Die Gartenlaube (1880)/Heft 17
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No. 17. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Selten läuten hier die Glocken
In der Protestantenstadt:
So ist fast mein Herz erschrocken,
Als es heut’ vernommen hat
Feierlich, mit tiefem Hall,
Osterglocken, euern Schall!
Osterglocken, Faust’sche Klänge!
Wie ihr schlaget an mein Ohr,
Mahnt ihr mich der Weihgesänge
Von Alt-Münchens Oster-Chor,
Wann euch trug der Märzenwind
Zu dem ahnungsfrommen Kind.
Ueber Wipfel in dem Garten
Hört’ ich leis die Klänge nahn,
Und mein gläubiges Erwarten
Sah die Himmel aufgethan:
Im Gewölk von Gottes Thron
Nieder stieg des Menschen Sohn.
Ach, die Ulmenbäume ragen
Wohl noch dort im Märzenwind,
Und Sanct Ludwig’s Glocken schlagen
Noch wie damals voll und lind:
Doch vernähm’ ich auch den Schall,
Fänd’ er andern Widerhall. –
Andrer Ostern denk’ ich heute:
An der blauen Adria
Ueber Pinien ihr Geläute
Sandte die Basilika,
Leise Klänge, todesmatt.
Aus der Gothen Königsstadt.
Aus Ravenna kam’s gezogen
Feierlich wie Grabgesang,
Und des Meeres leise Wogen
Stimmten ein wie Klageklang:
Dein gedacht’ ich, Held von Bern,
Schöner, lang erloschner Stern.
Arme Menschheit! Was verloren,
Bringt kein Ostern dir zurück.
Nie wird wieder dir geboren
Todtes Leben, todtes Glück:
Schönheit, Tugend, Weisheit, Kraft,
Die der Tod dahin gerafft.
Arme Menschheit! All dein Sehnen:
Leben, Wärme, Freude, Licht;
In des Leichenzuges Thränen
Läßt du von der Hoffnung nicht:
Ach, dein Lebensdrang so groß –:
Und Vernichtung doch dein Loos!
Osterglocken, schönste Klänge
Des Unsterblichkeitsgedichts!
Schwingt euch, ihr Triumphgesänge,
Durch das Meer des Frühlingslichts!
Kündet – wohl ist es gethan –
Laut der Menschheit Trost und – Wahn!
Denn sie kann ihn nicht entbehren;
Selbst erquickt durch diesen Traum
Mag ertragen sie die schweren
Lasten ihres Looses kaum:
Löscht im finstern Schachte nicht
Ihr das letzte Grubenlicht!
Nahet doch der armen Erden
Einst der letzte Ostertag,
Der noch mag gefeiert werden
Mit der Glocken hellem Schlag:
Denn die nächste Wiederkehr – –:
Menschen findet sie nicht mehr.
Ausgeglüht hat dann die Sonne,
Die geglänzt Aeonen lang:
Ausgeglüht in Weh und Wonne
Auch der Menschheit Lebensdrang,
Und in Nacht, in Eis, in Schmerz
Brach das letzte Menschenherz.
Auch dies letzte wird noch wähnen,
Daß es wieder weiter schlägt,
Daß ein andrer Stern sein Sehnen
Fluthend durch die Himmel trägt:
Aber schweigend durch das All
Kreist der ausgestorbne Ball.
Niemand ahnt dann mehr, welch’ Leben
Einst auf dieser Scholle schwoll:
Unser Jauchzen, Weinen, Streben
Spurlos, zeugnißlos verscholl,
Und in ew’ges Schweigen lang
Schwand der Osterglocken Klang.
(Schluß.)
Es war noch früh am Morgen – die Sonne war freilich schon eine Weile aufgegangen – als Lora, selbst so frisch und sonnig wie der junge Frühlingstag, aus der Hausthür trat und in den regsamen Hof hinaussah.
Sie ließ sich den Morgenschlummer sonst nicht gern stören und nannte ihre Schwester eine Frühaufsteherin, deren Besuche in Stall und Hühnerhof sie nicht zu theilen verlangte, heute aber hatten beide einmal die Rollen gewechselt: wie es schien, schlief noch Alles im Hause. Nur die gute Tante hatte bereits ihre allererste Runde gemacht und versicherte der ihr auf der Schwelle begegnenden Lora, in der Richtung nach Witold’s und Lisa’s Schlafzimmer deutend, die Ruhe werde beiden gut thun, und darum habe sie den Leuten auch auf die Seele gebunden, ja kein Geräusch zu machen.
„Und was führt Dich so frühzeitig heraus? Willst Du vielleicht statt Lisa in den Stall? Zum Melken kommst Du doch schon zu spät.“
[270] Aber Lora schüttelte lachend den Kopf.
„Darnach strebt mein Sinn nicht,“ sagte sie, die Tante umschlingend. „Ich will im Walde Maiglöckchen suchen. Es sind gewiß schon welche heraus. Weißt Du, Mamachen, es giebt immer so vorwitzige Dinger, die es nicht erwarten können, in die Welt zu gucken.“
„Wie Du!“
Das Mädchen knixte lachend; ein Kuß, und sie war die Stufen hinunter.
Wie schön war der Morgen! Noch hatte die Sonne nicht jeden Thautropfen hinweggetrunken, und Lora mußte ihr Kleid schürzen, um keinen nassen Saum zu bekommen, während sie, leise trillernd, auf dem Feldrain der Anhöhe zuschritt, die von schattigem Walde gekrönt war. Als sie denselben erreicht, ging sie erst eine Weile am Rande hin; dann bog sie in einen schmalen Pfad ein und stieg immer höher, bald nach Blumen ausspähend, bald vor einem moosigen Steine oder einem wunderlichen Pilze stille stehend.
An einem Köhlerhause hielt sie an; sie sprach mit den Kindern, die davor saßen, half dem kleinen Mädchen die Puppe ankleiden und ließ auf dem Tische neben dem geleerten Milchglase ein ansehnliches Geschenk zurück. Vor dem Meiler blieb sie stehen und sprach mit dem Köhler über das Wetter. Und wieder stieg sie weiter.
Nach einer Weile kam sie auf eine Waldblöße heraus; es war fast auf der Kuppe des Hügelstriches. Die Sonne lag warm auf der Wiese, und in der Nähe von ein paar gefällten Bäumen leuchteten auch die ersten weißen Glockenstiele aus den grünen Blattscheiden.
Laut jubelnd begrüßte sie den Fund. Aber es schlossen sich unwillkürlich Worte an den Jubelruf.
„Ach, ich bin so froh! Ich möchte singen.“
Ob auch das den Blumen galt?
Inneres Glück strahlte aus ihren Augen, doch die waren in die Ferne gerichtet. Dort, wohin sie sahen, stiegen ein paar Kirchthürme zwischen grauen Häusern auf, und der glänzend weiße Bau, den die Morgensonne traf, war wohl das Schloß über dem Städtchen, das Comtesse Anna bewohnte.
„Die schläft gewiß noch in ihrem Bauer,“ kicherte Lora.
Sie dachte nur – ja bestimmt nur an das Canarienvögelchen.
Eine Zeitlang suchte sie noch weiter nach frischgeöffneten, duftenden Blüthen; dann setzte sie sich auf einen der Stämme, band einen Strauß, lauschte dem Gesange der Vögel, zählte den Kukuksruf und versank in sanftes Träumen. Ihr Blick war dabei wieder langsam über den stillen Hof und das Dorf hinweg, über den Fluß und den jenseitigen Uferhang zu den Kirchthürmen gewandert, deren vergoldete Helmkreuze hin und wieder Blitze auszusenden schienen.
Und fast war es, als ob der in seinen Ansprüchen verkürzte Schlummergott sein Recht einfordern wolle, so lange und so still saß die Träumerin an derselben Stelle, nur freilich blieben die Augen geöffnet und sahen immer, immer in derselben Richtung.
War's der Schlag der Thurmuhr aus dem Dorfe oder ein anderes Geräusch, das sie weckte – sie fuhr auf einmal überrascht auf, athmete tief und strich sich den dünnen Schleier ernster oder sehnsüchtiger Gedanken von der Stirn. Sie lächelte wieder.
Ihr Blick fiel dabei hinab; die in Bewegung gesetzte Fähre fesselte ihn. Das Fahrzeug war schon wieder an seiner alten Stelle und offenbar in Arbeit. Ein paar Leute und ein Pferd waren darauf. Jetzt trat das Pferd jenseits an's Land, und ein Reiter schwang sich auf. Die Gestalt konnte nur die Witold's sein. Wo mochte er hinreiten um diese Stunde?
Nun war es aber Zeit für sie, sich auf den Heimweg zu machen. Es ging rascher als bergan, doch schlug Lora zum Schlusse eine andere Richtung ein. Sie wollte durch's Dorf gehen und nach der Fähre sehen.
Da, wo der Gemeinde-Anger an die Straße stieß, blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen; denn zwischen den letzten Häusern hervor trabte eben ein Reiter ihr entgegen, auf dessen Erscheinen sie in diesem Momente sicherlich nicht gefaßt gewesen.
Hatten denn ihre Blicke, welche soeben wieder und immer wieder auf den Kirchthürmen und dem Schlosse von Moorstädtel geruht, magnetische Kraft? Oder was sonst führte Steinweg gerade jetzt hierher, zu einer Zeit, wo sie ihn, nach seiner eigenen Mittheilung, tief vergraben in den allerwichtigsten dienstlichen Geschäften geglaubt? Hatte sie ihn nicht in der That auf der Reitschule, unter Remonten, bei der Unterofficierschule und weiß Gott wo gesehen, und nun – war er hier! War es ein Wunder, daß sie vor Ueberraschung zu glühen begann und das Herz auf einmal ganz schnell klopfte?
Aber auch der Reiter hatte sie erblickt. Er setzte sein Pferd sofort in Galopp und grüßte ganz unmilitärisch, indem er die Mütze hoch in die Luft schwang.
Jetzt stand der Fuchs wie eingemauert vor ihr und mit elastischem Absprunge Steinweg daneben.
„Guten Morgen, mein Fräulein!“ rief er fröhlich die Hand bietend. „Das nenne ich eine glückliche Begegnung, und abergläubisch, wie wir Soldaten sind, halte ich es für eine gute Vorbedeutung.“
„Das Gegentheil wäre auch zu ungalant,“ entgegnete Lora lachend. Der Schrecken war schon vorüber, und willig ließ sie sich die Hand schütteln. „Wissen Sie, daß ich heute schon in Moorstädtel war?“
„Sie?“
„Mit den Augen. Dort vom Hügel aus.“
„O, wenn ich mir schmeicheln dürfte –“
„Pfui, sich selber schmeicheln!“ unterbrach sie ihn, indem sie sich vor seinem ausdrucksvollen Blicke lächelnd abwandte und unwillkürlich den Weg gegen den Hof einschlug. „Thun Sie etwas eines Mannes Würdigeres und befriedigen Sie meine Neugierde! Erzählen Sie mir, was Sie eigentlich hierher führt!“
„Die Besorgniß um Baron Lomeda.“
„Ah!“ – es klang fast wie Enttäuschung – „da können Sie vollkommen ruhig sein. Mein Schwager ist keine Salondame. Ja, wenn Comtesse Anna das Bad genommen hätte!“
„Vielleicht würde ich dann weniger Eile haben, mich zu erkundigen.“
„Wirklich?“ Sie sah ihn forschend an, aber kein Zehntel einer Secunde lang; dann nickte sie ironisch und fuhr fort, ihn zu necken. „So sprechen Sie, und doch haben Sie sich heute sicherlich schon die Füße wund gelaufen nach dem Schlosse, um zu hören, wie man nach der Aufregung geschlafen hat.“
„Gelaufen, gelaufen!“ entgegnete Steinweg mißbilligend. „Ich laufe überhaupt nie, mein Fräulein.“
„Ist das unter der Würde eines Cavalleristen?“
„Gewiß. Um rascher von der Stelle zu kommen hat man ja das Pferd.“
„So sind Sie also auf's Schloß geritten, um anzufragen?“
„Auf Ehre! Sie thun mir heute ganz grausam Unrecht, Fräulein Lora,“ beklagte er sich. „Ich bin hierher gekommen, um Baron Lomeda zu sprechen.“
„Mein Schwager ist schon vor einer Weile fortgeritten.“
„Nach Moorstädtel?“
„Das weiß ich nicht. Aber über die Fähre.“
„Und ich habe den Weg über die Telzer Brücke genommen. So haben wir uns verfehlt. Zwar hat er mich schon gestern auf seinen Besuch vorbereitet, ich wollte ihm aber den Weg ersparen, da ich ja nicht wissen konnte, ob er nicht doch unwohl geworden sei.“
„Er wollte Sie heute sprechen? Aber in welcher Angelegenheit?“ fragte Lora, aufmerksam geworden.
„Ich weiß es nicht,“ sagte er ein wenig verlegen, doch setzte er rasch hinzu: „Wohl eines Pferdehandels wegen oder dergleichen. Wie fatal!“
„Ist Ihnen so leid um die verpaßte Gelegenheit?“
„Nur darum, daß ich jetzt umkehren muß, und ich wäre doch so gern hier geblieben.“
„Sie können meinen Schwager auch hier erwarten.“
Ein freudiges Aufleuchten ging über seine Miene, so harmlos sie das auch hingeworfen hatte. Er nahm den Antrag mit Begeisterung an. Und auch was das Pferd betraf, wenn es etwa, wie er voraussetzte, zum Damendienste verlangt wäre, könne hier zur Stelle Rath geschafft werden. Molly sei ein artiges Thier, und er könne sich kein größeres Glück vorstellen, als wenn er sie künftig auf seinem Pferde sehen dürfte.
Es war ein versteckter Sinn in diesen Worten, und Lora, die auf eine weitere Erläuterung zu warten schien, schnitt sie rasch ab, als sie endlich zögernd kommen wollte. Sie warf den [271] Kopf ein wenig in den Nacken, und das Auge, das befangen gesenkt gewesen, hob sich wieder frei.
„Für mich, meinen Sie, daß Witold das Pferd kaufen will?“ nahm sie in lebhaftem Tone das Wort. „Nun, da könnten wir ja gleich eine Probe machen, ob es taugt.“
„Gewiß, sobald ein Damensattel aufgelegt ist.“
„Ach – geht es denn nicht auch so?“
Sie fragte, bat und besiegte jeden Einwand, Steinweg, der sich zu glücklich fühlte, ihr einen Wunsch erfüllen zu können, noch dazu einen, der so gut mit seinen eigenen Wünschen stimmte, hielt gern sein Pferd, das er bisher an dem lose um den Arm geschlungenen Zügel geführt hatte, an und richtete es, so gut es ging, für die geänderte Bestimmung ein. Zur Noth genügte es ja, daß der linke Bügel kürzer geschnallt und der rechte über den Sattelknopf herüber geschlagen wurde. Er selbst stellte sich bereit und hielt die Hand hin, damit der Recrut das Füßchen darauf setze.
Lora aber schüttelte lachend den Kopf.
„Auf Bedingungen, Herr Rittmeister,“ sagte sie abwehrend. „In Ermangelung eines Reitkleides bin ich hoch zu Pferd nur auf der rechten Seite präsentabel. Ich bitte, sich dort hinüber zu verfügen und drüben zu bleiben. Hier der Prellstein wird so gefällig sein, mir den Stallmeister zu ersetzen.“
Unterwürfig fügte sich Steinweg der Vorschrift. Es ging wirklich ganz vortrefflich. Mit graziöser Gewandtheit schwang sich Lora in den Sattel, und so unbehülflich ihr auch die Führung anstand, wollte sie, nachdem Steinweg erst die Zügel in ihrer Hand geordnet, doch nichts davon wissen, daß er dieselben halte; ja sie forderte sogar die Gerte von ihm.
Bewundernd sah er zu der hübschen schlanken Reiterin auf, während er neben dem ruhig ausschreitenden Pferde einherging. Er gab ihr dabei Rathschläge über Haltung und Gebrauch der Hülfen. Sie schien rasch zu begreifen, aber doch ein wenig ängstlich. Sie hielt, ritt wieder an. Es ging wunderbar.
