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ADB:Beck, Karl

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Artikel „Beck, Karl“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 303–309, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Beck,_Karl&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:55 Uhr UTC)
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Beck: Karl Isidor B., Dichter, wurde am 1. Mai 1817 in dem ungarischen Marktflecken Baja geboren. Er wurde am 27. Mai 1843 in Pest evangelisch-reformirt, war aber der Sohn israelitischer Eltern, die noch während seiner Knabenzeit um 1829 nach Pest übersiedelten. Dem Judenthum hat B. zeitlebens eine elegische innere Anhänglichkeit bewahrt und wiederholt die Lanze dafür geführt, und diese religiöse Zwitterstellung, verschärft durch die antikirchlichen Tendenzen des „Jungen Deutschland“, in die er bald hineingerieth, hat auf die pessimistische Grundstimmung seiner Poesie und das enttäuschende Gesammtfacit seines Daseins einen ebenso bestimmenden Einfluß ausgeübt wie der nationale Zwiespalt des kosmopolitisch fühlenden, magyarisch aufgewachsenen, deutsch gebildeten Mannes. Denn erst im neunten Jahre lernte er, ähnlich Chamisso, deutsch: wie alles, was er auf der Schule lernte, kinderleicht; überhaupt fiel er durch außerordentliche Wißbegier auf, freilich auch durch Unbändigkeit. Diese Charakteranlage stieg noch durch seine erste deutsche Lectüre, Romane von A. Lafontaine, Cramer, Spieß u. ä., und äußerte sich in der Neigung, mit Zigeunern zu verkehren. Vom Liebesbunde mit einer wilden Zigeunerschönen riß den Trostlosen der Umzug der Familie nach Pest, wo er, erst 16jährig, das Gymnasium absolvirte, um in Wien Medicin zu studiren. Trotz der läuternden Freundschaft des scharfsichtigen Jacob Kaufmann, der später als politischer Dichter bekannt wurde, ging B. schon 1834 nach Pest zurück, da die Aerzte dem durch ein Nervenfieber Geschwächten vom Studium abriethen. Wie der Vater sollte er Kaufmann werden, aber den Lehrling des Großhändlers Jacob Kunwald beschäftigten viel mehr die hervorragenderen Poeten deutscher, englischer, italienischer Zunge. Er setzte frühere Versuche in deutschen Versen fort, durch Anderer Lob angestachelt: wie ihm zwölfjährig der Erzbischof von Kalocsa für ein lateinisches Gedicht über den Aetna ein goldnes Kreuz geschenkt hatte, so munterten ihn die Wiener Freunde und kritiklosere Bewunderer, so der spätere Lehrer Ferdinand Horschetzky in Groß-Kanizsa, energisch auf. Wol Ende 1835 war er des Contors satt und eilte, zumal ihn ein Freiheitslied bei der Metternich’schen Polizei verdächtigt hatte, flügelfrei nach Leipzig, wo er sich bei der philosophischen Facultät immatriculiren ließ. Ernste Studien, besonders über ‚todten‘ Büchern bei Lampenlicht, lagen nicht in seiner Absicht, er schwärmte weiter wie bei dem nachsichtigen Principal, wo „ich an das große Buch der Natur dachte, wenn ich des Hauptbuches gedenken sollte“. Gustav Kühne, der jungdeutsche Redacteur der „Zeitung für die elegante Welt“, führte ihn in die litterarische Welt ein, und so zerfloß das Philosophiestudium bald in die Lüfte und ließ nichts zurück als einen Ballast von krausen Ideen, für die die rhetorischen Floskeln vieler seiner damaligen Gedichte als Rahmen dienten. Salomon (s. u.) S. 396 f. [304] erzählt uns: „Er konnte zunächst keinen Verleger für seine Gedichte finden und wäre nun vielleicht unbeachtet