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Verfassung der Trivialschulen in und um Mergentheim

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Textdaten
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Autor: Anonym
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Titel: Verfassung der Trivialschulen in und um Mergentheim
Untertitel:
aus: Journal von und für Franken, Band 3, S. 82–93
Herausgeber: Johann Caspar Bundschuh, Johann Christian Siebenkees
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1791
Verlag: Raw
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld, Commons
Kurzbeschreibung:
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V.
Verfassung der Trivialschulen in und um Mergentheim.[1]
Ich sage es nicht allein, es ist eine von Sachkennern wiederhohlte Behauptung, daß man von der Bereitwilligkeit, mit der ein Land die verbesserten Schulanstalten annimmt, überhaupt auf die innere Empfänglichkeit der Einwohner für das Gute und die zu bewirkende Aufklärung schließen dürfe. Obgleich Mergentheim der Ort ist, von dem man wegen des besondern Zusammenhanges mit allen Teutschen Provinzen, und der häufigen Versammlungen| der Ordenscavaliere, unter welchen sich viele Staatsmänner und Gelehrte befinden, einen vorzüglichen Grad der Aufklärung hätte erwarten sollen, so stand er doch in gewisser Rücksicht weit hinter seinen Nach[b]arn, und hatte seine Mängel sowohl in politischen und religiösen, als wissenschaftlichen Einrichtungen. Da der Beweis meiner Behauptung in Rücksicht der politischen und religiösen Mängel ausser meinem Plane liegt, so werde ich mich nur auf den letztern Punct einschränken. – Man wird kaum einen Staat in Teutschland antreffen, in dem so viele der wichtigsten und einträglichsten Staatsämter in der Stadt und auf dem Lande meistens Ausländern anvertrauet sind, als den Teutschen Orden. Daß Empfehlungen und Präsentationen der Ordensritter allein Schuld daran seyen, wird man wohl nicht glauben, wenn man betrachtet, daß bey dem besten Willen und der möglichst sorgfältigen Bemühung des Regenten, nur Landeskinder zu versorgen, noch bis auf diese Stunde – freylich nur würdige – Fremdlinge in des Ordens Dienste aufgenommen werden. Der Grund muß also in etwas anderm liegen, nämlich in dem Mangel an tüchtigen Landeskindern. Ich sage an tüchtigen; denn| daß das Ländchen am männlichen Geschlechte unfruchtbar seyn sollte, läßt sich nicht vermuthen. Man kann vielmehr behaupten, daß die Ursache davon in den öffentlichen sowohl als Privaterziehungsanstalten, so wie sie noch vor wenigen Jahren in Mergentheim waren, liege. Freylich kann man die Einwohner deswegen nicht besonders tadeln, weil es in katholischen Staaten überhaupt erst seit einigen Jahren zu tagen anfängt: indessen hätte doch schon vorher etwas besseres geschehen können; und wer weiß, ob noch bis jetzt ein einziger Schritt gethan worden wäre, wenn nicht der jetzige Herr Hoch- und Teutschmeister selbst Hand an ein Werk gelegt hätte, das in die Reihe seiner größesten Thaten gehört. Dieser zum Wohl der Menschen geschaffene Prinz unternahm 1784, unter andern heilsamen Veränderungen, auch in den Erziehungsanstalten eine gänzliche Reform. Die Veranlassung dazu gaben ihm verschiedene Klagen über die Unwissenheit der Jugend, die von ihm gemachte eigene Beobachtung, als er im März desselben Jahrs alle Schulen besuchte, und dann noch die Vorstellungen des Herrn Geheimen Raths Weiß, und anderer Räthe.