„Sind Sie mit Ihrem Recruten zufrieden?“ fragte sie. „Ach, hätten wir lauter solche! Ich behielte mir diese Abtheilung ganz allein vor.“
„Welcher Diensteifer! Haben Sie denn an einem nicht genug? Nein, kommen Sie nicht so nahe, als wenn Sie dem Pferde jeden Augenblick in die Zügel fallen wollten! Wenn ich traben soll, muß ich Raum haben.“
„Traben?“ rief er erschrocken aus. „Nein, das geht doch nicht. Da müßte ich das Pferd an der Longe oder in einer Reitschule haben. Sie müßten einen Kreis um mich beschreiben.“
„Aber ich will traben.“
„Ich beschwöre Sie, Lora – es könnte einen Unfall geben.“
Er hatte noch nicht ausgesprochen, als in dem Moment, wo seine Hand schon nach den Zügeln faßte, das Pferd als ob es von der Bewegung erschreckt wäre, einen Ruck that und sich in schärfere Gangart setzte. Nur war es kein Trab, sondern Galopp. Lora griff in die Mähnen.
„Mein Gott, ich falle,“ hörte er sie angstvoll rufen.
„Um Himmelswillen, ziehen Sie die Zügel an!“ rief Steinweg, der dem Pferde eilig nachgesprungen war.
Aber sei es, daß gerade dieser Lärm oder die Berührung der Reitgerte, die Lora ganz unvorsichtig, offenbar in dem Bemühen, sich am Sattel festzuhalten, an die Weichen des Pferdes führte, das Thier noch mehr aufregte – es griff immer mächtiger aus, Während Steinweg auf Leben und Tod hinterdrein rannte, ohne es doch erreichen zu können.
Da flog der Renner durch das Hofthor, mäßigte seine Sprünge und hielt mit einem Male nach einer prächtigen Wendung an, als hätte ihn der Escadroncommandant selbst mitten vor der Front auf’s Regelrechteste parirt.
Lora stieg gewandt ab und streichelte und klopfte den Hals des bravem Thieres, das ihr schnaubend den Kopf zuwandte. Unterdeß kam auch Steinweg heran, den sie mit spöttischem Lächeln und einer grüßenden Geberde empfing, indem sie die Gerte gegen die Brust hob und dann wieder senkte; der Schalk frohlockte aus ihren Augen.
„Recht brav gelaufen,“ sagte sie dabei mit ironischem Lobe. „Ich habe kaum auf sechs Pferdelängen gewonnen.“
„Wie?“ stammelte er, athemlos vor ihr stehen bleibend. „Das war doch kein – Wettlauf?“
„Ein wenig dergleichen,“ bestätigte sie, und das mühsam zurückgehaltene Lachen brach nun los, ohne ihn zum Miteinstimmen zu bringen. „Sie haben nur nicht daran gedacht, daß es mir schon vor Jahren zuweilen gestattet war, Lisa’s Pony zu besteigen, und wenn es Niemand sah, habe ich ihn nach Lust getummelt.“
„Ein Spiel also? Das war nicht schön.“
„Weil Sie verloren?“
Statt eine Antwort zu geben, sagte er mit tiefem Athemzuge, der verrieth, wie sehr die Angst ihm noch die Brust bedrückte:
„Mein Gott, wie haben Sie mich erschreckt!“
Sie führte das Pferd ein paar Schritte dem Stalle zu, und auf ihren Ruf erschien auch sofort ein Junge, welcher ihr dasselbe abnahm, während sie es noch einmal mit zärtlicher Hand liebkoste.
„Streicheln Sie Molly doch nicht immer!“ bat Steinweg mit komischem Unmuthe. „Man könnte den Gaul beneiden.“
Es war ein ganz leises liebevolles Lächeln, das ihre feuchten Lippen kräuselte, und das sie ihm verbergen wollte; denn sie wandte den Kopf zur Seite – doch nur für einen Augenblick; langsam die Richtung gegen den Park einschlagend, richtete sie doch wieder ihre Augen freundlich auf ihn.
„Nun, da haben Sie auch etwas für die Reitlection,“ sagte sie, ihm die Maiglöckchen hinreichend.
Das Sträußchen nahm er an, doch hielt er auch dabei die Hand fest und hob dieselbe auf seinen Arm.
„Blumen?“ meinte er geringschätzig.
„Sie ungenügsam unpoetisches Gemüth! Ist das nicht ein ausreichendes Honorar für die Stunde?“
„Und für den Schreck?“
Es war, als ob ihr Blick diesmal ernstlich in seinem Herzen lesen wollte.
„Sind Sie denn wirklich so sehr erschrocken?“ fragte sie leise.
„Wie in meinem ganzen Leben noch nicht! Weiß Gott, ich glaube, ein Schuß in die Brust müßte ein Spaß sein neben dem Gefühl, das mir in dieselbe fuhr, als ich Sie so davonjagen sah. Mir fiel es wie Lähmung in die Beine.“
„Und darum geriethen dieselben in’s Laufen? Nun ist’s erklärt,“ rief Lora lachend. Mit anmuthigem Erröthen schelmisch nickend, setzte sie hinzu: „Ich erlaube Ihnen, den kleinen Finger zu nehmen und ihn nach Belieben zu mißhandeln.“
„Nur den kleinen Finger? Nein!“ versetzte er resolut. „Ich habe mich bloßgestellt, ich habe mich lächerlich gemacht, ganz abgesehen davon, daß ich gelitten – ja wohl, ich habe gelitten. Wenn Sie das Geschichtchen ausplaudern, bin ich das Gespött des ganzen Regiments. Ich muß eine größere Bürgschaft für Ihre Verschwiegenheit haben. Meine Ehre verlangt es.“
„Ei, Herr Rittmeister,“ entgegnete sie kopfschüttelnd, „Sie sind ein wenig – zu anspruchsvoll.“
„Und Sie, Lora – sind eine große Kokette.“
Sie blieb wie eingewurzelt stehen, wandte sich, auf den Hacken sich umdrehend, zu ihm und sah überrascht in sein bewegtes Gesicht, um ihm sofort mit der Miene tiefster Beleidigung einen Knix zu machen.
„Adieu, Herr Rittmeister!“ sagte sie kurz und eilte in den Park.
Aber so eilig sie floh, so rasch folgte ihr, treu gleich ihrem Schatten, Steinweg. Nun hatte er ja doch das Laufen schon gelernt; da kam es auch auf einmal mehr oder weniger nicht an. Und im Schatten blühender Buschpartien mit ihren verschwiegenen Laubwänden und traulichen Sitzen war das Haschen ein so reizvolles Spiel.
Kein süßeres konnte es geben zu holder Frühlingszeit.
Die Tante hatte Wilhelm schon zweimal ausgeschickt, die Frühstücksglocke zu läuten, aber Niemand war erschienen als Lisa. Der Herr sei fortgeritten und noch nicht zurückgekehrt, hieß es, und Fräulein Lora nirgends zu finden, sodaß sich die Tante endlich selbst ungeduldig aufmachte, sie im Garten zu suchen.
Lisa blieb indeß allein im Salon zurück.
Sie saß da wie traumverloren. Ihre Antworten auf die Frage nach ihrem Befinden und auf andere Bemerkungen hatten alle keinen Sinn gehabt, aber doch nicht eigentlich Anlaß zu Besorgniß gegeben; denn es ging, so blaß ihr Antlitz war, ein so eigenthümliches Leuchten von demselben aus, wie von einem tiefverborgenen [272] geheimen Schatz des Glücks, daß die Tante sie wieder und wieder verwunderungsvoll angesehen.
Sobald dieselbe das Gemach verlassen hatte, zog Lisa einen Brief hervor, um die Adresse wieder zu lesen – sie selber wußte nicht, zum wievielten Male schon.
Er war ihr beim Erwachen übergeben worden. Noch lag ihr Denken wie in einen Schleier gehüllt; Traumgesichte umschwebten sie und erfaßten ihre Seele mit wunderbarer Macht, als ihr Blick auf diese Schriftzüge fiel. Ein Brief an Sie – von ihrem Manne?
Mit zitternder und doch hastiger Hand hatte sie danach gegriffen und den Umschlag aufgerissen; dann las sie mit einer Angst, daß ihr die Kehle wie zugeschnürt schien:
„Es bedarf zwischen uns keiner Worte. Seit Wochen erwarte ich den entscheidenden Schritt von Dir. Es scheint, daß Du heute Nacht die Absicht hattest, mir die Mittheilung zu machen und daß Dich die Kraft verließ. Ich ertrage die Qual nicht mehr, und so will denn ich ein Ende machen.
Was wollte er thun? Was war's?
Der Zettel, der herausfiel, erklärte Alles: jenes unselige Blatt von Steinweg's Hand, das sie vernichtet glaubte.
Es war also in Witold's Hände gefallen, und wohl damals schon, und daher jener ungeheure unverstandene Umschwung in seiner Stimmung, daher jenes kalte Zurückstoßen, jenes absichtliche Vermeiden einer Begegnung mit Steinweg. Aber wie ein Lichtquell sprang es auf in ihrem Herzen, und in jedem Worte dieser wenigen Zeilen las sie jauchzend die Bestätigung, daß sie geliebt war.
Kein Traum war's gewesen, daß sie ihr eigenes Bild gesehen, kein Traum, daß er sie selbst in seinen Armen treppauf getragen. Willenlos, unfähig, auch nur ein Glied zu regen, gelähmt und mit geschlossenen Augen hatte sie doch gefühlt, daß sie an seiner Brust gelegen, ein unbeschreiblich seliges Gefühl hatte sie durchrieselt, eine unnennbare Sehnsucht sie erfüllt; sein Kuß brannte jetzt noch auf ihren Lippen. Doch als sie seinen Namen rufen wollte, da waren ihr die Sinne von Neuem vergangen in wundersam süßer Betäubung, und als sie dann erwacht, da lag's um ihr Haupt wie ein wirres Gespinnst der Nacht, aus dem sie sich nicht zu lösen vermochte, bis andere Traumbilder emporstiegen und tiefer Schlaf sie umfing.
Und nun war's heller Tag um sie und in ihr. Was that's, daß hier die räthselhaften, unheimlichen Worte mit einem „Ende“ drohten? Ja, ein Ende der Qual sollte es sein und ein Anfang des Glücks. Die Angst, die ihr zuvor beim ersten Ueberlesen fast einen Schrei entrissen, schwand immer mehr. Was konnte geschehen, jetzt, da sie einander liebten? Ja, das – das war die Liebe.
Sie wollte beten und an ihn denken, und er mußte fühlen, wo er auch war, daß sie ihn rief. Die Liebe ist ja allmächtig.
Doch schlich sich leise wieder die Sorge ein, wie eine Begegnung zwischen den Männern ablaufen würde. War Steinweg so redlich, einzugestehen, daß er von ihr abgewiesen worden, war er so ruhig, auf ein anklagendes Wort mit keiner Beleidigung zu antworten? Besorgt sah sie von dem Briefe auf.
Da schlug ein Kichern an ihr Ohr und eine Stimme, die der Stimme Steinweg's glich. War's möglich?
Sie traute ihren Augen kaum, als sich hinter Lora her jetzt in der That durch die sachte aufgethane Thür derjenige schob, an den sie eben gedacht. Beide hielten sich an den Händen und verbeugten sich vor Lisa, und Steinweg sagte ein wenig verlegen, indem er den Maiglöckchenstrauß an seiner Brust hin und her schob:
„Es soll ein Rebus sein, Frau Baronin.“
„Herr Rittmeister Steinweg,“ setzte seine Begleiterin nach kurzer Pause schämig lächelnd hinzu, „und Fräulein Eleonore von Mildner empfehlen sich als Verlobte.“
Und ehe sie der Schwester noch Zeit gelassen, über diese Erklärung eigentlich recht in Staunen zu gerathen, flog sie ihr jubelnd um den Hals.
Der Rittmeister aber wandte sich der Tante zu, die auch eingetreten war und kopfschüttelnd immer noch ihr „Närrische Leute, närrische Leute!“ wiederholte, mit dem sie wohl schon seit einer Weile das glücklich aufgestöberte Paar begleitete, das so unbegreiflicher Weise die Frühstücksglocke überhört hatte.
„Ja, ist es denn möglich!“ rief Lisa mit vor Ueberraschung und tiefer Bewegung gedämpfter Stimme. „Ist es denn möglich! Die, welche Witold über alle Männer pries, der er ein Ideal, ein Halbgott war!“
„Ja, weißt Du,“ entgegnete Lora vertraulich: „Halbgötter betet man an, doch um sie zu lieben, muß man selbst mindestens eine – Halbgöttin sein, und das bist Du immer in meinen Augen gewesen. Wen ich liebe, der muß mich anbeten; das ist viel, viel schöner. Es hat eben jeder seinen eigenen Weg zum Herzen. Bei dem einen ist's eine glatte Chaussee, bei dem andern ein Hohlweg; da ein schmaler Waldpfad, den man leicht verliert und nur nach tausend Schritten in der Irre wieder findet; dort ein spurloser Steig, über rauhe Felsen und an Abgründen vorüber. Bei uns war's ein breiter ebener Rennplatz; wir sind beide hoch zu Roß unter Trompetengeschmetter bei einander eingeritten.“
Fröhlich, wie ein Kind, schlug sie die Hände zusammen und warf einen neckenden Blick auf ihren Verlobten, der herantrat, und Lisa die Hand küßte.
„Ich hatte schon gestern die Absicht, Ihre Fürsprache zu erbitten,“ wollte er beginnen, doch fiel ihm Lora rasch in's Wort.
„Welche Strafe gebührt dem Ueberläufer?“ fragte sie.
„Der Tod,“ sagte er.
„Nein, das – ist zu viel.“
„Tiefe Verachtung,“ meinte die Tante.
„Bitte, widme Du sie ihm,“ ersuchte Lora ihre Schwester. „Aber wer sich unverläßlich erweist,“ fuhr sie mit komischem Ernste fort, „wird außerdem am zweckmäßigsten an die Kette genommen, und das – will ich besorgen. Gewisse verdachterregende Schwankungen, nach dem gräflich Baumbach'schen Heerlager zu, haben mich zum Nachdenken und zu dem Entschlusse gebracht, diesem leichtsinnigen Herumstreifen ein Ende zu machen. Weißt Du, Lisa, der Mann that mir doch in der Seele leid; er hat im Grunde ein gutes Herz; unsern Witold hat er auch gerettet; man mußte etwas für ihn thun, und so nahm ich mich seiner an und trat bei seiner Escadron als Recrut ein. Aber nur zum Schein; denn eigentlich beabsichtige ich zu commandiren. Ich will ihn schon in der Uebung erhalten, mir allzeit pflicht- und ordnungsgemäß nach –“ hier hielt sie ein wenig inne und schloß mit einem Schelmenblick auf Steinweg: „nachzureiten.“
„Wie meinem Leitstern!“ betheuerte er entzückt.
Sie aber hüpfte lachend davon, schlang ihren Arm in den der Tante und zog diese in das Frühstückszimmer.
Auch Lisa lächelte mild und bewegt. Sie sah Steinweg an und konnte nicht begreifen, daß sie jemals hatte glauben können, daß dies ein Mann für sie sein könnte. Bei ihr war es allerdings anders als bei ihrer Schwester. Wo sie lieben sollte, da mußte sie auch verehren können. Das wußte sie jetzt.
„Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück,“ sagte sie weich. „Und hier – mein Hochzeitsgeschenk. Es war nahe daran, großes – nicht wieder gut zu machendes Unheil anzurichten.“
Er erkannte das Blatt, das sie hervorgezogen und ihm eingehändigt.
„Können Sie mir vergeben?“ bat er beschämt.
„Wenn Ihr nicht gleich kommt, so werde ich eifersüchtig und – hungrig. Herr Rittmeister, wo bleibt der Leitstern?“ rief Lora, die wieder unter der Thür erschien.
In diesem Augenblicke trat Witold durch die andere vom Flur her ein.
In Steinweg's Wohnung hatte er erfahren, daß derselbe hierher geritten, und in großer Erregung war er ihm gefolgt. Soeben war er vom Pferde gesprungen.
Lisa sah, daß Zorn in seinen Mienen arbeitete, und ihr Herz zitterte vor Furcht und namenloser Freude zugleich. Sie war nicht im Stande, auch nur ein Wort zu sprechen, und wenn es ihr Tod gewesen wäre.
Zum Ausbruch aber kam es nicht; denn schon hing Lora am Halse des eben Eingetretenen.
