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Löhe, Thomasius, Harleß/III. Gottlieb Christoph Adolf v. Harleß

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III.
Gottlieb Christoph Adolf v. Harleß.

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| |  Gottlieb Christoph Adolf von Harleß gehört one Frage zu den einflussreichsten Theologen des Jarhunderts; man kann ihn als den Begründer einer konfessionell lutherischen Theologie, den Fürer der lutherischen Bewegung in Deutschland, als einen der wirksamsten Förderer lutherisch-kirchlichen Lebens bezeichnen. Harleß ist am 21. November 1806 in Nürnberg geboren, kurz nachdem die Herrlichkeit der alten Reichsstadt zu Grabe getragen worden war (am 3. September 1806). Er selbst hat uns sein Leben bis zu seiner Übersiedelung nach München in anziehender und lehrreicher Weise beschrieben (Bruchstücke aus dem Leben eines süddeutschen Theologen. In zwei Abtheilungen. 1) Kinderjahre. 2) Studentenjahre. Bielefeld und Leipzig, Velhagen und Klasing, 1872. Neue Folge 1875). Harleß war der Son des Kaufmanns und Handelsgerichtsassessors Joh. Tobias Felix Harleß, der Enkel des bekannten Philologen, Hofrat Harleß in Erlangen. Letzterer stammte aus Kulmbach; er hatte 1759 in Halle unter Francke und Frehlinghausen studirt und zugleich an des ersteren Waisenhaus Unterricht erteilt. Dessen Frau war eine Schwester des bekannten Joh. Tobias Kießling. Mit besonderer Liebe hing Harleß an seiner Mutter, die erst 1868 im 85. Lebensjare starb. Im elterlichen Hause waltete altnürnbergische Zucht und Frömmigkeit, letztere allerdings noch mit dem Anstrich des damals herrschenden Rationalismus. Witschel’s „Morgen- und Abendopfer“ wurden im häuslichen Gottesdienst gebraucht; der junge Harleß fand hieran sowie überhaupt an dem prosaischen, schwunglosen oder auch sentimentalen Wesen, in welchem die religiöse Richtung der Zeit ihm entgegentrat, wenig Gefallen. Mit Widerwillen| erfüllte es ihn, als er am Grabe seines Großvaters aus dem Munde des Geistlichen hören musste: „Engel tragen ihm den Kranz entgegen“. Ein tief poetischer und romantischer Zug, der die Seele des Knaben durchdrang, fand dagegen in den damals noch ungebrochenen Zeugen der großen Vergangenheit seiner Vaterstadt, der Altertümlichkeit und Schönheit ihrer Baudenkmale stets neue Narung. Dagegen bot die Schule unendlich wenig; zwar stand für die ersten Jare kein geringerer als Hegel an der Spitze des Gymnasiums; allein dieser wurde schon im Jare 1816 nach Heidelberg berufen; sein Nachfolger war ein ganz unfähiger Mann. Erst in den letzten Jaren wurde es besser, als Karl Ludwig Roth im Jare 1821 durch Niethammer zum Leiter der Studienanstalt berufen worden war und sie dann mit großer Energie, mit drakonischer Strenge reformirte. Roth hat Harleß erst tiefer in den Geist der Antike eingefürt und wirkte auf ihn durch den hohen Ernst einer durchgebildeten sittlichen Persönlichkeit. Harleß hat später Roth seine „theologische Encyklopädie“ gewidmet. Hier findet sich die charakteristische Äußerung: „Das beste von Ihrem Unterricht ist mir dennoch geblieben; das ist die Erkenntnis, dass die Gesinnung allein das wissenschaftliche Streben vor Gott und Menschen adelt“.
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 Das Gegengewicht gegen einen ertötenden Einfluss der Schule in ihrer früheren Gestalt hatte stets der Geist des elterlichen Hauses gebildet. Edle Geselligkeit, Musik und Poesie walteten in ihm. Harleß selbst hatte eine tief musikalische Anlage; halbe Nächte hindurch phantasirte er am Instrument und wollte längere Zeit durchaus ganz der Musik sich widmen. Mit großem Fleiße, in Gemeinschaft mit gleich Strebenden gab er sich der antiken und deutschen klassischen Litteratur hin. Besonders hoch hielt er Jean Paul. Das Christentum war ihm aber ein verschlossenes Heiligtum, obwol der Eindruck des Einzigartigen und Ehrwürdigen der heiligen Schrift in seiner Seele haftete. Niemand hätte ihm auch das Heiligtum aufschließen können; der Religionsunterricht auf dem Gymnasium war mehr als dürftig, die dem Hause näher stehenden Geistlichen huldigten durchaus der herrschenden Richtung und konnten dem ideal romantischen Streben des jungen| Harleß keine Befriedigung gewären. Es ist erklärlich, dass theologische Neigungen damals nicht in ihm aufkamen. Ja es bemächtigte sich seiner geradezu eine Abneigung gegen alles, was Theologie heißt. Erscheinungen wie die Schrift von Voß: „Wie Fritz Stolberg ein unfreier wurde“, das wegwerfende Urteil Hegel’s über Herder, dessen Name auch nach der religiösen Seite in der Familie eine gewisse Autorität war, und den jener einen konfusen und unspekulativen Kopf genannt hatte, und anderes bestärkten diese Abneigung. Kurz – Harleß war nach der negativen Seite entschlossen und sagte: „Nein, niemals studire ich Theologie“.

 Mit diesem Vorsatz bezog Harleß im Jare 1823, noch nicht ganz 17 Jare alt, die Universität Erlangen. Roth’s Anregung, das Vorbild seines Großvaters und Taufpaten zog ihn zur Philologie. Schon jetzt sollte sich aber an Harleß das Wort seiner Selbstbiographie erfüllen: „Ich habe erlangt, worum ich mich nicht bewarb, und bin geworden, was ich nicht werden wollte“. Die Philologie ward ihm bald verleidet, obwol der geistvolle Döderlein sein Lehrer war. Nun wandte sich Harleß zur Jurisprudenz und hörte bei Puchta ein Colleg über die Institutionen. Aber trotz des ausgezeichneten Lehrers konnte Harleß dem Studium der Jurisprudenz keinen Geschmack abgewinnen. So beschloss Harleß nach einigem Zögern und Schwanken dennoch, es mit dem Studium der Theologie zu versuchen und bestand glücklich die für den Übergang zu diesem Studium erforderliche Prüfung. Entscheidend wirkte aber keiner der damaligen Erlanger Theologen auf Harleß ein; am meisten verdankte er Winer, dessen strenge philologische Methodik maßgebend für seine späteren exegetischen Leistungen wurde. Engelhardt’s weitschichtige kirchenhistorische Gelehrsamkeit machte ihn verlangend nach Quellenstudium und Erfassen geschichtlicher Gegenstände an ihrer Wurzel. Dem liebenswürdigen Kantianer Vogel, Lehrer der Moral, trat Harleß näher; von Krafft ging auch auf Harleß eine religiös-sittliche Einwirkung aus, wenn sie auch durchaus nicht so bedeutend war wie bei vielen anderen, aber wissenschaftlich theologische Befriedigung fand er bei ihm nicht.

|  Harleß ging überhaupt in seiner ganzen geistigen Entwickelung einen sehr selbständigen Weg, einer herrschenden Größe schloss er sich nicht an. Zunächst nahmen ihn philosophische Studien ganz hin. Längst schon hatte ihn die antike Philosophie mächtig angezogen; er beklagte es, dass auf der Universität die rechte Anleitung zu Kenntnis und Verständnis derselben fehlte, da „nur aus den Philosophen des Altertums zu lernen ist, was menschliche Spekulation aus sich heraus vermag“. Von der alten Philosophie wandte sich Harleß zu Schelling, der in den Jaren 1821–1827 in Erlangen gewirkt und hier unmittelbare Spuren seiner Wirksamkeit zurückgelassen hatte. Insbesondere ließen die philosophischen Untersuchungen über das Wesen der Freiheit eine nachhaltige Anregung in ihm zurück. Aber sein Trachten nach Anschauung und Erfarung fand gleichwol durch Schelling nicht die volle Befriedigung. Vorübergehend fesselten ihn Schleiermachers Monologen und seine Reden über die Religion, aber tiefere Förderung gewärten sie ihm nicht. Die Gründe der objektiven Macht der christlichen Religion im Völkerleben und in der Weltgeschichte wollte Harleß verstehen. Hiezu sollte ihm nach seiner Meinung das Studium der Hegel’schen Philosophie verhelfen, für welche in jener Zeit in Erlangen ebenso große Begeisterung als blindes Parteigängertum herrschte. Die gepriesene Versönung des Wissens mit dem Glauben, der Weltweisheit mit dem Christentum wollte er aber je länger je weniger in dieser Philosophie finden. Vielmehr kam Harleß zu der Überzeugung, daß der Reiz, welcher in der wirklichen oder scheinbaren Verquickung christlicher Gedanken mit sogenannt apriorischem Denken liegt und ihn selbst lange Zeit fesselte, weder dem Christentum noch dem spekulativen Denken zu gute komme. Um so mehr drängte es ihn, die Wurzeln Schelling’scher wie Hegel’scher Spekulation in Spinoza zu ergründen.
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 Der Entschluss, sich einem gründlichen Studium des Spinoza zu unterziehen, und freilich noch vieles andere legten Harleß den Gedanken an einen Wechsel der Universität nahe. Das Ergebnis einer mehr als dreijärigen Studienzeit in Erlangen hatte doch ein Gefül tiefer Unzufriedenheit zurückgelassen. Harleß hatte sich in| Erlangen der Burschenschaft angeschlossen, welche neben der Pflege der Wissenschaftlichkeit und Sittlichkeit auch die der Vaterlandsliebe als Zweck ausgesprochen hatte; er stieg allmählich durch die Wal der Genossen zu den verschiedenen Ehrenposten der Gesellschaft auf, und hatte endlich die Würde und Bürde ihres obersten Leiters zu tragen. Viel Zeit und Kraft wurde ihm hiedurch geraubt. In vollster, aber auch edelster Weise hat Harleß die Herrlichkeiten akademischen Lebens gekostet. Charakteristisch äußerte er sich später hierüber: „Wer in der Jugend zu nichts als zum sich Schmiegen und Ducken, zum Nachformen und Nachmachen gereizt, angeleitet oder gar dressirt wird, der wird nie als ein innerlich freier Mann die Kämpfe des Lebens bestehen. Ich habe den Traum studentischer Wichtigkeit und Herrlichkeit nicht one Lächeln im Schlafe mitgeträumt und habe beim Erwachen nicht gefunden, dass er mir sonderlich geschadet habe. Doch haben wir uns auch mit Bedacht dazwischen die Augen gerieben“. Eine gewisse Gesundheit innerer Anschauung und Lebensrichtung tritt uns in diesen Worten entgegen, die den tiefsten sittlichen Ernst aber nicht ausschloss, mit dem Harleß auf sein bisheriges Leben, Tun und Treiben zurückblickte. Das Bild unzähliger vergeudeter Stunden stand anklagend vor seinen Augen und trieb ihn, in anderer Umgebung womöglich Ruhe und Besserung des innerlichen Schadens zu suchen. Sein damaliges Gefül hat Harleß selbst durch einen in sein Notizbuch eingetragenen Ausspruch Melanchthons gekennzeichnet: dolet saucius aspiciens vulnus et scit vulnus non esse nihil negative, sed esse partes laceratas. Mit dieser Wunde im Herzen, mit dem nagenden Bewusstsein, den richtigen Leitstern für sein Leben noch nicht gefunden zu haben, zog Harleß Ostern 1826 nach Halle. Er hatte gerade Halle als Stätte einer tieferen Fortbildung gewält zunächst um Tholuck’s willen, der ihn durch seinen Kommentar zum Römerbrief angezogen hatte; er glaubte sich ihm zur Leitung seiner theologischen Studien anvertrauen zu können. Er fand hier, was er suchte, wenngleich auf andern Wegen, als er gedacht. Nicht Tholuck’s Wissenschaft, sondern der persönliche Verkehr mit ihm wurde für Harleß von entscheidender Bedeutung. Tholuck suchte nach der| ihm eigenen Virtuosität, auf fremde Individualitäten einzugehen und ihnen Empfänglichkeit für die Warheit zu entlocken, Harleß in unermüdlicher, aufopfernder Liebe, man dürfte vielleicht sagen, in edler Zudringlichkeit nahe zu kommen, und erschloss ihm das Herz.
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 Für Harleß begann in Halle ein in jeder Beziehung neues Leben. Mit außerordentlichem Fleiß betrieb er seine Studien; er ging um 9 Uhr zu Bette und stand schon um 12 Uhr wider auf. Im Vergleich mit dem Ertrag dieser Studien war der Einfluss der Kollegien ein geringer, Tholucks Vorlesungen nicht ausgenommen. Vor allem nahmen ihn die „Spinozistischen Nachfahrten“ in Anspruch; Spinoza’s sämtliche Werke lagen vor ihm; er vertiefte sich mit Wolgefallen in die ernsten, intelligenten Züge seines vorgebundenen Bildes. Gewaltig imponirte ihm die eherne Folgerichtigkeit spinozistischer Spekulation. Je tiefer er aber in sie eindrang, desto größer wurde der sittliche Schauer, der ihn ergriff und ihn bestimmte, ein für allemal mit Prinzipien zu brechen, deren Verbrämung und Verschleierung bei anderen ihm noch viel widerlicher erschien, als die offene Nacktheit bei Spinoza. Von Spinoza rückgehend zerfiel Harleß nun völlig mit Hegel, so auch mit Schelling, namentlich in seiner Lehre von dem Bösen. Dagegen reifte in ihm ein anderer Entschluss, nämlich der von einem Zentralpunkt, und zwar eben von dem Begriffe der menschlichen Freiheit und des Bösen aus, die ganze Litteratur sowol der Philosophen der antiken Welt als der früheren Lehrer der Kirche, der Theologen der Reformationszeit wie der späteren Theologen und Philosophen durchzugehen und das Ergebnis schriftlich zusammenzustellen. Harleß hatte von dieser Arbeit, wenn sie auch unveröffentlicht liegen blieb, für sein ganzes Leben großen inneren Gewinn. Er war durch sie weit über die nächste Aufgabe hinausgefürt worden, indem er sich genötigt sah, mit den Kirchenvätern, den Lehrern des Mittelalters, den Scholastikern und Mystikern, besonders auch Scotus Erigena, sich gründlichst zu beschäftigen. Es kam ihm auf genaue Kenntnis der geschichtlichen Wurzeln der kirchlichen Entwicklung an. Mit diesen Studien verband Harleß die fortgesetzte Erforschung der Schrift alten und| neuen Testaments; für das neue Testament benützte er die griechischen Interpreten und machte Auszüge aus ihnen. Einleitungswissenschaftliche, archäologische, kabbalistische und philologische Studien gingen nebenher. Später gab er sich mit besonderer Vorliebe den pensées Pascal’s, der ihm auch „le createur du style francais“ war, hin und übersetzte sie in’s Deutsche.
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 Noch vor letzterer Beschäftigung war in Harleß’ Innern eine Umwandlung vorgegangen, welche er nicht nach ihren Anfängen, aber nach dem entscheidenden Wendepunkt uns beschrieben hat. Die Worte der Schrift: Joh. 5, 44; 7, 16. 17 hatten ihn wie ein Blitz getroffen, sie waren wie eine zerschmetternde Gewalt über ihn gekommen. Sie deckten ihm wie mit einemmale den Abgrund seines Herzens und die Verkehrtheit seiner Wege auf: „Nach Menschenlob und Menschenehre hatte ich mehr gegeizt, als nach der Ehre, die von Gott allein ist. Wie sollte es da zu warhaftigem Glauben an das Kreuz Christi kommen, welches den Griechen eine Torheit, den Juden aber ein Ärgernis ist? Auf den Wegen der Spekulation hatte ich gesucht, die Warheit zu erkennen, statt einfach den Willen dessen zu tun, der den eingebornen Son als den Weg, die Warheit und das Leben gesandt hat“, so sagt Harleß selbst. In der theologischen Privatgesellschaft bei Tholuck hatte er dies Bekenntnis abgelegt; auf dem Heimweg fülte er es wie ein vor Gott und Menschen abgelegtes Gelübde, nunmehr andere und neue Wege zu wandeln. Die Anziehungskraft der früheren geistigen Irrwege war und blieb von nun an gebrochen. Das Forschen in der Schrift ward mehr vom Gebet um das Leben, das von Gott kommt, denn von dem Durst nach Wissen getragen. „Wer wissen will, um zu wissen, der ist ein Thor“ – dieses Wort Joh. Wessel’s war Harleß zum Walspruch geworden. Harleß selbst hat diese entscheidende Umkehr der menschlichen Vermittlung Tholuck’s zugeschrieben. Tholuck hat sein Herz in die Schule genommen und ein Schüler dankbaren Herzens ist er ihm für alle Zeit geblieben: „So vielfach auch später unsere Wege auseinandergehen mochten, so danke ich doch ihm, menschlich geredet, die Freiheit, meinen Weg eben nicht bloß nach dem Weg anderer Menschen einzurichten“. In einem curriculum vitae vom| Jare 1829 sagt er von seinem Aufenthalt in Halle: „Ibi Tholuck vir optimus, doctissimus adolescentis saluti prospicere, quantum ipsi licuit, non recusavit. Profecto, quod equidem ipsi debeam, gratissima semper tenebo memoria“. Er fügt dann bei: „Tamen ut toto animo Christi doctrinam imbibere cuperem, nihil adeo adjuvit, nisi quod ipse, quantopere gratia divina indigerem, pedetentim et gradatim eram edoctus“.

 Harleß sagt in seiner Selbstbiographie: „Wenn ich ein Buch mit dem Titel: wie ich Lutheraner wurde, schreiben wollte, so würden die Wege, die ich da zu schildern hätte, in den Augen Vieler gar nicht jenen gleichen, auf welchen man nach herkömmlicher Meinung dazu gelangt, Lutheraner zu werden. Und doch war es, wie mir dünkt, nur der alte und richtige Weg. Es war die Angst des Gewissens und der Hunger und Durst nach der aus einem göttlichen, nicht menschlichen Wort und Werk zu schöpfenden Gewissheit der Versönung und Erlösung“.

 Jetzt erst wandte sich Harleß im Zuge der oben genannten Studien, noch ehe er nähere Bekanntschaft mit Luther eingegangen hatte, dessen Werke später „zu einer Quelle unversieglicher Stärkung und Erquickung“ für ihn geworden sind, den Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche zu. „Ich kann die Überraschung und Rürung nicht beschreiben, mit welcher ich fand, dass deren Inhalt dem konform sei, wessen ich aus der Erfarung des Glaubens gewiss geworden war“, so sagt Harleß selbst.

