MKL1888:Kriegssanitätswesen
[216] Kriegssanitätswesen, der Inbegriff aller Einrichtungen und Vorkehrungen zur Erhaltung eines guten Gesundheitszustandes (Gesundheitsdienst) sowie die Pflege verwundeter und erkrankter Krieger (Krankendienst, Kriegskrankenpflege).
I. Der Gesundheitsdienst bezweckt die Erhaltung eines guten Gesundheitszustandes unter den Truppen durch Beobachtung einer zweckmäßigen, den Umständen angepaßten und möglichst geregelten Lebensweise sowie durch Verhütung und Abwehr solcher Krankheiten, welche durch das Kriegsleben und die Anhäufung großer Menschenmassen hervorgerufen werden. Wenn auch den neuzeitlichen Fortschritten in der Heilkunde, im besondern in der Chirurgie, die Erhaltung vieler Menschenleben zu danken ist, die früher verloren gegangen wären, so ist doch vorzugsweise der Mangel an Einrichtungen für die Gesundheitspflege Ursache gewesen, weshalb in frühern Kriegen viel mehr Menschen im Lazarett als auf den Schlachtfeldern starben. Von den 41/2 Mill. Soldaten, welche den Heeren Frankreichs von 1792 bis 1815 zugingen, starben 21/2 Mill. in den Lazaretten, 150,000 auf den Schlachtfeldern. Frankreich schickte nach der Krim 309,268 Mann, davon wurden 436,144 Mann in den Lazaretten verpflegt; im Durchschnitt war also jeder Mann einmal, der zweite Mann aber zweimal im Lazarett; vor dem Feind oder an den Wunden starben 20,000, an Krankheiten 77,000. Von der 283,000 Mann starken österreichischen Armee starben im Feldzug 1859: 40,000 an Krankheiten; die französische Armee hatte gleichzeitig 13,500 Verwundete und 112,500 Lazarettkranke. Günstiger war bereits das Verhältnis der 1866 in der preußischen Armee an Wunden und Krankheiten Verstorbenen, es betrug 1 : 1,5, während unter dem Verlust der Italiener 1866 von 53,100 Mann nur 2600 Verwundete sich befanden. Was dem gegenüber durch Gesundheits- und Krankheitspflege erreichbar ist, beweist der Feldzug 1870/71; die deutschen Armeen hatten 14,648 Tote durch Krankheit und 28,327 durch Verwundung! Die Kriegssanitätsordnung für das deutsche Heer vom 10. Jan. 1878 enthält dem entsprechende Vorschriften über die Gesundheitspflege auf Märschen (Sonnenstich, Hitzschlag), in Biwaks und Kantonnements, namentlich über Verhütungsmaßregeln zur Weiterverbreitung von Krankheiten (Desinfektion etc.).
II. Der Krankendienst bei der Armee im Feld (Kriegskrankenpflege, geregelt durch die Kriegssanitätsordnung vom 10. Jan. 1878) wird ausgeübt vom militärischen Sanitätspersonal oder durch freiwillige Krankenpflege. Der Chef des Feldsanitätswesens im Großen Hauptquartier leitet den Sanitätsdienst im Heer, ihm ist das gesamte Sanitätspersonal in den Lazaretten und bei den [217] Truppen unterstellt. Zu jedem Armeeoberkommando gehört ein Armeegeneralarzt, zu jedem Armeekorps ein Korpsgeneralarzt, dem die Divisions- und die Truppenärzte (s. Sanitätskorps) unterstehen. Der Feldarmee werden ferner als konsultierende Chirurgen hervorragende Zivilärzte, besonders Professoren, zur Unterstützung der behandelnden Ärzte auf den Verbandplätzen wie in den Lazaretten beigegeben. Den Etappeninspektionen (s. Etappe) sind zur Leitung des Rücktransports (Evakuation) Kranker und Verwundeter Etappengeneralärzte und Krankentransportkommissionen (s. d.) unter je einem Oberstabsarzt sowie Feldlazarettdirektoren beigegeben, welche die Einrichtung und Auflösung der Kriegs- und Etappenlazarette (s. d.) zu leiten haben. Als Hilfspersonal dienen die Lazarettgehilfen, Krankenträger (s. d.), Hilfskrankenträger (Mannschaften der fechtenden Truppen, welche eine rote Armbinde tragen und nicht unter dem Schutz der Genfer Konvention [s. d.] stehen) sowie die Krankenwärter (s. d.). Der Krankendienst beginnt