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ADB:Reuß, August Emanuel von

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Artikel „Reuß, August Emanuel von“ von Wilhelm von Gümbel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 303–305, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reu%C3%9F,_August_Emanuel_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:37 Uhr UTC)
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Band 28 (1889), S. 303–305 (Quelle).
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Reuß: August Emanuel Ritter v. R., Professor der Mineralogie an der Universität in Wien, ausgezeichneter Paläontologe, zugleich auch vortrefflicher Mineraloge und Geologe, war am 8. Juli 1811 als Sohn des hochgeachteten Mineralogen und Brunnenarztes Fr. Ambrosius R. in Bilin geboren. Seinen ersten Unterricht erhielt er im elterlichen Hause, wo zugleich auch die Liebe und Neigung zu den mineralogischen Wissenschaften mit und in ihm aufwuchs. In Prag besuchte er dann das Gymnasium, hörte am polytechnischen Institut den berühmten Mineralogen Zippe und begann 1827 seine medicinischen Studien an der Universität daselbst, an der er auch mit der Inauguraldissertation: „Tentamen anatomico-pathologicum de Melanosi“ doctorirte. Nach kurzer Verwendung als Assistent an der Augenklinik des Professors Fischer in Prag siedelte R. infolge schwerer Erkrankung, um sich in der Landluft zu erholen, nach seiner Vaterstadt Bilin über, übernahm hier die Stelle eines Brunnenarztes und übte dann auch als Stadt- und Herrschaftsarzt eine umfassende medicinische Praxis aus. Zugleich griff er, vielfach angeregt durch die dortige prachtvolle fürstlich Lobkowitz’sche Mineraliensammlung, wieder zu den ihm von Jugend auf lieb gewordenen mineralogischen Studien und machte es sich zunächst zur Aufgabe, die an Mineralienschätzen reiche Sammlung auch durch paläontologische Erfunde aus der ergiebigen Umgegend von Bilin möglichst zu vervollständigen. Eine Reihe von Publicationen, deren erste: „Die geogn. Verhältnisse von Teplitz“ und „Ueber das Vorkommen des Pyrops in Böhmen“ 1838 in Karsten’s Archiv erschien, beziehen sich wesentlich auf die böhmischen Mineralquellen. Sein nächstes [304] größeres Werk: „Geognostische Skizzen aus Böhmen“, 1800 u. 1844, befaßte sich hauptsächlich mit der Schilderung des böhmischen Mittelgebirges. Wichtiger war eine bald darauffolgende sehr umfassende paläontologische Arbeit: „Die Versteinerungen der böhmischen Kreideformation“ mit 51 Tafeln Abbildungen 1845 bis 1846, durch welche R. sich den Namen eines vortrefflichen Paläontologen erwarb. Diese mit großer Sorgfalt und kritischem Scharfblicke verfaßte Monographie war für lange Zeit eines der Hauptquellenwerke für das Studium der cretacischen Versteinerungen und bildet selbst jetzt noch die einzige umfassende Arbeit über die organischen Ueberreste der böhmischen Kreideschichten. Rasch folgten dieser Publication mehrere ähnliche, wie über fossile Polyparien des Wiener Tertiärbecken (in v. Haidinger’s naturwissenschaftlichen Abhandlungen II, 1 1847) und „Die Cytherinen des Wiener Beckens“ (Wiener Berichte 1847, S. 417). Diese vortrefflichen Leistungen fanden eine verdiente Anerkennung durch seine Ernennung zum Mitgliede der damals gegründeten k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien im J. 1848. Von nun an widmete R. immer mehr seine Kräfte den paläontologischen Studien, insbesondere der Untersuchung und Beschreibung der aus den niederen Thierklassen stammenden organischen Ueberreste, vor allem der Foraminiferen, dann auch der Korallen, Bryozoën, Ostrakoden und Krabben. Dabei kam ihm eine große Fertigkeit in der bildlichen Darstellung des Beobachteten sehr zu statten, sodaß die den Reuß’schen Arbeiten beigegebenen Abbildungen zu den naturgetreuesten zu zählen sind, welche wir besitzen. Diese Studien verfolgte R. mit unermüdlichem Fleiße und trotz vieler körperlicher Leiden mit den glänzendsten Erfolgen bis zu seinem Lebensende. Schon 1849 gab er seine ärztliche Praxis in Bilin auf, um ausschließlich der Wissenschaft seine Kräfte widmen zu können, und nahm eine Berufung als Professor der Mineralogie an der Universität Prag an, wo er über Mineralogie und zum ersten Male auch über Geographie Vorlesungen hielt. Aus dieser Zeit des Aufenthaltes in Prag und seiner Wirksamkeit an der dortigen Universität, zu deren Rector