 Die angefürten Worte sind das urkundliche Siegel für die Entwicklung Harleß’ zum Lutheraner und lutherischen Theologen; sie sind bedeutsam für das Verständnis lutherisch-kirchlicher Entwicklung überhaupt. Genug Unrichtiges ist ja über die Genesis kirchlicher Richtung und Theologie auch in vielgelesenen Werken geschrieben worden. Harleß selbst musste schon im Vorwort zur „Encyklopädie“ gegen solche streiten, welche die widererwachte kirchliche Gesinnung aus dem Patronate zu erklären suchten, welches ihr einige Regierungen angedeihen ließen. „Mir ist allerdings one alle Annahme eines Patronats sehr erklärlich, wie die Lehre der protestantischen Kirche von der Gegenwart mit Freuden gegen eine radikal verschiedene eingetauscht wird; warum will| die Gegenpartei nicht auch anerkennen, dass es ein sehr rücksichtloses und freudiges Bekenntnis der Kirchenlehre geben könne?“ entgegnete Harleß sehr treffend auf dergleichen Erklärungsversuche.
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 Immerhin darf man sagen, Harleß ist auf einem sehr einfachen und doch höchst eigentümlichen, auf einem Wege, den irgendwie jeder betreten muss, der mit Recht den Namen eines Lutheraners trägt, und doch wider auf fast einzigartige Weise zu dem geworden, worin als letztem Grunde seine Bedeutung für Kirche und Theologie wurzelt. Das Christ- und Lutheraner-Werden fiel bei ihm zusammen. Er war als Christ bereits Lutheraner, one es zu wissen und wollte dann in seinem Luthertum nichts anderes als echtes, volles, evangelisches Christentum. Es waren nicht äußere Impulse, auch nicht die besonderen kirchlichen Gegensätze der Zeit, nicht der Gegensatz gegen Union und Vermittlungstheologie, nicht irgendwelche kirchenpolitische Motive, die auf Harleß’ Richtung nach ihrem Ursprung bestimmend einwirkten. Es war die unter den eingehendsten geschichtlich-kirchlichen Studien gereifte Erkenntnis, die aus Gottes Wort geschöpfte Erfarung, die in ihm feststanden, ehe er nur das Bekenntnis seiner Kirche kennen gelernt hatte, deren treue Spiegelbilder ihm aus den Bekenntnisschriften entgegentraten, als sie aufgeschlagen vor ihm lagen. Sie wirkten dann bestätigend, klärend und festigend auf ihn; sie zeigten ihm kirchliche Ban und Richtung. Harleß wurde als Einzelner denselben Weg gefürt, auf welchem im großen und ganzen das Bekenntnis unserer Kirche entstanden ist; aus tiefster Erfarung von Sünde und Gnade ist es geboren und die Blüte der vorausgegangenen kirchlichen Entwickelung will es sein. So auf rein innerem Wege, der freilich den tiefsten Kampf mit allen Gegnern des Christentums und der Kirche nicht aus-, sondern einschloss, wie er uns selbst sagt, am wenigsten bloß „mittels Verstandesoperation und äußerlicher Aneignung der Lehrformel“ wurde Harleß zum Luthertum gefürt. Gerade diese Fürung ziemte sich für den Erneuerer kirchlich-lutherischer Theologie. Was ihn an das lutherische Bekenntnis von nun an innerlichst band, war vor allem dessen Zentrum, die Lehre von der Rechtfertigung, welche der Mittelpunkt seines Christentums und damit seiner Theologie| geworden war und es blieb, deren lebendige Aneignung über alle Harleß’schen Erzeugnisse den Hauch warmer christlicher Frömmigkeit verbreitet. Für die Reinhaltung dieses Mittelpunktes, gegen jede Verhüllung desselben, gegen jeden Versuch einer damit gegebenen Vergesetzlichung und Veräußerlichung des Bekenntnisses hat Harleß sein ganzes Leben hindurch mannhaft gestritten. Mit der Kirche, welche nach Ursprung und Lebensäußerung in diesem Mittelpunkte wie keine andere ruht, fülte er sich nunmehr auch innerlich eins, und konnte sich ihr mit voller Gewissheit zu Diensten stellen, nachdem er bisher allein ihren Namen getragen, wie er in seiner Selbstbiographie sich äußert. In diesem kirchlichen Sinne fülte sich Harleß ebenso gebunden als frei; er machte ihn demütig, stark und mutig zugleich. Wie eigentümlich ist beides in dem Vorwort zur ersten und letzten Auflage seiner „Christlichen Ethik“ verbunden! Von den umfassensten Studien aus war Harleß zum Bekenntnis der Kirche gekommen. Die tiefe Geistesschulung, durch welche er gegangen, der Einblick, welcher ihm in das Gesetz kirchlicher Entwickelung zu teil geworden war, bewarte ihn für alle Zeit vor einer Verwechselung von Bekenntnis und Theologie. Harleß selbst hat die alte Warheit mit neuen Geistesmitteln verfochten; eine unvermittelte Rückkehr zur Theologie des 16. und 17. Jarhunderts lag nicht in seinem Sinne. Wer ein neues Ferment in die Kirche Christi wirft, hat immer eine eigentümliche Verantwortung. An das Neue knüpfen sich in der Regel bittere Schmerzen der Scheidung auch unter solchen, die in der Hauptsache eins sind. Harleß wollte aber nur die alte Warheit unter neuer Vertiefung in die Schrift, die Geschichte der Kirche, das Bekenntnis der deutschen Reformation. Er wollte die christliche Heilswarheit in ihrer ungeschminkten biblischen Realität, frei von aller Abschwächung und Zersetzung durch die Geistesmächte der Zeit, in ihrem lebendigen kirchlichen Widerhall. Man hat gesagt, ein kirchlicher, ein geschichtlicher, ein praktischer Geist habe zur lutherischen Richtung gefürt. In Harleß ist dies geschehen. Das Eigentümliche seiner Entwickelung ist nur, dass er nicht wie so manche auf dem Umweg durch die sog. Vermittelungstheologie zum Anschluss an jene gelangte. Er hatte aber um so weniger Grund, mit dieser| Theologie zu hadern, als er durch persönlichen Einfluss eines ihrer edelsten Vertreter auf den Weg gefürt worden war, auf welchem er fortan wandelte. Die Verdienste derselben hat Harleß anerkannt; in dem Vorwort zur „Theologischen Encyklopädie“ gedenkt er nur eines Theologen mit großem Danke, des ehrwürdigen K. I. Nitzsch. Harleß’ Streben und Wirken war vor allem thetisch, bauend: der beziehungsweise Gegensatz auch gegen die edlere theologische Strömung der Zeit, soferne er durch Harleß’ spezifische Richtung von selbst sich gab, war durch die innere Genesis dieser vor einseitig polemischer Geltendmachung geschützt. Jener innere Wendepunkt schuf im Zusammenhang mit der vorausgegangenen Entwickelung das geistliche und theologische Gepräge des ganzen Mannes. Wenige Theologen sind sich, nachdem sie ihren Beruf angetreten, so gleich geblieben, haben von Anfang die Prinzipien ihrer Richtung so klar erkannt und dann so beharrlich verfochten wie Harleß. Für gesundes evangelisches Christentum und ökumenisches Luthertum ist Harleß in seinem langen Leben unverbrüchlich eingetreten. Die evangelische Tiefe und kernhafte Gesundheit, die lutherischem Wesen eignen, haben ihn unter ernstestem, schmerzensreichstem Kampf und doch wider im Einklang mit seiner reich angelegten, dem echt und voll Menschlichen sympathischen Natur für dasselbe gewonnen. Es war mit den innersten Fasern seines eigenen Wesens zunehmend verwachsen. Das energischste Erfaßen der Gnadenoffenbarung der Erlösung und die freie Würdigung der Welt des Kreatürlichen begegnen sich nach lutherischem Grundtypus harmonisch auch in ihm. Merkwürdig ist zugleich, wie er schon in seinen frühesten Äußerungen fast prophetisch vor gewissen Abirrungen, die später hervortraten, ernst und nachdrücklich gewarnt hat.
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 Was Harleß als Lutheraner war und wollte, hat er selbst in der Charakterisirung eines ihm geistig und kirchlich tief walverwandten Mannes, des sel. Karl von Raumer, ungemein treffend zum Ausdruck gebracht. Die gemeinten Worte lauten: „Raumer war von ganzem Herzen und durch und durch Lutheraner. Dies aber in dem Sinne, in welchem es dem ursprünglichen Geiste des Luthertums gemäß war, die universell geschichtlichen| Lebensfäden seines Ursprungs und seiner Existenz, sein nicht römisch-katholisches, wol aber christlich-katholisches Element mit Liebe und Pietät zu pflegen. Er hätte sich keinen lutherischen Theologen denken können, dem es versagt gewesen wäre, unter den Vätern der älteren Kirche, unter den Theologen der Blütezeit des Mittelalters, ja selbst unter den verschiedenen späteren Gemeinschaften abweichenden Bekenntnisses Wal- und Geistesverwandte zu finden und sie zu lieben. Seine scharfe Art hatte nichts von Eklektizismus an sich; aber sein Warheitssinn und sein liebevolles Herz konnte ihn nicht blind gegen die kirchlich gemeinsame Wurzel verborgenen Lebens aus Gott machen, aus welcher jene über den ganzen Erdkreis verstreuten Zweiglein (sparsi per totum orbem) warhaftiger Christenheit, warhaftigen Gottesvolkes hervorwachsen. Nichts zwar stand ihm ferner als die gemachten Versuche künstlicher und nivellirender Unifikation. Aber das hätte er auch nicht über sich gewonnen, das Messer zu ziehen und den Leib der Christenheit mit dem Spruche zu vierteilen: Hie Tag und drüben Nacht. Er konnte trotz aller Entschiedenheit herzlichen Geistesaustausch mit Reformirten pflegen, wie es ihm wol ebenso wenig an Freunden unter aufrichtigen Gliedern der römisch katholischen Kirche gefehlt hat. Wo aber solche Beziehungen warhaften und bleibenden Wert haben, da bilden sie sich eben nie und nirgend auf dem Boden der Verschwommenheit oder richtiger auf der Bodenlosigkeit des Indifferentismus, sondern auf dem Felsengrunde jener wankellosen Entschiedenheit, welche zugleich des apostolischen Warseins in Liebe (ἀληθεύειν ἐν ἀγάπῃ) fähig ist. Das verstand Raumer, und daher der Eingang, der ihm zu so vieler und verschieden gearteter Herzen offen stand“. Harleß hat mit diesen Worten wie von selbst sein eigen Bild aufs schlagendste gezeichnet.
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 Harleß hatte je länger je mehr den Gedanken gefasst, das akademische Lehramt als künftigen Lebensberuf zu erstreben, worin eine ihm selbst nicht recht erklärliche und unüberwindlich scheinende Scheu vor dem Predigen ihn bestärkte. Im Jare 1828 begab er sich von Halle nach Erlangen zurück, um sich als Privatdocent der Theologie zu habilitiren. Er musste aber nach| einer alten Bestimmung zuvor Doktor der Philosophie werden und philosophische Kollegien gelesen haben. Ersteres ward er am 13. Juni 1828 durch eine Abhandlung de creatione ex nihilo. Bald nach seiner Rückkehr von Halle wurde er nach Döderlein’s Wunsch auch Assistent in der Oberklasse des Gymnasiums und Lehrer der Religion und hebräischen Sprache an letzterem. Seine philosophische Habilitationsschrift handelte de malo ejusque origine (1829) unter Beleuchtung der Systeme der bedeutendsten Scholastiker. Harleß las über die Geschichte der Lehre von der Freiheit des menschlichen Willens und allgemeine Religionsgeschichte. Um nun weiter Licentiat der Theologie zu werden, musste er nach dem Willen der theologischen Fakultät die beiden Kandidatenprüfungen bestehen; er unterzog sich ihnen nach besonderer Vergünstigung in einem Jare. Die erste war eine Separatprüfung, welche ihm das Oberkonsistorium auf sein Gesuch um so bereitwilliger gewärte, als es die unbedingte Notwendigkeit der Kandidatenprüfungen für Harleß überhaupt bestritt. Sie wurde in Bayreuth vom 23.–27. März 1829 unter den Konsistorialräten D. Kaiser und D. Starke abgehalten. Harleß bestand sie glänzend. In die jetzt noch übliche Rubrik: „Erinnerungen, welche dem Examinanden gegeben worden sind“, schrieb Kaiser: „Da sein nächstes Ziel die höhere Sphär des akademischen Dozenten ist, lassen wir seinen eigenen Genius walten“. Interessant ist Harleß’ über Hebr. 12, 1–3 gehaltene Predigt mit dem Thema: „Kein siegreicher Kampf wider die Sünde ohne Christus“. Die Ausfürung ruht auf einer tiefen Erkenntnis von Sünde und Gnade und bewegt sich in einer sichtlichen Polemik gegen die gewönliche rationalistische Anschauung: „Nicht dass uns immer gelüstete, grobe, auffällige Sünden zu begehen; aber vor den feineren Stricken des Verderbens, vor Gleißnerei, Selbstsucht, Hochmut bleibt kein Menschenherz bewart etc.; wer wird uns erlösen? so fragen wir mit dem Apostel, nicht unser guter Wille, nicht unsere Liebe zur Tugend, nicht unser Menschenadel oder wie all die Worte heißen mögen, welche der Hochmut und die Verblendung der Menschen erfunden, sondern der, zu welchem der Apostel aufblickt und ruft: ich danke Gott durch Jesum Christum unsern Herrn. – – Also ist es gar nichts| mit unserem Wollen, mit unserem Laufen? Gar nichts, wenn es one Christus geschieht, alles, wenn es aus dem Glauben an Christus hervorgeht. Christus sagt nicht, ihr wollt nicht tugendhaft sein, sondern er sagt: ihr wollet nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben haben möchtet. Der Glaube an Christus muss notwendig eher da sein als das Bestreben, die Sünde abzulegen, wenn es nicht ein Streben one Erfolg, oder ein Erheben nur zu neuer Verirrung sein soll – – nur die kindliche Zuversicht zu unserem Heiland und Seligmacher zieht eine ewige Frucht aus unserer Reue“. Im Juni 1829 bestand Harleß dann sein zweites Examen mit demselben Erfolge. Seine theologische Habilitationsschrift handelte de revelatione et fide (1830), eine sehr interessante und lehrreiche Schrift, in welcher die hierauf bezüglichen Lehren der mittelalterlichen Theologen ausfürlich behandelt werden, die rationalistische oder einseitig supernaturalistische Anschauung auf Grund neuer, sich banbrechender theologischer Erkenntnisse nach dem Maße christlicher Erfarung bekämpft wird. Die Schrift darf als ein Stück der inneren Lebensgeschichte Harleß’ gelten. Charakteristisch sind die beigefügten Thesen: I. Qui scit ut sciat, stultus est (J. Wessel). II. Praerogativa Dei totum hominem complectitur, nec minus ad rationem, quam ad voluntatem humanam extenditur: ut homo scilicet in universum se abneget et accedat Deo (Fr. Baco). III. Nemo ad docendum erit unquam idoneus, nisi qui Evangelii virtutem prius ipse imbiberit, ut non tam ore loquatur quam cordis affectu (Calvin). IV. Intelligi benificia Christi non possunt, si ignoretur, quid sit peccatum (Melanchthon). V. Ἀρχὴ μὲν πίστις, τέλος δὲ ἀγάπη (Ignatius). VI. Meri sunt errores et caligines, quibus docetur, hominem posse naturalibus viribus omnia mandata Dei servare et facere (Luther). Drei Jare nach seiner Habilitation wurde Harleß eine außerordentliche Professur mit dem Nominalfach der neutestamentlichen Exegese übertragen. Die Ernennung war bedeutsam und entscheidend nicht bloß für Harleß’ eigenen Lebensgang, sondern auch für die Geschichte der theologischen Fakultät in Erlangen, die Geschichte, darf man wol sagen, kirchlich lutherischer Theologie. Winer hatte 1832 Erlangen verlassen; es handelte sich um einen| Ersatz. Der Senat dachte an die Zurückberufung Winer’s, die Fakultät, in der zwar nicht der gewönliche Rationalismus, aber eine gewisse Unsicherheit und Unklarheit über die theologische Bewegung der Gegenwart waltete, sprach sich gegen eine „einseitige mystisch-dogmatische Richtung“ und gegen eine Begünstigung des Parteiwesens aus, das die große Zal der Zeitgenossen, welche sich nach Ausgleichung und Frieden sehnen, tief verletzen würde und richtete sein Augenmerk in erster Linie auf den Exegeten Rückert, der damals Subrektor und Prediger in Zittau war. Nichts ist interessanter, als wie Roth und Niethammer sich über diese und die weiteren Vorschläge – denn auch ein Lehrstul der praktischen Theologie sollte errichtet werden, für welchen in erster Linie Dekan Ammon in Erlangen vorgeschlagen wurde – namentlich auch über die sehr entschiedene Ablehnung eines damals vielgenannten, um die Erneuerung christlichen Lebens hochverdienten norddeutschen Theologen äußerten. Man verlangte von dem anzustellenden Lehrer Achtung der heiligen Schrift als des geoffenbarten Wortes Gottes und Treue gegen das kirchliche Bekenntnis; der Kirchenfriede würde durch entschiedene Anhänger und Bekenner der Kirchenlehre durchaus nicht gestört werden. Hiebei wurde das theologisch-wissenschaftliche Element in keiner Weise zurückgestellt. Harleß hatte damals eine „ausfürliche Erklärung der zwei schwierigsten Stellen in dem Briefe an die Epheser“ in einer Zeitschrift veröffentlicht. Von ihr sagt Niethammer: „Diese öffentlich erschienene und als bemerkenswert anerkannte Probe zeigt eine so ausgebreitete Sprachgelehrsamkeit, eine so gründliche Wortforschung, eine so feine Unterscheidungsgabe und ein so sicheres Eindringen in den Sinn der apostolischen Schrift, dass sie allein schon hinreicht, in dem Verfasser einen Exegeten zu erkennen, der bald unter den ausgezeichneten wird genannt werden“. Bei dem weiteren Blick auf die beiden von ihm bestandenen glänzenden Prüfungen wurde Harleß „mit doppelter Zuversicht“ empfohlen. Das Oberkonsistorium begründete sein Verfaren durch Hinweis auf § 13 des Edikts über die inneren kirchlichen Angelegenheiten der protestantischen Kirche, welcher lautet: „Dem Oberkonsistorium ist die Aufsicht über das protestantisch-theologische Studium auf der| Universität Erlangen in Ansehung der Lehren übertragen, auch wird bei Besetzung der theologischen Lehrstellen dasselbe mit seinem Gutachten vernommen“. Der Gesamtvorschlag des Oberkonsistoriums ging dahin, dass Winer’s Stelle zunächst durch einen schon in Erlangen wirkenden Theologen besetzt, zwei Inländer, Harleß und Höfling, aber zu außerordentlichen Professoren ernannt werden möchten. So wurde Harleß unter dem 13. Januar 1833 zum außerordentlichen Professor der Theologie an der Universität Erlangen „mit der Bestimmung für das Lehrfach der christlichen Exegese“ ernannt. Wie man über das Vorgehen des Oberkonsistoriums urteilen mag, Harleß war im Vergleich mit den von der Fakultät vorgeschlagenen die bedeutendste und charaktervollste Persönlichkeit; durch Harleß’ Berufung hat das Oberkonsistorium eine theologische Richtung in die Fakultät übergeleitet, welche deren spätern Charakter, ihre jetzt noch fortdauernde Blüte begründete und von Erlangen aus die weiteste und gesegnetste Verbreitung in Wissenschaft und Praxis erhielt. Die entschieden kirchliche Haltung, durch welche das Oberkonsistorium sich schon damals hervortat, konnte um so mehr Bedeutendes erreichen, als sie in Männern wie Roth und Niethammer, zu denen sich noch der ausgezeichnete Jurist Grupen, ein geborener Hannoveraner, gesellte, nicht bloß von der Kraft innerer Gesinnung und Überzeugung, sondern auch von der imponirendsten Geistesbildung getragen war. Niethammer, ein geborener Württemberger, im Stift zu Tübingen herangebildet, hatte in Jena einige Zeit mit Fichte zusammengewirkt, war der Freund Schiller’s und der Lehrer Göthe’s in der Philosophie gewesen; 1804 nach Bayern berufen hat er hier auf dem Gebiet der Schule und Kirche eine unermüdliche Tätigkeit entfaltet, als Oberkonsistorialrat von 1818–1845 hat er den Aufbau der bayerischen Landeskirche nach ihrer Innen- und Außenseite mit großer Energie verfolgt, so dass er mit Recht ihr Organisator genannt werden kann. Obwol jene Männer im ganzen von der Statsregierung unterstützt waren, hat für sie doch nicht wenig dazu gehört, konsequent eine Richtung zu verfolgen, die der herrschenden Zeitströmung vielfach sehr entgegen war, mit welcher der Vorwurf katholisirender Tendenzen,| jesuitischer Bestrebungen lange Zeit untrennbar verbunden zu sein schien.

 Am 4. Juni 1836 wurde Harleß zum ordentlichen Professor ernannt mit der Auflage, auch über christliche Moral, theologische Encyklopädie und Methodologie zu lesen. Harleß war wie wenige des Katheders mächtig; strömende Fülle und schneidende Dialektik boten in seinem Vortrag sich die Hand; er sprach rasch und fließend, von einem herrlichen, sonoren Organ unterstützt, mit ungemein viel Feuer und Leben. Dabei war er eine imponirende Erscheinung, ein Bild männlicher Schönheit. Krafft und Harleß waren diejenigen, welche Anfang der dreißiger Jare in Erlangen bestimmend auf die angehenden Theologen wirkten. Der letztere hatte die besuchtesten Kollegien; gerade im Anfang war er nicht bloß sehr präcis, sondern auch sehr klar und fasslich. Man hing mit großer Liebe, ja Bewunderung an ihm und schloss sich an seine kirchlichen Anschauungen an, die im Boden des lutherischen Bekenntnisses wurzelten, aber von einer ausgesprochenen Frontstellung gegen reformirtes und unirtes Kirchentum durchaus ferne waren.

 Diese Hingebung an Harleß schloss nicht aus, dass man Krafft’s Gottesdienste fleißig besuchte, welche überhaupt der Sammelpunkt aller derer waren, die es mit dem Christentum ernst nahmen, dessen Christenlehren in seinem Hause beiwonte und sein Pastorale hörte. Der Unterschied zwischen Harleß und Krafft trat in den Augen wol aller um so mehr zurück, als letzterer in der Abendmalslehre wesentlich der lutherischen Anschauung zugetan war. Auf Krafft’s Kanzel predigte damals auch Löhe. Harleß stand zu Krafft in einem befreundeten, pietätsvollen Verhältnis; er und sein Schwager Rudolf Wagner fehlten in seiner Kirche nie. Harleß hielt der im Jare 1833 verstorbenen Gattin Krafft’s die Leichenrede. Er versammelte in jener ersten Zeit auch in seinem Hause einen Kreis von Studirenden um sich; zuerst wurde über wissenschaftliche Gegenstände freie Unterhaltung gepflogen; zuletzt spielte Harleß auf dem Klavier und überließ sich wol auch one Noten ganz und gar seinem musikalischen Genius. Er sah es änlich wie Tholuck gern, dass man ihn auf seinen| Spaziergängen begleitete und hier mit ihm theologisirte. Unter denen, die Harleß damals und auch später besonders nahe standen, waren nicht wenige Pfälzer und Schweizer Glieder der unirten und der reformirten Kirche. Harleß war in seiner kirchlichen Richtung, so fest sie war, nicht exklusiv, nicht engherzig.

 Das einige Jare wärende Zusammenwirken von Harleß und Hofmann, welch letzterer 1836 sich habilitirt hatte, war für die Studirenden äußerst anregend. Manchen war Hofmann zu neuernd, manchen Harleß zu wenig vermittelnd; einzelne mieden anfangs Hofmann ganz und hielten sich nur zu Harleß, wärend kaum Anhänger Hofmann’s sich von jenem völlig zurückzogen. Als Harleß im Jare 1836 auch Universitätsprediger geworden war, traten einzelne in ein nahes seelsorgerliches Verhältnis zu ihm; mancher gesegnete Diener der Kirche dankt es Harleß heute noch, dass er ihm in innerer Not sein angefochtenes Herz ausschütten und bei ihm Rat und Trost im Beichtstul und am Tische des Herrn holen durfte. Wir leugnen nicht, dass es in der späteren Zeit unter den Studirenden auch solche gab, denen, wenn sie schon nachher in der ernsten Schule des Lebens und Amtes zu fester kirchlicher Überzeugung gefürt wurden, damals das konfessionelle Moment nach manchen Seiten, weniger wol in thesi als in praxi, zu stark betont erschien. Nie hat Harleß nämlich auf dem Katheder einer gereizten konfessionellen Polemik sich hingegeben; es gilt dies insbesondere auch für eines seiner bedeutendsten Kollegien, die Symbolik. Von seiner Vorlesung über Ethik waren viele schon in den dreißiger Jaren tief ergriffen; manche gingen aus ihr wie „aus einer Beichte“. Harleß genoss bis zuletzt in Erlangen ein seltenes Ansehen und das unbedingteste Vertrauen; er war von nicht geringem Einfluss auf den ganzen Universitätskörper. Als er im Jare 1841 einen Ruf nach Rostock erhielt und denselben nach längerem Schwanken ablehnte, ward ihm eine glänzende Ovation zu teil. Harleß sollte Erlangen überhaupt öfters verlassen. Rufe oder Anfragen wegen Übersiedelung an andere Universitäten kamen auch von Berlin, Dorpat und Zürich an ihn.

 In Erlangen schrieb Harleß seine drei Hauptwerke: den „Commentar über den Brief Pauli an die Ephesier“, 1834, die| „Theologische Encyklopädie und Methodologie vom Standpunkte der protestantischen Kirche“, 1837, die „Christliche Ethik“, 1842. Diese drei Werke sind unmittelbar unter den Einflüssen des Lehramts entstanden; die beiden letzteren sollten als Leitfäden für die Vorlesungen dienen; das erstere ist zugleich die Frucht besonderer Schrift- und Gebetsvertiefung, nach einem der härtesten Schläge seines Lebens, dem Verlust seiner ersten Gattin. Das erste und letzte wirkte epochemachend.

 Der genannte Kommentar ist eine exegetische Leistung ersten Ranges, sofern er die strenge grammatisch-historische Exegese, wie sie namentlich Winer eingefürt hatte, mit dem Streben, die Schriftgedanken auf Grund einer innern Sympathie mit dem Geiste der Schrift lebendig zu reproduziren, wie es in den Kommentaren von Olshausen, Tholuck, Lücke hervortrat, in glücklichster Weise zu vereinen wusste. Man darf wol sagen, eine solche Verbindung philologischer Akribie mit wärmster Hingebung an das Schriftwort war noch nicht dagewesen. In der von hoher Begeisterung für das Schriftwort getragenen Vorrede zu jenem Kommentar sind die richtigen Grundsätze der Exegese aufs treffendste dargelegt; sie fanden mehr und mehr Eingang. Das Urtheil über dieses Werk war fast ausnahmlos ein ungemein günstiges. Der bekannte Exeget Meyer äußerte sich im Vorwort zu seinem im Jare 1835 erschienenen „Kritisch-exegetischen Handbuch zur Apostelgeschichte“: „als die musterhaftesten Werke der neueren Zeit erkenne ich Lückes zweite Ausgabe zum Evangelium Johannis und den Kommentar von Harleß über den Brief an die Ephesier“. Der kirchliche Theologe hat sich durch diese exegetische Arbeit in erster Linie als Schrifttheologe legitimirt. Im Jare 1842 war die Auflage des Kommentars vergriffen; im Jare 1858 veranstaltete Harleß, an der Umarbeitung durch seine amtliche Wirksamkeit verhindert, einen neuen Abdruck.