„Witold, sag', daß es recht ist!“ rief sie, schelmisch und doch in seltsamem Umschlag zur Rührung, beinahe schluchzend. „Dann erst bin ich ganz ruhig. Siehst Du, Lisa hat mir so ernstlich zugesprochen, daß ich nachgeben mußte. Sie hat es mit zu verantworten, wenn es ein Unglück giebt. Gustav will mich zur Frau.“
[273]
[274] Auch Steinweg trat an seinen Schwager mit einer gewissen Förmlichkeit heran und erklärte, daß er die Absicht gehabt hätte, in feierlicher Weise um Lora’s Hand anzuhalten, und was der Versicherungen seiner ernsten treuen Meinung noch mehr waren.
Witold, der wie versteinert dastand, ließ ihn sprechen. Er drückte ihm mit Macht die Hände; er schloß Lora wieder an seine Brust und küßte ihre Stirn, aber seine Zunge schien ihm zu versagen. Das abgebrochene Murmeln blieb unverständlich, und als die überglückliche Braut, die endlich doch aus dem Geplauder in’s Weinen gerathen war, zur Tante flüchtete und Steinweg diesmal seinem Leitstern getreulich in’s Frühstückszimmer folgte, da brach Witold auf den Stuhl nieder, neben dem er stand. Die Ellbogen auf den Tisch vor ihm gestützt; barg er das Antlitz in die Hände.
Die Wandlung war eine zu ungeheure gewesen, auch selbst für seine Kraft.
Da kam ein unhörbarer Frauenfuß über den Teppich geglitten. Leise neigte sich Lisa auf den geliebten Mann herab und berührte sein Haar mit ihren Lippen.
So sanft der Kuß, er hatte ihn doch empfunden, wie einen elektrischen Funken, der sein ganzes Wesen durchzuckte. Die Hände sanken ihm von den Augen, aus denen Thränen über die bleichen Wangen rannen. Er sah zu ihr auf, die schön wie die strahlende Morgenröthe vor ihm stand, und breitete die Arme weit aus.
„Lisa!“ rief er mit versagender Stimme. „Willst Du mein Weib sein?“
Ob sie wollte? Wie gern! Wie gern!
Mit Augen voll innern Lichtes sah sie auf ihn, aber sie brachte doch nichts anderes hervor, indem sie an seine Brust sank, als ein einziges, leises, herzinniges Wort:
„Witold!“
Einige der Haupthistorien Holtei’s sind mir in voller Frische gegenwärtig; ich sehe ihn deutlich auf dem glattpolirten schweren Mahagonistuhle vor mir sitzen und agiren. Er begleitete das Gespräch in der Regel mit äußerst drastischer Mimik und den lebhaftesten Bewegungen, die dem jeweiligen Charakter der von ihm citirten Personen genau angepaßt waren. Der ehemalige Schauspieler brach fortwährend in ihm durch. Ein Bild, wie es Holtei z. B. von Goethe entwarf, in dessen Hause er eine Zeitlang ungenirt ein- und ausgegangen war, darf Ansprüche auf Portraitähnlichkeit machen. Er stand vom Stuhle auf und zerlegte sich gleichsam in zwei Charaktere; der eine war der lustige und burschikose junge Holtei, der andere der gemessene und wie ein lebendiges Weltorakel auftretende alte Goethe. Den Kopf in den Nacken zurückgeworfen, die Hände hinten über den Rocktaschen gekreuzt, stand er kerzengerade und steif da; die Augen weit geöffnet und fest auf einen Punkt gerichtet, fertigte er den vorlauten Burschen, der es gewagt hatte, die Schiller’sche Inscenirung des „Egmont“ anzugreifen, mit der ruhigen Bemerkung ab:
„Was wollt Ihr von meinem ‚Egmont‘, Ihr junges Volk, die Ihr kaum in die Welt gerochen habt? Unser Freund Schiller wußte, was er that, und also war es gut.“
Und dann machte er den Gang des Olympiers nach und wandelte wie eine geschobene Statue im Zimmer auf und ab, zuweilen inne haltend und mit den Blicken auf Tischen, Schränken und Kästen suchend, einen Zettel in der Hand, auf welchem wenige Zeilen standen. Als Goethe am zweiten Theile des „Faust“ dichtete, waren überall solche Zettel verstreut, die er dann zusammenschob oder beiseite legte, je nachdem es ihm gefiel. Oder der Alte ahmte nach, wie Goethe, was selten zu geschehen pflegte, in Zorn gerieth, die Nasenflügel bewegte, mit gehobener Stimme ausrief: „Nun, nun, das ist ja recht schön!“ und zur Thür hinausging. Dies war der höchste Ausdruck seiner Unzufriedenheit, und dann fand Niemand mehr den Muth, ihm vor Augen zu treten.
Ein anderes Bild: Heinrich Heine hatte seine ersten Gedichte herausgegeben, welche die Jugend elektrisirten und ihren Verfasser zum verzogenen Liebling der Berliner Salons machten. Er saß mit Ludwig Robert, dem Bruder der Rahel (Friederike Varnhagen von Ense), und Holtei zusammen und sonnte sich im Glanze seines jungen Ruhmes. Trotz seiner Erfolge war er schüchtern, argwöhnisch, eifersüchtig, empfindlich und gereizt und lauerte auf jedes Wort des Lobes oder Tadels. Robert zog beständig mit den harmlosesten Scherzen über ihn her, und Heine nahm jede Ironie für baare Münze und befand sich in der übelsten Stimmung.
„Sie haben sich’s nicht sauer werden lassen, lieber Heine, mit Ihren Paar Liedern. So was macht Ihnen Jeder nach,“ begann Robert.
„Nun bitte, versuchen Sie es doch einmal, wenn es gar so leicht ist!“ replicirte der gekränkte Dichter.
„Warum nicht? Hören Sie:
‚Sie gab mir bei ihrem Tode
Ein blasses, blaues Band –
Es liegt in meiner Kommode
Im Schube linker Hand?‘“
Heine sprang wie von einer Spinne gestochen auf und sagte mit zitternder Stimme alles Ernstes:
„Lieber Robert, lassen Sie das um Gotteswillen nicht drucken – sonst bin ich ein verlorener Mann.“
Wie Holtei zuvor Goethe copirt hatte, so that er es auch mit Heine und Robert, und man glaubte die drollige Scene selber zu erleben.
So wüßte ich noch eine Menge von Anekdoten aus Holtei’s Gesprächen zu berichten. Zum Theil finden sie sich schon in den „Vierzig Jahren“, dort allerdings meist in veränderter Fassung, und sie nehmen sich im Druck stumpf und todt aus.
Hand in Hand mit diesen mündlichen Ueberlieferungen ließ Holtei schriftliche Demonstrationen gehen. Wenn man in sein von ihm nur als Garderobe und Stapelplatz für einlaufende Bücher und Geschenke benütztes Vorzimmer trat, sah man auf einem Tische eine Reihe von großen blauen Mappen liegen, in alphabetischer Ordnung und sauber abgefegt. Das war seine kostbare Autographensammlung, sein liebster Besitz, von welchem er sich später nur nach langem Widerstreben und durch die äußerste Geldverlegenheit gedrängt zu trennen vermochte. Hätte ich damals die lumpigen dreizehnhundert Thaler gehabt, die er für diese unbezahlbaren Reliquien erhalten hat, so wären sie heute noch beisammen und nicht, wie leider geschehen, in alle vier Winde zerstreut und verzettelt. Das Wenige, was ich an Handschriften aus der reichen Fundgrube besitze, sind einige Doubletten, die mir Holtei zum Geschenk gemacht hat, als ich den Kauf zwischen ihm und dem wunderlichen Kunstliebhaber Robert Weigelt – er ist unlängst in Elend und Armuth gestorben – vermittelte. Weigelt war ein stadtbekanntes Breslauer Original, ein genialer, herzensguter, aber für das Leben völlig unbrauchbarer Mensch. Er hatte Theologie studirt, war dann Maler und Photograph geworden, trieb aber bald sein Geschäft nur aus Liebhaberei, nachdem er seine Kunden durch Launen und Schrullen der seltsamsten Art verscheucht hatte.
Sein väterliches Vermögen schien ihm unerschöpflich; er kaufte Alles, was ihm irgendwie interessant schien, war immer mit geheimnißvollen Plänen beschäftigt, die nicht zur Ausführung gelangten, und hatte niemals eine Minute Zeit, obgleich er eigentlich nichts that. Von ihm rührt das beste Portrait unseres Dichters her, das mir Holtei vor zehn Jahren mit folgender Unterschrift überreicht hat:
„Und wenn der Junge zum Alten kommt,
Vermeint Ihr, daß es dem Jungen frommt?
Der Alte möcht’ weise Lehren geben,
Durch Lehren aber lernt Keiner leben.
Jedweder selbst soll sich Weisheit kaufen,
Soll rechts und links mitunter anlaufen.
Erfahrung hat, theuer bezahlt, erst Gewicht;
Was Einem geschenkt wird, achtet er nicht.“
[275] Wenn die blauen Mappen hervorgeholt wurden, war kein Ende des Lesens, Fragens und Berichtens zu finden, und die Stunden flogen mit Windeseile dahin, sodaß ich Mittag- und Abendmahlzeit über den vergilbten Herrlichkeiten versäumte und in ewig sich erneuernde Conflicte mit der Ordnung des Vaterhauses gerieth:
„Wen erlabend die Himmlischen nähren,
Kann der irdischen Speise entbehren.“
Da zeigte sich Holtei als rechter Geisterbeschwörer; denn er ließ mit den Manuscripten zugleich ihre Autoren erscheinen, und aus den kümmerlichen Resten ihres Erdendaseins wuchsen die leuchtenden Gestalten herrlich empor. Das enge Gasthofzimmer erweiterte sich zur Ruhmeshalle der deutschen Dichtung, und ihre Heroen schritten grüßend an dem Nekromanten und seinem begeisterten Adepten vorüber. Klopstock und Lessing , Goethe und Schiller, Herder und Wieland , Hölderlin und Hölty, Tieck und Schlegel, Arnim und Brentano, Bürger und Kleist, Immermann und Heine, Grillparzer und Lenau, Platen und Rückert, Uhland und Chamisso, Hebbel und Grabbe, Strachwitz und Eichendorff – sie alle lernte ich gleichsam persönlich kennen, und als ich dann später ihre Werke las, machten mir diese einen doppelt tiefen Eindruck und erschienen wie vertrauliche Mittheilungen.
Solche Literaturstunden, von solchem Lehrer gegeben, werden mir schwerlich ein zweites Mal wieder kommen. Heute bewundere ich die unendliche Geduld, Nachsicht und Güte meines väterlichen Freundes und begreife nicht, wie er seine Zeit dem blutjungen Menschen widmen konnte, der damals dies Alles als etwas Selbstverständliches in Empfang nahm und kaum ein „Danke schön!“ dafür sagte. Aber eben diese Selbstlosigkeit war charakteristisch für Holtei, wie er sie denn auch nach einer andern Seite hin übte, indem er mit verschwenderischer Freigebigkeit fortschenkte, was er besaß. Für den Armen der bei ihm anklopfte, hatte er immer noch einen Thaler übrig, obwohl er selber Noth litt und erst wenige Jahre vor seinem Tode durch die Güte des Kaisers und als Pensionär der Schiller-Stiftung vor dem äußersten Mangel bewahrt wurde. So lange er konnte, hat er seinen Unterhalt sich ehrlich verdient, wenn auch die Feder manchmal seiner müden Hand entsinken wollte und er unter der Last widerwilliger Arbeit seufzte.
Wie oft, wenn ich ihn zur festgesetzten Stunde am Schreibtisch überraschte, erging er sich in Expectorationen, wie:
„Gut, daß Sie kommen und daß ich die nichtswürdige Schmiererei liegen lassen darf! Schreiben oder Hungern – mögen Sie nie vor dieses traurige Dilemma gestellt werden! Es ist eines so schlimm wie das andere, und ich bin noch gut daran, die Leute kümmern sich hier und da noch um das dumme Zeug; sonst müßte es heißen: Schreiben und Hungern! Und gar heutigen Tages! Wer liest denn noch Bücher, wie man sie früher las, mit Andacht, Behagen und Ruhe? Und wer kauft sie? Die gnädige Frau Baronin oder die Frau Oberstlieutenant oder die Frau Regierungsräthin wollen überhaupt nur reden über ein Buch, und ihre Zeitung bringt ihnen die übliche alberne Anzeige mit einem Extract der Geschichte, der dem Autor das Beste vorweg nimmt. Allenfalls schicken sie dann in die Leihbibliothek und schämen sich nicht, einen Band in ihre hochwohlgeborene Pfote zu nehmen, der aussieht, als wenn er drei Tage im Rinnstein gelegen hätte. Pfui Teufel! Dieses hochnasige, knickerige und unverschämte moderne Bildungsgesindel, das seine Nase in jeden Quark steckt und über Alles das Maul bis an die Ohre aufreißt! Für diesen Pöbel strengt unsereiner sein abgemartertes Gehirn an. Keine Zeile mehr würd’ ich auf’s Papier setzen, wenn ich’s nicht nöthig hätte. Geschenkt wollen sie Alle haben und thun noch, als ob sie einem eine besondere Ehre erwiesen, wenn sie das Buch huldvollst und geneigtest entgegennehmen und dem armen Verfasser das Geld aus der Tasche stehlen. Wenn ich die Groschen beisammen hätte, die mich meine Bücher schon gekostet haben, weil ich sie immer und immer wieder kaufen muß, um sie meinen ‚Verehrern‘ zu dediciren – es wäre ein hübsches Sümmchen.“
Sobald Holtei am Arbeitstische saß, einem ungeschlachten, die halbe Wand ausfüllenden einfachen Möbel, das er nach eigener Angabe sich hatte anfertigen lassen, spielte er mit einer Kugel von braunem Bossirwachs, die er in der linken Hand hielt, knetete und rollte. Deutsche Bücher, besonders Romane, las er nur, wenn er sich für den Autor interessirte. Geistige Nahrung und Anregung zog er meist aus französischer Lectüre, die er sehr hoch schätzte. Auch wollte er in seinem Stil von Niemandem beeinflußt sein und haßte nichts so sehr, wie Nachahmung und Schablone. Eine Bibliothek besaß er nicht; seine Bücher lagen sämmtlich in Graz bei seinen Angehörigen, und nur das Allerunentbehrlichste hatte er in einem kleinen Glasschranke im Vorzimmer untergebracht. Dazu gehörten Rückert’s sämmtliche Werke, ein Geschenk des Verlegers Sauerländer, Goethe's und Christian Günther’s Gedichte, Béranger und Horaz. So wenig er für die moderne Literatur im Allgemeinen eingenommen war, so innig und warm verehrte er einige der neuesten Dichter, vor Allen Paul Heyse als Novellisten und Emanuel Geibel als Lyriker. Das „Geheimniß der Sehnsucht“ mit seinem Heimweh nach der Ewigkeit, eines der schönsten und tiefsinnigsten Gedichte Geibel’s, rührte ihn zu Thränen. Was ihn bei beiden Dichtern mit lebhaftester Bewunderung erfüllte, der er nie genug rühmende Worte zu geben wußte, war die hohe künstlerische Vollendung ihrer Form, als hätte er gefühlt, woran es ihm selber am meisten gebrach.
Im Uebrigen war er, wie aus vielen seiner mündlichen und schriftlichen Aeußerungen hervorgeht, kein Freund der modernen Zeit mit ihren Eisenbahnen, Correspondenzkarten, Parlamentsreden, Journalen, Reclamemachern, Schwindlern und Clavierspielern. Das Alles warf er bunt durch einander in Einen Topf und pries dann die guten alten stillen Tage von ehemals, die golden in seinem Gedächtniß fortlebten. Es war unter Umständen gefährlich mit ihm zu politisiren und zu philosophiren; er wurde leicht verstimmt und trug seinen Groll dem, der ihm widersprochen hatte, lange nach.