er im J. 1859/60 gewählt wurde, stammen zahlreiche Abhandlungen meist paläontologischen, zum Theil aber geologischen Inhaltes. Sie sind zu zahlreich, um sie hier einzeln aufzuzählen. Hervorgehoben mögen nur werden: die Süßwassergebilde des Nordwestens Böhmens und ihrer fossilen Thierreste mit zahlreichen Tafeln, der Entwurf einer systematischen Zusammenstellung der Foraminiferen, eine Arbeit von grundlegender Bedeutung, dann die Schilderung der Entwicklungsgeschichte der Pribramer Gangmineralien, die geognostischen Verhältnisse des Egerer Bezirkes mit geologischer Karte und eine große Anzahl von Foraminiferen-Monographien. Im J. 1853 wurde R. zum Mitglied der königlich Leopoldinischen Carol. Akademie der Naturforscher ernannt und 1854 mit dem Ritterkreuz des Franz-Josephordens beehrt. Nach dem Tode seines Vorgängers in Prag, des Regierungsrathes und Professors der Mineralogie an der Universität in Wien, Zippe, erhielt R. eine Berufung nach Wien an dessen Stelle und wurde daselbst auch zum Mitglied des Unterrichtsrathes ernannt, in dem er namentlich für die Förderung der Gymnasialstudien eifrig wirkte. Seine unermüdliche litterarische Thätigkeit setzte R. auch in Wien mit allem Eifer fort. Die Sitzungsberichte und Denkschriften der dortigen Akademie der Wissenschaften enthalten zahlreiche seiner Arbeiten aus dieser Zeit, unter anderen aus dem Jahre 1864: Ueber Lepadiden; Ueber Anthozoën und Bryozoën des Mainzer Tertiärbeckens; Zur Fauna des deutschen Oberoligocäns; Ueber einige Anthozoën der Kößener Schichten; aus dem Jahre 1865: Zwei neue Anthozoën aus den Hallstädter Schichten; Die Foraminiferen und Ostrakoden der Kreide am Kanarasee; Die Foraminiferen, Anthozoën und Bryozoën des deutschen Septarienthones; aus dem Jahre 1866: Beiträge zur Charakteristik der [305] Tertiärschichten des unteren und mittleren Deutschlands; Die Bryozoën, Anthozoën und Spongiarien des brauen Jura von Balin; aus dem Jahre 1867: Ueber einige Bryozoën aus dem deutschen Unteroligocän; Ueber einige neue Crustaceenreste aus der alpinen Trias; Paläonotologische Studien über die älteren Tertiärschichten der Alpen I, II und III; Die fossile Fauna der Steinsalzablagerung von Wieliczka; aus dem Jahre 1868: Fortsetzung der paläontologischen Beiträge, 2. Folge; aus dem Jahre 1869: Zur fossilen Fauna der Oligocänschichten von Gaas; Ueber hemimorphe Barytkrystalle; Ueber tertiäre Bryozoën von Kischenew; aus dem Jahre 1870: Oberoligocäne Korallen aus Ungarn; Die Foraminiferen des Septarienthons von Pietzpuhl; Phymatocrinus aus dem Leithakalk des Wiener Beckens; aus dem Jahre 1871: Notiz über zwei neue Foraminiferengattungen; Die fossilen Korallen des österreichisch-ungarischen Miocäns; aus dem Jahre 1873: Die Bryozoën des österreichisch-ungarischen Miocäns in umfassenden Monographien, die zu beendigen ihm nicht mehr vergönnt war. Außerdem lieferte R. auch noch vielfach andere Beiträge, namentlich zu dem von Geinitz publicirten Elbthalgebirge, in welchem er die Beschreibung der Bryozoën und Foraminiferen besorgte; in die Abhandlungen der geologischen Reichsanstalt in Wien, in jene der böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften und in verschiedene Zeitschriften. Der Umfang seiner litterarischen Thätigkeit läßt sich daraus ermessen, daß er in seinen verschiedenen Publicationen 20 geologische Karten und über 450 Tafeln Abbildungen von Versteinerungen lieferte. R. gehört zu jenen glücklichen Systematikern, welche es verstanden haben, durch sorgfältige Untersuchungen und scharfsinnige Unterscheidungen den Gegenstand ihrer Darstellung ebenso eng zu umgrenzen, wie für Andere leicht kenntlich zu machen. Daher werden die von R. aufgestellten Arten, so zahlreich sie auch sind, zu den am besten begründeten gerechnet. R. erhielt vielfache Beweise der Anerkennung seiner wissenschaftlichen Verdienste durch Ernennung zum Mitgliede zahlreicher wissenschaftlicher Vereine; er erhielt 1870 den Orden der eisernen Krone und wurde in den Ritterstand erhoben. Auch von Sachsen wurde er durch die Verleihung des Ritterkreuzes des sächsischen Albrechtsordens ausgezeichnet. In seinen späteren Jahren durch oft eintretende Anfälle von nervösem Herzklopfen belästigt, blieb er gleichwol rastlos bis zu seinem Tode, der am 26. November 1873 erfolgte, wissenschaftliche thätig.

Geinitz in Leopoldina IX, 67. – Verhandl. der geolog. Reichsanstalt 1873, 280.