untergegangen, hätte er nicht 1838 bei der Eröffnung der Leipzig-Dresdner Eisenbahn einen überaus glücklichen Wurf durch ein schwungvolles Gelegenheitsgedicht ‚Die Eisenbahn‘ gethan, in welchem er mit Prophetengeist den großartigen Umschwung voraussagte, den die neue Erfindung nicht nur auf dem Gebiete des Handels und Verkehrs, sondern auch auf dem der Politik hervorbringen werde. Das Gedicht [8 achtzeilige Strophen] machte sofort die Runde durch alle Zeitungen; besonders der Vers ‚Eisen, du bist zahm geworden‘ zündete überall, und der Verfasser wurde über Nacht ein berühmter Mann. Nun fand er auch sofort einen Verleger für seine übrigen Gedichte“. Im J. 1838 trat er mit zwei Bänden hervor: „Nächte. Gepanzerte Lieder“, die der Stimmführer der damaligen modernen Poesie und Kritik, Gutzkow, als Product eines der kräftigsten und hoffnungsvollsten Talente begrüßte, und, infolge der Bekanntschaft und eines Besuchs von Goethe’s Schwiegertochter und Enkeln in Weimar, „Der fahrende Poet“, in vier Gesängen von Ungarns Land und Leuten an die Stationen Wien, Weimar, die Wartburg klang- und bilderreich vorzaubernd. Die 12 Strophen „Deutsche Studenten“ photographiren uns den Karl B. dieses Sturms und Drangs in seiner damaligen seelischen und äußerlichen Beschaffenheit, halb „Bursch“, halb Magyar: Rud. Gottschall, der jüngere, der ihn damals in Leipzig ehrfurchtsvoll aufsuchte, führt uns in einem eingehenden Nekrologe auch Beck’s damalige Erscheinung drastisch genau so vor. 1839 besuchte er über Hamburg, wo er Gutzkow und Wienbarg kennen lernte, die Seebäder Helgolands, ließ 1840 in Leipzig jenen beiden revoltirenden und reflectirenden Bändchen, die seinen Ruf begründet und festgehalten haben, „Stille Lieder“ voll geklärten Empfindens – schönes Beispiel dafür „Die Entsagende“ – folgen, dann, unter naturwissenschaftlichen und geschichtlichen Studien, das, 1840 in Pest aufgeführte Trauerspiel „König Saul“ (1841), dessen rednerische Pracht der undramatischen Technik nicht abhilft, dazu einen, binnen vier Wochen gedichteten bedeutenden einschlagenden Versroman „Jankó, der ungarische Roßhirt“ (1841). Die eigene Schilderung des Heimathbodens weckte mächtige Sehnsucht in ihm. Er reiste nach Pest, fand sich da aber durch die Theilnahme an der Zeitschrift „Der Ungar“ nicht befriedigt, da ihm die eigentlichen Magyaren den Gebrauch der deutschen Sprache bei seinen Ungarn preisenden Dichtungen heftig entgalten. Umgang mit der geistvollen Edeldame Ernestine v. Farkaß tröstete ihn. Im Mai 1843 trat er, was wohl Kühne mitangeregt, zum Protestantismus über, begab sich bald darauf nach Wien, wo er mit Lenau, der neben Anastasius Grün und Byron auf sein Dichten am meisten eingewirkt hat, rege Beziehungen anknüpfte, 1844 nach Berlin. Hier gab er seine „Gesammelten Gedichte“, dem Jugendfreund Kaufmann und der Farkaß gewidmet, heraus, die confiscirt, jedoch auf Befehl des Königs bis auf 2 Nrn. freigegeben wurden: es waren da Auslesen der drei lyrischen Sammlungen in mannichfach verbesserter Form vereinigt mit den fünf wundervollen strophischen „Ungarischen Melodien“ und einer kühnen Vision von 28 Abschnitten in freien Rhythmen, „Auferstehung“. Alexander v. Humboldt, Schelling, Varnhagen v. Ense, Böckh, Th. Mundt u. A. zeichneten B. ungewöhnlich aus, der auch bei gleichstrebenden jungen Poeten hohe Achtung genoß, während der gedankentiefe Titus Ullrich (s. A. D. B. XXXIX, 201) ihm liebevoll Mängel klarlegte.