mit der ersten Hilfe im Gefecht, welche den von Hilfskrankenträgern aus der Gefechtslinie nach den Not- (Truppen-) Verbandplätzen gebrachten Verwundeten von den Truppenärzten und Lazarettgehilfen durch Anlegung eines Notverbandes geleistet wird. Von diesen Verbandplätzen werden die Verwundeten durch die Krankenträger der Sanitätsdetachements (s. d.) auf Tragen nach den Hauptverbandplätzen, deren je einer für jede Division vom Divisionsarzt nicht weit hinter der Gefechtslinie in einem Gebäude oder Verbindezelt angelegt und mit einer weißen Fahne mit rotem Kreuz bezeichnet wird, gebracht; bei erheblichem Vorrücken müssen dieselben den Truppen folgen. Hier werden die Verwundeten in Transportierbare und Nichttransportierbare (Leicht- und Schwerverwundete) geschieden, unaufschiebbare Operationen ausgeführt und den Leichtverwundeten ein rotes, den Schwerverwundeten ein weißes Wundtäfelchen mit Angabe der Art der Verletzung und gewährten Hilfe angeheftet, sodann in den Wagen des Sanitätsdetachements nach den Feldlazaretten (s. d.) geschafft, die in Gebäuden, ausnahmsweise in Zelten oder Baracken, zur dauernden Behandlung der Kranken eingerichtet werden. Mit dem Vorrücken der Truppen werden die Feldlazarette durch ein Lazarettreservepersonal abgelöst und in Kriegslazarette verwandelt, womit sie unter die Verwaltung der Etappeninspektionen treten, während die Feldlazarette der operierenden Armee folgen. In den Kriegslazaretten beginnt die Krankenzerstreuung, d. h. die Verteilung und Überführung der Verwundeten und Kranken in weiter rückwärts gelegene Lazarette und Heilstellen bis in die Heimat, sobald dieselben transportfähig sind, um Überfüllungen in den Feld- und Kriegslazaretten und daraus leicht entstehenden Hospitalepidemien vorzubeugen, sowie um den Kranken und Verwundeten eine bessere Pflege angedeihen zu lassen. Leichtkranke und Leichtverwundete kommen zu den Krankensammelstellen (s. d.), von dort, ist ihre baldige Wiederherstellung zu erwarten, in die Etappenlazarette, andernfalls in Krankenzügen, welche aus Personenwagen, nötigen Falls aus mit Strohsäcken versehenen Güterwagen bestehen, zur Heimat. Die nur liegend und in besondern Lagerungsvorrichtungen zu transportierenden Schwerverwundeten und Schwerkranken werden in besondern Sanitäts- (Lazarett-, Hospital-) Zügen befördert, deren jeder ein in sich geschlossenes Ganze bildet und aus 41 Wagen, darunter 30 Krankenwagen mit je 10 Lagerstätten, 2 Küchen-, 2 Speisewagen etc., besteht, auch ein ständiges Sanitätspersonal besitzt. Sämtliche Wagen sind Durchgangswagen, so daß auch während der Fahrt ein Verkehr durch den ganzen Zug stattfinden kann. Die Leichtkranken und -Verwundeten sind von diesen Zügen unbedingt ausgeschlossen. Längs der Bahnlinien werden Verband-, Verpflegungs- (Erquickungs-) und Übernachtungsstationen eingerichtet. In der Heimat dienen Reservelazarette zur Aufnahme der vom Kriegsschauplatz eintreffenden Verwundeten und Kranken; als solche finden entweder Friedens-Garnisonlazarette Verwendung, oder sie werden neu eingerichtet. Auch Vereinslazaretten, in Ausnahmefällen auch der Privatkrankenpflege können die Kranken und Verwundeten übergeben werden. Aus diesen heimatlichen Heilanstalten werden sie entweder als geheilt zu ihren Truppenteilen oder als Invaliden entlassen. Zur Ergänzung des verbrauchten Lazarettmaterials (Verbandstoffe, Arzneien etc.) bei den Feld- und Kriegslazaretten werden den Etappeninspektionen mobile Lazarettreservedepots mit 20 bespannten Fahrzeugen überwiesen. Außerdem werden an gewissen Etappenorten derartige Depots errichtet, die sich aus den großen Depots an den Etappenhauptorten und diese wieder aus der Heimat auffüllen.
