Zum Inhalt springen

Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 11.

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« §. 10. Schwere, Elektricität und Magnetismus §. 12. »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).

|[36]

§. 11.
Das Oberflächen-Integral . Satz von Gauss.


 Wir bezeichnen mit einen beliebig, aber vollständig begrenzten Raum und mit ein Element seiner Oberfläche. In irgend einem Punkte dieses Oberflächen-Elementes errichten wir nach dem Innern des Raumes die Normale und nehmen auf ihr einen Punkt , welcher von dem Fusspunkte der Normale den Abstand hat. Es lassen sich dann zwei veränderliche Grössen und so wählen, dass sie in irgend einem Punkte der Oberfläche je einen und nur einen Werth haben, und dass umgekehrt zu einer bestimmten Werthen-Combination von und jedesmal nur ein bestimmter Punkt der Oberfläche gehört. Die Lage des Punktes lässt sich dann auch dadurch angeben, dass man sagt, welche Werthe die Grössen und im Fusspunkte der Normale
Fig. 5.
haben und wie lang die Strecke auf der Normale ist. Man hat also jede der drei Coordinaten als eine Function von den drei unabhängigen Variabeln anzusehen. Lässt man und ihre Werthe beibehalten und ertheilt der dritten Variabeln den Zuwachs , so erhält man auf derselben Normale einen zweiten Punkt, dessen rechtwinklige Coordinaten sind (Fig. 5), und es ist hier speciell . Man erkennt leicht, dass die Projectionen von auf den rechtwinkligen Coordinatenaxen sind. Bezeichnet man also mit die Winkel, welche die Richtung der Normale mit den positiven Richtungen der , der , der einschliesst, so ergibt sich

|[37]


 Wir denken uns nun die gesammte anziehende Masse, die gleich der Einheit genommen werden möge, in einem Punkte concentrirt, der entweder innerhalb oder ausserhalb oder in der Oberfläche des Raumes T liegen soil. Der Punkt übt auf den Punkt eine Anziehung, deren Componente in der Richtung der wachsenden mit bezeichnet werden möge. Man findet


(1)


wenn den Abstand des Punktes von dem Punkte bezeichnet, also


(2)


Die Linie ist von dem Punkte nach dem Punkte hingezogen, und unter ist der Winkel zu verstehen, welchen diese Richtung mit der Richtung der wachsenden einschliesst. Für den Cosinus dieses Winkels ergibt sich



Mit soll ein Element der Oberflache von bezeichnet werden, und der Punkt soll in der Begrenzungslinie dieses Elementes liegen, so dass für ihn ist. Es handelt sich darum, den Werth des Integrals


(3)


zu ermitteln, wenn die Integration über die ganze Oberfläche von erstreckt wird. Zu dem Ende betrachten wir als die Basisfläche eines Kegels, dessen Spitze im Punkte liegt. Die conische Oberfläche wird dadurch erzeugt, dass man einen von ausgehenden beweglichen Radius vector längs der Begrenzung von hingleiten lässt. Beschreibt man nun (Fig. 6.) um als Mittelpunkt mit dem Radius eine Kugelfläche, so schneidet der eben construirte Kegel aus ihr ein Flächenelement heraus, welches als die rechtwinklige Projection von angesehen werden kann. Denn wegen der unendlich kleinen Dimensionen darf man sowohl , wie das Element der Kugelfläche als ebene |[38]Flächen ansehen. Die Erzeugenden des Kegels sind dann die projicirenden Strahlen. Sie stehen als Radien sämmtlich rechtwinklig

Fig. 6.

auf der Kugelfläche. Man erhält also das Element der Kugelfläche, indem man mit dem Cosinus des spitzen Winkels multiplicirt, welchen die im Punkte errichteten Normalen der Kugel und des Flächenelementes einschliessen, d. h. mit dem absoluten Werthe von . Das Element, welches der Kegel aus der Kugelfläche vom Radius ausschneidet, ist demnach



und es gilt das negative oder das positive Zeichen, je nachdem der von ausgehende Radius vector an der Stelle in den Raum eintritt oder aus ihm austritt. Die Richtigkeit dieser Vorzeichen-Bestimmung ist leicht einzusehen. Die Richtung der wachsenden schliesst nemlich spitze Winkel ein mit allen geraden Linien, die vom Punkte aus nach dem Innern des Raumes gezogen werden, und stumpfe Winkel mit allen Linien, die vom Punkte nach aussen gehen. Der von nach gezogene Radius vector ist aber der Richtung von gerade entgegengesetzt.

