ADB:Spieß, Christian Heinrich
Karl Wahr’schen Truppe als Schauspieler und Theaterdichter ein dauerndes Unterkommen fand. Er gab hier mit demselben Gelingen „biedere Alte“ und „zitternde Greise“ z. B. den alten Moor, als „schleichende dumme junge Herren“ oder vertraute und schüchterne Liebhaber. Er gehörte dem Prager Theater bis zum Jahre 1788 an. Die letzte Zeit seines Lebens verbrachte er auf der Herrschaft Betzdiekau bei Klattau in Böhmen bei dem Grafen Künigl, der ihn nominell als Oekonomiebeamten, in Wirklichkeit aber nur als Günstling und Gesellschafter in sein Haus aufgenommen hatte. Obwol sich S. in dieser Rolle wohl fühlte, da er bei allen Bekannten und Freunden des Grafen wohl angesehen war und von dem Grafen und den Seinen als Standesgenosse behandelt wurde, machte ihn doch die Untreue seiner Frau schwermüthig. Er fiel schließlich einer vollständigen Geisteszerrüttung, die in Tobsucht ausartete, anheim und starb bereits am 17. August 1799 im 44. Lebensjahre. S. hat in seinem kurzen Leben seit dem Jahre 1782 als Roman- und Schauspieldichter eine staunenswerthe Fruchtbarkeit entwickelt und sich bei seinen Zeitgenossen einer ungewöhnlichen Beliebtheit erfreut. Verstand er doch ausgezeichnet, in seinen Ritter-, Räuber- und Geisterromanen [178] seine Leser mit Schauder zu erfüllen, da er in der Erfindung und Ausführung von gräßlichen und widrigen Stoffen eine wahre Virtuosität besaß. Unter seinen Werken treffen wir u. a. auch Biographien von Selbstmördern und Wahnsinnigen. In seinen Schauspielen hielt er sich an das von Goethe im „Götz“ und von Schiller in den „Räubern“ gegebene Beispiel, das für ihn allerdings nur nach der Seite des Wilden und Naturwüchsigen hin maßgebend war. Sie hielten sich ziemlich lang auf der Bühne, vor allem die Ritterspiele: „Clara von Hoheneichen“, das Theodor Körner noch 1811 in Wien spielen sah, und „Friedrich, der letzte Graf von Toggenburg“, und ebenso sein Trauerspiel „Maria Stuart und Norfolk“, das erst nach seinem Tode von Schiller’s Tragödie verdrängt werden sollte. Bei seinen Romanen macht sich der Einfluß von Schiller’s „Geisterseher“ bemerklich. Er zeigt sich am deutlichsten in den Romanen: „Der Alte überall und nirgends“ und „Die zwölf schlafenden Jungfrauen“. Zu seinen gelesensten Arbeiten gehört noch der Roman „Die Löwenritter“. Die große Beliebtheit des Dichters geht auch aus dem Umstande hervor, daß seine Sachen mehrfach nachgedruckt und Arbeiten anderer Autoren ihm untergeschoben wurden. Ein vollständiges, genaues bibliographisches Verzeichniß seiner Schriften ist noch nicht aufgestellt worden. Eine Gesammtausgabe seiner Werke erschien in 11 Bänden Nordhausen 1840–1841.
Spieß: Christian Heinrich S., Schauspieler und Dichter, geb. am 4. April 1755, † am 17. August 1799. S. stammte aus Freiberg i. S., wo er seine Schulausbildung erhielt. Die Neigung zum Theater bestimmte ihn, Schauspieler zu werden. Er schloß sich verschiedenen Wandertruppen an und zog mit ihnen kreuz und quer durch das Land, bis er in Prag bei der- Vgl. Meusel, Lexikon der vom Jahre 1730–1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller XIII, 229–232. Leipzig 1813. – Friedrich Raßmann, Deutscher Dichternekrolog. S. 183, 184. Nordhausen 1818. – Derselbe, Litterarisches Handwörterbuch der verstorbenen deutschen Dichter. S. 425–427. Leipzig 1826. – Derselbe, Kurzgefaßtes Lexikon deutscher pseudonymer Schriftsteller. S. 172. Leipzig 1830. – A. W. v. Schlegel, Sämmtliche Werke XI, S. 349. Leipzig 1847. – Koberstein, Grundriß, Generalregister. Leipzig 1873. – K. Goedeke, Grundriß II, 1136/37. – Wurzbach, Biogr. Lexikon. – J. W. Appell, Die Ritter-, Räuber- u. Schauerromantik. S. 34–41. Leipzig 1859. – Osc. Teuber, Geschichte des Prager Theaters. 2. Theil. S. 59–62. Prag 1885. – Alfr. Meißner, Rococobilder. S. 190–192. 2. Ausg. Lindau und Leipzig 1876.