 Die längstvergriffene „Theologische Encyklopädie“ ist uns weniger um ihres methodologischen Ganges willen von Bedeutung, als weil in derselben Harleß’ innerste kirchliche Anschauung klar und energisch zutage tritt. Die strenge Beziehung der Theologie auf die Kirche; die Einheit von Theorie und Praxis, welche im| lebendigen Glauben den gemeinschaftlichen Pulsschlag haben; die Auffassung der Kirche als geschichtlich-idealer Macht, deren Anfang und Gründung von der Gegenwart nicht durch eine „öde Fläche“ getrennt ist, sondern die sich trotz aller Verirrungen in lebendiger Kontinuität bewegt; die Betonung des im kirchlichen Bekenntnis niedergelegten Gemeinglaubens als der Basis der protestantischen Theologie; die gänzliche Umgestaltung der letzteren vom Prinzip der Rechtfertigung aus; die Nothwendigkeit der Reinerhaltung der Prinzipien der Reformation; die Verhüllung dieser durch den späteren protestantischen Scholastizismus, welcher „die in den Bekenntnisschriften der Kirche aufgestellten Dogmen nicht als Basis, sondern vollendeten Abschluss aller dogmatischen Erkenntnis von nicht bloß relativ-kirchlicher, sondern absolut giltiger Autorität“ betrachtete; die gesunde Reaktion des Pietismus hiergegen, der in Spener „auf den schrecklichen Abfall vom principio der Schrift“ hinwies, „wenn manche von dieser nur gelten lassen wollen, was gerade iisdem verbis in den libris symbolicis und gemeiner Lehr befindlich ist, ja nicht diese aus der Schrift, sondern die Schrift aus denselben und nach ihrer Norm zu erklären suchen“, was Harleß wie in weissagender Warnung im besonderem Nachdruck hervorhebt – diese Gedanken begegnen uns in der Encyklopädie; sie beweisen, daß Harleß in seinem Lebensabriss richtig sagte, sein Kampf habe weniger der Sicherung der Lehrfrüchte und Lehrformeln, als der der gesunden Wurzeln der lutherischen Kirche gegolten. Es ist der Geist einer gesunden, in der Schrift wurzelnden, von der Geschichte getragenen, nichts weniger als engen und eingeschränkten Kirchlichkeit, welche aus der Encyklopädie uns entgegentritt. Manche Ausfürungen, wie die friedliche Zusammenstellung lutherischer und reformirter Theologen, wo es sich um die Darstellung des heilsamen Einflusses der Reformation auf die Prinzipien der Exegese handelt, haben, wie uns Harleß selbst berichtet, bei manchen Lutheranern schon damals Anstoß erregt.
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 Harleß „Christliche Ethik“ endlich, one Zweifel sein bedeutendstes Werk, war die erste theologische Ethik des Jarhunderts, welche ebenso den wissenschaftlichen wie den christlichen Anforderungen entspricht. Schleiermachers „Christliche Sitte“ erschien erst| im folgenden Jahre; die Arbeiten von de Wette und anderen genügen kaum den ersteren, geschweige den letzteren, wärend bei den ethischen Schriften von Schwarz und Sartorius der tief christliche Impuls anzuerkennen ist, aber zu wenig systematische Durchführung sich findet. Die Vorzüge des Harleß’schen Werkes liegen klar zu tage: in einer in Warheit wissenschaftlichen Architektonik, wenn auch zuweilen, namentlich im zweiten Teil, eine zu formal logische Behandlung eintritt; in Geltendmachung und konsequenter Durchfürung des christlich-ethischen Prinzips; in ansprechendster Verwebung des biblischen und, im weiteren Sinne des Wortes, des geschichtlichen Moments. Keine neuere Ethik hat eine so gründliche und schöne Schriftbenutzung wie die Harleß’sche. Dem gesunden Typus christlicher Lebensanschauung werden ferner die Abirrungen zur Rechten und zur Linken in kurzen treffenden Zügen gegenübergestellt. Insbesondere sind die Vergleiche der christlich-ethischen Grundbegriffe mit den analogen der antiken Ethik, namentlich innerhalb der späteren griechischen Philosophie, mit welcher Harleß ungemein vertraut war, lehrreich. Die Prinzipien der lutherischen Kirche sind in dieser Ethik innerlichst verarbeitet und treten in der reinlichen Scheidung und doch wider einheitlichen Erfassung der Gebiete der Schöpfung und Erlösung, insbesondere in der vortrefflichen Behandlung der natürlichen Lebensgemeinschaften hervor. Die wertvollen Anfürungen aus Luthers Schriften, die in den späteren Auflagen immer reicher wurden, sind nicht bloß äußere Zugabe, sondern bilden eine harmonische Ergänzung der eigenen Darstellung. Die Ethik wurde ins Englische übersetzt. Ein Versuch, sie auch ins Französische zu übertragen, scheiterte an ihrer zu abstrakten Sprache. Man kann über eigene Arbeit nicht demütiger und zurückhaltender urteilen, als Harleß im Vorwort gethan hat. Charakteristisch ist auch die Äußerung: „Es drückt mich die Überzeugung, daß die systematische Theologie unter uns Deutschen, auch die der besten Richtung, an einer gewissen Vornehmheit und abstrakten Formulirung des Gedankens leide, welche mit der göttlichen Tiefe und der Fischereinfalt ihres apostolischen Ursprungs in einem nicht unbedenklichen Kontraste steht.“ Was Harleß’ Stil betrifft, so schrieb er immer| geistreich, nervos, scharf dialektisch, oft gehoben, pointen- und bilderreich, aber nicht gerade lichtvoll und gefällig.

 Noch im Jahre des Erscheinens ist für die Ethik ein zweiter Abdruck nötig geworden. Nichts bürgt mehr für ihren Wert, als dass das nicht leicht geschriebene Werk in unserer viellesenden und schnell vergessenden Zeit innerhalb 32 Jahren sieben Auflagen erlebt hat, obwol es von 252 allmählich auf 588 Seiten anwuchs. Nur wenigen streng wissenschaftlichen Erzeugnissen ist dies zu teil geworden. Das Werk gehört übrigens auch zu denen, welche von Anfang nicht bloß von Theologen, sondern auch von gebildeten Gemeindegliedern fleißig gelesen wurden. Harleß hat für die Bearbeitung einer lange vernachlässigten Disziplin den kräftigsten Anstoß gegeben; es gehört zu den erfreulichsten Thatsachen unserer theologischen Entwickelung, dass er viele Nachfolger, ganz besonders auf lutherischer Seite gefunden hat. Abgesehen von dem eigenartigen, sehr umfassenden und bedeutenden, aber über das ethische Gebiet vielfach hinausgreifenden Werke von Rothe wird man die ethischen Arbeiten von Harleß, Martensen und Frank für die ansprechendsten und fördernsten halten dürfen.

 Die im Jare 1836 gegen Strauß’ „Leben Jesu“ erschienene Schrift von Harleß: „Die kritische Bearbeitung des Lebens Jesu von D. F. Strauß nach ihrem wissenschaftlichen Werte beleuchtet“, interessirt uns hauptsächlich um der innigen Glaubensplerophorie willen und wegen der theologisch prinzipiellen Beurtheilung des von jenem Werke vertretenen Standpunktes. Harleß freut sich wol auf der einen Seite über das Buch, sofern man jetzt offen sehe, was lange im Hintergründe lauerte. Er trauert aber auch darüber, daß die Zahl derer eher im Wachsen als im Abnehmen ist, die ihre Seele daran setzen, dem armen deutschen Volke das teuere Kleinod des väterlichen Glaubens zu entwenden. „Wir bekennen uns“, ruft er aus, „zur evangelischen Kirche Luther’schen Bekenntnisses, als der, welche im wahren Glauben an die göttliche Offenbarung der Schrift, an den ins Fleisch gekommenen gekreuzigten und erhöhten Mittler Jesus Christus glaubt.“

 Die von Harleß vertretene Richtung schuf sich im Jare 1838 ein Organ in der von ihm selbst redigirten „Zeitschrift für Protestantismus| und Kirche“. Sie trat in Bayern gerade zur rechten Zeit auf, als eben das „Homiletisch-liturgische Korrespondenzblatt“ von Chr. Ph. H. Brandt, das neben Kraffts Wirksamkeit und der Thätigkeit Roths einen sehr wesentlichen Faktor für die allmähliche Regeneration der bayerischen Landeskirche bildete, seinen Mahn- und Weckruf eingestellt hatte. Die neue Zeitschrift, für welche außer Theologen Lehrer aller Fakultäten und andere kirchlich gesinnte Männer sich vereinigt hatten, stellte sich Aufgabe und Ziel der Natur der Sache nach weit höher als jenes Blatt. Sie hatte von vornherein eine ernste theologisch-wissenschaftliche Haltung, bei allem Absehen auf das unmittelbar kirchliche Interesse; die kirchlichen Fragen sollten prinzipiell theologisch behandelt werden; es galt wissenschaftliche Vertretung des kirchlichen Bekenntnisses; gerade dadurch erhielt dieses Organ ein maßvolles, nüchternes, universelles Gepräge. Das Programm desselben wurde von Harleß selbst mit klaren Zügen entworfen; positive Bezeugung soll sein Charakter sein, aber auch Gegensatz gegen eine Kirche, die nichts vom Protestantismus, und einen Protestantismus, der nichts von Kirche wissen will. Bestimmt sind die Gegensätze gefasst, mit welchen es die Zeitschrift innerhalb der eigenen Kirche zu tun hat: der Rationalismus, die mystisch-pietistische Richtung und die gelehrte theologische Schule. Der Protestantismus fordert freie Forschung; die Kirche hat aber im Bekenntnis zwar nicht ihre Blüte und Krone, wol aber die gesunde Wurzel ihres ganzen Daseins. Nicht von einem Pochen auf das Bestehende kommt das Heil, im letzten Grunde allein vom HErrn der Kirche: „Keine Theorie, keine Weisheit, keine Macht der Erde kann uns vom Fall erretten, so wir nicht in gemeinsamem Glauben zu diesem HErrn Herzen und Hände wider erheben“. Mit Nachdruck wird die Lebensmacht des Protestantismus auch auf dem Gebiete der Bildung, der Kunst etc. hervorgehoben. Charakteristisch für die Stellung zu der geschichtlich gegebenen Kirche sind die Worte: „Uns zieht der heimatliche Boden der Gegenwart an, das Land, das wir bereits besitzen, das uns genug Schweiß und Thränen bereitet durch den Sand der Wüste, den die Verwilderung achtlos hat hereinwehen lassen, und das uns genug| Trost und Erquickung gibt durch die lebendigen Brünnlein, die noch unverschüttet in der Stadt des Höchsten quellen“. Einen noch mehr grundlegenden, einen klassischen Ausdruck hat Harleß seinem innersten Streben in der Abhandlung vom März 1839: „Die Verbildung zu falscher Orthodoxie und die Erziehung zum kirchlichen Glauben“ gegeben; in seinem Lebensabriss hat er sich ausdrücklich noch zu ihr bekannt. Nach einer Entwickelung und Erfarung von bald fünfzig Jaren mutet es eigentümlich an, dort in markigen Worten mit vollster Klarheit die Bedeutung der Sache, um welche es sich handelt, gewürdiget, aber auch mit prophetischem Blicke die Abirrungen und Auswüchse bezeichnet zu sehen, die möglicherweise an dieselbe sich knüpfen, und die ja wirklich nicht ausgeblieben sind. Hier sind die Grundlinien dessen, was wir echtes, ökumenisches Luthertum nennen, obwol letzterer Name selbst hier so wenig wie im Vorwort vorkommt, in unvergleichlicher Weise gezogen; männliche Festigkeit und Reife sind mit dem Geist anknüpfender, seelsorgerlicher Milde und Weisheit gepart. Nicht leicht wird der Zug zum Positiven, kirchlich Festen und Ausgeprägten so mit dem Vollevangelischen, der Freiheit von aller auch der feinsten Gesetzlichkeit verbunden sein, wie in jener Abhandlung. Harleß hat in ihr auch eine besondere Kraft der Sprache entfaltet.
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 Die „Zeitschrift für Protestantismus und Kirche“ hat in den langen Jahren ihres Bestandes der lutherischen Kirche, der evangelischen Kirche überhaupt und insonderheit der bayerischen Landeskirche unschätzbare Dienste geleistet. Kaum eine andere Zeitschrift hat ihre anfänglichen Grundsätze so sicher und so konsequent festgehalten wie sie, wenn auch später unter den Herausgebern Verschiedenheiten in mehr peripherischen Fragen hervortraten. Es kam ihr alles darauf an, die protestantischen, die spezifisch lutherischen Prinzipien auf allen Gebieten rein zu erhalten von irgend welcher Abschwächung oder Alteration; sie vertrat ein Luthertum one alle romantische, lehrgesetzliche oder hierarchische und hochkirchliche Zutaten. Zugleich sprach sie auf allen Gebieten, dem der theologischen Lehrentwicklung, der kirchlichen Unterweisung und Erziehung, des Kultus und der Verfassung, einem gesunden Fortschritt| das Wort. Die Landeskirche hatte in ihren bewegtesten Zeiten an ihr wie einen warmen Anwalt, so ein treues Spiegelbild ihrer Geschichte. In den ersten Jaren ihres Bestandes wurden die Grundlehren und Grundprinzipien der lutherischen Kirche aufs treffendste beleuchtet, in den letzten finden sich unter anderem dogmatische Kritiken und Erörterungen von bleibendem Werte[.] Sie schloß 1876 mit den charakteristischen, waren Worten: „Nach achtunddreißigjärigem Bestehen hört diese Zeitschrift mit gegenwärtigem Hefte auf zu erscheinen. Man wird ihr das Zeugnis nicht weigern, dass sie durch alle Wechsel der Zeitlage hindurch und in jeder durch dieselben gebotenen Richtung dem Zwecke, für welchen sie gegründet worden, der Vertretung lutherischer Lehre und Kirche unwandelbar treu gedient hat. – – – Es dürfte kaum eine die lutherische Lehre und Kirche angehende Frage von Belang die Gegenwart bewegen, über welche wir nicht Rede gestanden hätten. Möge es so geschehen sein, dass es redlichen Gemütern, auch nachdem wir verstummt sind, dazu dient, den vom Worte Gottes und dem Bekenntnisse unserer Väter erhellten schlichten Weg zu verfolgen, welcher durch die Wirrsale der Gegenwart einer, so der Herr will, bessern Zukunft entgegenfürt!“ Ihr Eingehen hat eine Lücke gelassen, welche seitdem nicht ausgefüllt worden ist.
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 Harleß war die erste kirchliche Persönlichkeit in Bayern, von tiefgreifendstem Einfluss, als Gott gewaltig in sein Leben eingriff, ihn der gesegnetsten Arbeit unter bitterem Weh entnahm, aber nur, um ihn einer noch höheren Stufe des Wirkens entgegenzufüren. Die Vorgänge sind bekannt. One sein Zutun, ja zu seinem Schrecken wurde Harleß im Jare 1840 von der Universität Erlangen zum Abgeordneten in die damalige Ständekammer gewält. Es galt in jener Zeit die Vertretung protestantischer, durch Maßnahmen des Ministeriums Abel tief gekränkter Rechte; am meisten war letzteres durch die auch für das protestantische Militär angeordnete Kniebeugung vor dem Venerabile geschehen. Harleß trat für die Interessen seiner Kirche mit ebenso viel Geschick als Mannhaftigkeit ein. Es kam zwischen ihm und dem hochbegabten, aber ganz von den damaligen restaurativen Tendenzen des Katholizismus| beherrschten Minister Abel zu mehr als einem sehr hitzigen Zweikampf. Harleß wollte zurücktreten, als die Regierung ihm bei dem Anlass der Berufung nach Rostock zu Willen war und für Bayern erhielt; er konnte, er durfte nicht. Harleß war der Fürer der Opposition; das Auge des protestantischen Deutschlands war damals auf ihn gerichtet; sein ritterliches Auftreten erwarb ihm allenthalben Freunde und große Popularität. Der Opposition sollte aber die Spitze abgebrochen werden; so wurde Harleß nach dem Vorspiel der Nichtbestätigung seiner Wal zum Prorektor durch Erlass vom 25. März 1845 als zweiter geistlicher Konsistorialrat nach Bayreuth versetzt. Alle Remonstrationen von seiner Seite, von Seiten der akademischen Behörden fruchteten nichts; unter allen Gewaltsamkeiten, mit welchen jener Minister seine Laufban gekennzeichnet hat, war die Entfernung Harleß’ von seiner gesegneten akademischen Berufstätigkeit eine der herausforderndsten.
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 Die Gegensätze, welche damals aufeinandergerieten, waren übrigens tief begründet in der ganzen Strömung der Zeit. Die Auktoritäten in Stat und Kirche hatten sich gekräftigt; wärend aber in Preußen Monarchie und kirchliche Hierarchie in schärfsten Konflikt zu einander traten, schlossen sie in Bayern einen Bund, der gefardrohend für den Protestantismus zu werden schien. Zwar wurde immer wider versichert, dass König Ludwig I. und sein Minister Abel nichts weniger als eine innere Schwächung der protestantischen Kirche in Bayern bezweckten. Auf der Generalsynode des Jares 1849 trat in der Sitzung, welche mit der Frage der Beibehaltung oder Ablehnung des sogenannten Summepiscopats sich beschäftigte, ein Dekan auf und fürte die bei einer Audienz der geistlichen Abgeordneten zum Landtag aus dem eigenen Munde des Königs vernommenen Worte an: „Meine Herren! Ich habe das Augsburgische Glaubenskenntnis so aufrecht gehalten, als wenn es mein eigenes Bekenntnis wäre. Ich habe mich dazu in meinem Gewissen verflichtet gefühlt, alles zu tun, den Flor der evangelisch-lutherischen Kirche zu fördern. Und ich habe nicht vergeblich mir Mühe gegeben. Die protestantische Kirche in Bayern ist fester in sich geordnet, bekenntnistreuer als alle andern in| Deutschland, und meine Herren Brüder, die Fürsten im nördlichen Deutschland, wären froh, wenn sie getan hätten, wie ich getan habe, und wenn die evangelische Kirche bei ihnen in einem so blühenden Zustande wäre, als bei uns (Synodalblätter aus Bayern S. 170)“. Jener Dekan fügte bei: „wir alle konnten der Richtigkeit dieser Behauptung nicht widersprechen“. Wir urteilen nicht weiter über diese Kundgebung. Aber auch Heinrich Thiersch behauptet: „Die Protestanten Bayerns haben die geistigen Güter, deren sie sich erfreuen, unter dem Schutze der Regierungsweise König Ludwigs sich erworben (Friedrich Thiersch’s Leben I, 258)“. Über das Abel’sche Regime spricht er sich dahin aus: „Was das kirchliche Gebiet betrifft, so darf nicht mit Schweigen übergangen werden, daß noch fortwärend viel Gutes gepflegt wurde. Noch galt das Prinzip, mit dem König Ludwig seine Regierung begonnen hatte, dass der Katholik echter Katholik und der Lutheraner Lutheraner im alten und geschichtlichen Sinne sein sollte. Die Förderung eines gediegenen theologischen Studiums in Erlangen dauerte fort – – Herr von Abel handelte edler als Herr...., der zu der Annahme Veranlassung gab, daß er den Rationalismus absichtlich hege und pflege, um die Auflösung des Protestantismus und dadurch den künftigen Sieg des Katholizismus zu fördern“. Harleß selbst hatte mitten im brennendsten Kampfe die Überzeugung, daß dem König die Absicht einer Gewissensbeschwerung oder Verfassungsverletzung fern gelegen sei (Bruchstücke aus dem Leben eines süddeutschen Theologen. Neue Folge, S. 63). Der Plan Abels ging aber offenbar darauf hin, dass in den vorwiegend katholischen Landesteilen der Protestantismus so viel wie möglich niedergehalten und eliminirt, der Katholizismus in jeder Weise gestärkt werde; Erhebung des Katholizismus, Einschränkung des Protestantismus war sein Trachten. Zu diesem Zweck wurde die II. Beilage zur Verfassungsurkunde, das sogenannte Religionsedikt, welches die Bestimmungen des Konkordats ermäßigen und die Parität sichern sollte, oft genug außer Wirksamkeit gesetzt und durch den königl. Erlaß vom 14. August 1838, welcher die Kniebeugung des Militärs vor dem Sanctissimum one Rücksicht auf die Konfession gebot, geradezu| in ein durch die Verfassung garantirtes Gewissensrecht eingegriffen. Übrigens lag Abels Hand schwer auch auf andern Lebensgebieten, besonders dem der höheren Schulen, ja teilweise selbst dem der katholischen Kirche. Sein Verfaren gegen die Wissenschaft muss als Vandalismus bezeichnet werden. Auch die Katholiken litten durch Belastung der Kirchen, der Kultusstiftungen und Bruderschaften mit Konkurrenzbeiträgen. Harleß’ erste Tat auf dem Landtag 1840/41 war die erfolgreiche Vertretung einer katholischen Bruderschaft zum heiligen Kreuzverbündnis gegen die dem Bruderschaftsvermögen verfassungswidrig auferlegten Konkurrenzbeiträge zu Kirchenbauten, was ihm den Ruf eines auch gegen Katholiken gerechten Mannes eintrug. Das Oberkonsistorium hatte damals einen überaus schweren Stand; es ist eine zwar oft gehörte, aber durchaus sach- und aktenwidrige Äußerung, dass dasselbe in Vertretung der Rechte der protestantischen Kirche lau und zaghaft gewesen. Gerade das Gegenteil ist richtig. Namentlich entwickelte der weltliche Rat, Grupen, in jener Vertretung die größte Umsicht und Entschlossenheit, einen seltenen, bisweilen übel vermerkten Freimut. Der ausgezeichnete Präsident des Oberkonsistoriums, Friedrich von Roth, wurde um seines Verhaltens in den damaligen Wirren, insbesondere der Kniebeugungssache, laut und heftig der Servilität, sogar der Hinneigung zum Katholizismus angeklagt. Er hat jedoch in aller Ruhe nicht unterlassen, den Rechtsstand seiner Kirche zu waren, er hat später gegen Freunde sich ausgesprochen, „er sei oft in Versuchung gewesen, loszubrechen, er habe aber jedesmal die Wahrscheinlichkeit des Misslingens und in dessen Folge eines noch härteren Druckes seiner Kirche größer gefunden, und daher das Zuwarten vorgezogen“. Seine am 28. Januar 1842 in der Kammer der Reichsräte gehaltene Rede war eine der freisinnigsten, die jemals dort vernommen worden. Die Kniebeugung ist im Jare 1845, am Tag vor Eröffnung der Ständeversammlung, abgetan worden und zwar infolge eines Briefes, der von Roth an den König Ludwig gerichtet wurde. Neben der kirchenregimentlichen Opposition stand nun aber die theologische, Pastorale, ständische und gemeindliche; Harleß war ihr Mittelpunkt. Er geriet um derselben| willen auch in eine literarische Fehde mit Döllinger, welcher behauptete, es handle sich bei der Kniebeugung nicht um Anbetung oder religiöse Huldigung, sondern nur um militärische Salutation. Zwei Schriften gingen von Harleß gegen Döllinger aus. Auch Friedrich Thiersch mischte sich in den Streit, der nach dem Wunsch des Königs Ludwig nicht weiter fortgesetzt wurde. Dagegen lag die Abfassung der Schrift „Jesuitenspiegel“ (1839), welche konfiszirt wurde und Harleß fast ein strafgerichtliches Verfahren eingetragen hätte, außerhalb dieser Bewegungen. Harleß’ ethische Studien hatten ihn auf die Stadtbibliothek in Bamberg geführt, die an Schriften jesuitischer Autoren besonders reich ist. Görres lobpreisende Empfehlung des Ordens in den historisch-politischen Blättern veranlasste ihn zur Herausgabe dieser Studien und Collectaneen.

 Die Abel’sche Episode verlief, one dass die protestantische Kirche in der Hauptsache Schaden genommen, ja sie trug zur inneren Kräftigung, Belebung und Hebung derselben bei. Die von Abel selbst geförderte positive Richtung gewann an Vertiefung und lernte mitten im Kampf das Palladium des Bekenntnisses um so fester, überzeugungsstärker ergreifen. Sie ward das kräftigste Mittel der Abwehr unberechtigter Eingriffe, welche von dort kamen. Harleß gebührt aber der Ruhm, durch sein persönliches Eintreten in Wort und Schrift und auch durch das, was er im Kampfe zu leiden und zu opfern hatte, für einen nach Außen und Innen heilsamen Erfolg in hervorragender Weise mitgewirkt zu haben.

 Harleß ging nach Bayreuth wie in eine Gefangenschaft. Niemand wird ihm verargen, dass er, zumal unter den eigentümlichen Verhältnissen seiner Versetzung, an Akten und kirchlicher Bureaukratie kein Gefallen fand. Von einer besonderen Wirksamkeit desselben in Bayreuth kann bei der Kürze des Aufenthalts nicht geredet werden; manches widerstrebende Herz hat er sich aber auch hier gewonnen. Das Exil erreichte bald sein Ende; noch in demselben Jahre erhielt Harleß einen Ruf als Professor der Theologie nach Leipzig, um dort auf den Höhepunkt seines Wirkens zu gelangen. Denn dies war für ihn der Leipziger Aufenthalt, „Tibi quondam| proderunt ista.“, hatte ihm Prorektor Engelhardt beim Abschied von Erlangen zugerufen.

 In Sachsen war der Boden für Harleß wundersam bereitet und zwar nach der negativen und positiven Seite. Die Jare 1844 und 1845 waren für die sächsische Kirche Jare tiefer religiöser Bewegung. Nach vorausgegangenen lichtfreundlichen Agitationen hatte der Deutschkatholizismus in Sachsen großen Anklang gefunden; 1845 tagte in Leipzig „das erste allgemeine Konzil der deutsch-katholischen Kirche“ und schmiedete ein sog. Glaubensbekenntnis; 1844 entstand der Leipziger Bekenntnisstreit über den Gebrauch des apostolischen Symbolums bei der Konfirmation. Gerade 1845 hatte Rudelbach gebrochenen Herzens Sachsen verlassen; die Kirchlichgesinnten hatten ihren Fürer und Vorkämpfer verloren. Wie ein Sonnenblick leuchtete in die damaligen schweren Kämpfe der Erlass der in evangelicis beauftragten Statsminister vom 17. Juli 1845 zur Aufrechterhaltung der Augsb. Konfession.