Auf gleicher Grundlage beruhen die Einrichtungen für die Kriegskrankenpflege in den übrigen Großstaaten. Österreich besitzt bereits im Frieden eine Sanitätstruppe in 26 Abteilungen, je eine bei den 26 Garnisonspitälern mit ihren Filialen, zu welchen bei der Mobilmachung die Feldsanitätsabteilungen hinzutreten. An der Spitze der Feldmilitärärzte steht der Armeechefarzt; dem Armee-Intendanten ist ein Sanitätschef der Armee-Intendanz beigegeben; dem erstgenannten sind unterstellt: die Korps- und Divisions-Chefärzte und die Truppenärzte. Zu den Feldsanitätsanstalten zählen: a) die Divisionssanitätsanstalten und die Feldsanitätskolonnen des Deutschen Ritterordens; b) die Feldspitäler und die Blessiertentransportkolonnen des Roten Kreuzes; c) die Feldmarodenhäuser; d) die Reservespitäler auf dem Kriegsschauplatz; e) die Krankenhaltestationen; f) die Eisenbahn-Sanitäts- und die -Krankenzüge; die Schiffsambulanzen. – Beim Beginn des Gefechts begeben sich die Truppenärzte sofort zu den Verbandplätzen, wohin die der fechtenden Truppe angehörenden Blessiertenträger und die Sanitätssoldaten die Verwundeten aus der Gefechtslinie bringen. Die Ambulanzen (Blessiertentransportkolonnen) vermitteln die Überführungen von den Verbandplätzen zu den Feldspitälern, bez. den Hauptabschubsstationen auf Bahnhöfen. Für Leichtverwundete und Kranke werden nach Bedarf Feldmarodehäuser und Krankenhaltestationen errichtet. – In Frankreich ist die Kriegskrankenpflege geregelt durch das Reglement über den Sanitätsdienst der französischen Armee im Feld vom 25. Aug. 1884, welches von denselben Grundsätzen ausgeht wie die deutsche Kriegssanitätsordnung. Den ärztlichen Dienst leitet ein Generalinspekteur, bei jeder Armee befindet sich ein Médecin-inspecteur, bei jedem Korps ein Médecin-principal; die Divisionen, Brigaden, Ambulanzen, Feldlazarette haben Chefärzte. Infirmiers (Lazarettgehilfen) und Brancardiers (Krankenträger) versehen den Hilfsdienst. In gleicher Rangordnung mit den Ärzten stehen die Pharmazeuten. Zunächst der Gefechtslinie sind die [218] Ambulanzen thätig, welche in drei Sektionen, eine fliegende, eine Reserveambulanz und ein Feldspital, sich gliedern. In der zweiten Linie befinden sich die mobilen und die stehenden Feldlazarette, die Evakuationslazarette, von denen die Absendung nach dem Inland erfolgt, sowie Bahnhofsambulanzen, Hilfslazarette etc. Die Sanitätszüge enthalten höchstens 35 Wagen, darunter 23 Krankenwagen mit je sechs Lagerstätten. Eigentümlich ist die Einrichtung der Chefs de campement, welche für die Verbandplätze und Lazarette geeignete Plätze aufzusuchen haben. – In England enthält das Regulativ über den Sanitätsdienst (royal warrant organisation of the medical staff corps) von 1885 die bezüglichen Bestimmungen. Die Verwundetenpflege bewirken die Truppenärzte, Krankenträgerkompanien, Feldlazarette, vorgeschobenen Lazarettdepots, Etappenlazarette, das Hauptlazarett auf dem Kriegsschauplatz und die Lazarettschiffe zur Überführung der Kranken nach der Heimat. Bei jedem Bahnhofsspital befindet sich eine Rekonvaleszentenstation. – Italien besitzt eine vortreffliche Kriegssanitätsordnung vom 29. Juni 1882. Schon im Frieden bestehen 12 Sanitätskompanien aus Krankenwärtern (infermeria) und Krankenträgern (portaferiti). Die Lazarette gliedern sich auch in mobile Feld-, stehende Kriegs- und Reservelazarette. – In Rußland leidet das Sanitätswesen dadurch, daß es sowohl unter der Leitung des aus Ärzten bestehenden Medizinalressorts als auch des von Generalen gebildeten Hospitalressorts, somit unter einem mit den Kriegsverhältnissen unverträglichen büreaukratischen Formalismus steht. Nach den Bestimmungen von 1871 werden für die Dauer eines Kriegs formiert: Detachements- (Marsch-) und mobile Divisionslazarette, mobile Hospitäler, zeitweilige Kriegs- und stehende Hospitäler; aber nur die Divisionslazarette stehen unter ärztlicher Leitung.
