abgesehen von den Aufsätzen in Zeitschriften größer als hundert ist, gibt zugleich eine Uebersicht über sie und die langen Titel lassen oft den Gegenstand, um den es sich bei ihnen handelt, schon erkennen. Sein erster größerer Streit war der gegen Basedow, der im Jahre 1764 begann; seit diesem ist er nicht wieder zur Ruhe gekommen. Außer diesem haben eine allgemeinere Bedeutung der mit Johann Ludwig Schlosser, dem Sohne seines Vorgängers (siehe oben) über die Sittlichkeit der Schaubühne seit 1769 und der gegen Bahrdt wegen der Uebersetzung des Neuen Testamentes desselben 1773 geführte, vor allem dann sein Auftreten gegen Lessing 1778. Aber auch die Streitigkeiten von ursprünglich rein localem Anlaß, wie Goeze’s Auftreten gegen Alberti seit 1769 und hernach das gegen Friederici 1776, beidemal zur Vertheidigung seines Glaubens gegen Angriffe von Seiten seichter Aufklärung, bekamen ein weit über Hamburg hinausgehendes Interesse durch die Theilnahme, die Goeze’s Gegner ihnen zuwandten; hat doch selbst Stolberg in den Jamben (siehe oben) nicht unterlassen, das alberne Gerede, daß sowohl Alberti († 1772) als Friederici († 1777) über Goeze’s Polemik sich zu Tode geärgert hätten, zu einem abscheulichen Vorwurf gegen G. zu verwenden. Was nun aber seinen Kampf gegen Lessing anlangt, so ist wegen des allgemeinen [528] Ansehens, das Lessing genießt, nicht leicht, G. gerecht zu werden, da jede Rechtfertigung oder auch nur Vertheidigung des letzteren einen Tadel gegen den ersteren einschließt. Lessing hat während seines Aufenthaltes in Hamburg vom April 1767 bis April 1770 G. persönlich kennen gelernt (seit Januar 1769) und ihn auf seine Einladung mehrfach besucht; durch das ausdrückliche Zeugniß beider steht fest, daß sie damals in gutem Vernehmen mit einander standen; Lessing sagt, er habe in G. einen „in seinem Betragen sehr natürlichen und in Betracht seiner Kenntnisse garnicht unebnen Mann“ gefunden (Werke, Ausgabe Hempel, Band 19, S. 378), und G. sagt in einem Briefe vom 23. Septbr. 1777 (siehe Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde, 1878, S. 359), er habe „das Vergnügen genossen, mit Herrn Hofrath Lessing in einem angenehmen Umgange zu stehen“, womit völlig übereinstimmt, was er in seiner gleich zu nennenden Schrift Lessing’s Schwächen S. 29 mittheilt. Es gab auch ungeachtet der großen Verschiedenheit beider doch der Berührungspunkte zwischen ihnen genug, wie sie denn im Urtheile über manche Zeiterscheinungen völlig übereinstimmten. Als Lessing nun seit 1774 die bekannten Fragmente zu veröffentlichen begann und namentlich im Januar 1777 im vierten Beitrag zur Geschichte und Litteratur u. s. f. die fünf weiteren Fragmente mit seinen „Gegensätzen“ hatte erscheinen lassen, ward G. noch mehr durch die Art und Weise, wie Lessing die Veröffentlichung dieser beispiellos gehässigen Angriffe auf die Wahrheit der biblischen Erzählungen und die ganze Autorität der Bibel zu rechtfertigen suchte, als durch den Inhalt der Fragmente selbst veranlaßt, das, wofür er nun schon so oft die Feder ergriffen hatte, auch einem Lessing gegenüber zu vertheidigen; er wandte sich zunächst im December 1777 in einem Aufsatz, den er in die „Freiwilligen Beiträge zu den Hamburgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit“ einrücken ließ, gegen die Behauptung Lessing’s in den Gegensätzen, daß Angriffe auf die Bibel nicht Angriffe auf die Religion seien, indem er zeigte, daß unsere Ueberzeugung von der Wahrheit der christlichen Religion doch auf der Bibel beruhe. Diesen Aufsatz gab er dann mit mehreren anderen, die sich auf den Streit Lessing’s gegen Schumann und Reß wegen der Fragmente bezogen, im nächsten Frühjahr in einer besonderen Schrift heraus, die den Titel hatte: „Etwas Vorläufiges gegen des Herrn Hofrath Lessings mittelbare und unmittelbare feindselige Angriffe auf unsere allerheiligste Religion und auf den einigen Lehrgrund derselben, die heilige Schrift,“ Hamburg 1778. Schon in dieser Schrift kam G. auf die eigentliche Hauptsache in seiner ganzen Polemik gegen Lessing, indem er nämlich von Lessing verlangte, er solle bestimmt sagen, was er unter der christlichen Religion verstehe, wenn er nämlich meine, daß die christliche Religion ohne die Bibel bestehen könne. Auf die Angriffe, die Lessing nun gegen G. in seinen bekannten Streitschriften (Parabel, Axiomata, Anti-Goeze und Nöthige Antwort) richtete, antwortete G. dann in seinen drei „Stücken“, die er „Lessing’s Schwächen“ nannte, zusammen 148 Seiten, Hamburg 1778. Daß Lessing sich unter den zahlreichen Gegnern, die sich wegen der Veröffentlichung der Fragmente gegen ihn erhoben, gerade G. zum heftigsten Angriff aussah, zeigt, daß er ihn für den bedeutendsten hielt. Daß er aber den Kampf so führte, wie er es gethan hat, daß er nämlich mit der schärfsten