 In dieser gährungsvollen Zeit kam Harleß nach Sachsen, gefürchtet von der einen, freudigst begrüßt von der anderen Seite. Pastor Kilian von Kotitz hatte im Namen von 60 Geistlichen der Oberlausitz schon die sichere Kunde von seiner Berufung mit den Worten gefeiert:

Ecclesiae Te Saxonicae Deus
Aetate tristi subsidium dedit!
 Certamen ardet; proeliorum
 Protege moderator aras!

Jam jamque Numen consiliarios
Nostri supremos imperii beet,
 Fines fluant nostri salute,
 Lipsia vivat, amanda mater. –

 Sachsens Freude war keine Täuschung: es wird in der Kirchengeschichte des 19. Jarhunderts wenig Beispiele geben, wo in so kurzer Zeit und unter so schwierigen, ja stürmischen Verhältnissen das gewirkt wurde, was Harleß in den nicht ganz fünf Jahren seines Leipziger Aufenthaltes gewirkt hat. Der Leipziger Boden war von dem Erlanger doch sehr verschieden. Als Harleß in| Erlangen zu wirken begann, war der Stern des Rationalismus schon im Erbleichen; als er es verließ, war dieser unter den Geistlichen eine überwundene Macht. Widerspruch um seiner positiven Richtung willen hat Harleß in Erlangen wenig erfahren; er genoß im Gegenteil eine seltene Hingebung und Verehrung. In Sachsen stand bei Harleß’ Ankunft der Rationalismus noch in voller Blüte; an offenem Widerspruch und scharfer Kritik konnte es ihm nicht fehlen. Unter den dortigen tiefgehenden Gegensätzen wuchs Harleß aber innerlich ebenso, als seine Wirksamkeit eine noch intensivere wurde. Obwol auch in Leipzig das Evangelium nichts Neues war, so lässt sich denken, wie bei der Erregtheit der Geister das Wort eines Mannes zünden musste, welcher den vollen Ernst und die volle Tiefe der evangelischen Warheit mit der Macht einer glänzenden Persönlichkeit, der Schärfe einer geschulten Dialektik, dem umfassenden Blick eines im Gesamtleben der Kirche wurzelnden Geistes vertrat. Harleß’ Wirken war scheidend und sichtend, aber auch mächtig anziehend, tiefgewinnend, für manche überwältigend. Ein nicht übergroßer, aber um so fester geschlossener Kreis von Zuhörern bildete sich um ihn, der ihm mit voller Seele, theilweise mit warem Enthusiasmus ergeben war, auf welchen der bestimmendste Einfluss von ihm ausging. Auch weitere Kreise konnten sich diesem Einfluss nicht entziehen.

 Mit gespannter Erwartung sah man Harleß’ akademischem Auftreten in Leipzig entgegen. Als er seine Antrittsvorlesung hielt, war das Auditorium von Studenten und Dozenten aller Fakultäten überfüllt. Mit der Erklärung des Römerbriefs begann er. Schon in Erlangen war dies eine seiner gesuchtesten Vorlesungen. In Leipzig vermissten an ihr nicht Wenige die Klarheit und Gefälligkeit, das Genetische der Winer’schen Methode, auch wol den gelehrten Zierat; anderen ging schon durch dieses erste Kollegium eine neue Welt auf. „Harleß lehrt gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten“, schrieb damals ein Zuhörer.

 Die gewichtigste Vorlesung war aber die Dogmatik, über welche Disziplin Harleß in Erlangen nie gelesen hatte. Systematische Kraft und ein tiefgeschichtlicher Charakter machten sie äußerst anziehend. In sechs Nummern des „Sächsischen Kirchen- und| Schulblatts“ vom Jare 1853 ist Harleß’ Leipziger Wirksamkeit von der Hand eines begeisterten und zugleich nüchtern urteilenden Zuhörers ein schönes Denkmal gesetzt. Hiernach hat die Vorlesung Mehrere und Starke geradezu überwunden und gewonnen, Alle befestigt. Auch ein griechischer Pope wonte ihr von Anfang bis zu Ende bei. Hören wir jenen Berichterstatter: „Wer vermöchte es noch zu schildern, welche Fülle von Anregung diese Vorlesung uns gewährte? Der Geist, der sie durchwehte, war nicht der Geist des Scholastizismus, so oft auch die Helden der lutherischen wie der mittelalterlichen Scholastik als testes veritatis ausgerufen wurden; es ward einem zu Mute, als wandelte man in einem hohen heiligen Dome, und alle die Väter ständen wie Riesengestalten im Schiff und trügen als Säulen den tiefen Kirchenhimmel. Die Namen der Kirchenväter, der Name eines Thomas Aquinas, eines Johann Gerhard gewannen einen waren Zauber für uns, von dessen Nachwirkung die Antiquare zu erzälen wussten“. Mit Riesenfleiß arbeiteten einzelne durch deren Schriften sich hindurch. Die erwachte Streitlust entlud sich im Theologischen Verein, dessen freie Debatten Harleß leitete. Hier platzten die Geister, und zwar höchst verschiedenartige, gewaltig aufeinander. „Nirgends war der teuere Mann liebenswürdiger, als unter seinen Studenten im Theologischen Verein, und am liebenswürdigsten durch seine ungeheuchelte Demut“; er ließ sie alle gewären; nur etwa den Spott wies er mit erschütterndem Ernste zurück. Eine zalreiche Zuhörerschaft hatte die Ethik; das Auditorium war nicht selten überfüllt. „Die heilig ernsten Stunden dieser Vorlesung, oft mehr Gottesdiensten und seelsorgerlichen Ansprachen änlich, als wissenschaftlichen Vorträgen, banden unauflöslich an den teueren Lehrer. In sein Herz haben wir da gesehen; seine Person lehrte eindringlicher als Buch und Vorlesung. Die Ethik bewärte ihren Namen völlig. In Vielen, welche die Dogmatik überzeugt hatte von der Warheit der Kirchenlehre, verklärte sie das anerkannte Heilsgut zum Heilsbesitz. Ich glaube gewiss, dass die meisten unter denen, welchen der teuere Lehrer Fürer zum Glauben und neuen Leben in Christo geworden, die Geburtsstunden dieses Lebens in dieser Vorlesung gefeiert haben“, sagt jener Zuhörer, welcher die Weihe zum theologischen| Beruf durch Harleß empfing. Es ist dies der ehrwürdige, unvergessliche D. von Zezschwitz, dem in späterer reichgesegneter Wirksamkeit selbst wie Wenigen gegeben war, anregend, zündend, begeisternd für theologisch-kirchliche Ideale unter dem jüngeren Geschlechts zu wirken und zwar weit über Bayerns Grenzen hinaus.
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 Übte die Dogmatik dadurch einen so mächtigen Zauber aus, dass sie entgegen dem Zuge der Zeit das Vollmaß biblischer Warheit und das ihr entquellende Wort kirchlicher Bezeugung zum ungebrochensten Ausdruck brachte und sich aller zersetzenden Einflüsse philosophischer Doktrinen erwehrte, one doch die Schulung durch letztere und auch eine teilweise spekulative Behandlung zu verleugnen: so bewärte die Ethik darin eine tiefe Anziehungskraft, dass sie ungeachtet der schärfsten Betonung des Mysteriums christlichen Lebens im Gegensatz zu alledem, was man mit Recht pietistisch nennt, in echt christlicher und echt lutherischer Weise der gottgeschaffenen Natur und allen Gaben der Schöpfung die volle Ehre gab. Wie einschneidend und den kirchlichen Charakter von innen aus bildend die Ethik wirkte, davon legt ein damaliger Zuhörer, Max Frommel, in einem seiner Jubiläumspredigt beigegebenen Lebensabriss ein merkwürdiges Zeugnis ab. Er schreibt: „So hörte ich denn im Sommer 1849 bei Harleß Ethik oder christliche Sittenlehre, und das war, was ich brauchte. Da trat mir eine ganze, in sich abgerundete, biblisch begründete Weltanschauung entgegen, die mir Licht gab über die tiefsten Fragen des ganzen Christenlebens. Jede Stunde ein vollendeter Vortrag, frei quellend aus der edlen Persönlichkeit des Meisters, heiliges Maß haltend zwischen den Abwegen zur Rechten und zur Linken, zwischen falscher Freiheit und falscher Gesetzlichkeit, zwischen der falschen Heiligung der Römischen und der Schwarmgeister, überall die rechte Stellung einnehmend zu Gott und der Welt, zu Gesetz und Evangelium, zum Zentrum und der Peripherie. Da war mehr Ernst, als im ganzen Pietismus, und doch mehr Freiheit und Weitschaft; da war voller Kampf gegen die Sünde, und doch volle Berechtigung der Kreatur. Der Irrtum wird nur überwunden durch die höhere Warheit. Was an meinem bisherigen Leben irrtümlich war, die große Gefar, in der ich schwebte, dass meine innere Frömmigkeit und das Gewarwerden| der kreatürlichen Gottesgaben in Wissenschaft und Kunst auseinandergefallen wären, das alles wurde warhaft überwunden durch den alles beherrschenden Satz der Harleß’schen Ethik, dass das ware Christentum das ware Menschentum sei. So kann ich sagen, dass ich nicht auf dogmatischem, sondern auf ethischem Wege Lutheraner geworden bin. „„Das ist Warheit““: dies war jedesmal der tiefste Eindruck, den ich hatte, wenn ich aus dem Kolleg von Harleß ging“.
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 Doch Harleß wirkte in Leipzig nicht bloß als akademischer Lehrer, sondern auch als Prediger. Einer seiner Kollegen soll in der Anfangszeit auf die Frage eines Bekannten, welches denn Harleß’ Stellung in Leipzig sei, geantwortet haben: Mit seinen Vorlesungen findet er wenig Eingang, desto mehr mit seinen Predigten. Harleß sollte in Leipzig zu einem der kräftigsten, glänzendsten und gesegnetsten Prediger unserer Zeit reifen, derselbe Mann, der, als er endlich für die Theologie sich entschieden hatte, alsbald den Entschluss fasste, sich dem Katheder zu widmen, weil er vor dem Predigen eine unüberwindliche, ihm selbst unerklärliche Scheu hatte. Als Harleß in Erlangen ordentlicher Professor geworden war, sollte er auch die Universitätspredigerstelle übernehmen; er bat damals Gott unter Tränen, er möge ihm diese Last nicht auflegen; nur ungern hat er sie sechs Jare später auf die Schultern von Thomasius gelegt; sie war ihm längst Freude und Erquickung geworden. In Leipzig predigte Harleß zuerst nur von Zeit zu Zeit in der Universitätskirche nach dem Rechte eines theologischen Ordinarius. Es gehört zu den merkwürdigsten Fürungen seines Lebens, dass er schon nach kaum zwei Jaren auf Grund dieser Predigten von der Vertretung der Stadt, in welcher er in dem ersten von ihm besuchten Gottesdienst, einer Reformationsfestfeier, den Deutschkatholizismus als eine feurige Wagenburg um die protestantische Kirche hatte rühmen hören, zum Pastor an St. Nikolai gewält wurde. Harleß nahm nach ernster Überlegung die Wal an und bekleidete von nun an ein Doppelamt, wie es von gleichem Gewicht und Umfang nur selten in diesem Jarhundert von Theologen innegehabt wurde. Wie providenziell war es widerum, dass Harless vierundzwanzig Stunden später, als er die Vokation zu| dem Pastorat von St. Nikolai angenommen, eine Berufung zurück nach Erlangen erhielt, welcher er sicherlich, one eben von neuem für Leipzig sich gebunden zu haben, Folge gegeben hätte! Hinsichtlich seiner Predigttätigkeit liegt es vor aller Augen, wie Harleß durch die Leipziger Atmosphäre an Kraft und Weitschaft gewonnen hat. Auch in Erlangen wurde er sehr gern, zumal von Studenten und überhaupt der Universitätsgemeinde, gehört; die hier herausgegebenen zwanzig Predigten: „Christi Reich und Christi Kraft“ (1840) bekunden bereits in der unverhüllten Bezeugung der Heilswarheit, der sicheren dialektischen Bewegung und Abrundung, der schlichten Textgemäßheit und der nervigen Darstellung seine Eigentümlichkeit auf diesem Gebiete: aber etwas Abstraktes, dem Gros der Gemeinde ferner Liegendes haftete ihnen doch an. Der Ton der Leipziger Predigten ward von selbst um einige Stufen höher gestimmt. Harleß trat in denselben aber auch mehr und mehr in die Gegenwart mit ihren Kämpfen und Strebungen ein. Dadurch erhielten sie ein konkreteres, wol auch kräftig realistisches Gepräge. Sie wurden Zeitpredigten im besten Sinne des Wortes; sie wurden es in hervorragendster Weise, als die Stürme des Jares 1848 hereinbrachen. In seiner „Heer“- und seiner „Bußpredigt an die Deutschen“, gehalten am 12. und am 24. März 1848, hat Harleß seine innersten Empfindungen angesichts des großen Völkergerichts zu einem mächtigen, sich gegenseitig ergänzenden, glühenden Patriotismus und tiefen christlichen Ernst vereinenden Ausdruck gebracht. „Ihr wißt, wo Deutschland liegt, zwischen den Eissteppen des Nordens und den südlichen Glutlanden, dem Klima Europas die rechte Temperatur, die frische, freie, reine Luft zu erhalten, das ist Deutschlands Beruf“, ruft er in der ersten aus. In der zweiten: „Es ist unter unserem Volke, namentlich in der allerneuesten Zeit, ein Geist der Lästerung Christi aus dem Abgrund aufgestiegen, der, wenn er Volksgeist wird, unser Volk dem Untergange weiht; wollen wir nicht diese und jene richten, sondern uns alle schuldigen; denn hätten sich nicht in die christlich-kirchlichen Strömungen der Gegenwart so viele unklare, zweideutige, unlautere Elemente eingemengt, oder wäre das herrschende Christentum im deutschen Volke lebendiger und warer, mannhafter und| entschiedener, geduldiger und barmherziger gewesen, als es vielfach bisher war: es wäre auch mit der Lästerung Christi noch nicht so weit, nicht zu so völliger Entschleierung gekommen“. Populär im gewönlichen Sinne des Wortes ist Harleß als Prediger nie gewesen. Seine Predigten litten auch später öfters an einem Übermaß des dialektischen Moments. Aber den Charakter ungeschminkter, furchtloser Zeugnisse in inniger Verschlungenheit der Gnade und des Gerichts, teilweise ein prophetisch universelles Gepräge haben sie getragen wie wenige in unserer Zeit. Harleß wurde das Predigen nicht leicht; namentlich im Anfang des neuen Predigtberufs kam der Geist der Anfechtung in eigentümlicher Schwere über ihn. Um so wirksamer waren seine Predigten. Vielen mochte es wie einem Einzelnen gegangen sein, der gestand, das erste Mal sei er aus Neugierde, das zweite Mal aus Oppositionslust, das dritte Mal aus Erbauungsstreben gekommen. Wie Harleß mit großer Entschlossenheit unmittelbar in die Bewegung des Jares 1849 eingriff, hat er uns selbst berichtet. Bedeutender ist uns aber, wie sein Zeugnis von der Kanzel herab sänftigend auf die tiefgehenden Wogen wirkte. Sehr treffend sagt das „Literarisch-artistische Beiblatt“ zur „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 10. Februar 1850: „Die Wahrheit ist, daß Harleß in einem Augenblick, wo selbst die Behörden Kopf und Herz ziemlich verloren, und wo der Aufruhr dicht neben seiner Wonung sich verschanzt hatte, diese Behörden ermutigte, in ihrem Widerstande gegen die Aufrürer nicht vor der Zeit zu erlamen. Wichtiger aber als dieser Moment ist die Tatsache, dass Harleß durch seine echte patriotische Gesinnung, durch seine feurigen Reden von der Kanzel, durch sein Vorbild als Mensch und Statsbürger unbestreitbar einen großen Einfluss auf die im ganzen doch sittlich ernste Haltung der Leipziger Bürgerschaft geübt hat.“ Seine späteren Predigten sind vom Advent 1847 an unter dem Namen „Die Sonntagsweihe“ in den Jaren 1859 und 1860 in zweiter Auflage in vier Bänden erschienen. Harleß Predigttätigkeit gehört bereits der Geschichte an. Wir könnten auf das Urteil von Nebe in seinem Buche „Zur Geschichte der Predigt“ (III, 420 f.) verweisen. Immerhin wird man sagen müssen, was Harleß war und wirkte als Prediger, war| und wirkte er auch durch die eigentümliche Macht und den Glanz seiner einzigartigen Persönlichkeit. Eine Äußerung aus obigem Blatt möchten wir noch anfüren, weil sie den unmittelbaren Eindruck der gehaltenen Predigten widergibt: „Harleß’ Wort war kein mühsam hinter dem Studiertische zusammengeklaubtes, sondern ein solches, das aus der Seele dringt und mit urkräftigem Behagen die Herzen aller Hörer zwingt. Die männliche Wucht des Gedankens, die Einfachheit und schlagende Kürze des Ausdruckes, die Wärme des Vortrags und vor allem das unverkennbare Gepräge der tiefinnersten Überzeugung in seinen Predigten muß jeden unbefangenen Hörer überwältigen und selbst den Widerwilligen allmählich gewinnen“. Harleß hat sich widerum nicht zum berühmten Kanzelredner gemacht. Aus dem kanzelscheuen Jüngling ist unter Gottes sichtlicher Zurüstung, unter einer wundersamen Verflechtung in den Gang mächtiger Zeitverhältnisse ein männlich starker, geistgesalbter Prediger zum Heile Vieler geworden.

 Harleß genoß großes Vertrauen auch als Seelsorger. Zu seinen Beichtkindern gehörte u. a. Professor Winer, von dem bekannt ist, dass er in seinen späteren Jaren immer mehr dem positiven Christentume sich zuwandte. Aber auch in bürgerlichen Kreisen genoß Harleß das größte Ansehen; noch heute weckt dort sein Name die freundlichste Rückerinnerung an die schöne Zeit der Leipziger Wirksamkeit. Seine Spezialkollegen waren Rationalisten. Das genannte politische Blatt, das von Harleß rühmte, dass er ein Mann sei vom Scheitel bis zur Sole, dass er weiß, was er will, und will was er kann, sagte zugleich, er habe unter seinen Spezialkollegen die entschiedensten Gegensätze nur indirekt, nur durch das Zeugnis aus dem göttlichen Worte bekämpft, übrigens aber mit einer unbeschreiblichen Milde und Sanftmut getragen.

 Ehe Harleß sein Amt bei St. Nikolai angetreten, musste er sich einer Probepredigt und einem Kolloquium vor und mit dem damaligen Oberhofprediger von Ammon unterziehen. Ein förmlicher Anekdotenkreis hat sich um diesen Vorgang gebildet. Es ist noch allgemein bekannt, mit welchem Ergötzen der Kultusminister Wietersheim Harleß’ Auskunft aufgenommen: „Dresdae omnes alaudae cantant“, als Ammon es unternommen hatte, das| allerdings anfechtbare Bild, dass das Kirchenbekenntnis dem Evangelium antworte wie der Lerchensang der Frühlingssonne, aus Plinius auch der Unwissenschaftlichkeit damit zu überweisen, dass nicht alle Lerchengattungen sängen. Der Moment, an pikanten Zufälligkeiten reich, hatte auch seine typische Bedeutung. Einer alten, zu Grabe gehenden Zeit in immerhin würdiger Repräsentation, der niedergehenden Sonne des alten Rationalismus mit seiner stattlichen Gelehrsamkeit und mikrologischen Gründlichkeit stand die kräftig aufstrebende Periode kirchlicher Verjüngung in ihrem bedeutendsten Vertreter zukunftreich gegenüber. Harleß sollte nach wenigen Jaren Ammons Nachfolger werden; dieser hat selbst ihn in Vorschlag gebracht; den Rat zu diesem Vorschlag hat aber kein anderer gegeben als K. I. Nitzsch nach des letzteren eigener Aussage.
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 Zu litterarischen Arbeiten hatte Harleß in Leipzig die Zeit nicht. In eine nicht unbedeutende kirchliche Bewegung der sächsischen Landeskirche griff er aber durch die Schrift ein: „Votum über die eidliche Verpflichtung der protestantischen Geistlichen in Sachsen auf die kirchlichen Symbole und die Änderung oder Aufhebung dieser Verpflichtung (Leipzig 1846).“ Diese Schrift schließt sich besonders an Höflings vortreffliche Abhandlung: de symbolorum natura, necessitate, auctoritate atque usu an und ist, wie alles von Harleß, reich an eingehenden prinzipiellen Erörterungen. Bezeichnend sind die Worte: „Keinem kirchlichen Bekenntnis ist ein Charakter der Unveränderlichkeit in dem Sinne beizulegen, wie ihn unsere Konfession dem Schriftworte zuerkennt. Unser reformatorisches Bekenntnis war von Anfang nicht eine bloße Repristination der altkirchlichen Bekenntnisformel, sondern eine Fortbildung, eine Fortbildung im waren Sinne des Wortes, Fortschritt der Erkenntnis und insofern von den Anfängen unterschieden; Fortschritt aber und nicht Widerspruch und Verneinung, weshalb eben die alten Bekenntnisse als gemeinsame Wurzel erkannt und in dem Bekenntnis ausdrücklich anerkannt worden sind. Wer möchte leugnen, dass ein Fortschritt in diesem Sinne auch jetzt möglich sei; wer nicht vielmehr behaupten, dass mehr als ein Zeichen der Zeit auf einen solchen Fortschritt hindeute? Ist es doch zu allen Zeiten der Kirche so gewesen, dass große Verwicklungen| und Kämpfe zu einer solchen Weiterbildung auf der alten Grundlage haben dienen müssen.“

 Selten ist ein Theolog und Geistlicher beim Abschied so geehrt worden, wie Harleß, als er Leipzig verließ. Geistlichkeit, Bürgerschaft, die gebildete Welt, der Kreis der Zuhörer und nächsten Freunde ließen es an bedeutsamen Zeichen der Liebe und des Dankes nicht fehlen. Wie das Siegel einer hochgesegneten Wirksamkeit könnte die unvergleichliche Inschrift auf einem Kruzifix aus Eisenguss erscheinen, welches ihm mehrere Zuhörer, darunter Frank, v. Zezschwitz, Frommel, Löber, überreichten: „Sub cruce recordare, ad crucem quos vocasti“. Selbst das Koupé, in welches Harleß im Leipziger Bahnhof einstieg, war von der Liebe der Freunde geschmückt. Harleß hat in Leipzig viel gegeben, aber auch viel empfangen. Nirgends hat Harleß so viel edle, ihm tief sympathische Verbindungen mit Einzelnen und Familien geknüpft, als hier. Leipzig war ihm in ungeanter Weise zur zweiten Heimat geworden. Er selbst sagt: „Überhaupt habe ich zu bekennen, dass mir nie in meinem Leben so viel vertrauensvolle Liebe und Treue zu teil ward, als ich wärend meines Aufenthaltes in Leipzig erfur, und dies mir auch jetzt noch, so weit der Tod nicht die Bande zerrissen hat, als ein unschätzbares Besitztum geblieben ist“ (Bruchstücke. Neue Folge, S. 105).

 Dass Harleß, als er im Jare 1850 als Oberhofprediger, Vortragender Rat im Kultusministerium, Vizepräsident des Landeskonsistoriums nach Dresden übersiedelte, von vielen Seiten als Werkzeug der Reaktion und Vertreter hierarchischer Intoleranz betrachtet wurde, darf bei der damaligen Zeitlage nicht wundernehmen. Harleß war die Zielscheibe einzelner sehr gehässiger Angriffe der Presse, auch der sächsischen Kammer; manche Blätter traten aber auch sehr kräftig für ihn ein.

