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RE:Damnatio memoriae

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Austilgung des Andenkens, Strafe wegen Hochverrat im römischen Kriminalrecht
Band IV,2 (1901) S. 20592062
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Damnatio memoriae. Den wegen Hochverrates (perduellio) Verurteilten trifft nach dem ausgebildeten römischen Criminalrecht, sofern über ihn die Todesstrafe verhängt oder das Verfahren erst nach dem Tode zu Ende geführt wird (Mommsen R. Strafr. 592), ausser der in der Confiscation des Vermögens bestehenden Nebenstrafe (Mommsen a. a. O. 592. 1006f.) noch eine Reihe anderer, auf die Austilgung des Andenkens an ihn abzielender Nebenstrafen. Es wird ihm das Grabrecht entzogen (Belege bei Mommsen a. a. O. 987), den Verwandten verboten, um ihn zu trauern (Dig. III 2, 11, 3), die ihm zu Ehren errichteten Standbilder werden umgestürzt (Belege bei Zedler De damnatione memoriae, quae dicitur 11), seine Angehörigen dürfen seine imago nicht einmal im Hause haben (Tac. ann. XI 35), sein Name wird aus allen öffentlichen Denkmälern (Zedler a. a. O. 11ff. Mommsen a. a. O. 989) und auch privaten Urkunden (Zedler a. a. O. 20) getilgt; bisweilen wird auch die Fortführung des Praenomens des Verurteilten in seiner Gens untersagt (Plut. Cic. 49. Tac. ann. II 32. III 17. Hist. Aug. Elagab. 34; vgl. auch Liv. VI 20). Diese Ehrenstrafen werden gewöhnlich unter dem hauptsächlich in den Rechtsquellen (Dig. XXIV 1, 32, 7. XXVIII 3, 6, 11. XXXI 76, 9. Cod. Inst. VII 2, 2. IX 8, 6, 2. Inst. III 1, 5. IV 1, 8, 3) begegnenden Ausdrucke memoria ... damnata u. dgl. begriffen und die D. m. demnach als die bei den schwersten [2060] Fällen des Majestätsverbrechens eintretende ignominia post mortem bezeichnet (s. insbes. Rein Röm. Crim.-R. 477. 537. 916). Einige Schriftsteller haben unter den letzteren Begriff auch die Rescission der Testamente, der Schenkungen zwischen Ehegatten und der donatio mortis causa subsumiert (so die älteren Dissertationen von Schreiter und Wolle), und Schrader (in seiner Ausgabe des Corp. iur. civ. zu Inst. IV 18, 3) ist sogar so weit gegangen, die D. m. der späteren Kaiserzeit mit der Vermögensconfiscation zu identificieren. Die Einziehung des Vermögens ist aber eine von der D. m. ganz abgesonderte Nebenstrafe; die oben erwähnten, auf Austilgung des Andenkens an den Verbrecher gerichteten Massnahmen können nicht unter dieser mitinbegriffen sein, noch viel weniger den einzigen Inhalt derselben bilden; es ist auch, wie Zedler (a. a. O. 4) bemerkt, ganz unfassbar, wie die Römer zu der Identifizierung der Begriffe D. m. und publicatio bonorum gekommen wären. Die Rescission des Testamentes, die Ungültigkeit der Schenkungen, Manumissionen u. s. w. ist aber nichts anderes, als eine Folge der auf den Zeitpunkt der begangenen That zurückbezogenen ademptio bonorum und kann daher nicht auf die Strafe der Austilgung des Andenkens bezogen werden. Einer Erweiterung des herrschenden Begriffes der D. m. hat Joh. Schmidt (Herm. XV 585ff.) das Wort geredet, der mit Rücksicht auf Dig. XLVIII 19, 21 und Cod. Theod. IX 40, 17 den Ausdruck D. m. auch da für anwendbar hält, wo die Tilgung des Andenkens an den wegen Hochverrates Damnierten als Begleitstrafe der Relegation (Deportation) auftritt.

