Glitius. 1) Q. Glitius Atilius Agricola, Feldherr Traians, nur durch epigraphische Zeugnisse bekannt. Sein ganzer Name Q. Glitius P. fil. Stel(latina) Atilius Agricola, mehr oder minder vollständig erhalten, in den Turiner Inschriften CIL V 6974–6983[1] (Κoίντω ... Ἀτειλίῳ ... V 6984); Q. Glitius Atilius Agricola im Militärdiplom (s. u.); Atilius Agricola in der stadtrömischen Grabschrift der Sklavin Chloe, CIL VI 14740[2]: in abgekürzter Nomenklatur hieß er demnach Atilius (nicht Glitius) Agricola. Ob er mit den Glitii Galli (Nr. 2f.) in Verbindung zu bringen ist, darf bezweifelt werden (Willems Sénat rom. en l’an 65 p. 46 und Nipperdey zu Tac. ann. XV 71 halten ihn, wohl unzutreffend, für den Sohn des P. Glitius Gallus [Nr. 2] und der Egnatia Maximilla). Auf Turiner Steinen begegnen sowohl Atilier als Glitier (z. B. CIL V 7013.[3] 7063. 7087f.): den (leiblichen) Vater Agricolas will Promis
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(Storia dell’ ant. Torino 1869, 302) erkennen in dem Kriegsmann ... [G]litius T. f. Stel. Barbarus, prim[ip]ilaris, p[raef(ectus) coh(ortis) ... t]ribunus militum, praef. fabr(um) T[i. C]laudi Caes[aris Aug. Germ.], der diesem Kaiser im J. 49 ein Denkmal in Turin dedizierte (CIL V 6969).[4]
Über Agricolas Ämterlaufbahn unterrichtet uns eine stattliche Anzahl von Ehreninschriften, die ihm in Augusta Taurinorum – offenbar seiner Heimat (wie auch die Tribus Stellatina lehrt, Kubitschek Imp. Rom. trib. discr. 118) – gesetzt wurden: zwei von diesen gehören in Nervas Regierungszeit (CIL V 6974[1] [= Dessau 1021]. 6975), sechs frühestens in das J. 103, in dem er zum zweitenmal Consul war (V 6976. 6977 [= Dessau 1021 a]–6981), bei den Frg. V 6982–6987 ist die Zeit unsicher (vgl. Promis 295ff. Mommsen CIL V p. 785.[5] Dessau Prosop. imp. Rom. II 119 n. 114; keines der Denkmäler ist vollständig erhalten).
Agricola dürfte den latus clavus Vespasian verdankt haben (die Beziehungen der Familie zu diesem könnten sich, wenn Glitius Barbarus tatsächlich sein Vater war, von der britannischen Expedition des Claudius herleiten, Promis a. a. O.). Er begann als sevir tu[rmae ..] equitum Romanorum und wurde hierauf Xvir stlitibus iudicandis, tribunus militum legionis I. Italicae – die Legion ist erst von Nero aus über sechs Fuß hohen Italikern gebildet worden, in Vespasians Zeit stand sie in Moesien, – q(uaestor) divi Vespasiani, aedilis curul(is), praetor, leg(atus) citerioris Hispaniae – und zwar legatus iuridicus unter Domitian (Mommsen CIL V p. 785.[5] Ritterling Österr. Jahresh. X 1907, 301; irrig hält ihn Münzer Bonn. Jahrb. CIV 1899, 110 für einen Statthalter von Hispania citerior) –, legat(us) leg(ionis) VI. Ferratae (die in Syrien ihr Hauptquartier hatte), legatus pro praetore Imp. Nervae Caes(aris) Aug(usti) provinciae Belgicae. Es ist unsicher, ob er diese (praetorische) Provinz schon unter Domitian verwaltete (dessen Nichterwähnung sich durch die damnatio memoriae dieses Kaisers erklären würde, Ritterling Arch. epigr. Mitt. XX 14) oder erst von Nerva an die Spitze derselben gestellt worden ist (Liebenam Legaten 75). Gegen die letztere Annahme spricht zwar, daß Agricola dann Belgien nur ungefähr ein Jahr lang verwaltet hätte, andrerseits läßt aber seine Laufbahn erkennen, daß er durch Domitian nicht die gleiche Förderung erfahren hat, wie durch dessen Vater; denn mindestens 19 Jahre nach der Quaestur gehörte er noch der praetorischen Rangklasse an (belgische Legaten aus der späteren Zeit Domitians nennen die Inschriften Dessau I 1019. 1022; daß damals Agricolas engster Landsmann, Rutilius Gallicus, zur Stadtpraefectur und zum zweiten Consulate emporstieg [s. Bd. I A S. 1255ff.]. scheint ohne Einfluß auf seine Laufbahn geblieben zu sein). Die Zurücksetzung durch den dritten Flavier wäre, wie anderen, auch ihm unter Nerva und Traian zugute gekommen. Nerva übertrug ihm den Suffectconsulat, der nur in das J. 97 gehören kann (die unter Nerva gesetzte Inschrift V 6975 gibt ihm bereits den Consultitel, vgl. Ritterling a. a. O. Stech Klio Beih. X 24), sei es, daß Agricola schon vorher Belgien wieder verlassen hatte, sei es, daß er die
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Fasces fern von Rom in seiner Provinz führte. Jedenfalls war er unter Traian nicht mehr Statthalter (auch in den späteren Texten wird er immer nur als legat Nervas bezeichnet). Das Priesteramt des VIIvir epulonum wird ihm gleichfalls unter Nerva (wohl unmittelbar nach dem Consulate) zuteil geworden sein.