 Harleß blieb in Dresden Prediger und Seelsorger, hatte einen Beichtstul und gab auch Konfirmandenunterricht. Am Sonntag Reminiscere, dem 24. Februar 1850, hielt er seine Antrittspredigt über Hebr. 12, 1–6; sie war von dem Geiste innigster Gebundenheit an Gottes Wort und eines tiefen, lebendigen Bewusstseins der Gemeinschaft mit den Warheitszeugen der Kirche| vom Anfange getragen. Seinen Beichtkindern trat er noch besonders durch Bibelstunden nahe. Eine sehr bedeutende Geschäftslast ruhte auf ihm. Eine besondere Freude hatte er an den Visitationsreisen; er selbst sagt, dass er hiedurch Land und Leute in Sachsen in zwei Jaren besser kennen lernte, als in zwanzig Jaren seiner späteren Stellung in Bayern. Einen lebendig persönlichen Einfluss betätigte er auch als offizieller oder freiwilliger Teilnehmer an den Konferenzen der Landesgeistlichkeit.

 Es gelang Harleß, viele Vorurteile zu zerstreuen, seine prinzipiellen Gegner zu gewinnen oder doch verstummen zu machen. Segensreich trat seine Gabe hervor, ferner stehende unter den Gebildeten mit dem positiven Christentum zu befreunden. Nach manchen Seiten war Harleß’ Thätigkeit in Dresden allerdings eine ganz andere als in Leipzig und bewegte sich auf Gebieten, die nie seine Stärke waren. Es muss aber gesagt werden, dass seine zweiundeinhalbjärige Wirksamkeit an der Spitze des Kirchenregiments der gesamten Entwickelung der sächsischen Kirche den heilsamsten Anstoß gegeben hat. Gesegnet war sein Bemühen für tüchtige Besetzungen im Pfarr- und theologischen Lehramt. Es ging ein Geist der Kraft und Gesundheit von ihm aus; das Bekenntnis der Kirche bewärte mehr und mehr seinen sammelnden und festigenden Einfluss. Pietistischen oder separatistischen Neigungen wusste er nicht one Erfolg kirchliche Banen zu weisen. „Für die Hebung des Ansehens der Kirche in Sachsen hat in neuester Zeit viel getan der Oberhofprediger Harleß, obgleich er diese Stelle nur kurze Zeit bekleidete“, sagt der Artikel über Sachsen in Herzogs Real-Encyklopädie erste Aufl. XIII, S. 221.

 Harleß stand damals auf der Spitze der Ehre und des Glückes. In jener Zeit war es, wo er die Seinen zum Gebet aufforderte, daß ihn Gott in der Demut und Niedrigkeit erhalten möchte. Harleß sollte an Dresden und Sachsen für immer durch größere Vergünstigungen gekettet werden, als ein ganz unerwarteter, immer dringenderer Ruf von König Max II. von Bayern, welchem er unter den Kämpfen der Abel’schen Periode als damaligem Kronprinzen näher getreten war und dessen Vertrauen er in hohem Maße gewonnen hatte, zur Übernahme der Präsidentenstelle des Oberkonsistoriums| in München an ihn erging. Der Kronprinz hatte öfter an Harleß geschrieben, ihm auch durch Roth sein tiefes Bedauern ausdrücken lassen, als er Bayern verließ. Im Jare 1849 sah Harleß München und den Kronprinzen, der inzwischen den Thron bestiegen hatte, wider; er hatte von dem Leipziger Zentralausschuss des Gustav-Adolf-Vereins den Auftrag übernommen, direkt und in Person bei dem König die Anerkennung und Zulassung der Wirksamkeit des bisher in Bayern verpönten Vereins dort zu erwirken, was auch gelang. Am 22. Dezember 1849 schrieb ihm der König: „Herr Oberhofprediger Dr. Harleß! In Ihrer Zuschrift vom 6. ds. fand ich widerum den Ausdruck jenes frommen, gläubigen Gemüths, sowie der edlen Sinnesweise, die Sie so schätzenswert macht. Bedauere Ich auch, dass Bayern jetzo Ihre Wirksamkeit zu missen hat, so ist’s andererseits erfreulich, daß der an Sie gekommene Ruf Ihrer ersprießlichen Thätigkeit ein neues großes Feld erschließt. – Ich gebe die Hoffnung nicht auf, Sie dereinst wieder zu uns zurückführen zu können, und gerne werde Ich die sich für die Verwirklichung solcher Hoffnung bietende Gelegenheit ergreifen, nicht zweifelnd, dass dann Ihre treue Anhänglichkeit an das Vaterland Sie nicht zurückbleiben heißt. Dankend für die guten Wünsche, die Ihr Schreiben enthält, erneuere Ich die Versicherung Meiner wohlwollenden Geneigtheit, und bin mit aufrichtiger Werthschätzung Ihr wohlgewogener König Max“. Schon aus dem Gesagten geht hervor, dass die Darstellung von Harleß’ Berufung, wie sie Wangemann gibt (Una sancta, III, S. 220), gleich vielem, was er sonst über Bayern sagt, den tatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht. Es war des Königs frei eigener Entschluss, beruhend auf einem besonderen Vertrauensverhältnis zu Harleß, der ihn zu der Berufung bestimmte. Unendlich viel sprach freilich dagegen. Harleß fand sich glücklich in seiner Stellung in Dresden, wärend er von vorne fürchtete, dass die neue in München ihm weniger Befriedigung gewären könnte; die Gehaltseinbuße war eine sehr bedeutende; die kirchlichen Verhältnisse in Bayern, um derentwillen die Berufung erfolgte, waren schwierigster und delikatester Natur. Das längere Missverhältnis zwischen Löhe und dem Kirchenregiment| hatte sich zu einem entscheidenden Konflikt zugespitzt; Löhe und seine nächsten Freunde sollten vom Amte suspendirt werden; das Oberkonsistorium, wenigstens in seiner Majorität, und das Kultusministerium waren in diesem Entschlusse eins; nur der König zögerte. Der damalige Präsident des Oberkonsistoriums, von Arnold, der Nachfolger des durch den Zeitsturm aus seinem Amt verdrängten von Roth, ein sehr tüchtiger Jurist und höchst achtungswerter Charakter, aber dem Bekenntnis und den kirchlichen Fragen doch ferner stehend, war der schwierigen Situation nicht völlig gewachsen; seine Quiescirung war, wol auch aus anderen Gründen, beschlossene Sache. Der König machte Harleß gegenüber geltend, dass er in Bayern niemand habe, der sich als ein bis zu gewissem Grade bei den streitenden Parteien geltender Vertrauensmann zwischen den Riß stellen und die drohende Spaltung verhindern könnte. So überwand Harleß allmählich, aus Liebe zur heimischen Kirche, seine anfänglichen, nicht ungerechtfertigten Bedenken. Der sächsische Kultusminister bedauerte Harleß’ Entschluß und meinte, er werde ihn einst noch bereuen. Eine Stimme rief aus: „O, es lag so viel Providentielles in dem Eintreten dieses Mannes in die sächsische Landeskirche, daß sein Scheiden aus ihr zu einer Zeit, wo kaum die ersten Anfänge zu einer gründlichen Besserung unserer kirchlichen Zustände warzunehmen sind, wie ein unbegreiflicher Ratschluss Gottes erscheinen muß.“
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 König Max II., dem Döllinger in seiner Rede „König Maximilian II. und die Wissenschaft“ (gehalten in der Akademie am 30. März 1864) bezeugt, daß seit den Zeiten der Ptolemäer kein Fürst eine so großartige und hingebende Wirksamkeit für die Wissenschaft geübt hat, war auch infolge der historischen Studien, denen er sich unter Dahlmann in Göttingen hingab, zu einer gerechten Würdigung des Protestantismus geführt worden (vgl. hierüber das Leben Dahlmanns von Springer I, S. 269); es ist das schönste Zeugnis von edler Fürsorge für die evangelische Kirche von Seiten eines katholischen, der eigenen Kirche treu ergebenen Fürsten, dass Max II. im Gegensatz zu den obersten Instanzen in Stat und Kirche alles aufbot, dem drohenden Riss vorzubeugen;| es wiegt dies Zeugnis um so schwerer, als die Löhe’sche Bewegung von Anfang an ganz besonders auch gegen den Summepiscopat in der Hand eines katholischen Fürsten gerichtet war. Unter dem 9. September 1852 schrieb der König an Harleß: „Herr Oberhofprediger Dr. Harleß! Ich habe durch Signat vom heutigen ihre Berufung als Präsident Meines Oberkonsistoriums angeordnet. Es freut Mich, Sie für Bayern gewonnen zu haben, einen Mann, den Ich als Kronprinz mit vielem Leidwesen von Uns habe scheiden sehen. Ich hoffe, dass es Mir gelingen wird, mit und durch Sie das Ware Wol des rechtgläubigen Protestantismus zu schützen gegen die radikalen kirchlichen Bestrebungen, der Ich mit wohlwollenden Gesinnungen bin Ihr wohlgewogener Max.“

 Harleß’ Ernennung zum Präsidenten des Oberkonsistoriums war für ganz Bayern ein überraschendes Ereignis; die seitherigen Präsidenten waren nur Juristen gewesen. In der höheren Beamtenwelt zumal erweckte diese Abweichung von einer wie man glaubte unverbrüchlichen Regel nicht geringes Aufsehen. Da die Verfassung nur sagt, dass der Präsident dem protestantischen Glaubensbekenntnisse anzugehören habe, so war die Berufung eines Theologen gesetzlich nicht ausgeschlossen.

