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Seite:WienRel.djvu/6

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von den vielen Vorträgen und Aufsätzen versprechen, welche das Ziel verfolgen wissenschaftlich ungeschulte in die Relativitätstheorie einführen zu wollen.

Wenn ich daher der Überzeugung bin, daß die Besprechung der Relativitätstheorie in Volksversammlungen zu nichts anderem als zu einer Verwirrung der Geister führt, so darf ich nun meinerseits nicht dasselbe tun, was ich hier als unzulässig zu bezeichnen mich verpflichtet fühle. Ich muß mich von vornherein beschränken und mir nicht die Aufgabe stellen Ihnen wirklich die Relativitätstheorie auseinanderzusetzen. Ich möchte mir nur vornehmen Ihnen in möglichst einfacher Weise darzustellen, wie man zur Relativitätstheorie gelangt ist, welche Ziele sie verfolgt, was sie leistet und welcher Erkenntniswert ihr zuzuschreiben ist.

Die Relativitätstheorie ist, wie alle physikalischen Theorien, ein Ergebnis der Erfahrung.[1] Wenn auch dem unbefangenen Beobachter die Einführung einer absoluten Bewegung, ohne Beziehung auf andere Körper, fernlag, so hat doch schon die Newtonsche Mechanik von einem absoluten Raum, gegen den die Bewegung eines materiellen Körpers möglich sei, Gebrauch gemacht. Es ist dies eine Folge der Anwendung der analytischen Geometrie, bei der die Ortsbestimmungen durch die Abstände von einem im Raume festen Koordinatensystem festgesetzt werden. Die Festlegung der Linien des Koordinatensystems ist im absolut leeren Raum unmöglich und hat daher einen im Raume befindlichen Körper zur Voraussetzung, auf den alle übrigen Körper bezogen werden. So hatte sich schon früh die Erkenntnis durchgesetzt, daß trotz der Einführung der absoluten Bewegung in der Mechanik nur relative Bewegungen beobachtbar seien. Aber anders lag die Frage für das Licht, seitdem die Wellenlehre das Vorhandensein eines Trägers der Lichtwellen, des Äthers, gefordert hatte.

Es war klar, daß eine absolute Bewegung im Raume gegenüber dem Lichtäther wohl eine physikalische Bedeutung haben mußte und daß es möglich sein sollte, eine solche absolute Bewegung durch die Beobachtung nachzuweisen. Mannigfaltige Versuche wurden nun angestellt um solche Beobachtungen anzustellen, aber immer mit negativem Erfolg. Von diesen Versuchen


  1. [28] 1) Daß die Relativitätstheorie zunächst für gleichförmige Bewegungen auch für die elektromagnetischen Vorgänge durchführbar ist, hat zuerst H. A. Lorentz durch die mathematische Form der sogenannten Lorentztransformation nachgewiesen. Zu ihrer konsequenten Durchbildung müssen die Begriffe der absoluten Zeit und des starren Körpers aufgegeben werden. Die Abplattung eines kugelförmigen Elektrons durch die Bewegung ist nur die allgemein von der Relativitätstheorie geforderte Änderung der Raumdimension in der Translationsrichtung. Da die Geschwindigkeit des Lichts im leeren Raum eine absolute Geschwindigkeit ist, so müssen, falls trotzdem nur relative Bewegungen in den Naturphänomenen in die Erscheinung treten sollen, die Begriffe von Raum und Zeit so gefaßt werden, daß eine absolute Bewegung in keiner Weise erkennbar wird. Der Interferenzversuch von Michelson würde die Möglichkeit des Nachweises der absoluten Bewegung liefern, wenn nicht die erwähnte Änderung der Lineardimensionen einträte. Ein auf die durchsichtige Glasplatte G fallender Lichtstrahl durchsetzt diese und geht weiter, bis er vom Spiegel S in seiner eigenen Richtung zurückreflektiert
    Fig.1
    Fig.2

    wird. Ein zweiter Strahl wird von der Glasplatte G reflektiert und gelangt zum Spiegel S’, von dem er in die eigene Richtung zurückreflektiert wird. Er fällt dann wieder auf die Glasplatte, wird zum zweitenmal reflektiert und gelangt nun mit dem von S zurückkehrenden ersten Strahl zur Interferenz. Sind die Entfernungen von S und S’ von G gleich l, so ist die Zeit, die die beiden Lichtstrahlen brauchen, um wieder nach G zurückzukehren, ( = Lichtgeschwindigkeit). Ist das System in der Richtung GS[29] in gleichförmiger Translation mit der Geschwindigkeit begriffen, so ist die Zeit, die der erste Strahl braucht, um wieder nach G zurückzukehren,