Traian ernannte ihn zum legatus Augusti pro praetore von Pannonien; wahrscheinlich löste er in dieser Provinz im J. 100/101 den Statthalter L. Iulius Ursus Servianus ab (s. Iulius Nr. 538 o. Bd. X S. 882). Als Befehlshaber der pannonischen Legionen nahm Agricola am ersten dakischen Kriege (101/102) teil (CIL V 6977,[6] vgl. v. Domaszewski Philol. LXV 1906, 329) und muß sich in demselben hervorragende Verdienste erworben haben; denn er erhielt die consularischen dona militaria – coronae muralis vallaris classica aurea, hastae purae IIII, vexilla IIII – und im J. 103 als Nachfolger des Kaisers, der vermutlich an den Iden des Januar zurücktrat (Dessau a. a. O.), den zweiten Consulat, zusammen mit einem anderen glänzend bewährten Heerführer Traians, M.’ Laberius Maximus (Militärdiplom vom 19. Januar 103, CIL III n. XXI p. 864 vgl. p. 1972 = CIL VII 1193[7] = Dessau I 2001, s. Mommsen Ges. Schr. IV 460. 463; in den Reliefs der Traianssäule kann Agricola nicht fehlen: wenn in dem Bilde XXVI [Platte 65–67 Taf. XX. XXI Cichorius] tatsächlich, wie v. Domaszewski a. a. O. vermutet, der Übergang des pannonischen Heeres über die Marosch dargestellt ist, müßte man bei dem voranschreitenden Befehlshaber wohl an Agricola denken; doch sieht Cichorius II 134 in diesem Offizier nur einen Legionslegaten und in der Tat scheint ein jüngerer Mann dargestellt zu sein).
Nach dem zweiten Consulat wurde Agricola noch in eine zweite Priesterschaft, unter die sodales Augustales Claudiales, aufgenommen (CIL V 6978–6981)[8] und endlich übertrug ihm Traian das höchste senatorische Amt des praef(ectus) urbis (CIL V 6980);[9] er genoß demnach das Vertrauen dieses Herrschers in ganz besonderem Maße. Die Stadtpräfectur übernahm Agricola vor dem J. 114 (Traian führt V 6980 offenbar noch nicht den Beinamen Optimus, vgl. Borghesi Oeuvr. IX 279; G. könnte der Stadtpräfekt sein, zu dessen Consilium Plinius um das J. 106 zugezogen wurde. Plin. ep. VI 11, 1), doch ist uns die genaue Zeit seiner Amtsführung ebenso unbekannt wie die seines Todes.
Ganz ungewöhnlich groß muß die Zahl der Denkmäler gewesen sein, die den Einwohnern von Augusta Taurinorum den Ruhm ihres hochgestiegenen Mitbürgers verkündeten. Die Statuen zu Fuß und zu Pferde (von deren Postamenten einige durch die Form der Umrahmung – ad formam clipei – auffallen, die wohl an den verdienten Römern zuerkannten Ehrenschild erinnern sollte: vgl. die Nachbildung bei Rivautella-Ricοlvi Marm. Taurin. II 1747, 29, ferner Promis a. a. O.) gehörten vermutlich zu einem Monumentalbau (jedoch nicht zu einem Triumphbogen, wie Rivautella und Ricοlvi gemeint hatten, vgl. Promis 338ff.). Sie sind ihm zum Teil von Städten errichtet, deren Patronat er während seiner Legationen übernommen hatte (so von Calagurris in Spanien, V 6987, und einer pannonischen Ortschaft,
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V 6985; vgl. noch 6986); ein Denkmal mit griechischer Aufschrift (V 6984 = IG XIV 2278 = Cagnat IGR I 478) rührt von einer Gemeinde der östlichen Reichshälfte her, die sich als φίλη, πιστὴ καὶ συνγενὶς κα[ὶ σὐμμαχος? τῶν] ἀνεικήτων Ῥωμαίων bezeichnet – Mommsen dachte an Ilion, aber eher als diese Stadt, zu der Agricolas Laufbahn keine Beziehungen aufweist, kommt vielleicht Laodikeia am Meere in Betracht (vgl. z. B. Dittenberger Or. gr. II 603), das ihn zur Zeit seines Legionskommandos zum Patron gewählt haben könnte.