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ADB:Giphanius, Hubertus

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Artikel „Giphanius, Hubert“ von Johann Theodor Schirmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 182–185, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Giphanius,_Hubertus&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:59 Uhr UTC)
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Giphanius: Hubert G., oder, wie er sich selbst schreibt, Hubrecht van Giffen (Obertus G.), ist 1534 zu Buren in der holländischen Provinz Geldern geboren. Sein Vater ist dort ein mäßig begüterter Grundbesitzer gewesen, und der Sohn hat sich diesen, wie er sagt, nur unbedeutenden Besitz wenigstens bis in sein reiferes Alter erhalten. Ueber seine Erziehung und seinen Bildungsgang wissen wir wenig mehr, als daß er in Löwen, Bourges und Paris dem Studium der Philologie und der Rechte obgelegen und unter seinen juristischen Lehrern insbesondere des Joachim Hopperus, Cujacius[WS 1] und Brissonius[WS 2] erwähnt. Schon im J. 1566 erscheint von ihm – als iuris studiosus bezeichnet er sich auf dem Titel – eine Ausgabe des Lucrez, die man ohne Scheu den besten derartigen Arbeiten der damaligen Zeit anreihen darf, die ihm aber auch den Vorwurf des schamlosesten Plagiates von Seiten des Joseph Scaliger eintrug. Im J. 1567 wurde er zu Orleans Doctor der Rechte, soll dort auch eine Bibliothek für die Studirenden der deutschen Nation gegründet haben. Unmittelbar darauf ging er im Gefolge des französischen Gesandten Paul de Foix nach Venedig und lernte auf der Reise dorthin die bedeutendsten Städte Oberitaliens kennen. – Von hier aus können wir seine ferneren Schicksale ziemlich genau verfolgen, da uns in seinem Briefwechsel mit dem Breslauischen jungen Patricier Thomas Rehdiger und dem kaiserlichen Leibarzte Crato ein reiches Material für die nächsten Jahre vorliegt. G. erscheint hier mit philologischen und philosophischen Studien beschäftigt, in den mannigfachsten litterärischen und freundschaftlichen Verbindungen mit den bedeutendsten Gelehrten der damaligen Zeit, wie Joseph Scaliger, Sigonius, Hubert Languet u. A. Auch eine weitere Wanderung durch Italien konnte er möglich machen, obschon er in steter pecuniärer Bedrängniß sich befand, und sein Plan, den Thomas Rehdiger auf dessen Reise nach Rom und Süditalien zu begleiten, fehlschlug. Die Noth drängt ihn jedoch, sich jetzt nach einer festen und gesicherten Stellung umzusehen. Er hatte 1569 sein Auge zunächst auf Heidelberg geworfen, sich dort um eine juristische Professur, und als es damit nicht glückte, um den eben erledigten Lehrstuhl der Ethik beworben; er bittet Rehdiger, ihn in diesem Vorhaben zu unterstützen. Seine Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht. Im Frühjahr 1570 nach Deutschland zurückgekehrt, ist er bereit, in irgend einer praktischen, seinen Fähigkeiten angemessenen Thätigkeit, sei es in der Verwaltung, bei Hofe oder als Sachwalter seinen Unterhalt zu suchen. Indessen auch das J. 1570 verlief ihm ohne entscheidenden Erfolg. Bald hernach gelingt es ihm jedoch, die Professur der Logik, [183] Ethik und Institutionen in Straßburg zu erhalten. Diese Universität war damals der Schauplatz heftiger theologischer Streitigkeiten zwischen Reformirten und Lutheranern, Sturm und Marbach die Führer der feindlichen Parteien. G., obwol von Hause aus der reformirten Confession angehörig, trat bald auf die Seite der Lutheraner, theils durch einen ungeschickten persönlichen Angriff Sturm’s gereizt, theils durch seine näheren Beziehungen zu