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ADB:Reusner, Nikolaus von

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Artikel „Reusner, Nikolaus v.“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 299–303, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reusner,_Nikolaus_von&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 02:06 Uhr UTC)
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Reusner: Nikolaus v. R., Rechtsgelehrter und Polyhistor, geboren zu Löwenberg am 2. Februar 1545, † zu Jena am 12. April 1602. R. gehört einer hochgeachteten Familie an, welche ursprünglich im östlichen Ungarn und in Siebenbürgen auf ihren Gütern lebte, und dann nach Schlesien zog, wo sie hauptsächlich in und um Löwenberg Grundbesitz erwarb. Dort ist auch des Nikolaus Vater, Franz R., geboren, und ging daselbst zu Rath. Er hatte neben Nicolaus drei Söhne; der älteste, Bartholomäus I (geboren 1532), war Dr. med., Arzt in Breslau, und starb 1572 als Stadtphysikus in Zittau. Von den beiden jüngeren lebte Elias (1555–1619) als Dr. und Professor der Medicin in Jena; Jeremias war Dr. jur. und stand als Rath in fürstlich Liegnitzischen Diensten. Sämmtliche vier Brüder behaupteten durch ihre Leistungen einen ehrenhaften Platz in der Gelehrtengeschichte, wie denn überhaupt im 16. Jahrhundert aus der Familie R. eine Reihe tüchtiger Männer hervorging, welche sich namentlich als Rechtsgelehrte und Mediciner auszeichneten; Jöcher hat in [300] seinem bekannten Gelehrtenlexikon und Rotermund (in dessen Fortsetzung Th. III, S. 2031–34; VI, 1871–82) neun bis zehn Glieder dieser Familie aufgeführt, welche sich auf litterarischem Gebiete einen Namen zu erwerben wußten. Nikolaus R. begann seine humanistische Ausbildung auf der Schule zu Goldberg und dem Elisabeth-Gymnasium zu Breslau. Frühzeitig entwickelt bezog er schon wenige Monate nach zurückgelegtem 15. Lebensjahre die Hochschule. Er entschied sich für Wittenberg, um bei dem damals größten Humanisten Deutschlands, bei Philipp Melanchthon seine Studien zu machen. Ehe er jedoch die Reise antrat, starb Melanchthon (19. April 1560). Trotzdem führte der lernbegierige Jüngling seinen Plan aus, um wenigstens bei Melanchthon’s Schülern dessen Methode und Schriften kennen zu lernen. Er hörte Philosophie, Mathematik und die alten Sprachen; daneben trieb er auch Botanik und Anatomie. 1563 übersiedelte er nach Leipzig. Dort widerrieth ihm ein Verwandter, Georg Wirth, (obwohl selbst ein angesehener praktischer Arzt) das medicinische Studium in so eindringlicher Weise, daß er sich sofort der Jurisprudenz zuwandte, in welche ihn der gefeierte Modestinus Pistoris (s. dsn.), J. Thoming und Badehorn einführten. Im folgenden Jahre (1564) nach Wittenberg zurückgekehrt, setzte er das Rechtsstudium fort. Auf die Kunde, daß 1565 in Augsburg ein Reichstag abgehalten werde, eilte er dorthin, um sich den maßgebenden Persönlichkeiten vorzustellen, und auf diese Weise entsprechende Verwendung zu finden. Da sich die Eröffnung des Reichstages wider Erwarten längere Zeit hinauszog, übernahm er an der dortigen Schule durch Verwendung des Bürgermeisters Joh. Heinzel und des Gymnasialrectors Hieronymus Wolf (eines Schülers des gelehrten Ramus), an welche er durch Joachim Camerarius und Victorin Strigel warm empfohlen war, eine Stelle, legte sie jedoch mit Beginn des Reichstages nieder. Er schrieb nun theils Briefe, theils Gedichte an fürstliche Personen und Staatsmänner, welche seine Zusendungen günstig aufnahmen. Für sein Gedicht „Germania ad Caesarem et Electores Imperii“ wurde er sogar vom Kaiser Maximilian beschenkt, welcher ihm außerdem durch seinen Oberhofmeister Freiherrn v. Harrach und den Vicekanzler Ulrich Zasius lockende Zusagen machen ließ, welche jedoch R. aus uns unbekannten Gründen auf Rat seiner Freunde nicht weiter berücksichtigte. Im J. 1566 treffen wir unseren jugendlichen Gelehrten im Donaustädtchen Lauingen, woselbst ihm Peter Agricola, Rath und Prinzeninformator am pfalzgräflich Neuburgischen Hofe, an den er vom Augsburger Rector Wolf gewiesen war, ein Lehramt an dem damals blühenden Gymnasium verschaffte. In Anerkennung seiner Leistungen auf dem Gebiete der alten Sprachen, wurde ihm 1572 das Rectorat und außerdem der Lehrstuhl für Jurisprudenz übertragen. 