In der Politik stand ihm das autokratische Königthum der Hohenzollern und die Hausmacht des preußischen Staates auf unantastbarer Höhe; er nannte sich mit Vorliebe den alten Royalisten und wollte von der Wandlung der Dinge, die in den siebenziger Jahren eintrat, und vom deutschen Reiche anfänglich wenig wissen. Wurde er von Thatsachen und schlagenden Beweisgründen in die Enge getrieben, so schnitt er die Debatte kurzweg ab und deckte sich den Rückzug mit drolligen Redensarten wie: „Daraus mag einer von Euch Gelehrten klug werden; ich bin zu alt und zu dumm für Eure Weisheit von gestern.“ Oder er sagte: „Was geht mich die ganze Wirthschaft an? Ich hab’s ja doch bald überstanden; ‚auf einer Wolke will ich sitzen und zusehen wie sie einander unten die Köpfe abreißen.‘“
Hielt er in politischen Angelegenheiten starr an dem überlieferten Autoritätsprincip fest, so dachte er in Gefühls- und Glaubenssachen um so freier und humaner. Er übte Toleranz gegen jede natürliche Schwäche des Herzens und achtete jede ehrliche Ueberzeugung. „Da ist kein Jude, kein Heide, kein Christ – wir sind allzumal Sünder, die des Ruhmes ermangeln“ – in diesen Worten war sein Glaubensbekenntniß enthalten. Priesterlichen Beistand und eine geistliche Grabrede hat er sich vor seinem Ende ausdrücklich verbeten. Und doch beschäftigten ihn die Gedanken über Seele, Gott und Unsterblichkeit bis in die letzten Tage. Ein Skeptiker vom reinsten Wasser, verließ er sich auf nichts als auf seine eigenen Erfahrungen, die ihn zuweilen in abenteuerliche Phantasien verwickelten. Noch kurz vor seinem Tode versicherte er mir mit aller Bestimmtheit, es gäbe keine Unsterblichkeit; er fühle, wie mit den Kräften des Leibes auch die des Geistes allmählich schwächer würden und auslöschten. Und dann meinte er wieder, wenn ein Gott existirte, der sich um jeden miserabeln Kerl und um alle Weltläufe, welche aus Millionen von Gestirnen herumkriechen, bekümmere, so werde er ihm gewiß verzeihen, daß er nicht an ihn habe glauben können. Sei der Geist göttlichen Ursprungs, so vermöge man keinen besseren Gebrauch von ihm zu machen, als zu zweifeln. Der Glaube beschränke, während der Zweifel befreie. Man diene also Gott eher dadurch, daß man seine eigenen Meinungen sich in Kampf und Verwirrung des Lebens bilde, als daß man als gläubiges Schaf hinter einem Leithammel herliefe und sich von den Pfaffen etwas vorreden ließe. Die Atheisten seien die wahren Diener des heiligen Geistes etc.
Bei solchen Ansichten und Sophistereien mochte es befremden, daß Holtei, der obendrein geborener Protestant war, entschieden zum Katholicismus hinneigte. Aber diese Neigung hatte, wie bei vielen künstlerisch angelegten Naturen, ihren Grund in den
[276] ästhetischen Anschauungen und beruhte keineswegs auf seiner positiven Ueberzeugung. Ich hatte ihm einmal eine Anzahl geharnischter Sonette geschickt, die, aus einer äußern Veranlassung entstanden, gegen die despotische Kirche zu Felde zogen, und erhielt folgende schriftliche Abweisung: „Ich fühle mich nicht befähiget, Dichtungen zu beurtheilen, welche gegen den Katholicismus im Allgemeinen gerichtet sind, da ich an diesem stets nur das poetische Ideal betrachtet habe, ohne mich von den Entartungen der Realität abschrecken zu lassen.“
Das poetische Ideal war es, was ihn zum weihraucherfüllten, von Musik durchklungenen Dome und zu der Menge anbetender Gläubigen hinzog; vor dem Unbegreiflichen und Ewigen wollte er mit ihnen auf den Knieen liegen, ohne darum ihre Dogmen und Satzungen zu beobachten. Er unterschied zwischen religiöser Stimmung und religiösem Glauben und mochte nicht leiden, daß ihm dieser durch eine protestantische Predigt aufgenöthigt wurde, während er jene am reinsten und unmittelbarsten im Cultus der katholischen Kirche zu empfangen schien. Sein intimer Umgang mit dem ehemaligen Fürstbischof von Breslau, der sofort abgebrochen wurde, als Dr. Heinrich Förster seinen Beitritt zur Unfehlbarkeitserklärung aussprach, ist Holtei, wie vieles Andere, von den biederen Breslauern schwer verübelt worden. Sie nannten ihn einen Achselträger und Heuchler und hatten keine Ahnung davon, wie ungebunden und rückhaltlos der Dichter mit dem geistlichen Oberhaupte vom Dome verkehrte, und wie er auch ihm gegenüber aus seinen freien Ansichten durchaus nicht den geringsten Hehl machte.
Holtei’s Lebensabend wurde durch zwei außergewöhnliche Ereignisse verschönt: durch sein goldenes Dichterjubiläum, das in seiner Vaterstadt festlich begangen wurde, und durch die allgemeine Feier seines achtzigjährigen Geburtstages, an welcher ganz Deutschland sich betheiligte. Auch für mich waren der 21. Mai 1869 und der 24. Januar 1878 denkwürdige Ehrentage; denn man hatte mich ausersehen, für Widmung und Prolog zu sorgen, und ich bin der ehrenvollen Aufforderung mit großer Freude nachgekommen. Konnte ich dem väterlichen Freunde doch einmal vor vielen Ohrenzeugen sagen, wie lieb ich ihn hatte und wie dankbar ich ihm war!
Die Erinnerung an Holtei’s Dichterjubiläum wird mir ewig unvergeßlich bleiben. Hinter einer glänzenden und zahlreichen Deputation vornehmer Herren und schöner Damen – die Artôt und Padilla waren als junges Ehepaar dabei – schlich ich in einem geliehenen Frack die Stiegen des bekannten Hôtels hinauf. Freiherr von Ende trug auf einem Atlaskissen den Lorbeer aus massivem Golde, welcher auf seinen Blättern die Titel von Holtei’schen Werken zeigte. Eine Dame überreichte dem Jubilar das Zueignungsblatt, das außer meinen Versen die Namen seiner Freunde und Kranzspender enthielt; eine andere Dame übergab ihm ein verblichenes gedrucktes Papier mit altmodischen Lettern, von einem gestickten Rahmen eingefaßt – es war der Theaterzettel vom 21. Mai 1819, der die erste Aufführung der „Farben“ im Breslauer Stadttheater ankündigte. Während die Schauspielerin Helene Widmann die Zueignung sprach, lehnte Holtei an dem Thürpfosten und weinte wie ein Kind. Dann aber war er schnell gefaßt, unterhielt die Gesellschaft auf’s Lustigste und erzählte seine „Göttergeschichten“.
Ernster und trauriger für den Dichter verlief die Feier seines achtzigjährigen Geburtstages. In völliger Gebrochenheit und von Leiden aller Art gequält, saß er in der stillen einsamen Zelle des „Barmherzigen Bruderklosters“, die er nur verlassen sollte, um sie mit einer noch einsameren und stilleren unter der Erde zu vertauschen. Nur wenige Gratulanten wurden vorgelassen, und die wenigen standen verlegen, einsilbig und niedergeschlagen um den Kranken, dem die Vernichtung schon ihre sichtbaren Zeichen in’s Antlitz geprägt zu haben schien. Während am Abend vor einem unabsehbaren Publicum, das aus ganz Schlesien nach der Hauptstadt geeilt war, Holtei’s Lieder gesungen und seine Gedichte declamirt wurden und der Festredner Karl Weinhold den Dichter in warmen beredten Worten feierte, stöhnte der gequälte Mensch auf seinem Schmerzenslager und rief vergebens nach dem einzigen barmherzigen Bruder, der ihn von seinen Schmerzen erlösen konnte, nach dem Allerbarmer Tod. Noch zwei lange, unsäglich elende Jahre sollten hingehen, ehe der ersehnte Erlöser und Befreier an seine Thür klopfte.
Gleich einem Gefangenen, der kaum ein Stück blauen Himmels und ein paar Schornsteine von seinem vergitterten Fenster aus zu sehen bekommt, verlebte Holtei, an den Lehnstuhl gefesselt, düstere Stunden; von Schreiben und Lesen war bald die Rede nicht mehr; er ließ sich in der ersten Zeit noch manchmal etwas vorlesen und nahm auch an den Ereignissen des Tages Theil, so gut es eben anging. Dann aber kamen Perioden, wo sein Geist umnachtet war, Gesichtstäuschungen und Gedankenstörungen eintraten und er Niemanden erkannte. Nur mit innerstem Widerstreben bin ich den Weg zum Kloster gegangen. Jeder Besuch regte mich im Tiefsten auf; das Bild, das ich aus früheren Tagen von Holtei empfangen hatte, erschien mir bis zur Unkenntlichkeit entstellt und verzerrt, und der Geruch des Krankenhauses, sowie die sich fühlbar machende Nähe von Sterbenden und Todten wirkten so deprimirend auf Geist und Körper, daß ich jedesmal unwohl und im Fieber nach Hause kam.
Bei unserem letzten Wiedersehen hatte er einen guten Tag. Sein Gedächtniß war wieder da, und wir plauderten eine halbe Stunde. Zu meinem Erstaunen fand ich ihn auf das Genaueste über alle meine Verhältnisse, die mich in die Fremde fortgedrängt, unterrichtet. Und er hat mich beruhigt und getröstet wie in alter Zeit, und seine letzten an mich gerichteten Worte waren Worte herzlicher Liebe und Güte. Ich fühle noch den Druck seiner kalten abgestorbenen Hände, die nun in der Erde ruhen.
Als ich ihn noch einmal besuchen wollte, um Abschied von ihm zu nehmen, hatte er selber auf ewig Abschied genommen.
In der Nähe Münchens liegt idyllisch das Dörfchen Krailing. Herrliche Waldungen ziehen das anmuthige Würmthal entlang. Waldesgrün, Waldesluft und Waldesfrieden begrüßen hier den Besucher. Alljährlich, sobald der Frühherbst in das Land zog, durchstreifte diese Gegend ein Gast, der von Alt und Jung gekannt und geliebt war. Derselbe war eine imposante, äußerst gewinnende Erscheinung. Das wohlgeformte Antlitz, durch das ein Zug von Wohlwollen ging, war von einem sorgfältig gepflegten Bart umrahmt. Das freundliche Auge strahlte ein seltenes Feuer des Geistes.
Dieser regelmäßige Besucher war Friedrich Güll, der Dichter der „Kinderheimath“. Wie der Lerche das Saatfeld und die Bläue des Himmels, so war seinem poetischen Gemüthe der Wald ein Bedürfniß. Inmitten der heitern Landschaft suchte und fand er Erholung und geistige Frische. Die von Arbeit und Sorgen gelähmten Schwingen des Geistes sammelten hier neue Flugkraft. Seine in Krailing empfangenen Eindrücke legte Güll in Sprüchen, Versen, Stammbuchblättern etc. nieder und brachte diese als werthvolle Ausbeute mit in die Heimath.
Der Herbst des vergangenen Jahres war der letzte, der ihn in sein geliebtes Walddörfchen führen sollte. Kurz vor Jahresschluß ist er in München aus dem Leben geschieden.
Güll gehört nicht zu jenen Berühmtheiten, deren Name auf Aller Lippen ist; selbst unter den literarisch Gebildeten wird eine ganze Anzahl seinem Namen zuerst an dieser Stelle zu begegnen meinen. Sie irren sich – sie haben es nur vergessen, daß dieser Name unter so manchem Liedchen in den Fibeln und Lesebüchern ihrer Kindheit gestanden, vielleicht gerade unter solchen, die ihnen einst die liebsten waren und die sie heute noch nicht vergessen haben. Und daß ihnen diese Erinnerung nicht wieder aufgefrischt wurde, daran ist jener unbegreifliche, kaum zu bezwingende Wahn schuld, als könne es gar keine Jugenddichtung geben, welche wirklichen Kunstwerth habe, welche in die Literaturgeschichten gehöre. Sie wird in Bausch und Bogen wie das Spielzeug der Kinder behandelt, das man kauft, um es zerreißen und zerbrechen zu lassen.
Aber Güll war ein wirklicher Dichter, und einer, der ein Gedenkblatt an dieser Stelle verdient. Das Leben hat ihn, den unermüdlich ringenden, zur Höhe des Schaffens strebenden Mann, leider immer mit so kurzem Zügel geführt, daß er nie zu rechter
[277] Freiheit der Bewegung gekommen ist. So soll ihm wenigstens die alte gut deutsche Gerechtigkeit werden, daß die Nachwelt ihn würdigt und – beklagt.
Friedrich Güll wurde am 1. April in der fränkischen Kreishauptstadt Ansbach geboren. Seine Wiege stand in einem sehr bescheidenen Stübchen; der Vater war, wie der Großvater schon, ehrsamer Goldschmied und verdiente, soviel die Familie zum Leben brauchte. Aber der Vater starb, als Friedrich noch ein zartes Kind war, und dieser kam abwechselnd zu den beiden Großmüttern, von denen die eine ihn in kargender Zucht hielt, die andere grenzenlos verwöhnte. Um für den Sohn eine consequente, ernste Führung zu gewinnen, entschloß sich daher die Mutter zu einer zweiten Ehe. Der Stiefvater war wirklich ein treuer, rechter Vater. Er ließ sich die geistige Heranbildung Friedrich's sehr angelegen sein. Während er selbst des Schneiderhandwerks pflegte, mußte der Knabe die Vocabeln in der neuen Fibel entziffern und auf leichtfaßliche Weise an den Schneiderutensilien das Rechnen lernen.
Der talentvolle Junge machte rasche Fortschritte, und bald ward er der Lector des Vaters, dem er seine Leibblätter vorlesen mußte. Das Herumtummeln im Freien, die so sehnlichst gewünschten häufigen Ausflüge in Feld und Wald blieben ihm durch eine Schrulle des Alten lange ganz versagt, und als die Mutter sie endlich in beschränktem Maße erwirkt, kostete sie der Knabe mit wahrer Leidenschaft, selbst auf die Gefahr empfindlicher Strafen hin. Und diese seltene Liebe zur Natur hat ihn, wie bereits eingangs bemerkt, durch das ganze Leben begleitet.
Genügend vorbereitet, trat er in die Volksschule ein. Auch dort machte er rasche Fortschritte. Privatim schöpfte er viel geistige Nahrung aus einer kleinen, aber ausgewählten Bibliothek, die er eines Tages in einem entlegenen Theile des Hauses in einer Kiste entdeckte. Während der freien Zeit wurde stundenlang gelesen und memorirt.
Mit zehn Jahren trat Güll in die Realschule seiner Vaterstadt ein; der Stiefvater that es nicht anders, trotzdem die Verhältnisse des gichtisch gewordenen Schneidermeisters bedenklich zurückgegangen waren. Hier erst thaute der Knabe recht auf, hier lernte er für die Gedichte von Goethe, Schiller und Uhland, vermittelt durch das Lesebuch, schwärmen; aber ein geschickter Unterricht fesselte sein Interesse auf allen Gebieten.
Da starb auch der zweite Vater, und vorbei war es mit allen Träumen von Gymnasium und Hochschule. Mit blutendem Herzen stand der reichbegabte Schüler vor jenem verhängnißvollen Scheideweg des Lebens, an welchen das harte Geschick so manchen strebsamen Jüngling stellt. Bei den unzulänglichen Mitteln mußte er jedem höhern Studium entsagen; zu einem ehrsamen Handwerke konnte er sich nicht entschließen, und so wurde er Volksschullehrer.
Die Zeit der Vorbildung zu diesem Berufe, welche im Seminar zu Altdorf abschloß, war in wenigen Jahren mit sehr gutem Erfolge zurückgelegt; sie hatte Güll, außer anderem, eine gute musikalische Ausbildung eingetragen, die er mit ganz besonderer Vorliebe umfaßte. Eine übervölkerte Landschule, zu Flachslanden, wurde ihm jetzt als Arbeitsfeld angewiesen. Das kam dem spätern Jugenddichter sehr zu statten. Das Kinderlied ist ein Sprößling der lyrischen Volkspoesie. Die elementare Form, der einfache Gedanke, der klare bündige Ausdruck, die plastischen Bilder sind beiden gemeinsam. Die geistigen Wurzeln des Jugenddichters müssen ihre Nahrung aus den verschiedenen Gattungen der Volkspoesie schöpfen.
Der Volks- und Kindeston schlug dem Landschullehrer stündlich an's Ohr. Das große, lehrreiche Buch des Volks- und Kinderlebens lag vor ihm aufgeschlagen. Es gehörte nur ein empfänglicher Sinn, ein verständnißvolles Gemüth und ein redliches Streben dazu, um die unbeachteten Sprachschätze zu heben und sich nutzbar zu machen. Daß Güll dies that, bezeugen die reichen Früchte seines Schaffens. Auch für sein späteres großes Reimgeschick legte er hier den Grund: er ging, um den Entwurf einer Lesefibel auszuarbeiten, ein ganzes Wörterbuch durch und prägte sich damit einen seltenen Wortschatz ein.