Im damaligen Streite um die Tendenz, zu dem Herwegh und Freiligrath die Liederklingen kreuzten, stand er zu diesem; er besuchte ihn in der Schweiz, ersteren auf der Reise durch Süddeutschland. Die politische Polemik steckte ihn an, und er schrieb die „Lieder vom armen Mann“ (1846), die, rasch mehrfach aufgelegt, mit ihrem sarkastischen „Vorwort an das Haus Rothschild“ den gerade [305] angefachten Classenhaß mit schürten, aber trotzdem in „Frühling“, „Knecht und Magd“ und „Der Trödeljude“ Perlen bieten. Nach kurzem Aufenthalte in Pest – sein damaliges Zusammentreffen mit Ungarns größtem magyarischen Dichter schildern Beck’s „Erinnerungen an Alexander Petöfi (1846)“: Nord und Süd IX, H. 25, S. 50–60 – war er bald wieder in Berlin, gab da, mit Januar 1848 beginnend, rein lyrische „Monatsrosen“ heraus, die er mit dem „zweiten Strauß“ abbrach, begann eine Flugblätter-Serie „Gepanzerte Lieder“, deren Nr. l „An Preußens Volksvertreter“, allein blieb, und wich, vielleicht auch der ungarischen Revolution halber, vor den dortigen Conflicten 1848 nach Wien, wo er im September die 18jährige Julie Mühlmann heirathete, Nichte des Chemikers Hnr. Rose, die er seit fünf Jahren in Berlin gleichsam mit erzogen hatte. In Wien übernahm der, aus dieser Ursache mit zu Seßhaftigkeit sich Zwingende die von Bodenstedt niedergelegte Redaction des Feuilletons des „Lloyd“, dessen baldiger reactionärer Umfärbung gemäß B. ein poetisches Gnadengesuch für des besiegten ungarischen Aufstandes verurtheilte Häupter „an Kaiser Franz Joseph“ den 19jährigen richtete. Der Verlust der theuren Gattin durch die Cholera nach halbjährigem Glück brachte ihn fast zum Verzweifeln. Eine rastlose Pilgerschaft führte ihn drei Jahre lang durch die deutschen Lande, von den Alpen bis zum Ostseebade, in Wirklichkeit ein „fahrender Poet“. Doch war es mit seiner poetischen Vollkraft vorbei, er war innerlich ohne Halt, er fand keine neuen Töne mehr, und schlug er die alten an, so klangen sie oft matt, ohne die alte Frische. Das zeigen die Gesänge „Aus der Heimath“ (1852 u. ö.), ein Ansatz, zu dem unversöhnlichen Magyarenthum, das ihm jene Petition dick ankreidete, auf besseren Fuß zu kommen, „Die Epistel an den Zaren“ (1854), in verunglückter biblischer Prosa, „Jadwiga, ein Gedicht in 11 Gesängen“ (1863), eine grausige Historie mit polnisch-winterlichem Hintergrund, aber wie das Bändchen antik gefaßter Elegien „Täubchen im Nest. 1860“ (1868) und die diese mit aufnehmende Sammlung „Still und bewegt“ ganz und gar zur Sentimentalität, zu empfindungszarter Weichheit umgeschlagen. Nach einem Versuche, sich in Dresden niederzulassen, kehrte B. 1854 nach Pest zurück, scheiterte da mit der belletristischen Zeitschrift „Frische Quellen“, desgleichen 1857 in Wien mit einer solchen, da ihn seine Finanz-Hinterleute im Stiche ließen. Den Winter 1858/59 war er Vorleser in einer deutschen gräflichen Familie zu Venedig. Den Sommer 1860 brachte er wieder in Berlin zu, bei seinem Freunde Wolff, dem Chefredacteur der „National-Zeitung“, welche in Beck’s letzten Jahrzehnten hie und da im Feuilleton glatt geschriebene Artikel von ihm brachte, sein einziges Haften an der Journalistik; den nächsten Winter in Weimar, wo ihn der Großherzog Karl Alexander auszeichnete und sein Landsmann Franz Liszt sowie Friedrich Hebbel mit ihm verkehrten. Das Urtheil, das letzterer Grübler über dichterisches Wesen von B. gewann, interessirt trotz seiner offenbaren Ungerechtigkeit (Hebbel’s Tagebücher I, 181): „Es ist ein großer Unterschied, ob das Wort den Gedanken erzeugt, oder der Gedanke das Wort. Der Witz (der umgekehrte) ist der Vater der neueren Lyrik, wie sie ein Beck repräsentirt. Bei ‚Zinken‘ fällt ihm zunächst der Reim ‚sinken‘ ein, und dann, daß auch Zinken sinken werden. Hiebei kommt aber nichts heraus!