1582 ging er aus Anlaß des Reichstages abermals nach Augsburg, um die alten Beziehungen zu befestigen und neue Bekanntschaften zu machen. Er fand zwar bei Fürsten wie Gesandten sehr wohlwollende Aufnahme, aber keine Verwendung. So bezog er denn 1583 die Universität Basel und erwarb sich dort im Sommer des genannten Jahres den juristischen Doctorgrad, worauf ihn der schwäbische Kreis zum Assessor am Reichskammergerichte präsentirte. Während sich R. den vorgeschriebenen Prüfungen unterzog, wurde ihm von der Straßburger Hochschule an des Giphanius Stelle eine juristische Professur angetragen, welche er dem Assessorate vorzog und daher sofort annahm. R. lehrte dort über fünf Jahre. Gegen Ende 1588 erhielt er einen Ruf nach Jena, wo die Juristenfacultät infolge Abganges dreier Docenten dringend einer Neubesetzung bedurfte. Nach längeren Verhandlungen und Correspondenzen mit dem Weimaraner Rathe Josias Marcus und dem coburgischen Vicekanzler Michael Wirth sagte R. zu und langte in den ersten Februartagen 1589 in Jena an, wo er sofort zum Senior der Juristenfacultät, zum Beisitzer des Hofgerichtes und Schöppenstuhles ernannt [301] wurde; zugleich erhielt er für Reisekosten eine Entschädigung von 1400 fl. und bald darauf sowohl vom weimarischen als coburgischen Hofe den Charakter eines wirklichen Rathes und deren Vertretung beim Reichskammergerichte. 1595 wurde er mit dem Merseburger Dompropst Johann Costiz an König Sigismund III. nach Krakau entsandt, um bei diesem und dem polnischen Reichstag im Vereine mit den brandenburgischen und Reichsgesandten die Abordnung polnischer Hilfstruppen wider die Türken zu erzielen. Er mußte jedoch unverrichteter Dinge abziehen. Um dieselbe Zeit (1594) ernannte ihn Kaiser Rudolf II. zum comes Palatinus und erneuerte den seiner Familie zustehenden Adel als Erbadel. Jene Ernennung rief zwischen R. und der Jenenser Juristenfacultät Meinungsverschiedenheit hervor; wie uns Limnäus in seinem Deutschen Staatsrechte des Näheren berichtet. R. behauptete nämlich, infolge jener Verleihung „allein“ Doctoren creiren zu können, was ihm von der ganzen Hochschule bestritten wurde. Bis an sein Ende unablässig thätig, starb R. während seines zweiten Rectorates am 12. April 1602 im 58. Lebensjahre ohne Hinterlassung von Leibeserben, da seine mit Magdalena Weihemann zu Lauingen abgeschlossene Ehe eine kinderlose geblieben war. Die Universitätsbibliothek zu Jena verwahrt sein Bildniß. Nach diesem war er eine stattliche Erscheinung mit wohlwollendem Gesichtsausdruck. Wohlwollen und biederer Sinn bildeten auch die Grundzüge seines Wesens; daneben war er vielseitig gebildet – ein echter Polyhistor, wovon seine mannigfachen Schriften das beste Zeugniß liefern. R. selbst hat unter dem Titel: „Elenchus operum partim in lucem editorum, partim vero edendorum“ zu Lauingen (1583) ein Verzeichniß seiner Arbeiten veröffentlicht, das einen ganzen Bogen füllt und in Jugler’s Beiträgen zur juristischen Biographie finden wir (Bd. V, S. 302 f.) eine sorgfältige Zusammenstellung der Werke Reusner’s, welche nicht weniger als 83 Nummern zählt, von denen einzelne noch Unterabtheilungen haben. R. verfaßte