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| Bis hiehin waren noch nicht mehr als drey Personen männlichen Geschlechts zum Unterricht der Jugend beyderley Geschlechts aufgestellt. Die erste war der sogenannte Magister, welcher den Knaben die Lateinische Sprache bis in die zweyte Schule lehrte; die andere der Cantor, der ebenfalls die männliche Jugend, welche zum Studiren bestimmt war, in den Anfangsgründen der Lateinischen Sprache unterrichtete, und dieselbe dem Magister überlieferte. Beyde lehrten in einem Hause, und ihr Lehrzimmer war durch eine gemeinschaftliche Wand getrennt. Die dritte war der sogenannte Teutsche Lehrer, dem die ganze übrige Jugend beyderley Geschlechts, die entweder den Wissenschaften nicht gewidmet waren, oder die erst lesen und schreiben lernten, anvertrauet war. Dieser lehrte in einem besondern öffentlichen Gebäude ungefähr 230 Knaben und Mädchen in einem Zimmer. Ueberdem schickten auch manche Eltern ihre Kinder nicht in eine öffentliche Schule, sondern liessen dieselben zu Hause durch Studenten, auch wohl bisweilen durch andere privatim unterrichten. – Die erste Verbesserung ward damit gemacht, daß die Mädchen von den Knaben getrennt wurden, und eine besondere Lehrerin bestellt wurde,| die einstweilen in ihrem eigenthümlichen Hause, das auf herrschaftliche Kosten dazu eingerichtet wurde, die weibliche Jugend in verschiedenen Frauenzimmerarbeiten unterrichten mußte, bis im folgenden Jahre ein weitschichtiges Privathaus erkaufet, und zu zwey in besondern Stockwerken bestehenden geräumigen Schulen, in deren einem die Mädchen, in dem andern die Knaben, welche bloß Teutsch lernen, unterrichtet werden, samt zwey bequemen Wohnungen, für den Teutschen Lehrer und die Lehrerin hergestellet wurde. Den übrigen Unterricht der Mädchen mußte der Cantor, der seine Latein lernende Knaben zu gewissen Stunden des Tags noch mitlehrte, abwechselnd mit einem der Stadtcapläne übernehmen, so daß dem Teutschen Lehrer die Knaben nur allein blieben. Gleich nach Ostern wurden der damahls jüngere Stadtcaplan Konrad Engelhardt und der Magister Joseph Bott nach Wirzburg geschickt, um auf Kosten des Herrn Hoch- und Teutschmeisters sich in dem dortigen Schullehrer-Seminar in der im Hochstifte Wirzburg üblichen Lehrmethode unterweisen zu lassen. Nach einem beynahe vierteljährigen Aufenthalte kamen sie zurück, brachten ihre erlernten Grundsätze zum Theil noch im| laufenden Curse in Ausübung, und legten am Ende des Schuljahrs an der ganzen Jugend beyderley Geschlechts eine öffentliche Prüfung ab. Im folgenden Jahre behielt der Magister den Unterricht in der Lateinischen Sprache bis ad infimam bey, unterrichtete aber auch noch einige Knaben im Teutschen; der Cantor wurde für immer zu den Mädchen angewiesen, und der Teutsche Lehrer zu den nicht studirenden Knaben. Bisher ist keine Hauptveränderung vorgegangen, ausser daß sich der Magister seit drey Jahren bloß mit denen Knaben beschäfftigt, welche studiren sollen.
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Noch muß ich anmerken, daß in eben dem Jahre 1785, zufolge einer höchsten Cabinetsverordnung, alle Schullehrer auf dem Lande und in den beyden Tauber- und Neckar-Oberämtern nach Mergentheim berufen wurden, um von dem Herrn Stadtcaplan Engelhardt und dem Magister Bott sich in der neuen Lehrmethode unterrichten zu lassen. Dieß geschah den Sommer über, und die Verpflegung ward ihnen an Gelde von dem hochfürstlichen Rentamte gereichet. Alles dieß hatte den gewünschten Erfolg nicht nur bey den Lehrern, sondern auch die Gemeinden auf dem Lande waren sehr bereit,| unter der Anleitung ihrer Vorgesetzten zu dem heilsamen Werke das Ihrige nach Kräften beyzutragen, so daß sogleich mit dem Anfange des folgenden Jahrs durchgehends nach der neuen Methode gelehret wurde, und eine jede Gemeinde eine hinlängliche Schulbibliothek für ihre Jugend anschaffte. Die Kinder werden sichtbar an Kenntnissen reicher; und selbst die Industrie verbreitet sich allmählich unter der Landjugend. Ich kenne einige sonst unbedeutende Dörfer, wo die Knaben bloß in der Schule das Jahr hindurch manches Paar Strümpfe und Kappen stricken, und die Mädchen nebst dem mehrere kleinere Kleidungsstücke verfertigen. So sind überhaupt bisher die Prüfungen bey der jährlichen Schul-Visitation, so wohl im Ganzen genommen, als bey einzelnen Gemeinden, zur höchsten Zufriedenheit ausgefallen.
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Ich komme nun wieder auf die Mergentheimer Schulen insbesondere, und derselben Lehrgegenstände. Statt daß in den Teutschen Schulen bisher nichts als Lesen und Schreiben – und zwar nach einer ausserordentlich mechanischen Methode, gelehret wurde, werden nun auch Geschichte, Erdbeschreibung, Naturlehre,| Rechenkunst und andere im gemeinen Leben nützliche und nothwendige Kenntnisse vorgetragen. Die Mädchen verfertigen schöne Aufsätze, und wissen auch nicht gar leichte Exempel aus der Regel de Tri[#]in ganzen und gebrochenen Zahlen aufzulösen. Ihre weiblichen Arbeiten bestehen in Verfertigung niedlicher Kopfaufsätze, Geldbeutel, Hut- Uhr- und Stockbänder und anderer Stickereyen, verschiedener Kleidungsstücke, als Jäckchen, Brustlappen, Hemden, Strümpfe u. dgl. so daß im verwichnen Jahre von 1[#]7 Mädchen, 24 seidene mit Gold und Silber durchwirkte Uhr- und Stockbänder, 53 Hemden, 72 Paar neue und 67 Paar angestrickte Strümpfe verfertiget worden sind. Den Unterricht hierin hat die aufgestellte Lehrerin mit ihren Töchtern allein zu besorgen, und bekümmert sich nicht um irgend einen andern Theil. Zu wünschen wäre freylich, daß auch der übrige Unterricht (den Religionsunterricht, den doch allemahl täglich eine Stunde lang einer der Stadtcapläne zu besorgen hat, allein ausgenommen) nach dem Beyspiele anderer Städte einer weiblichen Lehrerin anvertrauet wäre. Die Ursachen sind leicht zu errathen.