Nach längerem treuem Wirken brach Güll sein Zelt ab und siedelte in seine Geburtsstadt Ansbach über. Daselbst wirkte er sieben Jahre, theils an der Armenschule, theils am Theresianum, einem städtischen Institute. Er war ein geborener Lehrer, ausgerüstet mit freudiger Lebensanschauung, einem kindlichen Sinne, Liebe und Verständniß für die Kleinen, Treue für den Beruf. Ein ganzer Kreis von Schülern, denen es vergönnt war, einen Blick in sein reiches Gemüthsleben zu thun, blickte mit Dank und Verehrung zu ihm auf. Es kam Güll schwer an, sich loszureißen von einer Wirkungsstätte, mit der er durch tausend Wurzeln des Seins verwachsen war. Doch in der Landeshauptstadt sprangen so reiche geistige Quellen. Das muß einen wissensdurstigen Mann mächtig anziehen. Er ergriff daher abermals den Wanderstab, um eine städtische Schulstelle in München anzutreten. Leider waren auch hier die Verhältnisse stärker als ein strebsamer Wille. Güll hatte bereits eine Familie gegründet und diese, mehrere Köpfe zählend, war auf das bescheidene Jahreseinkommen von – dreihundert Gulden angewiesen.
Der sorgsame Vater mühte sich im Erwerbe. Doch der Dichter ging nicht im Ernährer unter. Des Tages war Pegasus im Joche, des Abends wurde er für kurze Zeit frei.
Schon seit früheren Jahren machte Güll dichterische Versuche auf dem Gebiete der Kunstlyrik, und auf diesem Gebiete Vollendetes zu leisten, war und blieb die höchste Sehnsucht seines Lebens. Als er an dem berauschenden Kelche der Liebe geschlürft, da quollen seine Gefühle zum ersten Male in Versen hervor. Auch als Erzähler versuchte er sich. Sein eigentliches Feld fand er aber, als er auf das „Kinderlied“ kam.
Einst geriethen durch Zufall – so erzählte Güll dem Schreiber dieser Zeilen wiederholt – die Ammenreime in „des Knaben Wunderhorn“ in seine Hände. Diese regten ihn mächtig an. Er las sie, las sie wieder, legte das Buch aus der Hand und – der Jugenddichter war in ihm zum Bewußtsein gekommen. Rasch entstanden einige Lieder, unter ihnen auch das bekannte Recrutenlied „Wer will unter die Soldaten“, das bald auf den Kücken'schen Flügeln des Gesanges seinen Siegesflug durch alle deutschen Gauen antrat. Der Einzug eines Regiments zur Wachparade regte dieses Lied im Dichter an. Jetzt reihte sich Strophe an Strophe, Lied an Lied. Bald war es eine stattliche Sammlung.
Mit diesem poetischen Schatze eilte der Dichter zu Meister Gustav Schwab, um zuerst dessen gewiegtes Urtheil über seine Gedichte zu hören, ehe er sie durch den Druck einem größeren Kreise vorlege. Güll, ein seltener Meister im Vortrag, führte dem strengen Richter einige seiner poetischen Kinder vor. Wie sie diesem gefielen, beweist die Thatsache, daß er die Drucklegung (1837) selbst in die Hand nahm und den Gedichten in Form einer warmen Vorrede einen schönen Geleitsbrief mit auf den Weg gab. Darin sagt er unter Anderem: „Sie athmen so viel Unbefangenheit und verbergen ein besonnenes Dichtertalent. Die [278] Lehren, die darin verflochten, sind mit so wenig Lehrermiene und so viel Laune vorgetragen, daß mir ihr künstlerischer Werth ebensowohl als ihr pädagogischer unzweifelhaft däucht.“ Den illustrativen Theil zu der Ausgabe der Güll'schen Gedichte hatte der ebenfalls als Jugenddichter bekannte Graf Franz Pocci übernommen.
Die „Kinderheimath“ wurde bald zur Heimath der Kinder, bei der sie immer und immer wieder einkehrte. Sie erlebte mehrere Ausgaben; der Verfasser veranstaltete später auch eine Volksausgabe. Wir schließen uns freudig dem Wunsche der „Augsburger allgemeinen Zeitung“ an, daß es einem Meister wie Oscar Pletsch gefallen möge, diese Gedichtsammlung mit Bildern zu schmücken. Der Stift dieses Künstlers wäre der richtige Zauberstab, um den Klapperstorch, die Kätzchen und Mäuschen, den Nicolaus etc. lebensvoll und möglichst individuell ausgestattet vor die Augen der Kinder hinzustellen.
Der Jugendlehrer Güll hatte als Jugenddichter den Ton des Kinderliedes in der glücklichsten Weise getroffen. Der Lehrer, als Führer des Verstandes, ward als Dichter der Priester des Herzens. Güll kannte als Lehrer durch täglichen Umgang die Welt der Kleinen, verstand deren Thun, las ihre Wünsche, redete ihre Sprache, wußte, warum und wann das Kind lacht und weint; und nur einem so eifrigen Naturforscher der Kindesseele, wie er, der zugleich so innig vertraut mit der Volkspoesie und ein so gestaltungskräftiger Künstler war, konnte es gelingen, vereint dem kindlichen Bedürfniß und den Ansprüchen der Kunst gerecht zu werden.
Die Gedichte Güll's zeichnet – wenn auch nicht alle in gleicher Weise – eine wohlthuende Frische, eine packende, kindliche Darstellung aus. Dabei durchziehen dieselben die Silberfäden eines gesunden Humors. Die Sprache ist voll Melodie und Wohllaut, der Versbau schlicht, die Form rein. Die fabula docet springt leicht in die Augen, ohne daß sie sich je prätentiös aufdrängt, oder nur lose angefügt wäre, wie etwa bei Gellert und Anderen.
Wie traute Freunde blicken diese Gedichte jedem Kinde liebevoll in das Gesicht, schmeicheln sich in die Kindesseele ein und werden bald zu Lieblingen der Kleinen. Ja selbst auf die Erwachsenen machen die Gedichte vom „Steckenpferd“ „Schneemann“, „Kletterbüblein“ und wie sie alle heißen, einen äußerst anheimelnden Eindruck. Die ganze Jugendzeit mit all ihren Reizen kehrt wieder und steht mit frischen Farben in der Erinnerung bei diesen Liedchen, die wir als Kinder auch gelernt und gesungen.
Daß Güll ein gesuchter Mitarbeiter der deutschen Jugendzeitschriften war, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Mit Stolz zählten ihn diese zu ihrem Mitarbeiter; und in ganz Deutschland existirt kaum noch ein Schullesebuch, das nicht eine Anleihe bei der „Kinderheimath“ gemacht hätte.
Neben den eigentlichen Kinderliedern stehen eine große Zahl von vielfach in der Form äußerst pikanten Räthseln und eine noch größere von Sprüchen. Die letzteren sind vielleicht als die reifste Leistung Güll's zu betrachten. Graziös in der Form, bergen sie einen außerordentlichen Schatz von Lebensweisheit, eine Fülle von feinen Beobachtungen. Freilich läuft da mancher bekannte Gedanke unter, wenn auch immer eigenartig ausgesprochen; aber das ist kein Wunder bei ihrer Menge. In den Jahren von 1873 bis 1877 hat Güll allein nahezu 600 Sprüche, 300 Räthsel und 20 Gedichte geschaffen, nachdem das warmherzige Drängen seines neugewonnenen Freundes Julius Lohmeyer, des Begründers der „Deutschen Jugend“, den ermüdeten, mißmuthig und alt gewordenen Dichter noch einmal aufgestachelt hatte, und der umfangreiche literarische Nachlaß hat an Sprüchen und Räthseln noch mindestens eine ebenso große Zahl ergeben. Lohmeyer hat das Vermächtniß überkommen, diesen Nachlaß zusammen mit den sonstigen, bisher nur zerstreut veröffentlichten Schöpfungen Güll's herauszugeben. Eine kurze Selbstbiographie des Dichters hat er jüngst in seiner „Deutschen Jugend“ veröffentlicht.
Zu voller Lebensfreudigkeit ist Güll in München, obgleich er seinem arbeitsvollen Berufe gern oblag und manche Stunde anregenden Umganges genießen durfte, je länger, je weniger gekommen. Mochten seine Schüler musterhaft sein und besonders die Theilnehmerinnen an seinem privaten Fortbildungscursus schwärmerisch an ihm hängen, mochten ihn die Abende unter den „Zwanglosen“, im „Deutschen Hause“ mit Thäter, König, Schwind und Anderen, bei Schnorr, Kaulbach etc. mit der Ueberzeugung erfüllen, daß er den Besten werth war – zu vollem Genusse dessen blieb dem von der Brodarbeit abgematteten und gequälten Manne nur selten die Fähigkeit, und zum Schaffen eben nicht häufiger. Nur in den Ferienausflügen genoß er wirklich. Und als die Behörde ein Einsehen hatte und seit 1870 ihm die Last erleichterte, ja zwei Jahre Urlaub und 1876 die Versetzung in den Ruhestand gewährte, traf die Wohlthat einen Mann mit zerrütteten Nerven, den Nervenschmerzen, Ermattung und oft düstere Melancholie peinigten.
Besondere Lichtblicke waren für ihn die Zeichen der Anerkennung, welche ihm von Seiten der beiden kunstsinnigen Fürsten Maximilian's des Zweiten und Ludwig's des Zweiten zu Theil wurden, namentlich die Aussetzung einer jährlichen Subvention, die er vom Erscheinen der „Kinderheimath“ ab genoß; ferner die Ehrenbezeigungen, mit denen die Stadt München sowie die Collegenschaft ihn feierten, als er aus seiner öffentlichen Thätigkeit schied.
Wie beliebt und geachtet Güll war, zeigte sich erst recht bei seinem Begräbnisse am letztverflossenen zweiten Weihnachtstage. Die höchsten Schulbeamten des Staates, des Kreises und der Stadt gaben dem schlichten Schullehrer das letzte Geleite.
Während der Dichter in das Grab gebettet wurde, prangte in jedem Hause der Christbaum, den er wie kaum ein zweiter Jugenddichter besungen. Gar manches Kind erfreute sich an der Festgabe der „Kinderheimath“, als über deren Verfasser sich der Grabeshügel wölbte.
Die moderne Industrie hat durch eine gründliche Arbeitstheilung, durch die Einführung zahlloser Maschinen, vor Allem dadurch, daß sie die elementaren Naturkräfte in ihren Dienst zwang, ihre Wirkungen verhundert-, ja vertausendfacht. Allein neben der Lichtseite steht auch eine Schattenseite. Mit der Kühnheit ihrer Unternehmungen, mit der Massenhaftigkeit der Stoffe, die sie bewältigt, mit der fieberhaften Hast, mit welcher die Maschinen und die zu ihrer Bedienung verwendeten Menschenhände arbeiten müssen, sind auch die Gefahren für Gesundheit und Leben der dabei beschäftigten Millionen von Arbeitern wesentlich gestiegen. Ganz besonders aber sind es eben jene in den Dienst des Menschen gezwungenen Elementarkräfte, welche nicht selten gegen ihn selbst ihre zerstörende Macht richten und so sich gleichsam rächen für die Herrschaft, die der Menschengeist über sie ausübt. „Denn,“ wie schon der Dichter singt, „die Elemente hassen das Gebild der Menschenhand.“ Der Dampf allein, dieser Riese im Schaffen, solange er dem Menschen gehorcht, dieser furchtbare Dämon, sobald er seine Fesseln sprengt, hat Tausende und aber Tausende von Leben vernichtet. Ja auch schon seine regelrechten Functionen im Umtriebe von Rädern verleihen den von ihm in Bewegung gesetzten Maschinen eine solche Schnellkraft, daß die mit denselben in Berührung kommenden Menschen immerfort in Gefahr schweben, von ihnen erfaßt, beschädigt, wo nicht verstümmelt oder zermalmt zu werden. Nicht am wenigsten sind es ferner auch jene unterirdischen, unberechenbaren, unheimlichen Elementargeister der giftigen Dämpfe und der sogenannten schlagenden Wetter, welche leider so häufig Menschenopfer, und zwar gewöhnlich gleich massenweise, fordern.
Den Gefahren, welchen somit die im Dienste der modernen Industrie arbeitende Bevölkerung tagtäglich ausgesetzt ist, kann freilich vielfach vorgebeugt werden durch Vorsicht, und zwar auf Seiten der Arbeiter wie der Unternehmer. Leider aber wird diese Vorsicht beiderseits nur zu oft vernachlässigt.
Von einem sehr großen Theile aller der Unglücksfälle in Fabriken etc. läßt sich mit ziemlicher Sicherheit constatiren, daß er nur durch Unvorsichtigkeit oder Leichtsinn der Arbeiter selbst [279] herbeigeführt worden. Es ist dies um so schlimmer, als durch derartige Unvorsichtigkeiten oft nicht blos Diejenigen, welche sich solcher schuldig machen, sondern auch zahlreiche Andere, die daran unschuldig waren, verunglücken.
Indeß, dagegen läßt sich (abgesehen von den auf erweislich grobe Fahrlässigkeit unter Umständen fallenden criminellen Strafen) wenig oder nichts thun, außer der immer auf’s Neue wiederholten dringenden Ermahnung zur Vorsicht an die Arbeiter.
In vielleicht ebenso vielen Fällen mag aber auch ein Verschulden der Unternehmer oder ihrer Angestellten die Ursache von Körperverletzungen oder gar Tödtungen von Arbeitern sein. Und hier ist es nicht nur möglich, sondern hier heischt es auch die Gerechtigkeit: sobald durch Jemandes Verschulden Personen beschädigt wurden, welche seiner Leitung sich anvertrauten, welche in seinem Dienste gearbeitet und mit dem Aufgebot ihrer Kräfte ihm genützt haben, denselben dafür haftbar zu machen, daß er (abgesehen von einer etwaigen strafrechtlichen Verantwortung) die also Beschädigten möglichst ausreichend für den erlittenen Verlust schadlos halte.
In den Gesetzgebungen der großen Industriestaaten England und Frankreich war eine solche Haftpflicht der Unternehmer für die durch ihr Verschulden herbeigeführten Unglücksfälle schon längst ausgesprochen, und die Praxis der dortigen Gerichte hatte die Wirkung, daß oft sehr bedeutende Summen (zumal bei Massenunfällen, z. B. auf Eisenbahnen) gezahlt werden mußten. In Deutschland fehlte es, so lange es überhaupt noch keine gemeinsame Rechtsgesetzgebung gab, selbstverständlich auch hierfür an irgendwie ausreichenden Bestimmungen.
Die einzelnen Landesgesetzgebungen machten zwar wohl größtentheils den Unternehmer oder Arbeitgeber haftbar für Unfälle, die unmittelbar er selbst verschuldet hatte, nicht aber (oder doch nur unter ganz besonderen Voraussetzungen) für solche, die durch Verschuldungen seiner Angestellten veranlaßt waren; da nun bei allen größeren Betrieben (bei Eisenbahnen Bergwerken, Fabriken) selten oder nie der Unternehmer selbst, vielmehr nur die von ihm angestellten Personen die eigentliche Leitung des Betriebes haben, so konnte nach jenen Gesetzen in den seltensten Fällen eine gesetzliche Verpflichtung des Unternehmers zur Schadloshaltung der in seinem Unternehmen Verunglückten nachgewiesen werden.
Durch das preußische Gesetz über die Eisenbahnen von 1838 wurde zuerst für dieses sehr bedeutende Gebiet industrieller Unternehmungen eine umfassendere Haftpflicht, und zwar eine sehr strenge, eingeführt; denn nach jenem Gesetz hafteten die Unternehmer von Eisenbahnen (also die Actiengesellschaften) für jeden beim Betriebe derselben vorkommenden Unglücksfall, sobald sie nicht nachweisen konnten, daß entweder eine sogenannte „höhere Gewalt“ (z. B. ein Bergsturz, der einen Wagenzug zertrümmert, oder ein Blitzstrahl, der in einen solchen eingeschlagen, oder eine plötzliche, nicht abzuwendende Unterwaschung der Schienen und dergleichen), oder daß das eigene Verschulden des Verunglückten dessen Beschädigung verursacht habe.