“. Eben in Weimar ist „Jadwiga“ entstanden, im ganzen zwar von Fleisch und Bein seines „Jankó“, aber doch, scheint es, in Stoff und Auffassung von Hebbel’scher Manier befruchtet. Den Rest seiner Tage hat B. dann in Wien zugebracht. Nach Ungarn zog es ihn nicht mehr: mit den chauvinistischen Arpadsöhnen, die dort immer mehr Oberwasser bekamen, war er allmählich ganz zerfallen, da sein deutsches Dichten und sein 1849er Bittpoem ihm nie [306] verziehen wurden, auch sein dauernder Aufenthalt unter Deutschsprechenden und die Ueberzeugung vom Vorrange deutscher Cultur jede Ader des magyarischen Knaben hatten vertrocknen lassen – die epigrammatisch zugespitzte Parabel „Los“ unter den „Geschichten“ der letzten Sammlung von 1870 widerspricht nicht, er redet da objectiv von Oesterreichs Verhältniß zu Ungarn. Kränklichkeit, Gram über den Zusammenbruch seines Ruhms und das Erlöschen der einst so unversiegbaren Productivität, auch materielle Sorgen, die er, obzwar seit 1868 Pensionär der „Deutschen Schiller-Stiftung“, doch nicht fernhielt, verbitterten den hochbegabten, durch den übermäßigen Jubel des vormärzlichen Decenniums verwöhnten etwas eitel gewordenen Mann. Der Vergessene, Vereinsamte, der, im Sommer meistens in der Nähe Wiens wohnhaft, fast alljährlich Reisen nach München, Stuttgart, Venedig, Berlin oder sonst unternahm, raffte sich nochmals empor, als er noch 1876 in gegenseitiger Liebe und glücklichem Ergänzen ein bildhübsches blutjunges Mädchen Friederike Meister heirathete; diese zweite Gattin des Dichters, neuerdings als Romanschriftstellerin aufgetreten, lebt jetzt (seit October 1899) mit der Wittwenpension der Deutschen Schiller-Stiftung in Wien. In Weinhaus bei Wien, am Fuße der Türkenschanze, schlug das ungleiche Paar sein Heim auf, und B. stürzte sich mit dem Eifer seiner Jugendperiode ins dichterische Schaffen, aber der neuerwachende Drang zur Muse täuschte ihn über die gebrochene Kraft. Er arbeitete fleißig an seinem Lieblingswerke „Meister Gottfried“ – der 10. Gesang, der letzte fertige der geplanten 15, aus dem Nachlasse gedruckt in „Unsere Zeit“ 1881 – und, wol eingedenk des vollen Erfolgs, den 1853 seine Erzählung „Mater dolorosa“ mehr mit ihrer ciselirten bei ihm ganz überraschenden Prosa Varnhagen’scher Schule als mit dem Gegensatze des eroberten Warschau und des gleichzeitigen Paris errungen hatte, wagte er sich, dem wie dem durchaus veränderten Geschmacke des Publicums sich die Verse längst nicht mehr fügten, an eine Novelle „Er will sich verheirathen“, sogar an einen größern Roman „Die beiden Musikanten“, mit dem er wieder Ungarns heimathliche Gefilde betrat. Es gerieth nichts; denn die vermeintlich aufgeblühte Gesundheit war nur aufgeflackert wie die Flamme der Poesie. Im April 1877 traf ihn ein Schlaganfall, ein zweiter kurz darauf nach dem 60. Geburtstage; es entstand eine chronische Gehirnentzündung und diese führte nach längerem schmerzlichen Ringen in der Heilanstalt zu Währing bei Wien, wo einst der ihm so verwandte Lenau in Nacht geendet hatte, am 9. April 1879 den Tod herbei.

