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ADB:Wesenbeck, Matthäus

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Artikel „Wesenbeck, Mathäus“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 134–138, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wesenbeck,_Matth%C3%A4us&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:39 Uhr UTC)
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Wesenbeck: Mathäus W. (Wesenbecius), Rechtsgelehrter, geboren in Antwerpen am 25. October 1531 als das 12. von 13 Geschwistern, unter denen sich 12 Knaben befunden haben sollen, welche die Namen der Apostel führten, [135] † in Wittenberg am 5. Juni 1586. Die Eltern Wesenbeck’s, sowol der Vater Petrus, gelehrter Rathsherr zu Antwerpen, wie auch die Mutter, Babara Cylia entstammten wohlhabenden und angesehenen Familien der reichen Handelsstadt. Mathäus, sehr frühzeitig geistig auffallend entwickelt, wurde schon im 14. Jahre mit seinem älteren Bruder Andreas nach Löwen gesandt, um dort bei Gabriel Mudäus (van der Muyden von Bercht) – der kurz vorher zum Professor juris ernannt worden war, – die Rechte zu studiren. Mathäus unterhielt auch während seines Löwener Aufenthaltes mit letzterem einen lebhaften geistigen Verkehr, bewahrte ihm zeitlebens ein dankbares Andenken und nannte sich mit Vorliebe dessen Schüler. Am 18. Juni 1550 wurde der erst 19jährige zum Licentiaten der Rechte promovirt, ging im Sommer zu weiterer Ausbildung nach Paris, besuchte sodann einige Provinzen Frankreichs, und trat nach etwa zwei Jahren hauptsächlich wegen des zwischen Karl V. und Heinrich IV. ausgebrochenen Kriegs die Rückreise an, welche wegen der Märsche und Unruhen mit manchen Gefahren verbunden war. Einmal hatte sich W. vor den feindlichen Truppen in einen festen Platz geflüchtet; dieser wurde jedoch nächtlicher Weile mit List genommen, und sollte die gesammte männliche Bevölkerung über die Klinge springen. Der Reisende kam jedoch – (nach der Narratio de M. Wesenb.) – durch besondere Fügung Gottes unversehrt bei den Seinigen an. Bald darauf verlor er zu seinem tiefen Schmerze seine äußerst fromme Mutter (1552) und siedelte nun für immer nach Deutschland über. Zu jener Zeit hatte Philipp II. den Thron bestiegen, in den Niederlanden die finstere Inquisition eingeführt; W. aber war während seines Löwener Aufenthaltes unter strengen Gebetsübungen ein eifriger Anhänger des lutherischen Bekenntnisses geworden, und so mögen confessionelle Erwägungen den Hauptgrund zur Wahl einer neuen Heimath gegeben haben. In der bereits erwähnten „Narratio“ führt der Verfasser weiter aus: Er habe sich bald nach dem Tode seiner Mutter durch einen bestimmten Vorgang von hier (Antwerpen) vertrieben, infolge maßgebender Erwägungen nach dem politisch etwas ruhigeren südlichen Deutschland (in Germaniam superiorem) gewandt. Dort – mit der Gegend unbekannt, fremd, durch mancherlei Schwierigkeiten hin- und hergeworfen, von allen, selbst den Seinigen verlassen, ja verzweifelnd habe ihm Gott in gnädiger Fürsorge einen leidlichen Ort (locum mediocrem, d. i. Jena), ein Weib, wissenschaftliche Arbeiten, und andere zu einem erträglichen Leben nöthige Hülfsmittel verschafft. W. ließ sich in Jena nieder, eröffnete dort 1557 seine juristischen Vorlesungen, wurde am 21. Februar 1558 als der erste Doctor juris der neu gestifteten Hochschule promovirt, und verehelichte sich zu jener Zeit mit Katharina, einer Tochter des in hohem Ansehen stehenden sächsischen Kanzlers Franz Burchardt von Weimar, mit dem er auf freundschaftlichem Fuße verkehrte. Nach der Hochzeit erzählte man sich in Jena, W. sei in seinem juristischen Uebereifer während des Mahles in sein Studirzimmer geschlichen, und habe dort bis 2 Uhr Nachts gearbeitet.