Noch in zwei anderen Beziehungen waren die deutschen Landesgesetzgebungen über Haftpflicht unzureichend. Für’s Erste enthielten sie nichts Genügendes über die Höhe der Entschädigung, und so kam es, daß, wenn einmal ein Unternehmer zu einer solchen verurtheilt ward, die zu zahlende Summe selten viel mehr betrug, als die Curkosten eines Beschädigten, die Beerdigungskosten eines Getödteten und höchstens noch den Arbeitslohn des Verunglückten auf eine kurze Zeit. Sodann aber war (abgesehen von den unter das preußische Eisenbahngesetz fallenden Vorkommnissen) für den Beschädigten der Beweis, daß der Unternehmer an der Beschädigung Schuld trage, äußerst schwer, meist gar nicht zu führen, weil die deutschen Proceßgesetze insgesammt für eine solche Beweisführung höchst peinliche, nur selten zu erfüllende Erfordernisse aufstellten.
Es war somit für Deutschland, dessen Industrie je länger je mehr an Maschinenkraft und Fabrikbetrieb mit der englischen und französischen wetteiferte, das höchste Bedürfniß vorhanden, auch in Bezug auf den Schutz der Arbeiter gegen die mit diesem Industriebetriebe verbundenen Gefahren ähnliche gesetzliche Bestimmungen zu treffen, wie sie in jenen Ländern längst bestanden. Und weil eine gemeinsame Gesetzgebung des Reichs über den Proceß und vollends über das bürgerliche Recht noch in weiter Aussicht stand, mußte zunächst durch ein besonderes oder sogenanntes Specialgesetz diese Materie der Haftpflicht geordnet werden.
Die erste Anregung zum Erlaß eines solchen „Haftpflichtgesetzes“ für’s ganze Reich ging von Leipzig aus, und zwar nicht, wie man vielleicht denken könnte, aus der Mitte der Arbeiter, etwa in Folge der seit 1863 lebhafter gewordenen und hauptsächlich von Leipzig aus betriebenen Arbeiterbewegung, vielmehr aus einem Kreise von Besitzenden, die dem größeren Theile nach Arbeitgeber waren. Eine Versammlung der nationalliberalen Partei in Leipzig war es, welche an den norddeutschen Reichstag von 1868 eine von Dr. Hans Blum verfaßte, von dem Verfasser dieses Aufsatzes angeregte Petition in diesem Sinne richtete.
Der Reichstag übergab diese Petition („Biedermann und Genossen“) einstimmig dem Reichskanzler zur Berücksichtigung. In Folge dessen gelangte denn an den ersten gesammtdeutschen Reichstag im Jahre 1871 eine Vorlage der verbündeten Regierungen, welche es unternahm, die Haftpflicht wenigstens für eine Reihe von Gewerbebetrieben in solcher Weise zu normiren, daß den Arbeitern, beziehentlich deren Hinterlassenen, eine möglichst ausreichende Entschädigung für Körperverletzungen oder Tödtungen gesichert sei.
Allerdings beschränkte das Gesetz, wie es damals zu Stande kam, den Umkreis der Gewerbebetriebe, die unter dasselbe fallen sollten, auf: Eisenbahnen, Bergwerke, Steinbrüche, Gräbereien und Fabriken, ließ also alle übrigen Gewerbebetriebe unberücksichtigt, von denen manche, wie z. B. die Baugewerke, der Mühlenbetrieb, ja auch einzelne Zweige der Landwirthschaft, kaum minder gefährlich sind, als jene oben aufgezählten. Anträge auf Hereinziehung noch anderer Gewerbe wurden zwar im Reichstage gestellt, aber von der Majorität zurückgewiesen. Man glaubte sich zur Zeit auf das Allernothwendigste beschränken zu müssen, um so mehr, als damals (1871) der Reichsgesetzgebung die Competenz in Sachen des bürgerliche Rechts – mit Ausnahme des Obligationenrechts – noch nicht zustand.
Immerhin war es als ein wesentlicher Fortschritt zu Gunsten der arbeitenden Classen zu bezeichnen, daß wenigstens in jenen unstreitig gefährlichsten Gewerbebetrieben die Unternehmer für Beschädigungen ihrer Arbeiter oder auch dritter Personen ausdrücklich haftbar gemacht und zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet wurden, und zwar bei den Eisenbahnen (§ 1) – ganz nach dem Muster des preußischen Gesetzes von 1838 – in allen den Fällen, wo sie nicht entweder „höhere Gewalt“ oder eigenes Verschulden des Beschädigten nachzuweisen vermöchten, bei den anderen Gewerbebetrieben aber nicht mehr blos (wie nach den Landesgesetzen) bei einem Verschulden des Unternehmers, sondern auch in den Fällen, „wenn (wie es in § 2 des Gesetzes wörtlich heißt) ein Bevollmächtigter oder Repräsentant, oder eine zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder der Arbeiter angenommene Person durch ein Verschulden in Ausführung der Dienstverrichtungen den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt hat“.
Eben so wichtig war der zweite Fortschritt, den das Haftpflichtgesetz über die bisherige Gesetzgebung hinaus in Betreff der Höhe der zu leistenden Entschädigungen that. Es setzte nämlich (in § 3) fest: der zu leistende Schadenersatz müsse, abgesehen von der Erstattung der Heilungs- oder Beerdigungskosten, bestehen „in der Erstattung des gesammten Vermögensnachtheils, welchen ein Verletzter durch eine in Folge der Verletzung eingetretene Erwerbsunfähigkeit, oder welchen eine Person, zu deren Unterhalt der durch Unfall Getödtete vermöge Gesetzes verpflichtet war, durch dessen Tod erleidet“.
Es sei hier sogleich bemerkt, daß diese Gesetzesbestimmung von den Gerichten, mindestens von dem als oberster Gerichtshof für alle diese Sachen bestellten Reichsoberhandelsgericht, dahin ausgelegt worden ist, daß ein Beschädigter durch den haftpflichtigen Unternehmer jedenfalls in der Art schadlos gehalten werden muß, daß er dasselbe Einkommen fortbezieht, welches er vor seiner Körperverletzung bezog, bei Tödtungen aber denjenigen Personen, welche zu unterhalten der Getödtete gesetzlich verpflichtet war (z. B. der Frau und den Kindern), der Unterhalt in dem gleichen Maße, wie sie solchen von ihrem Ernährer bezogen, fortgewährt wird.
Ein vielumstrittener Punkt bei Berathung des Haftpflichtgesetzes im Reichstage war der wegen der sogenannten Beweislast. Wer soll den Beweis zu führen haben, ob ein Verschulden des Unternehmers, beziehungsweise eines seiner Angestellten, vorliege [280] oder nicht: der Beschädigte oder der Unternehmer? Die Gesetzvorlage sagte – allerdings in Uebereinstimmung mit den hergebrachten Rechtsgrundsätzen –: der Beschädigte. Dagegen ward von vielen Seiten geltend gemacht: dann werde der Beweis in den meisten Fällen gar nicht erbracht werden; denn wie solle z. B. bei einem Unglücksfall durch schlagende Wetter in einem Bergwerke, wo gewöhnlich die Unglücksstätte selbst zerstört oder verwüstet ist, nachträglich bewiesen werden, ob etwas und was von Seiten des Unternehmers oder seiner Angestellten versehen worden sei? Es ward daher mehrfach im Reichstage beantragt: der Unternehmer (eines Bergwerks, einer Fabrik) solle jedes Mal nachzuweisen haben, daß von seiner Seite und von seinen Angestellten nichts versäumt oder vernachlässigt worden sei, was dazu hätte dienen können, den Unglücksfall abzuwenden. Er sei, wurde behauptet, dann immer noch besser daran, als eine Eisenbahngesellschaft, welche ohne Weiteres als schuldig und daher haftbar betrachtet werde, sobald sie nicht höhere Gewalt oder eigenes Verschulden der Beschädigten nachweise.
Indeß auch diese Anträge wurden verworfen, und so blieb es bei der dem Beschädigten (beziehentlich dessen Hinterlassenen) obliegenden Beweislast. Zum Troste dafür ward von den Vertheidigern der Vorlage gesagt: indem das Gesetz für alle haftpflichtigen Fälle die alte, beengende Beweistheorie in Wegfall bringe und den erkennenden Gerichten das allerfreieste Ermessen einräume sowohl hinsichtlich der Schuldfrage selbst, wie hinsichtlich der Höhe des Schadenersatzes (und das that es allerdings in den §§ 6 und 7), gebe es den Gerichten die Möglichkeit, auch ohne eine strenge Beweisführung von Seiten des Beschädigten diesem eine Entschädigung zuzusprechen, wenn sie nach ihrer wohlerwogenen Ueberzeugung, nach allen vorliegenden oder von ihnen auf eigene Hand ermittelten Umständen die Ansicht gewännen, daß ein Verschulden des Unternehmers oder eines seiner Beauftragten vorliege. Wir werden später (in einem zweiten Artikel) sehen, daß die Hoffnung: die Gerichte würden dem Beschädigten, trotz der für ihn so sehr erschwerten Beweisführung, dennoch zu seinem Rechte verhelfen, wenigstens in vielen Fällen keine vergebliche gewesen ist.
Auf eine besondere Bestimmung des Gesetzes, welche nicht in der ursprünglichen Vorlage enthalten war, sondern erst vom Reichstage hineingebracht ward, auf den vielberufenen § 4, der unter gewissen Voraussetzungen die Kranken-, Knappschafts- und ähnliche Cassen bei der Entschädigung haftpflichtiger Unfälle in Mitleidenschaft zieht, wollen wir hier nicht näher eingehen, wir bemerken nur, daß die mit diesem Paragraphen gemachten Erfahrungen uns für eine Beseitigung desselben zu sprechen scheinen.
Fassen wir alle diese Momente in’s Auge, so werden wir sagen müssen, daß das Haftpflichtgesetz von 1871 allerdings manche wichtige Verbesserungen der bisherigen Gesetzgebung enthielt und daß es entweder Unwissenheit oder böswillige Absicht verrieth, wenn socialistische Agitatoren dasselbe als ein für die Arbeiter ganz werthloses, ja wohl gar als ein ihnen nachtheiliges verschrieen, daß es aber auf der andern Seite sehr begreiflich ist, wenn dieser erste Ansatz zu einer gesetzgeberischen Regelung der Materie für das ganze Reich – und das war das Haftpflichtgesetz – noch unvollkommen und lückenhaft blieb. Seit dessen Inslebentreten sind nun nahezu neun Jahre vergangen, und zahlreiche Erfahrungen sind mit Anwendung des Gesetzes gemacht worden; inzwischen ist auch die Gemeinsamkeit der Rechtsgesetzgebung für das ganze deutsche Reich in allen Theilen mit alleiniger Ausnahme des bürgerlichen Rechts bereits verwirklicht worden, und auch für letzteres ist wenigstens die Competenz des Reichs zweifellos und festgestellt.
Genug, es scheint an der Zeit, an eine Revision des Haftpflichtgesetzes Hand zu legen, und es sind denn auch mehrfache Anregungen dazu bereits erfolgt, theils in der Form von Anträgen, Interpellationen u. dergl. m. im Reichstage selbst, theils auf dem Wege der Petition von außerhalb desselben. Jene ersteren bezweckten theils eine Erweiterung des Kreises der haftpflichtigen Gewerbe, theils Aenderungen in Bezug auf die Beweislast. In letzterer Beziehung ist unseres Wissens wiederum Leipzig mit gutem Beispiel vorangegangen; von da aus sind in jüngster Zeit gleichzeitig zwei ihrem Inhalte nach ziemlich ähnliche Petitionen um Erweiterung des Haftpflichtgesetzes an den Reichstag gerichtet worden, die eine von der „Gemeinnützigen“, die andere von der „Polytechnischen Gesellschaft“, also beide wiederum aus dem Kreise der Besitzenden, beziehentlich der Arbeitgeber.
Nur die erstere ist bisher veröffentlicht worden. Sie erbittet eine Erweiterung des wichtigen § 2 des Haftpflichtgesetzes nach zwei Seiten hin, einmal durch Aufnahme sämmtlicher Gewerbe, einschließlich der Landwirthschaft, in das Gesetz, zweitens durch eine erleichterte Beweisführung zu Gunsten der Beschädigten. Nach dieser Petition wäre § 2 so zu fassen:
„Jeder Unternehmer eines gewerblichen Betriebes – einschließlich der Landwirthschaft – haftet für den Schaden, der dadurch entsteht, daß im Betriebe seines Gewerbes durch sein Verschulden ein Mensch getödtet oder körperlich verletzt wird. Desgleichen haftet ein solcher, wenn er eine auf Schadensverhütung abzielende polizeiliche Anordnung der zuständigen Behörde vernachlässigt hat, für alle körperlichen Unfälle, welche durch Beobachtung der betreffenden Anordnung hätten vermieden werden können, ebenso, als hätte er dieselben verschuldet, wofern er nicht nachweist, daß der Unfall auch bei Beobachtung der polizeilichen Anordnung nicht hätte verhütet werden können. Endlich haftet derselbe auch für den unter gleichen Voraussetzungen von einem Bevollmächtigten oder Repräsentanten oder einer zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder der Arbeiter angenommenen Person durch ein Verschulden in Ausführung der Dienstverrichtungen herbeigeführte Schaden.“
In dem jetzigen Stadium, wo eine Revision, eine Erweiterung oder Ergänzung des Haftpflichtgesetzes von 1871 seitens der Reichsgewalten in ziemlich sicherer und wohl auch nicht ferner Aussicht steht, schien es uns angemessen, die öffentliche Meinung und insbesondere die bei diesem Gesetze zunächst Betheiligten, Arbeitgeber und Arbeiter, über diese Materie – in Bezug auf welche zum Theil noch so manche irrige Ansichten und so manche vorgefaßte Meinungen bestehen – so viel wie möglich zu orientiren und aufzuklären. Und es konnte dies wohl nirgends besser geschehen, als in der überall hin, selbst bis in die Wohnungen der Arbeiter verbreiteten „Gartenlaube“.
Wir beschränken uns für heute auf die obigen Andeutungen über den Inhalt, die Tragweite, die Vorzüge und die Mängel des bestehenden Haftpflichtgesetzes, so wie über die bereits gegebenen Anregungen zu Abänderungen desselben. In einem zweiten Artikel, der bald folgen soll, gedenken wir über die bisherigen praktischen Wirkungen des Haftpflichtgesetzes Einiges beizubringen.
Wo im baierischen Unterfranken das Alzenauer Freigericht seinen dunkel bewaldeten Höhenzug an Dettingen vorüber gen Aschaffenburg erstreckt, haftet in der weiten Ebene, die der Mainstrom durchschneidet, das Auge vorzugsweise an einem Punkte: während diesseits alle die verstreut liegenden Ortschaften von nur einem niedrigen, sehr bescheidenen Kirchthürmchen überragt werden, streben jenseits des von Ufergebüschen dicht umsäumten Flusses mehrere äußerst stattliche Thürme hoch und schlank gen Himmel, und auch der kleine Häusercomplex, der sich da am Mainufer hindehnt, erhebt sich über einen „dörflichen“ Anstrich. – Wenn wir die Mainfähre, die uns über den Strom getragen, verlassen, stehen wir auf hessen-darmstädtischem Gebiet, und zugleich auf dem althistorischen Boden von „Ober-Mühlheim“, das durch Kaiser Karl den Großen seinen neuen Namen „Seligenstadt“ erhielt.
Der Geschichte nach hatte Kaiser Karl zu Seligenstadt einen ähnlichen Reichspalast, wie zu Frankfurt am Main wie zu Tribur und Ingelheim am Rhein. Ein uralter, mit etlichen
[281][282] Steinbogen und kleinen Pilastern verzierter Mauerrest, der unmittelbar über dem Mainufer emporsteigt und noch jetzt den hochtönenden Namen „Palatium“ trägt, deutet den Platz an, wo sich einst die Seligenstädter Kaiserpfalz erhob, die noch wiederholt von den Regenten aus dem Geschlecht der Hohenstaufen zum Aufenthalt benutzt worden ist.