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| Auch bey der männlichen Jugend wird der Zweck des erhabenen Regenten so ziemlich erreicht, und alles, was von den Mädchen gesagt worden, kann man auch von den Knaben sagen, in so weit es die Gegenstände betrifft, in welchen der beyderseitige Unterricht eben derselbe, oder von einander unterschieden ist. Was die Lateinische Schule insbesondere betrifft, so befindet sie sich wirklich in einem Zustande, der mit demjenigen, in dem sie noch 1783 sich befand, sehr absticht, ob man gleich noch nicht diejenige Vollkommenheit antrifft, die man zu suchen berechtiget wäre, wenn man nicht wüßte, daß sie noch im Werden ist. Der zum Schulmann ganz gemachte Magister Bott verbindet mit einer gründlichen Kenntniß der Lateinischen Sprache die Gabe, dieselbe sehr leicht und geschickt zu lehren. Man benützt nun, statt des in Lateinischen Regeln verfaßten Jesuitischen Syntax, Schellers kleinere Grammatik, quält die zarte Jugend nicht mehr mit dem trocknen Quae maribus und Simplicium leges, läßt sie nicht nur reine Teutsche Aufsätze ins Latein, sondern auch nach der Fähigkeit derselben gesammelte Auszüge aus den besten Classikern ins Teutsche übersetzen, und| macht sie überhaupt schon bey Zeiten mit dem Eigenthümlichen der Lateinischen Sprache bekannt, so daß jetzt der Knabe, welcher ad infimam aufsteigen will, eine reinere Übersetzung liefert, als vor 12 Jahren der Schüler aus der zweyten Classe. Nicht zu gedenken, daß jetzt auch die Anfangsgründe der Griechischen Sprache, Erdbeschreibung, Völkerkunde, Geschichte und andere nützliche Wissenschaften verhältnißmäßig gelehret werden, und daß die Lehrer beflissen sind, bey der Behandlungsart im Strafen und Belohnen mehr Menschenkenntniß zu zeigen. Die Kinder werden durch verschiedene Geschenke zum Fleiße angefeuert. So werden z. B. bey der jährlichen öffentlichen Prüfung unter die armen Mädchen so wohl, als diejenigen Knaben, die nicht studiren sollen, den Bedürfnissen und dem Fleiß der Subjecte angemessene Kleidungsstücke, und unter die Latein lernenden Knaben durchgehends nützliche und zum Studiren brauchbare Bücher ausgetheilt. Und damit unbemitteltern Eltern alle Gelegenheit benommen würde, ihre Kinder erst spät in die Schule zu schicken, und doch wieder frühzeitig davon zu entfernen, so hat der wohlthätige Fürst einem jeden den Zutritt| unentgeltlich öffnen lassen; auf der andern Seite aber die sämmtlichen Lehrer durch eine ansehnliche Gehalts-Erhöhung dafür schadlos gehalten. Hiedurch wird nicht nur der leidigen Habsucht der Lehrer, die der Aufnahme einer Erziehungs-Anstalt nur zu oft im Wege stehet, vorgebeuget, sondern die Lehrer selbst werden mehr aufgemuntert, da sie durch ein fixes Gehalt aller Sorge für ihren Unterhalt entlediget werden, da sie im Gegentheile oft zu niedrigen Hülfsquellen ihre Zuflucht nehmen müssen, wenn ihr Unterhalt auf das zweifelhafte Schulgeld geschlagen, oder auch bey einer freyen Schule das Gehalt kaum für einen ledigen Menschen hinreichend ist. Es wäre daher zu wünschen, daß diese weise Vorsicht auch auf dem Lande beobachtet würde, damit nicht verdiente Männer in die traurige Nothwendigkeit versetzet würden, in ihrem Greisen-Alter mit ihrer auch nicht zahlreichen Familie zu darben. Vielleicht daß die Schulräthe bey Gelegenheit der jährlichen Visitation, entfernt von ihren gefüllten Speisekammern, einmahl einen mitleidigen Blick auf ihre nothleidenden Untergebenen werfen, und durch eine billige Ausgleichung der Gehalte der dem Staate so| unentbehrlichen Diener dem großen Werke erst die bestmöglichste Vollendung geben.



  1. Das Teutschordische schien immer bey den Statistikern und Erdbeschreibern unter die terras incognitas zu gehören, wir werden aber nächstens ausführlichere Nachrichten davon zu geben im Stande seyn.