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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band |
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steil bis zum Gipfel. Die ganze Insel ist in der That blos ein Vulkan, der im Grunde der Meeres wurzelt. Auf der Seite nach Procida hin haben Erdbeben ein Stück vom Eilande abgerissen, und die Trümmer davon, ein Fels, steht in der brandenden Fluth. Ihre Zinne krönt ein Castell, das die Bucht vertheidigen hilft. Eine lange Brücke, kühn über den Abgrund hingeworfen, führt von der Insel hinüber. Unser Dampfschiff schiffte vorbei und landete in Borgo d’Ischia, einem freundlich am Ufer sich hinstreckenden Städtchen. Nahe bei demselben befinden sich warme Bäder, mit einem im artigen Styl gebauten Kurhause und hübschen Gartenanlagen, die im Sommer stark besucht werden. Das Wasser ist salzig und hat einen Geschmack nach Schwefel. An einem kleinen See, nicht weit vom Ufer, steht ein königliches Landhaus, wo sich zuweilen der Hof mit Fischerei vergnügt. Von Borgo machte sich den andern Morgen früh die ganze Gesellschaft zu Esel auf, um das Innere der Insel zu besuchen.
Zuerst ritten wir nach Casamiccia, einem andern Kurort mit warmen Quellen. Die Badeanstalten sind geräumig, leiden aber an dem großen Uebel Neapels, der Unsauberkeit. Wir trafen eine Menge Badegäste aus den untersten Volksklassen, Lahme, Krüppel und Aussätzige an. Vermächtnisse und Stiftungen verschaffen hier über 600 Armen die Wohlthat des unentgeltlichen Gebrauchs der Bäder jedes Jahr. – Lano war unser nächstes Ziel, ein Flecken, der, malerisch an’s Ufer gebettet, einen kleinen Hafen hat. Hier hielten wir uns nicht auf, sondern ritten sogleich nach Furia d’Ischia, an der westlichen Seite des Eilands. Der Weg ist reizend. Bald führt er am Meere hin, bald über blühende Thäler oder Hügel, von denen man die Hauptstadt, den Vesuv, die Küste gewahrt, oder eine Fernsicht in den Ocean genießt. Die Gestade des Eilands selbst haben bei jedem Schritt eine andere Scenerie. Hier hängt ein weit vorstehender Fels durch eine schmale Erdzunge mit dem Lande zusammen, dort thürmen sich über den Wellen einzelne Klippen. Daneben erfreut die sorgfältigste Kultur. Jedes Eckchen Land, jeder Felsvorsprung, wo eine Handvoll Erde Platz findet, ist benutzt und angepflanzt. Die Gelände tragen Weinstöcke, die sich unter der Last der Trauben beugen; in den Thälern winden sich die Baumreben um die schlanken Pappeln, um Oliven- und Maulbeerbäume und knüpfen die alternden Stämme mit Laubgewinden zusammen. In geschützten Felsnischen beugen sich fruchtbeladene Feigenbäume; große Kirsch-, Pflaum- und Birnbäume nehmen die rauheren, kälteren Lagen ein. In den Thälern mischen sich die Wohlgerüche der Orangen- und Citronenwäldchen mit den Düften des Jasmins und der Akazie, und an den sonnigsten und trockensten Stellen glühen Granatbäume und recken die saftigen Agaven und die Aloe ihre hohen Blüthenkronen empor. Kaktusarten, mit ihren großen rothen und gelben Blumen, bilden ganze Hecken, oder bekleiden die verwitterte Oberfläche der Lavaströme, welche sich von dem Gipfel des Vulkans nach allen Seiten bis zum Meere hinabstrecken. Viele Gewächse blühen auf diesem warmen Boden, auf welchem nie eine Schneeflocke liegen
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1843, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_10._Band_1843.djvu/201&oldid=- (Version vom 15.2.2025)