Die freiwillige Krankenpflege ist die Bethätigung des Volkes an der Milderung des Kriegselends und der Not, welche Verwundete und Kranke der kämpfenden Armeen zu ertragen haben, durch Krankenpflege und Hilfsleistung nach jeder Richtung, sei es persönlich oder durch Beisteuer an Geld oder Material. (Im Krieg 1870/71 sind in Deutschland durch freiwillige Gaben gegen 40 Mill. Mk. aufgebracht worden.) Denn der Staat ist in großen Kriegen außer stande, amtlich überall da Hilfe zu bringen, wo solche not thut. Zweck der freiwilligen Krankenpflege ist, den amtlichen Sanitätsdienst zu unterstützen und in einzelnen Punkten zu ergänzen. Bedingungen für ihre Mitwirkung sind: 1) direkte Einordnung in das militärische System und gesetzliche Regelung des Verhältnisses zu den Militär- und Sanitätsbehörden; 2) Organisation der Vereine und Genossenschaften in sich und zu einander; 3) Festhalten bestimmter Grenzen für die Thätigkeit, namentlich Beschränkung auf den Bereich außerhalb des Schlachtfeldes (zweite und dritte Linie). Die Bildung der Vereine vom Roten Kreuz (s. d.) zur freiwilligen Krankenpflege ist hervorgegangen aus der Genfer Konvention (s. d.); ihr Verhältnis zu den staatlichen Sanitätseinrichtungen hat in Deutschland neuerdings gesetzliche Regelung gefunden. Mit Genehmigung des Kaisers ist mit Bayern, Sachsen und Württemberg ein Organisationsplan für die freiwillige Krankenpflege auf Grundlage der Kriegssanitätsordnung festgestellt worden. Grundsatz ist, daß die freiwillige Krankenpflege keinen selbständigen Faktor neben der staatlichen bilden darf, und daß ihr eine Mitwirkung nur insoweit eingeräumt werden kann, als sie dem staatlichen Organismus, den Anordnungen der zuständigen Militärbehörden, sich einfügt und von der Staatsbehörde geleitet wird. Aber es wird auch den verbündeten deutschen Vereinen vom Roten Kreuz und den Ritterorden (Johanniter, Malteser und St. Georgsritter) das Recht zuerkannt, den Kriegssanitätsdienst zu unterstützen. Vereine zum Zweck freiwilliger Hilfe, welche bei Ausbruch eines Kriegs sich bilden und zu den staatlich anerkannten Vereinen vom Roten Kreuz oder den Ritterorden in keiner Beziehung stehen, sind von jener Berechtigung ausgeschlossen. An der Spitze der gesamten freiwilligen Krankenpflege steht der kaiserliche Kommissar und Militärinspekteur (seit 1870 Fürst Pleß), welcher vom Kaiser bereits im Frieden ernannt wird. Das Zentralkomitee der deutschen Vereine vom Roten Kreuz, die Direktionen und Vorstände der einzelnen Landesvereine und die Ordensvertretungen sind in ihren Beziehungen zur Armee seiner Leitung unterworfen; er befindet sich im Krieg im Großen Hauptquartier und leitet hier im Einverständnis mit dem Chef des Feldsanitätswesens der Generaletappeninspektion die freiwillige Krankenpflege im Bereich des Kriegsschauplatzes; im Heimatsland geht die Leitung an den bei Ausbruch des Kriegs vom Kaiser zu ernennenden stellvertretenden Militärinspekteur über, dem Delegierte des Zentralkomitees und der übrigen Vereinsvorstände beigegeben