 Legt man nun um den Punkt als Mittelpunkt eine zweite Kugelgläche mit der Längeneinheit als Radius, so schneidet aus dieser der Kegel ein Element heraus, dessen Inhalt sich berechnet


(4)


|[39]  Der eben betrachtete Kegel kann die Oberfläche des Raumes öfter treffen. Dann ist die centrale Projection aller ausgeschnittenen Oberflächen-Elemente, und es ist in der Gleichung (4) das negative oder das positive Vorzeichen gültig, je nachdem das Element an einer Eintritts- oder an einer Austrittsstelle liegt.

 Der Punkt befinde sich zunächst im Innern des Raumes . Dann tritt der Kegel einmal öfter aus als ein.

 Jede Austritts- und jede Eintrittsstelle liefert einen Beitrag zu dem Integral (3), und zwar sieht man aus Gleichung (4), dass dieser Beitrag gleich ist an allen Austrittsstellen und gleich an allen Eintrittsstellen. Der Inbegriff aller Beiträge, welche die durch den Kegel ausgeschnittenen Oberflächen-Elemente liefern, ist demnach



Denn der Beitrag jeder Eintrittsstelle hebt den Beitrag der vorhergehenden Austrittsstelle auf und es bleibt nur der Beitrag der letzten Austrittsstelle übrig. Der Werth des Integrals (3) ist also


(5)


wenn man das letztere über alle die Stellen der Kugel vom Radius 1 erstreckt, welche Projectionen von Oberflächen-Elementen des Raumes sind. Da aber der Punkt im Innern des Raumes liegt, so kann der Elementarkegel durch kein Element der Kugelfläche vom Radius 1 hindurchgehen, ohne irgendwo auch die Oberfläche von zu durchschneiden. D. h. das Integral (5) ist über die ganze Kugelfläche zu erstrecken, und folglich hat man


(6)


wenn der Punkt im Innern des Raumes liegt.

 Nimmt man aber zweitens den Punkt ausserhalb des Raumes , so trifft der Elementarkegel die Oberfläche von entweder gar nicht, oder er tritt ebenso oft aus wie ein. Jede Eintrittsstelle liefert zu dem Integral (3) auch hier den Beitrag , und jede Austrittsstelle den Beitrag . Folglich heben sich die Beiträge auf, welche von jedem einzelnen Elementarkegel herrühren, und man hat |[40]


(7)


wenn der Punkt ausserhalb des Raumes liegt.

 Wenn drittens der Punkt in der Oberfläche des Raumes genommen wird, und zwar an einer stetig gekrümmten Stelle, so zerschneidet die Tangentialebene dieses Punktes die Kugelfläche vom Radius 1 in zwei Halbkugeln. Die eine Halbkugel wird von allen den Elementarkegeln getroffen, deren Erzeugende anfänglich innerhalb des Raumes verlaufen. Die andere Halbkugel wird von allen den Elementarkegeln getroffen, deren Erzeugende anfänglich ausserhalb des Raumes liegen. Rücksichtlich der ersteren ist der Punkt anzusehen als innerhalb des Raumes liegend, rücksichtlich der letzteren als ausserhalb liegend. Folglich erhält man


(8)


wenn der Punkt an einer stetig gekrümmten Stelle der Oberfläche des Raumes sich befindet.

 Liegt endlich der Punkt in einer Kante oder einer Spitze der Oberfläche von , so sieht man leicht, dass das Integral (3) gleich demjenigen Theil der Kugelfläche vom Radius 1 ist, für welchen die schneidenden Elementarkegel anfänglich innerhalb des Raumes liegen. Um die Begrenzung dieses Flächentheils zu finden, braucht man nur im Punkte den Tangentenkegel der Oberfläche von zu construiren. Diese Kegelfläche schneidet die Kugel in der gesuchten Begrenzungslinie.

 Der Satz dieses Paragraphen rührt von Gauss her. Soweit er sich in den Gleichungen (6), (7), (8) ausspricht, bildet er das Theorema 4 der Abhandlung: Theoria attractionis corporum sphaeroidicorum ellipticorum homogeneorum methodo nova tractata.*)[1] Den letzten Zusatz hat Gauss später gemacht im 22. Artikel der Abhandlung: Allgemeine Lehrsätze in Beziehung auf die im verkehrten Verhältnisse des Quadrats der Entfernung wirkenden Anziehungs- und Abstossungskräfte.**)[2]



  1. *) Commentationes Societ. reg. Gotting, recent. Vol. 2. Gottingae 1813. – Carl Friedrich Gauss’ Werke. Bd. 5. Göttingen 1867.
  2. **) Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen Vereins im Jahre 1839. Herausgegeben von Gauss und Weber. Leipzig 1840. – Gauss’ Werke. Bd. 5. Göttingen 1867.