Satire und dem beißendsten Spott G. moralisch zu vernichten suchte, hat dieser nicht verdient. Es mag hier ununtersucht bleiben, was Lessing dazu veranlaßte. Schon daß er Goeze’s wiederholte Frage, wie er den Ausdruck christliche Religion verstehe, so auffaßte, als habe G. verkehrter Weise nicht gefragt, was Lessing selbst von der christlichen Religion glaube, und einer Beantwortung der Frage in diesem letzteren Sinne auswich, war, wie er selbst gesteht, nichts anderes, als „Evolutiones“ machen [529] (Brief an Elise Reimarus vom 9. August 1778); G. sprach deutlich von der Religion, zu welcher Lessing „sich selbst bekenne“ (Schwächen S. 67) und „welche die seinige sei“ (ebenda S. 70). Und die Frage nach dieser war nicht unberechtigt, da der persönliche Standpunkt der Streitenden für diesen Kampf von der größten Bedeutung war. Daß seine Behauptungen über das Verhältniß der Bibel zur Religion wohl für die natürliche Religion, nicht aber für das historische Christenthum gelten konnten, fühlte Lessing selbst; aber er verfocht seinen Satz, daß die Religion auch ohne die Bibel bestehen könne, gegen G. so, als wenn er auch von der christlichen Religion gelte, und war doch nie dazu zu bewegen, zu sagen, was er unter dieser christlichen Religion verstehe; und hierin war er gegen G. mehr als im Unrecht. Hingegen muß, wer sich auf Goeze’s Standpunkt versetzen kann und seine Schriften gegen Lessing liest, gewiß mit dem neuesten Herausgeber der Streitschriften Lessing’s gegen ihn (siehe Lessing’s Werke in der angeführten Ausgabe, Band 15, S. 18) sagen, daß G. in seiner Polemik gegen Lessing sittlich völlig rein dasteht. Es ist nur zu bedauern, daß er dem leidenschaftlichen und unwürdigen Ton gegenüber, den Lessing annahm, nicht seinerseits den ruhigen und würdigen beibehielt, in dem er den Kampf begonnen hatte, sondern gereizt wurde und sich auch einmal ein unfeines Wort erlaubte; denn dadurch ließ er sich zu einer Kampfesweise verleiten, in der Lessing durch seinen Geist und Witz ihm ohne Frage überlegen war; damit hat er auch dem Gewicht seiner sachlichen Gründe Abbruch gethan. Aber wenn auch die äußere Form seiner Schriften, namentlich auch was die Schönheit der Sprache anlangt, gegen diejenige der Lessing’schen zurücksteht: daß es sich ihm um die höchsten und wichtigsten Dinge handelt, während Lessing den Streit ausgesprochenermaßen wie eine ergötzliche Katzbalgerei ansieht und seine Streitschriften Schnurren nennt (s. a. a. O. S. 19), sollte hinlänglich sein, jeden zu veranlassen, sich sein Urtheil über G. nicht aus Lessing’s Schriften zu bilden. G. hat sich auch in diesem Streit als ein Mann gezeigt, der genau wußte, was er wollte, und der keine Menschenfurcht kannte; seine Polemik ist im wesentlichen sachlich, und er wird nur persönlich, wo der Gegner es zuvor geworden; es fehlt ihm nicht dabei an schlagenden Gedanken und seine Bilder und Gleichnisse sind den Lessing’schen oft ebenbürtig. Die Erfindung, daß G. diesen Streit darum begonnen habe, weil Lessing als Bibliothekar in Wolfenbüttel sich gegen ihn ungefällig bewiesen hatte, darf wol jetzt als widerlegt angesehen werden. – Je mehr sich G. unter den Tonangebern seiner Zeit fremd fühlte und je einsamer es in seinem Hause wurde, desto angestrengter beschäftigte er sich mit ernsten Studien; sie waren seine Erholung. Seine Arbeiten zur Geschichte des gedruckten Bibeltextes überhaupt und besonders zur Vergleichung der verschiedenen Ausgaben der lutherischen Bibelübersetzung haben bleibende Bedeutung; in den letzteren hat er der in unserer Zeit begonnenen Revision des lutherischen Bibeltextes vorgearbeitet. Das nothwendige Material zu diesen umfassenden Untersuchungen hatte G. sich in einer ausgezeichneten Bibelsammlung erworben, die zu den bedeutendsten gehört, die je ein Privatmann besessen, und die durch das Vermächtniß seines Sohnes jetzt eine Zierde der Hamburgischen Stadtbibliothek ist.
Goeze: Johan Melchior G., lutherischer Theologe, der bekannte Gegner- J. C. M. St. ***, Wahrhafte Nachricht von dem Leben des … Johan Melchior Goeze, Hamburg 1786. Hans Hinrich Wendt, Dr. Philipp Nicolai, Hamburg 1859 (das Schlußcapitel handelt von Goeze). Georg Reinhard Röpe, Johann Melchior Goeze, eine Rettung, Hamburg 1860. Heinrich Döring, Artikel Goeze in Ersch und Gruber’s Encyklopädie, 1861 (ein Auszug aus Röpe’s Schrift). Christian Groß in den Vorbemerkungen [530] zum 15. Bande der Lessingausgabe von Hempel (1873). Während alle diese im wesentlichen Goeze’s Charakter in Schutz nehmen, hat August Boden, Lessing und Goeze, Leipzig und Heidelberg 1862, in leidenschaftlicher Polemik gegen Röpe auch die alten Beschuldigungen wider G. noch einmal erneuern zu sollen geglaubt. – Goeze’s Schriften führen Meusel und das Lexikon der Hamburgischen Schriftsteller an.