Marbach bewogen, dessen Tochter Anna Margarethe er Ende 1573 oder Anfang 1574 heirathete. – Viel Segen ist ihm freilich aus dieser Ehe nicht erblüht. Zwar wurde durch Crato’s Vermittelung ein leidliches Verhältniß zu Johann Sturm wieder hergestellt. Allein schon im J. 1575 drohte[WS 3] ernstliches Unheil. G., in steter Geschäftsverbindung mit Theodosius Rihel, einem Straßburger Buchhändler, hatte ihm flüchtig hingeworfene Notizen zum Zwecke der Fortsetzung der Commentare des Sleidanus übergeben, die dieser einem Nachdrucke der Beuther’schen Uebersetzung des Sleidanus und den von Beuther herrührender Continuationen einfach anhing, so daß es den Anschein gewann, als ob auch diese neuen Zusätze aus Beuther’s Feder stammten. Hier war nun zum J. 1573 eines unwahren Gerüchtes, als hätten die Wiener Katholiken eine Niedermetzelung der dortigen Protestanten nach dem Vorbilde der Pariser Bartholomäusnacht beabsichtigt, als einer Thatsache Erwähnung geschehen, auch die Person des Kaisers dabei in Mitleidenschaft gezogen. Dies gab Beuther Anlaß, gegen seine Autorschaft der fraglichen Erzählung zu protestiren, und führte zu einem Criminalverfahren, in dessen Verlauf auch G. eine Monate lange Untersuchungshaft zu erdulden hatte. Endlich wurde auf ein von ihm persönlich an den Kaiser gerichtetes Gnadengesuch auf Crato’s Verwendung – auch Sturm trat ehrenhaft für ihn ein, nur Beuther’s Benehmen in dieser Angelegenheit macht einen geradezu widerlichen Eindruck – die Sache glimpflich beigelegt. – Zu gleicher Zeit, Ende 1575 oder Anfang 1576, verlor G. seine Frau. Die Ehe war kinderlos geblieben. Die Auseinandersetzung mit dem Schwiegervater wegen Rückgabe der Mitgift führte bei dem ökonomisch gleichmäßig genauen Charakter der beiden Männer noch zu manchen ärgerlichen Differenzen. – Auf einen 1582 an ihn ergangenen Ruf siedelte G. 1583 nach Altdorf über. Wir können die Zeit seines dortigen Aufenthaltes als die äußere Glanzperiode seines Lebens bezeichnen. War er in Straßburg überwiegend mit philosophischen Disciplinen beschäftigt gewesen – wenigstens hat er während seiner etwa zwölfjährigen Straßburger Professur nicht eine nennenswerthe juristische Schrift herausgegeben, sondern sich blos an philologischen Publicationen der Rihel’schen Buchhandlung betheiligt, wie an den dort erschienenen Ausgaben des Homer, des Josephus, dem Cicerolexikon, der deutschen Uebersetzung des Livius u. a. m., – so bildet fortan die Rechtswissenschaft das eigentliche Feld seiner schriftstellerischen und Lehrthätigkeit. Binnen Kurzem war er anerkannt als der erste Jurist Deutschlands, der nur noch hinter Cujacius zurückzutreten brauche. Er hob das juristische Studium auf eine bis dahin in Altdorf noch nicht erreichte Stufe. Mit Eifer und Gewissenhaftigkeit kam er nicht blos seinen amtlichen Verpflichtungen nach, sondern weit über diese hinausgreifend erzielte er durch private Unterweisung und Anleitung unleugbare Erfolge. Er besaß das volle Vertrauen der Nürnbergischen Behörden in allen mit der Organisation des akademischen Unterrichts zusammenhängenden Fragen, wie kein anderes Mitglied der Universität. So war er auch besonders für die Berufung des Donellus nach Altdorf thätig, dessen hohen Werth er vermöge seiner allgemeineren philosophisch-systematischen Durchbildung und dabei doch zugleich praktischen Richtung besser zu würdigen vermochte, als so mancher Andere, der blos in der Anlehnung an die Italiener oder der stricten Befolgung der Cujacianischen Methode das Heil der Jurisprudenz erblickte. Dazu war er durch [184] seine im October 1583 mit Justina Oelhafe