sind. Unter seiner Leitung sind in den einzelnen Ländern Landesdelegierte, außerdem Provinzial-, Bezirks- und Ortsdelegierte (in größern Städten), bei den stellvertretenden Generalkommandos Korps-, bei den Linienkommissionen (s. d.) Linien- (Etappen-), in armierten Festungen Festungsdelegierte thätig. Was sie schaffen, geht durch Vermittelung des stellvertretenden Militärinspekteurs an den kaiserlichen Kommissar, der nun wieder die Verteilung innerhalb des Bereichs der operierenden Armee bewirkt. Unter seiner Leitung sind von ihm erwählte Vereinsdelegierte thätig, die der Bestätigung des Kriegsministers bedürfen und unmittelbar im Verein mit den leitenden Militärbehörden zu handeln verpflichtet sind. Bei jeder Etappeninspektion befindet sich ein Armeedelegierter, bei den Armeekorps neben dem Feldlazarettdirektor ein Korpsdelegierter, bei den Krankentransportkommissionen ein Etappendelegierter, auf jeder Sammelstation ein Unterdelegierter. Die Aufgaben der freiwilligen Krankenpflege erstrecken sich auf die Unterstützung der Krankenpflege, der Krankentransporte, die Sammlung und Beförderung freiwilliger Gaben. Das hierbei zu verwendende Personal muß deutscher Nationalität, militärfrei, unbescholten und für den betreffenden Dienst befähigt sein. Die Vereinsärzte bedürfen der Bestätigung des Kriegsministeriums. Das auf dem Kriegsschauplatz befindliche Personal ist den Militärgesetzen unterworfen und ist verpflichtet, die durch kaiserliche Verordnung vorgeschriebene Uniform zu tragen. Der Korpsdelegierte verabfolgt die Legitimationskarten und abgestempelten Neutralitätsbinden. Internationale Hilfe ist bei der Feldarmee gänzlich ausgeschlossen, innerhalb Deutschlands bedarf sie besonderer Genehmigung des Kriegsministeriums. – In Österreich ist die Mitwirkung der Österreichischen Gesellschaft und des Ungarischen Vereins vom Roten Kreuz, neben denen noch die Ritterorden (Malteser und Deutschritter-Marianer) [219] bestehen, in ähnlicher Weise geregelt wie in Deutschland. Die von diesen Vereinen aufzustellenden 40 Blessierten-Transportkolonnen sind auf die 40 Feldspitäler derart verteilt, daß 30 auf die im Reichsrat vertretenen Länder, 10 auf die Länder der ungarischen Krone kommen. Ein Mitglied des Herrscherhauses ist Protektor-Stellvertreter, der im Krieg als Generalinspektor an die Spitze der freiwilligen Krankenpflege tritt. – In Frankreich, wo das Verhältnis der freiwilligen Hilfe zu Staat und Heer durch Dekret vom 3. Juli 1884 geregelt ist, kennt man die Stellung des Kommissars und Militärinspekteurs nicht, der Verein vom Roten Kreuz ist vielmehr direkt dem Kriegsministerium unterstellt und wird bei der Armee durch Delegierte vertreten, die der Kriegsminister bestätigt und entsendet. – In Rußland besteht eine gesetzliche Regelung der Hilfe des Vereins vom Roten Kreuz im Krieg nicht, sie erfolgt von Fall zu Fall. – In England besteht eine Organisation der freiwilligen Hilfe nicht; tritt sie in Thätigkeit, so steht sie selbständig neben dem militärischen Sanitätsdienst.