Karl Beck’s Persönlichkeit ist, trotzdem er erst 21 Jahre todt ist, in gewissem Sinne für uns schon historisch geworden. Denn sowol hat er seinen Ruhm um beinahe drei Jahrzehnte überlebt, als auch die Ideale, die ihn bewegten, die Art des Dichtens, die er pflegte, sind allmählich abgestorben, wenigstens liegt ihre Blüthe ein halbes Jahrhundert hinter uns. Die schwärmerische Hingabe mit Wort und That für das Magyarenvolk und für die Emancipation des Judenthums sind längst abgethan, nachdem der Verlauf der Ereignisse ihre gesetzlichen Forderungen erfüllt hat, im übrigen aber aus politischen oder socialen Ursachen großentheils einem Umschlage der Gesinnung unterlegen. Einen ferneren stofflichen Grundaccord Beck’scher Stimmung, das Erbarmen mit dem unterdrückten Polenthum, weist die Gegenwart angesichts des anmaßenden Polonismus mit Recht von sich. Deshalb aber Karl Beck’s Talent die gebührliche Anerkennung zu verweigern oder auch nur ein Verständniß seiner Anschauungen in öffentlichen Angelegenheiten für unnöthig zu halten, geziemt sich nicht. Allerdings hat der Dichter mit dem ihm verliehenen dichterischen Pfunde sofort so verschwenderisch gewuchert, daß er sich eigentlich mit den drei [307] ersten lyrischen Sammlungen und dem „Jankó“ ausgegeben hatte und er andere Farben als die da verwendeten nachher nicht mehr zu mischen vermochte. Ein Zögling der Nach-Byron’schen Weltschmerz-Epoche, aber ohne des britischen Lords theils angeborene theils erkämpfte Position in der Großen Welt, auch ohne Heine’s geniale Besonderheit der Ironie und dessen Vermögen, sich über die Dinge zu erheben, hat B. die Zerrissenheit der Gefühle, an der sein Genosse Lenau, ihm landsmannschaftlicher, nicht in demselben Grade aber gedanklicher Nachbar zu Grunde ging, vor Eintritt in das Mannesalter abgestreift. Hin- und hergezauste Probleme der damaligen staatlichen Wirren oder des anhebenden socialen Ausgleichs in derjenigen Weise zu berühren, die allein der Dichtkunst zu Gesicht steht, d. h. ohne abhandelnd zu erörtern, war ihm nicht gegeben. Auch fehlte ihm der richtige Blick für den Kern der schweren Reibereien zwischen Reaction und Revolution, und so ist er gestrandet, unfähig im Drunter und Drüber von 1848/49 „den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht“ zu finden oder in den Stand der nun publicistisch ans Ruder kommenden Leitartikler abzuschwenken, dazu innerlich durch den furchtbaren Schlag, der ihn gleichzeitig im Tode des heißgeliebten jungen Weibes erschütterte, zerstört. Als er da die ruhelose Wanderfahrt ohne Ziel antrat, stand er eben erst am Eingange des zweiten, reiferen Menschenalters, für das er aber keinen Inhalt mehr finden sollte: er webte und strebte in den Principien seiner Jünglingsschwärmerei und