 Der drohende Riss wurde wirklich abgewendet. Wie Harleß dies gelang, darüber sind heute noch unrichtige Meinungen verbreitet. Harleß hat durchaus nicht ein geradezu Neues geschaffen, er hat eine lutherische Kirche nicht erst hergestellt. Es entspricht nicht der geschichtlichen Sachlage, wenn erst neuerdings behauptet wurde, Harleß sei es beschieden gewesen, „die auf dem Papier stehende luther. Landeskirche im wesentlichen zu einer wirklichen zu erneuern (Das Leben Bachmanns S. 2)“. Dies war überhaupt eine Unmöglichkeit. Die Landeskirche ist nicht erst damals „in bekenntnismäßige Banen geleitet worden“, sondern ihre ganze bisherige Geschichte zeugte von dem allseitigen Streben der berufenen Faktoren, im Gegensatz zu vorhandenen Abnormitäten dem kirchlichen Bekenntnis mehr und mehr Raum zu schaffen. Harleß Werk war die Frucht der ganzen vorausgegangenen kirchlichen Entwicklung. Es erscheint notwendig, in Harleß’ Lebensbild den sichern Nachweis hiefür zu geben. Heinrich Ranke erzält uns in seinen| Jugenderinnerungen von dem Tage seiner Installation in Rückersdorf bereits im Jare 1826: „An diesem Tage wurde mir die gedruckte Instruktion überreicht, deren Beobachtung in den Diensteid eingeschlossen wurde. Der erst Blick in diese Instruktion zeigte mir zu meiner großen Freude, dass ich verpflichtet wurde, die reine Lehre des göttlichen Wortes in Übereinstimmung mit den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche treu und eindringlich zu verkündigen. Es war mir durch manche Warnehmungen zweifelhaft geworden, ob in der Kirche des Landes das kirchliche Bekenntnis noch aufrecht erhalten sei. Jetzt erfur ich es mit größter Bestimmtheit. Da durchdrang mich die Hoffnung, die Zeit sei nicht fern, in welcher das kirchliche Bekenntnis bei Denen, die das geistliche Amt verwalten, wider zu seinem vollen Rechte kommen werde. Um so williger gelobte ich, der mir erteilten Instruktion treulich nachzukommen (S. 328).“
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 Diese Hoffnung Rankes, der selbst als Konsistorialrat vom Jare 1841 an dem neuen Geist in den Konsistorien Ban brach, nachdem schon Konsistorialrat Fuchs vom Jare 1818–1837 in sehr positivem Sinne gewirkt hatte, ging in Erfüllung. Wie sie erfüllt wurde, hat uns Thomasius in seinem bekannten Werke aus eigenster Erfarung heraus in unübertrefflicher Weise geschildert. Er schreibt (Das Wiederwachen des evangelischen Lebens in der lutherischen Kirche Bayerns S. 201 f.): „Das Gesammtresultat der von Kap. 5 an geschilderten Tatsachen war eine Erneuerung der lutherischen Kirche Bayerns – – der Geist eines neuen Lebens in unserer Kirche war erwacht und sein Flügelschlag wurde weithin spürbar, die Geistlichkeit, die jüngeren in weit überwiegender Mehrzal und jedenfalls die tüchtigeren unter ihnen, fiel dem Evangelium aufrichtig zu und verkündigte es mit Freudigkeit und Energie; die Gemeinden nahmen widerum das Wort willig an und viele Einzelne gewannen es herzlich lieb; selbst in den großen Städten, wie in Nürnberg, ließ sich damals diese wachsende Liebe zum Worte Gottes merklich warnehmen; akademische Lehrer, Geistliche, Gemeinden und oberstes Kirchenregiment fingen sich durch das Band kirchlicher Gesinnung enger zu verbinden an – – – diese Erneuerung hat sich von der Mitte der zwanziger bis nach der| Mitte der dreißiger Jare vollzogen“. S. 244 ff. fürt dann Thomasius aus, wie die evangelische Gesinnung von selbst und unmittelbar in die kirchliche überging und dass die Herausbildung zu klarem, kirchlich-lutherischem Bewusstsein für die Meisten von der Mitte der dreißiger Jare bis in die Anfänge der vierziger fiel. In der Tat war, als Löhe auftrat, die Hauptarbeit getan; der Rationalismus war überwunden; seine Vertreter aus der älteren Zeit nahmen keine aggressive Stellung mehr ein; den wilden Wassern des Jares 1848 gegenüber stand die protestantische Geistlichkeit wie ein Mann zusammen (Thomasius a. a. O. S. 300); Karl Ludwig Roth, der Lehrer Harleß’ und Löhes, sagt in der Erinnerung an seinen Bruder, den Präsidenten Friedrich von Roth vom 23 Sept. 1856: „Aber das erkannte er, dass es seine Aufgabe sei, dafür zu sorgen, dass ein anderes wissenschaftliches und gläubiges Geschlecht von Geistlichen nachwüchse; und ungeachtet seine eigentümliche amtliche Stellung ihm keinen unmittelbaren Einfluss auf Schule und Universität zuließ, ist ihm und gleichgesinnten Freunden, unter denen Niethammer ihm am nächsten stand, dieses in der Weise gelungen, dass das geistliche Amt kaum anderswo mit solcher Redlichkeit und Treue gepflegt wird, als in der bayerischen protestantischen Kirche (Kleine Schriften II, S. 360 ff.).“ Wenn Löhe am 7. April 1849 an die Fakultät in Erlangen schrieb, „dass Irrlehrer genug in Amt und Würde stehen, auch in Dekanaten und Ämtern, werden Sie nicht leugnen“, so war dies unfraglich eine vom Eifer eingegebene Übertreibung. Und jedenfalls war gerade dies ein Ruhm des bayerischen Kirchenregiments, dass es auch früher nicht durch gewaltsame Maßregeln, durch äußere Oktroyirungen, durch Absetzungen, sondern von Innen heraus den Rationalismus zu überwinden gesucht hat. Die bayerischen Generalsynoden hatten von Anfang einen konservativen Charakter; auf der ersten im Jare 1823 herrschte noch ein moderater, aber sehr vorsichtiger und zurückhaltender Rationalismus; schon auf der zweiten im Jare 1827 ließ sich das Wehen des neuen Geistes verspüren; vom Jare 1836 an wird die positiv-kirchliche Richtung zur übergreifenden Macht; auf der Generalsynode 1844 wurde bereits die Bildung eines kirchlichen Missionsvereins| in Anregung gebracht. Den entschiedensten Fortschritt bekundete aber die Generalsynode vom Jare 1849. Höfling, der an dieser Synode selbst teilgenommen, nennt sie eine echt kirchliche, eine konfessionstreue Synode, redet von einem großartigen und herzerhebenden Bekenntnisakt in der 7. Sitzung, wo der erste Sekretär Dr. Bucher die Synode aufforderte, sie möge vor allem „ihren Verhandlungen den Stempel der kirchlichen Weihe durch das freie, offene und unumwundene Bekenntnis, dass sie auf dem Grunde unseres evangelisch-lutherischen Bekenntnisses stehe und auf nichts anderes als auf dieses Bekenntnis bauen wolle, aufdrücken“, und fast die ganze Versammlung in der freudigsten und begeistertsten Erhebung dieser Aufforderung Folge leistete (Prot. und Kirche XVII S. 213). Aber nicht bloß mit Worten bekannte die Synode, sondern auch mit der Tat, indem sie eine Reihe von Beschlüssen über Gemeindevertretung, Agende, Katechismus und Ordination fasste, welche dem kirchlichen Bewusstsein einen bestimmteren und volleren Ausdruck geben sollten. In den Zusammenhang dieser Verhältnisse trat Harleß ein, sie klärend und weiterbildend.
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 Dagegen wollte Löhe anfangs vielmehr eine völlige Umgestaltung der Landeskirche, einen Abbruch des Bestehenden, eine kirchliche Neubildung, und falls dies nicht möglich wäre, Separation. Einer seiner Schüler sagt von ihm, dass er im Jare 1848 den schönen Traum einer großen deutschen lutherischen Freikirche träumte (Ebert, Die lutherische Separation S. 15). Löhe und seine Freunde brachten an die Generalsynode vom Jare 1849 eine Petition mit 10 Punkten, an deren Spitze die Aufhebung des Summepiskopats stand und welche zuletzt die Hoffnung aussprach, dass nach geschehener Reinigung Gott seine treuen Bekenner zum Segen der im Neuen Testament gezeigten Verfassung füren werde; durch den Löheschen Gedankenkreis ging teilweise ein mehr reformirter als lutherischer Zug, sofern auf Verfassung und Kirchenzucht ein unverhältnismäßiges Gewicht gelegt wurde und für erstere, häufig wenigstens, im Gegensatz zu lutherischer Grundanschauung, eine Art göttlich gesetzliche Vorschrift angenommen wurde. Die Verfassungsfrage wurde Löhe oft zur Bekenntnisfrage. Die Generalsynode ging auf Löhes Petition soviel als nicht ein.| Es ist erklärlich, aber nie zu rechtfertigen, wie Löhe über die Beschlüsse einer Synode sich äußerte, die unter den Stürmen jener Zeit zur Freude der großen Mehrheit der kirchlich Gesinnten den positiven Grund mit Entschiedenheit festhielt und im Gegenhalte gegen frühere und gegen auswärtige Generalsynoden einen sehr bedeutenden Fortschritt bezeichnet. Der ruhige Höfling nannte die Schrift Löhes „ein einseitiges, vorurteilsvolles, höchst beklagenswertes Manifest“; er war aber gerecht genug, ihn selbst zugleich einen wegen so vieler ausgezeichneter Eigenschaften und höchst verdienstlichen Leistungen verehrungswürdigen Geistlichen zu nennen. In der ganzen tiefgehenden Bewegung handelte es sich durchaus nicht um den Gegensatz von Bekenntnistreue und Bekenntnislosigkeit oder einer kirchlich verschwommenen Richtung. Den Gegnern Löhes, die zugleich seine Freunde waren, Thomasius, Höfling, Hofmann und besonders auch dem um die lutherische Kirche hochverdienten Juristen Freiherrn von Scheurl lag alles an Warung, Festigung, Vertiefung des Bekenntnisses, Einfürung desselben in das Leben der Landeskirche; es handelte sich vielmehr um verschiedene Anschauungen über Geltendmachung des kirchlich-lutherischen Prinzips den kirchlich praktischen, den Verfassungsfragen gegenüber, es handelte sich um einen verschiedenen Begriff von Wesen und Aufgabe der Kirche, von Kirchenamt und Kirchenregiment, sofern man auf Löhes Seite häufig wenigstens geneigt war, beide letztere geradezu zu identifiziren, so dass, auch abgesehen von den tatsächlich gegebenen Neigungen zum Austritt, sich alles immer wider zu der Frage zuspitzte: Landeskirche oder Freikirche. Kaum irgendwo anders ist diese Frage so gründlich, so prinzipiell, so umfassend erörtert worden, als damals in Bayern. Das Gewicht der Persönlichkeit, um welche es sich in erster Linie handelte, hob die Bedeutung der Frage.
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 Wie weit man damals ging, zeigen namentlich zwei Schriften eines nahen Freundes Löhes, des frommen und kirchlich eifrigen Juristen Hommel, deren Anschauungen auch bei Löhe, wenngleich in etwas anderer Form und in weniger scharfer Konsequenz, immer wider auftauchten. Hommel behauptete geradezu, dass es in Bayern keine lutherische Kirche gebe weder rechtlich noch tatsächlich:| „Man hat ihnen entgegengehalten, daß ein Rechtsboden nichts helfe, wo kein wirklicher materieller Boden da sei, dass uns wenig mehr als ein papierenes Recht geblieben. Aber wie, wenn auch dieser Rechtsboden nur ein Schein, das Vertrauen darauf ein Wan, wenn er längst unter den Füßen entrückt ist? – So ist es leider! Ehe ihr an eine lutherische Kirche dachtet, ist sie unter euch zu Grabe gegangen. Sie hat ihr Erstgeburtsrecht verschlafen. Zur Zeit, da ihre Wächter und Hirten schliefen, ist ihr ihr Kleinod aus den Händen gewunden worden. Euer Bischof, des ihr euch tröstet, hat es euch entwunden! (Die wahre Gestalt der bayerischen Landeskirche, 1850 S. 5).“ Bezüglich des sogenannten Summepiskopats findet sich folgende charakteristische Äußerung: „Sollte alles Gesagte nicht hinreichen, um darzutun, dass bei uns nicht bloß tatsächlich, sondern auch rechtlich eine Union bestehe, so würde uns doch die Freude darüber durch eine andere Erwägung verkümmert, und es steht um unsere Gemeinschaft mit der lutherischen Kirche nicht viel besser. A Christo, sagt Cyprian, una ecclesia per totum mundum in multa membra divisa, item episcopatus unus, episcoporum multorum concordanti numerositate diffusus. Episcopatus unus est, cujus a singulis in solidum pars tenetur. Diese sicherlich in Einklang mit der heil. Schrift stehenden Worte lassen sich wegen Gleichheit des Grundes, weil sie von jeglicher Form des Episkopats, falls er nur ein kirchlicher ist, gesagt werden können, auch auf unsere Verhältnisse anwenden. Wer sich daher unter ein irrgläubiges oder mit irrgläubigen Bestandteilen versetztes Episkopat begibt, sondert sich damit ab von der Einigkeit der allgemeinen Kirche. Wenn sogar die Glieder der unter einem solchen Episkopat stehenden Kirche selbst der reinen Lehre nicht abgesagt haben, so machen sie sich doch fremder Sünde teilhaftig. Ja durch jede Art von kirchlicher Gemeinschaft mit solchen, welche der Lehre der Kirche widerstreben, oder mit einer irrgläubigen Kirche, macht man sich derselben Sünde schuldig. Im besten Falle befindet sich demnach die bayerische Kirche im Stande eines Schisma. Wie kann sich nun dieselbe der Einigkeit mit der allgemeinen lutherischen Kirche rühmen, wenn sie ein mit Gliedern einer irrgläubigen Kirche gemischtes oder irrgläubiges Episkopat| festhält und deswegen nicht in der Einigkeit des Episkopats steht? – Wo bleibt hier die Unversehrtheit und Echtheit der lutherischen Kirche in Bayern? Mag man sich winden und sträuben, es ist so: wir haben in Bayern keine lutherische Kirche. Es mag einem wol oder wehe tun, wir müssen diese Pille hinnehmen, vielleicht dass der Herr Gnade gibt, dass sie uns zur Genesung verhilft (S. 9 f.)“. Jede andere Kirche als die lutherische wurde als eine falsche bezeichnet; ihre Glieder waren Falschgläubige oder doch Fremdgläubige; der Segen der lutherischen Fakultät in Erlangen wurde anerkannt, aber zugleich behauptet, dass sie durch die Inkorporation in die „unirte“ Landeskirche ihren Charakter als einer eigentlich lutherischen eingebüßt habe: „nicht die Fakultät gibt der Landeskirche ihren Charakter, sondern diese teilt ihr ihren Charakter mit (Hommel, Union und die bayerische protestantische Landeskirche. 1853, S. 54)“. Die Bekenntnislosigkeit der Gesamtkirche erweist sich auch im Zusammenheiraten von Lutheranern und Reformirten oder Unirten (S. 72). Abendmalsgemeinschaft zwischen Lutheranern, Reformirten und Unirten wurde als Sünde bezeichnet (S. 97). Es gibt keine lutherische Kirche in Bayern, ist die Behauptung auch dieser Schrift, die, nachdem Harleß schon an die Spitze der bayer. Landeskirche getreten war, verfasst wurde. In Warheit ist in Bayern d. d. Rhs. nie irgendwelche eigentliche Union eingefürt worden; aus manchen Maßnahmen, die früher konfessionelle Sorglosigkeit und administrative Bequemlichkeit getroffen haben, auf eine Union mit der reformirten Kirche schließen zu wollen, wäre ebenso verfehlt, als aus einem protestantischen und katholischen Schülern gemeinsam erteilten Religionsunterricht, der im Anfang des Jarhunderts in München wirklich stattfand, oder aus der Tatsache, dass im J. 1803 Paulus in Würzburg für Protestanten und Katholiken zugleich Encyklopädie las, auf eine Union mit der katholischen Kirche zu schließen. Noch unter dem 5. April 1875 hat die Statsregierung ausgesprochen, dass in Bayern eine protestantisch-lutherische Kirche verfassungsmäßig und rechtlich existire, „indem bekanntlich in den bayerischen Gebietsteilen diesseits des Rheins weder vor noch nach dem Jare 1818 eine Union der Lutheraner und Reformirten, wie in der Pfalz und| in anderen deutschen Ländern, stattgefunden hat, sondern die betreffenden protestantischen Gebietsteile mit dem historisch hergebrachten Bekenntnisstande an die Krone Bayern übergegangen sind, und die bayerische Verfassungsurkunde und deren Beilage II zum Religionsedikt in dieser Hinsicht eine Änderung nicht herbeigefürt haben (Amtshandbuch 1883, Bd. I, S. 519)“.
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 Am meisten trat ein gewisser ungeschichtlicher Radikalismus im Gegensatz zu dem geschichtlich anknüpfenden Charakter Luthers und der deutschen Reformation in der Forderung der Aufhebung des sogenannten Summepiskopats hervor. Bei keinem Punkte walteten aber auch so große Missverständnisse, als bei diesem. Man dachte sich diese Institution fort und fort als wirkliches, als geistliches Kirchenamt, was sie nie war, nie sein konnte, am wenigsten unter den Verhältnissen in Bayern. Merkwürdigerweise hat aber in den damaligen Kämpfen keine Erinnerung daran stattgefunden. dass das fragliche Rechtsverhältnis wärend des Landtags vom Jare 1831 in der Kammer der Reichsräte die sorgfältigste, eingehendste, befriedigendste Besprechung und Zurechtstellung fand. Es handelte sich damals um eine von Roth eingebrachte, von Grupen verfasste, vom Grafen von Giech als Referenten behandelte Beschwerde wegen Verfassungsverletzung bezüglich der Zuständigkeit des Oberkonsistoriums, seiner Selbständigkeit und Unabhängigkeit in innerkirchlichen Angelegenheiten dem Ministerium gegenüber. Nach der Verfassung ist der mit der Statsgewalt verbundene oberste Episkopat und die Leitung der innern Kirchenangelegenheiten durch ein selbständiges Oberkonsistorium auszuüben. Die Beschwerde fürt nun aus, dass das Oberkonsistorium in allen Angelegenheiten, bei welchen das landesherrliche Majestätsrecht einschlage, dem Statsministerium ebenso untergeordnet sei, als die Erzbischöfe und Bischöfe der katholischen Kirche, dagegen könne von einer unbegrenzten und unbedingten Unterordnung keine Rede sein, indem hiedurch das Staatsministerium selbst zur obersten Kirchenbehörde der Protestanten erhoben und das Oberkonsistorium zum Vollzugsorgan des Ministeriums herabgesetzt würde, was aller Geschichte, allen Rechtsbegriffen und vor allem der Statsverfassung entgegen wäre. Das Verhältnis des Oberkonsistoriums| zum Ministerium des Innern sei ein änliches, wie das des obersten Gerichtshofes zum Justizministerium, jener sei diesem untergeordnet und doch selbständig und unabhängig: „Dass bei jeder Religionsgesellschaft die inneren Kirchenangelegenheiten nur durch solche geordnet und geleitet werden können, welche zu dieser Religionsgesellschaft oder Kirche gehören, ist eine Warheit, welche zugegeben werden muss, wenn man Glaubens- und Gewissensfreiheit und Unabhängigkeit in der Lehre noch gestatten will, und so wie das Bischofsamt in der katholischen Kirche nur durch Katholiken ausgeübt werden kann, so ist auch nur Protestanten zu gestatten, in der protestantischen Kirche das Bischofsamt zu verwalten“. Die Statsregierung nahm infolge dieser Beschwerde die beschwerende Verfügung zurück und die Krone versicherte unter dem 2. Juli 1831 wie früher schon unter dem 28. Oktober 1824, dass in den inneren Kirchenangelegenheiten one Mitwirkung des Oberkonsistoriums und resp. der Generalsynoden nie irgend eine Veränderung vorgenommen werden solle. Der wirkliche Zustand entspricht durchaus diesen Versicherungen. Wenn die Verfassung gewisse Reservatrechte anfürt, bezüglich deren Berichterstattung und Erholung Allerhöchster Entschließung erforderlich sei, so muss bemerkt werden, dass die protestantische Kirche hinsichtlich des Pfarrbesetzungswesens, von dem hier namentlich die Rede ist, in ihrer Befugnis der katholischen Kirche nicht nachsteht, dass die Initiative für neue organische kirchliche Einrichtungen nie von der Krone oder der Statsregierung ausgeht; dass aber solche Einrichtungen, nachdem sie alle kirchliche Instanzen durchlaufen, nur nach vorgängiger Allerhöchster Genehmigung zur Einfürung gelangen können, stellt trotz formellen Unterschieds, rein sachlich angesehen, unsere Kirche auch hierin auf gleiche Linie mit der katholischen, welche one das königliche Placet Anordnungen der Kirchengewalt nicht publizieren und vollziehen kann. Abgesehen von dem bestimmenden verfassungsmäßigen Einfluss des Oberkonsistoriums auf Besetzung der Pfarreien und Dekanate und dem tatsächlichen auf Besetzung der höheren Kirchenstellen, die des Präsidenten des Oberkonsistoriums ausgenommen, von seinem Gutachten bei Besetzung der theologischen Lehrstellen, wird keine Religionslehrerstelle an den höheren| Lehranstalten one kirchliches Einverständnis vergeben, und auch das Kirchenvermögen kann ohne ein solches nicht über seine nächsten Bestimmungen hinaus verwendet werden. Was die Anordnung besonderer Gottesdienste und Feierlichkeiten anlangt, so stehen beide Kirchen auch hierinnen einander gleich; die äußere Genehmigung und die innere Anordnung sind streng geschieden. Die statlichen und kirchlichen Kompetenzen sind überhaupt nach allen Richtungen scharf gesondert. Deswegen hat das Oberkonsistorium auch unter Billigung der Statsregierung in einer offenen Darlegung auf der Generalsynode vom Jare 1881 sich so geäußert: „Das Oberkonsistorium hat nach Einvernahme der Konsistorien und widerholter eingehendster Würdigung der Sache die Überzeugung gewonnen, dass die protestantische Landeskirche die zu ihrer freien Entwicklung nötige Selbständigkeit besitzt und dass eine Beeinträchtigung derselben nicht zu befürchten ist, dass ferner die Unabhängigkeit der Kirchenleitung in Ausübung des Summepiskopates zweifellos feststeht, dass weiter von Seite der Landesvertretung ein schädigender Einfluss auf die Gestaltung der Kirchenverfassung und auf die Ordnung der inneren Angelegenheiten der Landeskirche nicht geübt werden kann, und dass endlich das Verlangen bezüglich des Verfarens für das Zustandekommen künftiger Kirchengesetze zur Zeit unerfüllbar ist“. Dies alles nur zum Beweise, dass der sogenannte Summepiskopat in keiner Weise die freie Bewegung, den echt kirchlichen Charakter unseres Kirchenwesens beeinträchtigt; er war ihm, geschichtlich angesehen, nicht Hemnis, sondern Förderung. Hiernach dürfte doch eine Äußerung in dem trefflichen Artikel: „Kirchenregiment“ von Mejer in der theologischen Real-Enzyklopädie (Band VII, S. 796) zu berichtigen sein. (Vergl. über diese ganze Frage die sehr lehrreiche Zusammenstellung urkundlicher Aktenstücke über die Verfassung der protestantischen bayerischen Landeskirche von Oberkonsistorialrat Günther, München 1883).
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 Harleß hatte noch von Leipzig aus in Bezug auf die Löhe’sche Bewegung geschrieben: „ich halte überhaupt diese ganze Art von prickelnder Unruhe, eine neue Kirche machen zu wollen, für ein Fieberprodukt der Zeit, nicht für eine Geburt aus Gott“,| und nachdem er zum Oberkonsistorialpräsidenten in München ernannt war, schrieb er an Dekan Bachmann den bekannten Brief: „Ich danke Dir für Deinen heute empfangenen Brief aus voller Seele. Denn ob ich auch im Gewissen unverletzt gehe, tut es mir doch im Herze wehe, Sachsen lassen zu müssen. Da müssen mich Euere Freudenbriefe trösten. – Nun wol, ich komme jetzt als Euer Generalissimus. Macht mich nicht zu Schanden. Dem Zeug nach hat nie Einer eine bravere Armee hinter sich gehabt. Aber ich will den rechten Gehorsam. Wenn ich Euch gegen Gottes Wort und das Bekenntnis unserer Kirche zu ihm kommandire, macht Front gegen mich. Wenn nicht, so lasst Eure Nergeleien. Der HErr scheint noch einmal freie Ban machen zu wollen. Mehr als ich träumte, ist bereits erobert. Ja, es ist ein Wunder auch vor meinen Augen. Der HErr sei gepriesen; auf den Knieen laßt uns danken! Aber marschirt mit mir. Ich werde manchmal nicht Alles sagen können, was ich bereits vor mir sehe. Dann schenkt mir eine kleine Weile blinden Gehorsam. Wittere ich Gefahr, so werde ich nichts verschweigen. Wittert Ihr es, so sagt mir’s auch. Aber vor allem schart Euch um das alte Banner“. Ein Moment großer Schwierigkeit lag für Harleß darinnen, dass er Löhe mit den Gesinnungen des Jugendfreundes entgegenkam und das herzlichste Verlangen hatte, ihn der Landeskirche zu erhalten, dass er aber auf der anderen Seite nach seiner theologisch kirchlichen Richtung und Anschauung nicht auf Seiten Löhes, sondern auf Seite der Gegner Löhes stand. Er teilte nicht die Löhe’sche Amtslehre, sondern sagte selbst und bekräftigte es durch seine Schriften, dass er im wesentlichen Höflings Anschauung teile, wenn er sich auch nicht überall dessen Ausdrucks- und Argumentationsweise aneignen könne (Protest, und Kirche 1872, I, S. 144), er hatte im Jare 1843 in seiner zweiten Schrift gegen Döllinger, der gegen den lutherischen Charakter der bayerischen Landeskirche änliche Einwendungen erhob wie Löhe, sich im Anschluss an Spener für eine mildere Praxis in Bezug auf Zulassung der Reformirten und Unirten zum Abendmal der lutherischen Kirche ausgesprochen (die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern etc., S. 29 ff.) und den lutherischen Charakter dieser| Kirche mit aller Entschiedenheit verfochten, er war durch seine ganze Lebens- und Amtsfürung von der hohen Bedeutung und dem geschichtlichen Beruf des Landeskirchentums wie nur irgend Einer durchdrungen. So musste Harleß auch die meisten der Forderungen Löhes abweisen. Auf der anderen Seite war ihm für die wünschenswerten, von allen kirchlich Gesinnten erstrebten Reformen der Weg entschieden bereitet. Die unirte Kirche der Pfalz war von dem Oberkonsistorium in München durch Entschließung vom 11. Mai 1849 losgetrennt, der reformirte Rat im Oberkonsistorium, Dr. Rust, war bereits am 18. Oktober 1848 quieszirt worden; die Stelle sollte nicht wider besetzt werden. Geistliche der reformirten Kirche hatten sich im Sommer 1852 zu einem „Moderamen der reformirten Kirchenangelegenheiten“ konstituirt und drangen im Anschluss an Forderungen, die bereits auf der Generalsynode vom Jare 1849 gestellt worden waren, auf größere Selbständigkeit; im Oberkonsistorium hatte der weltliche Rat von Bezold, ein um unsere Kirche vielfach verdienter Mann, im Jare 1849 sich dahin ausgesprochen: „Alle protestantischen Gemeinden diesseits des Rheins sind, mit Ausnahme der wenigen kaum 1500 Seelen zälenden Reformirten, dem lutherischen Bekenntnisse zugetan; das Oberkonsistorium ist nach seiner verfassungsmäßigen Stellung und Aufgabe verpflichtet, für die Aufrechthaltung und Bewarung der Lehre nach diesem Bekenntnisse Sorge zu tragen; warum sollte es Bedenken tragen, diese Warheit und Pflicht offen auszusprechen?“
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 So war alles wol vorbereitet, als ein Erlass vom 3. März 1853 bestimmte: „Überall da, wo die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirchengemeinschaft oder das Verhältnis zu dem Bekenntnis derselben Gegenstand einer ausdrücklichen und besonderen Befragung wird, also bei der Taufe eines Erwachsenen, bei der Konfirmation und Ordination, ist statt unserer „Kirche“, unserer „evangelischen Kirche“, oder unserer „heiligen evangelischen Kirche“ mit bestimmter Benennung unsere „evangelisch-lutherische Kirche“ zu bezeichnen“. Unter dem 26. Februar 1853 hatte eine Allerhöchste Entschließung die innere Organisation der reformirten Kirche mit Synode und Moderamen geregelt. Mittlerweile sind| alle reformirten Gemeinden dem Synodalverband beigetreten. Ordination, Installation und Visitation ist dem Moderamen übertragen. Die acht reformirten Gemeinden, im ganzen ungefär 2000 Seelen umfassend, nahmen früher eine ganz exemte Stellung ein, wurden dann dem Organismus der Landeskirche einverleibt, one ihren Charakter in Lehre, Verfassung, Kultus und Sitte einzubüßen. Wenn von Haus aus lutherische Geistliche, was früher öfters vorkam, aber schon vor Harleß aufgehört hatte, an ihre Spitze gestellt wurden, geschah es doch niemals one die schriftliche Verpflichtung, nach dem Bekenntnis der reformirten Kirche lehren zu wollen. Durch Verordnung vom 5. Januar 1850 war jeder Art konfessioneller Freizügigkeit auch bezüglich der Geistlichen der Pfalz vorgebeugt worden. Die reformirten Geistlichen wälten mit den lutherischen für die Diözesan- und Generalsynoden, kamen aber bei ihrer Minorität nicht zu einer eigentlichen Vertretung. Erst in der Generalsynode vom Jare 1849 fanden sie ihre Vertretung, nachdem durch Erlaß vom 18. Oktober 1848 bestimmt worden war, „dass sämtliche reformirte Pfarrgemeinden einen geistlichen und weltlichen Abgeordneten wälen sollten, falls sie bezüglich der sie mitbetreffenden Angelegenheiten an der Generalsynode teilnehmen wollten“. Es war dadurch klar genug der wesentlich lutherische Charakter schon der damaligen Generalsynode bezeichnet worden. Durch die angedeuteten Vorgänge und Erlasse war die Landeskirche nunmehr ein in sich abgeschlossener, selbständiger lutherischer Kirchenkörper geworden. Aber auch die reformirte Kirche hatte ihre innere Selbständigkeit erhalten, wenn sie gleich dem lutherischen Oberkonsistorium formell untergeordnet blieb. Die reformirte Kirche ist mit diesem Verhältnis vollkommen zufrieden; „wir können uns keinen bessern Zustand wünschen“, sagt D. Ebrard; er bezeichnet es als ein Glück, daß die reformirten Gemeinden durch die Einverleibung Frankens in Bayern von dem Wirrsal der Union befreit geblieben sind: „Die Ware Union haben wir; d. h. wir leben mit unsern lieben Brüdern Augsburgischer Konfession in brüderlicher Eintracht, und gerade darum in Eintracht, weil jede der beiden Konfessionen in ihrem eigenen Hause Herr ist und in den ihr teueren Lehren und Bräuchen nicht| gestört wird (Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth, S. 138 ff.)“.
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 Ein damit zusammenhängendes weiteres Verdienst Harleß’ ist es, dass er Löhe der Landeskirche erhalten hat. Bei aller theologisch kirchlichen Verschiedenheit bestand zwischen beiden Männern eine tiefe, innere Sympathie. Wie man über Löhe im einzelnen urteilen mag, er war eine außerordentliche Persönlichkeit; an genialer Anlage, an charismatischer Begabung ist ihm in diesem Jarhundert wol kein Mann der kirchlichen Tat gleichgekommen. Der zweite Band seiner Biographie macht aber wol auf jeden Unbefangenen den Eindruck, dass ein hoher, edler Geist längere Zeit seine ungewönlichen Kräfte in oft kleinlichen Kämpfen, in Unruhe und Selbstqual zu verzehren Gefar lief. Von dem Drucke, der damals auf Löhe lag, hat, menschlich geredet, Harleß ihn mehr und mehr befreit. Dass der bedeutendste lutherische Theologe an die Spitze einer Landeskirche berufen wurde, war eine unmittelbare Hebung des landeskirchlichen Prinzips. Ein neuer, frischer, ein lebendiger kirchlicher Geist zog zudem mit Harleß in das Kirchenregiment ein. In verschiedenen Verbesserungen gab dieser neue Geist sich kund. Dagegen konnte auch Löhe sich nicht verschließen. Er musste, er konnte in ein anderes Verhältnis zur Landeskirche treten, obwol die meisten seiner Forderungen nicht erfüllt und namentlich die Frage, um derentwillen es fast zum Bruche gekommen wäre, durchaus nicht in seinem Sinne erledigt wurde. In Bezug auf Abendmalsgemeinschaft wurde manches geordnet, aber für die Diasporagemeinden, in erster Linie für die evangelische Gemeinde Münchens, hat Harleß nie eine Änderung erstrebt oder beantragt. Wäre Löhe ausgetreten, so hätte sich Guerickes Behauptung auf der Leipziger Konferenz im Jare 1849, dass „jeder Austritt aus irgend einer Landeskirche jedesmal ein Unglück sei“, doppelt und dreifach bewarheitet, vor allem an Löhe selbst. Nur wenige wären ihm gefolgt; Löhes Anhänger in den Gemeinden wollten im ganzen keine Separation. Der bedeutendste und selbständigste unter den älteren Freunden Löhes, der als volkstümlicher Prediger und| Schriftsteller auch in weiteren Kreisen bekannte Pfarrer Wucherer schrieb in ruhigeren Zeiten, die Bildung einer Freikirche wäre auch früher schlecht genug gegangen, und „Gott hat uns vor großem Jammer und Schaden behütet“. Harleß war das Werkzeug zur Abwendung dieses Schadens. Löhe sammelte sich, mehr und mehr innerlich beruhigt, für seine großartigen Schöpfungen auf dem Gebiete der barmherzigen Liebe zum größten Segen der Landeskirche, die ihm nach dieser Richtung eine gewaltige, folgenreichste Initiative verdankt. Harleß hat Löhes schöpferischem Geiste Raum geschaffen und den Boden ihm bereitet. Harleß hat die Löhe’sche Bewegung in das richtige Geleise gebracht und diese war mittelbar und unmittelbar ein lebendig mitwirkender Faktor für die von Harleß zu lösende Aufgabe.
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 Die Opposition Löhes gegen die Landeskirche fand ihren Widerhall in der Opposition der nach Amerika gesendeten Schüler Löhes gegen ihn selbst. Es ist schwer, über letztere ein Urteil zu fällen, weil nicht leicht in kirchlichen Fragen christlicher Sinn und natürliche Pietät so auffallend verleugnet wurden, als hier. Löhe schrieb, als es mit den Missouriern zum vollsten Bruche gekommen war, einen Brief, der an großartiger, fast möchte man sagen apostolischer Fassung seines Gleichen sucht. Als Löhe starb, waren es unter anderem zwei Männer des Kirchenregiments, die den ungewönlichen Mann rühmten und ihm Denkmale zu setzen suchten. Vor allem tat es Harleß in vollster Anerkennung seiner hohen Bedeutung (in Prot. und Kirche, 1872, I, S. 133 ff.). Dagegen lese man in Hochstetters Geschichte der Missourisynode, wie jetzt noch in Amerika vielfach über Löhe geurteilt wird; in jenem Werke ist vom Rückgange Löhes im Bekenntnis, von seiner zweideutigen Stellung, welche schließlich auf Unionisterei hinauslief, die Rede; die nähere Schilderung Löhes beginnt mit den Worten: „Pfarrer Löhe war nämlich nicht bloß in ein vielgeschäftiges Werkwesen verfallen, wobei er sich die römischen Diakonisseninstitute und Krankenhäuser zum Muster nahm, auch in einer Art letzten Ölung, die er an Kranken vollzog, ein kirchliches Institut sehen wollte etc. (S. 283 ff.)“. Hier liegt ein lehrreicher| Unterschied in landeskirchlicher und freikirchlicher Würdigung kirchlicher Bewegungen und Persönlichkeiten zutage[1].
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|  Das dritte Verdienst Harleß’ war, dass er langjärige dringende Forderungen der Landeskirche zum endlichen Abschluss brachte. Die| Generalsynode vom Jare 1853, die erste, die Harleß leitete, musste ihm hiezu zum Mittel dienen. Ein noch nicht dagewesener Geist der Einmütigkeit und Hingebung waltete auf dieser Synode. Harleß gewann alle durch sein männlich festes Auftreten und sein persönliches Entgegenkommen. Ein Teilnehmer äußert sich: „Das wissen wir, dass Männer, die ihr kirchliches Bekenntnis um keinen Preis aufgeben würden, am Schlusse dieser Synode die Freudentränen in den Augen hatten und Gott dankten, dass er ihnen die Gnade habe zu teil werden lassen, an solchem Werke mitzuarbeiten. „„Eine solche Generalsynode haben wir noch nicht gehabt““, das war der Eindruck, den diejenigen empfanden, welche schon einer Reihe von Generalsynoden beigewont hatten (Prot. und Kirche, 1854, I, S. 42)“. Harleß hatte die Synode mit einer trefflichen Predigt selbst eröffnet. In der Ansprache äußerte er sich: „Es ist nicht das erste Mal, dass eine vereinigte Generalsynode diesseits des Rheins zusammentritt. Aber die diesjärige Generalsynode ist die erste ungeteilten evangelisch-lutherischen Bekenntnisses. Das ist ein Zeichen von nicht geringer Bedeutung. Es ist ein Zeichen, dass die Kirche, welche von Menschen die evangelisch-lutherische genannt und anderwärts in mancher Weise gedrückt und verkümmert wird, in diesem Lande – Dank sei es ihrem höchsten, unsichtbaren, wie ihrem sichtbaren höchsten Schirmherrn – eine Freistätte und Raum zur Entfaltung ihrer inneren Kräfte hat. Dies ist eine Warheit und sie wird es immer mehr werden. Zum andern hat unser Zusammentritt auf Grund unseres kirchlichen Bekenntnisses nicht geringe Bedeutung im Blick auf die Bewegungen der Zeit. Was wir den Grund und Boden nennen dürfen, auf welchem wir stehen, erscheint Anderen als eine Höhe, zu der sie erst empor klimmen müssen und es zwar vielfach, aber mit sehr zweifelhaftem Anlauf und Erfolg zu tun versuchen. Wir| aber haben, was andere erst begehren. In dieser unserer Stellung liegt zugleich eine große und ernste Manung an uns selbst. Gott der Herr lenke unsere Herzen und gebe seinen Segen, dass wir uns erweisen als echte Söne der Reformation, nicht in toter äußerer Nachamung, sondern im Geist und in der Warheit!“. Er fügte die Bitte bei, in keiner Weise durch allzubereite Billigung und Anerkennung etwa gutzuheißen, was später als unhaltbar erkannt werden könnte. Alle Mitglieder gelobten, das Wol der evangelisch-lutherischen Kirche auf Grund des bestehenden Bekenntnisses gewissenhaft zu fördern. Nach fast dreißigjärigen erfolglosen Versuchen sollte vor allem die Sache des Gesangbuchs, der Gottesdienstordnung und Agende in’s Reine gebracht werden. Es war ein ergreifender Augenblick, als nach dem ungemein gediegenen und umsichtigen Referat Burgers über die langverschleppte Gesangbuchssache und einer eingehenden Ansprache des Dirigenten sämtliche 18 Ausschussanträge one alle Diskussion mittels allgemeiner Erhebung von den Sitzen einstimmig angenommen wurden. Hierauf rief der Dirigent aus: wenn sie das tun, gelobt sei Gott! Der Abgeordnete der theologischen Fakultät, Thomasius, gab den Gefülen, welche aller Herzen bewegten, den entsprechenden Ausdruck und schloss mit den Worten: der Herr hat’s getan, Ihm sei Lob, Preis und Ehre! Amen, in welches Amen die ganze Versammlung einstimmte. Die Sitzung wurde mit dem Gesang: Nun danket alle Gott, geschlossen. Bezüglich der Gottesdienstordnung äußerte Harleß: „glauben Sie nicht, dass das Kirchenregiment oder ich nur entfernt daran dächte, in einer so heiligen Sache mit plumper Gewalt vorzuschreiten und hiemit das, was dem Volke lieb werden soll, demselben von vorne herein zu verleiden“. Der Referent Thomasius bemerkte unter anderem: „wir machen uns keine Illusionen, wir meinen nicht, dass von irgend einer äußeren Ordnung aus die Widergeburt der Kirche hervorgehen werde; das muss das Wort des Herrn tun, welches die Verheißung hat, dass es nicht leer zurückkommen soll, und der in diesem Worte sich bezeugende Geist, der ein Geist des Lebens ist“. Es wurde auch diese Sache in echt evangelischem Geiste behandelt. Der weltliche Kommissär, der entschieden kirchlich gesinnte Freiherr von| Rotenhan, schloß mit den Worten: „Gott sei gelobt, es war ein reich gesegnetes Werk! Woran viele Generalsynoden umsonst gearbeitet, Sie haben es in schöner Eintracht, in erfreulichem Vertrauen zu dem Kirchenregimente glücklich aufgebaut. Keine Generalsynode hatte solche Ergebnisse aufzuweisen, aber auch in keiner zeigte sich ein solches bekenntnistreues Zusammenwirken, in keiner eine so warhaft erhebende Einigkeit zwischen Dirigenten und Synodalen. Wo sich dieses in solchem Grade findet, da muss des Herrn Kirche schön erblühen und ihr Segen sich immer reicher entfalten“. Harleß sprach tiefbewegt: „Sie haben mich mit Beweisen von Liebe und Vertrauen überschüttet, die ich nicht erwartet hatte und deren ich nicht wert bin. Aber ich nehme sie hin als Gabe und Geschenk meines gnädigen Gottes, gereicht one Verdienst und Würdigkeit. Ja ich nehme sie hin, als hätten sie gar nicht mir gegolten. Denn in der Tat sie gelten dem Herrn, der uns zusammengefürt hat und dem gemeinsamen Dienst an unserer Kirche. Und warlich, der Dienst, den Sie hiemit geleistet haben, ist größer, als sich jetzt ermessen lässt, und wird seine Früchte, so Gott Gnade gibt, erst recht in späteren Zeiten bringen. So nehmen Sie denn meinen innigen Dank hin und Gottes Segen begleite Sie zurück in Haus und Amt! Geeinigt auf festem Grunde, scheiden wir nicht. Ja lassen Sie uns immer fester zusammenwachsen in dem Herrn, der unser einiges Haupt und seines Leibes Heiland ist, mit ihm und in seinem Namen streiten und kämpfen, so lange er uns Kampf und Streit auferlegt, in seinem Geist und nach seinem Urbild Geduld und Barmherzigkeit üben, wie er gegen uns geduldig und barmherzig ist, auf dass wir auch mit ihm und in seiner Kraft den Sieg behalten zu seines Namens Ehre und zu seines Reiches Mehrung. Mit Gott wollen wir Taten tun; Er wird unsere Feinde untertreten! Amen“. Der ehrwürdige Bomhard rief ihm zu: „Gesegnet sei der Tag, der Sie, den schmerzlich Vermissten und Ersehnten, wieder in Ihr und unser Vaterland zurückgefürt und durch die Gnade des Königs aller Könige an die Spitze unseres Kirchenregimentes gestellt hat! Gesegnet Ihr Entschluss, die Leitung dieser Generalsynode in eigener Person zu übernehmen und so die Seele unserer Beratungen zu werden“.
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|  Nur ein Misston wollte in die seltene Harmonie der Synode dringen, konnte aber diese gleichwol nicht stören; eine mit vielen Unterschriften bedeckte Eingabe aus dem Löhe’schen Kreise, Warung des Bekenntnisses und Einfürung desselben in sein Recht innerhalb der lutherischen Kirche betreffend, kam zur Verhandlung. Löhe hatte sie nicht verfasst, aber unterschrieben; hätte er sie verfasst, so würde sie wol nicht einen Ton angeschlagen haben, der an jene Kundgebungen erinnert, welche einst fast zum Bruche gefürt haben. Es wurden zwar einige Verbesserungen zugestanden, aber zugleich behauptet, dass die meisten der Beschwerden vom Jare 1849 noch fortbestehen. Unter Berufung auf Art. 28 der Augsburger Konfession wurde das Fortbestehen des Summepiskopats beklagt und Hommel ausdrücklich gegen Scheurl Recht gegeben. Dies geschah, nachdem der König kraft seiner Vollmacht Harleß an die Spitze der Kirche berufen und dadurch Löhe und seinen Freunden das Verbleiben in ihr ermöglicht hatte. Ganz besonders wird aber gegen die „unirten Mischgemeinden“ zu Felde gezogen, d. h. gegen die in Lehre, Ritus, Sakramentsverwaltung lutherischen Gemeinden der Diaspora, denen auch einzelne Reformirte und Unirte sich anschließen. Geistliche, welche solchen Gemeinden vorstehen, wurden für unlutherisch erklärt. Alle Abendmalsgemeinschaft mit jenen soll aufgehoben und strenge, ja bei Verlust des Amts und bei Exkommunikation verboten werden. Die Abendmalsfrage wird weitaus als die wichtigste der Zeit bezeichnet. In 9, in diesem Sinne gehaltenen Punkten gipfelt die Eingabe. Harleß erwiderte, dass es ihn zunächst freue, dass die Antragsteller die Existenz einer lutherischen Kirche in Bayern anerkennen, da man ja mit vielen Künsten das Gegenteil zu beweisen gesucht habe. Dann fügte er aber bei: „Warlich meine Herren, ich darf Ihnen versichern, dass die Warung dieses Bekenntnisses dem Kirchenregimente eine Herzensangelegenheit ist. Indem ich das mit gutem Gewissen vor Gott und den Menschen versichere, beklage ich dennoch an diesem Antrage die Art, in welcher man die Unterschriften überall und an allen Enden, unter allerlei Volk, Verständigen und Nichtverständigen, sammelt und dass in solcher Weise zusammengebrachte Anträge an das Kirchenregiment und an die hohe Generalsynode| gebracht werden. Von der Motivirung will ich nicht reden; aber nicht one Hinblick auf dieselbe muss ich sagen, wenn man ein Haus oder eine Kirche reinigen will, so muss man nicht allen Unrat, der noch darinnen ist. herausfaren und damit die Wände bestreichen, dass es jeder sieht und sagt: „„so sieht dieses Haus, diese Kirche aus““. So reinigt man nicht die Kirche, man verunehrt nur die Kirche vor Freund und Feind. Auf der anderen Seite aber erregen solche Anträge, zu denen man überall die Unterschriften sammelt, in Köpfen und Herzen derer, die nicht einmal im Stande sind, die Verhältnisse zu kennen, beständige Unruhe, Unzufriedenheit und Ungewissheit über das, was man wirklich schon hat, das aber fürt zu nichts Gutem“. Er glaube die Meinung aller Wolgesinnten getroffen zu haben, dass jetzt die Zeiten der Sturm- und Drang-Petitionen vorüber sei. Die Versammlung stimmte dem zu. Das Kirchenregiment erwiderte diese Kundgebung damit, dass es keinen der neun Punkte berücksichtigte, wol aber der verhältnismäßig großen Diaspora bis herein in die Gegenwart stets neue Sorgfalt zuwendete. Ein besonderer Segen ruhte auf mehreren dieser neugegründeten Gemeinden, vor allem der größten unter ihnen, der evangelischen Gemeinde in München, an Reichtum geistiger und geistlicher Kräfte mit den bedeutendsten großstädtischen Gemeinden Deutschlands wetteifernd, deren ältestes, im Dezember 1799 angefangenes Kirchenbuch die Inschrift trägt: „Kirchenbuch der evangelisch-lutherischen Hofgemeinde zu München“, und die, was Lehre und Gottesdienst betrifft, ihren lutherischen Charakter nach allen Richtungen bis zu der vollständigen lutherischen Abendmalsliturgie kundgibt. Löhe selbst wurde im Verlaufe der Zeit in diesem Stück milder und hat diese größere Milde in charakteristischster Weise kundgegeben, als er nach mehr als einem Jarzehnt eine Diakonissenzweiganstalt in München gründete. Auf der Generalsynode vom Jare 1881 hat auch von Zezschwitz für eine mildere Praxis innerhalb der Diasporagemeinden sich ausgesprochen. Die alte Voraussetzung der strengsten Praxis, wornach selbst ein Paul Gerhardt sich äußerte: „ich kann die Calvinisten qua tales nicht für Christen halten“, wird im 19. Jarhundert doch wol niemand mehr teilen. Beachtenswert ist| aber, dass, wie aus den Mitteilungen Tholucks (Deutsche Zeitschrift für christliche Wissenschaft und christliches Leben 1852, S. 37 ff. 124 ff.) zu ersehen, auch im Zeitalter strengster Orthodoxie hie und da freiere Anschauungen und eine freiere Praxis walteten. Ganz unverständlich bleibt, wenn selbst Löhe für die strengste Praxis auf Schriftstellen wie Röm. 16, 17; 1 Tim. 6, 3 ff.; 2 Joh. 10 ff. (Löhes Leben II, S. 387) oder auch Tit. 3, 10 sich berief. Daß übrigens in Bayern eine grundsätzliche Abendmalsgemeinschaft zwischen den evangelischen Konfessionen nicht vorhanden ist, versteht sich bei dem gesonderten Bestehen einer lutherischen und reformirten Kirche von selbst und ist in dem denkwürdigen Oberkonsistorialerlass vom 19. September 1861, der noch unter dem Präsidenten von Arnold ausging, bereits ausgesprochen worden.
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 Harleß’ kirchenregimentlicher Weg fürte nun freilich über einen großen, wehereichen Umweg. Der Vollzug der Beschlüsse der Generalsynode stieß auf einen Widerstand, der die ganze Landeskirche in eine noch nicht dagewesene Erregung brachte. Das Oberkonsistorium hatte sich vor allem über den Stand der Gemeinden getäuscht. In diesen war die rationalistische Anschauung noch von großer Macht; so lief im Frühjar 1848 die Petition einer städtischen Gemeinde in München ein, worin um die Besetzung der Präsidentenstelle „durch einen duldsamen Verehrer Christi, der die vernunftgemäße Auffassung des Christentums nicht ferner verfolgt“, gebeten wird; die in jenem Jare entbundenen Kräfte wirkten nach; die auf politischem Gebiete niedergeschlagene Strömung suchte einen Ausweg auf dem kirchlichen. Die kirchliche Restauration war im allgemeinen im Recht; sie hatte sich jedoch zu hüten vor dem Scheine zu nahen Zusammenhangs mit der politischen Reaktion. Für Bayern kam aber noch ein besonderer Maner zur Vorsicht hinzu. Der ernste Roth hatte in der Sitzung des Reichsrats vom 23. März 1846 in gewontem Freimut von der weit verbreiteten Einbildung gesprochen, man wolle das protestantische Volk zur katholischen Kirche hinüberziehen. In einer Rede auf der Generalsynode des Jares 1853 sprach Harleß ebenso davon, dass ihm von allen Seiten in Bezug auf die vorgelegte Gottesdienstordnung| das besorgliche Gerücht zu Oren komme, er wolle die Gemeinden katholisch machen. Wir können mit unserer schon vor dreißig Jaren gehegten Überzeugung nicht zurückhalten, dass bei den kirchlichen Einfürungen im Jare 1856 von Seiten des Kirchenregiments große Fehler begangen wurden. Es ist ja gewiss, dass auch radikale Unkirchlichkeit sich der damaligen Bewegung bemächtigte; aber auch ernste Freunde der Kirche waren mit den Maßnahmen des Oberkonsistoriums nicht einverstanden; der entschieden christliche Schulmann Kaspar Mezger, den der Minister von Zwehl um sein Gutachten angegangen, nannte sie einen Missgriff, so sehr er sonst die Bestrebungen des Oberkonsistoriums anerkannte und ihm die Agitation gegen dasselbe im Innersten missfiel (Schulrat Dr. G. C. Mezger, Leben und Wirken eines evangelischen Schulmannes von Dr. Georg Mezger S. 163 ff.). Ein jedenfalls zu gesetzlich restaurativer Zug, in der ganzen Zeit liegend, machte sich auch in dem Oberkonsistorium in München geltend, so ausgezeichnete Männer auch seine Mitglieder waren. Für Harleß war es ein großes Unglück, dass Höfling, der mit ihm in das Oberkonsistorium berufen worden war, schon nach wenigen Monaten eines plötzlichen Todes starb. Es ist wol anzunehmen, dass Höfling bei seiner großen Geistesschärfe, bei seinem feinen Sensorium für das praktisch Mögliche und Ersprießliche die beklagenswerte Wendung, welche die kirchlichen Dinge nahmen, verhütet hätte. Eine vollkommene Übereinstimmung bezüglich der fraglichen Erlasse waltete in dem Kollegium nicht.
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 Unbedingt müssen die bedeutenden Errungenschaften anerkannt werden, welche die Kirche dem damaligen Regiment verdankt. Das bayerische Gesangbuch, schon am 1. Februar 1854 genehmigt, für dessen Zustandekommen und endgültige Redaktion Burger – damals Dekan in München, seit 1855 Oberkonsistorialrat, als solcher one Zweifel der bedeutendste geistliche Rat seit Niethammer – und Harleß sich das meiste Verdienst erworben, war das erste neuere, im streng kirchlichen Stil gehaltene Gesangbuch; Kurtz erklärte es früher für das unstreitig beste unter allen landeskirchlichen Gesangbüchern (Lehrbuch der Kirchengeschichte, 5. Auflage, S. 655); eine bedeutende lutherische Landeskirche| war nahe daran, es one weiteres sich anzueignen. Es wird auch in lutherischen Gemeinden Nordamerikas, der Kapstadt, Oberösterreichs etc. gottesdienstlich gebraucht. Eine Frist von drei Jaren wurde für die Einfürung bestimmt, die längst allgemein stattgefunden hat. Man durfte sich übrigens nicht wundern, wenn das neue Gesangbuch bei aller hohen Freude der kirchlich Gesinnten an ihm auch seine Gegner fand und namentlich die Städter bei seiner teilweise starken Altertümlichkeit, die wir übrigens nicht tadeln wollen, sich erst an dasselbe gewönen mussten.
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 Um so vorsichtiger hätte man mit Einfürung der Liturgie zu Werke gehen sollen. Auch die neue Gottesdienstordnung, von Höfling verfasst, ist ein vortreffliches Werk, aus gründlichsten Studien herausgeboren. Obwol sie schon unter dem 3. März 1853, aber fakultativ im weitesten Sinne des Wortes hinausgegeben, am 20. Juni 1854 nach Beratung der Generalsynode genehmigt worden war, waren Geistliche und Gemeinden im ganzen durchaus nicht vorbereitet, als durch Verfügung vom 1. Juni 1856 bestimmt wurde, „dass dieselbe nicht mehr als fakultativ, sondern als definitiv zu betrachten und dass demnach deren Einfürung nicht in das Belieben oder in die willkürliche Entscheidung der Geistlichen und Gemeinden gestellt sei, sondern dieselbe nunmehr überall zu geschehen habe“. Man muss zugeben, dass dies Vorgehen mit den Äußerungen Harleß’ auf der Generalsynode, mit der Intention der Beschlüsse derselben und der genehmigenden Allerhöchsten Entschließung nicht ganz stimmte. One Frage war die Art der Einfürung der Liturgie in erster Linie der Grund der oppositionellen Bewegung, welche nunmehr die Landeskirche ergriff. Löhe selbst, der unter den Geistlichen am meisten für liturgische Gewönung und Erziehung seiner Gemeinde getan hatte, missbilligte dies Verfaren, wie er sich überhaupt mit der Fassung der verschiedenen Erlasse nicht einverstanden erklärte. Wäre ruhig, langsam, echt geistlich und seelsorgerlich in Darbietung der Liturgie allenthalben verfaren worden, die ganze Landeskirche wäre schon längst im Besitz derselben, wärend der Schein angewendeten Zwanges, die vielfach äußerlich bureaukratische Weise, mit der die| Sache betrieben wurde, auf lange hinaus manche Gemeinden und ganze Gegenden gegen sie verstimmte. Gewiss hat manche der Inhalt der Liturgie abgestoßen, die Massen waren befremdet durch „die katholisirende Form“. Übrigens ist die Mehrzal der Gemeinden gegenwärtig gleichwol im Besitz derselben. Nächst der Liturgie beunruhigte die Gemüter am meisten der Erlass vom 6. Juli 1856 bezüglich der Ordnung des Beichtstuls. Dieser Erlass knüpfte wol an einen Wunsch der Generalsynode an, gab aber Anordnungen oder Ratschläge in eigener Vollmacht; er empfahl die Pflege der Privatbeichte, wo sie besteht, und fügte bei: „so lange sie noch nicht besteht“ etc.; dies konnte kaum anders verstanden werden, als dass man an förmliche Einfürung der Privatbeichte denke. Man verwechselte dann Privatbeichte und Orenbeichte, und der alte Argwon loderte in hellen Flammen auf. Am unverfänglichsten waren im Grunde die Erlasse über Kirchenzucht und Sicherstellung des geistlichen Amts gegen ungebürliche Zumutungen; sie hatten wenig positiven Inhalt; Aufstellungen, die sachlich etwa nicht zu billigen waren, hatten zugleich ihre stark begrenzenden Kautelen. Hier schreckte, im Zusammenhang mit den übrigen Erlassen, am meisten der Name, wärend der Erlass bezüglich der Anmeldung der Verlobten nur Ratschläge enthielt, die aber teilweise über das richtige Maß hinausgingen. Innerhalb der Frist vom 2. bis 9. Juli 1856 sind 5 Erlasse weittragendsten Inhalts hinausgegangen; auch die Eile der Einfürung war zu groß. Das Schlimmste war aber, dass weder im Verhältnis nach unten noch nach oben ganz regelrecht, in unantastbarer Korrektheit verfaren worden ist.
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 Unter dem 5. November 1856 erging von Nürnberg aus eine Protestadresse an die Krone, ein Rekurs gegen vermeinten Missbrauch der geistlichen Gewalt, der nach der Verfassung erlaubt ist. Und nun erfolgten von allen Seiten, von Stadt- und Landgemeinden Remonstrationen gegen die verschiedenen Erlasse. Die Presse behandelte die Sache durchweg im oppositionellen Sinne, vielfach trat auch die Beamtenwelt gegnerisch aus. Aber auch die Freunde des Oberkonsistoriums regten sich, und die Geistlichen hielten trotz aller Unbilden, die sie erfuren, treu zu ihrem Kirchenregimente,| wenn man auch nicht mit allen Schritten desselben einverstanden war.
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 Es war eine traurige, schwere Zeit, für niemand schwerer als für Harleß. Über keinen Kirchenmann ist in diesem Jarhundert eine gleich erschütternde Erfarung gekommen. Im April 1845 hatte Harleß in einem Briefe an den damaligen Kronprinzen geklagt, dass er zum Schibbolet der protestantischen Volksleidenschaft geworden sei, er war dies wider geworden, nur im entgegengesetzten Sinn; damals wurde er gepriesen als Anwalt protestantischer Volksinteressen, jetzt verurteilt als Hort kirchlicher und politischer Reaktion. Nach oben und unten war Harleß’ Lage eine unsäglich schwierige. Und doch trugen in dieser schweren Krisis die feste Organisation, die guten Kräfte der Landeskirche den Sieg davon, es kam schlechterdings nicht zu einem System-, auch nicht zu einem Personalwechsel. Der König äußerte sich in einem Handschreiben gegen Harleß in edler und gerechter Weise, die Statsregierimg traf das Richtige in Erwiderung der Nürnberger Adresse. Zu einem leisen Rückzug war das Kirchenregiment allerdings genötigt, er geschah aber in würdiger Weise mit Festhalten aller wesentlichen Errungenschaften. Die wider getrennten Generalsynoden vom Jare 1857 erteilten Harleß ein glänzendes Vertrauensvotum. Noch mitten in der Bewegung wurden für Übung echt evangelischer Kirchenzucht geeignete Normen festgesetzt. Man gab die Sache nicht auf, man gewönte sich aber an ein mehr geistliches, mehr evangelisches, auf die wirklichen Verhältnisse gestütztes kirchenpädagogisches, die Gemeinden selbst zu freier Entscheidung aufforderndes Verfaren. Schon in seiner Ansprache an die Gemeinden vom 8. November 1856 hat Harleß die richtigen Grundsätze zum Ausdruck gebracht. Der banale Vorwurf hierarchischen Geistes trifft Harleß nicht. In der trefflichen Abhandlung „Kirche und Kirchenthum“ sagt er, dass gewisse Einrichtungen als Ordnungsmittel nur so lange und so weit gelten können, als sie sich als mitdienende Trägerinnen der alleinigen Gnadenherrschaft Christi in Wort und Sakrament erweisen; wo nicht, so wird abermals wie auf den vorreformatorischen Irrwegen aus dem Volk des Evangeliums ein Volk des Gesetzes“| (das Verhältnis des Christentums zu Kultur- und Lebensfragen, 2. Aufl., Erlangen 1866, S. 161). Andererseits hat Harleß in derselben Abhandlung das ganz Richtige zur Würdigung jener Bewegung angedeutet. Er erinnert dort an die tatsächlich stattgefundene Vermischung politischer und kirchlicher Bestrebungen, welche viel Unheil angestiftet, leitet daraus die Notwendigkeit großer Vorsicht bei allen kirchenregimentlichen Maßnahmen ab und fügt dann bei: „So mag man sich denn nicht wundern, oder wenigstens nicht one an die eigene Brust zu schlagen, Steine aufheben, wenn politischer Argwon jetzt auch rein religiöse und kirchliche Bestrebungen vergiftet und kirchlichen Behörden oft zum Hindernis wird, anzubanen und durchzufüren, wobei sie selbst nicht den geringsten verkehrten Nebengedanken haben“.