Am Kilianstage 1560 wurde W. von dem ihm befreundeten Professor Johann Stigel als Zeuge zu einer Kindtaufe geladen. Auf Verlangen des Superintendenten Winter sollte er sich als Taufzeuge zur „sächsischen Confutation“ bekennen, und wurde von diesem wegen seiner entschiedenen Weigerung vom Taufacte, ja sogar von der Abendmahlsgemeinschaft ausgeschlossen. Nun erhob sich ein unerquicklicher theologischer Streit mit langathmigen Beschwerden an den Herzog, welche W. seinerseits in lateinischer Sprache abfaßte, da er sich des Deutschen nicht so mächtig wußte. Zum Schlusse wurde Winter von seinem Amte entfernt, und W. auf die Augsburgische Confession und Luther’s Katechismus „admittirt“.

Im December 1568 war zu Wittenberg der Hauptlehrer des römischen [136] Rechtes, Johann Schneidewin, mit Tod abgegangen; an seine Stelle wurde W. gerufen, welcher seine Collegien am 12. August 1569 mit einer Rede über Papinian eröffnete, in der er diesen als sein classisches Vorbild verehrte, und dessen menschliche Größe mit beredten Worten feierte. Die Freude der ehrenvollen Berufung wurde indeß durch trübe Ereignisse sehr geschmälert. Noch vor der Uebersiedlung starb eine blühende Tochter, ziemlich gleichzeitig in Heidelberg Wesenbeck’s vertrautester Freund, der Jurist Victorinus Strigel, und Ende August 1569 verlor er nach 12jähriger Ehe, seine Gattin. Im Sommer 1572 wurde ihm durch den Kanzler des Kurfürsten Friedrich II. Christoph Eheim (oder Ehem) die Lectura Codicis in Heidelberg angeboten. Aus der Rückantwort, d. dto. 5. September 1572 entnehmen wir, daß unser Gelehrter neben dem Professorengehalte zu 200 Thaler als Beisitzer des Consistoriums und Schöppenstuhls 400 Thaler bezog. Außerdem ist bekannt, daß Fürstenhäuser und hohe Adelige W. gegen ansehnlichen Jahresgehalt als Rathgeber und Anwalt bestellten und er klagt wiederholt über den Abbruch, welchen durch zahlreiche Gutachten und Responsa seine wissenschaftliche Thätigkeit erleide. In gedachter Rückantwort nennt sich W. „maritus“ und „pater plurium liberorum“; er scheint somit zu einer zweiten Ehe geschritten zu sein. Die Berufung nach Heidelberg zerschlug sich, weil die Universität nicht im Stande war, die gestellten pecuniären Anforderungen zu erfüllen, und wurde der erledigte Lehrstuhl mit Hugo Donellus (Doneau aus Chalons-sur-Saone) besetzt, der sich damals vorübergehend in Genf aufhielt. W. aber, in reiferen Jahren von Gicht und Steinbeschwerden häufig heimgesucht, weshalb er in den letzten Jahren meistentheils zu Hause las, blieb in Wittenberg, wo er als Schriftsteller und Lehrer, namentlich auch auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes, eine sehr fruchtbare Thätigkeit entfaltete, welcher am 5. Juni 1586 der Tod in Wesenbeck’s 56. Lebensjahre ein Ende setzte.

W. neigte ohngeachtet seiner hervorragenden Begabung und seiner social wie pecuniär günstigen Verhältnisse zum Trübsinn. Die Trennung vom Heimathlande empfand er stets schmerzlich, und dessen Leiden fanden in seinem Innern mächtigen Widerhall. Dieser melancholische Zug erhielt reichliche Nahrung einerseits durch seine schweren körperlichen Leiden, anderseits durch seinen Hang zum Pietismus. Lag er doch angeblich jeden Tag fünf Stunden im Gebete, und bildete das neue Testament seine Lieblingslectüre, das er zum öfteren las, dessen Handexemplar er mit Anmerkungen versah, und in das er die Sentenz schrieb:

„Sit liber hic vitae, Christe benigne, meae.
Hoc in coelesti sit mea vita libro.
Vita mea sit in hoc vitae libro!“

sowie am Ende den Hexameter:

„Magnum opus et lectu dignum multoque favore.“

Im Einklange hiermit ist auch das von W. auf sich gedichtete Epitaphium, welches sich in der Stadtkirche zu Wittenberg befindet:

„Vita mihi studium fuit impensique laboris
 Et dolor et gemitus assiduaeque preces.
Jova Pater miserere Mei miserere Meorum;
 Solius in Christi sanguine nostra salus!“

sowie das Urtheil des Leipziger Ordinarius und Kanzlers Dr. Ulrich Mordeisen, welcher unseren Gelehrten als Jurisperitorum christianissimum et Christianorum jurisperitissimum preist.