vollzogene Hochzeit in nähere verwandtschaftliche Beziehungen zu der hochangesehenen Familie der Paumgartner getreten. Dem gegenüber machen sich jedoch auch die Schattenseiten seines Charakters, Unwahrheit, Eitelkeit und Geldgier immer sichtlicher bemerkbar. Was in Straßburg mehr ein bloßes Gerücht und üble Nachrede geblieben war, hier wird es zur unleugbaren Thatsache, durch amtliche und nicht amtliche Documente gleichmäßig erwiesen. Mit der vollste Anerkennung verdienenden Lehrthätigkeit verbindet sich das Bestreben, durch allerhand unlautere Mittel den Collegen die Zuhörer abspänstig zu machen. Von den eigenen Angehörigen kommen die bittersten Klagen über den schmutzigen[WS 4] Geiz des G., unter dem seine Familie unsäglich zu leiden hatte; Wortbrüchigkeit ist fast zur Regel bei ihm geworden; um ihn zur Rückgabe geborgter Bücher zu vermögen, mußte einmal Personalarrest gegen ihn verhängt werden. Unter diesen Umständen konnte auch das Verhältniß zu Donellus, einer bei aller vornehmen Kühle doch innerlich leidenschaftlichen, aber durchweg anständigen und fein gesitteten Natur unmöglich ein erträgliches bleiben. Das Zerwürfniß der Beiden brach, wie es scheint, durch allerlei Zwischenträgereien verschärft, bald hervor, und man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet, daß dasselbe und die dabei Seitens der akademischen Behörden bekundete höhere Werthschätzung des Donellus den G. etwa zwei Jahre nach der Ankunft des ersteren von Altdorf hinweg getrieben und mittelbar zum Uebertritte zum Katholicismus veranlaßt habe. – Im J. 1590 rückte G. in die zweite Stelle der juristischen Facultät zu Ingolstadt ein; – die erste bekleidete der Italiener Andreas Fachinäus. Mit ihm kamen etwa vierundzwanzig Studirende der Rechte von Altdorf nach Ingolstadt hinüber, darunter sein bedeutendster Schüler, der Braunschweiger Conrad Rittershusius. Freilich machte die Jesuitenuniversität Ingolstadt auf sie einen nichts weniger als erfreulichen Eindruck; die Inferiorität der dortigen Lehrer, von denen manche, wie Caspar Cagus, ihre Vorlesungen zeitweise ganz einstellten, blieb auch ihnen kein Geheimniß. So klagen sie über Fachinäus, daß er ganz in der Manier des 15. Jahrhunderts lediglich die Glosse und die Commentatoren scholastisch erkläre, ohne auf die Quellen selbst einzugehen. Auch war die Zahl der juristischen Studirenden in Ingolstadt nur eine äußerst mäßige, um achtzig herum. Desto leuchtender hob sich von diesem trüben Hintergrunde für ihre Augen das Bild des G. ab, wie sie selbst eine auserlesene Schaar, eine kleine geschlossene Gemeinde unter den dortigen Rechtsbeflissenen bildeten. Für sie setzte G. seine bereits in Altdorf begonnene Erklärung einzelner schwierigerer Codexstellen fort, während er für die Ingolstädter, die hier nicht zu folgen vermochten, mehr systematisch gehaltene Vorträge über Bürgschafts- und Pfandrecht hielt, die sparsamer mit einzelnen exegetischen und polemischen Excursen durchsetzt waren. So zeigt sich auch hier in der Behandlung des Stoffes die geistige Ueberlegenheit des G. über die ihn umgebenden Mittelmäßigkeiten. Allerdings fehlt es andererseits nicht an mancherlei Klagen und Anfechtungen, die ihre vorzüglichste Nahrung aus dem Kampfe der Universität gegen die Herrschaft der Jesuiten ziehen mochten. In diesem Streite stand G. fest auf Seiten der Universität und gehörte zu den geschicktesten und zuverlässigsten Gegnern des Ordens. Gewiß mußte seine im Grunde doch immer protestantische oder mindestens humanistische Geistesrichtung gegen die mißtrauische Ueberwachung des Convertiten, den Zwang, dem er