wußte seinen Geist nicht zu bereichern, seine Bildung an Gesichtspunkten zu erweitern; ein philosophisch viel tieferer Kopf, Titus Ullrich, hatte ihm in Berlin höhere Bahnen zu eröffnen versucht – vergebens. Was an jungdeutschen Ideen, namentlich aus Börne’s Sphäre, dem er ein weltbürgerliches Evangelium der Zukunft nachbetete, in B. steckte, war mit den Schöpfungen der ersten vier Jahre verbraucht: er unternahm es nicht, jene zu modeln und etwa Karl Gutzkow’s, des im strengen Sinne unparteiischen Kritikers, Prophezeiung, er könne mit seinen Mitteln ein deutscher Byron werden, zu bewahrheiten. Wir müssen heute, so scharf wir auch feststellen, was B. versagt war und versagt blieb, abgrenzen, was ihn auszeichnete und uns veranlaßt, den besten seiner lyrischen und lyrisch-epischen Erzeugnisse eine verdiente Dauer einzuräumen: gewaltige Gluth der Empfindung, echte Begeisterung für alles Edle und Hohe, für die Freiheit Geknechteter, für das Elend Bedrängter, urwüchsige Fülle des bisweilen überladenen poetischen Ausdrucks, packende Kraft der Sprache, ein bei öfterer Gespreiztheit und Häufung erstaunlicher Reichthum malerischer Situationen, phantastischer, nicht selten orientalisirender Bilder, überaus anschauliche Kunst der Schilderung von Natur und Staffage Ungarns. B. ist wol in allen Sätteln der Lyrik gerecht und hantirt mit ihren Formen souverän; der Pomp seiner Rhetorik allein mag es verhindert haben, daß er auch sangbare Lieder hervorgebracht hat, doch schwingt sich dafür der Refrain seiner Romanze „An der Donau“, „An der schönen, blauen Donau“, in J. Weyl’s (s. A. D. B. XLII, 281) trivialem Umguß mit Joh. Strauß’ bestrickenden Walzertacten von einer Generation fröhlicher süddeutscher Gemüther zur andern. B. darf eine viel breitere und höhere Schätzung beanspruchen als ihm jetzt die Litterarhistoriker, die sich in Angaben und Urtheil über ihn meist ausschreiben, oder gar die deutsche Lesewelt zubilligt. Vielleicht ließe sich die letztere, die infolge der Anthologien nicht ganz zur Tagesordnung übergegangen ist, durch den Abdruck einer verständigen Auswahl seiner Dichtungen und deren wirksame Anordnung für diesen idealen, unleugbar ursprünglichen Dichterfürsten mannichfach ebenbürtigen „fahrenden Poeten“ gerade in unserer der Lyrik wieder viel holderen Zeit gewinnen. In seiner Gestalt und Poesie sammt den Contrasten, die beide [308] bergen, lernen wir die Vorperiode der jüngsten Vergangenheit Deutschlands in den verschiedensten politischen, socialen, culturellen, ästhetischen Beziehungen kennen, und so braucht es der Litterarhistoriker keineswegs unter seiner Würde zu halten, dem Dichter Beck nähere Aufmerksamkeit zu schenken, aus dessen Nachlaß unlängst interessante Briefe und ungedruckte Gedichte auftauchen.