W. besaß indeß neben seinem Trübsinn und seiner pietistischen Richtung auch sehr anerkennenswerthe Eigenschaften. Er war überzeugungstreu, charakterfest, wohlthätig gegen Nothleidende, ein liebender Gatte und aufrichtiger Freund, [137] wie u. a. aus den Reden über Mudäus, Burchardt, seine Gattin so wie aus der Briefsammlung des Victorinus Strigel hervorgeht. Als Jurist aber genoß er unter seinen Zeitgenossen das höchste Ansehen, und wird von diesen als Koryphäe und Leitstern der Rechtswissenschaft gefeiert.

Die seit Thomasius angenommene Ansicht, W. sei Begründer der ramistischen Juristenschule, ist (wie auch Stintzing in der Gesch. d. d. R. Wissenschaft, 1. Abthl., S. 357 u. ff. des näheren ausführt) irrig. Denn W., dessen Richtung die synthetische ist, erklärt noch 1572 im Einklange mit seinen Schriften ausdrücklich, daß er die von Mudäus gelernte Methode beibehalte, da ihm eine bessere nie bekannt geworden.

W. gab in den Vorreden zu den Prolegomena (Leipz. 1584) und zu den Exempla Jurisprudentiae (Leipz. 1585) – hauptsächlich eine Sammlung von Reden – selbst einen acht Nummern umfassenden Katalog seiner Schriften heraus. Der Grund, weshalb unser Gelehrter trotz seines unermüdlichen Fleißes für die Wissenschaft nicht noch mehr geleistet, mag neben seinen zahlreichen praktischen Arbeiten hauptsächlich in der ihm angeborenen Aengstlichkeit und Sorglichkeit liegen, mit der er an jede Veröffentlichung ging. Das umfassendste seiner Werke ist die „Consilien“-Sammlung; das litterarhistorisch bedeutsamste sind die „Paratitla“. Erstere erschien in zwei Folianten zu Basel 1576, wurde bei dem 1610 revidirten württembergischen „Landrechte“ mehrfach benutzt, wuchs nach des Verfassers Tod aus den hinterlassenen Papieren bis 1624 zu acht Bänden in Folio an, und gehörte zu den beliebtesten juristischen Hülfsbüchern. Im Hinblicke auf die ungemein große Zahl von Rechtsgutachten und die Thätigkeit am Schöppenstuhl konnte W. in der That behaupten, daß er „mit einem Fuß in der Praxis stehe“, und war er vermöge seiner Verbindung theoretischer wie praktischer Jurisprudenz vorzüglich geeignet, an der sächsischen Gesetzgebung von 1572 sich zu betheiligen. Er bearbeitete hiefür die sogenannten Casus Wesenbecii (die zweite Controversensammlung der Wittenberger Hochschule), und war 1571 als Abgeordneter der Wittenberger Facultät bei den grundlegenden Berathungen des Leipziger und im folgenden Jahre (1572) des Meißner Conventes thätig.