poetische, biographische, geschichtliche, rhetorische, philosophische, selbst naturwissenschaftliche Schriften. Etwas ein Sechstheil seiner Gesammtwerke sind juristischen Inhaltes und behandeln Gegenstände des Civil- und Lehenrechtes. Einzelne derselben erlebten wiederholte Auflagen, andere wurden von seinen Brüdern Elias und Jeremias zusammengestellt und veröffentlicht. Als Anhänger und Schüler des Ramus hat er bei seinen Arbeiten mit Erfolg Klarheit und methodische Darstellung angestrebt. Im übrigen sind sie von keiner hervorragenden wissenschaftlichen Bedeutung, und deshalb wol nicht mit Unrecht der Vergessenheit anheimgefallen. Unter denselben dürften kurz zu erwähnen sein: a) „Μικροτέχνη, s. ars parva et quasi medulla jurisprudentiae Justinian.“, Lauingen 1579. Die Vorrede ist zu Straßburg geschrieben. Einen neuen verbesserten Abdruck lieferte der Bruder Jeremias, Frankfurt 1589. Die Methode dieses Handbuches besteht in Fragen und Antworten. – S. 186–216 folgen Jo. Th. Freigii Rudimenta Instit. juris nach derselben Lehrart; dann S. 224–84 Dion. Gothofredi Epitome Institutionum; endlich S. 285–308 P. Peccii Observationes aliquot insigniores, ad illustrationem Instit. Imper.b) „Oeconomia juris utriusque, civilis et canonici“, Argent. 1584 und 1626 4°. – c) „Quaestionum sive Consultationum juridicarum libri II“, Basil. 1585. Das erste Buch handelt fast ausschließend von Ehesachen, das zweite von piis causis. – d) „Tractatus de jure testamentorum et ultimarum voluntatum“, Jenae 1597 et 98. 2 Vol. 4°. Vorlesungen, vom Bruder Jeremias herausgegeben. – e) „Centuria thematum controversas et selectiores ex jure feudali universo quaestiones continens“. Jenae 1597. Behandelt eine reichliche Anzahl lehensrechtlicher Streitfragen. f) Ein beliebtes Buch Reusner’s war dessen „Xειραγωγία, s. Cynosura juris, quae est farrago selectissimorum libellorum isagogicorum de juris art. etc. etc.“. Spirae 1588, wozu im nächsten Jahre ein kleiner Anhang [302] von drei Bogen kam; eine reichhaltige Zusammenstellung von Abhandlungen über die „ratio docendae et discendae jurisprudentiae“. Schon gegen Mitte des 16. Jahrhunderts hatte sich die Zahl von Tractaten, welche „methodologische Fragen“ besprechen, in einer Weise gesteigert, daß deren Sammlung räthlich erschien. Neben Winkel (Argent. 1553) und einem ungenannten Autor (Ictorum tractatus varii de studio legali recte instituendo. Colon. 1580, 1583) veranstalteten auch unsere Gelehrten eine solche Sammlung mit Tractaten von Nic. Everh. Middelburg († 1532), Apell († 1536), Duaren († 1559), Gribaldus († 1564), Modest. Pistoris († 1565), Goldstein († 1568), Everh. Amsterdamus († 1570), Balduinus († 1573), Thoming († 1576), Hopper († 1576), M. Wesenbeck († 1586) und mehreren anderen. Von den nichtjuristischen Werken Reusner’s haben zwei bis auf den heutigen Tag in biographischer und kunstgeschichtlicher Hinsicht einen gewissen Werth behalten: „Icones, sive imagines virorum literis illustrium“, Argent. 1587 (2. Aufl. 1590), und „Icones, sive imagines vivae literis clar. virorum Italiae, Graciae etc.“ Basel 1580. Die in beiden Werken zahlreich enthaltenen Porträts (Brustbilder) sind gleich den zierlichen Randleisten des ersteren Buches kräftig in Holz geschnitten, von Tobias Stimmer, der, in Schaffhausen geboren, später als Stecher in Nürnberg lebte und zu den hervorragenderen Kleinmeistern gegen Ende des 16. Jahrhunderts zählte. R. lieferte zu den Bildnissen biographische Disticha und andere Verse, welche jedoch großentheils nicht von ihm herrühren, sondern aus anderen Dichtern mit Namensangabe zusammengestellt sind. –

Ehe wir den Artikel abschließen, haben wir noch zwei junge Seitenverwandte unseres Gelehrten, dessen Neffen Bartholomäus und den Jeremias R. zu besprechen.