Für die Erbauung des Palatium zu Seligenstadt wäre nun genugsame Veranlassung zu finden in Kaiser Karl's besonderer Vorliebe für die Jagd und der Nähe seines Lieblingsforstes, des Dreieich, dessen Grenzen mit denen der übrigen beiden großartigen Reviere des alten, deutschen Reichswaldes, dem „Forehahi“ und Odenwald, so nahe zusammenliefen, daß die drei zusammen gleichsam eine einzige, nur hier und da durch Sumpfland unterbrochene Strecke tiefsten, wundervollsten Urwaldes bildeten. Zeugen doch von jener Vorliebe des Kaisers für den herrlichen Bannforst noch heute die Ruinen von Dreieichenhain, die Stätte bezeichnend, wo das kaiserliche Jagdschloß stand. Aber die Sage hat eine ganz andere Erklärung noch für den Vorzug des Ortes, einen Reichspalast erhalten zu haben, sowie für den Namen Seligenstadt, eine Erklärung, die uns gewissermaßen in den engsten Kreis der Familienverhältnisse jenes deutschen Kaisers einführt, dem Mit- und Nachwelt den ehrenvollen Beinamen „der Große“ gaben.
Der Liebesroman von Emma, der Tochter des Kaisers, die Eginhard, den Geheimschreiber ihres Vaters, heirathete, ist – wie man wohl sagen darf – ein in aller Welt bekannter. Die uralte Chronik des Klosters Lorsch, dessen gelehrten und fleißigen Mönchen wir so viele interessante Notizen und Berichte aus der fernen Vorzeit verdanken, bewahrte der Nachwelt auch jene anziehende Sage von deutscher Liebe und Treue auf. Der Ort nun, wohin Eginhard und Emma sich wandten, nachdem der Kaiser sie vom Hofe „und aus seinem Angesichte“ verbannt hatte – wo sie Beide lebten, starben und die Stätte ihrer ewigen Ruhe fanden, ist der Ueberlieferung zufolge eben in Seligenstadt und dessen ehemaliger Benedictiner-Abtei zu suchen.
Kaiser Karl der Große hatte sich, so heißt es, mit der Verbannung des jungen Paares selbst am härtesten gestraft. Emma war seine Lieblingstochter, Eginhard sein Günstling. Häusliche Tugenden zierten die junge Prinzessin; nicht umsonst hieß sie nach der fleißigen Biene „Imma“; und eine dieser häuslichen Tugenden wurde des verbannten Kaiserkindes Glück und der Grund zur Aussöhnung mit dem Vater: ihre besondere Meisterschaft in der Kochkunst.
Kaiser Carolus kam auf einem seiner Jagdzüge durch den Dreieich an des Maines Ufer bei Ober-Mühlheim und machte mit seinem Gefolge Rast in der Nähe einer Fischerhütte, die einsam dort am Strande lag, wo nun auf schöner Terrasse die Abtei Seligenstadt sich erhebt. In dem Fischerhäuschen griff die am Herde wirthschaftlich waltende junge Hausfrau in die Functionen des kaiserlichen Kochs ein. Sie kochte einen in Main eben geangelten Fisch auf die Weise, wie sie ihn einst ihrem Vater zubereitet. – Kaum sah der Kaiser die Schüssel, so stieg die Erinnerung an sein verbanntes, seit lange umsonst gesuchtes Kind in ihm auf, und heftig fragte er: „wer den Fisch gekocht habe?“ – Der erschrockene Koch lief auf und davon; der Kaiser eilte zur Hütte und stand jetzt vor der einfach und ländlich gekleideten Frau. Er erkannte sie sofort; sie sank zu seinen Füßen hin, und er nahm sie an sein Herz, in dem sie fortan ihren alten Platz wieder behauptete. Auch mit Eginhard war er ausgesöhnt, als er seine Emma trotz Armuth und Entbehrung so beglückt und zufrieden fand. Damals rief er die Worte aus, welche dem Platze einen neuen Namen geben sollten: „Selig sei die Statt, wo sich meine Tochter wiedergefunden hat!“
Der Ort war seitdem ein geweihter für die drei Glücklichen. Den frommen Gebräuchen einer alten Zeit zu Folge – die an den Stellen, wo dem Menschen Glück und Heil widerfahren, der Gottesverehrung Ausdruck gab – begründeten Eginhard und Emma dort, wo sie den Kaiser und Vater mit sich ausgesöhnt hatten, ein Kloster, die Benedictiner-Abtei Seligenstadt. Anfangs weltlicher Vorsteher derselben, später nach dem 836 erfolgten Tode seiner Gattin Abt, schrieb Eginhard hier die meisten der Werke, welche seinen Gelehrtenruf feststellten, nicht aber seine berühmte Chronik über das Leben Kaiser Karl's des Großen, die ihm schon verschiedene Jahre früher einen Namen machte.
Die Abtei wurde 1802, nachdem sie über tausend Jahre bestanden, aufgehoben und Seligenstadt fiel an den Großherzog von Hessen. Die stattlichen Bauten der Kirche und des sich daran schließenden Convents erheben sich noch heute an ihrer alten Stelle nahe dem Mainufer, nur wenige Schritte von den Ueberresten des Palatium entfernt. Die Kirche beherrscht den Vordergrund des weiten Platzes, und hinter derselben dehnen sich in mächtigem Viereck die langgestreckten Flügel der Klosterbauten. Obgleich Um- und Anbau dem alterthümlichen Gotteshause vielfach schadeten, ist die Kirche mit ihren schönen Thürmen, ihrer großartigen Façade, eine besondere Zierde des Maingebiets. Sie wird neuerdings mit großer Pracht renovirt.
Interessanter – und zu den alten Zeiten und sagenhaften Geschichten passender war die Kirche früher. Es lag damals in dem düstern, tief umschatteten Raume dieser uralten Pfeilerbasilika, die noch ein Atrium besaß, ein geheimnißvoller, ein ganz unsagbarer Zauber. Das Grau der Wölbungen, hie und da der tiefe Verfall, dann die dunklen alten Chor- und Betstühle, der alterthümliche und eigenartige Bilderschmuck – all dieses Dunkle und Düstere paßte prachtvoll zu der Grabstätte inmitten des hohen Chors, zu jenem mit der Krone und dem Kaiserwappen der Karolinger gezierten mächtigen Sarkophage von schwarzem Marmor, den die Sage mit ihren grauen Schleiern umwob.
Im März des Jahres 1872 feierte Seligenstadt einen großen Triumph. Es ging nämlich seit lange die Sage: Eginhard und Emma wären nicht in jenem Marmorsarkophage, sondern zu Erbach im Odenwalde begraben. Wer je den interessanten alten Rittersaal des Erbacher Schlosses durchschritt und unten in der kleinen abgegrenzten Gruft vor dem großen einfachen Steinsarge stand, der wird dort auch gehört haben: „darin ruhen die Stammeltern des gräflich Erbach'schen Geschlechts, Eginhard, Herr und Graf von Erbach, ehemals Geheimschreiber Kaiser Karl's des Großen, und Emma, Eginhard's Gemahlin, des mächtigen Kaisers Lieblingstochter.“
Der Erbacher schlichte Steinsarg, ähnlich dem zu Verona als Ruhestätte Romeo's und Julien's erklärten, befand sich allerdings einst in der Seligenstädter Abteikirche; in ihm aber ruhten, wie die Seligenstädter Ueberlieferung besagte, Eginhard und Emma nur so lange, bis ein prachtliebender Abt einen Marmorsarkophag als passender erachtete für die Tochter und den Schwiegersohn eines großen deutschen Kaisers.
Im März 1872 nun, vor der Renovirung des hohen Chors, wurde der Marmorsarkophag von seinem alten Platze entfernt. Er kam in einen niedrigen Anbau im hohen Chor, in das sogenannte Kirchenarchiv. Dieses ist jetzt zur Capelle umgewandelt und durch offenen Eingang mit der Kirche verbunden. Vor der Veränderung des Platzes öffnete man den Sarkophag in Gegenwart einer dazu eingeladenen Commission, die aus verschiedenen höheren hessischen Beamten und Würdenträgern der Kirche bestand. Man legte dieser Commission zuvörderst ein altes Urkundenbuch der Abtei vor, in welchem Seligenstädter Klosterbrüder über eine gleiche Nachforschung nach den Gebeinen der berühmten Todten aus den Jahren 1607 und 1722 berichtet haben.
Nach hundertfünfzig Jahren stand man also abermals an dem uralten Grabe zu einem gleichen Zwecke versammelt. Der Wunsch, den alten Streit endlich beigelegt zu sehen, mochte diese letzte Nachforschung angeregt haben. Dieselbe fiel zu glänzender Rechtfertigung des alten Urkundenbuches aus; denn bis auf's Kleinste stimmten seine Angaben mit dem Inhalt sowohl des Sarkophags wie der darin ruhenden Documente überein. Der Anfang des neuen, vor Zeugen aufgenommenen Berichtes über den Befund, welcher Bericht von allen Anwesenden unterzeichnet wurde, mag hier wortgetreu folgen:
„Nach Hinwegnahme der marmornen Deckelplatte des Sarkophags erblickten wir, ungefähr ein Fuß tiefer, eine Bretterlage, und nach deren Entfernung wurde eine sargähnliche Lade sichtbar, die mit zwei Siegeln, denen des Abts Peter des Vierten Schultheiß, versehen war. Im Innern war diese Lade durch eine Querleiste in zwei Abtheilungen getheilt. In der einen derselben, gegen den Hochaltar hin, lagen zwei schwarzseidene Säckchen, an deren eines eine kleine Pergamentrolle angebunden; außerdem befand sich hier ein Stück schwarzen Zeuges aus ripsartigem Stoffe und ein Stück durchlöchertes Leinen. – In der andern, nach dem Schiff der Kirche gerichteten Abtheilung fanden sich, [283] in ein Stück schwarzen Seidenzeugs eingeschlagen, eine Reihe von Gebeinen in Ordnung neben einander liegend. Unter diesen lag eine schwarze Dalmatika mit einem einzelnen rothseidenen Längestreifen über Brust und Rücken. Darunter zwei Stücke Seidenzeug, welche je aus zwei rothen und von diesen umschlossenen gelben Streifen bestanden und deren Nähte durch einen schmalen blaugefärbten Lederstreifcn gedeckt waren. Unter diesen lag wiederum ein Stück Leinen in verblaßten Farben. In ein ähnliches Stück Leinen waren die Gebeine eingeschlagen, welche das eine schwarze Säckchen enthielt. Beide Stücke waren auf den Nähten und inmitten der Streifen, nach einer gewissen Ordnung, mit Lederstückchen besetzt.“
Hiermit und mit den beiliegenden Documenten war der Inhalt des Sarkophags erschöpft. Nach dem Wortlaut dieser alten Documente, die von vielen Conventualen unterzeichnet, waren die Gebeine als die von drei Personen: eines älteren Mannes, einer älteren Frau und einer im jugendlichen Alter Verstorbenen, näher recognoscirt, die beiden Ersteren als die von Eginhard und Emma, die der Jugendlichen als die einer Gisla. Die Gebeine Eginhard’s lagen frei auf der Dalmatika, jene anderen in den beiden Säckchen. Der Pergamentstreifen an dem einen dieser Säckchen trug die Worte: „Ossa Dominae Gisla pia memoria.“ Wer diese junge Herrin war, ist nicht gesagt. Man vermuthet: eine Tochter von Eginhard und Emma. Dieser Gisla Andenken bewahrt auch noch das nahe bei Seligenstadt gelegene Dorf Zellhausen, wo Emma und Gisla als „fromme Beterinnen und Wohlthäterinnen der Armen“ im Erinnern fortleben.
Nach dieser letzten Sarkophag-Eröffnung wurde Seligenstadt abermals eine besuchte Wallfahrtsstätte, nur daß fortan nicht mehr, wie in früheren Jahrhunderten, die Gebeine der heilig gesprochenen Märtyrer: „Marcellin und Peter“ die Menschen dahin zogen – sondern die Grabstätte des berühmten Liebespaares den Magnet bildete. Freilich darf nicht verschwiegen werden, daß, nachdem der Streit zwischen Seligenstadt und Erbach zur Ruhe gekommen, ein anderer noch nicht schweigt: der Streit, ob Emma auch in Wahrheit eine Tochter Karl’s des Großen gewesen. Nun: die gefundenen Urkunden gehen mit den alten Sagen und den Insignien auf dem Sarkophage Hand in Hand, und ein Ausspruch des berühmten Rhapsoden Dr. Jordan lautet dahin: „die alte Sage sei treuer und zuverlässiger, als die alte Geschichte“.[1]
Weniger glücklich, als die Kirche, deren Restauration bereits weit vorgeschritten, sind die anderen Baureste der alten Abtei daran; sie bleiben vorläufig dem Verfall überlassen.
Das Prälaturhaus, das von allen Bauten des ehemaligen Convents das wohlerhaltenste ist, zeigt noch zur Zeit die „Kaiserzimmer“. Bieten sie auch dem Auge die entsetzlichsten Spuren der Verwüstung, so tragen sie doch auch auf der andern Seite noch den Stempel ihrer einstigen Pracht in Stuckaturarbeit und vergoldeten Ledertapeten. Einer der Säle hat seinen Wandschmuck in alten Oelgemälden bewahrt. Diese, sowie die Fresken in anderen Räumen, weisen fromme oder gelehrte Motive auf. Die Abtei besitzt auch ein altes Bild von Eginhard und Emma, das Kaiser Leopold sich copiren ließ. Ein anderes Gemälde ist der Portraitstammbaum aller Aebte, von Eginhard ab bis in’s achtzehnte Jahrhundert.
Das ganze Terrain des Klosters ist von hohen Mauern umgeben, welche alterthümliche, mit Wappen und Statuen verzierte Portale schmücken. Im Refectorium erreichte die Verwüstung den Höhegrad. Die prachtvolle, weit und hoch gewölbte Halle ist jetzt ein Holzschuppen. Und dabei steht noch am Eingange das schöne Weihbecken von Marmor; es berührt ebenso eigen, wie die Reste der Wandmalereien, wo Bischöfe in vollem Ornat den Stab segnend über Holz und Gerümpel neigen. Geradezu erschütternd aber wirkt in dem Raume, an dem zerbröckelten Pfeiler eines Fensterbogens, der letzte Ueberrest eines Gesichts: ein großes weitaufgeschlagenes Auge. Es starrt uns so ernst, so vorwurfsvoll an, daß man erschrocken, bestürzt zurückweicht.
Möchte Hessens Behörde diesen vorwurfsvollen Blick doch auf sich beziehen und durch ihn bewogen werden, der so stark um sich greifenden Verwüstung in der alten Eginhard’schen Abtei Einhalt zu thun!
Wie die Abtei ihre Wandlungen erfahren hat, so auch das Palatium. Die historische Stätte des alten Reichspalastes erkor sich ein speculativer Verfertiger guten Bieres zur Brauerei, und am Ende der letzten alt-interessanten Mauerwand zieht sich, unterhalb mächtiger Quadern und zierlicher Pilaster und Säulen, in friedlich einfacher Holzbedachung eine Kegelbahn hin. „Mainlust“ heißt zur Zeit der Ort, der Garten, wo man sich nach allen historischen Kreuz- und Querzügen durch Seligenstadt ausruhen und erquicken kann. Der „Mainlust“ gegenüber liegt am Saume des Alzenauer Freigerichts Dettingen, und blicken wir in die weite Ebene, so haben wir das Schlachtfeld vor uns, auf welchem 1743 die Pragmatische Armee unter König Georg dem Zweiten von England einen so blutigen Sieg über die Franzosen erfocht. Kirchhöfe der Umgegend bewahren auf alten Leichensteinen noch die Namen manches Opfers der Schlacht. Auch der dreißigjährige Krieg sandte seine verheerenden Horden in die Gegend, die nun den Stempel eines tiefen Friedens trägt und unter seinen Segnungen blühend gedieh.
Der Ort Seligenstadt selbst weist nur zwei mehr als zweifelhafte Erinnerungen an die Zeit Eginhard’s auf.
Im Innern des Städtchens trägt ein uraltes Giebelhaus als Wahrzeichen einen Kopf. Die Einen deuten denselben dahin: „Das ist Kaiser Karl, der nach seiner Tochter ausschaut.“ Andere wiederum erzählen die Geschichte vom Fische und Koch mit einer Miene, als habe sie sich am Tage zuvor zugetragen, und sie enden den Bericht mit den Worten: „Bis hierher lief der Koch in seinem Schrecken, und das Haus, das nun hier steht, nahm seinen Kopf als Wahrzeichen.“ Im Gasthause „Zur Krone“ aber bewahrt man einen kunstvoll geschnitzten Löffel mit Kette. Aus dem soll Karl der Große getrunken haben. Interessant ist das durch ein altes Fremdenbuch nachgewiesene Factum, daß Peter der Große, als er im Juni 1698 auf seiner Reise nach Rom in Seligenstadt übernachtete, jenen Carolus-Löffel als Becher benutzte. Auch andere deutsche Kaiser tranken daraus, die auf ihren Reisen zur Kaiserkrönung nach Frankfurt in Seligenstadts Abtei Rast machten.