Wesenbeck’s Hauptschöpfung ist der „Commentarius in Pandectas vulgo Paratitla“, welcher einen nachhaltigen Einfluß übte und ein volles Jahrhundert die juristische Litteratur beherrschte. Die „Paratitla“ wurden zuerst bei Oporinus in Basel 1565 ausgegeben, und erschienen nun in rascher Folge mehrere Ausgaben, die letzte von Wesenbeck’s Hand 1582 (Bas. fol.). Sie ist eine Neubearbeitung, durch einen Codexcommentar bereichert und führt den Titel „M. W. Comment. in Pandectas jur. civ. et Codicis Justin. libros VIII“. Nach des Verfassers Tod wurden diese „Paratitla“ fast ein Jahrhundert lang immer wieder gedruckt, meist mit fremden Beigaben (so wiederholt von P. Brederode; erste Ausgabe Basil. 1589, letzte ib. 1629, dann cum notis Schleifii, Bachovii, Brunnemann, Hermes u. s. f.). Neben den bekannten „Disputationes“ von Hieronym. Treutler wurden die „Paratitla“ rasch das angesehenste und am meisten verbreitete Lehrbuch, welches in keiner besseren juristischen Bibliothek fehlte. In Ingolstadt wurden sie gelegentlich der 1647 angeregten Reform des Rechtsstudiums als Muster und zur Benutzung empfohlen, und fast alle namhaften Rechtsgelehrten des 17. Jahrhunderts befaßten sich in irgend welcher Weise mit den Paratitlis. Otto Tabor hielt in Jena Privatvorträge über dieselben, aus Hahn’s colleg. Wesenb. gingen dessen berühmte „Observationes“ hervor, Struve und Lauterbach benutzten und allegirten sie mit Vorliebe in ihren Vorlesungen, und Bachov, Hermes, Budwell, Schwedendörfer, Samuel Stryck, Tabor, Vinnius und andere gaben notae, observationes oder quaestationes ad Wesenbeccium heraus; [138] unter diesen fanden besonders Brunnemann’s Repetit. paratitla vielen Anklang; sie erschienen Francof. ad Viadr. 1665, und wurden neu aufgelegt 1671 von Stryck, dann 1688 und 1708. Auf diese Weise finden wir die Wesenbeck’sche Methode bis ins 18. Jahrhundert als die herrschende. – Einige Jahre nach dem Erscheinen der „Paratitla“ 1573 veröffentlichte W. auf Ansuchen der Erben den von seinem Wittenberger Amtsvorgänger, Johann Schneidewin, im Manuscripte, fast vollständig fertig gestellten Institutionencommentar, indem er ihn ergänzte und mehrfach mit Noten begleitete. Da Schneidewin in seinem Werke über den Institutionenstoff hinausgreift, das ganze praktische Recht, das kanonische, die Reichsabschiede, die Halsgerichtsordnung, selbst Consilien und Präjudicien in dasselbe aufnimmt, überschreitet das stark angewachsene Buch die Grenzen eines einleitenden Lehrbuches. 1596 veranstalteten P. Brederode und Dionysius Gothofredus eine neue Ausgabe mit Annotationen. – W. spricht sich an einigen Stellen seiner Schriften über die Methode des Rechtsstudiums in einer Weise aus, welche auch heute noch volle Beachtung verdient. Nach seiner Ansicht finde sich das beste, was über die Methode des Studiums gesagt ist, in einem Briefe des Duarenus (Opera Cynosura juris p. 17, dat. Biturg. 1544), den er nur ergänzen wolle. Die Hülfsmittel der Jurisprudenz sind die Dialectik und die Ethik mit Geschichte, ohne deren Kenntniß „jurisprudentia caeca“ ist. Man beginne mit der Institutionenvorlesung, und wende sich dann zur Lectüre der Pandecten. Bei alledem hüte man sich vor Subtilitäten; man solle nicht das zum täglichen Gebrauche in die Praxis Gehörige nur flüchtig berühren, und das Hauptaugenmerk verwickelten Schwierigkeiten zuwenden; er spreche hier aus Erfahrung, denn als er mit seinen Freunden in die Praxis getreten, hätten sie wahrgenommen, daß die auf der Praxis ferne liegende Dinge angewandte Mühe nutzlos gewesen, und daß gerade in dem, was ihnen bis dahin gering erschienen, die eigentliche Kraft und Wesensmacht der Jurisprudenz liege. Deshalb hätten sie bei Verhandlungen und Aburtheilung von Rechtsstreitigkeiten gar oft das nöthigste nicht gewußt, weil sie das Nichtnothwendige mit zu vieler Mühe gelernt hätten. In der Litteratur verkennt er nicht die großen Fortschritte der neueren Wissenschaft, allein trotzdem sind die Alten nicht zu entbehren wegen ihres großen Reichthums von praktischen Fällen, sie sind Männer von Geist, die nicht im Dunkel der Schule dahinlebten, sondern mitten im Leben gestanden sind. – Eine eingehende Besprechung der Wesenbeck’schen Schriften findet sich in Stintzing’s Geschichte der Rechtswissenschaft. Wesenbeck’s Brustbild ist in zwei Größen (beide kl. 4°) von einem ungenannten Schneider ziemlich derb in Holz geschnitten.

Nachrichten über sein Leben in der oratio de Mudaeo etc. (Witeb. 1572) abgedruckt in den Exemplis Jurisprud. (Lips. 1585, p. 75–120) u. W. Papinianus cum aliis quibusdam miscell. lectione non indign. (Witeb. 1570). – Rauchbar, Oratio de vita et obitu Wesenbeckii (Witeb. 1587), danach: Adami Vitae, S. 270. – Sincerus, Vitae, T. 3, p. 155. – Gundling, Otia 3, S. 240 ff. – Zeuner, Vitae prof. jur. in acad. Jenensi, p. 18–27. – Stintzing, Gesch. d. dtschn. Rechtswissenschaft, 1. Abthl., S. 353–366 u. 780, Abthl. 2, S. 290. – Preger, Flacius 2, S. 135 u. ff. – Hautz, Die Juristenfacult. d. Univ. Heidelberg (Lpzg. 1853). – Schletter, Die Konstitutionen August’s v. Sachsen, S. 47, 54, 58.