    Von S wird bei der Bewegung nicht mehr der rechtwinklig zur Bewegungsrichtung ausgehende Strahl nach G reflektiert, sondern, weil G während der eine Strahl bis zur Rückkunft gebrauchten Zeit sich fortbewegt hat, ein etwas geneigter Strahl. (Fig. 2.) Dabei ist so daß ist.

    Die von diesem Strahl zur Rückkehr gebrauchte Zeit ist demnach

    Man sieht hieraus, daß durch die Translation die ursprüngliche gleiche Zeit der beiden Lichtstrahlen verschieden geworden ist. Wenn man also die Spiegel und die Glasplatte auf einem drehbaren starren System montiert und einmal die Richtung GS, dann die Richtung GS’, mit der Richtung der Erdbewegung zusammenfallen läßt, so muß hierbei eine Verschiebung der Interferenzstreifen eintreten, die dem veränderten Gangunterschied der beiden Strahlen entspricht. Die Theorie der Relativität verlangt, daß dies nicht eintritt, und es muß demnach die Strecke in der Translationsrichtung ihre Länge im Verhältnis verkürzt haben, damit beide Lichtstrahlen wieder gleiche Wege zurücklegen. Dies ist die sogenannte Lorentzverkürzung.

    Man kann also sagen, daß alle Dimensionen in der Translationsrichtung sich durch die Bewegung in dem angegebenen Verhältnis verkürzt haben müssen. Es ist dies aber keineswegs eine Verkürzung im gewöhnlichen Sinne des Wortes, sondern sie ist nur wahrnehmbar für einen ruhenden Beobachter, aber nicht für einen, der sich mitbewegt.

    Eine weitere Folgerung aus der Relativitätstheorie bezieht sich auf die Zeit, worauf Einstein zuerst aufmerksam gemacht hat. Da nämlich ein Lichtstrahl, der in der Richtung der Bewegung die Strecke hin und zurück durchläuft, im bewegten System die Zeit oder vielmehr mit Berücksichtigung der eben abgeleiteten Verkürzung der Länge die Zeit braucht, während er im ruhenden System braucht, so müssen,[30] damit durch hin- und zurückgeworfene Lichtsignale die Beobachtung der absoluten Bewegung unmöglich wird, sämtliche Zeiten in gleichem Verhältnis verkleinert sein, um die Verlängerung der Zeit durch die Bewegung zu kompensieren. Uhren müssen im bewegten System vom ruhenden aus betrachtet langsamer gehen als im ruhenden System.

    Die Zeit wird aber noch von einer anderen Veränderung betroffen. Es seien A und B zwei Zahnräder auf einer festen Achse von der Länge . Es gehe ein Lichtstrahl durch die Lücken des Zahnrades B und gelange in A auch durch eine Zahnlücke.

    Setzen wir die Achse in Rotation, so wird bei bestimmter Geschwindigkeit das Rad A sich soviel verschoben haben, daß der Lichtstrahl in A auf den Zahn trifft und nicht mehr hindurchgehen kann. Ein umgekehrt durch eine Zahnlücke von A gehender Strahl wird in B von einem Zahn aufgehalten werden. Setzen wir nun das ganze System in der Richtung BA in Bewegung, so braucht der Lichtstrahl in der Richtung BA eine kürzere Zeit bis zum Zahnrad B als in der Richtung AB bis zum Zahnrad A.