Den ersten Anfängen einer Kriegskrankenpflege begegnen wir bei den Griechen des Altertums, bei denen die Pfeilzieher als Wundärzte wirkten durch das Ausziehen von Pfeilen, Stillen von Blutungen und Anlegen von Verbänden. Xenophon hatte bei dem Rückzug der Zehntausend Wundärzte mit; auch die ägyptischen Heere wurden von heilkundigen Männern, meist Priestern, begleitet, bei ihnen finden sich auch die ersten Spuren von Kriegslazaretten, die bei den Griechen ganz fehlen, obgleich auch den Heeren Philipps und Alexanders d. Gr. Ärzte folgten. In den ältern Zeiten der römischen Republik war die Fürsorge für die Verwundeten und Kranken sehr gering, später wurden diese nach Rom zur Pflege zurückgeschickt und dort auf die Bürger verteilt; für schmachvoll galt es, sie schutzlos zu verlassen. Die Armeen Cäsars hatten zwar Ärzte, ihre Wirksamkeit war aber beschränkt. Erst unter Augustus trat ein geordneter Feldsanitätsdienst ins Leben; Ärzte und Krankenträger waren auf die Truppen verteilt, stehende und Feldlazarette, in den Lagern Zeltlazarette, waren im Gebrauch. Während der Kreuzzüge versahen Johanniter und Geistliche das Amt der Ärzte. Aber erst mit der Bildung stehender Heere beginnen auch die Anfänge einer Kriegskrankenpflege. Heinrich IV. soll 1597 vor Amiens das erste Feldlazarett errichtet haben. In Deutschland finden wir bei den Fähnlein der Landsknechtheere einen Feldscher und bei einem Heer einen „Obrist-Feldarzt“, ein Spittelmeister sorgte für die Verwundeten und Kranken, doch gab es keine eigentlichen Lazarette. Der Große Kurfürst begann zwar mit der Einrichtung einer bessern Kriegskrankenpflege, doch erst der polnische Edelmann Janus Abraham a Gehema wurde, nachdem er Medizin studiert und in elf Feldzügen Erfahrungen gesammelt, der eigentliche Reformator auf diesem Gebiet. König Friedrich I. gründete die ersten Feldlazarette und Friedrich Wilhelm I. 1713 die Charitee und die Anatomie in Berlin; hiermit wurde er der Schöpfer der militärärztlichen Organisation in Preußen. 1725 folgten das Medizinaledikt und die Instruktion für die Regimentsfeldschere, 1734 das erste Feldlazarettreglement. Unter Friedrich II., der 1743 ein neues Reglement erließ, fand das Feldsanitätswesen weitere Entwickelung, er schied die Hauptlazarette von den mobilen oder fliegenden Ambulanzen. Am 16. Sept. 1787 erschien ein neues Feldlazarettreglement. Grundlegend für die künftige Gestaltung des Kriegslazarettwesens wurde die 1793 auf Görckes Vorschlag erfolgte Errichtung eines beweglichen Feldlazaretts für 1000 Verwundete sowie das auf seine Anregung 1795 zu Berlin gegründete medizinisch-chirurgische Friedrich Wilhelms-Institut (Pepinière). Er organisierte das Krankentransportwesen (Krankenträgerkompanien) während der Befreiungskriege; es wurden Evakuationslinien für den Rücktransport der Verwundeten aus Frankreich festgesetzt, in welchen man die Anfänge der heutigen Krankenverteilung zu suchen hat. Der erste Gedanke, besondere Krankenträger (brancardiers) zu bilden, ging von dem französischen Arzt Percy 1800 aus; sie bilden die Grundlage für die erste Hilfe, die in der Gefechtslinie beginnt und die Fortschaffung der Verwundeten durch Ambulanzen nach rückwärtigen Feldlazaretten notwendig macht. In dieser Organisation liegt der Schwerpunkt des Kriegssanitätswesens, da von der baldigen ersten Hilfe die Erhaltung vieler Menschenleben abhängt. An ihrer Vervollkommnung ist, zumal sie ausschließlich militärisch sein muß, unablässig gearbeitet worden. Die 1834 organisierten leichten und schweren Feldlazarette in Verbindung mit Krankenträgerkompanien waren 1869 in Sanitätsdetachements umgewandelt worden. Jeder neue Krieg hatte eine Vermehrung und Verbesserung dieser Einrichtungen zur Folge. Welche Anforderungen an sie gestellt wurden, ist daraus ersichtlich, daß bei Königgrätz außer den 13,731 Verwundeten der preußischen Armee noch gegen 13,000 österreichische Schwerverwundete in ärztliche Behandlung genommen werden mußten; in der Schlacht bei Colombey-Nouilly 14. Aug. 1870 fielen 4780, am 16. bei Mars la Tour 14,832 und am 18. bei St.