sich in äußeren Dingen nothwendig unterwerfen mußte, und unterwarf – er besuchte regelmäßig die Messe und beichtete fleißig – innerlich sich um so heftiger aufbäumen. – Im Uebrigen scheint seine sittliche Haltung hier nicht besser als in Altdorf gewesen zu sein. Selbst seine von dort herüber gewanderten Schüler klagen über seine große Unzuverlässigkeit, und auch der vollständige Bruch mit der Familie seiner Frau [185] fällt in die Zeit der Ingolstädter Professur. – Es ist hiernach leicht begreiflich, daß nichts den G. an Ingolstadt fesselte, und er einem 1599 an ihn gerichteten Antrage, in den Reichshofrath in Prag einzutreten, bereitwillig nachkam. Etwa fünf Jahre ist er noch in dieser neuen Stellung thätig gewesen. Nach längerer Kränklichkeit und zeitweise schmerzlichen Leiden verstarb er daselbst im J. 1604. – Im Vergleich zu dem langjährigen und durchweg arbeitsamen Leben des G. erscheint der Umfang der von ihm publicirten Schriften gering. Eine ziemliche Zahl akademischer Programme, besonders in Gestalt von Thesen, wenig Umfangreicheres, und auch das theilweise wol ohne Zuthun des Autors von speculativen Buchhändlern aus gut nachgeschriebenen Collegienheften edirt; sei es nun, wie seine Feinde ihm vorwerfen, daß er seine wissenschaftlichen Arbeiten aus dem Grunde möglichst zurückgehalten, um nicht seine Anziehungskraft als Lehrer zu schwächen, sei es, wie seine Freunde von ihm rühmen, daß seine große Sorgsamkeit in der Formgebung und dem Ausfeilen ihn an schnellerem Fertigstellen hinderte. Auch aus seinem reichen handschriftlichen Nachlasse ist Seitens der Hinterbliebenen so gut wie nichts veröffentlicht worden. Erklärte doch der einzige überlebende Sohn, Johann van Giffen, dem Andringen der Freunde des Verstorbenen gegenüber, daß er seine Zustimmung derartigen Unternehmungen schwerlich geben werde, da er nur zu gut wisse, wie mancherlei der Kirche Nachtheiliges in den von seinem Vater hinterlassenen Scripturen enthalten sei. Eine Aeußerung, die freilich auf Giphanius’ innerliche Stellung zur katholischen Kirche ein ziemliches Licht wirft. So rührt, was nach seinem Tode noch herausgekommen, ebenfalls fast ausschließlich aus Collegienheften seiner Schüler her, wie z. B. die noch während seiner letzten Lebensmonate im Druck begonnenen „Lecturae Altorphinae“. Aber auch das, was uns dergestalt erhalten ist, reicht aus, um erkennen zu lassen, welch’ einen bedeutenden Gelehrten Deutschland in G. besessen, wie namentlich eine so glückliche Vereinigung der drei Richtungen der Jurisprudenz, der systematisch-philosophischen, kritisch-historischen und praktischen, zumal im Verein mit so überlegenen Geistesgaben, uns vor dem 19. Jahrhunderte kaum wieder im Vaterlande begegnet.

Vgl. C. S. Zeidler, Vitae professorum juris, qui in academia Altorffina … vixerunt. Norimb. 1770. C. Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität, München 1872, Bd. I. S. 351 ff. 418. R. v. Stintzing, Hugo Donellus in Altdorf, Erlangen 1869. Fünfzehn Briefe des G. an Thomas Rehdiger und Crato sind abgedruckt in dem Breslauer Gratulationsprogramm zum Basler Jubiläum 1860. Drei andere, noch ungedruckte sind dem Unterzeichneten aus einer Teschener Sammlung durch die Güte des Prof. Dr. Th. Lindner mitgetheilt. Im übrigen mag wegen der Correspondenz des G. auf die in dem citirten Programm versuchte Zusammenstellung verwiesen werden.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jacques Cujas (1520-1590), französischer Jurist.
  2. Barnabas Brissonius (1531-1591), französischer Jurist und Politiker.
  3. Vorlage: drohete
  4. Vorlage: schmuzigen