Als wir vor Kurzem wiederum mit Freunden und Verehrern der altdeutschen Sage in Seligenstadt waren, nahmen wir von da aus den Rückweg nach Frankfurt über Dreieichenhain. Die dichten und dunkeln Fichten- und Föhrenwaldungen, die sich von Seligenstadt gen Offenbach erstrecken, die Laub- und Nadelwaldungen, welche wiederum gen Langen, Isenburg und Dreieichenhain sich hindehnen – es sind noch immer herrliche Waldbestände. Um Dreieichenhain haben sogar, woran der Name erinnert, noch die deutschen Eichenwaldungen ihr Reich. Vergebens aber sucht man unter den alten Baumriesen nach jenen berühmten „drei Eichen“, einer alten Gerichtsstätte. Wo jetzt der Kirchplatz von Langen ist, sollen sie einst ihren Platz gehabt haben. Dafür besitzt Dreieichenhain eine sehr schöne Burgruine. Dort stand, wie schon bemerkt, ehemals das Jagdschloß Karl’s des Großen, und dort rasteten nach der Sage Eginhard und Emma auf ihrem Verbannungswege. Unterhalb der Ruinen zieht sich ein Weiher entlang. Auch in seine Fluth senkte Fastrada, das von Kaiser Karl so glühend geliebte Weib, einen Zauberring, ihn wieder an die Stelle zu locken und da zu bannen, wo sie so glücklich mit ihm gewesen. Des Ringes Zauber wirkt der Sage nach noch immer. Wer die klare Fluth des stillen Wassers einmal erschaute, den zieht es wieder zur Stelle. Und wer ließe sich nicht gern zu jenen Eichenwäldern locken – in jene alten, sagenumsponnenen Ruinen, wo schon die Römer ein Castrum erbaut hatten! Man weist die Ansiedelung der Römer zu Seligenstadt und Dreieichenhain um die Zeit nach, wo Kaiser Trajan begann, die Südseite des Mainstromes ebenso zu befestigen, wie man zu Drusus’ Zeiten seiner nördlichen Linie entlang Castelle erbaut und Pfahlgräben angelegt hatte. Wo jetzt in Seligenstadt, nahe der Abteikirche und dem Palatium, ein alter Mainthorthurm aufragt, soll ehemals sich eines der vier Thore eines römischen Castrum befunden haben: die Porta Sinistra.
Ein hessischer Chronist führt sogar an: in Seligenstadt wäre schon ein Theil der 22. römischen Legion detachirt gewesen, [284] die bei der Zerstörung Jerusalems betheiligt war. Durch aufgefundene Votivsteine weist er das nach.
Der anmuthige Liebesroman von dem Geheimschreiber Eginhard und der Kaisertochter hat neuerdings eine reizvolle, vielbewunderte Darstellung von Künstlerhand gefunden. Zu Ingelheim am Rhein, wo einst das Palatium Karl’s des Großen stand, erhebt sich zur Zeit die Villa des Baron Erlanger, und ihren Hauptschmuck bilden im Innern jene Darstellungen des Offenbachers Leopold Bode, zu welchen bei ihrer Ausstellung im Städel’schen Institut in Frankfurt am Main die Menschen tausendweis drängten. Jetzt zieht jener Sagencyclus die Rheintouristen nach Ingelheim; und Viele, Viele wandern von da, wo sie das Liebesleben von Eginhard und Emma im Bilde geschaut, an ihr Grab in der einsam gelegenen Abteikirche zu Seligenstadt.
Ausgewiesen. (Abbildung Seite 273.) Eines der Bilder, die sich
selbst erklären: Eine arme Familie wird auf die Straße gestoßen, weil
sie den Hauszins nicht bezahlen kann. Auch von den Hauptpersonen
einer solchen Scene fehlt keine, die zur Erregung unseres Mitleids und
unserer bis zum Zorn verbitterten Theilnahme am harten Schicksal der
Armuth nöthig sind: der brutale Gebieter, der Gensd’arm, dessen Uniform
den Ort der Handlung nach Italien verlegt und in dessen Gesichtszügen
die Bedauerniß mit dem Zustand der Ausgewiesenen ausgedrückt
ist, ferner der gleichgültige Diener, der das Ausräumen besorgt, und
endlich die Neugierde, die an der andern Thür lauscht – man sieht nicht,
mit welchen Gefühlen; – und diesen gegenüber der nur mit dem Nothwendigsten
bekleidete Mann mit der geballten Faust, das weinende Weib,
das frierende Kind und die verjagte Katze – und damit nichts fehle, was
die Situation gehässig machen kann, so muß auch noch ein heftiger Regen
das Hab und Gut der Armen auf der Straße durchnässen und verderben.
Viele sehen vielleicht dieses Bild an und sagen: „Etwas Neues bringt es
eben nicht.“ Nein, leider ist das nichts Neues, ja, dieses Elend der Armuth
ist sogar etwas sehr Altes – aber wahrlich nicht zur Ehre der Menschheit.
Wenn solche Bilder an die Pflicht mahnen, sie selbst durch die mehr
und mehr vereint wirkende Thatkraft wahrer Menschenfreunde immer
seltener zu machen, so haben sie ja einen Zweck, dessen Erreichung auch
die drastischeste Darstellung solcher Scenen entschuldigt.
Eine seltene Frau. Am 6. April starb zu Altenburg Auguste Herz, geboren den 8. Juni 1824 zu Leipzig als Tochter des Mechanikus
Kachler, seit 1843 Gattin des Dr. Heinrich Herz, der 1849 als Theilnehmer
an dem Maikampfe in Dresden zum Tode verurtheilt und zu
acht Jahren Landesgefängniß begnadigt ward, die er jedoch nur
zur Hälfte verbüßte – und zwar in Hubertusburg. Während dieser langen
Verwaistheit der Familie mußte die Frau selbst für sich und ihre fünf
kleinen Kinder sorgen. Als eine der ersten Schülerinnen Friedrich Fröbel’s, dessen Methode sie in Keilhau studirt, errichtete sie mit Hülfe
der damaligen demokratischen Partei den „ersten Volkskindergarten“ in
Dresden und hielt Vorträge zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen. Nach
einiger Zeit schloß aber die Polizei diese Anstalt als „staatsgefährlich“.
Durch Schriftstellern („Hauserziehung und Kindergarten“), Musikstunden sie war eine Schülerin Friedrich Wieck’s – Turnunterricht etc.; erhielt sie ihre Familie, bis sie mit dem ihr zurückgegebenen Gatten eine Anstalt für blödsinnige Kinder in Meißen gründete. Als diese durch den Krieg und die Cholera von 1866 zurückging, ergänzte sie ihre Kenntnisse durch Privatstudien bei Professor Bock in Leipzig und erhielt von ihm ein treffliches zur Ausübung orthopädischer Curen genügendes Zeugniß. Sie betrieb zuerst in Dresden diese Praxis und dann in Altenburg, wo ihr Gemahl eine Erziehungsanstalt für Knaben übernahm. Dort ward sie für Gymnastik und Orthopädie am herzoglichen Fräuleinstift engagirt und errichtete nebenbei einen Cursaal. Das Vertrauen, welches ihr die herzogliche Familie wegen glücklicher Curen schenkte, trug ihren Ruf auch an andere Höfe und führte ihr, der einstigen „staatsgefährlichen Demokratin“, Patienten höchsten Ranges zu. Im Kriege 1870–1871 zeichnete sie sich bei der Ankunft der Verwundeten wie im Lazareth so aus, daß sie den Orden des Eisernen Kreuzes, ebenso andere Orden und viele Auszeichnungen erhielt. Selbst der Schlachtendenker Moltke ehrte sie 1874 bei einer besonderen Veranlassung durch eigenhändiges Ueberreichen eines Lorbeerkranzes.
Viele von ihr Geheilte und die ganze Stadt erwiesen ihr bei ihrem Begräbnisse noch die größten Ehren, und Hunderte von Armen Altenburgs, deren Kindern sie unentgeltlich mit Rath und That beistand, segnen ihr Andenken. Ihr Gatte und neun erwachsene Kinder überleben sie.
Das Hören durch die Zähne und das Audiphon. Seit der Entdeckung
von Telephon und Mikrophon wird häufig die Frage laut, ob
denn diese Erfindungen nichts zur Milderung des schweren Gebrechens der
Taubheit beitragen können? Man antwortet darauf am besten folgendermaßen:
Wenn die Taubheit eine Folge der Arbeitseinstellung des Hörnerven
und der inneren Organe ist, kann kein Mittel etwas helfen, während,
wenn nur Verletzung des Trommelfells oder der äußern Gehörswerkzeuge
vorliegt, der Fehler am besten durch mechanische Mittel (sogenannte
künstliche Trommelfelle und dergleichen) vermindert werden kann. Die
Natur des vorliegenden Uebels und das beste Mittel zur Abhülfe kann
aber stets nur der Ohrenarzt angeben. Auf ein sehr eigenthümliches
Mittel für diejenigen nicht seltenen Fälle, in denen blos Trommelfell und
Gehörknöchelchen nicht in Ordnung sind, ist man schon seit längerer Zeit
aufmerksam geworden: das Mittel besteht nämlich darin, daß die Schallschwingungen
durch Mund, Zähne und Kopfknochen zu dem Hörnerven
geleitet werden – ist es doch bekannt, daß manche schwerhörige Personen
den Mund öffnen, um besser zu hören. Ein sehr gutes Mittel ist in dieser
Richtung das seit langer Zeit bekannte Straßentelephon, ein Holz- oder
Pappcylinder, dessen eine Oeffnung mit einer straffen Leder- oder Gummimembran
bespannt ist; ein von der Mitte der letzteren ausgehender Fäden
leitet den Schall. Wenn ein Schwerhöriger, dessen innere Gehörswerkzeuge
noch thätig sind, das Ende dieses Fadens zwischen den Zähnen faßt, so
wird er noch in ziemlicher Entfernung verstehen, was Jemand in diesen
ureinfachen Apparat hineinspricht, der vielen Schwerhörigen bessere Dienste
leisten wird, als das Hörrohr.
Auf ähnlichen Grundsätzen beruht auch ein neu empfohlener Apparat, den R. G. Rhodes in Chicago kürzlich erdacht und „Audiphon“ genannt hat. Derselbe besteht aus einem dünnen, etwas über handlangen und breiten Hartgummi-Blatt, welches wie ein Palmenblattfächer auf einem Handgriff befestigt ist und durch einige Fäden bogenförmig gespannt wird. Wenn man die Spitze dieses Fächers an die obere Kinnlade lehnt, so soll man, die gewölbte Seite nach außen gekehrt, unter den eben erwähnten Verhältnissen sehr viel besser hören als sonst.
Professor Colladon in Genf hat gefunden, daß dieses Instrument sehr vortheilhaft durch ein gleichschenkliges Dreieck von achtzehn Zoll Höhe bei zehn Zoll Grundlinie aus der elastischen, zur Appretur der Seiden- und Wollenwaaren gebrauchten Glanzpappe ersetzt wird, welches Dreieck sich Jeder für ein paar Pfennig herstellen kann. Wenn man dieses Pappdreieck an der Basis mit der Hand erfaßt und seine gefirnißte Spitze so gegen die Zähne stemmt (respective mit denselben festhält), daß ein gegen die Schallquelle gerichteter Bogen entsteht, so hört man; bei nicht völliger Vernichtung des innern Organs unter allen Umständen besser. Professor Colladon hat in Taubstummenhäusern sehr günstige Resultate von dieser höchst einfachen Vorrichtung beobachtet, welche letztere wenn schwarz lackirt, sehr wenig von dunkler Kleidung absticht und sowohl Musik wie Sprache selbst beinahe tauben Personen zugänglich machte. Es ist ein künstliches, vor dem Munde aufgespanntes Trommelfell, dessen Gehörknöchelchen, hier die Zähne, die von ihm mit breiter Fläche aufgefangene Schallerschütterung zu dem „innern Ohr“ leiten.
Ein allgemeines sachliches Inhaltsverzeichnis über die fünfundzwanzig unter Ernst Keil’s Redaktion erschienenen Jahrgänge der „Gartenlaube“. Von Friedrich Hofmann.
Die Nothwendigkeit der Herstellung eines Generalregisters über die ersten fünfundzwanzig Bände der „Gartenlaube“ ist schon von vielen Besitzern einer großen Anzahl von Bänden unserer Zeitschrift empfunden und brieflich gegen uns geäußert worden. Zwar besteht bereits ein „Ausführliches Sachregister der ‚Gartenlaube‘“ vom ersten bis fünfzehnten Jahrgange (1853 bis 1867), und man könnte der Ansicht sein, es genüge eine Fortsetzung dieses Registers bis zum fünfundzwanzigsten Jahrgange, 1877. Dem widerspricht jedoch Zweierlei.
Erstens – müssen wir den Hauptfehler des früheren Registers vermeiden, welcher darin besteht, daß dort häufig das Stichwort den Artikelüberschriften entnommen ist, welche den Gegenstand der Aufsätze nicht immer in seiner nackten Sachlichkeit angeben, sondern ihn oft in eine halb durchsichtige Verhüllung kleiden. Damit war mancher Gegenstand für den nicht mit der zufälligen Ueberschrift des betreffenden Aufsatzes Bekannten unfindbar. Dem gegenüber machen wir es uns für das neue Verzeichniß zum Gesetz, als Stichwort uns die wahren Sachbezeichnungen und Namen dienen zu lassen, hinter welchen wir jedoch die in der „Gartenlaube“ selbst gewählten Ueberschriften eingeklammert folgen lassen.
Zweitens – ist es unser Plan, in unserm Register den ganzen Reichthum an Wissensgegenständen darzulegen, welcher in Jahrgängen der „Gartenlaube“ enthalten ist und zum großen Theile, weil nur gelegentlich mitgetheilt und deshalb früher nicht registrirt, nutzlos, begraben liegt. Jeder aufmerksame Leser weiß, daß in den meisten der größeren Artikel und selbst in mancher Mittheilung unter „Blätter und Blüthen“ einzelne Besonderheiten, Gegenstände, Thatsachen, Personen etc. mit mehr oder weniger Ausführlichkeit mit behandelt werden, ohne daß das Stichwort uns dieselben hier ahnen und suchen läßt. Diese Wissensschätze für den Leser zu heben, indem wir ihre Stichworte denen der übrigen Artikel einreihen, ist eine Hauptaufgabe unseres Registers.
Wie die „Gartenlaube“ ihre Stoffe aus allen Gebieten des menschlichen Wissens, Wirkens und Könnens genommen, so weist das auf die beschriebene Weise vervollständigte Register den Lesern nach, daß ihre „Gartenlaube“ ihnen den Reichthum eines Conversationslexikons bietet, nur daß sie in anmuthigerer Form ihre Belehrungen giebt und den Schmuck von etwa 3000 Illustrationen als Zugabe bringt. Kommt auch dieser Vortheil vollständig nur Denen zu Gute, welche die glücklichen Besitzer von allen Jahrgängen der „Gartenlaube“ aus dem ersten Vierteljahrhundert ihres Bestehens sind, so empfinden doch auch Diejenigen die Wohlthat des Registers, welche nur eine kürzere Reihe von Bänden um Rath fragen können; denn auch ihnen wird der volle Inhalt derselben erst durch das Register zu einem jederzeit und in jedem Theile nutzbaren.
Dem Sachregister schließt sich ein Illustrations- und, auf vielfach ausgesprochenen Wunsch, auch ein Mitarbeiter-Verzeichniß an, welch letzteres die Namen der Schriftsteller und Künstler des Blattes aus den fünfundzwanzig Jahrgängen aufführt.
- ↑ Wir unsrerseits ziehen es vor, uns an das Resultat der kritischen Geschichtsforschung zu halten. Nach demselben hat Eginhard allerdings die Abtei Seligenstadt gebaut, aber auf einem 815 ihm von Ludwig dem Frommen (Kaiser Karl starb 814) geschenkten Territorium, und seine Gemahlin Emma oder Imma, mit welcher er sich in die Abtei zurückzog, war nicht eine Tochter Karl’s, sondern die Schwester des Bischofs Bernhard von Worms. Eginhard (oder Einhard) starb am 14. März 840.
D. Red.