-Privat 19,680, in den drei Schlachten bei Metz innerhalb fünf Tagen betrug mithin der Verlust der deutschen Armee 39,292 Mann, von diesen sind am Schlachttag gestorben 6360, es blieben mithin in ärztlicher Behandlung 32,932 Mann; trotz dieser ungeheuern Verluste war bereits 19. Aug. mittags sämtlichen Verwundeten die erste Hilfe gebracht und der ärztliche Dienst auf dem Schlachtfeld selbst beendet. Welche schrecklichen Folgen würde die wenn auch nur kurz dauernde Anhäufung so vieler Kranken auf kleinem Bereich gehabt haben! Der Rücktransport und die Krankenzerstreuung ist daher notwendige Bedingung eines wohlorganisierten Kriegssanitätswesens, trotzdem hat dieselbe erst in der Neuzeit feste Grundlage und einheitliche Organisation gefunden, welche auf ausgiebigster Benutzung der Eisenbahn beruht. Der österreichische Oberstabsarzt Dr. Kraus war einer der ersten, der Ende der 50er Jahre auf die geregelte Krankenzerstreuung hinwies. Durch Esmarch wurde 1860 die Einrichtung von Lazarettzügen angeregt; sie kamen im amerikanischen Bürgerkrieg 1861–65 zuerst in Anwendung, noch großartiger und wirksamer waren in Amerika die Hospitalschiffe, auf denen im Mai 1864: 26,191, täglich 1500, Verwundete transportiert wurden. Preußen fehlten 1866 noch ausreichende Mittel zum Eisenbahnkrankentransport, der deshalb wenig befriedigte. Nach dem Krieg begannen die Vorbereitungen für die Sanitätszüge, die dann während des Kriegs 1870/71 eine treffliche Entwickelung erlangten. Es bestanden 21 Sanitätszüge für durchschnittlich 200 Verwundete, die in 163 Fahrten 36,295 meist Schwerverwundete nach Deutschland brachten. Außerdem wurden in 305 Krankenzügen (s. d.) 127,582 Leichtkranke und Leichtverwundete befördert. Immerhin sind auch in Frankreich eine große Zahl Verwundeter und Kranker in den dort eingerichteten Lazaretten [220] verblieben, denn es sind überhaupt 111,244 Verwundete und 475,400 Kranke der deutschen Armee in den Lazaretten während des Kriegs behandelt worden, von erstern starben 10,506, von letztern 14,648; am Tag der Verwundung starben 17,831. Diese Zahlen zeigen zur Genüge, welche Anforderungen an das K. gestellt werden, und daß der freiwilligen Krankenpflege ein unbegrenztes Feld zur Bethätigung gegeben ist. – Vgl. Gurlt, Zur Geschichte der internationalen und freiwilligen Krankenpflege (Berl. 1873); Vogl, Vom Gefechts- bis zum Verbandplatz (Münch. 1873); Billroth und Mundy, Über den Transport der im Felde Verwundeten und Kranken (Wien 1874); Peltzer, Kriegslazarettstudien (Berl. 1876); Knorr, Entwickelung und Gestaltung des Heeres-Sanitätswesens der europäischen Staaten (2. Aufl., Hannov. 1883); zur Nieden, Der Eisenbahntransport verwundeter und erkrankter Krieger (2. Aufl., Berl. 1883); Pirogow, Das K. und die Privathilfe auf dem Kriegsschauplatz in Bulgarien 1877–78 (deutsch, Leipz. 1882); v. Criegern, Leitfaden für die freiwillige Krankenpflege beim deutschen Heer (das. 1888); Derselbe, Das Rote Kreuz in Deutschland, ein Handbuch der freiwilligen Krankenpflege für Kriegs- und vorbereitende Friedensthätigkeit (gekrönte Preisschrift, das. 1883); v. Grimm, Organisation, Ergänzung, Verwendung und Ausbildung des niedern Sanitätspersonals (Beiheft zum „Militär-Wochenblatt“, Berl. 1886); Frölich, Militärmedizin. Kurzgefaßte Darstellung des gesamten Militärsanitätswesens (Braunschw. 1887); Moynier, La Croix-Rouge, son passé et son avenir (Par. 1882; deutsch, Minden 1883); „Bulletin de la Société française de secours aux blessés militaires“, Nr. 37 bis 39 (Par. 1882); Mosino, Das russische Rote Kreuz 1877 und 1878 in Rumänien (nach Richter deutsch bearbeitet, Berl. 1880); „Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte des Militär-Sanitätswesens“ (hrsg. von Roth, das., seit 1873); „Kriegerheil“, Organ der deutschen Vereine vom Roten Kreuz (redigiert von Gurlt, das., seit 1866).