 Wir meinen, dass auch Kurtz (a. a. O. 9. Auflage, S. 162 f.) die fragliche Bewegung nach ihrem Ausgang nicht ganz richtig beurteilt hat; charakteristisch für den Geist mancher Freikirche ist es aber, wenn Brunn in der Schrift: „Sind unsere deutschen Landeskirchen noch wirklich evangelische oder lutherische Kirchen?“ S. 19 f. schreibt: „Auch in Bayern siegte der Unglaube, das Kirchenregiment musste seine Erlasse zurücknehmen. O welch gesegnete Folgen hätte es one Zweifel gehabt, wenn Harleß sich damals nicht in die halbirte Stellung hätte drängen lassen, in der man dem Unglauben auf kirchlichen Boden Raum gibt, ihn duldet und sich dabei begnügt, vom Glauben so viel zu retten und zu erhalten, als man nach Umständen kann, sondern wenn von Harleß keinen Finger breit nachgegeben, lieber sein Amt niedergelegt und damit eine Bekenntnistat vollbracht hätte, die die Welt überwunden hätte! So ist damals die Sache des kirchlichen Bekenntnisses in Bayern verraten und die Kirchenpolitik, die es mit keiner Partei will zum Bruch kommen lassen, auf das Panier der Kirche geschrieben worden.“ Man kann nicht verkehrter und unbemessener urteilen, als hier geschieht.