Am ausführlichsten und zwar aus persönlicher Kenntniß des Mannes und seiner Werke spricht von ihm Rud. v. Gottschall in einem Journal-Nachrufe in „Unsere Zeit“ 1889, II, S. 801 ff., der selbständig vorliegt in „Studien zur neuen deutschen Litteratur“ (1892), S. 280–317, daneben in „Die dtsche. Nationallit.6 IV, 130–186 = 5III, 93–97 (auch 5II, 236). Hnr. Kurz, Gesch. d. dtsch. Lit. IV, 128–132 u. 391–394, auch 480a (vgl. 44a, 57a, 362b) behandelt Beck auch eingehend (Porträt dabei). Wie diese beiden stellen ihn hoch die genauer begründenden Auslassungen z. B. bei K. Schütze, Deutschlands Dichter u. Schriftsteller (1862) S. 22; L. Salomon, Gesch. d. dtschn. Nationallit. d. 19. Jhs.² S. 396; Frd. Kirchner, D. dtsch. Nationallit. d. 19. Jhs. (1894), S. 327–329; K. J. Schröer, D. dtsch. Dichtg. d. 19. Jhs. (1875), S. 281 f. u. 240. Abfällig beurtheilt ihn Ad. Stern, gegenüber seinem eignen rühmenden Votum in s. Lex. d. dtsch. Nationallit. (1882), S. 24, 1886 in seinem Anhange zu Vilmar’s Littgesch. S. 514 f., wol um von Vilmar’s vermuthlichem eigenen Standpunkte nicht abzuweichen; denn bei den Verfassern sog. „christlicher“ speciell katholisch-dogmatisch fundirter litterarhistorischer Handbücher kommt Beck, ausgenommen höchstens die Form, schlecht genug weg: Carl Barthel² (1851) S. 409, W. Lindemann¹ (1866) S. 692 (7 S. 944), G. Brugier8 (1888) S. 509 f.: ohne Zweifel stoßen diese auf manche thatsächliche Mängel, aber der ebenfalls den positiv-katholischen Standpunkt einnehmende K. Storck, Dtsch. Litteraturgesch. (1898), S. 397 überblickt Beck’s Lebensfacit in folgender Kürze: „ein Ungar, der in feuriger Sprache ‚Lieder eines fahrenden Poeten‘ und ‚Lieder vom armen Mann‘ (1844) sang. Dauernde Bedeutung hat sein Roman in Versen ‚Jankó‘ (1841), in dem er in glühenden Farben das schillernde Leben seiner ungarischen Heimath geschildert hat“. Wie übrigens hierin und anderwärts Titel und Daten der Gedichtbücher Beck’s, welch letztere außer H. Kurz und Gottschall bisher kein Kritiker sämmtlich vorgenommen zu haben scheint, nicht genau stimmen, so liest man über B. in weit verbreiteten Hülfsbüchern wie Pischon-Palm’s Leitfaden d. Gesch. d. dtsch. Litt.13, S. 200, er sei „wie Freiligrath ohne gelehrte Bildung“ gewesen. Außer mit Nik. Lenau wurde B. öfters vergleichend mit den beiden Deutschböhmen Moritz Hartmann und Alfred Meißner zusammengestellt, wie in Brugier’s (s. o.) sorgfältiger Betrachtung und im Vorbeigehen in Rob. Prutz’ Capitel über M. Hartmann, D. dtsch. Litt. d. Gegenwart² I, 117 (betont, wie Beck’s Jugenddichtungen in Deutschland, unter dem Einflusse deutscher Bildung, nicht in Oesterreich entstanden). – Eine knappe Auswahl Beck’scher Dichtungen findet man bei H. Kurz a. a. O., bei J. Hub, Dtschlds. Balladen- und Romanzendichter³ S. 880–885 (in der vorausgeschickten Charakteristik S. 880 auch zwei wichtige zeitgenössische Stimmen wiederholt: Blätt. f. litt. Unterh. 1839 Nr. 225 und Levin Schücking in d. Monatsbl. z. Erg. d. Allg. Ztg. Juli 1845), eine „Anthologie“ von 120 Seiten, nebst biographischer Skizze, als 91. Bd. 1. Hälfte der National-Bibliothek d. deutschen Classiker des Bibliographischen Instituts zu Hildburghausen (c. 1860). Eine neue Theilausgabe – zu einem Neudruck „Sämmtlicher Werke“ fehlt sicher das Publicum! – müßte auch den ziemlich umfänglichen handschriftlichen Nachlaß berücksichtigen, über den und aus dem Adolf Kohut jüngst in fünf Artikeln „Ungedrucktes von Karl Beck“ mit verbindendem Text, der nicht viel weiter fördert, mitgetheilt hat: „Internationale Litteraturberichte“ V (1898) Nr. 23 S. 353–355, [309] Nr. 24, S. 375 f. Nr. 25, 391 f., Nr. 26, S. 404–406 (auch Briefe und Aphorismen); das litterarische Echo II (1899/1900), Nr. 9, S. 611–614.