    Damit dieser Versuch nicht die Beobachtung der absoluten Geschwindigkeit ermögliche, muß die Asymmetrie im Gange der beiden Lichtstrahlen aufgehoben werden. Dies ist nur möglich, wenn das eine Zahnrad gegenüber dem anderen eine Drehung durch die Translationsbewegung erfährt, so daß es dem anderen in der Zeit um voraus ist. bestimmt sich dann dadurch, daß

    Da nun aus wieder wird, so ist

    Um diesen Betrag muß sich die Zeit an zwei Orten für einen ruhenden Beobachter unterscheiden, wenn die Orte in der Translationsrichtung um die Strecke auseinanderliegen.

    Die drei erwähnten Experimente enthalten die physikalische Bedeutung der Raumzeittransformationen der Relativitätstheorie.

    Man erkennt, daß der Begriff des starren Körpers seine Bedeutung vollständig verliert und daß die Begriffe von Raum und Zeit nur in unmittelbarer Verknüpfung miteinander brauchbar sind.

    Wenn für einen ruhenden Beobachter die Maßbestimmungen für ein mit ihm fest verbundenes Koordinatensystem gelten, so werden die Koordinaten bezogen auf ein Koordinatensystem, das mit einem in[31] der Richtung mit der Geschwindigkeit bewegten Körper verbunden ist, zunächst sein

    Nun wird aber aus durch die Lorentzverkürzung

    Es ist also

    oder

    Nennen wir nun die Zeit für das ruhende System, für das bewegte, so ist, wie wir oben gesehen haben

    Ferner ist , wie aus der Betrachtung der Zahnräder folgt, noch vom Ort abhängig, so daß für zwei in der Entfernung auf der -Achse voneinander entfernt liegende Orte durch die Bewegung um den Betrag verschieden ist. Da nun für einen bewegten Punkt, für den sein soll, ist, so folgt:

    weil dann für in der Tat wird.

    Durch diese Beziehungen ist die Lorentztransformation ausgedrückt, deren physikalische Bedeutung aus den angestellten Betrachtungen erhellt.

    Lorentz hatte allerdings aus dieser Transformation noch nicht die allgemeine Folgerung der Relativität gezogen, sondern nur gezeigt, daß durch sie die Versuche eine absolute Bewegung nachzuweisen erfolglos sein müssen. Einstein hat dann die Forderung der Relativität an die Spitze gestellt und aus ihr die Lorentztransformation abgeleitet. Er zog als Folgerung besonders noch die Trägheit der Energie. Die allgemeine Relativität hat E. Mach in seiner „Mechanik in ihrer Entwicklung“ Leipzig 1901, S. 248 mit folgenden Worten ausgesprochen: „Für mich gibt es überhaupt nur eine relative Bewegung und ich kann darin einen Unterschied zwischen Rotation und Translation nicht machen. Dreht sich ein Körper relativ gegen den Fixsternhimmel, so treten Fliehkräfte auf, dreht er sich relativ gegen einen andern Körper, nicht aber gegen den Fixsternhimmel, so fehlen die Fliehkräfte. Ich habe nichts dagegen, daß man die erstere Rotation eine absolute nennt, wenn man nur nicht vergißt, daß dies nichts anderes heißt als eine relative Drehung gegen den Fixsternhimmel. Können wir vielleicht[32] das Wasserglas Newtons festhalten, den Fixsternhimmel dagegen rotieren und das Fehlen der Fliehkräfte nachweisen? Der Versuch ist nicht ausführbar, der Gedanke überhaupt sinnlos, da beide Fälle sinnlich voneinander nicht zu unterscheiden sind. Ich halte demnach beide Fälle für denselben Fall und die Newtonsche Unterscheidung für eine Illusion“.

    Die allgemeine Relativitätstheorie ist dann von Einstein auf der Grundlage der Machschen Ideen aufgestellt und an sie hat sich eine außerordentlich umfangreiche Literatur angeschlossen.

    Die ersten Einsteinschen Arbeiten über allgemeine Relativitätstheorie sind: Jahrbuch f. Radioaktivität u. Elektroide. VI, 4. Annalen d. Physik. 35, S. 898, 1911; 38, S. 355 u. S. 443. Die Zusammenstellung der mathematischen Darstellung ist: Ann. d. Phys. 49, S. 769 1916.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Wien: Die Relativitätstheorie vom Standpunkte der Physik und Erkenntnislehre. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1921, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienRel.djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)