 Das ist allerdings gewiss, dass als Niederschlag der ganzen Bewegung ein tiefes Misstrauen nicht bloß gegen Harleß’ Person, sondern auch gegen die von ihm und den kirchlichen Organen überhaupt vertretene Richtung auf lange Zeit geblieben ist und dass| dieses Misstrauen lämend auf die kirchliche Tätigkeit, niederdrückend und verstimmend auf die Geistlichen gewirkt hat. Unrichtig aber ist, wenn der Verfasser „der einsamen Wege“ unter Mitteilung von Anekdoten schreibt: „Der Liberalismus warf die Arbeit der Behörde im Sturm über den Haufen (S. 392)“. Es ist einzelnes gefallen oder eigentlich nur zurückgestellt worden, und zwar nur solches, was nach unserer Überzeugung wenig Wert und nur ein zweifelhaftes Recht hatte. In Warheit ist unter Harleß das kirchlich lutherische Prinzip mehr und mehr im evangelischen Sinn und Geist nach allen Seiten zur Ausgestaltung gekommen, Dr. Böckh, im Oberkonsistorium der Erbe der liturgischen Studien und Intentionen Höflings, hat den „Agendenkern“ verfasst, der wärend der Bewegung vom Jare 1856 hart genug angegriffen wurde, sich aber immer mehr Ban brach und dann nach vielen Umarbeitungen und gepflogenen Beratungen im Jare 1879 definitiv in die „Agende für die evangelische lutherische Kirche in Bayern“ überging – nach gewichtigen liturgischen Autoritäten eine der trefflichsten Agenden Deutschlands. Auch die Katechismussache fand nach vielen Verhandlungen die erwünschteste Erledigung. Zwei Katechismuserklärungen, die eine mehr nach der älteren, die andere nach der neueren Methode verfasst, gelangten zur Einfürung. Die zweite: „Dr. Martin Luthers kleiner Katechismus mit erklärenden Fragen und Antworten von D. Buchrucker“, wird von Harnack (Katechetik I, S. 104) zu den besten praktischen Arbeiten unserer Zeit gerechnet; von Zezschwitz urteilt über sie (Die Christenlehre im Zusammenhang I, S. 5): „Einzelne Meisterarbeiten auch nach methodischer Anlage liegen vor; wenn auch die wenigsten gleiche Meisterschaft in Maß und Wal des Stoffes, wie in knapper Präzision des Ausdrucks bewären, wie Buchrucker“. Sie ist bereits in 42 Auflagen verbreitet, hat in der bayerischen Landeskirche freudigste Aufnahme gefunden, wird aber auch weit über Bayern hinaus, besonders in Österreich und Rußland, immer mehr gebraucht. Hofmanns Theologie hat zu diesem und noch zu einem anderen Werke den Anstoß gegeben. Von Hofmanns heilsgeschichtlichen Grundanschauungen aus verfasste Buchrucker auch eine treffliche „biblische Geschichte, nach ihrem Zusammenhang| mit den Worten der heil. Schrift für die Volksschule erzält“, welche 1867 zur Einfürung kam, in 27 Auflagen verbreitet ist und auch außerhalb Bayerns gebraucht wird. Mit Verabfassung eines „ersten Unterrichts im christlichen Glauben“ ward Pfarrer Christian Mayer betraut; dessen Werk ward im selben Jare eingefürt. D. von Zezschwitz sagt von ihm (Katechetik II, S. 214): „man kann getrost sagen, dass sich keine andere deutsche Landeskirche eines gleich vorzüglichen Lehrmittels rühmen kann“. Besonders viel ist unter Harleß für die musikalische Seite des Gottesdienstes geschehen. Bei seiner eigenen musikalischen Virtuosität wirkte er auf diesem Gebiete überall persönlich fördernd und anregend. Durch Harleß vor allem wurde der ausgezeichnete Kenner der Kirchenmusik, Dr. Herzog, als Lehrer derselben im Jare 1854 nach Erlangen berufen. Herzog hat nach Harleß’ Wunsch den musikalischen Teil der Gottesdienstordnung und des Agendenkerns, wie den musikalischen Anhang zu diesem für den Organisten und Kantor in vorzüglicher Weise hergestellt. Nachdem schon vor Harleß in Bayern manches für den rhythmischen Kirchengesang geschehen war, erschien 1855 ein vortreffliches rhythmisches Choralbuch von dem ebenfalls bedeutenden Sachkenner, Seminarinspektor Zahn. Von Harleß ermuntert, verfasste Herzog noch ein ausfürliches Präludienbuch, welchem eine Arbeit von Zahn und Helm würdig zur Seite steht.

 Ein Fehler war es, dass die im Jare 1849 bereits eingefürte Parität von geistlichen und weltlichen Abgeordneten zur Generalsynode wider abgeschafft wurde; dieser Fehler wurde aber im Jare 1861 wider gutgemacht. Harleß leitete bis zum Jare 1873 im ganzen sechs Generalsynoden, stets geschah es mit Meisterschaft. Von prinzipieller Opposition war auf ihnen nie die Rede. Mancher weltliche Abgeordnete kam mit Vorurteilen und dem Vorsatz, zu opponiren, zur Generalsynode, wurde aber durch Harleß und den Geist der Synode entwaffnet und kehrte umgestimmt von ihr zurück. Der Fortschritt im kirchlichen Verfassungsleben, wornach die Generalsynoden dauernd vereinigt sein und nicht bloß beratende, sondern beschließende Vollmacht haben sollen, ist noch unter Harleß vorbereitet worden.

|  Der Präsident des Oberkonsistoriums ist zugleich Mitglied der ersten Kammer des bayerischen Landtags, der sogenannten Kammer der Reichsräte. Harleß nahm hier eine sehr bedeutende Stellung ein. Viel Widerspruch und Aufregung knüpften sich an seine Referate über den Schulgesetzentwurf vom Jare 1869 und in der Hohenlohe’schen Angelegenheit im Jare 1870. Absichtlich gehen wir auf diese Dinge hier nicht näher ein, weil sie die kirchliche Frage zunächst nicht berüren und weil sehr viel gesagt werden müsste, um gerecht und objektiv zu urteilen; nur dies bemerken wir, dass in die Oppositionsbewegung, welche an das zweite Referat sich knüpfte, unwillkürlich die früheren Vorgänge hereinwirkten. Trotz aller Stürme hat kein Oberkonsistorialpräsident das Amt so lange gefürt, als Harleß, über sechsundzwanzig Jare im ganzen. Seine Zeit war abgelaufen, als er mit dem 1. Januar 1879 in den Ruhestand trat. Dieser wurde ihm „unter dem erneuerten Ausdruck allerhöchster Anerkennung und besonderer Zufriedenheit mit der von ihm wärend seiner Diensteslaufban stets bewärten Hingebung, Treue und Anhänglichkeit an Thron und Vaterland“ zu teil.
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 Harleß stand nicht bloß an der Spitze einer Landeskirche, er war auch das allgemein anerkannte Haupt der lutherischen Richtung und deren treuer Mentor. Von den verschiedensten Seiten wurde sein Rat begehrt; so hat er im Jare 1867 auch ein Gutachten über die Sklavereifrage für die lutherische Synode in Missouri abgegeben; ebenso wurde er von Norwegen in einer wichtigen Angelegenheit befragt. Großes Verdienst hat er als langjäriger Vorsitzender des Missionskollegiums in Leipzig. Nach seiner Erlanger Zeit ist Harleß mit umfassenderen theologischen Werken nicht mehr hervorgetreten; seine nächsten Amtsgeschäfte erlaubten dies nicht. Gleichwol ist noch manches Bedeutende auch später von ihm erschienen. Die interessante Schrift: „Das Buch von den ägyptischen Mysterien. Zur Geschichte der Selbstauflösung des heidnischen Hellenenthums“ (München 1858), von Heinrich Ritter sehr anerkannt, sollte ein Zeitspiegel sein zur Bekräftigung der Warheit, dass die Herrschaft des Unglaubens immer vom Aberglauben abgelöst wird. In den beiden Schriften: „Kirche und Amt nach| lutherischer Lehre“ (Stuttgart 1853) und „Etliche Gewissensfragen hinsichtlich der Lehre von Kirche, Kirchenamt und Kirchenregiment“ (Stuttgart 1862) hat er kirchliche Zeitfragen in wesentlichem Anschluss an Höfling und völliger Übereinstimmung mit Harnack behandelt. „Die Ehescheidungsfrage. Eine erneute Untersuchung der neutestamentlichen Schriftstellen“ (Stuttgart 1861) ist eine sehr gründliche, biblisch-kirchliche Erörterung der Sache, welche die rechte Mitte zwischen Extremen einhält. Seine große Vertrautheit mit Luthers Werken zeigt die in gebundener Rede verfasste Schrift: „Aus Luthers Lehrweisheit“ (München 1867). Auch sonst ist Harleß als Dichter aufgetreten: „Aus dem Leben in Lied und Spruch“ (Stuttgart 1865); die pseudonym erschienene Dichtung: „Göthe im Fegefeuer“ (1856) ist ebenfalls von ihm. Das Werk: „Geschichtsbilder aus der lutherischen Kirche Livlands vom Jare 1845 an“ (Leipzig 1869), die kirchlichen Bedrängnisse dieser schildernd, fand die günstigste Aufnahme; noch in demselben Jare wurde eine zweite Auflage nötig. Die Schrift: „Staat und Kirche oder: Irrthum und Warheit in den Vorstellungen von „„christlichem““ Staat und von „„freier““ Kirche“ (Leipzig 1870) ist wol das Beste, was in prinzipieller Rechtfertigung des Landeskirchentums geschrieben worden ist. Äußerst wertvoll sind endlich Harleß’ Abhandlungen in den Sammelschriften: „Das Verhältnis des Christenthums zu Kultur- und Lebensfragen der Gegenwart“ (1. Aufl., Erlangen 1863; 2. Aufl. 1866), und „Die kirchlich-religiöse Bedeutung der reinen Lehre von den Gnadenmitteln“ (Erlangen 1869). Dort tritt uns seine theologische Freiheit und echt menschliche Vielseitigkeit, hier die tiefe Gesundheit seiner christlichen Anschauung im glänzendsten Licht entgegen. Hier finden sich die gewichtvollen Abhandlungen über „die Lehre von den Gnadenmitteln im allgemeinen“ und „die Bedeutung des heiligen Abendmales für das Heilsbedürfnis der Christen“. Letztere beginnt mit den Worten: „in allen Verhältnissen des menschlichen Lebens ist für den klaren Blick nichts misslicher, als dessen Blendung durch falsche Ideale“. Den Preis unter dem vielen Trefflichen dort geben wir der Abhandlung über Christentum und Dichtkunst, nach ihr den Erörterungen über Christentum und Politik. Die erste Abhandlung zeigt| das tiefste, zarteste Verständnis für Poesie, wie es nur einer selbst poetisch angelegten Natur eignen kann. „Die göttliche Barmherzigkeit“, sagt Harleß am Schlusse, „lässt es auch heute noch nicht an anderem Manna als dem warhaftigen Brot des Lebens fehlen, das wie Tau auf die Wüste fällt und Leib und Seele mit irdischer Speise wacker macht. Das sind die Gaben der Kunst, welche Gott gibt und kein Mensch sich geben kann. Und wer über ihnen die Ruhe des Sabbats nicht versäumt, dem mag es auch gegeben werden, dass er, von ihrer Kraft gelabt und gestärkt, das Gefilde der Moabiter verlässt und aufsteigt zu dem Gebirge, von welchem sein Auge in der Dämmerung der Ferne Kanaan erblickt. Wol dem, welchen die Kunst auf solche Höhen fürt!“
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 Harleß ist im Jare 1836 in eine zweite Ehe getreten. Seine zweite Gattin, eine geborene Karbach, war durch seltene christliche Bewärung und Reife nicht bloß der edelste Schmuck, sondern auch die kräftigste Stütze seines an Gaben und Segnungen, aber auch an Mühen und Anfechtungen reichen Lebens. An schweren, niederziehenden Gewichten hat es Harleß’ sonst so begnadigtem Leben nicht gefehlt. Er war trotz seiner männlich kräftigen Erscheinung in seinem Leben viel von Krankheit heimgesucht. In den letzten Jaren trat ein Augenleiden, zuerst wenig beachtet, immer bedrohlicher auf, entwickelte sich zum grauen Star und endete mit fast völliger Erblindung. Im Sommer 1878 kündete sich ein Drüsenleiden an, das immer hartnäckiger und schmerzvoller wurde; jedes Wort tat ihm zuletzt weh, jeder Bissen wurde ihm zur Qual. Ganze Tage hindurch machte er sich nur durch Zeichen oder einzelne Worte verständlich. Nur bei der Morgenandacht, in welcher er nach alter Gewonheit an das gelesene Gotteswort anknüpfend, ein freies Gebet sprach, hörten die Seinen zusammenhängende Sätze, in denen sich die alte Klarheit und Kraft des Geistes ungetrübt aussprach. Schon Monate vor seinem Heimgang hatte er ganz mit der Welt abgeschlossen; nur die innigste Liebe zu den Seinen blieb unverändert; die Ankunft einer verheirateten Tochter war ihm die letzte irdische Freude. Wie nahe er sich seinem Ende fülte, bewies die zärtliche Art, mit welcher er allabendlich Gottes| Segen den Seinen erbat, als sei es das letzte Mal, sowie die eigentümliche Begrüßungsweise Fremden gegenüber, die immer wie der Scheidegruß eines Sterbenden lautete. Vom 2. September an verließ der Leidende das Bett nicht mehr; Gott erleichterte ihm den Kampf und ließ ihn sanft hinüberschlummern. Freitag den 5. September mittags 1 Uhr erfolgte sein seliger Heimgang. Sonntag den 7. September nachmittags 5 Uhr fand auf dem nördlichen Friedhofe Münchens die Beerdigung unter sehr zalreicher Beteiligung statt. Einzelne waren aus der Ferne herbeigeeilt. An seinem Grabe sprachen D. Buchrucker und D. Luthardt.
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 Ein ungemein reiches, ein vielbewegtes Leben schloss sich an Harleß’ Grabe. Wenig Theologen dieses Jarhunderts sind ihm an Vielseitigkeit gleichgekommen, er war des Katheders, der Kanzel, der parlamentarischen Rednerbüne wie wenige mächtig, er war eine durchaus theologische Natur, zugleich aber voll innerer Sympathie für Poesie, Kunst und Musik und in diese Gebiete in seltener Weise eingeweiht. Harleß war ein sehr bedeutender Theologe, ein begeisterter Kirchenmann, ein echter Christ, ein warer Lutheraner, ein ganzer voller Mensch. Kaum ein Theologe des Jarhunderts war in dem Maße wie er in die verschiedenen, einander teilweise gerade entgegengesetzten Strömungen der Zeit verflochten. Er hatte um dessentwillen auch besonders schwierige Aufgaben zu lösen. Wol kein Theolog unserer Zeit ist von den Wogen der öffentlichen Meinung so emporgetragen und auf der andern Seite so tief hinabgestoßen worden wie er. Kaum Einer hat wie er Anfechtung und Misskennung, Wenige haben aber auch so viel Liebe und Vertrauen erfaren wie er; Keiner wurzelte in kirchlichen Kreisen so tief wie er. Es ist wahr, Harleß war häufig zu sehr der Mann des Moments; er war trotz größter persönlicher Liebenswürdigkeit und einer im Innersten universellen Richtung zumal in späteren Jaren oft zu schneidig, zu abweisend im Urteil über solche, die seine Wege nicht gingen, selbst dann, wenn sie nichts weniger als Gegner des Evangeliums waren. Man darf wol auch sagen, es fehlten ihm für das Amt eines Kirchenleiters gewisse Voraussetzungen sehr realistischer Natur; auf der anderen Seite hat er die idealen Momente der kirchlichen und auch| der kirchenregimentlichen Tätigkeit mit aller Entschiedenheit, mit seltener Furchtlosigkeit, mit unentwegter Konsequenz festgehalten. Glück und Gunst haben ihn nicht verwönt; mit männlicher Fassung, mit warem Christenmute wusste er auch in schwerste Heimsuchungen sich zu schicken.

 Die Theologie, die Harleß gewissermaßen inaugurirte, hat, wie vor aller Augen liegt, sehr Bedeutendes in allen Disziplinen geleistet. Die kirchlich lutherische Richtung, die Harleß vertreten, hat mit ihrer christlichen Tiefe und ökumenischen Weite trotz aller Ungunst, die sie von manchen Seiten erfaren, und aller Abirrungen, die sich an sie lehnen wollten, einen breiten Raum im Leben der Kirche sich erobert und zwar weit hinaus über spezifisch lutherische Kirchengemeinschaften. Die Überzeugung hat sich gefestigt, dass für die innere Freiheit und Selbständigkeit der Kirche, für ihre ware Einheit im Gegensatz zu aller falschen Uniformität, aber auch im Gegensatz zu den centrifugalen Mächten des Protestantismus und einer ihn bedrohenden Parteizersplitterung, für die Gesundheit evangelisch christlichen Lebens und dessen Bewarung vor pietistischer Verengung und methodistischer Entartung unendlich viel abhängt von sicherem Festhalten der Grundlehren und Grundprinzipien der deutschen Reformation. Das Landeskirchentum, das, wenn nicht alle Zeichen trügen, noch eine Zukunft vor sich und eine bedeutende Aufgabe zu lösen hat, dessen Zusammenbruch das tiefste Unglück wie für die Gemeinde der Gläubigen so für unser ganzes Volk wäre, ist durch Harleß mächtig gehoben worden.

 Auf dem nördlichen Friedhof Münchens steht ein schönes, sinniges Denkmal, das dem sel. Harleß Freunde in der Nähe und in der Ferne, auch in weitester Ferne errichtet haben. Ein monumentum aere perennius hat sich Harleß selbst errichtet in der Geschichte der Theologie und im Leben der Kirche.





  1. Über Löhes Verhältnis zu Harleß und zur Landeskirche äußert sich mein verehrter Freund, Herr Oberkirchenrat Lotze in Gera in folgender Weise:
     „Zehn Jare gesegneten Andenkens, von 1856 bis 1866, durfte ich in Neuendettelsau leben und arbeiten helfen, in fast täglichem Verkehr mit dem unvergesslichen Löhe. Jeder große Mann ist ein Son seines Volkes. Das ist mir da zuerst klar geworden. Harleß und Löhe, die Jugendfreunde, jener aus gut bürgerlicher Familie in Nürnberg dieser dem ehrsamen Kaufmannshause in Fürth entsprossen. Aber Löhe trug noch mehr das Gepräge seiner Heimat, diente ihr mit seiner ganzen Lebenskraft und war ein fränkischer Mann vom Scheitel bis zur Sole. Den Thüringer, an dem er Gefallen fand, ehrte er mit dem Lobe: Sie sind ein Thuringofrank. Der Hesse galt ihm nur etwas als Hassofrank. Die sehr einfache Hochebene, auf der sein Neuendettelsau liegt, gefiel ihm besser, als am Fuss der Seealpen die herrlichsten Landschaften, die er gesehen. Die Kleidung seiner Diakonissen sollte nach seiner Intention ursprünglich nichts anderes sein, als die etwas veredelte Tracht mittelfränkischer Bauernmädchen. So reichsfreundlich er nachher war, den Franken konnte und mochte er nicht verleugnen bis zum seligen Ende.
     Das zweite, das noch leuchtender hervortrat und mit Ehrfurcht erfüllte, war seine geheiligte Liebe zum Sakrament des Altars. Haus und Hof und die schönen Anstalten allzumal, er hätte sie getrost und one eine einzige Träne verlassen, wenn es die Treue gegen das lutherische Abendmal erfordert hätte. Aber Gott hat es nicht zugelassen, dass sich schied, was so fest verbunden war, und ganz falsch ist, wenn man sich Löhes Leben denkt als einen fortdauernden Kampf gegen die Landeskirche. Vielmehr war es ein Ringen, die Separation zu vermeiden. Das Auge der Liebe sieht scharf, darum sah er die Mängel und Schäden seiner heimatlichen Kirche genau. Doch war er eben so wenig blind gegen ihre besonderen Gaben. Und man sehe doch auch diese bayerische lutherische Kirche an, wie sie etwa in den letzten fünfzig Jaren sich gestaltet hat. An der Spitze ein Theolog, der einen warhaft bischöflichen Einfluss zu üben vermag. Im Regimente schon seit langer Zeit ernste, kirchliche Männer, die das Bekenntnis hoch halten. Im geistlichen Amte eine Schar entschlossener, zielbewusster Arbeiter. Synoden, die nicht ein Abbild [119] politischer Versammlungen sind, sondern durchweg kirchlichen Charakter tragen. Das Verhältnis zur Statsgewalt möglichst günstig, möglichst unabhängig. Dazu eine Fakultät ersten Ranges, geziert mit einem Kranz der besten Namen deutscher Theologie. Für den Gottesdienst eine Agende, ein Gesang-, ein Choralbuch, dem sich wenige an die Seite stellen lassen. In den Gemeinden vielfach gute, kirchliche Tradition, gesundes, nüchternes Christenthum: kurz, wem das deutsche Luthertum am Herzen liegt, dessen Auge muss mit Freude und Hoffnung gerade auf dieser Kirche ruhen. Löhe war der letzte, der dies verkannte, und er konnte es, wenn es darauf ankam, mit sehr beredten Worten rühmen. Allerdings war das Landeskirchentum, wie es sich zumeist darstellt, nicht sein letztes Verfassungsideal. Doch kann nur äußerste Befangenheit und Unkenntnis seinen Namen in Verbindung bringen mit separatistischer Willkür oder ihn zu einem Oppositionsmann von Fach stempeln. So lange ich die Ehre gehabt habe, mit ihm zu verkehren, habe ich ihn immer nur mit aufrichtiger, ernster Pietät von den landeskirchlichen Behörden reden hören, und einen gewissenhafteren, pünktlicheren Pfarrer bis herab zu den unscheinbarsten Schreibereien konnte es nicht geben. Für kleinliche Nergeleien war seine Anlage viel zu groß, seine Richtung zu historisch, sein kirchliches Urteil zu männlich und maßvoll.
     Was ihm in späteren Jaren als Ziel seiner Sehnsucht vorschwebte war die Bildung von Gemeinden strengerer Observanz im Rahmen der Landeskirche. Ihm selbst hat Gott etwas dieser Art beschert in der ziemlich zalreichen Kolonie seiner Anstalten und ihrem Kirchenwesen. Wenn aber ferner stehende meinen, er habe sich mit seinem Herzen nun von seiner landeskirchlichen Dorfgemeinde ab- und der freieren Anstaltsgemeinde zugewandt, so irren sie sehr. Gerade das ist so groß, so herzbewegend, dass die pastorale Liebe dieses großen Mannes zu seiner kleinen Bauerngemeinde so stark im Vordergrund stand. Er hat die Anstalten gegründet, mit Eifer und Fleiß gepflegt und ausgebaut, um damit in erster Linie seiner eigentlichen Gemeinde zu dienen, um ihr mancherlei Segen und reiche, neue Lebenskräfte zuzufüren. In zweiter Linie hatte er damit den Bedarf der lutherischen Landeskirche im Auge.
     Man kann sich, wenn man auf neutralem Gebiet in vergangene Tage zurückschaut, den Mann nicht wol in einer anderen der gegenwärtigen [120] Kirchengemeinschaften denken, als gerade in der lutherischen Landeskirche Bayerns, und kann hinwiderum dieser nur Glück wünschen, dass ihr der reiche HErr unter vielen anderen auch diesen hochbegnadigten Arbeiter geschenkt hat, der von seinen Anfängen bis zum Ende ein Glied gerade an diesem kirchlichen Organismus gewesen ist und mit ihm warlich nicht in einem nur losen Zusammenhange stand“.


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