Eine von der herrschenden Ansicht grundverschiedene Begriffsbestimmung hat Zedler a. a. O. 2ff. zu begründen versucht; er erblickt in der D. m. nicht eine Strafe, sondern den Endpunkt (die Verurteilung) in dem nach dem Tode eines Verbrechers (wegen Majestätsverbrechen [s. ausser den obigen Belegen für D. m. noch Dig. XXXVIII 16, 1, 3. XXXIX 5, 31, 4. XL 9,15. XLVIII 2, 20. 4, 11. 16, 15, 3. Cod. Iust. I 5, 4, 4. 7, 2. IX 8, 6, 1], wegen crimen repetundarum [Dig. XLVIII 2, 20. 16, 15, 3], und in der späteren Kaiserzeit bei verschiedenen Religionsverbrechen [Cod. Iust. I 5, 4. 7, 2]) stattfindenden Verfahren; wenn die Quellen von einer memoria ... damnata sprechen, so sei memoria in präciserer Ausdrucksweise zur Bezeichnung des angeklagten (memoriam defuncti accusare Cod. Iust. I 5, 4, 4) und verurteilten Subjectes (memoria defuncti = defunctus) verwendet. Zedlers Meinung gründet sich im wesentlichen (die anderen Beweisstellen haben nur secundäre Bedeutung) darauf, dass Ulp. Dig. XXVIII 3, 6, 11 die D. m. nicht auf das crimen maiestatis (perduellionis) beschränkt; er sagt hier nämlich wörtlich: sed ne eorum quidem testamenta rata sunt. sed irrita fient, quorum memoria post mortem damnata est, ut puta ex causa maiestatis vel ex alia tali causa. Diese letzteren Worte bezieht Zedler auf das crimen repetundarum, bei welchem das Verfahren nach dem Tode zwar fortgesetzt wird, nicht aber die oben erwähnten auf die Entehrung des Gedächtnisses abzielenden Proceduren vorkommen, und folgert schon aus dieser Stelle die Identität der D. m. mit ,Verurteilung nach dem Tode‘. Die Stelle des Ulpian ist aber [2061] als Argument nicht zu verwenden, da sie, wie sich nachweisen lässt, in ihrem Ganzen oder doch der Zusatz ex alia tali causa iustinianische Interpolation ist. Dieser allgemeine Ausdruck hat keinen Sinn, wenn es ausser dem crimen maiestatis nur noch ein einziges Verbrechen giebt, bei welchem das Verfahren durch den Tod des Angeschuldigten nicht endet; überdies giebt es keine causa criminis, von der gesagt werden könnte, sie sei beschaffen, wie die causa maiestatis. Eher lässt sich der in Rede stehende Zusatz vom Standpunkte des iustinianischen Rechts erklären, in welchem die Fortdauer des Verfahrens nach dem Tode auch für Apostasie und Haeresie bezeugt ist und auch (vgl. Cod. Iust. I 3, 23) die Austilgung des Andenkens bei Religionsverbrechen stattgefunden hat. Das ganze Fragment erweist sich noch durch logisch-stilistische Gebrechen (Tautologie; Wiederholung von sed im selben Satze, das widersinnige Futurum fiet), sowie dadurch, dass im Vorhergehenden gerade von Fällen die Rede ist, in welchen das Testament ratum bleibt als emblema Triboniani. Aus Cod. Iust. VII 2, 2 (welcher Erlass, wenn die Datierung, richtig ist – was keineswegs unbezweifelbar ist – dem J. 207 angehört) wird man ohne gleichzeitige Quellenzeugnisse nicht die Identität der damnata memoria mit der damnatio bei crimen quod morte non intercidit annehmen können, da der kaiserliche Erlass nur in einem knappen Auszuge erhalten ist, bei Abfassung desselben aber auch die spätere Rechtsentwicklung berücksichtigt sein kann; unter crimen quod morte non intercidit können übrigens jene concreten Einzelfälle des Majestätsverbrechens verstanden werden, bei welchen die Abolition nicht eingetreten ist. Nicht beweisend für Zedlers Annahme (Cod. Iust. IX 8, 6, 2 und Inst. IV 8, 3 sprechen eher gegen als für seine Lehre) ist der Ausdruck defuncti memoriam accusare, Cod. Iust. I 5, 4, 4, es ist dies ein singulärer Sprachgebrauch dieser Constitution (vgl. daselbst in mortem [für mortuum] crimen tendatur) kein allgemeiner. Die Definition Zedlers entspricht somit keineswegs der römischen Rechtstheorie. Mit Rücksicht darauf, dass die Rechtsquellen von der D. m. ausschliesslich bei dem gegen den Hochverräter nach dem Tode stattfindenden Verfahren reden, erscheint es als das einzig Richtige, den Begriff der D. m. auf die im Verfahren nach dem Tode wegen der Perduellion schuldig Erkannte ausgesprochene (bei Verurteilung des Lebenden treten die Ehrenstrafen von selbst ein) Strafe der Austilgung des Gedächtnisses zu beschränken (Mommsen R. Strafr. 987 scheint dieser Ansicht zu sein); sie ist in diesem Falle die Hauptstrafe, die Confiscation des Vermögens eine an den Ausspruch der D. m. geknüpfte Nebenstrafe; so begreift es sich, dass bei den juristischen Schriftstellern die Rescission der Rechtsgeschäfte inter vivos und mortis causa als mit der Verurteilung des Gedächtnisses verbunden bezeichnet wird. Die D. m. im letzteren Sinne ist namentlich oft über die verstorbenen Kaiser (s. Mommsen St.-R. II 1139) in dem vom Senate abgehaltenen Totengericht verhängt worden (eine Zusammenstellung der Eradierungen in den Inschriften hat Zedler a. a. O. 27ff. gegeben).

Litteratur: a) Ältere: Schreiter-Gerlach [2062] De damnatione memoriae, Leipziger Dissertation 1689. Wolle-Solbrig-Stiglitz De damnatione memoriae, Leipziger Dissertation 1776, 2 Teile; b) neuere: Rein Criminalrecht der Römer (1844) 282. 501. 537. 916. Joh. Schmidt Zwei getilgte Inschriften, Herm. XV 574ff. G. Zedler De memoriae damnatione quae dicitur, Leipz. Dissert. 1884. Mommsen R. St.-R. II 1139f.; R. Strafrecht 987.