[511] Kriegssanitätswesen. Das deutsche K. hat einen großen Fortschritt zu verzeichnen durch die Einführung einer vollständigen Ausrüstung für antiseptische Wundbehandlung vom Truppenverbandplatz und Hauptverbandplatz bis zum Reservelazarett. Als Norm für die antiseptische Wundbehandlung ist die Verwendung des Sublimatmulls angenommen worden. Der Sublimatmull wird teils im Frieden in den Garnisonlazaretten, teils auch im Krieg durch die Feldapotheker hergestellt. Als Irrigationsflüssigkeit dient die 1proz. Sublimatlösung, zu deren Herstellung teils konzentrierte Mutterlösung, teils Sublimat in Substanz mitgeführt wird. Für die Desinfektion der Instrumente ist flüssige konzentrierte Karbolsäure und zur fernern Wundbehandlung Jodoform in großen Mengen vorhanden. Große Massen von Kambrik- und Gazebinden, Sublimatwundwatte in Preßstücken, Sublimatmull in abgepaßten Stücken sind in den Truppenmedizinwagen und den Sanitätswagen der Sanitätsdetachements und der Feldlazarette vorrätig. Nicht mit Sublimat präparierter Mull im Stück sowie entfettete Watte in Preßstücken werden gleichfalls in den Wagen mitgeführt. Als Hauptprinzip bei dieser Neuausstattung tritt das Bestreben hervor, eine möglichst frühzeitige Bedeckung der Wunde mit einer vor Infektion von außen schützenden antiseptischen Hülle zu ermöglichen. [512] Diesem Prinzip ist durch Einführung antiseptischer Verbandpäckchen Ausdruck gegeben. Dieselben bestehen aus zwei Sublimatmullkompressen, einer Kambrikbinde und einer Sicherheitsnadel, alles zusammen in ein Stück starker Ölleinwand fest eingeschnürt. Jeder Mann erhält ein solches Päckchen in den vordern Rockschoß eingenäht; dasselbe ist auf diese Weise sofort an der Stelle, wo man des Verbandmittels zuerst bedarf, dem Hilfspersonal zur Hand. Die Anwendung dieses Verbandpäckchens ist die, daß man es öffnet, die Ölleinwand wegwirft, die Wunde mit den Kompressen bedeckt und diese letztern mittels der Binde befestigt; die Sicherheitsnadel dient zum Feststecken der Binde.
Einen weitern Fortschritt hat das K. gemacht durch Einführung der transportabeln Lazarettbaracken. In den neuern Kriegen hat man die Erfahrung gemacht, daß die Behandlungsresultate in Barackenhospitälern häufig günstigere waren als in geschlossenen Gebäuden, besonders wenn diese letztern (wie meist im Krieg) eigentlich andern Zwecken als der Verwundeten- und Krankenpflege zuvor gedient hatten. Man war aus diesem Grund sowie auch in der Absicht, in möglichst kurzer Zeit unabhängig von den örtlichen Verhältnissen den Verwundeten geeignete Unterkunft gewähren zu können, schon längst bestrebt, durch improvisierte Barackenbauten und mitgeführte Krankenzelte den Ansprüchen der Verwundetenpflege zu genügen. In erster Linie aber war das Bedürfnis vorhanden, mit akuten Infektionskrankheiten Behaftete, welche natürlich nicht evakuiert werden können, sondern sobald wie möglich isoliert werden müssen, in gesonderten Baracken behandeln zu können. Im J. 1884 wurde nun eine Preisbewerbung ausgeschrieben und auf diese hin 1885 eine Ausstellung transportabler Baracken ins Leben gerufen. Auf dieser Ausstellung sowie bei der Berliner Hygiene-Ausstellung 1885 erhielt den ersten Preis die vom Dänen v. Döcker erfundene transportable Lazarettbaracke. Eine solche Baracke ist bestimmt für zwölf Kranke mit je 14,17 cbm Luftraum; sie wiegt 3590 kg und kostet 3000 Mk. Die Wände und das Dach bestehen aus Holzrahmen, welche durch Scharniere verbunden werden und auf beiden Seiten mit Filzpappe überkleidet sind. Dieselbe erhält noch einen Anstrich, welcher gegen Feuersgefahr schützt; sie ist mit Fenstern und Firstventilation ausgestattet. Die Heizung erfolgt durch Öfen, deren Rauchrohr gleichfalls mit einer für die Ventilation bestimmten Vorrichtung in Verbindung steht. – Zur Litteratur: Frölich, Militärmedizin. Darstellung des gesamten Militärsanitätswesens (Braunschw. 1887).