Ersterer, ein Sohn des gleichnamigen gelehrten Arztes Bartholomäus R. (des ältesten Bruders von Nikolaus), ist 1565 zu Breslau geboren und machte seine Studien am Gymnasium zu Zittau, wohin sein Vater als Stadtphysikus versetzt worden war. Von hier ging er nach Straßburg, um bei seinem Onkel Nikolaus die Rechte zu hören; mit diesem zog er auch nach Jena, als letzterer anfangs Februar 1589 einem dorthin ergangenen Rufe folgte. Nach dreijährigem Aufenthalte dortselbst erwarb er unter seines Onkels Vorsitz die juristische Doctorwürde, wobei er die Dissertation „de obligatione ex die vel ad diem contracta“ vertheidigte. Nachdem er einige Zeit juristische Privatvorträge gehalten, wurde er 1594 als professor institutionum nach Wittenberg berufen, trat 1607 an Stelle seines Schwiegervaters, des Professors Johann Zanger, und einige Wochen später als professor decretalium und primarius an jene des Professors Ludwig Personius; zugleich wurde er kursächsischer Rath und Mitglied des Consistoriums; 1624 Assessor des Oberappellationsgerichts in Dresden, mittlerweile zum Senior der Akademie vorgerückt. Am 16. November 1629 starb unser Gelehrter im 64. Jahre seines Alters und im 35. seines Professorates, nachdem er – im 60. Lebensjahre vom Schlage berührt – seine wesentlichsten Geschäfte in die Hände seines Eidams Georg Schultze gelegt hatte. Der damalige Rector der Hochschule, Daniel Sennert, Senior der medicinischen Facultät, verfaßte „in obitum luctuosum viri amplissimi et consultissimi Barth. Reusneri, Icti Celeberrimi“ ein längeres Programm mit umfassenden biographischen Notizen, welches Programm bei Witten, memoriae Ictorum nostri seculi etc. etc. (Dec. II. p. 137–144) abgedruckt ist. Bartholomäus R. besaß gleich seinem Onkel eine überraschende Vielseitigkeit der Bildung. Er beherrschte nicht nur neben dem Lateinischen vier Sprachen (Hebräisch, Griechisch, Italienisch, Französisch), war mit Astronomie, Geometrie und Erkunde aufs innigste vertraut, und galt außerdem nicht nur als gründlicher Kenner der Musik, sondern auch als gewandter [303] Dichter religiöser Lieder. Daneben liebte er die Natur und ein schlichtes, ländliches Leben. Von seinen beiden Frauen war die erste Dorothea, Tochter seines Amtsvorgängers in Wittenberg, Johannes Zanger, welche ihm sieben Kinder gebar, indeß er mit seiner zweiten Gattin, Dorothea Brakelin, aus livländischem Adelsgeschlechte, welche er als Wittwe des dänischen Fischmeisters Johann Schreiter geheirathet, in kinderloser Ehe lebte. Bartholomäus verfaßte mehrere Disputationen, welche bei Witten und Sincerus (Tom. 2 p. 182) aufgeführt sind. Der comment. in septem leges difficillimas – Frankf. 1583, dann 1606 4°, eine gediegene exegetische Arbeit, wird von Jugler Bd. V, S. 327, dem Oheim Nikolaus zugeschrieben.

Eine hervorragende Kraft der Wittenberger Rechtsfacultät war auch der um mehrere Jahre jüngere Jeremias R. Am 4. Mai 1590 in Lemberg[1] geboren, erhielt er dort seine erste humanistische Bildung, bezog sodann die Jenenser Hochschule und wurde zu Wittenberg Beisitzer der Juristenfacultät, auch Hofgerichtsadvocat; später ordentlicher Professor der Rechte und Consistorialassessor. Zur Zeit unseres Gelehrten wurde an vielen Hochschulen die analytisch-exegetische Lehrweise, welche man allgemein „mos Italicus“ nannte, unter dem Einfluß der Franzosen durch eine „methodisch-systematische“ Richtung erfolgreich bekämpft. Auch Jeremias zählte zu den Neuerern; dagegen wurde auf den kursächsischen Hochschulen an der alten Methode amtlich streng festgehalten, weshalb ihm und seinem Amtsgenossen Konrad Carpzov von dem Kurfürsten 1624 geboten wurde, sie sollten nicht mehr synopticos tractatus lesen, sondern den textus expliciren. Jeremias, der im Rufe eines eifrigen Docenten stand, verschied am 29. September 1652. Er hinterließ 16 Disputationen, eine „Methodum juris feudalis comm. et Saxonici“, Wittenberg 1632 und eine „Decadem controversarum juris positionum“, ebenda 1619 4°.

Ueber sämmtliche drei R. siehe: Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 1. Abth. S. 710–14, 722 und 723 und die dort Genannten, besonders Witten.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 303. Z. 12 v. o. l.: Löwenberg statt Lemberg. [Bd. 36, S. 790]